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Full text of "Beiträge zur Geschichte der Reformation in Österreich. Hauptsächlich nach bisher unbenutzten Aktenstücken des Regensburger Stadtarchivs"

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Beiträge  zur  Geschichte 

der 


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Reformation  in  Osterreich. 

Hauptsächlich  nach  bisher  unbenutzten  Aktenstücken 
des  Regensl)urger  Stadtarchivs. 


Von 


D.  Eduard  Bohl. 


-V, 


JENA, 

Verlag  von   Gustav   Fiscln'r, 

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Uebersetzimgsrecht  vorbehalten. 


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Vorwort. 


Nicht  immer  ist  man  in  der  glücklichen  Lage,  mit 
dem  Bewußtsein  vor  die  Öifentlichkeit  zu  treten,  daß  man 
etwas  wirklich  neues  bringen  darf.  Wer  aber  nur  Avenige 
Seiten  des  nachfolgenden  Werkes  überblickt,  wird  sich  des 
Eindruckes  nicht  erwehren  können,  daß  wir  mit  den  vor- 
liegenden Erörterungen  ein  für  Österreich  und  auch  für 
andere  Länder  noch  nicht  benutztes  Quellengebiet  betreten. 
Es  ist  das  ßegensburger  Stadtarchiv ,  welches ,  soweit  es 
Österreich  betrifft,  erschlossen  zu  haben  das  Verdienst  des 
Senior  Friedrich  Koch  in  Gmunden  ist.  Seine  Abschriften, 
welche  ihm  in  den  achtziger  Jahren  des  vorigen  Jahr- 
hunderts zu  machen  verstattet  war,  hat  er  mir  wiederholt 
in  liberalster  Weise  (seit  1888)  zur  Verfügung  gestellt, 
wofür  ich  ihm  an  dieser  Stelle  öffentlich  den  innigsten  Dank 
ausspreche.  Zwar  haben  mich  zunächst  die  theologischen 
Stücke,  welche  auf  den  flacianischen  Erbsündestreit  Bezug 
hatten,  interessiert;  aber  je  mehr  ich  in  die  Akten  eindrang, 
fesselte  mich  auch  das  Geschichtliche.  Dei-  38-jährige 
Aufenthalt  in  Österreich,  während  dessen  ich  an  ver- 
schiedenen mit  der  Reformationsbewegung  eng  verknüpften 
Orten  —  außer  dem  Salzkammergut  auch  Hohenberg  in 
Niederösterreich  (1886)  i)   —   weilte,  erweiterte  meinen  Ge- 


1)  Vgl.  meinen  Artikel  über  Hohenberg  (das  einst  im  Besitz 
der  Jörger  gewesen,  von  denen  zwei  in  Wittenberg  waren  und  einer 
mit  Luther  korrespondierte,  vgl.  Enders,  Briefwechsel  Luthers,  VII), 
in  den  Jahrb.  d.  Gesellsch.  f.  d.  Gesch.  d.  Prot,  in  Österreich,  1887. 


IV 

sichtskreis.  Und  so  beschloß  ich,  obwohl  Theolog,  den  Ver- 
such auch  einer  historischen  Darstellung  der  Entwickelung 
des  Evangeliums  in  Österreich  zu  machen  ;  denn  das  Wesen 
derselben  kann  nur  von  einem  solchen  gründlich  erfaßt 
werden,  weil  es  eine  von  Theologen  bestimmte  Kampfes- 
periode betrifft.  Was  immer  draußen  im  Reiche  die  Ge- 
müter bewegte,  fand  in   Österreich  kräftigen  Widerhall. 

Der  Umstand  aber,  daß  auch  die  Beziehungen  Thü- 
ringens zu  dem  evangelischen  Österreich  augenfällig  waren, 
veranlaßte  den  Herausgeber  der  Zeitschrift  für  Thüringische 
Geschichte  und  Altertumskunde,  Herrn  Professor  Dr.  Doben- 
ecker  in  Jena,  dem  darauf  Bezug  habenden  Teil  meiner 
Darstellung  einen  Platz  in  seiner  Zeitschrift  zu  gewähren. 
Nachdem  der  erste  Teil  dergestalt  Aufnahme  gefunden, 
hat  Herr  Dr.  G.  Fischer  in  Jena  den  Verlag  auch  der 
übrigen  Abschnitte  gütigst  auf  sich  genommen.  Beiden 
Herren  sage  ich  für  ihr  Entgegenkommen  meinen  ver- 
bindlichsten Dank. 

Zum  Schluß  spreche  ich  die  Hoffnung  aus,  daß  auch 
in  Oesterreich  der  Versuch  einer  neu  orientierten  Dar- 
stellung der  evangelischen  Bewegung  im  XVI.  Jahi-hundert 
geneigte  Aufnahme  finden  möge.  Ich  habe  niemand  zu 
Lieb,  niemand  zu  Leide  schreiben  wollen,  sondern  nur  die 
Quellen  und  auch  zuweilen  mein  Herz  reden  lassen. 


Wien,   Mitte  Januar   1902. 


D.  B.  Bohl. 


Inhalt. 


Seite 

Eingang    1 

Unsere  Quellen 4 

Theologischer  Überblick     . 13 

Historischer  Überblick  ^) 40 

Besondere    Persönlichkeiten    zur   Zeit   der  Reformation 

in  Nieder-  und  Oberösterreich 109 

A.  Die  Fürsten 109 

Ferdinand  1 109 

Maximilian  II 136 

Eudolf  II.  und  Matthias 158 

B.  Der  Adel 166 

C.  Die  Prädikanten 173 

I.  Nicolaus  Gallus 179 

II.  Wolfgang  Waldner 205 

III.  Christoph  Reuter 221 

IV.  Joachim  Magdeburgius 248 

Die  niederösterreichische  Agende 260 

A.  Die  Vorbereitungen .     .         260 

B.  Die  Agende 277 

Die  Kirchenordnung  in  Innerösterreich 330 

Der  Erbsündestreit  in  den  siebziger  Jahren 372 

Die  Kirchenvisitation  des  Jahres   1580 396 

Spaltung    der    „beständigen"   Lutheraner  und  ihr  Ver- 
schwinden in  den  80er  Jahren 425 


1)  Bis  dahin  bereits  abgedruckt  in  der  Zeitschrift  für  Thüringische 
Geschichte  und  Altertumskunde,  Bd.  XX,  S.  327 — 432. 


VI 

Seite 

Anhang 447 

I.  Scipio  von  Arcos  Rede 447 

II.  Urteil  Andreas  über  Flacius 450 

III.  Brief    Waldners    an    Gallus    aus    Nürnberg    vom 

7.  Januar  1557 452 

IV.  M.  Moseder  über  die  Exkommunikation     ....  460 
V.  Gallus  an  Eeuter  über  den   bei   den   Agende- Ver- 
handlungen einzunehmenden  Standpunkt    ....  461 

VI.  Korrespondenz  Nicolai  GaUi   mit  verschiedenen  in- 
und    ausländischen  Theologen   und  Laien   aus  den 

Jahren  1568—70 465 

VII.  Weickhardt    von    Polhaim    an    das    Regensburger 

Konsistorium 475 

VIII.  Extract  aus  den    Schriften   des   Grazer   Exjesuiten 

Johannes  Combilhon 477 

Berichtigungen  und  Zusätze 481 


I.  Eingang. 

Es  kann  nicht  unsere  Absicht  sein,  ^ine  vollständige 
Geschichte  der  Reformation  in  Österreich  in  den  folgenden 
Blättern  zu  geben ;  wir  fassen  vielmehr  nur  die  Geschichte 
des  Erzherzogtums  Österreich  ins  Auge,  womit  sich  die 
neu  erschlossenen  Akten  aus  dem  Regensburger  Stadtarchiv 
hauptsächlich  beschäftigen,  und  auch  hier  nur  die  Haupt- 
punkte. Eine  vollständige  Geschichte  ist  überhaupt  erst 
die  Aufgabe  einer  späteren,  dafür  besser  ausgerüsteten  Zeit. 

Wir  wollen  dabei  die  wichtigsten  Ereignisse  hervor- 
heben  und  ihre  Auffassung    von    mannigfaltigen    Irrtüaiern 


reinigen. 


Wir  können  es  uns  nicht  gefallen  lassen,  daß  man 
Österreich  als  eine  Ablagerungsstätte  jener  Evangelischen 
betrachtet,  die  man  draußen  im  Reich,  zumal  in  Thüringen, 
nicht  brauchen  konnte  und  als  Verführer  und  Irrlehrer, 
besonders  auch  unter  dem  Namen  „Elacianer''^)  ver- 
jagte, worauf  sie  sich  in  unsere  Länder  eingeschlichen 
hätten.     Seitdem  das  evangelische  Österreich  die  Aufmerk- 


1)  Schon  einer  der  Wortführer  der  aus  Thüringen  Ao.  1562 
Vertriebenen,  der  bekannte  Joachim  Magdeburgius,  protestiert  in  seinem 
„Christlichen  Bekenntnis  des  Glaubens  etlicher  evangelischer  Prediger 
in  Österreich"  1566  gegen  die  Beschuldigung,  „als  ob  wir  Evan- 
gelische oder  (wie  man  uns  sonst  nennet)  Lutherische  Prediger  in 
Österreich  in  der  Lehre  und  wahrem  Gottesdienst  nicht  eins  sem 
sollten".  Von  Flacianern  ist  keine  Rede,  und  Magdeburgius  war 
auch  keiner  (bis  1580). 


1 


—     2     — 

samkeit  der  Geschichtsschreiber  gefesselt,  ist  man  stets  in 
diesem  Irrtum  befangen  gewesen,  teils  aus  bösem  "Willen, 
teils  weil  die  Quellen   trübe  flössen. 

Es  ist  freilich  richtig,  daß  die  österreichische  Kirchen- 
geschichte erst  anhebt,  als  das  goldene  Zeitalter  der  Refor- 
mation, wenn  man  von  solchem  überhaupt  reden 
darf,  bereits  vorbei  und  ein  ehernes  eingetreten  war,  das 
aber  von  dem  eisernen  des  17.  Jahrhunderts  wohl  zu  unter- 
scheiden ist.  In  diesem  Zeitalter,  das  wir  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  füglich  beginnen  können,  gab  es  noch  sehr 
viel  Gutes,  und  unsere  österreichische  Reformation  hat 
daran  teilgenommen.  Wir  sind  weit  entfernt  von  der 
kühlen  Betrachtungsweise  jener  Historiker,  die,  nachdem 
sie  im  Anfang  ein  goldenes  Zeitalter,  unter  besonderer 
Hervorhebung  der  Verdienste  Luthers,  geschildert,  in  vor- 
wurfsvollem Tone  zur  Kenntnis  ihrer  Leser  bringen,  daß 
auf  dieses  Zeitalter  die  Streitigkeiten  der  Theologen  und 
die  Kontrareformation  gefolgt  seien.  Wir  meinen,  ein 
Besseres  von  dem  Verlauf  der  Reformationsgeschichte  sagen 
zu  dürfen  und  wünschen  die  Belege  im  folgenden  dafür 
zu  geben.  Wir  sind  vor  allem  keine  solche  Gegner  jener 
Streitigkeiten  der  Theologen,  wie  es  leider  heutzutage  die 
meisten  sind.  Denn  die  Reformation  vollzog  sich  in  herbem 
Kampfe,  und  alle  jene,  die  auch  später  für  das  Beste  der 
Gemeinde  besorgt  waren,  sind  Leute  des  Kampfes  gewesen. 
Wenn  also  auch  das  Gute,  das  wir  in  jenem  ehernen  Zeit- 
alter noch  antreffen,  nicht  heranreicht  an  das,  was  zur  Zeit 
der  Väter  und  Begründer  der  Reformation  vorhanden  war, 
so  ist  dessen  doch  immer  noch  genug.  Von  dem  Geiste  der 
ersten  Zeugen  lebte  auch  in  diesen  Nachgeborenen  noch 
immer  etwas.  Und  wären  Luther,  Melanchthon  oder  Bucer 
um  die  Zeit  der  Wende  des  Jahrhunderts  wieder  auf- 
gestanden ,  um  durch  das  Erzherzogtum  Osterreich  zu 
wandern,  sie  würden  dort  Gemeinden  gefunden  haben,  die 
durch  die  Predigt  des  Evangeliums  und  die  Zucht,  sowie 
durch  das  Band  der  brüderlichen  Liebe    zusammengehalten 


—    3    — 

waren.  Daher  kam  es  denn  auch,  daß,  als  das  Wort  evan- 
gelischer Predigt  verstummen  mußte  (in  den  20  er  Jahren 
des  17.  Jahrhunderts)  nicht  kalte  Grabsteine,  sondern  lockeren 
Erdreich  jene  Stätten  in  Österreich  deckte,  aus  dem  neues 
Leben  wieder  sprießen  konnte,  wenn  es  Gottes  Zeit  war.  Wir 
erinnern  an  die  Emigranten  in  Salzburg  (1731)  und  die 
Hallstadter  Protestanten  —  ferner  an  die  Toleranzzeit  (1781) 
und  die  Zeit  der  kirchlichen  Freiheit  seit  1861. 

Um  den  vorliegenden  Ausschnitt  aus  der  großen  Kirchen- 
geschichte, wie  er  sich  aus  dem  Regensburger  Aktenmaterial 
haiiptsächlich  ergiebt,  recht  zu  würdigen,  nat  man  sich  mit 
Geduld  zu  wappnen.  Unsere  Aufgabe  ist  zunächst,  uns 
aller  Geringschätzung  zu  enthalten  bei  der  Besprechung 
theologischer  Streitfragen,  welche  augenblicklich  nicht  akut 
zu  sein  scheinen.  Jene  Streitfragen  sind  derart,  daß  nur 
Zeit  und  Gelegenheit  nötig  ist,  um  sie  wieder  zu  brennenden 
zu  machen.  Da  ist  vor  allem  die  in  den  Schriften  und 
Briefen  aus  jener  Zeit  ganz  geläufige  adiaphoristische  Streit- 
frage, ferner  die  synergistische,  majoristische  und  ähnliche 
Fragen. 

Wir  können  es  uns  nicht  ersparen,  an  erster  Stelle 
auf  solche  Fragen  einzugehen ,  weil  davon  die  Gesamt- 
beurteilung der  Zeit  und  so  auch  das  Verständnis  des  uns 
vorliegenden  Aktenmaterials  abhängt.  Wir  müssen  also  in 
einem  einleitenden  theologischen  Teil  die  Bedeutung  dieser 
Fragen  würdigen.  Zu  jenem  kurz  gefaßten  theologischen 
Überblick  gehört  dann  ein  gleich  kurzer  historischer,  in 
welchem  wir  die  Hauptpunkte  der  Entwickelung  und  Be- 
endigung der  Streitigkeiten  berühren  müssen,  und  zwar  vom 
Jahre  1548 — 1580  —  vom  Interim  bis  zur  Annahme  des 
Konkordienbuchs.  Dann  erst  sind  wir  in  der  Lage,  diesen 
unseren  special-historischen  Abschnitt,  den  wir  auf  Grund 
neuer  Quellen  in  Behandlung  genommen  haben,  gründlich  zu 
verstehen.  Sonst  befänden  wir  uns  fortwährend  in  der 
Lage  eines  Blinden,  der  über  Farben  urteilen  soll. 

1* 


—    4    — 
Unsere  Quellen. 

Für  eine  sichere  Auffassung  unseres  Gegenstandes  standen 
mir  außer  zahlreichen  Büchern  und  den  gedruckten  Quellen- 
schriften, die  anzugeben  mir  erlassen  bleiben  möge,  umfang- 
reiche und  wertvolle  handschriftliche  Quellen  zu  Geböte, 
welche  fast  noch  gar  nicht  benutzt  worden  sind. 

Sie  sind  aus  dem  Eegensburger  Stadtarchiv  und  sind 
lange  Zeit  gänzlich  verschollen  gewesen.  Mein  Gewährs- 
mann, Herr  Senior  Friedrich  Koch  in  Gmunden,  der  zu- 
erst jene  handschriftlichen  Quellen  im  Original  für  die 
österreichische  Reformationsgeschichte  benutzt  und  zum 
Teil  abgeschrieben  hat,  berichtet  darüber  folgendes :  Nach- 
dem sie  lange  Zeit  auf  dem  Rathausboden  oder  im  feuchten 
Kellerraum  gelegen,  seien  sie  endlich,  um  die  Mitte  des  Jahr- 
hunderts, in  das  städtische  Archiv  gerettet  worden.  Von 
diesen  Akten  thut  zuerst  Preger  in  seinem  Werke:  Matthias 
Flacius  Illyricus,  Bd.  2.  Vorrede  (1861),  Meldung,  der  die 
mehrere  100  Nummern  enthaltende  Originalcorrespondenz 
des  Flacius  mit  Gallus  hie  und  da  benutzt  hat,  aber  nichts, 
was  auf  Österreich  Bezug  hätte,  anführt.  Für  letzteres 
Land  hat  er  nur  Raupach  gebraucht,  wie  er  brieflich  dem 
Senior  Koch  meldete.  Die  auf  die  österreichischen  Länder 
bezüglichen  Briefe  und  Mitteilungen  enthalten  u.  a.  die 
Korrespondenz  des  Nikolaus  Gallus  mit  verschiedenen  in- 
und  ausländischen  Theologen  und  Laien  von  1568 — 1570; 
ferner  eine  Reihe  von  Berichten,  Gutachten  und  Beschlüssen 
aus  den  kirchlichen  Streitigkeiten  jener  Zeit,  endlich  lange 
Ordinations-  und  Vokationslisten  der  zu  geistlichen  Amtern 
empfohlenen  „Subjekte".  Von  1570  an  bis  1624  und 
darüber  hinaus  bis  1726  erstrecken  sich  diese  Listen  und 
Gutachten,  mit  allerlei  teils  wichtigen  Aufschlüssen,  die 
zur  Erkenntnis  der  Zeit  dienlich  sind.  Auch  sonst  sind 
auf  Osterreich  bezügliche  Daten,  in  Chroniken  eingestreut, 
zu  finden.  Natürlich  sind  auch  Briefe  von  Flacius  und 
Wigand    an  Gallus,    von  Chemnitz  an  Waldner  in  Regens- 


o     — 


bürg  vorhanden;  ebenso  von  Hesshus  au  seineu  Freund 
Gallus,  wie  nicht  minder  von  Cölestin,  Melissander, 
Magdeburgius,  Kosinus,  Aurifaber,  einer  sogar  von  Veit 
Dietrich.  Auch  ein  Edikt  Kaiser  Ferdinands,  wodurch  er  den 
Freiherrn  von  Jörger  mit  einem  Benefiz  für  seine  Verdienste 
um  das  Salzbergwerk  ausstattet,  was  dann  Jörger  in 
Regensburg  für  fromme  Zwecke  anlegen  läßt.  Weiter  sind 
Notizen  von  den  unter  Friedrich  III,  von  der  Pfalz  in 
Amberg  entsetzten  Lutheranern,  die  in  Regensburg  ihre  Zu- 
flucht nahmen,  vorhanden,  sowie  der  Brief  Maximilians  an  die 
Amberger,  der  sie  zum  Beharren  bei  der  A.  C.  auffordert. 
Auch  ein  Brief  Johann  Aurifabers  vom  12.  Sept.  1565, 
worin  derselbe  mitteilt,  er  habe  dem  Kaiser  Maximilian 
seine  Tomi  übersandt,  d.  h.  seine  Ausgabe  der  Tischreden 
Luthers,  und  dieselben  hätten  Sr.  Maj.  gefallen.  Er  hoffe 
auf  ein  Privileg  für  sie.  Ebenso  der  Brief,  in  welchem 
Flacius  Mitteilung  macht  über  die  Audienz  bei  Kaiser 
Maximilian  auf  dem  Augsburger  Reichstage  1566  (unter 
dem  Titel :  Narratio  oblationis  libelli  de  translatione  imperii). 
Er  hatte  sich  am  Abend  des  Ostertages  (14.  April)  bei 
der  öffentlichen  Audienz  eingefunden  und  wurde  leutselig 
empfangen  und  mit  dem  Versprechen,  der  Kaiser  wollte 
seiner  eingenk  sein,  entlassen  i).  Endlich  sind  auch  Briefe 
und  Aktenstücke,  welche  die  Reformation  in  Ortenburg 
oder  die  Schule  zu  Lauingen  und  die  inner-österreichische 
Reformationsgeschichte  (Steiermark,  Kärnthen,  Krain)  be- 
treffen, zu  finden.  Kurz,  es  sind  lauter  Aktenstücke,  Briefe 
und  Mitteilungen    ersten  Ranges,    die    noch    fast    gar   nicht 


1)  Es  handelt  sich  um  die  Überreichung  der  in  Basel  soeben 
gedruckten  Schrift :  „De  translatione  Imperii  Romani  ad  Gcrmanos". 
Derartige  Abschriften  von  wichtigen  Dokumenten,  kaiserliehen  Replik- 
schriften und  Erlässen  sind  mehrfach  vorhanden,  die  man  dem  Gallus 
und  seinen  Nachfolgern  aus  erster  Hand  zuschickte,  welche  sie  dann 
glückUch  bewahrt  haben.  Darunter  befindet  sich  auch  jene  Rede 
des  Grafen  Scipio  von  Arco,  die  er  1560  vor  Pius  IV  gehalten  und 
welche  die  berüchtigte  Obcdienzleistung  des  Kaisers  enthält.  Selbige 


—    6     — 

benutzt  sind,  obwohl  die  Sage  ging,  daß  sie  vorbanden, 
z.  B.  daß  ein  ganzes  Volumen  von  Briefen  an  und  von 
Waldner  sieb  in  Regensburg  befinden  müßte  i). 

Nicht  einmal  dem  guten  ehrlichen  ßaupach  ist  es  ver- 
gönnt gewesen,  diese  Akten  zu  Gesicht  zu  bekommen,  was 
seiner  Darstellung  in  dem  berühmten  Werke  „Evan- 
gelisches Österreich"  (6  Teile,  Hamburg  1732—44) 
empfindlichen  Abbruch  thut.  Er  hat  leider  auch  durch 
Parteilichkeit  getrübte  Quellen,  wie  eben  solche  neben 
den  lauteren  ihm  zuflössen,  benutzt,  aber  diese  Haupt- 
quellen waren  ihm  nicht  zugänglich  trotz  seines  Verkehrs 
mit  Regensburg. 

Was  ist  nun  das  Besondere  dieser  Regensburger  Akten  ? 
Wir  gewahren  ein  gar  seltenes  Schauspiel ,  das  uns  in 
diesem  Maße  aus  der  Reformationszeit  kaum  wieder  ge- 
währt wird.  Die  Teilnehmer  an  den  Kämpfen  und  großen 
Aktionen  der  Zeit  nach  Luthers  Tode  treten  uns  mit 
ihren  Tugenden  und  innersten  Herzensergießungen,  aber 
auch  mit  ihren  Fehlern  und  Schwächen  vor  das  geistige 
Auge.  Die  Licht-  und  Schattenseiten  der  Kirche  ihrer  Zeit, 
deren  Wohl  und  Wehe  ihnen  so  sehr  am  Herzen  lag,  in 
deren  Dienst  sie  sich  mit  Herz  und  Seele  gestellt,  ihren 
Prinzipien  getreu  „bis  zum  Bettelsack",  treten  deutlich  hervor. 
Es  ist  alles  voll  Aktualität. 

Erwägen  wir  nur  die  Zeit  und  zwar  mit  voller  Un- 
befangenheit, wie  sie  Pflicht  des  Historikers  ist. 

Die  Reform  Luthers  hatte,  nicht  weil  sie  von  Luther 
kam,  sondern  vielmehr  von  Gott,  wie  im  Siegeszuge  die 
Länder    durchzogen,    —   bis    nach  Italien  und  Spanien  hin 

ist,  wie  Sicel  (Aktenstücke  zur  Geschichte  des  tridentinischen  Con- 
cils,  S.  38)  bemerkt,  bisher  nie  wieder  aufgefunden.  (Regensburger 
Akten,  Eccles.  I  Nr.  XXVI.  Z.  I). 

1)  Vergl.  Eaupach,  Presbyterologie.  S.  200.  Eaupach  ließ, 
damals  nachforschen  in  Eegensburg,  aber  es  ward  nichts  gefunden. 


—     7     — 

und  bis  zu  den  Kroaten  i).  Es  war  wie  jenes  Mal,  als 
Paulus  an  die  Kolosser  schreiben  durfte,  daß  das  Wort  der 
Wahrheit  im  Evangelium  zu  ihnen  gekommen  wäre,  wie 
auch  in  alle  Welt,  und  fruchtbar  geworden  (Kol.  1,  5.  6). 
Das  ganze  Festland  hatte  von  der  Kunde  vernommen,  die 
von  Wittenberg  ausgegangen  in  alle  Lande,  und  es  war 
nahe  daran,  daß  das  gesamte  heilige  römische  Reich  noch 
einmal  vom  Evangelium  den  Weg  zur  Seligkeit  lernen 
werde.  Das  wissen  bis  heute  noch  die  Feinde,  und  der 
bloße  Gedanke  daran  macht  sie  unruhig  und  treibt  ihnen 
die  Röte  des  Zornes  ins  Gesicht. 

Nun  aber  handeln  diese  Regensburger  Akten  nicht 
mehr  von  den  ersten  Zeiten,  da  alles  wie  im  Früh- 
ling auf  eine  reiche  Ernte  hindeutete,  sondern  es  neigt 
sich  schon  stark  dem  Winter  zu.  Und  doch  sammelt  sich 
nach  dem  Ausweis  unserer  Akten  um  den  einen  oder 
anderen  Lehrer,  besonders  an  der  Universität  Jena,  dann 
in  Regensburg  um  Nicolaus  Gallus,  eine  Schar  entschlossener 
Schüler,  die  sich  wieder  um  das  alte  Banner,  welches 
Luther  vorangetragen,  scharen :  das  Banner  des  göttlichen 
Wortes,  und  zwar  nach  der  Auslegung  Luthers,  „dieses 
größten  Theologen  aller  Zeiten",  des  „dritten  Elias"  -). 

Diese  Konzentration  älterer  und  jüngerer  Schüler 
Luthers,  die  in  Thüringen,  im  Vogtlande  und  im  Mans- 
feldischen,  dann  in  Regensburg  in  den  Jahren  1560 — 1580 


1)  Dort  predigte  Steffan  Consul  nach  B.  Pica's  Außerimg  in 
einem  Briefe  an  Gallus  vom  16.  Sept.  1568,  der  solcherlei  Leute  unter 
dem  Kriegsvolk  in  Graz  fand,  die  jenen  Prediger  lobten  und  den 
hartnäckigen  Aberglauben  ihres  Volkes  beklagten.  (Regensburger 
Akten,  Ecclesiastica  Kasten  D,  Fach  1,  XXXVI.  St.  51). 

2)  Vergl.  Flacius'  Antrittsrede,  zu  Jena  1557  gehalten,  bei 
Preger  II,  108  u.  111.  Das  Leipziger  Interim  ist  in  dieser  Rede 
das  zweite  Tier  (Offenbarung  13,  11  ff.);  es  redet  gleichwie  der 
Drache,  obwohl  es  in  Lammesgestalt  einhergeht.  Die  Gewalt  über 
die  Menschen,  welche  die  beiden  Tiere  (Interims)  ausübten,  dauerte 
auch,  wie  in  der  Offenbarung  Johaunis,  42  Monate  (von  der  JMitte 
1548  bis  zum  Ende  des  Jahres  1551). 


—    8    — 

beobachtet  wird,  macht  eben  die  Briefsteller,  welche  die 
Regensburger  Akten  uns  wieder  vergegenwärtigen,  so  über- 
aus interessant.  Es  ist  zwar  nur  relativ  weniges  von 
Briefen  von  und  an  Grallus,  was  auf  Österreich  bezüglich 
sich  in  Regensburg  findet.  Vielleicht  daß  sich  bei  erneuter 
Nachforschung  noch  vieles  findet,  aber  auch  das  Wenige, 
das  mir  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt  wurde  durch 
die  Grüte  meines  Gewährmannes,  der  sich  seit  1885  mit  der 
Untersuchung  jener  Akten  und  mit  Extrahierung  derselben, 
soweit  es  die  österreichische  Reformation  betrifi't,  beschäftigt 
hat,  ist  überaus  wertvoll. 

Wir  möchten  anderen  den  Weg  zeigen  und  das  Ver- 
langen erregen,  den  ganzen  Schatz,  der  hier  in  Regensburg 
annoch  verborgen  liegt,  zu  heben.  Derselbe  würde  vielen 
Gebieten,  unter  anderen  auch  Thüringen  und  Jena  zu  gute 
kommen,  wie  er  uns  dienen  wird,  die  verdienstlichen  Bearbeiter 
der  Reformationsgeschichte  Österreichs  —  wir  nennen  nur 
Raupach,  meinen  alten  Wiener  Kollegen  Dr.  von  Otto  und 
Theodor  Wiedemann  —  besonders  in  dem  Zeitraum  von 
1568 — 1572  zu  ergänzen.  Diese  meine  Vorgänger  leiden  an 
einer  gewissen  Einseitigkeit.  Raupachs  Hauptgewährsmann 
ist  der  seiner  Jugend  und  Parteistellung  wegen  grade  hier 
unzuverlässige  Polykarp  Leyser  ^),  der  bei  seiner  Ankunft 
in  Österreich  1573  erst  21  Jahre  alt  war  und  nur  2  Jahre 
daselbst  verblieb.  Dieser  später  sehr  berühmte  Mann  und 
seine  Korrespondenten  in  Österreich  (z.  B.  Lucius  in 
Göllersdorf  und  viele  andere)  sind  für  Raupachs  Urteil 
maßgebend  2).    Dr,  Otto  in  seinen  beiden  in  Jena  und  Wien 


1)  Leyser  war  Stiefsohn  des  Württemberger  Hofpredigers  Dr. 
Lukas  Osiander,  zu  Tübingen  von  Dr.  Jakob  Andrea  ordiniert  und 
stand  völlig  unter  dem  Einfluß  dieser  beiden.  Die  Württemberger 
aber  haßten  im  Grunde  alles,  was  mit  Flacius  in  Verbindung  stand. 

2)  In  der  Hamburger  Stadtbibliothek  findet  sich  ein  Band 
Briefe  im  Manuskript  von  und  an  Leyser,  welche  Eaupach  noch 
neben  der  gedruckten  BriefsammlungLeysers  benutzt  und  der  Bibliothek 
hinterlassen  hat. 


-     9    — 

verfaßten  hieher  gehörigen  Schriften  i)  bewegt  sich  völlig 
in  den  landläufigen  Gegensätzen  zwischen  „Flacianern" 
einerseits,  und  Melanchthonianern  oder  Adiaphoristen  resp. 
Synergisten  andererseits.  Das  ist  eben  seit  der  Zeit  des 
Rationalismus,  besonders  seit  Planck,  gewöhnlich  geworden, 
während  Siegm.  Jak.  Baumgarten  in  seinem  kirchen- 
geschichtlichen Werke  ^)  solches  noch  nicht  kennt,  sondern 
vielmehr  sich  einer  gerechteren  Verteilung  von  Licht  und 
Schatten  befleißigt.  Wenn  freilich  auch  Zeitgenossen  des 
Flacius  sich  des  Namens  „Flacianer''  bedienen,  z.  B.  Joh. 
Aurifaber  in  einem  Schreiben  aus  Mansfeld  an  Gallus 
V.  J.  1565  oder  Georg  Autumnus  (zuletzt  Dekan  in  Mans- 
feld) in  einem  Schreiben  aus  Greiz,  23.  Aug.  1568,  u.  m.  a. 
so  hat  das  einen  ganz  anderen  Sinn  ^').  Da  meinen  sie  eben 
den  Flacius,  welcher  Melanchthon  und  hinterher  Strigel  in 
so  einschneidender  W^eise  bekämpft  hat,  und  scharen  sich, 
ebenso  wie  später  die  österreichischen  strengen  Lutheraner, 
unter  seinen  Namen,  der  einen  festen  Rückhalt  bot  gegen 
die  die  Gegensätze  ermäßigenden  Widersacher.  Im  Munde 
eines  Camerarius  dagegen  oder  Strigels,  ja  auch  Jakob 
Andreas,  welch  letzterem  auch  die  Neigung  zum  Synergismus 
nicht  absolut  fernlag -i),  gewinnt  der  Ausdruck  „Flacianer"' 


1)  De  Yictorino  Strigelio  liberioris  mentis  in  Ecclesia  Lutheria 
Vindice,  lenae  1843 ;  ferner  Geschichte  der  Reformation  im  Erzherzog- 
tum Österreich  unter  Kaiser  Maximilian  II.  (1564—1576),  Wien 
1889.  Strigel  einen  Vorläufer  der  ..freieren  Richtung"  zu  nennen,  wie 
Otto  thut,  ist  jedenfalls  kühn. 

2)  Geschichte  der  ReHgionsparteien,  ed.  Semler. 

3)  Autumnus  (Georg  Herbst)  in  Greiz  dankt  Gallus  für  eine 
Schrift  des  Flacius  gegen  MörHn  (v.  J.  1568)  und  erwähnt  bei  der 
Gelegenheit  jener  nur  aus  persönlicher  Eifersucht  erklärbaren  Absage 
des  Braunschweiger  Superintendenten  Joachim  Mörlin  an  Flacius, 
welche  damals  Epoche  machte.  Er  sagt:  „Dr.  Mörlinus  ist  von  den 
Flacianern,  als  Ir  fürnemestes  glied  eins,  abgefallen",  wodurch  ihre 
Partei  sehr  geschädigt  worden  sei. 

4)  Sie  ist  in  der  Konkord ienformel  sogar  nur  mit  Mühe  zurück- 
gedrängt (vgl.    den  Abschnitt  im  II.   Teil,  Solida   Declaratio   vom 


—     10     — 

einen  sanz  anderen  Charakter.  Da  ist  es  nicht  nur  ein 
Vorwurf,  wonach  Flacius  immer  etwas  Neues  und  Sonder- 
liches prästieren  müsse,  sondern  eben  ein  Schimpfwort  und 
Ketzername,  der,  nachdem  er  einmal  geprägt,  lawinenartig  an- 
wächst, um  zuletzt  auch  die  besten  Motive  des  Mannes 
selber  zu  begraben.  Seitdem  erlaubt  sich  jeder,  dem  Flacius 
eins  anzuhängen^).  Ja,  Leute,  die  zunächst  gar  nicht 
daran  gedacht  haben,  Flacianer  zu  sein,  sondern  höchstens 
Freunde  des  Flacius  oder  strenge  Lutheraner,  werden 
unter  Anwendung  dieses  Namens  von  vornherein  abgethan 
oder  als  ungeeignet,  z.  B.  für  die  Reformationspredigt  in 
Österreich,  gekennzeichnet  ^j.  Das  ist  falsch,  denn  die 
meisten  der  „Gnesio-"  oder  strengen  Lutheraner  waren  mit 
Flacius  einig  und  verließen  ihn  nur  um  einer  Verschieden- 
heit des  theologischen  Ausdruckes  willen,  im  Grunde  aber 
weil  sie  ihn  beneideten,  und  endlich  weil  er  in  Thüringen, 
im  Vogtlande,  bei  den  Kurfürsten  von  Brandenburg  und 
Sachsen,  bei  Kaiser  Ferdinand  und  zuletzt  auch  bei 
Maximilian   verfemt  war. 

Gleich  wie  Otto  bedarf  auch  Wiedemann  der  Ergänzung, 
da  er  die  Flacianer  haßt,  obwohl  sie  ihm  doch  eigentlich 
als  schärfste  Opponenten  der  Jesuiten  genehm  sein  müß- 
ten, welch  letztere  wegen  ihrer  gänzlichen  Abgeschlossen- 
heit auch  Katholiken  nicht  sympathisch  sein  können, 
sondern  vielmehr  ein  Fremdkörper  in  der  Kirche  sind. 
Wiedemann  schwelgt  in  Ausdrücken  wie:  „Die  Bekenntnis- 


freien Willen  und  den  menchlichen  Kräften).  Das  verdankt  man 
Chemnitz  weit  mehr  als  Andrea  (vgl.  Chemnitz,  Loci  theologici, 
De  causa  peccati  S.  143  der  Leyser'schen  Ausgabe). 

1)  Z.  B.  Loserth,  Die  Reformation  und  Gegenreformation  in 
Inner-Österreich,  S.  223,  wo  Flacius  ein  Ketzer  genannt  wird ;  ferner 
Wiedemann  an  sehr  vielen  Stellen  etc.  etc. 

2)  So  nennt  Otto  mit  Unrecht  Magdeburgius  „den  hart- 
näckigsten aller  Flacianer",  denn  er  wurde  es  erst  gegen  1580. 


—   11   — 

Schriften"  ^)  und  nennt  ihrer  drei,  von  Moseder,  Reuter  und 
Magdeburgius,    als  in  Österreich  verfaßte :  oder  wie :   „neue 
Lehre"  und  erzählt  uns  B.  I  S.  339,  daß  Joach.  Magdeburgius  die 
flacian  ische  Lehre  nach  Österreich  gebracht  habe,  woran 
dieser  gar  nicht  dachte.     Wo  er  etwas  recht  Schreckliches 
von  den  Protestanten  sagen  will,  müssen  die  Flacianer  her- 
halten.    Er  hat  überhaupt  ein  absolut    dürftiges  Verständ- 
nis vom  Evangelium  der  Reformation,  was  er  als  Geistlicher 
nicht  haben    sollte;    er    vergißt    ganz,    daß    die    Katholiken 
eminent  von  der  Reformation  gelernt  haben  (vgl.  Papst  Hadrian 
Contarini  etc.)  und  sich  lange  ihr  möglichst  zu  accommodieren 
suchten.     Das  zeigen  ganz  besonders  die  Religionsgespräche 
zu  Worms   1540,    zu    Regensburg  1541,    endlich    das  aller- 
letzte Religionsgespräch  der    Protestanten    mit    den  Katho- 
liken zu  Worms  1557.     Deshalb  hätte  er    der  Reformation 
wohl  ein  wenig  dankbarer  sein  können  und  nicht  verdienst- 
liche Leute,  wie  öfter  geschieht,  so  frivol  beurteilen  sollen^). 
Jedoch    lassen  wir  uns    die  Anerkennung    seiner    Ver- 
dienste dadurch    nicht    schmälern.     Die    Beherrschung    des 
Aktenmaterials,  die  Erschließung  ganz    neuer  Quellen    (bes. 
der   Klosterrats-    und   im  erzbischöflichen  Besitz    zu  Wien 
befindlichen    Konsistorial- Akten)  3)    ist    überaus    dankens- 
wert, obschon  grade  dies  ihm  bei  seinen  Gesinnungsgenossen 
am  wenigstens  Dank    eingetragen    haben  wird.     Man    kann 
wenigstens  fortan  keine  Reformationsgeschichte   Österreichs 


1)  Band  I,  S.  325,  331  ff.;  S,  338  zählt  er  sechs  Parteien  auf, 
in  welche  die  neue  Lehre  bereits  gespalten  ist,  und  sagt  Bemerkens- 
wertes darüber. 

2)  Das  Werk  ist  Minister  Stremayr  gewidmet  und  trägt  die 
Spuren  emes  liberalen  Katholizismus  an  sich.  Dahin  gehört,  daß 
er  Maximilian  einen  Deismus  zuschreibt,  der  rein  aus  der  Luft  ge- 
griffen ist. 

3)  Leider  hat  Wiedemann  gänzlich  die  Akten  des  niederöster- 
reichischen Landesarchivs  zu  konsultieren  verabsäumt,  was  erst 
neuerdings  von  Dr.  V.  Bibl  in  ausgezeichneter  Weise  nachgeholt 
worden  ist. 


—     12    — 

mehr  schreiben  ohne  Theodor  Wiedemanns  „Geschichte  der 
Eeformation  und  Gegenreformation  im  Lande  unter  der 
Enns"  (Bd.  1—4,  Prag  1879  ff.)  i). 

Otto  Helmut  Hopfen,  ein  jüngerer  Schriftsteller,  hat  eine 
auch  für  unseren  Gegenstand  belangreiche  Schrift  über 
Kaiser  Maximilian  II.  und  den  Kompromißkatholizismus 
desselben  verfaßt  (München  1895),  in  welcher  freilich  die 
Briefe  und  Akten,  welche  über  die  Hälfte  des  Buches  ein- 
nehmen, das  wichtigste  sind.  Selbige  erstrecken  sich  über 
Teile  jenes  Gebietes,  das  auch  wir  zu  durchmessen  haben, 
und  ergänzen  unsere  Regensburger  Akten  an  manchen 
Stellen.  Kehren  wir  nunmehr  zurück  zu  unseren  Akten 
und  sehen  wir  sie  aiif  ihren  theologischen  Gehalt  au. 


1)  Wiedemann  hat  auch  ein  Werk  über  die  Sekten  in  Ober- 
österreich im  vorigen  Jahrhundert  u.  d.  T.  „Die  rel.  Bewegung  in 
Ob.-Öst.  und  Salzb.  b.  Beg.  d.  19.  Jhd.,  Innsbruck  1890"  verfaßt. 
Darin  ist  aber  die  Behauptung  irrig,  daß  die  Eeste  der  Pöschlianer 
in  die  evangelische  Kirche  übergingen,  wofür  sich  nach  authentischen 
Nachrichten  kein  Beispiel  anführen  läßt. 


-     13 


II.  TLoolo2;iselier  Uberl)lick. 

Unsere  hauptsächlichsten  Aktenstücke,  die  Regens 
burger,  führen  uns  bis  auf  die  Zeiten  des  Interims  zurück. 
Das  Interim,  als  erster  großer  Markstein  der  anhebenden  ge- 
waltsamen kaiserlichen  Einmischung  in  die  religiösen  An- 
gelegenheiten, hat  doch  seine  Wurzeln  darin,  daß  bereits  eine 
Zeit  eingetreten,  in  dereine  „Ermäßigung"  der  Lehre  Luthers 
im  Anzüge  war  ^).  Dieselbe  war  auch  dadurch  mitverursacht, 
daß  Luther  in  seinen  letzten  Jahren,  alt  und  ruhebedürftig 
wie  er  war,  eigentlich  nur  noch  die  Augen  oifen  hatte  für 
seine  Abendmahlslehre.  Als  er  wenige  Monate  vor  seinem 
Tode  die  bedeutendsten  Lehrer  der  Universität  bei  sich 
versammelt  hatte,  sprach  er  in  trüber  Ahnung  viel  von 
der  Spaltung,  die  sich  nach  seinem  Tode  unter  ihnen  her- 
vorthun  werde.  Bedeutsam  genug  wandte  Luther  sich  sodann 
zu  einem  der  Anhänger  und  Freunde  Melanchthons,  zu 
Paul  Eber,  mit  den  Worten:  „Du  heißest  Paulus,  darum 
ermahne  ich  dich,  daß  du  nach  Pauli  Beispiel  die  Lehre 
Pauli  standhaft  zu  erhalten  und  verteidigen  bemüht  seist". 
In  ähnlicher  Weise  sprach  er  sich  noch  wenige  Wochen 
vor  seinem  Tode  aus.  Als  Georg  Major  kurz  vor  seiner 
Abreise  zu  dem  erfolglosen  Kolloquium  nach  Regensburg 
im  Januar  1546  von  Luther  ilbschied  nehmen  wollte,  fand 
er  in  dessen  Studierstube  die  Worte  angeschrieben:  „Unsere 
Professoren  sollen  examiniert  werden  vom  Abendmahl  des 
Herrn".  —  Und  Luther  sprach:  „Wenn  ihr  wieder  heim- 
kommen werdet  und  ich  auch,  so  wird  man  müssen  ein 
Examen  anstellen,  dazu  ihr  ebensowohl  als  andere  sollt 
erfordert  werden.  —  Ihr  machet  euch  mit  Stillschweigen 
und  Bemänteln  selbst  verdächtig.     Ein  Lehrer,  der  zu  Irr- 


1)  Von  dieser  Zeit  schreibt  Chemnitz  dem  Flacius:  „O  mein 
lieber  Herr  Magister,  es  wäre  übrig,  ül)rig  genug  und  herzHch  zu 
wünschen,  daß  wir  nur  können  das  in  der  Kirche  erhalten  und  auf 
unsere  Nachkommen  bringen  was   der  hebe  Luthorus  erstritten  und 


-     14    — 

tümern  still  schweigt  und  will  gleichwohl  ein  rechter 
Lehrer  sein,  der  ist  ärger  als  ein  öffentlicher  Schwärmer"  ^) 
Und  srleich  wie  der  schweizerischen  Sakramentslehre 
gegenüber,  war  die  Stellung  der  Wittenberger  Theologen 
auch  der  römischen  Kirche  gegenüber  keine  streng  ab- 
geschlossene, was  unsere  Regensburger  Akten  an  den  ver- 
schiedensten Stellen  anzeigen.  Besonders  war  es  Melanchthon, 
der  über  wichtige  Punkte  nicht  zu  festen  abschließenden 
Resultaten  kommen  konnte.  Unter  anderem  hatte  er,  nach- 
dem er  erst  die  Prädestination  vorsichtig  gemieden,  später 
sie  aufgegeben,  womit  der  protestantischen  Lehrentwickelung 
Eintrag  geschah.  Denn  nun  traten  die  Fragen  nach  der 
Mitwirkung  des  Menschen  bei  der  Bekehrung  und  von  der 
Notwendigkeit  der  guten  Werke  zur  Seligkeit  wieder  hervor. 
Melanchthon  und  viele  mit  ihm  empfanden  überhaupt  das 
Übergewicht  Luthers  als  schwere  Last  2).  Nunmehr  wird  jener 
Bericht  über  Warnungen  Luthers  weit  verständlicher,  welcher 
im  Anhang  seiner  letzten  Predigt  am  zweiten  Sonntag 
nach  Epiphanias  1546  sich  findet^).  Die  Warnung  hat 
der    Empfänger    derselben,    Dr.    Augustin  Schürf,   zur    Zeit 


uns  gelassen.  Mit  dem  Verbessern  möchten  und  wollten  wir  gern 
und  wohl  still  schweigen.  Parta  tueri  können  wir  leider  nicht 
aus  gerechtem  göttlichen  Zorn,  darum  möchten  wir  das  ulterius 
quaerere  wohl  nachlassen."     (Preger,  Flacius  Bd.  II,  328.) 

1)  Preger,  Flacius  Illyricus,  I,  p.  33.  Gemeint  ist  mit  dem 
„ihr  machet  euch",  wie  Preger  richtig  bemerkt,  die  Partei 
Melanchthons,  zu  der  Major,  Eber,  Cruciger,  Camerarius  u.  a.  m. 
gehörten. 

2)  Vgl.  den  Ärgernis  erregenden  Brief  Melanchthons  an  Carlo- 
witz  v.  28.  April  1548  (s.  Preger,  a.  a.  O.  I,  40  ff.),  welcher,  wie  Gallus 
in  einem  Brief  an  Chr.  Eeuter  vom  13.  Oktober  1568  bemerkt. 
Zur  Annahme  des  Interims  seitens  der  Fürsten  und  Städte  bei- 
getragen.   (E.  A.  Eccles.  Nr.  XXXVI  St.  14). 

3)  Von  Stephan  Tucher,  1549,  zur  Zeit  des  Interims,  heraus- 
gegeben und  mit  einer  Vorrede  versehen.  Am  Schluß  dieser  Predigt 
finden  sich  von  Tucher  obige  Worte  Doktor  Martin  Luthers  an- 
geführt (s.  Werke,  Erlanger  A.,  Band  16,  p.  149). 


—     15     — 

des  Interims  dem  Bugenhagen  in  Erinnerung  gebracht.  Die 
Stelle  lautet:  „Doctor  Martinus  Luther,  heiliger  Gedächtnis, 
hat  oft  vor  vielen  anderen  Glaubwürdigen,  und  auch  vor 
D.  Augustin  Schürf  gesagt  diese  Worte:  Nach  meinem 
Tode  wird  keiner  von  diesen  Theologen  beständig 
bleiben.  Solches  hat  D.  Augustin  Schürf  D.  Pommern 
erinnert,  da  er  Wittenberg  aufgegeben,  und  gesagt :  Jetzt 
wäre  Zeit  zu  schreien ,  wie  die  Feinde  das  Evangelium 
sucheten  (denn  zuvor  predigte  D.  Pommer  heftig  wider 
die  Feinde,  aber  nun  ist  eine  andere  Zeit)  unterzudrücken. 
Aber  D.  Pommer  ist  zornig  worden  und  davon  gelaufen. 
Solches  alles  habe  ich  von  D.  Augustino  Schürf  nicht 
einmal,  sondern  oft  gehört.  Darum  zeuge  ich's  auch  vor 
Christo,  meinem  Herrn,  dem  Richter,  welcher  dies  und 
anderes  mehr,  so  er  wider  die  Wahrheit  und  sein  eigen 
Gewissen  gehandelt,  wohl  wird  richten.  Demselben  sey 
auch  die   ganze  Sache  befohlen,     M.  Stephanus  Tucher." 

Die  Prophezeihung  Luthers  bewahrheitete  sich  alsbald 
nach  seinem  Tode.  Der  durch  den  Krieg  aufgewühlte 
Boden  Deutschlands  war  empfänglich  gemacht  worden  zur 
Aufnahme  einer  vom  Kaiser  ausgehenden  selbständigen 
Regelung  des  Religionswesens,  von  der  wir  weiter  unten 
reden  werden.  Während  die  katholischen  Fürsten  dieselbe 
ablehnten,  krochen  die  protestantischen  vor  dem  Kaiser  zu 
Kreuz.  Verhängnisvoll  war  besonders  die  Stellung  der 
Wittenberger  Theologen.  Melanchthon  vor  allen,  verführt 
durch  seine  natürliche  Mutlosigkeit  und  ängstliche  Be- 
sorgtheit um  den  religiösen  Frieden  (s.  den  Brief  an  Carlo- 
witz),  zog  Bugenhagen,  Paul  Eber,  Georg  Major,  Pfeffinger 
und  Andere  mit  sich,  so  daß  auf  dem  alten  Reformations- 
herde bald  ein  fremdes  Feuer  brannte.  Man  bot  die  Hand 
zur  Einführung  von  Neuen.ingen  in  Lehre  und  Ceremonien, 
die  unterdem  Namen  „Leipziger  Interim"  in  unseren  Akten- 
stücken wie  in  der  ganzen  Welt  zur  Genüge  bekannt  sind. 
Flacius,  Amsdorf,  Gallus  traten  bald  an  die  Spitze  der  Be- 
kämpfer  des  Interims,  und  auch  nachdem  dasselbe  hinfällig 


—     16     — 

geworden,  blieb  die  Opposition  dieser  echten  Lutheraner 
gegen  die  Philippisten,  Melanchthons  Schüler,  fortbestehen 
und  gestaltete  sich  aus  zu  einem  dauernden  Kampf  gegen 
Adiaphorismus,  Majorismus  und  Synergismus.  Diese  drei 
Lehrarteu  verschwanden  deshalb  nicht,  weil  sie  nicht  erst 
durch  das  Interim  erzeugt,  sondern  zum  Teil  schon  in  der 
schwankenden  melanchthonischen  Lehrweise  der  früheren 
Jahre  dem  Keime  nach  enthalten  waren.  Wir  haben  nun- 
mehr zu  erläutern,  woher  es  kam,  daß  jene  Fragen  die  Ge- 
müter  in  so  hohe  Spannung  versetzten. 

Beginnen  wir  mit  den  in  unseren  Akten  so  streng  ge- 
rügten und  bekämpften  „Adiaphora"  oder  Mitteldingen,  von 
denen  der  adiaphoristische  Streit  (1548  —  55)  seinen  Namen 
hat,  d.  h.  also  mit  dem  Streit  über  die  Zulässigkeit 
katholischer  Formen  in  Verfassung  und  Kultus.  Dazu  ge- 
hören die  lateinische  Messe,  Bilder,  horae  canonicae,  ab- 
gethane  Festtage  (auch  Fronleichnam),  Fasten  ;  ferner  die  An- 
erkennung der  sieben  Sakramente  und  der  hierarchischen  Ver- 
fassung. Das  Interim  betrachtete  solches  alles  als  Adiaphora 
oder  Dinge,  die  man  ohne  Sünde  halten,  mit  anderen  Worten 
als  gleichgiltig    oder    minder    wesentlich    annehmen    dürfte. 

Die  Adiaphora,  besonders  wo  sie  aus  einem  Kompromiß 
mit  dem  katholischen  Kirchenwesen  oder,  wie  man  neuer- 
dings sagt,  aus  romanisierenden  Tendenzen  beibehalten 
werden  oder  sich  der  Kirche  aufdrängen  wollen,  sind 
niemals  unbedenklich.  Geschickte  Gegner  der  protestantischen 
Lehre  können  nur  zu  leicht  sich  der  C  e  r  e  m  o  n  i  e  n  be- 
dienen ,  um  durch  solche  Hinterthüren  das  Dogma  der 
Kirche  zu  paralysieren  oder  zu  zerstören.  Die  hochkirchliche 
Partei  in  England  und  auch  neuerliche  Tendenzen  in  gewissen 
Kirchen  des  Festlandes  stellen  uns  solche  Gefahr  vor  Augen. 

Weit  schrecklicher  aber  war  die  Gefahr  zu  jener  Zeit 
in    der    doch  wirklich    die    Lehre    von    der   Rechtfertigung 
noch    nicht    in    die    Gemüter    sich    eingelebt,    und    man  es 
leichter  hatte,    die  Völker    um    diesen  Schatz    zu  betrügen, 
wenn    man    es    nur  verstand,    das  öffentliche  Interesse  von 


—     17     - 

ihr  abzulenken  und  dasselbe  auf  den  alten  Ceremonien- 
dienst,  diesen  nie  gründlich  ausgefegten  Sauerteig,  zu  kon- 
zentrieren. Wir  haben  um  eben  diese  Zeit  ein  Beispiel  an 
Kurfürst  Joachim  von  Brandenburg,  der  ein  großer  Freund 
auch  der  schädlichen  Adiaphora  war,  ferner  an  Georg  von 
Anhalt,  Dompropst  von  Magdeburg,  und  etlichen  Reichs- 
städten in  Süddeutschland,  z.  B.  Dinkelspühl,  Windsheim, 
Gingen,  Heilbronn,  Ravensberg,  Biberach,  welche  die  Adia- 
phora, d.  h.  katholische  Kultusformen,  noch  längere  Zeit 
beibehielten ,  endlich  an  Schweden.  In  letzterem  Lande 
wurden  unter  Johann  III.  die  meisten  Grundsätze  des 
Interims  1575  wieder  mittelst  einer  neuen  Liturgie  ein- 
geführt, was  großen  Streit  und  endlich  1593  unter  einem 
neuen  König  Abschaffung  derselben  zur  Folge  hatte. 

Hat  nicht  die  lutherische  Kirche  selbst  die  Ab- 
schaffung mancher  um  1550  anstößiger  Gebräuche  später 
widerrufen  und  es  gemißbilligt,  wo  diese  Gebräuche  von 
reformierten  Obrigkeiten  im  Interesse  biblischer  Einfachheit 
xind  Wahrheit  abgeschafft  werden  sollten  und  beziehungs- 
weise wurden?  Wir  erinnern  hier  nur  an  den  Exorcismus, 
das  Chorhemd,  Gebrauch  des  Kreuzes  (aktiv  und  passiv) 
und  Bezeichnung  mit  demselben  bei  Taufe  und  Segens- 
erteilung, Elevation  beim  Abendmahl,  Einsegnung  der 
Toten:  lauter  Dinge,  die  unglaublicherweise  noch  immer 
eine  schattenhafte  Existenz  führen,  ja  in  England  zur  Be- 
lebung des  christlichen  Gottesdienstes  von  den  Hochkirch- 
lichen wieder  offen    empfohlen  werden. 

So  sind  denn  die  Adiaphora  ein  höchst  zweischneidiges 
Messer;  äußerst  gefährlich  allerwege,  wo  die  Verteidiger, 
wie  zur  Zeit  des  Interims,  ein  Philipp  Melanchthon  i)  nebst 


1)  DölUnger,  Gesch.  der  Keformation,  I,  S.  3G0,  370,  371, 
3751,  388  legt  Melanchthon  das  zweifelhafte  Lob  bei,  als  ob  er  mit 
Bewußtsein  einem  altkirchlichen  Standpunkt  huldigte,  der  ihn  weit 
von  Luther  entfernt  haben  würde.  Er  mißbraucht  vereinzelte 
Äußerungen  des  großen  Reformators.  Dölünger  ist  überhaupt  niu* 
mit  größter  Vorsicht  zu  benutzen. 

2 


—    18    — 

den  übrigen  Wittenbergern:  Bugenhagen,  Eber,  Gr.  Major 
und  Job.  Pfefßnger  waren.  Diese  werden  gewöhnlich  unter 
dem  allgemeinen  Namen  „meißnische  Theologen"  in  unseren 
Akten  bezeichnet ,  im  Gegensatz  zu  den  „thüringischen" 
oder  herzoglich-sächsischen  Theologen  :  Amsdorf,  Elacius  und 
Wigand,  letztere  anfangs  mit  dem  Hauptsitz  in  Magdeburg, 
später  in  Jena.  Hätten  diese  Letzteren  jenen  nicht  so  wacker 
opponiert  und  alle  Entschuldigungen,  auch  eines  Melanchthon, 
widerlegt,  ja  oft  unsanft  genug  niedergeschrieen,  woher  hätte 
dann  die  Konkordienformel  den  Mut  genommen,  im  zehnten 
Artikel  diesen  Streit  zu  schlichten  und  für  die  lutherische 
Kirche  in  umsichtiger  Weise  abzuthun  ? 

Es  ist  am  Ende  zu  begreifen,  daß  die  lutherische 
Kirche  besonders  in  neuerer  Zeit  sich  beeifert  hat,  solche  un- 
angenehme und  für  ihren  guten  Ruf  bedenkliche  Händel 
zu  vergessen.  Aber  Recht  muß  doch  Recht  bleiben:  das 
Interim  bezeichnet  einen  verhängnisvollen  Irrweg,  indem  es 
zeigt,  wozu  selbst  in  einer  Zeit,  die  noch  an  die  Blüte- 
zeit der  Kirche  grenzte,  Menschen  imstande  waren.  „Wenn 
man  das  thut  am  grünen  Holz,  was  will  am  dürren  werden?" 
Den  guten  Einfluß  der  strengen  und  beständigen  Lutheraner 
(vulgo  „Flacianer")  erfuhr  neben  der  deutschen  auch  die 
evangelische  Kirche  in  Osterreich.  An  ihrem  Widerstand  gegen 
solche  Dinge,  die  das  Interim  als  Adiaphora  bezeichnet  hatte, 
scheiterte  auch  Maximilians  Drängen  auf  Beibehaltung  der 
alten  Ceremonien. 

Ferner  acceptierte  das  Interim  eine  Lehre  vom  Urständ 
und  von  der  Erbsünde  ^),  die  in  der  Luft  hängt,  weil  nicht 
ersichtlich  ist,  welche  Meinung  eigentlich  die  wahre,  ob 
die  der  Evangelischen  oder  der  Papisten.  Es  heißt  einfach 
in  dem  betreffenden  Abschnitt:    „Zum  andern,    so  viel  be- 


1)  Vgl.  Bleck,  „Das  dreifache  Interim",  Leipzig  1721,  S.  362. 
Dazu  Loofs'  Leitfaden  für  seine  Vorlesungen  über  Dogmengeschichte, 
Kap.  III,  §  71;  endhch  Preger  „Matthias  Flacius  Illyricus",  I, 
S.  186  f. 


—    19    — 

trifft  die  Lehr,  Erstlich  von  dem  Standt  und  wesen  des 
Menschen,  vor  und  nach  dem  fall,  ist  kein  Streit."  (NB.) 
Dazu  bemerken  Gallus  und  Flacius  in  der  Schrift 
„Der  Theologen  Bedenken"  (1550):  „Es  ist  wahrlich  zuuor 
viel  streit  dauon  gewesen,  Es  were  sehr  gut,  das  die  Leute 
jtzt  wüsten,  ob  ewer  oder  der  Papisten  meinung  warer 
gewesen  sei". 

Weiter  näherte  das  Interim,  unter  Festhaltung  der 
Wahrheit,  daß  Sündenvergebung  und  ewiges  Leben  nur  um 
Christi  willen  geschenkt ,  nicht  verdient  würden ,  die 
melanchthonische  Rechtfertigungslehre  der  katholischen 
1)  durch  die  Behauptung  des  Synergismus  (Bieck,  S.  363  : 
,,Gott  wirket  nicht  also  mit  dem  Menschen  wie  mit  einem 
Block,  sondern  zieht  ihn  also,  daß  sein  Wille  auch  mit- 
wirke", cf.  Augsburger  Interim  Bieck,  S.  283),  2)  dadurch, 
daß  die  neben  die  iustificatio  (=  absolutio)  getretene  re- 
generatio  i)  mit  katholischen  Formeln  beschrieben  wurde 
(„wird  darum  zugleich  der  heilige  Geist  gegeben",  —  und  — 
„der  heilige  Geist  erwecket  alle  nötigen  Tugenden,  —  zündet 
an  die  Liebe"  ;  vergl.  S.  369:   „eingegebene  Gerechtigkeit"). 

Endlich  kommt  der  Satz  von  der  Notwendigkeit 
(consequentiae  et  debiti)  der  guten  Werke  vor  (S,  372  ff.). 
Die  Worte  lauten:  „also  ist  gewißlich  war,  das  diese  tugen- 
den  glaub,  liebe  vnd  hoffnung  vnd  anderen  in  vns  sein 
müssen   vnd  zur  Seligkeit  nötig  sein." 

Gegen  dieses  Leipziger  Interim  und  Melanchthon, 
seinen  Mitverfasser,  erhoben  sich  die  in  unseren  Akten 
viel  genannten  Matth.  Flacius,  Nie.  Gallus,  weiter  aber  Nie. 
von  Amsdorf,  Joh.  Wigand,  Joach.  Westphal,  Musäus  u.  a.  m. 
und  zwar,  solange    die  interimistischen  Zustände  dauerten, 


1)  Eegeneratio  oder  renovatio  ist  das  Gleiche,  was  man  heute 
eingegossene  Kräfte  der  Heiligimg  nennt  (iustitia  infusa).  Es  findet 
thatsächlich  eine  Ähnlichkeit  in  dieser  Lehre  zwischen  dem  Interhn 
imd  Tridentinum  statt.  Die  Grundfeste  der  echten  Eechtfertigungs- 
lehre  ist  aber:  renascentia  (regeneratio)  =  iustificatio. 

2* 


—     20     — 

vornehmlich  gegen  die  Adiaphora,  dann  auch  gegen  den 
Majorismus  und  endlich  den  Synergismus. 

Was  den  in  unsern  Akten  oft  berührten  majoristischen 
Streit  betrifft,  ist  folgendes  zu  bemerken  i). 

Dieser  Streit  drehte  sich  darum,  wiefern  die  guten 
Werke  notwendig  seien,  und  hat  seine  Wurzel,  wie  bereits 
bemerkt,  in  Sätzen  Melanchthons  aus  der  früheren  Zeit, 
als  da  sind  :  Grute  Werke  seien  als  causa  sine  qua  non  zu  be- 
trachten, bona  opera  necessaria,  novam  obedientiam  neces- 
sariam  esse  ad  vitam  aeternam.  Aber  durch  eine  be- 
sonnene Erklärung  und  Retraktation  war  der  Sturm  vormals 
noch  beschwichtigt  worden.  Auch  das  Interim  redete 
irrig  von  diesem  Gegenstand.  Ganz  besonderen  Anstoß  aber 
erregte  Georg  Major  1552  mit  der  Behauptung,  daß  gute 
Werke  zur  Seligkeit  notwendig  seien.  Als  dies  heftig  be- 
stritten wurde,  bestimmte  er  jenen  Satz  näher  dahin,  daß 
zwar  gute  Werke  nicht  die  Rechtfertigung  verdienten, 
welche  allein  durch  den  Glauben  erlangt  werde,  wohl  aber 
als  Früchte  des  Glaubens  notwendig  zur  Seligkeit  seien 
[ad  retinendam  salntem  2)].  Auch  anderer  bedenklicher  Aus- 
drücke bediente  er  sich,  z.  B.  Erneuerung,  neuer  Gehorsam 
sei  notwendig  zur  Seligkeit.  Der  gleichen  Ansicht  war 
Justus  Menius,  Superintendent  in  Gotha;  auch  er  will 
den  Satz,  daß  gute  Werke  zur  Seligkeit  notwendig  seien, 
nicht    zwar    auf     dem    Boden     der    Rechtfertigung,    wohl 


1)  Die  Verbreitung  des  majoristischen  Irrtums  in  Österreich 
läßt  sich  auch  aus  des  Magdeburgius  Konfession  (1566)  „Notdurftige 
Erinnerung"  Art.  V,  entnehmen,  woselbst  es  heißt: 

„Etliche,  vnnd  die  wol  die  aller  frommesten  sein  wollen,  haben 
sich  darumb  diser  vnser  Confession  nicht  vnterschreiben  wollen, 
das  des  Maioris  Irrtumb  darin  verdarapt  wird,  vnd  sie  doch  dargegeu 
in  seinen  Schrifften  befinden,  das  er  sonsten  ausser  demselben  Irtum 
von  der  Justification  des  Menschen  recht  schreibe.  Als  ob  eins 
Menschen  Irrthumb  nicht  ein  Irrtumb  were  vnnd  bliebe,  wenn  er 
zu  zeytten  darneben  recht  redet  vnd  schriebe"  etc. 

2)  d.  h.  um  sich  des  Heiles  noch  weiter  zu  versichern. 


—     21     — 

aber  auf  dem  des  neuen  Gehorsams  (der  sanctificatio) 
gelten  lassen.  Der  neue  Gehorsam  sei  nötig,  um  die  Seligkeit, 
die  wir  durch  die  zugerechnete  Gerechtigkeit  Christi 
empfangen  haben,  nicht  wieder  zu  verlieren  [ad  retinendam 
salutem^)].  Spätere  drücken  dies  kühner  aus,  indem  sie 
wiederum  die  Notwendigkeit  der  guten  Werke  aus  einer 
Verpflichtung  oder  genauer  schuldigen  Dankespflicht  her- 
leiten 2).  Beide  Männer  meinten  jenen  Satz  nicht  im 
römisch-katholischen  Sinne,  sondern  wollten  nur  den  engen, 
unauflöslichen  Zusamnienhang  zwischen  Glauben  und  neuem 
Leben  zur  Geltung  bringen  und  gegenüb^^r  aller  Vernach- 
lässigung des  Lebens  eine  christliche  Praxis  befördern. 
Dagegen  stellten  sich  nun  mit  Recht  die  zwei  Theologen, 
die  in  unseren  Akten  als  die  Kor3'phäen  gelten,  Gallus  und 
Flacius,  in  der  Schrift:  Pia  admonitio  de  cavendis  crassis 
et  plus  quam  papisticis  erroribus  Georgii  Maioris  (Regens- 
burg 1562)3). 

Auch  die  Gegner  im  römischen  Lager  wußten  von  den 
theologischen  Artikeln,  die  unter  den  Protestanten,  zuletzt 
auch  noch  auf  dem  Pürstentage  zu  Naumburg  (1561), 
erörtert  wurden,  oft  Genaues  zu  berichten.  Sie  sahen 
gar  wohl  die  Differenzen,  die  zwischen  den  Ständen  der 
Augsburgischen  Konfession  seit  dem  Interim  entstanden, 
und  zwar  klarer,  als  Kurfürst  August  und  seine  Theologen 

1)  Vgl.  Preger,  M.  Flacius,  I,  S.  385  f. 

2)  So  die  Eeformierten ;  vgl.  Turretin,  Institutio  theologiae 
elencticae,  Tom.  II,  S.  768  f.  Man  hat  auch  in  der  reformirten 
Kirche  den  Ernst  dieser  majoristischen  iStreitigkeit  nicht  völlig  ein- 
gesehen. Ist  es  doch  eine  Art  von  feinem  Synergismus,  wonach  der 
Bekehrte  mitwirkt  vermittelst  der  neu  erhaltenen  Kräfte  und  durch 
gute  Werke  das  Urteil  Gottes  zu  seinen  Gunsten  noch  mehr  fest- 
legen wiU,  als  es  durch  Christi  Gerechtigkeit  bereits  geschehen  ist. 
Dieses  Selbstbetruges  ist  die  Welt  voll. 

3)  Wir  haben  in  den  Akten  einen  interessanten  Brief  von  J.  F. 
Cölestin  aus  dieser  Zeit  an  beide  Männer,  worin  er  um  Vorsicht 
gegenüber  Major  bittet,  indem  sie  sehr  scharf  mit  demselben  ins  Gericht 
gingen  und  an  einer  Stelle  ihn  mißverstanden  zu  haben  schienen. 


—     22     - 

sie  sahen,  auch  klarer,  als  Christoph  von  Württemberg 
und  seine  Theologen  (besonders  Andrea)  sehen  wollten, 
endlich  klarer  als  die  Reformierten. 

So  haben  wir  einen  derartigen  Bericht  von  gegnerischer 
Seite  an  Kaiser  Ferdinand  über  die  theologischen  Artikel,  die 
zu  Naumburg  (1561)  berührt  wurden,  der  an  Schärfe  nichts 
zu  wünschen  übrig  läßt  i) :   „Man  habe  beschlossen  zu  setzen : 
Man    erkenne    aufs    neue  an  die  Augsburgische  Konfession 
zugleich   mit    der    Apologie,    gemäß    dem   Buchstaben 
und    gesundem    Verstände    derselben.      Das    sei 
deshalb    gesetzt,    weil  jene  Konfession    an  manchen  Stellen 
etwas    dunkle    und  nach  beiden  Seiten    zu  biegende  Worte 
enthalte,    und    unter    ihnen    jetzt    nicht    so    sehr    von    der 
heiligen  Schrift  als  von   dem  Verstände  der  Augsburgischen 
Konfession    selbst  Streit    sei.    —    Dann    sollten    einige    be- 
sondere Artikel  berührt  werden,  als  von  welchen  in  dieser 
Zeit    bei  Einigen    Disputation    entstanden    sei,    mit  Angabe 
dessen,    was   man    davon    halte.      Zwar   wünsche    man,    es 
möchten    diese  Artikel    gänzlich    begraben    sein,    weil    aber 
andere    heftig   trieben,    so    sehe   man    sich  genötigt,    etwas 
darüber  zu  sagen.     Diese  Artikel  seien  namentlich  :   1)  von 
der  Rechtfertigung,    2)  von  der  Notwendigkeit  der  Werke, 
3)    vom  Sakrament  des  Leibes    und  Blutes  Christi,    4)   von 
den    .Adiaphoris.    —    In    Ansehung    des    zweiten    Stückes 
Insbesondere,  die  Werke  betreffend,  hätte  der  Wittenberger 
Theologe  Georg  Major    sich    etwas   der  katholischen  Lehre 
wieder  genähert  und  den  Schluß  gesetzt :  gute  Werke  seien 
notwendig    zum  Heil.  —  Als  nun  die  Illyrikaner  2)    sowohl 
als    auch  die  ganze  gemeine  Menge,    als  welche  unter  dem 
Prätext  des  alleinigen  Glaubens   die  Freiheit  des  Fleisches 
suche,    dem    heftig  widerstritten,    sei  das  Deckpflaster    auf- 
gefunden worden,    daß    gesagt  werde :    es    rechtfertige 


1)  Vgl.  Buchholz,   Geschichte  der   Regierung  Ferdinands  des 

Ersten,  VIII,  S.  395. 

2)  Flacianer. 


—    23     - 

zwar  allein  der  Glaube,  aber  nach  Annahme 
des  Glaubens  sei  eine  Neuheit  des  Lebens 
oder  ein  neuer  Gehorsam  notwendig,  welcher,  wie 
jene  nicht  leugnen,  in  guten  Werken  bestehe.  Endlich 
da  jene  Unterscheidung  mehr  in  Worten  als  in  der  Sache 
zu  bestehen  scheine,  und  um  doch  nicht  des  Ansehen 
eines  eigentlichen  Widerrufes  zu  tragen,  sagten  sie  zwar, 
der  neue  Gehorsam  sei  notwendig,  gäben  aber 
zu,  daß  er  nicht  notwendig  zum  Heile  sei; 
welches    aber  wohl  die  Illyrikaner  nicht  zulassen  würden." 

Auf  den  Wegen  des  Majorismus  befand  sich  bereits 
das  tridentinische  Konzil  in  seiner  sechs ccn  Sitzung,  be- 
sonders Kapitel  VIII  und  XVII,  sowie  in  dem  XXIV.  Kanon 
jener  Sitzung  (1546).  Darin  war  schon  beschlossen  worden, 
daß  man  zwar  den  Anfang  unserer  Gerechtigkeit  und 
Seligkeit  der  Gnade  Gottes  und  dem  Glauben  zumessen 
solle,  aber  es  müsse  der  Mensch  durch  seine  eignen  Werke 
die  empfangene  Gerechtigkeit  bewahren  und  vermehren, 
damit  er  vor  Gott  fromm  erscheine  und  mit  Christo  das 
Himmelreich  erben  möge.  Die  Sache  ist  hier  zwar  weit 
roher  ausgedrückt,  indem  die  Vermehrung  der  Gnade  ver- 
dient wird  und  die  guten  Werke  belohnt  werden,  wenn 
man  dabei  bis  ans  Ende  beharre.  Es  kommt  aber  im 
Grunde  doch  auf  irgend  ein  Thun  des  Menschen  zur  Be- 
währung oder  Befestigung  seines  neuen  Verhältnisses  zu 
Gott  hinaus.  Den  Weg  das  Majorismus  verfolgten  später 
der  Pietismus,  Methodismus,  Bationalismus,  die  Vermittlungs- 
theologie, Hengstenberg  in  seinen  Artikeln  über  die  Sünderin 
und  den  Jacobusbrief  und  die  neuerdings  sogenannte 
Heiligungsbewegung. 

Das  Gros  i)  der  heutigen  Theologie  schwimmt  ganz  im 
Fahrwasser  des  Majorismus  und   muß,    wenn  es  konsequent 

1)  Auf  der  Berliner  Past oral -Konferenz  im  Jahre  1892  gab 
unter  Benutzung  memes  Werkes:  „Von  der  Rechtfertigung  durch 
den  Glauben"  der  Pfarrer  Schulze  Thesen  über  „Rechtfertigung, 
Werke  und  Lohn"  zmn   besten.    Er  that   es  im   Geiste  der  Refor- 


-     24    — 

ist,  zuletzt  im  Ocean  des  römischen  Werkdienstes  ein  kläg- 
liches Ende  nehmen.     Das  Papsttum  wird  eben  durch  solche 
Lehren,  wie  der  Majorismus  ist,  unmerklich  wiederum  groß- 
gezogen,   und  das  sahen  unsere    streng   lutherischen  Wort- 
führer  deutlich    ein    und    sie    vertraten    gegen    Major    die 
Heilsgewißheit  des  Sünders,  welche  gar  keiner  Befestigung 
von  irgend    einer    hinzukommenden  Heiligungslehre   bedarf, 
sondern  mit  dem  sola  fide  genug  hat.     So    sagt  Luther  in 
der  Auslegung  des  ersten  Petrusbriefes  vom    Jahre   1523  i) 
zu   Kap.   1,    Vers  2:    „Heiligung  der  Geistes"   ...  ist  „ein 
geistlich  Wort;    daß  wir    von  Herzen,    inwendig   im    Geist, 
vor    Gott  heilig    sind.     Und    das    hat    er    eigentlich  darum 
gesagt,  daß  er  will  anzeigen,  das  nichts  heilig  sei  denn  die 
Heiligkeit,  die  Gott  in  uns  wirkt."     Diese  klare  Definition 
läßt  die   2.    Ausgabe    (1539)    zwar   fort;  wohl   aber  stimmt 
sie   mit  Luthers    schmalkaldischen  Artikeln  (S.  336):    „daß 
wir  durch  den  Glauben    ein  ander    neu    rein  Herz    kriegen 
und  Gott  um  Christus  willen,  unsers  Mittlers,  uns  für  ganz 
gerecht      und    heilig    halten     will     und    hält"     .  .  .     „und 
auf    solchen    Glauben,    Verneuerung    und    Vergebung    der 
Sünden    folgen     dann    gute    Werk    ...    wo    gute     Werke 
nicht  folgen,    so  ist    der  Glaube    falsch   und   nicht    recht". 
Wir  werden  also  „durch  den  Glauben  gerecht  und  heilig", 

mation.  Leider  verbesserte  ihn  schließlich  Dr.  Stöcker  in  Punkt 
VII  und  VIII,  indem  in  Punkt  VII  unter  Zustimmung  der  Ver- 
sammlung die  guten  Werke  als  nötig  zur  Bewährung  des  Heiles 
bezeichnet  wurden.  In  Punkt  VIII  aber  wurde  der  Vorhalt  des 
Lohnes  der  guten  Werke  auf  die  Stärkung  in  der  Heiligung  bezogen. 
Beides  ist  in  vollen  Widerspruch  mit  den  alten  bewährtesten  Lehrern. 
Das  Nähere  s.    Evang.  Kirchenzeitung,  1892  S.  456,  815,  817.) 

1)  Es  ist  dies  die  erste  Auslegung,  Erl.  Ausg.  Bd.  XIX  S.  324  f. 
Sie  unterscheidet  sich  von  der  in  Bd.  XX  gegebenen  Auslegung 
vom  Jahre  1539,  indem  sie  die  Heiligung  kürzer  und  klarer  präci- 
siert.  Ähnlich  thut  dies  eine  Schrift  Luthers  v.  J.  1524,  betitelt: 
„Auslegung  von  der  Hauptsumme  Gottes  Gebots,  dazu  vom  Miß- 
brauch und  rechten  Gebrauch  des  Gesetzes  aus  der  Epistel  St.  Pauli 
I.  Tim.  1,  3  ff.  (Erl.  Ausg.  XIX,  S.  265.) 


-     25    — 

und  eine  Zergliederung  (Rechtfertigung  und  Heiligung)  ist 
nicht  am  Platze.  Diese  wahre  Beschreibung  der  Natur  des 
Grlaubens  wird  sofort  geändert,  wenn  man  Werk  und  G-laube 
auseinanderhält  und,  was  göttliche  Schöpfung  (Eph.  2,  10) 
ist,  dennochr  wieder  durch  menschliches  Thun  kreuzen  und 
hindern  läßt.  Damit  wird  wieder  Gesetz  statt  Evangelium 
gepredigt,  und  in  dem  Bezug  ist  der  Satz  des  alten 
Amsdorf,  des  Freundes  Luthers,  fast  noch  erträglicher  als 
der  des  Major.  Wir  meinen  den  Satz,  daß  gute  Werke 
schädlich  seien  zur  Seligkeit.  Während  nun  Flacius 
diesen  Satz  des  Amsdorf  ablehnte  i),  widerlegten  er  und 
alle  treuen  Schüler  Luthers  in  den  schärfsten  Ausdrücken 
Majors  These,  und  die  Konkordienformel  Art.  IV  hat  ihnen 
darin,  gerade  wie  im  Stücke  der  Adiaphora,  völlig  beigestimmt. 

Worauf  in  diesem  Lehrpunkt  alles  ankommt,  zeigt 
schon  Augustana  Art.  XX,  29,  35:  „Der  Glaube  ergreift 
allzeit  allein  Gnad  und  Vergebung  der  Sünde.  Und  die- 
weil  durch  den  Glauben  der  heilig  Geist  geben  wird,  so 
wird  auch  das  Herz  geschickt  (iam  corda  renovantur),  gvite 
Werk  zu  thun".  —  „Deshalb  ist  diese  Lehre  vom  Glauben  nicht 
zu  schelten,  daß  sie  gute  Werk  verbiete  (prohibeat),  sondern 
vielmehr  zu  rühmen,  daß  sie  lehre  gute  Werk  zu  thun,  und 
Hülf  anbiete,  wie  man  zu  guten  Werke  kommen  möge. 
Denn  außer  dem  Glauben  -)  und  außerhalb  Christo  ist 
menschliche  Natur  und  Vermögen  viel  zu  schwach,  gute 
Werk  zu  thun,  Gott  anzurufen,  Geduld  zu  haben  im  Leiden, 
den  Nächsten  zu  lieben,  befohlene  iimter  fleißig  auszurichten, 
gehorsam  zu  sein,  böse  Lust  zu  meiden  u.  s.  w.  Solche 
hohe  und  rechte  Werk  mögen  nicht  geschehen  ohne  die 
Hülf  Christi,  wie  er  selbst  spricht  Joh.  15:  Ohne  mich 
könnt  ihr  nichts  thun." 

Nach  dieser  Lehre  Luthers,  die  Melanchthon  in  der 
Augustana  nur  formuliert  hat,  stehen  Glaube,  heiliger  Geist, 

1)  Preger  II,  S.  251. 

2)  d.  h.  abgesehen  von  der  Lehre  vom  Glauben  oder  ohne  den 
heiligen  Geist  (siehe  oben). 


-    26     - 

Christus  in  beständiger  Wechselbezieliung  zu  einander,  und 
man  darf  nie  das  eine  vom  andern  isolieren.  Der  Glaube 
hat  keine  Richtung  auf  die  Werke;  die  Rechtfertigung  ist 
nicht  darauf  gerichtet,  die  Heiligung  zu  ermöglichen,  sondern 
eins  ist  mit  dem  anderen  so  gewiß  gegeben,  wie  der  Baum 
und  die  Frucht,  falls  nur  die  Normen  des  Wachstums 
(„Ihr  seid  nicht  unter  Gesetz,  sondern  unter  Gnade",  Rom. 
6,   14)  vom  Menschen  nicht  eigenwillig  durchkreuzt  werden. 

Die  ganze  Art  der  Fragestellung,  ob  gute  Werke 
nötig  sind,  ist  also  grundverkehrt,  und  eine  rechte  evan- 
gelische Antwort  kann  nie  darauf  erfolgen. 

Was  drittens  den  synergistischen  Streit  betrifft,  so 
hat  auch  er  seine  Wurzeln  in  den  Locis  Melanchthons 
V.  J.  1535,  woselbst  dem  Willen,  damit  allem  Zwange  vor- 
gebeugt werde,  eine  Beteiligung  bei  der  Bekehrung  zu- 
geschrieben wurde  und  althergebrachte  Sätze,  wie:  „Gott 
zieht  den  Wollenden",  eingemischt  wurden.  Bei  dem  sonstigen 
Ernst  aber  der  melanchthonischen  Auffassung  der  Erbsünde  ^) 
wurde  niemand  darauf  besonders  aufmerksam,  nicht  einmal 
Luther,  der  merkwürdigerweise  sogar  die  Änderungen  der 
Augsburger  Konfession  v.  J.  1540  passieren  ließ.  Be- 
handelte doch  Melanchthon  in  der  Variata  von  1540  die 
Augustana  wie  seine  Privatsache.  Er  nahm  Änderungen 
vor  und  machte  Zusätze,  welche  nie  hätten  geduldet 
werden  sollen,  so  bequem  sie  auch  für  die  Reformierten 
waren ,  denen  durch  jene  Aenderungen  der  Zutritt  zum 
Religionsfrieden  (1555)  ermöglicht  wurde.  Also  einen  eigent- 
lichen synergistischen  Streit  hat  es  bis  auf  den  1558  zwischen 
Wittenberg,    Leipzig    und    Jena    entbrennenden    nicht    ge- 


1)  H.  Alting  (Exegesis  Augustanae  Confessionis ,  Amsterdam 
1652,  S.  78)  weist  auf  ein  CoUoquium  Melanchthons  mit  Heiding 
(Bischof  von  Merseburg  und  Urheber  des  Augsburger  Interim)  in 
Wittenberg,  wo  ersterer  Calvins  und  Flacius'  Lehre  mit  der  seinigen 
vergleichend ,  die  calvinische  nicht  zu  mißbilligen  erklärt  (Alex. 
Schweizer,  die  Centraldogmen   der  reformierten  Kirche  I,  390). 


—     27     - 

geben.    Melanchthons    synergistische    Äußerungen  ^j  wurden 
durch  andere  in  seinen  Werken  wieder  aufgewogen,  womit 
freilich  der  Sache  nicht  genug  gethan  war.    Denn  bald  gab 
es  in  der  Wittenberger  Schule  solche,   die  sich  Melanchthons 
Schwanken  zunutze  machten  und  einen  offenen  Synergismus 
lehrten.  Pfeffinger,  Professor  in  Leipzig,  war  es,  der  in  seiner 
akademischen  Schrift:   „De    libertate    voluntatis    humanae", 
1555  Anlaß  zum  Kampfe  gegen  diese  gefährliche  Neuerung 
bot.    Aber  dieser  Kampf  wurde  dadurch  noch  bedeutsamer, 
daß  aus  der  Mitte  der  j'enaischen  Theologen  Victorin  Strigel, 
bisher    ein    starrer  Vorkämpfer    der    dortigen  theologischen 
Richtung,    sich    in     ähnlichem    Sinne    aussprach.      Als    es 
jedoch    über    diesen  Lehrpunkt    von    der  Mitthätigkeit    des 
freien  Willens  bei  der  Bekehrung  zu  einem  Kolloquium  der 
jenaischen  Theologen    unter  sich  kam  (Weimar,   1560),   ge- 
lang  es   der  Hauptperson,   V.  Strigel,    zu  entkommen,  ohne 
daß  er,    wie    nötig    gewesen,    für   immer    widerlegt    worden 
wäre,  damit  der  Synergismus  in  seiner  Person  endgiltig  ge- 
richtet    sei.        Herzog     Johann     Friedrich      der     Mittlere 
wollte    durch  Verbieten    der  Kontroverse,  also   mit  Gewalt, 
den  Streit  unterdrücken,  der  im  Lager  der  Orthodoxer  selbst 
entbrannt  war.     Er    erreichte  damit  das  Gegenteil.     Durch 
seine  Schonung    des  Victorin  Strigel,    den    er    erst    wieder- 
einsetzte, dann  aber  nach  Leipzig  abziehen   ließ,    blieb    die 
Furcht  vor  dem  Synergismus  bestehen,    die  dann  von  aus- 
wärts   durch    Flacius    und    seine   Freunde    in    Schrift   und 
Wort    genährt  wurde.     Diese    bloße  Furcht  hat  solche  Er- 
schütterungen, zunächst  in  Thüringen,  hervorgebracht,   daß 
der    Herzog    derselben    durch    Entsetzung    von    40    Geist- 
lichen  Herr    zu    werden    versuchte.      Doch    wurden    diese 
Erschütterungen  damit  nur  in  weitere  Gegenden  verpflanzt. 
Flacius  wurde  dadurch   ein  berühmter  Mann;    seine  Partei 
im  Weimarischen  wurde  zwar  samt  seiner  Person  beseitigt, 


1)  z.  B.  Liberum  arbitrium  in  homine  faciütatem  esse  applicaudi 
se  ad  gratiam.     C.  R.  21,  659. 


-     28     - 

aber  der  Kampf  gegen  die  nun  erst  recht  von  Melanchthons 
Schülern  geschützten  Strigel'schen  Behauptungen  wurde 
ein  Erbteil  aller  rechtlich  denkenden  Lutheraner  und  ist 
in  der  Konkordienformel    endgiltig   zum    Siege    gekommen. 

So  schwebte  denn  der  Geist,  der  den  verstorbenen 
Luther  oft  zu  gewaltigen  Äußerungen  trieb,  noch  um  die 
Epigonen;  so  laut  zeugten  seine  Schriften,  besonders  sein 
„De  servo  arbitrio"  von  der  Allmacht  der  göttlichen  Gnade, 
daß  alles  „Synergistische"  wie  mit  dem  Fluch  belegt  erschien. 
Als  es  trotzdem  wieder  in  der  Kirche  sich  zeigte,  wurden 
seine  Anhänger  mit  bleibender  Unfruchtbarkeit  geschlagen 
und  haben  das  Verderben  der  Kirche  beschleunigen  helfen. 

Die  derzeitigen  Mittler  zum  Frieden,  als  da  sind  der 
höchst  unsympathische  Stößel  ^)  und  Joach.  Mörlin,  wie  auch  die 
Württemberger,  die  als  Helfer  herbeigerufen  waren  2)  und 
Strigel  zu  der  famosen  „Deklaration"  veranlaßten,  zeigen 
eine  gewisse  Mattherzigkeit  und  wollen  offenbar  den 
Synergismus  Strigels  in  seinem  ganzen  Abstand  von  der 
orthodoxen  Lehre,  welche  Flacius  auf  der  Disputation  zu 
Weimar  vertrat,  nicht  sofort  und  ganz  eingestehen.  Sie 
mühen  sich  ab,  ihn  zu  verbergen  ^).  Wir  stehen  vor  einem 
jener  kritischen  Augenblicke  in  der  Kirchengeschichte,  wo 
schonungslose  Aufrichtigkeit  alles  gerettet  hätte ,  Un- 
aufrichtigkeit  alles  verdarb.  Auf  der  Synode  von  Oranges 
(529)  war  einst  vor  mehr  denn  1000  Jahren  der  ähnliche 
Fall  eingetreten.  Aus  Angst  vor  der  absoluten  Prädestinations- 
theorie, die  die  Lehre  der  Väter  war,  konnte  man  sich 
nicht    entschließen ,    dieselbe    ins    Treffen    zu    führen    und 


1)  Stößel  starb  als  Superintendent  in  Kursachsen,  1576,  im  Ge- 
fängnis, unter  den  Anzeichen  der  Verzweiflung  (siehe  Preger  II,  384, 
und  Kluckhohn,  Briefe  Friedrichs  des  Frommen,  II,  984). 

2)  Vgl.  ludicium  Brentii  de  quadam  Confessione  Vict.  Strigelii 
scriptum  anno  1561  bei  Salig,  Vollstd.  Hist.  d.  Augsb.  Konf.,  S. 
650;  Preger,  Flacius  II,  243  ss. 

3)  Vgl.  Planck,  Gesch.  d.  prot.  Theologie,  Bd.  L,  Buch  III, 
S.  720:  „sie  wollen  den  Unterschied  nicht  sehen". 


—     29     - 

damit    jeden    SyBergismus    mit    der    Wurzel    auszurotten. 
Es  war  die  Zeit  gekommen,   wo    man  wieder,    zunächst  im 
Herzen,    allmählich     öffentlich,    Anstoß     an     der    schroffen 
Prädestinationslehre  zu  nehmen   begann.     Die  Häupter,  ein 
Amsdorf,    Flacius,    Wigand,    Brenz,     waren     freilich    Prä- 
destinatianer  i),  aber  in  der  auf  der  Tagesordnung  stehenden 
Reibung    mit    den    Calvinisten     [wie    im    Streite    zwischen 
Marbach  und  Zanchius  hervortritt,  1560  2)]  ließ  das  Interesse 
an     der    streng    durchgeführten    Prädestinationslehre    nach. 
Selbst  Flacius  hat  auf  der  Weimarer  Disputation,  als  Strigel 
ihm  herausfordernd  bemerkte,  seine  Lehre  habe  die  doppelte 
Prädestinationslehre  zur  Voraussetzung,  nicht  voll  und  ganz 
das  Bekenntnis  zu  ihr  erneuert,  obgleich  er  dieselbe  doch, 
wie  alle  in  den  Regensburger  Akten  zu  Worte  kommenden 
Lutheraner,   lehrte.     Erst  Andrea   verkehrte  Luthers  Lehre 
recht    eigentlich  auf  dem  Grespräch  zu  Mömpelgard  (1586), 
wie    die    von    den    AVürttembergern    edierten    Akten     aus- 
weisen °).  Wer  aber  die  Prädestinationslehre  nicht  festhält,  der 
verliert  die  einzige  Waffe,  welche  gänzlich  den  Synergismus 
ausrottet.       Die      lutherische     Kirche     hat     es     zu    ihrem 
Schaden  erfahren  müssen,  was  es  heiße,  an  den  Bollwerken 
der  alten  Lehre    auch  nur  im  geringsten  rütteln  zu  lassen. 
Im    folgenden  Jahrhundert    hat  Aegidius  Hunnms,   um    für 
die    Gottlosen    die    Schuld   ihres  Widerstehens    zu   wahren, 
die    Resistibilität    der  Gnade    auf    dem  Gebiet    der   gratia 
praeveniens  gelehrt  "1).   Die  Konsequenzen  liegen  zu  Tage.  Der 

1)  Vgl.  Fr.  H.  E.  Frank,  Geschichte  der  luth.  Kirche  bis  zur 
Konkordienformel,  Bd.  IV,  S.  152  mit  Anmerkung. 

2)  Vgl.  Evang.  Sonntagsbote  aus  Österreich  1866,  S.  282,  363, 
über  den  Streit,  sowie  Alex.  Schweizer,  Centraldogmen ,  Bd.  I, 
S.  418—470. 

3)  Vergl.   Schweizer,   Die  Centraldogmen  der  ref.  Kirche,  Bd. 

I,  S.  503. 

4)  Vgl.  darüber  Friedrich  Spanheim,  Elenchus  controversiarum, 
p.  376.  Georg  Calixt,  Animadversiones  ad  Confessionem 
Thoruni  ensem,  p.  14;  Alex.  Schweizer  a.  a.  O.,  Bd.  L,  S.  569. 
Calixt  bemerkt:  „Nostri  maiores  Invariatae  Augustanae  confessioni 


—     30     - 

Gregensatz  der  Prädestinationslehre,  der  Synergismus, 
kehrte  in  der  Kirche  mit  erneuerter  Kraft  wieder  i) ,  um 
schließlich  in  derselben  sich  doch  wieder  einzunisten. 

Vorderhand  war  freilich  an  so  etwas  nicht  zu 
denken.  Die  nächste  Folge  der  geschlichteten  Kontroverse 
zwischen  Strigel  und  Flacius  war  eine  in  Thüringen  zu- 
nächst mit  Gewalt  niedergeschlagene  Opposition;  aber  der 
hier  verworfene  Same  der  orthodoxen  Lehre  kam  anderen 
Gregenden  Deutschlands  zu  gute,  besonders  auch  Österreich 
Es  waren,  wie  sich  aus  zahlreichen  Protesten  ergiebt,  Kämpfer 
um  die  evangelische  Freiheit,  die  hier  Thüringen  ver- 
ließen, um  anderswo  Zuflucht  zu  suchen;  und  sie  wurden 
auch  als  Märtyrer  an  vielen  Orten  mit  offenen  Armen  auf- 
genommen, so  im  Mansfeldischen,  im  Reußischen,  im  Vogt- 
lande, in  Regensburg  und  vor  allem  in  Ober-  und  Nieder- 
österreich. Als  sie  gingen,  nahmen  sie  auch  einen  Segen 
mit  sich  fort;  sie  fielen  (abgesehen  von  der  Staatsallmacht 
in  kirchlichen  Dingen)  als  Opfer  der  Unentschiedenheit  ge- 
wisser Häupter,  die  eben  nicht  zu  der  anfänglichen 
lutherischen  Form  der  Lehre  voll  und  ganz  zurückzukehren 
sich  getrauten.  Hätte  man  damals  auf  die  Prädestinations- 
lehre zurückgegriffen,  so  wäre  alles  in  ein  besseres  Geleise 
geleitet  worden.  Man  darf  eben  nicht  sagen  mit  Planck 
und  gewissen  neueren,  ihm  darin  nur  zu  gern  folgenden 
Theologen:  die  Prädestinationslehre  sei  damals  (1549)  nicht 
mehr  Gemeingut  der  Lutheraner  gewesen,  wenn  nicht  schon 

adhaerentes,  Augustini  doctrinam  retinuerimt  et  passim  docuerunt 
usque  ad  A.  1580  (Jahr  des  Konkordienbuches)  Aeg.  Hunnius,  ni  fallor, 
primus  fuit  vel  certe  inter  primos  praecipuus,  qui  priscam  et  ante 
Augustinum  in  primitiva  ecclesia  receptam  sententiam  revocavit." 
Dem  Hunnius  sekundierte  bei  der  Abweisung  der  calvinischen 
Prädestinationslehre  u.  a.  Phil.  Nicolai ,  1597,  und  zwar  auf  höchst 
unedle  Weise. 

1)  Wie  denn  Aegidius  Hunnius  1598  in  „De  libero  arbitrio" 
sagt:  Die  Ungleichheit  zwischen  Gläubigen  und  Verworfenen  rührt 
.  .  .  von  ihrem  Willen  her,  indem  die  einen  viel  unlieber  zur  Treue 
sich  bringen  lassen   als  andere.    (Schweizer,  a.  a.  O.,  Bd.  I,  S.  55.) 


—    31     — 

gar  aufgegeben  von  Luther  ^).  Wohl  mag  sie  zurück- 
getreten sein,  seitdem  auch  Luther  an  der  einzigen  Stelle, 
in  der  er  später  C1542)  ausführlich  über  die  Sache  spricht, 
mehr  auf  den  geoffenbarten  Willen  Gottes  als  auf  den  ver- 
borgenen Crewicht  gelegt  ■'*)  und  seitdem  Melanchthon  in 
der  Augsburgischen  Konfession  (der  variata)  von  1540  jene 
Lehre  abgeschwächt.  Aber  sie  war  nicht  aufgehoben  im 
Lehrsystem.  Vgl.  Conf.  Aug.  V  :  „der  heil.  Geist  wirkt  den 
Glauben,  wo  und  wann  er  will.''  Und  das  ist  von  Bedeutung. 
Man  braucht  ja  nicht  oft  "und  viel  von  dieser  Lehre  zu  predigen, 
was  ja  auch  bei  den  Reformierten  nicht  der  Fall  ist.  Aber 
die  Lehre  steht  doch  als  treuer  Wächter  gegen  den  alten 
Feind,  denPelagianismus,  oder  dann  den  Synergismus,  überall 
im  Hintergrund,  und  wo  sie  fehlt,  da  fehlt  ein  wesentliches 
Stück  der  Heilslehre.  Es  beginnnt  alsbald,  wie  bei  den 
Lutheranern  zu  sehen,  eine  fatale  Unsicherheit.  Man  schwebt 
zwischen  Himmel  und  Erde ;  man  hat  nicht  Fuß  ge- 
faßt auf  dem  Boden  des  Synergismus  und  weilt  nicht  im 
Himmel  des  ewigen  Ratschlusses  Gottes  mit  den  Augen 
des  Glaubens.  Und  so  muß  man  Hilfe  suchen  bei  den 
Gnadenmitteln ;  wie  in  der  lutherischen  Kirche  demnächst 
geschah,  als  man  den  Synergismus  ausgeschlossen,  aber 
doch  auch  die  Lehre  von  der  Erwählung  in  ihrer  zwei- 
seitigen Gestalt,  wie  sie  Augustin,  Luther  und  Calvin  ver- 


1)  Planck  Bd.  III,  X,  S.  806,  807.  Luther  habe  selbige  Lehre 
wieder  aufgegeben  —  eine  Unwahrheit  des  überhaupt  religiös  ganz 
dürren  imd  parteiischen  Planck. 

2)  Vgl.  Loofs  Leitfaden  zur  Dogmengeschichte.  §  66,  6.  Ge- 
meint ist  die  Stelle  in  der  Auslegung  von  Genesis  26,  eine  Stelle, 
deren  Bekanntschaft  auch  Chemnitz,  der  Mitverfasser  der  Konkordien- 
formel,  in  seiner  Auslegung  der  Loci  Melanchthons  empfiehlt  (vgl. 
den  locus  de  causa  peccati,  ganz  am  Schluß).  Luther  sagt  dort: 
„Ich  habe  aber  unter  anderm  geschrieben,  es  geschehe  alles  mit 
absoluter  Notwendigkeit.  Aber  ich  habe  zugleich  hinzugefügt,  daß 
man  den  geoffenbarten  Gott  ansehen  müsse,  wie  wir  im  Liede  singen  : 
Er  heißt  Jesus  Christ,  der  Herr  Zebaoth,  und  ist  kein  andrer  Gott." 


-     32     — 

traten,  nicht  zur  vollen  Durchwirkung  gelangen  ließ  i).  Die 
eine  Seite  der  Prädestination,  nämlich  die  Erwählung  zur 
Seligkeit,  blieb  zwar  in  Kraft  in  der  Konkordienformel ;  daß 
also  der  Mensch  sich  bekehrt  und  in  der  Gnade  beharrt, 
das  thut  allein  Gottes  Barmherzigkeit.  Die  Konkordien- 
formel 2)  lehrt  noch  nicht,  wie  später  Johann  Gerhard,  daß 
Gott  die  erwähle,  von  denen  er  vorausgesehen,  daß  sie  be- 
ständig glauben  werden  ^).  Indem  sie  aber  die  allgemeine 
Gnade  lehrt,  mithin  lehrt,  daß  alle  Getauften  den  heiligen 
Geist  bekommen  und  also  zur  Seligkeit  erwählt  erscheinen, 
bleibt  eine  Kluft  zwischen  Gläubigen  und  Verdammten 
unausgefüllt,  indem  man  nicht  erfährt,  worin  der  letzte 
Grund  des  Unterschiedes  zwischen  ihnen  liegt,  ob  in  der 
göttlichen  Wahl  oder  in  der  selbständigen  Entscheidung 
des  Menschen.  Darüber  zu  schweigen,  ist  ebenso  sehr  eine 
Mattherzigkeit  bei  der  Abfassung  der  Konkordienformel 
(1577),  wie  einst  (1560),  als  es  galt,  den  Synergismus  töd- 
lich zu  treffen. 


1)  Vgl.  die  Konkordienformel  Art.  XI:  De  aeterna  praedesti- 
natione  et  electione  Dei.  —  Zu  weitgehend  ist  demnach  die  Behauptung 
Ritschis,  als  ob  die  Lutheraner  lehren,  daß  die  Wirkung  der  Leistungen 
Christi  sich  auf  die  electi  beschränke,  welche  im  Glauben  seiner 
Heilsabsicht  entgegenkommen  und  seine  Leistungen  (kraft  selbständiger 
Entschließung)  sich  aneignen.  Das  gilt  schwerlich  vom  17.  Jahrhundert 
an,  geschweige  denn  vom  Jahre  1580.  Eitschl,  Rechtfertigimg  und 
Versöhnung,  I,  S.  305,  306. 

2)  C.  F.  p.  619,  803. 

3)  Joh.  Gerhard,  Loci,  1610,  ed.  Preuß,  II,  86  b;  vgl.  auch  J. 
A.  Oslander,  Collegiiun  theol.  System.,  Stuttgart  1686,  4.,  VI,  122 B. 
Nach  Gerhard  haben  auf  dem  Leipziger  Gespräch  im  März  1631, 
auf  welchem  eine  Union  zwischen  den  kursächsischen,  branden- 
burgischen und  hessischen  Theologen  versucht  wurde,  die  ersteren 
(Hoe  von  Hohenegg  und  Polykarp  Leyser)  sich  dahin  über  die  Gnaden- 
wahl erklärt :  „Daß  Gott  zwar  auß  Gnaden  in  Christo  vns  erwehlet, 
aber  der  gestalt,  daß  er  vorher  gesehen,  wer  beharrlich  und  waarhafftig 
an  Christum  glauben  würde,  vnd  welche  Gott  vorher  gesehen,  daß  sie 
also  glauben  würden,  die  habe  er  auch  verordnet  vnd  erwehlet,  sehg 
vnd  herrhch  zu  machen". 


—    33    — 

Wegen  solcher  Mattherzigkeit  oder,  sagen  wir  besser, 
solches  Ungehorsams  gegen  Gottes  Wort  hat  man  in  der 
christlichen  Kirche  wiederholt  eine  folgenschwere  Ab- 
weichung zu  beklagen  gehabt.  Sie  tritt  zwar  weder  nach 
der  Synode  von  Oranges  noch  auch  jetzt  sofort  zu  Tage, 
aber  der  Grund  ist  gelegt. 

Eine  Frucht  also  für  die  Weiterentwickelung  der  Lehre 
hat    der    temporäre  Streit  über  den  Synergismus  nicht  ge- 
habt.    Das    wäre    nur    der  Fall    gewesen,    wenn    man    die 
Prädestination    mit    Entschiedenheit     zur    Abstellung    des 
Synergismus  herangezogen  hätte.    Der  überaus  hitzige  Streit 
hat  aber  das  zur  Folge  gehabt,  daß  durch  ihn  oer  bedeutendste 
der    „beständigen    Lutheraner",    nämlich    Matthias    Flacius 
(in    den    sechziger   Jahren)    von    der    fruchtbaren,    aktiven 
Teilnahme    an    der   kirchlichen  Entwicklung  ausgeschieden 
wurde.     Der  Streit    hat    ferner    die  Bedeutung,    zu    zeigen, 
wie    die  Lutheraner    schon    damals    nicht    imstande  waren, 
sich  der  Prädestination    mutig    zu   bedienen.     Wir  nehmen 
ein  Zurückweichen  wahr;    wie    um    dieselbe  Zeit  in  Straß- 
burg (1560)  in  dem  Streite  zwischen  Zanchius  und  Marbach, 
so  auch    hier.     Hätte  man  zugegriffen,    man    hätte    die  Re- 
formierten auf  seiner  Seite  gehabt  und  wäre  in  diesem  Lehr- 
punkt viribus  unitis  gegen  Rom  zu  Feld  gezogen.    Nachdem 
aber  die  Lutheraner  den  einzigen    rechten  Ausweg  aus  dem 
Synergismus,  welchen  die  Prädestination  anwies,  verworfen, 
kamen  sie  allmählich  dazu,  die  Reformierten  um  dieser  Lehre 
willen  scheel  anzusehen;    was  Beza    im  Streite  mit  Andrea 
(1586)  schwer  genug    erfahren  mußte.     Man    darf  nunmehr 
sich    auch    nicht    wundern,    daß    die  Reformierten    sich    für 
jene  Lehrstreitigkeiten    weniger  interessierten,    obgleich  es 
sehr    nützlich    gewesen    wäre,    wenn    sie  sich    der  Streitig- 
keiten angenommen  und  ihr  Gewicht  mit  in  die  Wagschale 
geworfen  hätten.    Ja,  es  ist  der  Vorwurf  ihnen  nicht  gänz- 
lich zu  ersparen,  daß  sie  geringe  Kenntnis  von  dem  Status 
controversiae  zwischen  Melanchthon  und  den  Gegnern  hatten 
und  wohl  gar  bei  Melanchthon  mehr  durch  die  Finger  sahen 

3 


-     34     — 

als  bei  den  letzteren.  Sie  hatten  eben  mehr  von  des 
ersteren  Freundschaft  zu  erwarten,  als  von  der  Feindschaft 
der  letzteren  zu  fürchten. 

Ein  Nachspiel  des  Weimarer  Kolloquiums  zwischen 
Flacius  und  Strigel  fand  mehrere  Jahre  später  statt  und 
rückte  des  Flacius  Namen  zeitweilig  wieder  in  den  Vorder- 
grund. Als  nämlich  Flacius  in  seiner  Clavis  scripturae, 
1567  P.  II,  p.  479—498,  in  seinem  antisynergistischen  Eifer 
eine  bisher  minder  beachtete  Behauptung  über  den  Charakter 
der  Erbsünde  verteidigte,  fielen  die  meisten  seiner  früheren 
Freunde  über  ihn  her.  Es  war  dies  der  Satz:  die  Erb- 
sünde sei  nicht  Accidens  sondern  Substanz  im  Menschen  ; 
der  natürliche  Mensch,  ärger  als  ein  Block,  verhalte  sich 
nicht  nur  pure  passive  in  der  Bekehrung,  sondern  widerstrebe 
Gott  necessario  et  inevitabiliter  ^j.  Durch  diesen  Satz  wollte 
er  dem  Synergismus  den  Kopf  eindrücken,  er  wollte  zu 
einem  Abschluß  kommen.  Was  ganz  verdorben  ist,  das 
kann  nicht  mehr  mitwirken.  Und  die  Schrift  redet  auch 
ähnlich;  sie  spricht  vom  Herzen  des  Menschen,  daß  aus  ihm 
nur  Böses  hervorgehe  und  ihn  verunreinige;  und  Christus 
spricht  vom  faulen  Baum,  der  nicht  gute  Früchte  hervor- 
bringen könne.  Flacius  kam  damit,  wie  gesagt,  zu  einem 
Abschluß  in  der  Beurteilung  des  Menschen ;  nun  konnte 
die  Gnade  ihr  Werk  beginnen,  ohne  daß  ihr  je  die  Mit- 
wirkung des  Menschen  in  den  Weg  treten  würde.  Den- 
noch aber  war  es  ein  Zerhacken  des  Knotens  statt  einer 
Lösung,  wie  es  der  Rekurs  auf  die  Prädestinationslehre  ge- 
wesen wäre.  Die  Folge  war,  daß  Flacius'  Lösung  von  der 
Kirche  abgewiesen  wurde,  freilich  nicht  ohne  daß  die  Be- 
handlung dieser  Frage  und  der  gegenseitige  Kampf  viel 
zur  Klärung  über  die  Natur  der  Sünde  im  Menschen  bei- 
getragen hätte.  Leider  aber  kamen  die  nach  Österreich 
entwichenen   „beständigen  Lutheraner"  in  ihrem    antisyner- 


1)    Preger,  II,    p.  195 ff.,  202,  214,  217,  311  ff.  Frank,    a.  a.  O. 
I,  p.  230. 


-     35    — 

gistischen  Eifer  und  aus  Treue  gegen  ihren  auch  von  seinen 
Freunden  im  Reich  hin  und  her  gehetzten  Gesinnungsgenossen 
schließlich  zu  um  so  energischerem  Festhalten  an  jenem 
falschen  Satze  von  der  Erbsünde. 

Die  drei  von  uns  erwähnten  Punkte  von  den  Adiaphora, 
der  Notwendigkeit  der  guten  Werke  zur  Seligkeit  und  der 
Synergie  (vom  freien  Willen)  standen  auf  der  Tagesordnung 
in  allen  Verhandlungen  der  Theologen,  deren  unsere  Akten 
gedenken.  Sie  waren  eben  eine  traurige  Hinterlassenschaft 
aus  den  Zeiten  des  Interims;  und  so  kamen  sie  alsbald 
wieder  zum  Vorschein,  sowie  die  feindlichen  Vettern  von 
Kursachsen  und  Thüringen  aufs  neue  aufeinander  stießen  : 
nach  dem  Sturze  Johann  Friedrichs  des  Mittleren  April 
1567.  Alsbald  erklärte  Johann  Wilhelm,  der  Herr 
von  Thüringen  wurde,  eine  Amnestie  für  die  1562  des 
Landes  verwiesenen  Kirchendiener,  die  ein  Opfer  ihrer  Treue 
gegen  die  gute  alte  Lehre  und  ihrer  Ablehnung  des 
Adiaphorismus,  Synergismus  und  Majorismus  geworden.  Und 
so  hören  wir  denn  aus  unsern  Akten  den  gewaltigen  Rufer  im 
Streit,  Tilemann  Heshusius,  wie  er  an  Grallus  unter  dem 
4.  März  1568  schreibt:  Am  1.  April  werde  in  Zeitz  ein 
Kolloquium  abgehalten,  je  drei  Theologen  und  drei  Politiker 
von  selten  des  Kurfürsten  August,  ebensoviele  von  selten  des 
Herzogs  Johann  Wilhelm.  Sie  würden  über  die  Adiaphora, 
Synergie,  die  Notwendigkeit  der  guten  Werke  etc.  kon- 
ferieren. August  fordere,  daß  die  Irrtümer  seiner  Theologen 
in  ihren  Büchern  aufgewiesen  würden. 

Die  alte  Theologenschule  war  also  in  Thüringen 
wiederhergestellt  (in  Jena  Wigand,  Kirchner).  Die  erste 
Aktion  war,  daß  man  über  die  Rechtfertigung,  den  freien 
Willen  und  die  Adiaphora  in  Altenburg  vom  27.  Okt.  1568 
bis  zum  März  1 569  verhandelte.  Für  uns  ist  dieser  Kampf 
deshalb  von  Wichtigkeit,  da  er  uns  zeigt,  welche  Haupt- 
artikel die  Gemüter  nicht  zur  Ruhe  kommen  ließen,  und 
daß  im  Mittelpunkt  des  Streites  immerdar  jene  Artikel 
standen.        Nach    Ausgang     des     Kolloquiums     (1569)     laß 

3* 


-     3ß     — 

Kurfürst  August  seine  Theologen  neuerdings  ihren  Stand- 
punkt wahren,  indem  er  sie  abermals  auf  das  Corpus  doc- 
trinae  Philippicum  verpflichtet  und  erklären  läßt,  daß  sie 
dem  flacianischen  illyrischen  Irrtum,  der  die  kurfürstlichen 
Lande,  Schulen  und  Kirchen  mit  den  erdichteten  Auflagen 
des  Adiaphorismus,  Synergismus  und  Majorismus  etc.  be- 
schwere, nicht  anhängig  seien  i). 

Auch  andere  Beweise  lassen  sich  für  die  Wichtigkeit 
jener  Hauptpunkte  und  ihrer  gemeinsamen  Quelle,  die  im 
Interim  lag,  anführen. 

Wo  immer  Flacius  Illyricus  in  die  Lage  kommt,  seine 
theologische  Kritik  zur  Geltung  zu  bringen,  z.  B.  den 
Böhmischen  Brüdern  gegenüber,  da  prüft  er  seine  Gegner 
auf  ihre  Korrektheit  in  solchen  Lehrpunkten.  In  den  Jahren 
1555  und  1556  traten  die  Brüder  in  Verbindung  mit  Elacius. 
Er  schrieb  an  sie  im  Interesse  seiner  Centurien,  und 
sie  antworteten  ihm  mittelst  eines  Briefes,  welchen 
Blahoslav,  einer  der  vornehmsten  und  gelehrtesten  ihrer 
Lehrer  um  jene  Zeit,  nach  Magdeburg  brachte.  Von 
dieser  Reise  zu  Flacius  Illyricus  giebt  er  eine  böhmisch 
verfaßte  Beschreibung,  welche  Gindely  in  seiner  Biographie 
des  Blahoslav  1856  (aus  dem  Herrnhuter  Archiv)  veröffent- 
licht hat^).  Beider  Zusammenkunft  mit  Flacius  war  auch 
der  Magdeburger  Superintendent  Wigand  und  noch  ein 
anderer  zugegen.  Da  wurde  denn  von  Flacius  hervor- 
gehoben,   daß    die    Schriften    der    Brüder    sich    in    einigen 


1^  Vgl.  den  „Endlichen  Bericht  der  Theologen  beider  Uni- 
versitäten Leipzig  und  Wittenberg".  Hier  wird  schon  auf  dem  Titel- 
blatt der  gehaßte  Name  des  Flacius  als  die  Quelle  aller  wider  sie 
ausgehenden  Feindschaft  genannt.  (Wittenberg  Anno  1570.)  Das 
Nähere  s.  bei  Preger,  M.  Flacius  Illyricus  und  seine  Zeit,  II.  Hälfte, 
S.  304. 

2)  Casopis  Musea  krälovstvi  ceskeho,  1856,  S.  35 — 44.  Wir 
finden  hier  die  Beschreibung  der  Reise  und  sehr  interessante  persön- 
liche Eindrücke  Blahoslavs  in  böhmischer  Sprache.  Er  vergleicht 
Flacius  dem  Oslander.  Auch  mit  Melanchthon  trifft  er  unterwegs 
zusammen. 


—     37     - 

Stücken  widersprächen.  Z.  B.  von  den  Dienern  sage  man 
einmal,  daß  die  von  unwürdigen  Dienern  verwalteten  Sakra- 
mente ungiitig,  und  wiederum  ein  anderes  Mal,  daß 
sie  gütig  seien.  Item  von  der  Justificatio  hätten  sie  in 
der  lateinischen  Apologie  ^)  eine  mit  ihnen  (den  Lutheranern) 
übereinstimmende  Lehre  von  der  Rechtfertigung  (renascentiam 
esse  justificationem) ;  dagegen  in  dem  Schreiben  an  den 
Fürsten  von  Preußen  (Albrecht,  Herzog  in  Preußen)  hätten 
sie  zwei  Teile  der  Rechtfertigung  angenommen.  Und 
das  stehe  gleich  mit  der  Lehre  des  Interims. 
So  scheint  es  Flacius  und  seinen  Freunden  daß  die  Brüder 
nicht  mit  Recht  die  „Lehre  der  Preußen"  (Osianders) 
tadelten.  Oslander  nämlich  betonte  über  Gebühr  den  Effekt 
der  Rechtfertigung,  wogegen  die  Reformatoren  die  Imputatio 
zur  Geltung  brachten.  Blahoslav  verteidigt  sich  dann  und 
will  auch  bei  den  Lutheranern  ähnliche  Sätze,  die  eine 
Heiligung  nach  der  Rechtfertigung  lehren,  nachweisen.  Er 
weist  auch  darauf,  wie  Verschiedenes  Jakobus  einerseits, 
Paulus  andererseits  über  die  Rechtfertigung  lehrten,  und 
wie  auch  Luther  nicht  sofort  alles  aufs  klarste  ausdrückte. 
Wir  lernen  aus  diesem  Gespräch,  wie  das  Interim  als 
Quelle  der  Irrtümer  anerkannt  war,  und  daß  seitens  des 
Flacius  über  die  Rechtfertigung  auch  mit  den  Böhmischen 
Brüdern  gestritten  wurde.  Und  was  noch  weit  wichtiger 
ist :  wir  erfahren,  daß  Flacius  auch  den  Böhmischen  Brüdern 
gegenüber  in  die  Notwendigkeit  versetzt  war,  einen  Weg 
zur  Vergleicliuüg,  wenn  auch  vergebens,  zu  suchen.  Auch 
in  der  Behandlung  jener  Brüder  treten  die  zwei  Parteien 
in  der  lutherischen  Kirche  in  deutlicher  Scheidung 
hervor.  Auf  der  einen  Seite  standen  außer  Melanchthon 
Leute  wie  Eber,  Camerarius,  Peucer,  Vergerius,  Crato, 
Esrom  Rudiger,  des  Camerarius  Schwiegersohn,  (nachmals 
Lehrer  in  Eibenschitz  an  der  böhmischen  Lehranstalt 
der  Brüder)  und  die  mit  ihnen  verbündeten  Reformierten  in 


1)  Wohl  die  für  Markgraf  Georg  von  Brandenburg  geschriebene. 


38     — 

der  Schweiz  und  Straßburg  —  auf  der  anderen  Seite  Flacius 
und  sein  Anhang  in  Deutschland  und  auch  in  Polen.  Während 
nun  jene  ersteren  geneigt  sind,  mit  den  böhmischen  Brüdern 
zu  paktieren,  sind  die  letzteren  unerbittlich^). 

Fassen  wir  das  Gesagte  zusammen,  so  ergiebt  sich  für 
die  Beurteilung  des  Interims  folgendes:  Das  Interim,  von 
Friedrich  III.  von  der  Pfalz  noch  im  Jahre  1562  eine 
„Schandhure"  genannt^),  stellte  eine  Bastardkirche  neben 
die  wahre  protestantische  und  näherte  sich  wieder  der 
römischen  Kirche.     Es  that   dies : 

1)  indem  es  römisch-katholische  Gebräuche  falscher 
Pönitenz  und  eingegossener  Heiligungskräfte  neben  den 
Glauben  in  Christo  stellt :  Buße,  Firmung,  letzte 
Ölung,  Ordination,  lauter  Gebräuche,  die  mit  Gottes 
Wort  offenbar  streiten  ^),  und  keine  Adiaphora,  d.  h.  gleich- 
giltig  für  das  Wesen  der  wahren  Kirche,  sind ; 

2)  hat  das  Interim  die  Gerechtigkeit  durch  den  Glauben 
allein  fahren  lassen  und  mit  dem  Satz  von  der  Not- 
wendigkeit der  guten  Werke  einen  neuen  Weg  der  Ver- 
vollkommnungeingeschlagen, der  vom  Heile  abführt.  Während 
nun  jene  zwei  Irrtümer  des  Interims  pharisäisch-juden- 
christlichen Charakter  trugen,  so  trug  ein  letzter  Irrtum 
die  Wurzel  paganistischer  Abweichung  in  sich.  Denn  es 
wurde  im  Interim  auch  dem  freien  Willen  ein  Platz  ge- 
lassen, so  daß  er  mit  dem  göttlichen  Willen  mitwirket  (im 
Artikel  des  Leipziger  Interims:  „Wie  der  Mensch  für  Gott 
gerecht  wird"). 

Damit  aber  hatte  die  Kirche  des  Interims  vorerst 
das  Anrecht  verloren,  eine  wahre  Kirche  Christi  zu  heißen 
und  sich  der  Schlüssel  des  Himmelreiches  zu  bedienen. 


1)  Siehe   das   Nähere    bei   Czerwenka,   Geschichte   der  evang. 
Kirche  in  Böhmen,  II,  S.  334. 

2)  Kluckhohn,  Briefe  Friedrichs  III.    I,   S.  260;  an  den  Her- 
zog von  Sachsen,  seinen  Schwiegersohn. 

3)  So  sagt  Calvin  an  Melanchthon  (Calv.  Opp.,   XIII  S.  596). 


—     39    — 

Der  Besitz  solches  Anrechtes  ist  freilich  auch  kein 
selbstverständlicher.  0  b  dieses  Anrecht  einer  Kirche 
zustehe  oder  nicht,  hängt  von  ganz  bestimmten  Bedingungen 
ab.  Die  einzelne  Gemeinde  nicht  minder  wie  die  Gesamt- 
gemeinde (Kirche)  hat  die  hohe  Pflicht,  jenes  Anrecht  auf 
die  Schlüssel  des  Himmelreiches  stetig  zu  erweisen.  Die 
Schlüsselgewalt  ist  keine  der  Kirche  anklebende  Gabe,  welche 
durch  Handauflegung  magisch  fortgepflanzt  v/ird.  Letzteres 
ist  freilich  römisch-katholische,  anglikanische  und  neuerdings 
selbst  hie  und  da  lutherische  Lehre.  Nach  protestantischen 
Grundsätzen  muß  die  Einzelgemeinde  wie  die  Gesamtgemeinde 
sich  dadurch  als  zur  Übung  der  Schlüsselgewalt  berechtigt 
zeigen,  daß  sie  die  drei  Kennzeichen,  ohne  die  eine  Kirche 
nicht  zu  denken  ist,  handhabt:  1)  reine  Verkündigung  des 
Wortes,  2)  schriftgemäße  Verwaltung  der  Sakramente,  3) 
Kirchenzucht.  Wo  diese  drei  Merkmale  nicht  vorhanden 
da  ist  die  Kirche  tot.  Sie  hat  wohl  etwa  noch  einen, 
Glauben,  aber  einen  ohne  Werke,  mithin  einen  toten 
Glauben. 


40     - 


III.  Historischer  Übeiljlicli. 

Der  Name  des  Flacius  weckt  verschiedene  Empfin- 
dungen: etliche  nennen  ihn  einen  Eortsetzer  des  Werkes 
Luthers,  andere  verwerfen  seinen  Namen  als  einen  bösen. 
Schon  in  der  Reformationszeit  galt  dieser  Name  teils  als 
ein  solcher,  dem  um  jeden  Preis  widersprochen  werden 
mußte,  teils  aber  als  ein  guter,  dessen  Andenken  in  Ehren 
gehalten  werden  muß. 

Seine  Biographie  zu  geben  ist  nicht  unsere  Absicht 
nach  Pregers  Meisterwerk  i).  Wir  erinnern  nur  an  folgen- 
des: Elacius  ist  kroatischer  Abstammung.  Er  ist  am 
3.  März  1520  zu  Albona  (unweit  Pola)  in  Istrien  geboren. 
Sein  Vater,  Andreas  Vlacich  (Vlacic)  oder  Francovic,  war 
ein  angesehener  Mann,  der  ihm  auch  den  ersten  Untericht 
gab,  aber  schon  früh  starb.  Seine  Mutter  stammte  aus  edlem 
Geschlecht;  sie  war  die  Tochter  eines  adligen  Herrn, 
Bartholomäus  Lucianus,  wohl  italienischer  Herkunft.  Elacius 
selbst  nennt  sich  in  einer  Schrift  an  den  Dogen  und  Senat 
von  Venedig,  durch  welche  er  sie  zur  Annahme  der  Re- 
formation bewegen  wollte,  deren  „ergebensten  und  gehor- 
samsten Unterthan"  (1565  und  nochmals  1570).  Persön- 
lich hatte  er  bereits  1563  in  Venedig  in  der  gleichen  Sache 
intervenirt,  war  aber  höflich  abgewiesen  worden.  Elacius 
war  also  Unterthan  des  in  Glaubenssachen  toleranten 
Venedig  und  nicht  etwa  ein  beschränkter  Kroate,  mit  der 
üblen  Nebenbedeutung,  die  jener  Ausdruck  zu  haben  pflegt  2). 
Er    war    anfangs     ohne    Eindruck    von    der    neuen    Lehre; 

1)  Vergl.  auch  den  Artikel  Flacius  von  Preger  in  der  Allg.  D. 
Biographie,  und  Kawerau,  Art.  Flacius  in  Prot.  Eealencyklopädie, 
3.  Ausgabe. 

2)  S.  Beiträge  zur  Gesch.  des  Prot,  in  Istrien  und  Triest  von 
Dr.  Schatzmayr,  in  Jahrb.  der  Ges.  f.  Gesch.  des  Protestantismus  in 
Österreich,  XV,  II,  S.  61,  63.  Hier  ist  über  Flacius  und  seinen 
Lehrer  Baldo  Wichtiges  mitgeteilt. 


—     41     - 

ja,  er  wünschte  als  Laienbruder  in  ein  Kloster  7ai  gehen. 
Durch  einen  Verwandten  Lupatino  Baldo  ^)  erhielt  er  einige 
Schriften  Luthers  und  den  Rat,  nach  Deutschland  zu  ziehen. 
Zunächst  hielt  er  sich  in  Augsburg  auf,  dann  ging  er 
nach  Basel,  wo  er  sich  in  den  Sprachen  vervollkommnete. 
Grynäus  sorgte  für  ihn.  In  Basel  machte  er  eine  schwere 
innerliche  Schule  durch,  die  ihn  auch  leiblich  tief  herunter- 
brachte. Hierauf  begab  er  sich  über  Tübingen  nach  Witten- 
berg, wo  er  von  Melanchthon  liebreich  empfangen  wurde.  Dort 
kam  er  zur  vollen  Erkenntnis  der  Wahrheit,  und  geistige 
wie  leibliche  Gesundheit  kehrten  wieder  bei  ihm  ein  ^j.  In 
Wittenberg  wurde  Flacius  Lehrer  des  Hebräischen.  Luthers 
Einfluß  auf  ihn  war  ein  überwältigender ;  derselbe  hielt  ihn 
sehr  hoch  und  soll  einmal  geäußert  haben :  dieser  werde  es 
sein,  an  welchen  nach  seinem  Tode  die  gebeugte  Hoffnung 
sich  anlehnen  werde. 

Auch  Flacius  ist  also  durch  eine  längere  innere  Heim- 
suchung hindurchgegangen  und  gleich  wie  andere  Refor- 
matoren in  der  rechten  Weise  für  sein  Werk  vorbereitet 
worden.  Ohne  sich  vorzudrängen,  wurde  er  durch  die  Ereig- 
nisse nach  Luthers  Tode  ins  Vordertreffengetrieben.  Was  ihn 
beseelte,  war  der  Eifer  um  die  Kirche  des  Wortes,  wie  es 
ein  Luther  verkündigt  hatte.  Seine  eigentliche  Kraft  lag 
auf  dem  Felde  der  Kirchengeschichte  —  er  ist  weder 
Dogmatiker  noch  Homiletiker,  und  nur  gelegentlich  ergreift 
er  auch  in  der  Dogmatik  in  treffender  Weise  das  Wort, 
so  im  Streite  mit  Oslander,  Schwenkfeld,  Major,  Menius 
und  Strigel.     Das  Interim  war  es,  das  ihm,  auch  angesichts 


1)  Lupatino  B. ,  em  gelehrter  Theolog  u.  Minoritenprovinzial , 
war  wegen  seiner  Predigt  gegen  die  reUgiösen  u.  kirchlichen  Miß- 
bräuche in  Venedig  zweimal  gefangen  gesetzt  und  nach  15-jähriger 
Haft  1556  seines  Luthertums  wegen  hingerichtet  worden.  Wäre 
Flacius  1570  persönlich  dort  erschienen,  so  würde  man  ihm 
wohl  recht  übel  begegnet  sein.  Italien  war  von  der  Eeformation 
tief  erfaßt  worden. 

2)  Vergl.  Preger,  I,  23. 


—     42     — 

seines  Magistereides,  die  rücksichtsloseste  Opposition  auf- 
drängte. Zu  ihm  gesellten  sich  andere,  besonders  Nikolaus 
Gallus,  Amsdorf,  Aepinus  in  Hamburg,  Brenz,  Medier, 
Wigand,  Judex  und  Caspar  Aquila,  überhaupt  die  Geist- 
lichen   des    niedersächsischen  Kreises. 

Der  Schmalkaldener  Bund  war  seit  längeren  Jahren 
Gegenstand  des  Hasses  Karls  V.  gewesen,  und  nach  Luthers 
Tode  fehlte  leider  der  Mann,  der  seine  Augen  offen  hielt  und 
seinen  Fürsten  warnen  konnte.  Gerade  in  den  ersten  Monaten 
des  Jahres  1546,  um  die  Zeit  von  Luthers  Tode,  war  die 
Lage  der  Protestanten  eine  überaus  bedenkliche  geworden. 
Der  Schmalkaldener  Bund  wollte  nicht  mehr  recht  zusammen- 
halten ;  von  den  Protestanten  traten  einzelne  schon  zum 
Kaiser  über :  so  Markgraf  Albrecht  von  Brandenburg,  Markgraf 
Hans  von  Küstrin;  und  die  Bundesglieder  verfolgten  eine 
Kirchturmspolitik.  Herzog  Moritz  von  Sachsen  hatte  sich 
zum  Kaiser  geschlagen,  und  das  Gewitter  zog  sich  immer 
mehr  über  Kursachsen  und  Hessen  zusammen.  Die  Acht 
wurde  über  die  Fürsten  dieser  Länder  ausgesprochen ;  an 
Moritz  wurde  die  Kurwürde  verliehen,  und  Kursachsen  von 
ihm  und  den  Truppen  König  Ferdinands  besetzt.  Karl 
kam  mit  der  Hauptmacht  und  brachte  die  Entscheidung. 
Bei  Mühlberg  wurde  die  Macht  des  Kurfürsten  gebrochen. 
Einer  der  edelsten  Männer  der  Zeit,  Fürst  Wolfgang  von 
Anhalt,  mußte  lange  Jahre  in  der  Verbannung  leben;  er 
der  einzige,  dessen  Gedächtnis  uns  noch  mit  den  Fürsten 
und  Bekennern  der  Reformation  in  dieser  Zeit  aussöhnt. 
Kurfürst  Johann  Friedrich  war  der  Gefangene  des  Kaisers. 
x\uch  der  Landgraf  von  Hessen  mußte  sich  auf  Gnade  und 
Ungnade  ergeben,  blieb  dann  aber  gefangen,  was  die 
Q.uelle  späterer  Verwickelungen  zwischen  Herzog  Moritz 
und  dem  Kaiser  wurde. 

Über  Moritz'  Charakter  giebt  es  gegenwärtig  zwei  ver- 
schiedene Meinungen.  Die  eine  vertritt  Maurenbrecher  in 
seinen  „Studien  und  Skizzen  zur  Geschichte  der  Reformations- 
zeit", V,  S.  66: 


—     43     - 

„Moritz'  Auftreten  war  1546  nicht  gegen  den  Pro- 
testantismus gerichtet;  im  Gegenteil,  er  suchte  ihn  zu  retten, 
ihn  zu  schützen,  durch  das  Bündnis  mit  dem  überlegenen 
Feinde  vor  der  Bedrohung  durch  diesen  Feind  ihn  zu 
decken.  Es  kam  nur  darauf  an,  daß  Moritz  von  dieser 
diplomatischen  Haltung  nicht  abließ  und  die  Koncessionen, 
die  ihm  Kaiser  Karl  gewährt,  geltend  zu  machen  und  aus- 
zunützen verstehe.  Er  hat  sofort  1548  gezeigt,  daß  es  ihm 
Ernst  damit  war." 

Als  die  Gelegenheit,  Karl  zu  demütigen,  sich  bot,  griff 
Moritz  rasch  zu  und  rettete  nach  menschlicher  Ansicht  den 
deutschen  Protestantismus. 

Eine  andere,  von  E.  Brandenburg  in  seinem  Buch 
„Moritz  von  Sachsen"  vertretene  Meinung  stellt  uns  Herzog 
Moritz  in  einem  ganz  anderen  Lichte  dar.  Er  meint,  Moritz 
sei  bei  dem  Tode  seines  Vaters  noch  ohne  religiöses  Interesse 
gewesen,  in  der  Politik  völlig  planlos  und  dem  Kriege,  der 
Jagd,  dem  Wein  und  Weibern  ergeben.  Erst  der  schmal- 
kaldische  Krieg  und  die  darauf  folgenden  Verhandlungen 
hätten  ihn  die  Mittel  der  habsburgischen  Staatskunst  kennen 
und  würdigen  gelehrt.  Und  so  sei  er  durch  die  Habsburger 
und  deren  Diplomaten  gezwungen  worden,  loszuschlagen 
Mit  Brandenburg  hat  sich  im  „Neuen  Archiv  für  sächsische 
Geschichte  und  Altertumskunde"  (20.  Band)  G.  Wolf  aus- 
einandergesetzt. Dieser  führt  aus,  daß  Moritz,  der  an  zahl- 
reichen Fürstenhöfen  eine  politische  Schule  durchlebt, 
in  der  letzten  Zeit  eine  seinen  Eltern  scharf  opponierende 
Politik  getrieben  hatte  und  dabei  mit  dem  bedeutenden 
Philipp  von  Hessen  in  Berührung  gekommen  war,  für  sein 
Alter  von  21  Jahren  außergewöhnlich  reiche  Erfahrungen 
für  den  Herrscherberuf  mitbrachte,  so  sehr  er  auch,  seiner 
Jugend  gemäß,  noch  rasch  zufahrend  und  zuweilen  un- 
besonnen sich  zeigte.  In  der  kurfürstlichen  Periode 
hätte  sich  dieses  Zufahren  gemildert,  Behutsamkeit, 
Sowie    zielbewußtes    Handeln    sei    an    die    Stelle    getreten 


-     44    — 

und  er  habe  einen  positiven  Standpunkt  politischer  Natur 
gewonnen.  Eür  das  Schwankende  in  Moritz'  Haltung  sei 
besonders  der  entgegengesetzte  Einfluß,  welchen  er  zwei 
politischen  Antipoden,  nämlich  dem  Landgrafen  von  Hessen 
und  dem  Minister  Georg  von  Karlowitz,  einräumte,  ver- 
antwortlich zu  machen.  Für  Männer  wie  Luther  und 
Kurfürst  Johann  Friedrich  habe  Moritz  noch  kein  Ver- 
ständnis gehabt. 

Im  Verlauf  seiner  Abhandlung  weist  Wolf  darauf  hin, 
daß  es  psychologisch  unwahrscheinlich  sei,  daß  Fähigkeiten, 
wie  sie  Moritz  später  zeigte,  urplötzlich  im  Menschen  ent- 
ständen. Dem  stimmen  wir  zu,  und  ohne  Wolf  in  seinen 
einzelnen  Einwendungen  hier  nachzugehen,  bemerken  wir 
nur  noch  folgendes :  Wie  wollen  wir  überhaupt  das 
Problem  erklären,  daß  in  gewissen  Momenten  der  Geschichte 
•wo  die  Not  aufs  höchste  gestiegen,  den  Bedrängten  der 
rechte  Mann  am  rechten  Orte  ersteht  ?  Das  ist  eben  Gottes 
Sache,  und  Gott  hat  in  diesen  Dingen  seine  Hand  und 
lenket  die  Herzen  der  Menschen  und  den  Lauf  der  Dinge, 
wie  er  will!  Es  war  kein  Geringes,  mit  Männern  wie  Karl 
und  Granvella  das  Kampfspiel  aufzunehmen.  Und  Moritz 
hat  gewonnen. 

An  Moritz  erinnert  sein  gleichnamiger  Enkel  Moritz 
von  Oranien,  der  unter  ähnlich  schwierigen  Umständen  der 
rechte  Mann  am  rechten  Orte  war.  Wie  der  sächsische 
Moritz  den  großen  Gegner  Karl  aus  seiner  klug  gewählten 
Position  hinauszuwerfen  verstand,  so  handelte  gleicher- 
weise der  Enkel  Moritz  mit  Spaniens  König  und  zuletzt 
mit  Oldenbarneveld.  Wie  Oldenbarneveld  der  gewiegteste 
Diplomat  seiner  Zeit,  aber  auch  ein  in  der  Wahl  seiner 
Mittel  nicht  skrupulöser  Mann  war,  so  verhielt  es  sich 
ähnlich  mit  den  gewaltigen  Gegnern  des  ersten  Moritz. 
Großvater  wie  Enkel  haben  im  gegebenen  Augenblicke,  ob 
bewußt  oder  unbewußt,  der  Religion  die  größten  Dienste 
geleistet   und    arme  Unterdrückte    aus    der  Bedrängung    zu 


—    45    — 

einem  glücklicheren  Dasein  geführt^).  Wie  sie  das  iin 
einzelnen  gemacht,  das  soll  wohl  ihr  Geheimnis  bleiben. 
"Wir  bescheiden  uns  hier,  demjenigen,  der  den  Erfolg  hatte, 
Beifall  zu  geben,  und  verlangen  nicht,  wie  gewisse  Historiker 
der  heutigen  Zeit,  das  Gras  wachsen  zu  hören.  Jedenfalls 
ist  zu  sagen :  gleich  wie  der  Großvater  Karls  V.  Herrschaft 
über  Deutschland  brach,  so  hat  der  ruhmreiche  Enkel  das 
Seine  gethan,  um  ein  Ende  zu  machen  an  der  spanisch-katho- 
lischen Herrschaft  über  Niederland  und  der  Tyrannei 
Oldenbarnevelds. 

So  sehr  wir  uns  mit  der  Skizze  Maurenbrechers  über 
Moritz  einverstanden  erklären  können,  so  sind  wir  doch  wenig 
erbaut  von  seiner  Beurteilung  des  Interims,  welche  für  beide 
Formen  desselben,  der  Augsburger  wie  der  Leipziger,  weit- 
aus zu  nachgiebig  erscheint.  Er  sagt:  ,,Man  ist  gewohnt, 
das  Interim  und  das  Verhalten  von  Kursachsen,  sowohl  des 
Kurfürsten  Moritz  als  der  Theologen  von  Wittenberg  als 
ein  schwächliches,  laues  zu  verdammen.  Welche  Be- 
rechtigung immer  diesen  damals  schon  von  einer  theologischen 
Clique  (?)  angestimmten  Vorwürfen  beiwohnen  mag,  —  die 
historische  Betrachtung  dieser  Geschichte  wird  gut  thun, 
auch  einmal  eine  andere  Seite  der  Frage  zu  erwägen :  was 
konnten  die  Protestanten,  Fürsten  wie  Theologen,  Besseres 
thun,  als  sich  scheinbar  beugen,  s  che  in  bar  das  Gebot 
des  Siegers  annehmen?  An  direkten  Widerstand  war  doch 
nicht  zu  denken:  hätte  man  nicht  kompromittiert,  hätte 
man  sich  nicht  einem  Mitteldinge  angefügt,    so  würde  ein- 

1)  Über  Moritz  von  Oranien  vgl.  die  neueren  Forschungen  von 
Groen  van  Prinsterer  (Prolegora&nes,  I.  Reihenfolge,  I.Teil,  S.  124 ff.), 
ferner  Fruia  (Gids,  1858,  II,  S.  312;  Verhören,  S.  353),  Busken 
Huet  (Het  Land  van  Rembrand,  IP,  S.  70ff.,  II ^  S.  2l8ff.),  end- 
sich  H.  Dosker,  John  of  Barneveld,  Martyr  or  Traitor  (Pr.  RR.  IX, 
289—323,  438-471,  637-658,  X,  120-139).  Dosker,  ein  Holländer, 
ist  mehr  dafür,  Üldenbarneveld  als  Verräter  zu  betrachten.  Seine 
Handlungsweise  hätte  zu  jener  Zeit  und  überall  die  gleichen  Folgen 
gehabt.  Zufolge  dieser  Forschungen  wird  Motley  als  veraltet  zu 
betrachten  sein. 


—    46    — 

fache  Reaktion  zum  Katholicismus  Deutschland  aufgezwungen 
und  alle  protestantische  Lehre  und  Predigt  ausgerottet 
worden  sein.  Acceptierte  man  aber  äußerlich  das  Interim, 
so  war  man  unbelästigt,  so  hatte  man  die  Möglichkeit  ge- 
wonnen, neben  dem  Schutz  und  der  Hülle  des  kaiserlichen 
Ediktes  das  Feuer  des  Protestantismus  zu  hüten  und  zu 
pflegen.  Und  das  ist  die  Art  und  Weise,  in  der  Moritz  damals 
verfahren." 

Ein  solcher  Opportunismus  aber,  wie  ihn  zuerst  Joachim 
Camerarius  in  seinem  Leben  Meianchthons,  ed.  Strobel, 
§  LXXXIII,  zum  Maßstab  für  diese  traurige  Zeit  erhoben, 
ist  ein  von  Gott  und  seinen  Propheten  verdammtes,  durch 
Menschenfurcht  diktiertes  Verhalten,  wofür  die  Rache  nicht 
ausblieb. 

Es  ist  Sache  der  Aufrichtigkeit,  mit  dem  Lobe  der 
Reformatoren  sparsamer  zu  sein  und  auch  gerechten 
Tadel  nicht  zu  scheuen.  Mit  zu  vielem  Lobe  nützen  wir 
ihnen  nicht,  schaden  dagegen  uns  und  der  Kirche  der  Gegen- 
wart Und  besonders  Melanchthon  trifft  hier  gerechter 
Tadel,  und  Flacius  gebührt  Lob. 

Melanchthon  war  nach  der  Einnahme  Wittenbergs  bald 
dorthin  zurückgekehrt.  Schon  das  hat  man  ihm  zum  Vor- 
wurf gemacht,  wie  solches  Calvin  in  seinem  Briefe  vom 
Juni  1550  Melanchthon  gegenüber  hervorhebt,  worin  er 
sagt :  Es  müsse  jedem  billig  Denkenden  mißfallen,  daß, 
während  gegen  die  Brüder  mit  unmenschlicher  Grausamkeit 
verfahren  würde,  Philippus  ruhig  im  Lager  des  Feindes 
säße.  Und  Calvin  giebt  zu,  daß  er  wohl  begreifen  könne, 
daß  die  Magdeburger,  unter  denen  Flacius  weilte,  ihre  Ver- 
lassenheit auch  von  selten  Meianchthons  nur  mit  großem 
Unwillen  ertragen  hätten.     Opp.  XIII,  596. 

Für  den  Kurfürsten  und  seinen  vertrauten,  hochbegabten 
Rat,  Christoph  von  Karlowitz,  der  später  (1568)  nach  Wien 
gerufen  ward,  war  Melanchthon  die  angewiesene  Persönlich- 
keit, um  der  Universität  und  dem  Protestantismus 
wieder   aufzuhelfen.     Sonst    aber   waren    die    Männer,    die 


—     47     - 

sich  damals  um  Melanchthon  in  Wittenberg  und  Leipzig 
scharten  (wir  nennen  nur  Joach.  Camerarius,  Joh.  Pfef- 
finger,  Valentinus  Paceus,  D.  Joach.  Rhaeticus),  angesichts 
der  drohenden  Gefahr  wenig  trostbietend.  Luther  selbst 
hatte,  wie  oben  bemerkt,  wenig  Vertraiien  in  die  Zu- 
kunft gezeigt;  den  einen  —  Amsdorf  —  nahm  er  aus, 
sonst  mißtraute  er  zuletzt  allen,  besonders  auch  Agricola, 
dem  Helfer  beim  Interim.  Auch  ein  Bugenhagen  war 
ganz  ungeschickt,  um  den  Ereignissen,  ja  auch  nur  der 
Versuchung  die  Stirn  zu  bieten.  So  denn  leider  auch 
Melanchthon.  Auf  ihn  war  Karl  V.  ganz  besonders  erzürnt. 
Der  Kaiser  hatte  nach  seinem  Siege  1547,  in  Abwartung 
des  Ausgangs  des  Tridentiner  Koncils,  auf  dem  Reichstag 
zu  Augsburg  1548  das  bereits  erwähnte  Interim  erlassen, 
nach  welchem  er  die  Religion  und  den  Gottesdienst  im 
Reich  geregelt  wissen  wollte.  Dieses  Normativ,  bei 
dem  der  genannte  Agricola  half,  das  sog.  Augsb.  In- 
terim, accommodierte  sich  der  katholischen  Dogmatik  und 
gab  nur  noch  für  einige  Zeit  in  einigen  Punkten  sekundärer 
Bedeutung  den  Protestanten  gewisse  Erleichterungen  frei. 
Die  meisten  Fürsten  ließen  sogleich  die  Absicht  merken, 
sich  dem  Kaiser  nicht  zu  widersetzen.  Nur  wenige  hatten 
den  Mut,  bestimmt  ihre  Weigerung  zu  erklären.  Als  Reichs- 
gesetz wurde  das  Interim  proklamiert;  wo  man  ihm  nach- 
lebte und  nach  seinen  Sätzen  lehrte ,  begann  für  den 
Protestantismus  der  Anfang  vom  Ende  (Maurenbrecher, 
Skizzen  S.  168).  Als  eine  Hochburg  des  bekenntnistreuen 
Protestantismus  zu  jener  Zeit  erwies  sich  allein  Magdeburg. 
Mit  Unrecht  macht  Calvin  dem  Melanchthon  die  Konzession 
im  oben  erwähnten  Briefe,  daß  der  Kampf  zwischen 
Melanchthon  und  den  Magdeburgern  ein  Gott  und  seinen 
Engel  mißfälliges  Schauspiel  böte.  Er  war  offenbar  Aveit 
vom  Schuß  und  geneigt,  wie  auch  sonst,  für  Melanchthon 
Partei  zu  nehmen.  Alle  Frommen  empfanden  es  als  eine 
Erleichterung,  daß  Flacius ,  Gallus  und  überhaupt  die 
Magdeburger  seit  dem  Juni  1549  für  die  gute  Sache  ein- 
traten und  Leib  und  Leben  dafür  übrig   hatten. 


—     48     — 

Moritz  erbat  sich  Bedenkzeit,  um  mit  seinen  Ständen 
über  das  Interim  zu  verhandeln.  Schon  diese  Heimlichkeit 
ist  nicht  schön,  wenn  auch  zu  begreifen.  Er  hatte  die 
Absicht,  so  viel  für  sein  Land  vom  Protestantismus  zu  retten, 
wie  möglich  war.  In  Pegau  mußten  im  Frühjahr  1549 
sich  die  Vertreter  beider  Religionsparteien  versammeln, 
unter  ihnen  Melanchthon  und  die  Bischöfe  von  Naumburg 
und  Meißen.  Hier  wurde  eine  zweite  Form  des  Interims 
zustande  gebracht,  das  viele  Einschränkungen  des  Augs- 
burger enthielt  und  später  das  „Leipziger  Interim"  genannt 
wurde.  Das  Dogma  der  Protestanten  wurde  in  dieser 
Schrift  wohl  besser  gewahrt  als  im  Augsburger  Interim; 
aber  die  äwßere  Ordnung  der  Kirche  mit  ihren  Ceremonien 
ist  den  hergebrachten  katholischen  Formen  sehr  nahe  ge- 
führt, unter  Verleugnung  wesentlicher  protestantischer  Haupt- 
positionen (s.  0.).  Moritz  wußte  durch  kluge  Beschwichtigung 
der  kaiserlichen  Bedenken  die  Octroyierungen  des  Kaisers 
in  religiösen  Dingen  abzuschwächen.  Die  von  den  Theologen 
ausgearbeitete,  dem  Interim  gemäße  neue  Gottesdienstordnung 
(mit  ihren  sieben  römischen  Sakramenten)  blieb  sogar  nur 
auf  dem  Papier  stehen  und  wurde  in  Sachsen  nicht  den 
Kirchen  aufgezwungen.  Im  wesentlichen  fand  eigentlich 
keine  Veränderung  statt,  trotz  aller  den  sächsischen  Kirchen 
auferlegten  Formen.  Dennoch  hat  der  Protestantismus  durch 
die  unverantwortliche  Nachgiebigkeit  der  kursächsischen 
Theologen  und  Staatsmänner  schwere  Schädigung  erlitten, 
welch  letztere  Eber  heftig  anklagt^).  Das  Interim  stand, 
trotzdem  die  Belästigung  durch  dasselbe  in  Sachsen  mehr 
scheinbar  war,  wie  eine  schwere  Gewitterwolke  auch  über 
Kursachsen,  aus  der  sich  alle  Augenblicke  vernichtende 
Blitze  entladen  konnten.  Es  war  ein  Verrat  an  der  Kirche, 
insbesondere  gegenüber  den  vielen,  von  Amt  und  Haus  ver- 
triebenen umherirrenden  Geistlichen  (gegen  400),  den  Flücht- 


1)  Vgl.  Voigt,  Briefwechsel    Albrechts  v.  Preusser  p.   432,  33. 


—    49    — 

lingen  in  Süddeutschland  > )  und  denen,  die  sich  im  festen 
Magdeburg  sammelten  und  den  für  die  damalige  Zeit  gefähr- 
lichen Schein  des  Aufruhres  gegen  die  weltliche  Obrigkeit  auf 
sich  luden.  Es  entstand  ferner  ein  offenes  Mißtrauen  gegen 
Melanchthon  und  die  Wittenberger  überhaupt.  Von  da  an 
datiert  der  heftige  Kampf  seitens  der  strengeren  Anhänger 
Luthers  (Placius,  Amsdorf,  Gallus,  Wigand.)  In  diesem 
Kampfe  handelte  es  sich  nicht  bloß  um  die  Adiaphora, 
sondern  um  alle  die  im  Interim  gemachten  Konzessionen, 
auch  in  Betreff  der  Heilslehre.  Die  höchsten  Güter 
standen  auf  dem  Spiele.  Gottes  Sache,  vor  kurzem  erst 
herrlich  ans  Licht  gekommen,  schien  verloren.  Und  wenn 
auch  in  Deutschland  vorerst  noch  Leib  und  Leben  geschont 
ward,  so  wurde  das  Gewissen  doch  um  so  mehr  geschädigt. 
Für  die  Lauterkeit  der  Eeligion  in  Deutschland  wäre  es 
wohl  besser  gewesen,  wie  Kurfürst  Friedrich  einmal  an- 
deutet ^j,  sie  hätten  nicht  so  in  Rosen  gesessen,  sondern 
mehr  gelitten  gleich  den  Christen  in  den  Nachbarländern. 
Eben  dadurch  erhielt  der  Protestantismus  in  Deutschland 
eine  andere  Gestalt,  als  jener  in  den  anderen  Ländern. 
Die  Notwendigkeit,  die  reine  Lehre  gegenüber  den  Zwei- 
deutigkeiten des  Interims  genauer  zu  präcisieren,  wurde 
zu  einem  Erbteil,  das  aus  jener  Zeit  bestehen  blieb. 
Als  traurigstes  Erbstück  blieb  aber  zunächst  eine  furcht- 
ba  re  Gereiztheit  der  theologischen  Führer,  die  gelegentlich 
auch  die  Massen  aus  ihrer  Teilnahmslosigkeit  aufzurütteln 
verstand.  Der  Gegensatz  zwischen  den  Schulen  streng 
lutherischer  und  melanchthonischer  Farbe   bildete  sich   aus. 


1)  Z.  B.  Brenz,  A.  Musculus,  Joh.  a  Lasco  mit  seiner  Gemeinde 
in  Frankfurt,  P.  Martyr,  Bucer,  welche  letztere  beide  nach  Oxford 
gingen  und  dort  im  Sinne  der  reformierten  Kirche  wirkten,  wodurch 
England  einen  Nutzen  vom  Interim  zog.  Der  sonst  so  milde  Bucer 
verwarf  auf  das  entschiedenste  das  Augsburger  Interim,  verfiel  in 
kaiserliche  Ungnade,  mußte  fliehen  und  starb  im  Exil. 

2)  Briefe  Friedrichs  III.  ed.  A.  Kluckhohn,  I,  S.252f. 

4 


-     50    - 

von  denen  die  erstere  ihren  Sitz  in  Jena  erhielt,  die  andere 
in  Wittenberg  und  Leipzig  war^). 

Die  gewaltige  Bewegung  in  Deutschland  wurde  auch 
in  der  österreichischen  evangelischen  Kirche  ganz  besonders 
empfunden.  Hatte  sie  doch  in  Süddeutschland  zu  Regens- 
burg gewissermaßen  ein  neues  Centrum  gefunden.  Dort 
wirkte  der  aus  Anhalt  stammende  Nicolaus  Hahn,  genannt 
Gallus,  als  Superintendent  bis  zu  seinem  Todesjahr  1572. 
Denselben  einen  Flacianer  zu  nennen  wäre  verkehrt ;  er  ist 
Flacius  ebenbürtig  und  ihm  an  Maßhaltung  und  weiser  Be- 
handlung der  Kirchenangelegenheiten  weit  überlegen.  Um 
sein  Urteil  und  seine  Billigung  bewarben  sich  Unzählige, 
auch  ein  Heshus  ordnet  sich  ihm  unter.  Flacius  wirbt  um 
seine  Stimme  und  schlichtendes  Wort  gegenüber  den  An- 
griffen des  Heshusius  nnd  letzterer  gegenüber  dem  ersteren. 

Gallus  bestand  schon  1549,  im  Bunde  mit  Flacius,  den 
Kampf  gegen  den  Adiaphorismus  der  Wittenberger,  weiter 
auch  gegen  Osiandrismus  und  Majorismus.  Nach  einem  kurzen 
Aufenthalt  in  Köthen  wurde  er  1553  nach  Regensburg  be- 
rufen. Hierselbst  hat  er  17  Jahre  lang  den  für  die  Er- 
haltung des  Evangeliums  im  Süden  wichtigen  Posten  be- 
kleidet, und  wir  werden  aus  den  Briefen  von  seiner  an- 
gesehenen Stellung  ein  Näheres  hören. 

In  Verbindung  mit  Gallns  wird  natürlich  auch  in 
unseren  Akten  Matthias  Flacius  genannt,  besonders  schon 
im  Streit  gegen  die  Adiaphora.  In  der  Schrift,  betitelt 
„Der  Theologen  Bedenken",  mit  einer  Vorrede  und  Schollen, 
1550,  stehen  beide  zusammen,  Gallus  obenan,  was  auch 
sonst  der  Fall  ist.  Bald  aber  entwickelte  sich  Flacius  zum 
nie  ruhenden  Hauptstreiter  in  den  Kämpfen   der  Kirche. 


1)  Von  Leipzig  aus  schrieb  der  theologische  Professor  und 
Prediger  an  St.  Nicolai ,  Val.  Paceus  (Fried) ,  1550  einen  sehr 
schmeichelhaften  Brief  an  Calvin,  in  welchem  unter  verhüllten  Worten 
doch  die  ganze  Unaufrichtigkeit  dieser  Leute  hervorstrahlt.  Calvin 
Opp.  XIII,  540. 


—     51     — 

Im  Kampfe  gegen  den  Adiaphorismus  der  Wittenberger 
behielt  Flacius  Recht  mit  seiner  Ablehnung  desselben  i), 
sowie  mit  der  Anklage,  daß  schmähliche  Furchtsamkeit 
und  ein  gewaltiges  Ärgernis  nur  durch  ein  offenes  Schuld- 
bekenntnis gut  zu  machen  sein  würden.  Aber  sein  Hasten, 
und  Drängen,  besonders  gegenüber  dem  persönlich  durch 
ihn  erzürnten  Melanchthon,  verdarb  alles.  Melanchthon 
hat  zwar  in  diesem  Kampfe  Schuld  bekannt  ^ ),  aber  nur 
privatim,  nicht  in  der  formellen  Weise,  wie  Flacius  es  von 
ihm  forderte  (in  den  Artikeln  von  Koswig  vom  27.  Januar 
1557)^).  Das  der  Kirche  gegebene  öffentliche  Ärgernis 
war  somit  nicht  aus  der  Welt  geschafft*). 

Huberinus  und  andere  haben  Schuld  bekannt.  Melanch- 
thon aber  fürchtete  leider,  zu  viele  Fromme  bloßzustellen, 
falls  er  ein  so  umfassendes  Schuldbekenntnis  vor  Flacius 
und    den    Seinen,    und    das   in     einem   gegebenen    Moment, 

1)  Nihil  est  adiaphoron  in  casu  confessionis  et  scandali;  was 
später  die  Konkordienformel  acceptierte  (Form.  Conc.  Epitome  X  de 
cerem.  eccles.  Affirmat.  I,  II  III,  IV,  vgl.  Solida  Declar,  pars  II,  X). 

2)  Vgl.  Corpus  Reformatorum  VIII,  842,  2.  Zeile. 

3)  Vgl.  Preger  II,  38. 

4)  Camerarius,  De  Vita  Melanchthonisp.  342  und  532,  ed.  Strobel. 
Der  Herausgeber  giebt  die  Ereignisse  hier  unter  dem  Texte  genauer 
an,  von  denen  Camerarius  selbst  unglaublicherweise  schweigt.  Vgl. 
auch  Calvin,  Opp.  XVI,  456;  daselbst  meldet  Conrad  Hubertus, 
Prediger  in  Straßburg,  am  25.  April  1557  über  diese  Verhandlungen 
und  klagt  über  die  allseitig  in  Sachsen  verbreiteten  Zwistigkeiten, 
die  der  Kirche  so  schadeten.  In  einem  daselbst  beigelegten  Briefeines 
Wittenberger  Gelehrten  an  einen  Freund  Huberts  in  Straßburg  wird 
Flacius  besonders  gegeißelt  und  seine  Zumutungen  an  Melanchthon 
als  schimpflich  getadelt.  Flacius  wolle  nur  Sieger  bleiben  und  sich 
Lob  erringen.  In  demselben  Licht  erscheint  dem  Schreiber  der  Streit 
mit  Justus  Menius  (1556),  den  Flacius  angebunden.  „Wer  nicht  den 
PhiUppus  verwünschet,  der  ist  aus  ihrer  Synagoge  hinausgeworfen." 
—  Es  ist  also  nicht  schwer  zu  vermuten,  auf  welcher  Seite  Calvin 
stand,  wenn  er  auch  nicht  gerade  sich  in  den  Streit  mischte  und 
Flacius  beschimpfte.  —  Im  Abendmahlsstreit  streiften  sich  die  beiden 
Koryphäen  nur  vorübergehend  (Oi^p.  IX,  180)  vergl.  auch  Preger  II, 
258.    Flacius  ließ  Calvin  sogar  einmal  grüßen  (Opp.  XVI,  64). 

4  * 


—    52    — 

den  seine  Gegner  herbeigeführt,  abgelegt  hätte.  Dies 
war  in  der  That  ein  schwerer,  höchst  verhängnis- 
voller, ihm  persönlich ,  wie  auch  der  Kirche  schadender 
Irrtum.  Der  Streit  ward  somit  ein  stationärer,  ja  er  wurde 
mehr  und  mehr  ein  persönlicher.  Die  Freunde  Melanchthons 
erklärten  Flacius  gleichsam  in  die  Acht.  Ein  Caspar 
von  Nidbruck,  der  für  Flacius'  Centurien  Gönner  warb, 
mußte  dessen  Namen  verschweigen  i),  besonders  in  den 
Briefen,  die  er  an  Melanchthon  und  Calvin  in  dieser  An- 
gelegenheit richtete. 

Das  Schlimmste  aber  war,  daß  von  dieser  Zeit  an  die 
Maßstäbe  verändert  wurden.  An  Stelle  der  Billigkeit  trat 
theologischer  Übereifer,  an  Stelle  des  frommen  Zuwartens 
schnelles  Zufahren. 

Zu  diesen  Veränderungen  in  der  theologischen  Welt 
kam  noch,  daß  auch  der  Politik  ein  großer  Anteil  an  der 
Verschärfung  der  theologischen  Parteistellung  eingeräumt 
wurde.  Ganz  andere  Faktoren  waren  im  Spiele  als  die  rein 
geistlichen.  Nicht-  die  Weisheit  von  oben  war  es,  welche 
diese  Fürsten,  einen  Kurfürst  August  von  Sachsen,  einen 
Herzog  Christoph  von  Württemberg,  einen  Wolfgang  Pfalz- 
grafen bei  Rhein,  ja  endlich  Herzog  Johann  Friedrich  den 
Mittleren  von  Sachsen  vornehmlich  beseelte,  sondern  was 
sie  trieb,  war  gar  sehr  die  Weisheit  von  unten;  es 
trieben  sie  ferner  ränkesüchtige,  zanksüchtige  und  auf 
die  Gegenpartei  eifersüchtige  Theologen  (Andrea,  Heshus 
u.  a.);  weiter  Staatsmänner,  welche  die  Hauspolitik  ihrer 
Fürsten  mehr  im  Auge  hatten  als  die  Ehre  Gottes  und  das 
Evangelium.  Die  fromme  Begeisterung  war  nur  bei  wenigen 
zu  finden.  An  ihre  Stelle  trat  in  Mitteldeutschland  eine 
Art  Zweikampf  zwischen  Kursachsen  und  dem  ernestinischen 
Sachsen,  zwischen  Wittenberg  und  Jena.  Die  Hauptaktoren, 
wie  die  Zuschauer  waren  leidenschaftlich  erregt  und  wenig  ein- 
gedenk der  Seligpreisung  Christi :  „Selig  sind  die  Friedfertigen". 

1)  Vgl.  „Nidbruck  und  Tanner",  von  V.  Bibl.  S.  16,  Wien,  1898. 


—    53    — 

Die  Versuche  zur  Einigung  der  Theologen  mußten  an  solchen 
Klippen  scheitern ;  ebenso  die  Versuche  zur  Einigung  der 
römischen  und  der  evangelischen  Partei  im  Reiche,  zu  deren 
Behuf  ein  Kolloquium  zu  Worms  1557  auf  dem  Regensburger 
Reichstag  beschlossen  war.  Von  vornherein  war  die  zu 
solchem  Gespräch  erforderliche  Einigkeit  unter  den  evan- 
gelischen Ständen,  die  vor  allen  Dingen  hätte  feststehen 
müssen,  nicht  vorhanden,  sondern  nur  ein  frommer  Wunsch 
Ottheinrichs  von  der  Pfalz  ^)  und  Christophs  von  Württem- 
berg. Man  wünschte  den  Streit  der  Evangelischen  ruhen 
zu  lassen  bis  auf  eine  spätere  evangelische  Synode,  um  nur 
auf  dem  Wormser  Kolloquium  den  Römischen  einig  ent- 
gegenzutreten und  sich  mit  ihnen  gütlich  vergleichen 
zu  können.  Es  war  vorauszusehen,  daß  der  sächsische 
Herzog  und  seine  Theologen  nebst  ihrem  Anhang  auf  eine 
Verleugnung  ihrer  Meinung  vor  der  römischen  Partei  in 
W^orms  nicht  eingehen  würden.  Ja,  es  war  so  gut  als  ge- 
wiß, daß  während  dieses  Wormser  Kolloquiums  der  Zwie- 
spalt angesichts  der  Römisch-Katholischen  oöenbar  werden 
würde.  Gerade  die  Verleugnung  der  internen  Gegensätze 
seitens  der  Protestanten  gab  den  Römischen  Gelegenheit, 
sie  des  Gegenteils  zu  überführen  und  so  jene  Gegensätze 
unter  ihnen  zu  verschärfen  ^j.  Den  herzoglich  sächsischen 
Deputierten  in  Worms,  unter  denen  Schnepf  und  Strigel 
sich  befanden,  lag  im  Grunde  mehr  daran,  die  W^ittenberger 
alter  Sünden  wegen  fder  Verteidigung  der  Adiaphora  und 
des  Majorismus)  zu  treffen,  als  die  zwischen  Protestanten  und 


1)  Dieser  Fürst  hatt  an  seine  Schule  zu  Heidelberg  Flacius 
gerufen,  der  ihm  aber  voq  dem  sächsischen  Herzog  (s.  Preger,  Fl. 
Illyricus  I,  105)  streitig  gemacht  wurde.    Flacius  ging  nach  Jena. 

2)  Dies  bemerkte  Kurfürst  Friedrich  III.  von  der  Pfalz  bei 
einer  späteren  Gelegenheit  seinen  Eäten  zu  Augsburg  (2.  Mai  1559), 
s.  Kluckhohn,  Briefe  Friedrich  des  Frommen,  Bd.  I,  S.  65.  Vgl.  Bd.  I 
S.  17  über  das  Verhalten  der  Römischen  auf  dem  Wormser  Gespräch. 
Sie  machten  zweierlei  Parteien  aus  den  Gegnern,  unter  dem  Namen 
Philippianer  und  Schnepfianer ;  letztere  nach  E.  Schnepf,  dem  herzog- 
lichen Theologen;  also  nicht  „Flacianer". 


—    54    — 

Katholiken  schwebenden  Fragen    einer   doch   aussichtslosen 
Verständigung  zuzuführen.     Wer  will  sie  deswegen  tadeln? 
Denn  das  genügt  doch  nicht,  zu  sagen:  Flacius  hat  es  ge- 
than.    Es  ist  ein  abgebrauchtes  Mittel,  gewisse  Namen  dem 
Gegner  entgegenzuschleudern,  um  die  eigene  Sache  von  vorn- 
herein damit  ins  Recht  zu  setzen.    Flacius  that  seine  Pflicht, 
als  er  einer  voreiligen  Union  sich  in  den  Weg  stellte.    Melan- 
chthon  hätte,  wie  wir  aus  seinem  Benehmen  in  Augsburg  1530 
schließen  können,  wo  allein  Luther  ihn  hielt,  alles  mögliche 
zugegeben,  nur  um  des  lieben  Friedens  willen  i).    Erst  durch 
die  herzoglichen  Deputierten  gedrängt,  entschied  er  sich  zu 
einer    gewissen    Verwerfung    der    von     jenen    bezeichneten 
Irrtümer  und  Korruptelen,  so  schwer  ihm  die  Verdammung 
des    Osiandrismus    bei     der    notwendigen    Rücksichtnahme 
auf   die    Württemberger   [Brenz  2)j    fallen    mochte.     Jedoch 
die    von    Melanchthon    aufgesetzte    Formel   kam    nicht    zur 
eigentlichen  Verhandlung  ^).     Den  einen  genügte  sie  nicht, 
den     anderen    war     sie    zu    streng;     so    gingen     denn    die 
herzoglich  sächsischen  Deputierten  ihren  eigenen  Weg,  und 
es  ward  den  Katholiken    Veranlassung  gegeben,    das  ganze 
auch  den  Schweigern  widerwärtige,  Kolloquium  zu  sprengen, 
indem   sie  den  inneren  Zwist  der  Protestanten    trefflich  zu 
benützen  verstanden.     Auch    die    alsdann  von  Flacius    und 
seinen    Kollegen   mittelst    einer    Supplikation  an  alle  evan- 
gelischen Stände    der   Augsburger  Konfession    befürwortete 
Generalsynode  wurde,  obwohl  anfänglich  selbst  in  der  Pfalz 
günstig    aufgenommen*),    aus    Gründen    politischer    Zweck- 
mäßigkeit   von    diesen   Ständen  abgelehnt. 

Man  wünschte  außerhalb  Thüringens  eine  stille,  fried- 
liche    Ausgleichung     oder    Verwischung     der     Gegensätze 

1)  Planck,  a.  a.  O.  VI,  S.  144  ff. 

2)  Brenz  hielt,  wie  wir  auch  aus  unseren  Eegensburger  Akten 
sehen,  den  osiandrischen  Streit  für  einen  Wortstreit.  Vgl.  den  Brief 
J.  F.  Cölestins  an  Gallus  vom  Jahre  1568. 

3)  Planck,  a.  a.  O.  S.  154. 
4;  S.  Kluckhohn,  I,  S.  128. 


—      00      — 

lind  scheute  die  Öffentlichkeit  in  diesen  Dingen  •).  Erst 
der  Naumburger  Fürstentag,  1561,  brachte  größere  Klarheit 
in  die  Situation,  und  der  Streit,  welchen  Flacius  und  seine 
Freunde  mit  der  Wittenberger  Schule  führten,  begann  nun- 
mehr, nach  Melanchthons  Tode,  gerechtere  Würdigung  zu 
finden.  Die  Nachgiebigkeit  der  Fürsten  und  Theologen 
gegen  die  Schule  Melanchthons  hörte  jetzt  auf,  und  die 
strengere  Richtung  (diejenige  Jenas)  drang  durch,  um  zu- 
letzt den  Sieg  davon  zu  tragen  über  alle  Vermittlungsversuche 
und  Unionsformeln,  die  bei  den  Fürsten  und  Theologen 
außerhalb  Thüringens  bis  dahin  im  Schwange  waren  ^j. 

Als  nun  gar  im  Jahre  1574  dem  Kurfürsten  August 
über  die  schon  anfänglich  durch  Melanchthons  Beipiel  ge- 
nährte Unaufrichtigkeit  von  Männern  wie  Peucer,  Cracov, 
Stößel,  Schütz  die  Augen  geöffnet  wurden,  da  ging  auch 
Kursachsen  in  das  Lager  der  strengen  Lutheraner  über. 
Denn  nicht  allein  dem  Calvinismus,  der  sich  in  der  Abend- 
mahlslehre unter  lutherisch  klingenden  Formeln  eingeschlichen, 
galt  der  Schlag,  sondern  ganz  besonders  jenem  gemäßigten 
Luthertum,  das  unter  dem  Einfluß  Melanchthons  und  seiner 
Schriften  seit  Decennien  in  Kursachsen  geblüht  hatte.  Diese 
ganze  Richtung  hatte  im  Lande  feste  Wurzeln  geschlagen 
und  abgesehen  von  zweien  oder  dreien  (Listenius,  Seinecker, 
Mirus)  fehlte  es  an  Männern,  um  das  Werk  der  Reinigung 
der  sächsischen  Kirche  auch  nur  einzuleiten  ^). 

Die  scharf  ausgeprägte  Lehrgestalt  der  Lutherischen, 
deren  Verfechter  Flacius  und  seine  Freunde  in  Jena 
waren,  hat  einen  großen  Erfolg  gehabt.  Sie  hat 
es  dahin  gebracht,  daß  die  lutherische  Kirche  in  kritischen 
Augenblicken  vor  der  schiefen  Ebene  bewahrt  wurde,  auf 
der  sie  zu  einer  die  wichtigsten  Lehrgegensätze  ausgleichenden 
blaß  melanchthonischen  geworden  wäre.     Zu    einer   solchen 


1)  Preger,  II,  86. 

2)  Preger,  II,  102. 

3)  Vgl.   A.    Kluckhohn,    Der    Sturz   der    Kryptocalvinisten   in 
Sachsen  1574,  in  Sybels  Histor.  Zeitschrift,  Bd.  XVIII,  S.  108. 


-     66    — 

Eichtung  drängte  vieles  um  1560.  Die  Schwäche  eines  Melan- 
chthon  hatte  den  Liebhabern  einer  dogmatisch  unbestimmten 
Richtung  Anlaß  genug  gegeben,  daß  sie  seinen  Namen  als 
Deckmantel  für  ihre  Bestrebungen  mißbrauchten.  Auf  der 
anderen  Seite  warteten  die  Reformierten,  um  sich  mit  den 
Männern  der  unbestimmten  Richtung  zu  vereinigen.  Die- 
selben zeigten  sich  auch  in  der  Folgezeit  mehrfach  unfähig, 
die  Emanationen  der  Kryptokalvinisten  i),  z.  B.  den  „Dresdener 
Grundfest"  und  den  Wittenberger  Katechismus,  von  den 
Emanationen  der  strengen  Lutheraner  zu  unterscheiden  ^ ). 
Was  für  eine  Hochflut  der  Unentschiedenheit  dann  über  die 
Welt  gekommen  wäre,  läßt  sich  leicht  vorstellen.  Sind  wir 
doch  heutzutage  reichlich  damit  gesegnet ! 

Jene  Jenaer  Theologen  haben  also  das  Verdienst,  einen 
faulen  Frieden  verhindert  zu  haben,  wovon  die  Konkordien- 
formel  reichen  Nutzen  gezogen  hat.  Bis  dahin  aber  war 
noch  viele  Erregung  der  armen  Kirche  beschieden ,  und 
gerade  in  diese  Jahre,  von  1560 — 80,  fällt  die  erste  Ent- 
wickelung  und  der  Aufschwung  der  österreichischen  Kirche. 

Bleiben  wir  bei  dieser  Zeit  noch  etwas  stehen:  es  ist 
die  Zeit  der  Auscheidung  des  sogenannten  Synergismus. 
Derselbe  war  ein  aus  den  Zeiten  des  Interims  noch  latent 
vorhandener  böser  Stoff,  der  plötzlich  1559  im  orthodoxen 
Lager  hervorbrach  und  ausgeschieden  werden  mußte.  Dies 
ist  die  Bedeutung  der  folgenden  Streitigkeiten,  die  auch 
nach  Österreich  herüberkamen. 

Die  im  Interim  dem  Willen  zugestandene  Mitthätigkeit 
veranlaßte  später  neue  Deutungen.  Nach  einem  Vorgefecht 
zwischen  dem  Leipziger  Pfeffinger  und  Amsdorf  nebst 
Flacius  nahm  der  sjmergistische  Streit  einen  ernsteren 
Charakter  an.  Um  den  Frankfurter  Receß  vom  Jahre  1558, 
der  als  Norm  der  Lehre  dienen  sollte,  für  Sachsen  unschädlich 


1)  Kryptocalvinisten  und  Synergisten  sind  vielfach  identisch  j 
sie  finden  sich  beisammen  und  werden  miteinander  verfolgt  (vgl. 
Raupachs  Presbyterologie,  unter  dem  Namen  Sunderus,  S.  171). 

2)  S.  Kluckhohn,  Briefe  Friedrichs  III.,  Bd.  II,  S.  422. 


—    57     — 

zu    machen ,    ließ    Herzog    Johann    Friedrich    auf    Rat    des 
Flacius  das  Konfutationsbuch  ausgehen.    Dasselbe  war  von 
Strigel    und    Stöße)    aufgestellt,    hernach    aber    von    Flacius 
revidiert    worden    und    am    28.   November  1558    als    Richt- 
schnur der  Lehre  eingeführt.  Es  diente,  alle  Irrtümer,  welche 
offen  oder  latent  bis  dahin  wider  Gottes  Wort,  die  Augsburg- 
ische Konfession,  Apologie  oder  die  Schmalkaldischen  Artikel, 
eingerissen  waren,  aus  der  Kirche  auszuscheiden  i).    Dasselbe 
erweiterte    aber    nur    die  Trennung    zwischen    den    Jenaern 
und  Wittenbergern.    Melanchthon  und  seine  Anhänger,  d.  h. 
die  Fürsten  des  Frankfurter  Recesses,  erhoben  sich  dagegen  ^j. 
Aber  auch  Strigel  selber  faßte  Feuer  und  fand  alsbald  Anlaß 
zum  Zank.    Dieser  Victorinus  Strigel,  erster  Prorektor  (1558) 
an  der  neubegründeten  Universität  Jena,  war  ein  Mann  von 
großem  Selbstgefühl,  von  dem  Andrea  (wie  Cölestin  an  Gallus 
schreibt)  bezeugte,    er  sei  der  stolzeste  Bacchant,    „den  ich 
mein  Tag   gesehen" ;    zugleich    aber    ein    Mann    von    großer 
Gewandtheit    in    allen    dialektischen    Künsten ,    auch    von 
großer   Gelehrsamkeit,    dazu    Melanchthons    Schüler  3).     Aus 
der  Mitte  des    orthodoxen  Lagers,    an    der  neugegründeten 
Universität,  erhob  sich  dieser  ganz  unerwartete  Widerspruch 
in    einem     Hauptpunkt     der     Lehre  ^).      Strigel    trug,    von 
Flacius  herausgefordert,    urplötzlich    die  Lehre    vom    freien 
Willen    im  Sinne    der  Wittenberger    vor,    mit    einer  Spitze 
gegen  Flacius'  Lehre.    Ihm  schien  Flacius  in  manichäischer 
Weise    die  Erlösungsfähigkeit    des    Menschen    zu   zerstören 
(die  aptitudo  naturalis).    Nun  aber  legte  er  in  jene  aptitudo 


1)  Vgl.  über  das  Konfutationsbuch  Preger  II,  79  f.  u.  J.  Janssen, 
Geschichte  des  deutschen  Volkes,  Bd.  IV,  36. 

2)  Corp.  Ref.  IX,  763  ff.  Melanchthon  zieht  hier  das  früher 
gethane  Schuldbekenntnis  bezüglich  der  Adiaphora  zurück  und  ver- 
wirft Lehrsätze,  die  er  selbst  früher  vertreten. 

3)  S.  Preger,  II,  118. 

4)  Das  Nähere  lese  man  bei  Planck,  a.  a.  O.  IV,  B.  III, 
Kap.  8 — 12;  ferner  außer  Preger  siehe  auch  die  akademische  Rede 
von  Otto's:  De  Victorino  Strigelio,  Jena  1843. 


—    58     - 

noch  ein  Vermögen  zum  Guten  hinein.  Er  denkt  den 
natürlichen  Menschen  nicht  sowohl  erstorben  fürs  Geist- 
liche, als  vielmehr  nur  erkrankt.  Die  natürliche  Kraft 
zum  Guten  ist  nicht  völlig  verloren,  sondern  nur  durch 
die  Sünde  gebunden,  so  daß  sie  allerdings  aus  sich  selbst 
nichts  vermag,  aber  vom  heiligen  Geist  mittels  des  Wortes 
befreit,  geweckt  und  angeregt,  auch  selbst  wirksam  wird 
und  mitwirkt  zur  Bekehrung  des  Menschen  (cooperatur  quam- 
vis  languide).  Diese  seine  Theorie  wurde  zwar  alsbald 
verworfen,  aber  später  durch  Disputationen  wieder  auf  die 
Bahn  gebracht.  Um  Ordnung  zu  schaifen,  ließ  der  Herzog 
Strigel  und  den  Superintendenten  Hügel  gefangen  nehmen, 
da  sie  sich  gegen  das  weimarische  Konfutatiousbuch 
(1559)  aufgelehnt  hatten.  Dennoch  gelang  es  den  Gegnern 
des  riacius,  eine  Disputation  in  Weimar  zu  erwirken,  im 
Beisein  des  Herzogs  Johann  Friedrich  des  Mittleren  (1560). 
Als  Strigel  hier  dem  Herzog  nicht  mißfallen,  durfte  er  bleiben, 
bis  sein  Prozeß  zu  Ende  geführt  worden.  Nun  aber  mußte 
Flacius  weichen.  Gegen  ihn  machten  sich  nämlich  verschiedene 
Gegner  geltend.  Man  suchte  die  damals  einflußreichen  Theo- 
logen ihrer  angemaßten  Machtansprüche  halber  beim  Herzog 
anzuschwärzen.  Der  neue  Superintendent  Stössel  trat  auf 
Strigels  Seite.  Der  Herzog  verwies  das  Schelten.  Ein  Brief 
des  Flacius  und  seiner  Kollegen  gegen  den  Superintendenten 
rief  eine  Kommission  nach  Jena  (10.  Dezember  1561),  und  der 
dem  Flacius  grollende  antiorthodoxe  Kanzler  Christian 
Brück  wußte  ihn  und  seine  Anhänger  zu  verjagen, 

Strigel  frohlockte  1):  „Hinausgeworfen  ist  jener  König, 
der  ein  neues  anabaptistisches  Reich  in  Thüringen  erträumt 
hatte  2)".  Er  selbst  wußte  sich  dadurch  wieder  in  Jena  möglich 


1)  Matthias  Judex,  Mitarbeiter  an  den  Centurien  des  Flacius, 
schreibt  aus  Jena  an  Gallus  um  diese  Zeit:  „Strigel  triuraphirt. 
Mein  Buch  exite  (Offenb.  18,  4,  gegen  das  Papsttum  gerichtet,  vgl. 
Preger  II,  165,  423)  bereitet  mir  exitum"  (das  Exil).  (Reg,  Akten, 
Eccles.  I,  No.  XV,  Z.  46.) 

2)  Vgl.  Dialect.  Hb.  I,  826. 


—    59    — 

zu  machen,  daß  er  eine  Deklaration  seines  Glaubens  verfaßte, 
durch  welche  der  synergistische  Handel  gebessert  werden 
sollte,  wodurch  aber  erst  recht  die  Gemüter  der  Frommen 
im  Lande  verletzt  wurden.  Mit  Ingrimm  erklärten  sich  die 
verjagten  Theologen,  mit  ihnen  die  thüringische  Geistlich- 
keit, dagegen,  daß  Strigel  auf  solche  Weise  wieder  zu  Gnaden 
angenommen  würde.  Auch  die  Superdeklaration  Stössels, 
worin  er  Strigels  Meinung  zu  ermäßigen  suchte,  wurde  von 
den  Predigern,  freilich  auch  von  Strigel  selbst,  verworfen. 
Vierzig  dieser  Prediger,  die  sich  nicht  fügen  wollten,  wurden 
exiliert  ^).  Strigel  ging,  der  Sache  überdrüssig^,  nach  Leipzig, 
lehrte  synergistisch,  bald  auch  calvinisch  im  Abendmahl 
und    ward,    nachdem    ihm    das    Lesen    verboten,    später    in 


2)  Von  denselben  kamen  später  nach  Österreich :  Superintendent 
P.Egerdes  aus  Gotha,  Breßnitzer  aus  Aken  bürg,  Lektor  der  griechischen 
Sprache,  Friedr.  Cölestin  aus  Jena,  die  Pfarrer  Martin  Wolf  aus  Kahla, 
Joach.  Magdeburgius  aus  Oßmannstedt,  Hieron.  Peristerius  aus  Ilmenau, 
später  in  Eegensburg  und  Innerösterreich,  Jerem.  Dissinger,  Bened. 
Melhorn,    Balthasar   Hancke,   Nie.   Hacus,   Jonas   Frankus,   wahi-- 
scheinlich  auch  Conrad  Lupulus.     Nur  drei,  nämlich  Magdeburgms, 
Frankus   und  Lupulus,   unterschrieben  die  „Confessio  etlicher  Pre- 
diger in  Österreich   vom  Jahre  1566".     Alle  jene  Vertriebenen  nun, 
welche  nach  Österreich  gelangten,   kamen  nicht  ungerufen,  sondern 
waren  empfohlen.     So   empfahl  Gallus  dem  Erbmarschall  Hofmann 
am  21.  April  1563:  Dr.  Simon  Musäus  m  Jena,  B.  Kosinus,  früher 
in  Weimar  (jetzt  in  Erfurt),  Joach.  Magdeburgius,  M.  Wolf  in  Eis- 
leben   und    lenkte    auch    die   Aufmerksamkeit    auf    Heshusius    als 
allfälUgen    Prediger   für   Österreich.      In    gleicher   Weise   war   Cyr. 
Spangenberg  zu  Mansfeld  thätig ;  dieser  schreibt  am  27.  Juli  1565  an 
Gallus,   nachdem   er  den   Zustand  in  ÖsteiTcich  beklagt  hat,  Gott 
werde  seine  Herde  nicht  leicht  verlassen.     Auch  die  aus  Magdeburg 
vertriebenen   Barth.    Strelen,  P.  Egerdes   imd   Wilh.  Eccius    kamen 
nach  Österreich,  nicht  ohne  empfohlen  zu  sein.     Job.  Leutner,   Pre- 
diger in  Schwersperg  (Österreich),  schreibt  am  2.  Mai  1565  an  Gallus : 
Fast  alle  österreichischen   Barone  und  viele  Gemeinden   seien  dem 
Synergismus,  welchen  des  Schreibers  Nachbar  Veit  Nuber  vertrete, 
abgeneigt  (Reg.  Akten,   Eccles.  No.  XXXV,   Z.  99).    Daher   berief 
man  solche  Prediger, 


—     60     - 

Heidelberg  als  Professor   der  Moral    angestellt,    woselbst  er 

gestorben  ^). 

Wie  sich  die  Sache  in  den  Augen  zweier  Zeitgenossen  aus- 
nahm, vernehmen  wir  von  Martin  Wolf  und  x\dam  Giller.  Der 
erstgenannte,  gebürtig  aus  Rochlitz  in  Sachsen,  hat  hervor- 
ragenden Anteil  genommen  an  den  uns  vorliegenden  Kämpfen. 
Er  ist  ein  Märtyrer  seiner  streng  lutherischen  Überzeugung.  Als 
Superintendent  zu  Kolditz,  wurde  er,  wie  wir  später  hören 
werden,  wegen  einer  in  Dresden  gehaltenen  Predigt  gegen 
das  Interim  von  Kurfürst  August  abgesetzt  2)  und  nun  von 
dessen  Gegner,  dem  alten  Kurfürsten  Johann  Friedrich,  im 
Altenburgischen  angestellt,  und  zwar  erst  in  Gößnitz  1554, 
dannl559  in  Kahla.  Hier  wurde  er  1562  init  vielen  anderen 
verjagt  und  erhielt  eine  Pfarre  zu  Helfta  im  Mansfeldischen, 
woselbst  er  den  gleich  mitzuteilenden  Brief  geschrieben  hat. 
Von  Helfta  aus  ward  er  1567  nebst  anderen  Theologen  nach 
Antwerpen  gerufen,  um  der  dortigen  lutherischen  Gemeinde 
als  Berater  zu  dienen.  Sein  Name  steht  mit  unter  der  von 
Flacius  dort  eingeführten  „Antorffischen  Confession".  Nach 
kurzem  Aufenthalt  allda  ging  er  zurück  nach  Kahla.  Hier 
ward  er  abermals  (1572)  durch  seinen  alten  Feind 
Kurfürst  August,  der  als  Vormund  der  Söhne  des  ver- 
storbenen Herzogs  Johann  Wilhelm  über  hundert  Pfarrer  ver- 
trieb, abgesetzt.  Nunmehr  ging  Wolf  nach  Österreich,  wo- 
selbst er  zuerst  nach  Lichtenwart,  nachher  von  Herrn  Hartmann 
von  Lichtenstein  nach  Dobermannsdorff  zum  Pfarrer  be- 
rufen ward.  Im  Jahre  1580  unterschrieb  er  das  „Einfältige 
Bedenken"  und  bekannte  sich  vor  der  Visitation  zu  dieser 
"Unterschrift.  Man  findet  nicht,  daß  er  die  „Deklaration" 
unterschrieben;  man  ließ  ihn  ruhig  in  seinem  Amte.  Und 
so  hat  er  noch  der  „Repetition"  und  der  Formula  Veritatis 
seinen  Namen  unterschrieben  und  wird  in  Ruhe  in  Oster- 
reich gestorben  sein.     Seine  Bücher  kamen  auf  den  Index; 

1)  S.  Kkickhohn,  Briefe  Friedrichs  III,  S.  90. 

2)  Dass  auch  Melanchthon  in  diese  Sache  verwickelt  war,  zeigen 
die  Annaleu  in  C.  R.  8,  IX. 


—     61     - 

man   rechnete     ihn     unter    die    „Autores    damnatos  primae 
Classis".    Das  gebührt  ihm  als  Mitunterschreiber  jener  Ant- 
werpener Konfession.  Er  war  auch  Mitverfasser  einer  wichtigen 
Schrift,  die  er  nebst  Irenäus  und  Jonas  Frankus  gegen  Wigand 
und    Heshus    in  Jena    am  3.  Januar  1572  veröffentlichte  i). 
Dieser  Martin  Wolf  wollte  die  Victorinische  Deklaration 
nicht  unterschreiben  und  „wider  dessen  Lehre  nicht  zu  reden 
sich    nicht  verpflichten-'.     Aus   Anlaß  seiner  Berufung  nach 
Bayern  (1562)  war  er  von  zwei  anderen  Geistlichen,  Namens 
Lofladius  und  Mag.  Prätorius,   verdächtigt  worden,  als  ob  er 
wegen  unreiner  Lehre  vom  Herzog  entsetzt  oder  gar  des 
Landes  verwiesen  sei.     Zu  seiner  Rechtfertigung  schreibt  er 
an  den  Grafen  Ladislaus  von  Haag  - 1  einen  Brief,  in  welchem 
er   zur    Richtigstellung    der   Sachlage    folgende  interessante 
Äußerungen  macht:  „Ich  muß  aber  auch  den  durchlauchtigen, 
hochgebornen  Fürsten  vnd  Hern,  Hern  Johan  F,  Hertzogen 
zu  Sachssen  in  deme    entschuldigen,    das  s.  f.  g.    mich  vnd 
andere  geurlaubt  (aus   dem   lande  ist  noch  keiner  verweist) 
nicht    obgedachter   meiner    lere  vnd   meinung  halben,  denn 
s.  f.  g.  vnd  die  Visitatores  waren  vnd  sein  der  lere  halben 
allerding  mit  vns  eins,    sondern    darumb  ists  allein  zuthun, 
wie    die  Acta    zu    seiner  Zeit    ausweisen  werden,  das  wir 
des     Victorini,      der     ein     Synergist    ist,     zwei- 
zungige  declaration,  welche  fürstliche  Durch- 
laucht vnd  die   Visitatores  vnser  vnd  Irer  lere 
vnd     meinung    gemeß    vorstehen    vnd    ercleren, 
mit  nichte  können  vnser  lere    vnd  meinung   gemess  er- 
kennen, noch  derselben,  wie  begert  wird,  vnterschreiben, 
viel    weniger    vns    verpflichten,    wider    den  Victorinum  vnd 
seine    lere    nicht    zureden,     vnd     haben     des     großwichtige 
vrsachen    angezeigt  vnd    Schemen  vns    derselben  gar  nicht, 
so  offt  es  vonnötten  sein  wirt,  weiter  anzuzeigen"  ^). 


1)  S.  Preger  II,  257. 

2)  Über  deu  Grafen  von  Haag  vgl.  Raupach,  Presbyterol.  Suppl. 
S.  17,     Aretin  Maximilian  I  v.  Bayern,     p.  192. 

3)  Reg.  Akten,  Ka.sten  D,  Fach  I,  Eccles.  No.  XXXV,  Z.  109. 


—     62     — 

Wolf  sagt  also,  daß  er  und  seine  Genossen  nicht  zu- 
geben könnten,  daß  Strigels  Deklaration  sich  mit  ihrer 
Lehre  decke,  was  eben  der  Herzog  und  die  Visitatoren 
behaupteten.  Damit  ist  der  Kern  der  Differenzen  aufs 
beste  getroffen  und  auch  der  Grund,  weshalb  die  treuen 
Bekenner  das  Land  räumten.  — 

Giller,  ein  Reuße,  der  sich  Exul  Jesu  Christi  nennt  und 
1567  aus  Gera  entlassen  wurde,  sagt  in  seinem  Buch,  betitelt: 
.,Beweiß  aus  Gottes  Wort,  beyneben  D.  M.  Lutheri  und 
D.  Augustini,  daß  und  wiefern  die  Leiber  der  Heiligen  am 
jüngsten  Tage  vollkommen  und  wesentlich  dem  verklärten 
Leibe  Christi  gleichförmig  gemacht  werden  sollen"  (1583), 
folgendes:  „Die  Synergisten  vertriben  auß  dem  Hertzog- 
tum  Sachsen  über  40  Luterische  Predicanten,  die  da  zu 
derselbigen  zeit  der  verfluchten  victorinischen  Lehre  vom 
freyen  willen  ernstlich  widersprachen  und  darüber  verfolgt 
wurden.  Dadurch  gab  Gott  vielen  andern  Lendern  dieselbige 
Bekenner,  die  zuvor  beisammen  in  einem  Winckel  steckten. 
So  da  hernach  viel  Lerer  und  gemeine  leute,  die  da  ge- 
hungert und  gedürstet  nach  der  Gerechtigkeit,  Matth.  5 
zur  erkentnis  der  warheit  brachten  und  sonst  derselben 
wol  hetten  entperen  müssen.  Wenn  auch  das  nicht  ge- 
schehen So  möcht  mancher  gedencken  Gott  were  ein  anseher 
der  Personen,  der  allein  etlichen  Reichen,  hohen  und  ge- 
waltigen sein  wort  und  willen  offenbarete  und  andere  arme 
elende  betrübte   verließe." 

Aus  diesem  Urteil  Adam  Gillers,  des  Efferdinger 
Predigers  in  Oberösterreich,  sehen  wir,  daß  man  damals  den 
Lauf  der  göttlichen  Vorsehung  darin  bewunderte,  daß  durch 
die  thüringischen  Wirren  neben  anderen  Ländern  auch 
Osterreich  mit  Predigern  versehen  wurde.  Wir  lehnen  es 
nochmals  ab,  jene  Prediger  „Flacianer"  zu  nennen  ^),  sie 
waren  einfach  Gegner  der  Synergisten. 


1)  Vgl.    auch  Weiß,   Weltgeschichte  und  Wiedemann,  a.  a.  O 
I,  S.  42  u.  a.  m. 


—    63    — 

Aus  dem  Werke:  „WahrliafFtiger  und  gründtlicher 
Summarieu-Bericht  etlicher  Predicanten,  wie  und  worumb 
sie  im  62.  und  63.  Jahre  in  Thüringen  seind  ires  Ampts 
entsetzet  und  zum  Theil  verjagt  worden", i)  entnehmen  wir 
folgende  Namen  der  1562  in  Thüringen  abgesetzten  und  ver- 
triebenen Geistlichen : 

1.  M.   Bartholomeus   Rosinus    etwa  Pfarrherr    und  Super- 

intendent zu  Weimar. 

2.  Alexius  Bresnicerus  etwa  Pfarrherr  und  Superintendent 

zu  Aldenburg.     . 

3.  M.  Martinus  Wolfius  etwa  Pfarrherr  zu  Chala. 

4.  Michael  Schulteis  etwa  Pfarrherr  zu  Cieutzburg. 

5.  David  Scheffer  etwa  Pfarrherr  zu  Saltzungen. 

6.  M.  Johannes  Fuldner  etwa  Pfarrherr  zu  Butstat. 

7.  M.  Joachimus  Magdeburgius  etwa  Pfarrherr  zu  Oßmanstat. 

8.  M.  Matthi  Kindler  etwa  Pfarrherr  zu   Grunstat. 

9.  M.  Martinus  Faber  etwa  Pfarrherr  zu  Gößnitz. 

10.  M.  Johann  Andre,  gew.  Pfarrherr  zu  Mansted. 

11.  M.  Thimot  Kirchner  etwa  Pfarrer  zu  Herbstleben, 

12.  M.  Benedic  Meibom  etwa  Diacon  zu  Weimar. 

13.  Philippus  Ruttenus  etwa  Diacon  zu  Neustadt  an  der  Orla. 

14.  Jeremias  Disigerus  etwa  Pfarrherr  zu  Swerstat. 

15.  Johannes  Barck  etwa  Pfarrherr  zu  Madel. 

16.  Fabianus  Kein  etwa  Diacon  zu  Weimar. 

17.  Georgius  Ziebler  etwa  Pfarrherr  zu  Sulzbach. 

18.  Jonas  Francus  ^)  etwa  Pfarrherr  zu  Ober-Roßla. 

19.  Johannes  Günther*)    etwa  Pfarrherr    zu  Ober- Weimar. 

20.  Johannes  Töpfer  gewesener  Pfarrherr  zu  Obringk. 

21.  Johannes   Strofius  etwa  Diacon  zu  Saltzungk. 

22.  Balthasar    Hancke    etwa    Pfarrherr    zu    Hermstedt    [in 

Österreich  zu  Oberhollabrunn  j  1578]. 

23.  Nicolaus    Hacus    etwa  Diacon  zu    Butstadt.     [erscheint 

1580  in  Österreich]. 


1)  Beide  nochmals  1571  in  Weimar  als  Flacianer  entlassen. 

2)  Nochmals    im  August  1571   als   Diakon   in    Weimar   wegen 
flacianischer  Ansicht  entlassen. 


-     64     — 

24.  Johannes    Leo    etwa   Pfarrherr    zu    Großen -Mülhausen. 

25.  Henricus  Moller  etwa  Pfarrherr  zu  Heuchelheim. 

26.  Paulus  Reineckerus  1)  etwa  Pfarrherr  zu  Teutleben. 

27.  Paulus  Regius  gewesener  Pfarrherr  zu  Ramsla. 

28.  Pridemannnus  Hauck   etwa  Pfarrherr  zu  Opplick. 

„Der  verjagten  Pfarrherr  und  Prediger  seindt  sonst 
mehr^),  nemlich  fast  Viertzig,  sampt  den  Vier  Theologen  3) 
vnd  D.  D.  Johanne  Coelestino  Griechischen  Leser,  auch  die 
Superintendten  M.  Baltaser  Winter,  welcher  bis  in  den 
Tod  geplagt,  vnn  auch  endtlich  auff  seinem  Todtbeth  ligend, 
kurtz  vor  seinem  ende  hat  müssen  seine  entsetzung  anhören, 
vnd  einer  seiner  Diacon,  der  auch  bis  zum  Tode  geplaget 
worden  ist,  vnd  sampt  M.  Peter  Egerdes  kSuperintendenten 
zu  Gotha.  Das  heist  die  Kirche  Gottes  nach  dem  Newen 
vnnd  unerhörten  Modo  agendi  reformieren.  Vsquequo  Domine 
non  uindicas  scandala  pusillorum  et  sanguinem  seruorum 
tuorum ,  doctrinae  filii  tui  corruptelis  et  Ecclesiae  tuae 
uastationes.     0  domus,  antiqua  domus." 

Der  unter  No.  17  genannte  Georg  Ziebler  war  es,  der 
dem  Kanzler  Brück  im  Schlosse  zu  Weimar  unter  die  Augen 
sagte:  ,,lhr  greifet  dem  Herrn  Christo  in  seinen  Augapfel! 
So  Ihr  nicht  Buße  thut,  wird  Gott  Euch  auf  die  Einger 
klopfen"'*)!  Worauf  der  Kanzler  soll  geantwortet  haben: 
„Ei,  Gott  wird  mich  wohl  auf  die  Finger  klopfen"  ^)!  Dieser 
Worte  erinnerte  er  sich,  als  er,  in  die  Grumbachschen 
Händel  verwickelt,  im  Jahre  1567  in  Gotha  hingerichtet 
werden  sollte.  Er  ließ  sein  Bekenntnis  und  eine  Abbitte 
auf  den  Kanzeln  Thüringens  verlesen  und  erklärte,  daß 
er  jene  Antwort    nie   vergessen    habe;    und  wenn    er    diese 


1)  O.  O.  1564.  4  der  Univ.  Bibl.  zu  Jena. 

2)  z.  B.  Hierou.  Peristerius. 

3)  Dieselben    sind  bekanntlich:   Flacius,  Wigand,  Musäus  und 
Judex. 

4)  Handschriftliche   Nachricht   im   Kirchenbuch   zu   Sulzbach. 

5)  Löber,  Hist.,  eccles,  Orl.  61;    Wimmer,  Vita  Pontani,  293; 
Ziegler,  Schauplatz  der  Zeit,  Monat  Mai,  537. 


—     65    - 

Todesstrafe  verdient  habe,  so  Ijabe  er  sie  nicht  jetzt,  sondern 
um  jener  Verfolgung  willen  verdient.  Nun  komme  Gott 
und   klopfe  ihm  auf  die  Finger'). 

j^rster  Exodus"  aus  Thüringen. 

Dieser  erste  Exodus  ist  in  seinen  Ursachen  wie  in 
seinen  folgen  noch  lange  nicht  genügend  erforscht.  Es 
bleibt  ein  Rätsel,  wie  Herzog  Johann  Friedrich  so  um- 
gestimmt werden  konnte,  daß  er,  der  zuvor  den  strengen 
Lutheranern  so  wohl  wollte  und  sich  von  ihnen  auf  den 
Fürstenkonventen  (1557  und  15G0)  so  gänzlich  leiten  ließ, 
1 563  auf  Anraten  Brück's  an  seinen  Rivalen,  den  Kurfürsten 
August,  die  freundliche  Bitte  richtete,  derselbe  wolle  ihm 
von  den  Wittenberger  Theologen  etliche  überlassen ;  worauf 
dann  Seinecker,  Freyhub  und  Salmuth  ihm  gesandt  wurden. 
Durch,  den  Superintendenten  Stössel  ließ  er  zugleich  den 
Wittenberger  Theologen  erklären,  er  sei  „durch  einen  mit 
Nahmen  Flacius  Illyricus  unter  dem  Schein  der  Heiligkeit" 
gar  schändlich  von  seiner  väterlichen  Religion,  welche  er 
noch  zu  Wittenberg  studiert  und  gefaßt  hätte,  abgeführt 
worden,  dadurch  er  „viele  fromme  Menschen  betrübt"  hätte. 
Er  fühle  sich  in  seinem  Gewissen  beschwert  und  wolle  sich 
„hinfort  ihrer  Religion  gemäß  halten  und  helfen,  daß  seine 
Universität  Jena  von  solchen  sophistischen  Calumnien  ge- 
reinigt und  wieder  auf  den  rechten  Weg  gebracht  werden 
möchte  ^j." 

Ein  solcher  Umschwung  von  einem  fast  kränklichen 
Eifer  ins  gerade  Gegenteil  innerhalb  weniger  Jahre  zeugt 
einerseits  von  großer  Charakterschwäche  des  Herzogs,  anderer- 
seits aber  erwies  sich  darin  die  göttliche  Vorsehung,  die,  wie 
Adam  Giller  sagt,    auch    anderen  Ländern    die    Erkenntnis 


1)  Müller,  Sachs.  Annalen,  139,  147.  —  Unsere  Quelle  für 
diese  Mittheilungen  ist  Dr.  Joh.  Köhr,  Magazin  für  christliche  Pretligfr 
Bd.  13.,  2.  Stück. 

2)  Planck  a.  a.  0.,  IV,  S.  664,  Note  273. 

5 


—     66     — 

der  Wahrheit  brachte.  Noch  im  Oktober  1560  muß  der 
Herzog  von  seiner  Schwiegermutter  getadelt  werden, 
daß  er  seinem  Schwiegervater  Friedrich  III.,  dem  Kur- 
fürsten von  der  Pfalz,  geschrieben  habe^),  er  sei 
dem  Teufel  verfallen,  falls  er  sich  nicht  bekehre, 
d.  li.  streng  lutherisch  werde;  und  jetzt  wendet  er  sich 
an  die  Wittenberger,  die  in  Melanchthons  Fahrwasser  sich 
bewegen  und  der  Herrschaft  des  Kryptocalvinismus  bereits 
die  Stätte  bereiten.  Da  hat  freilich  Flacius  in  seinem 
Briefe  an  Gallus  vom  11.  Juli  1561  ^)  nicht  so  unrecht  ge- 
sehen, wenn  er  schreibt:  ,,Der  Herzog  scheint  noch  der 
wahren  Lehre  zugethan  zu  sein;  aber  mittelst  einer  „Brücke" 
(des  älteren  Brück)  ist  die  Wahrheit  ins  Land  gekommen, 
mittelst  einer  „Brücke"  (des  Kanzlers  Christian  Brück) 
scheint  sie  wieder  hinausziehen  zu  wollen.  Per  pontem 
intravit  veritas,  per  pontem  exitura  videtur.  Gott  wider- 
stehe seinen  Gegnern  mit  Macht.  Die  Wut  nimmt  zu, 
Gott  lebt."  —  Der  Herzog  war  offenbar  ein  Spielball  der 
Leute ,  die  sein  Ohr  hatten,  besonders  jenes  Kanzlers  Brück, 
von  dessen  traurigem  Ende  schon  oben  die  Rede  war. 
Auch  sein  späterer  intimer  Verkehr  mit  Grambach,  der  ihn 
mit  der  Hoffnung  köderte,  durch  seinen  Beistand  wieder 
in  den  Besitz  der  abgetretenen  sächsischen  Kurlande  zu 
kommen,  zeigt  die  Leichtgläubigkeit  des  Herzogs  °).  Es 
war  eine  Art  Größenwahn,  genährt  durch  lange  Vertraut- 
heit mit  dem  Evangelium,  aber  ohne  demütige  Beugung 
unter  dasselbe,  der  ihn  zu  solchen  Willkürakten,  wie  die 
oben  erwähnte  Absetzung  des  Flacius  und  seiner  Kollegen 
und  später  der  40  thüringischen  Prediger,  veranlaßte. 
Er  glaubte,  alles  allein  zu  verstehen,  ohne  zu  bemerken, 
daß    er    von     listigen    Leuten     irregeleitet    wurde.      Guten 


1)  Kluckhohn,  Briefe  Friedrichs  III.,  S.  150. 

2)  Codex    germanicus    der    Münchener    SlaatsbibHothek    1318, 
f.   59  (bei  Preger  II,  155). 

3)  Schlosser,  Weltgeschichte,  XIII,  S.  31'J— 323. 


—    n?    — 

Rat  von  jenen,  die  ihn  liebten,  erbat  er  sich  nicht.  Ja, 
es  ist  interessant,  daß  er  in  den  Briefen  an  seinen 
freilich  nur  etwa  15  Jahre  älteren  Schwiegervater,  Fried- 
rich III..  niemals  dieser  Katastrophen  gedenkt,  wie  aus 
Kluckhohns  Sammlung  der  Briefe  dieses  Fürsten  erhellt. 
Zwar  weiß  Johann  Friedrich,  indem  er  die  Unkenntnis  des 
pfälzischen  Kurfürsten  benutzt,  ihm  gehörige  Lektionen  zu 
ireben,  besonders  über  die  Abendmahlslehre.  Seine  Briefe 
enthalten  sogar  exegetische  Erörterungen  über  Joh.  6  und 
die  mündliche  Nieliungdes  Leibes  Christi^).  Auch  be- 
beschwert er  sich  darüber,  daß  Friedrich  ihln  und  seinen 
Theologen  vorwirft,  sie  hätten  in  Rosen  gesessen,  während 
man  wohl  andere  Miene  machen  würde,  wenn  es  einmal  zum 
Blutvergießen  käme'^).  Er  fragt  aber  nicht  um  Rat  in  den 
eigenen  Verlegenheiten,  sondern  giebt  immer  nur  ungefragt 
Ratschläge,  wohl  in  der  Meinung,  der  Kurfürst  verstünde 
doch  nichts  von  der  Sache  oder  würde  ihm  etwa  raten, 
was  in  seiner  Lage  zu  befolgen  unmöglich  ^). 

Genug,  der  Herzog,  jeden  frommen  Rates  bar,  unter- 
nahm es,  zu  Hause  in  seiner  Weise  Ordnung  zu  schaffen, 
und  zwar  —  als  echter  Vertreter  des  von  Luther  so  gerügten 
Cäsai-eopapismus  —  mit  Amtsentsetzung  und  Verbannung, 
wo  es  mit  der  Überredung  nicht  gehen  wollte.  Damit 
treten  die  Ereignisse,  die  zu  jenem  ersten  Exodus  der 
thüringischen  Prediger  führten ,  ins  rechte  Licht :  Der 
Herzog  spielt  eine  große  Rolle  auf  dem  Reichstage  zu 
Worms  1557,  wo  seine  Theologen,  Schnepf  und  Stößel,  es 
zum    Abbruch    des    Gespräches     bringen.     Er    läßt    sodann 


1)  Kluckhohn,  Briefe  Friedrichs  III.  an  verschiedenen  Stellen. 

•2)  Kluckhohn  I,  S.  260,  vergl.  S.  252. 

3)  In  den  wichtigsten  Entscheidungen  wird  vom  Herzog  nie  sein 
Schwiegervater  Friedrich  von  der  Pfalz  um  Rat  angesprochen;  sein  Kon- 
futationsbuch  schickt  er  der  glaubensverwandten  Schwiegcrm  utter^Maria 
(Kluckhohn  I,  S.  130),  denn  Friedrich  selbst  war  auf  die  Jenaer  Theo- 
logen allzu  erbost,  wie  aus  der  Korrespondenz  mit  dem  Schwieger- 
sohn wiederholt  hervorgeht  (Kluckhohn,  a.  a.  O.  I,  S.  136  u.  ö.). 

5* 


—     68     — 

von  fliesen  eine  „Konfutationsschrift"  ^)  aller  in  die 
lutherische  .Lehre  eingeschlichenen  Korruptelen  verfertigen 
(1558).  Damit  geht  er  ganz  in  den  Bahnen,  die  Flacius 
und  Wigand  ihm  zur  Fernhaltung  der  interimistischen, 
majoristischen  und  neuerdings  auch  synergistischeu  Händel 
voi'gezeichnet  hatten.  Alsbald  aber,  da  die  Theologen 
und  der  1559  nach  Jena  berufene  Pastor  Winter  dem 
Herzog  zu  weit  zu  gehen  schienen  und  gewissen  Lieblingen 
des  Hofes,  wie  dem  Antwerpener  Wesenbek  und  Diirfeld,  die 
Zumutung  machten,  sie  sollten  sich  zur  Konfutationsschrift 
bekennen  oder  aber  der  x^usübung  gewisser  kirchlichen 
Rechte  (z.  B.  der  Taufpatenschaft)  begeben,  entstand 
großes  Geschrei.  Die  Betroffenen  hüllen  sich  in  vor- 
nehmes Schweigen  oder  schützen  Unwissenheit  vor;  Wesen- 
bek will  auf  einmal  den  strittigen  Punkt  vom  freien 
Willen  nicht  verstehen ;  und  beide  appellieren  an  den  Hof 
und  ihre  dortigen  Schützer,  besonders  an  Brück  ^j.  Und  doch 
war  diese  Handlungsweise  der  Theologen  nichts  Unerhörtes. 
Ein  ähnlich  strenges  Vorgehen  erfuhr  später  die  Kurfürstin 
Maria  von  der  Pfalz  bei  ihrem  Aufenthalt  in  Weimar  ^^). 
Man  lehnte  sie  wegen  ihres  reformierten  Glaubens  als  Tauf- 
patin ab,  worüber  ihr  Gemahl  sich  beim  Schwiegersohn 
Johann  Wilhelm  beklagt  (Nov.  1563).  Der  Herzog 
aber,  dem  man  schon  die  spanische  Inquisition  vor  die 
Augen  zauberte,  schränkte  nach  dem  Vorfall  mit  Wesenbek 
solchen  Gebrauch  seines  Konfutationsbuches  ein  und  re- 
servierte sich  zuletzt  die  Kognition  in  diesen  Dingen  selbst. 
Er  will  den  Binde-  und  Löseschlüssel  selbst  an  sich  nehmen 
und  zu  dem  Ende  ein  Konsistorium  in  Weimar  errichten, 
in  welchem  die  Theologen  nur  neben  den  Juristen  und    dem 


1)  Bei  diesem  sogenannten  Konfutationsbuch  war  (nach 
Planck  IV,  1,  S.  586  ff.)  Flaciu.s  nicht  raitthätig,  sondern  Strigel, 
Sc'hncpf  und  Hügel  waren  die  Verfasser ;  wohl  aber  nahm  Flacius  Ein- 
fluß auf  eine  lööS  zu  Weimar  vorgenommene  Änderung  des  Buches. 

2)  S.  Preger,  a.  a.  O.  II,  S.  185. 

3)  Kluckhohu,  I,  S.  -171. 


-     69     - 

Herzog  eine  Rolle  spielen  dürfen.  An  dieses  Konsistorium 
seien  alle  Zuchtfälle  behufs  oberster  Entscheidung,  die  im 
Zweifelsfalie  sich  der  Herzog  vorbehalte,  zu  leiteu  ^).  Die 
Theologen  Flacius,  Wigand,  Musäus  und  Judex  wehrten 
sich.  An  ihrer  Seite  kämpfte  die  gesinnungstreue  Geistlich- 
keit des  Landes.  Ihre  Argumente  waren  folgende :  Die 
Konsistorial Ordnung  sei  von  keiner  kompetenten  Autorität 
(Synode)  angeordnet  ;  der  Herzog  sei  weder  die  Kirche 
selbst,  noch  das  Haupt  der  Kirche,  sondern  ein  Glied  der- 
selben. Die  Theologen  müßten  das  Recht  der  Kirche  zurück- 
fordern und  den  Cäsareopapismus  verdammen.  Man  wollte 
eben  der  weltlichen  Obrigkeit  nicht  die  Macht  eingeräumt 
wissen ,  die  von  den  Sakramenten  Zurückgewiesenen  den- 
noch zuzulassen.  Zwar,  das  geben  die  Theologen  zu  be- 
denken, hätten  die  Fürsten  die  Kirchengüter  und  das  Recht, 
die  Prediger  zu  berufen,  an  sich  gerissen  ;  aber  sie  hätten 
darum  doch  den  Dienern  der  Kirche  nicht  gleich  ihren 
Vasallen  zu  befehlen  '-).  Die  Theologen  wollten  der  Kirche 
die  Befugnis  gewahrt  wissen ,  welche  Jesus  Christus 
derselben  verliehen.  Sie  waren  Vorkämpfer  für  die  Frei- 
heit der  Kirche  und  des  von  rechtswegen  ihr  zu- 
stehenden Binde-  und  Löseschlüssels  und  spannten  ihre 
Forderungen  höher,  als  selbst  Calvin  um  diese  Zeit  in  Genf 
es  that.  Insbesondere  gegen  die  übertriebene  Büchercensur 
und  das  Verbot,  im  Ausland  gedruckte  Bücher  im  Inland 
zu  verkaufen,  opponierten  sie  und  setzten  ein  eigenes, 
höchst  interessantes  Responsum  über  die  Preßfreiheit 
(de  praelorum  libertate)  auf,  welches  sie  an  den  Herzog 
gelangen  ließen  3).  „Seit  der  Erfindung  der  Buchdrucker- 
kunst"', sagen  sie,  „ist  solche  Knechtschaft  in  Deutschland 
nicht  erhört."  Sie  warnen  mit  Luther  vor  dem  kaiserlichen 
Papsttum.     Der    Herzog,    in    seinem    Größenwahn    hart    au- 


1)  Salig,   Geschichte    der  Augsburger  Konfession,  III,    S.  585. 

2)  Planck  IV,  I.  Bd.,  Buch  :^,  8.  637. 

3)  Preger  II,  S.  155  f. 


-     70     — 

getastet,  antwortet  sehr  entschlossen,  und  Schlag  auf  .Schlag 
trifft  nun  die  Theologen.  Musäus  wird  entlassen.  Judex  ab- 
gesetzt wegen  des  Druckes  einer  Schrift,  die  das  Papsttum 
betraf,  im  Auslande;  Flacius  und  Wigand  werden  mit 
Schimpf  und  Schande  von  Jena  fortgewieseu.  Die 
letzteren  ertragen  den  von  Brück  ihnen  angethanen  Affront 
mit  Würde.  Mit  dem  Weggang  des  Flacius  und  seiner 
Kollegen  war  auch  die  Blütezeit  Jenas  vorbei.  Geringere 
Geister  kamen  an  ihre  Stelle,  wie  denn  überhaupt  auf 
jener  Seite  die  bedeutendsten  Theologen  der  Zeit  standen. 
Auch  jüngere  tüchtige  Kräfte  zogen  mit  Flacius  ins  Exil, 
so  Krell  und  Melissander,  welche  im  Süden  zu  angesehenen 
Stellungen  gelangten ;  ersterer,  wie  wir  sehen  werden,  als 
Superintendent  in  Laibach,  letzterer  als  Professor  in  Lauingen, 
nachmals  wieder  in  Jena,  wo  man  ihn  einst  als  Verbreiter 
einer  Entschuldigungsschrift  des  Flacius  schimpflich  relegiert 
hatte,  endlich  in  Altenburg  i). 

Nach  solcher  Ungerechtigkeit  war  es  nicht  zu  verwundern, 
daß  auch  die  thüringische  Geistlichkeit  die  harte  Hand  des 
Landesherrn  zu  fühlen  bekam.  Gleich  als  ob  er  die  fatale 
Sache  mit  Gewalt  ersticken  wollte,  wurde  nun  den  Predigern 
durch  eine  neue  Visitation  (1562)  zwangsweise  auferlegt,  sich 
des  Zankes  über  den  Synergismus  zu  enthalten.  Der  all- 
gemeine Verdacht  gegen  Strigel  und  dessen  Gönner  sollte  aus 
der  Welt  geschafft  werden.  Stößel  setzte  eine  neue  Formel  auf, 
in  welcher  die  Deklaration  Strigels  den  Pfarrern  des  weitereu 
mundgerecht  gemacht  werden  sollte,  und  verlangte  bloß  von 
ihnen,  daß  sie  dieselbe  unterschrieben.  Als  auch  das  nicht 
half,  ermäßigten  die  Visitatoren  ihre  Forderung  dahin,  daß 
man  nur  bedingungsweise  zu  unterschreiben  und  zu  versprechen 
brauchte,  vom  Disputieren  ablassen  zu  wollen,  falls  Strigel 
wirklich  in  seiner  Deklai-ation  dem  Synergismus  entsagt 
habe,  was  anzunehmen  oder  nicht  anzunehmen  einem  jeden 
überlassen    wurde.     Jene  Prediger    nebst  mehreren  anderen 

1)  Vergl.  Preger  II,  S.  178. 


—    71     — 

ürklärten  jedoch,  liebe)'  das  Land  räumen  als  ihr  Gewisse 
damit  bestricken  zu  wollen.  Ihre  Weigerung  aber  veranlaßte 
eine  solche  Gärung  unter  dem  Volke,  daß  die  Visitatoren 
nicht  mehr  mit  Sicherheit  im  Lande  herumreisen  konnten. 
So  ging  es  im  Weimarischen  und  im  Gothaischen.  Man 
begann  nun  damit,  die  Superintendenten  Bresnicer  (Alten. 
bürg)  und  Rosinus  (Weimar)  abzusetzen,  um  ein  warnendes 
Beispiel  zu  statuieren.  Zu  gleicher  Zeit  aber  gingen  die 
Visitatoren  noch  weiter  in  ihrer  Nachgiebigkeit.  Um  nur 
etwas  auszurichten,  überließ  man  es  den  Predigern  selbst 
unter  welchen  Bedingungen  und  Klauseln  sie  sich  fügen 
wollten.  Dies  geschah  in  der  Weise,  daß  man  mit  Um- 
gehung der  Victorinischen  Deklaration  sich  gänzlich  auf 
die  Schrift  Luthers  „Vom  knechtischen  Willen"  und  auf  das 
Konfutationsbuch  zurückzog  ^).  Denen,  die  auch  jetzt  noch 
unschlüssig  blieben,  gab  man  einige  Monate  Bedenkzeit 
und  gewann  so  ihrer  mehrere.  Dennoch  blieb  noch  immer 
eine  eroße  Anzahl  unerschütterlich  auf  dem  Punkte  stehen, 
man  könne  sich  weder  auf  die  Strigelsche  Deklaration  noch  auf 
die  Formeln  der  Visitatoren  ohne  Verletzung  des  Gewissens 
einlassen.  Zu  allerletzt  kam  ein  Befehl  des  Herzogs 
vom  15.  Oktober,  wonach  die  Prediger,  mit  gänzlicher  Beiseite- 
lassung irgend  welcher  Unterschrift,  das  Eifern  auf  den 
Kanzeln  gegen  jene  Deklaration  zu  unterlassen  hätten.  Als 
sie  auch  diesem  Befehl  widerstanden,  wurden  ihrer  40  ab- 
gesetzt ^). 

Das  Bedenkliche  an  diesen  Leuten  war  eben  der 
Widerstand,  den  sie  in  gewissen  Sachen  der  Obrigkeit 
entgegenstellten,  unter  welchem  Vorwande  man  sie  damals 
freilich  leicht  an  den  Pranger  stellen  konnte.  Mit  gutem 
Gewissen  konnte  Magdeburgius ,  einer  der  vornehmsten 
jener  Vertriebenen,    in  der  Vorrede   zu    seinem  Bekenntnis, 


1)  Vgl.    Planck,    a.  a.   ().  S.  659  f.    So    im    Gothaischen    und 
Ron  neburgischen . 

2)  28    von    ihnen    rechtfertigten   sich  in   der  p.  63    genannten 
Schrift. 


—     72     - 

das  er  in  Üsterreicli  herausgab  (15.  November  1560),  sagen  : 
„Warumb  etliche  aiiß  den  vnseru  auß  Landen  vnn  Stetten 
verjagt  sein  worden,  wird  ein  jeglicher  für  sich  (wenn  man 
jhm  dazn  weyter  vrsach  geben  wird)  wol  wissen  vrsach 
anzuzeigen  vnd  rechenschafft  zugeben"  (C  III).  Damit 
wahrt  sich  der  Schreiber  das  hohe  Prinzip  der  Grewissens- 
freiheit,  also  des  Satzes :  „Man  soll  Gott  mehr  gehorchen 
als  den  Menschen."  Es  ist  dasselbe  Prinzip,  das  Luther 
beseelte^)  in  seiner  Schrift  von  der  Gewalt  der  weltlichen 
Obrigkeit,  die  er  im  Jahre  1523  herausgab  und  dem  Herzog 
Johann  von  Sachsen  zueignete.  In  dieser  Schrift  ver- 
tritt er  kräftig  den  Grundsatz,  daß  in  Glaubenssachen  die 
weltliche  Obrigkeit  nichts  dreinzureden  habe:  „den  Ketzern 
zu  wehren  sei  Sache  der  Bischöfe  und  nicht  der  Fürsten." 
Gottes  Wort  soll  hier  streiten:  „wenn  das  nichts  ausricht, 
so  wird's  wohl  unausgericht  bleiben  von  weltlicher  Ge- 
walt, ob  sie  gleich  die  Welt  mit  Blut  füllte."  £s  ist 
ferner  dasselbe  Prinzip,  welches  Gallus  und  Flacius  trieb, 
gegen  das  Interim  aufzutreten.  Auf  den  Brief  etlicher 
Prediger  in  Meißen  mit  der  Frage,  ob  sie  lieber  weichen 
als  den  Chorrock  ^ )  anziehen  sollten,  rufen  sie  die  Kirche 
mit  großem  Pathos  an.  Sie  sagen:  „Es  wird  sehr  ge- 
sündiget von  der  kirche  in  dem,  das  sie  alleine  die  prediger 
im  streit  lest,  auff  sie  alleine  den  haß  vnd  die  gefahr  des 
bekentnis  wirfft.  Denn  die  kirche  solte  zugleich  ein- 
trechtiglich  beide  den  Fürsten  vnd  Seelsorgern  zufus  fallen 
für  die  Religion,  vnd  auch  darneben  anzeigen,  sie  wolt  auft' 
keinerlei'  weis  gestadten,  das  jr  Pfarherr  jrgent  eine  ver- 
enderung  um  der  kirche  zugebe,  denn  sie  habe  einen  befehl 
von  jhrem  einigen  Hirten  Christo,  das  sie  sich  für  dem 
Sawerteig  der  Phariseer  vnd  für  den  wollfen  hüten  soll. 
Also    bekennet    die  Herde    vnd    liede  '^j    zu  gleich     mit    den 


1)  Planck,     Ge!5chichte     des    protestantischen     Lehrbegriffes, 
II,  S.  53. 

2)  Das  Anziehen  dos  Chorrockes  galt  als  der  erste  Schritt  auf 
tler  abschüssigen  Bahn  zum  Papsttmu. 

3)  d,  i.  litte. 


73 


Hirten"  (A  III).  —  Weiter  unten  antworten  sie  auf  die 
Alternative,  ob  man  im  Punkte  des  Meßgewandes  nachgeben, 
oder  aber  aus  dem  Lande  weichen  solle :  „8n  solt  jhr  dem 
Fürsten  antworten  vnd  öffentlich  in  der  predigt  anzeigen, 
jhr  weret  von  dem  heiligen  Geiste  vnd  nicht  von  den  welt- 
lichen Herrn  vber  die  Herde  zu  Bischoffen  vnd  hirten  gesetzt. 
Ihr  könnet  nicht  vmb  menschen  gebot  willen  die  schaffe 
verlassen,  auch  nicht  das  kleid  anziehen,  der  angezeigten 
vrsach  halben.  Sonderlich  aber  die  weil  jhr  sehet  das  es 
alles  dahin  gerichtet  sey,  das  die  Bepstische^  j  Gotslesterungen 
auffgericht  werden,  wie  das  Leipsische  Interim  "''j  vnd  Aus- 
zug klar  zeugen.  Das  sollen  ja  billich  die  Prediger  sagen 
vnn  also  die  armen  schaffe  vor  dem  Wolff  oder  Antichrist 
öffentlich  warnen".  —  Zuguterletzt  aber  raten  Gallus  und 
Flacius  den  Schreibern  des  Briefes,  wenn  sie  alles  gethan 
hätten,  um  die  Schafe  zu  warnen  und  es  nicht  geholfen, 
alsdann  sollten  sie  den  Staub  von  den  Füßen  schütteln  und 
von  ihnen   weichen  •*). 

Gleichwie  es  damals  geraten  wurde,  also  geschah  es 
jetzt  seitens  der  thüringischen  Prediger:  sie  gingen  aus 
ihrem  Heimatlande  weg.  Man  mag  ihnen  wenig  Füg- 
samkeit und  allzu  schroffe  Energie  zur  Last  legen,  wie  es 
auch  vireidlich  geschehen  ist  in  alter  und  neuer  Zeit,  —  dennoch 
nahmen  sie  ein  großes  Prinzip  mit  sich  in  die  Fremde,  das 
Prinzip  der  Gewissensfreiheit:  daß  also  in  geistlichen  Dingen 
weder  Kaiser  noch  Herzog  dreinzureden  hätten.  Mit  Arg- 
wohn wurden  sie  empfangen,  wo  immer  sie  hinkamen;  und 
so  gerieten  sie  bald  in  Konflikt  mit  den  österreichischen 
Ständen  wie  mit  dem  Kaiser,  der  auch  wohl  von  solchen 
beraten  wurde,  die  der  gegnerischen  wittenbergischen  Rich- 


1)  päpstliche. 

2)  Das  Leipziger  Interim  vom  Jahre  1548. 

3)  S.  die  Schrift  „Autwort  M.  Nicolai  Galli  vnd  M.  Fla. 
lUyrici  auff  den  brieff  etlicher  Prediger  in  Meissen,  von  der  Frage, 
Ob  sie  lieber  weichen,  denn  den  Chorrock  anzihen  sollen",  gedruckt 
zu  Magdeburg  bei  Christian  Roedinger. 


—     74     — 

tuug  angehörten.  Man  witterte  Aufruhr  in  der  Landschaft  Öster- 
reich, und  die  Vertriebenen  hatten  überall  mit  Mißgünstigen  zu 
thun,  welche  ihre  Lehre  und  Wandel  begeiferten,  obwohl  sie 
freudige  Bekenner  Christi  waren.  Sie  bildeten,  wie  auch 
Wiedemann  anerkennt  i),  eine  „sehr  energische  und  thätige 
Partei"  ,  wir  dürfen  sagen,  gleichsam  das  Rückgrat  in  der 
evangelischen  Kirche,  das  schwer  zu  beugen  war. 


Dem  ersten  Exodus  folgte  zu  Anfang  des  nächsten 
Jahrzehnts  ein  zweiter  (1571 — 1573),  der  direkt  durch 
die  Parteinahme  für  Flacius  verursacht  war.  AVir  nennen 
nur  Christoph  Irenäus,  Friedrich  Cölestin,  N.  Hacus,  Martin 
Wolf,  die  nebst  vielen  anderen  Thüringen  verlassen  mußten. 
Hier  standen,  wie  der  oben  genannte  Adam  Giller  bemerkt, 
die  „beständigen  Flacianer"  den  „verkehrten  Accidentzern", 
gegenüber,  welch  letztere  „das  Accidentz  Victorini  ge- 
ziegelt^j  hatte",  und  die  nun  die  Flacianer  verfolgten^). 
Erst  seit  dem  zweiten  Exodus  darf  man  von  „Flaciauern" 
in  Österreich  reden.  Dieser  Nachschub  fand  dort  abermals 
bereitwillige  Aufnahme.  Wiederum  waren  die  neuen  An- 
kömmlinge theologisch  gebildeter  als  die  bisherigen 
Pfarrer.  Sie  nannten  sich  exules  Jesu  Christi.  Schließ- 
lich fand  noch  1573  eine  dritte  Vertreibung  von 
streng  lutherischen  Theologen  aus  Thüringen  statt,  als 
Kurfürst  August  mit  Hilfe  des  Kaisers  die  Vormund- 
schaft in  den  durch  Johann  Wilhelms  Tod  verwaisten 
sächsischen  Herzogtümern  erhalten  ^)  und  nun  aus  Rache  alle 
Gegner  seiner  Richtung  —  damals  der  melanchthonischen 
— ,  auch  Wigand  und  Heshusius,  fortschaffen  ließ,  wobei 
so    viele   Prediger    das  Land     räumen    mußten,    daß     großer 

1)  a.  a.  O.  ßd.  I,  S.  330. 

2)  großgezogen. 

3)  Vgl.  das  Nähere  bei  Preger,  II,  242  ff,  310-343,  356  f. 

4)  Preger  II,  382  f. :  111  Pfarrer  der  strengen  Kichtung  wurden 
vertrieben  aus  Thüringen  und  Pfarrer  von  der  Wittenberger  Rich- 
tung an  ihre  Stelle  gesetzt. 


-     75    - 

Mangel  an  Kandidaten  eintrat.  Auch  von  diesen  Ver- 
triebenen kamen  etliche  nach  Österreich  ^).  Rosinus  ging 
nach  Regensburg,  Heshusius  und  Wigand   nach  Preußen. 

Wenden    wir    uns    nun    dem     Anlaß     des    zweiten 
Exodus  zu,  dem  Streite  über  die  „Erbsünde".     Indem 
Strigel  auf  dem  Kolloquium    zu    Weimar   dem  Flacius    be- 
ständig auswich,    als  dieser    das  Zustandekommen    der  Be- 
kehrung ausschließlich  von  der  göttlichen  Gnade    abhängig 
machte,     so    blieb    Flacius    gegen   ihn   im    Recht.      Flacius 
lehrte    mit    Luther    nicht    nur    (wie    Etliche   thaten),    daß 
der  natürliche  Mensch  in    der  Bekehrung  sich  rein  leidend 
verhalte    und      zum     Guten    völlig     erstorben     sei,     sondern 
auch,      daß     er      nur      widerstreben      könne     (repugnative, 
nicht  bloß  passive)    und  sich  vor,    in  und  nach    der  Be- 
kehrung   nur    widerstrebend    verhalte.      Flacius    und    seine 
Schüler    stellen    dem    Synergismus    Strigels    einen    aktiven, 
beharrlichen  Widerstand  des  Willens  entgegen;  sie  tragen 
hier    der    menschlichen    Selbstbestimmung     durchaus    keine 
Rechnung  —    die    Wiedergeburt   ist    eine    neue    Schöpfung 
— ,    und   das  war  einzig  und  allein  gemäß  der  Lehre  Luthers. 
Flacius     war     vollkommen     im     Recht    gegenüber 
Strigel.     Solange  als  Luthers  und  der  Augustana  Defini- 
tionen   feststanden ,    sowohl    diejenigen,     welche    das    Bild 
Gottes     als     Substanz     im     Menschen    betrachten     lehrten, 
als     auch     die     Sätze     von     der     Erbsünde     im      zweiten 
Artikel,    konnte     Flacius     nicht     anders     handeln,     als     er 
that.     Er  mußte  die  Erbsünde  als    an    die    Stelle  des  gött- 
lichen    Ebenbildes    oder    der    ursprünglichen    Gerechtigkeit 
getreten  ansehen.     War  die  Gerechtigkeit  Substanz  gewesen, 
dann  war  es  natürlich  auch  die  an  ihre  Stelle  getretene  Erb- 
sünde. Victorinus  Strigel  dagegen  lenkte  im  reinen  Verstandes- 
interesse wieder  in  die  alten,  von  Luther  verlassenen  Bahnen 
zurück,  wenn  er,  ganz  zur  Unzeit,  die  Freiheit  des  Willens 
bis  zu  einem    gewissen  Punkte  gewahrt  wissen  wollte.     Er 


1)  Planck,  a.  a.  O.  V.  11.  602. 


-     76     — 

rechnete  <len  freien  Willen  zur  nnvertilgbaren  Substanz  des 
Menschen  und  fand  an  diesem  leeren,  inhaltslosen  Willen 
doch  noch  etwas  Gutes,  Ucämlich,  daß  er,  unterstützt  vom 
heiligen  Geist,  eine  Mitwirkung  habe  im  entscheiden- 
den Punkt  der  Bekehrung,  d.  h.  wollen  oder  widerstehen 
könne.  Das  war  der  alte  römische  Irrweg,  der  im  Interim  und 
später  im  Lehrbegriff  des  tridentinischeii  Konzils  betreten 
ward^).  Die  alten  Gegensätze,  die  auch  Melanchthon, 
wenigstens  noch  in  den  Locis  von  1521.  vertreten,  machten 
hier  milderen  Sätzen  Platz,  die  Raum  ließen  für  eine, 
wenn  auch  noch  so  geringe,  Mitwirkung  des  mensch- 
lichen Willens. 

Der  Satz,  daß  die  Erbsünde  nur  ein  Accidens  sei 
und  dem  Willen  nicht  also  anhänge,  daß  derselbe  nicht 
fähig  sei,  neben  dem  heiligen  Geist  mitzuwirken,  war 
theologisch  falsch,  wenn  auch  in  der  Philosophie  sich  dar- 
über disputiren  ließ.  Als  auf  dem  Kolloquium  zu  Weimar 
Strigel  dem  Flacius  die  Frage  stellte :  „An  tu  negas,  pecca- 
tum  Originis  esse  Accidens?"  antwortete  jener:  „Lutherus 
lehret  2),  die  Erbsünde  sei  de  essentia  hominis  •'')". 

Aus  solchem  Anlaß  ist  die  Erklärung  des  ganzen 
flacianischen  Erbsündestreits  zu  ersehen.  Strigel  ist  es,  der 
den  Anlaß  dazu  gab.  Auf  die  übel  angebrachte  Distinktion 
zwischen  Accidens  und  Substanz,  die,  theologisch  genommen, 
hier  nichts  verschlug,  mußte  zur  Antwort  dienen,  daß  die 
Erbsünde  tiefer  gehe,  nämlich:    peccatum  originis    est  sub- 


1)  Canones  Conc.  Trid. :  Homo  non  nihil  agit  —  der  Wille 
konkurriert  bei  der  Rechtfertigung  des  Menschen  vor  Gott. 

2)  Am  Rande  bei  Francus  in  der  gleich  zu  nennenden  Schrift 
steht:  In  Genesin,  Cap.  II. 

3)  Dies  ist  der  Wortlaut  nach  Jonas  Francus  in  seiner  Schrift : 
Warnung  wider  das  Pfützwerk  Dr.  Joh.  Wigandi  (gemäß  dem  Exem- 
plar mi  Regensburger  Stadtarchiv).  Preger  (II,  202)  citiert  aus  seiner 
Quelle:  .,Quod  sit  substantia,  dixi  Scripturam  et  Lutherum  affirmare." 
Er  giebt  aber  zu,  daß  dies  nichts  anderes  meine,  als  de  essentia 
hominis,  also  im  Gegensatz  zum  Strigelschen  Accidens  gewählt 
worden  sei. 


—     77     - 

stantia  hominis  corrupta.  Oder,  wie  besser  mit  Luther  zu 
sagen  gewesen  wäre:  peccatum  originis  est  de  substantia 
hominis.  Nur  diese  Antwort  genügt  dem  Interesse,  das 
der  Glaube  an  der  Frage  nimmt.  Die  Kirchenlehre  hat 
auch  die  Frage  stets  in  des  Flacius  Sinn  beantwortet,  obwohl 
unter  Ablehnung  seiner  Terminologie. 

Nach  der  Weise  der  Zeit  wurde  nun  dieser  gelegent- 
liche Satz,  der  in  einer  Disputation  ganz  zulässig  war, 
auch  anfangs  nicht  besonders  auffiel,  von  Flacius  zum 
obeisten  Leitthema  im  .Erbsündestreit  erhoben,  und  zwar 
geschah  dies  sieben  Jahre  später  in  der  Clavis  scrip- 
turae  sacrae  (Basel  1576).  Damit  wai  den  Gegnern 
und  leider  auch  den  Freunden,  die  solche  Redeweise 
perhorrescierten,  eine  willkommene  Zielscheibe  im  Kampfe 
geboten.  Und  da  man  mit  der  Behauptung,  die  Erbsünde 
sei  Accidens,  selbst  in  einem  gläsernen  Hause  saß  (wie  ehe- 
mals die  scholastische  Theologie),  so  mußte  man  um  so  mehr 
das  Wort  „Substanz"  beschimpfen  und  in  den  Kot  zerren. 
Die  moralische  Entrüstung  ob  der  Ausdrucksweise  des 
Flacius,  welche  seine  Gegner  (besonders  Heshus,  Wigand 
und  Mörlin)  zur  Schau  trugen,  lenkte  in  erwünschter 
Weise  die  Aufmerksamkeit  ab  von  der  Schwäche  der 
eigenen  Ausdrucksweise  (von  dem  synergistisch-römischen 
(Accidens);  denn  im  Grunde  war  man  in  der  Lehr 
von  der  Erbsünde  mit  Flacius  durchaus  einig  und 
verwahrte  sich  nur  vor  dem  Mißverständnis,  als  ob 
der  Mensch  aus  einer  Kreatur  Gottes  eine  Kreatur  des 
Teufels,  d.  h.  substantiell  böse,  geworden.  Das  meinte  ja 
Flacius  auch  gar  nicht,  und  wenn  man  es  gegen  ihn  be- 
hauptete und  in  langer  Rede  bewies,  so  that  man  etwas 
höchst  Überflüssiges. 

Für  die  Lehre  von  der  Erbsünde  trug  der  Nachweis:  die 
Substanz  des  Menschen  sei,  insoweit  sie  nun  einmal  aus 
Gottes  Schöpfung  hervorgegangen,  noch  gut,  nichts  aus. 
Sie  verbesserte  auch  die  Sache  des  Menschen  im  gött- 
lichen     Gericht      keineswegs,     wenn     nach     der     heiligen 


—     78     — 

Schrift  und  der  Lehre  der  Kirche  „unsere  Natur  also  ver- 
giftet worden,  daß  wir  alle  in  Sünden  empfangen  und  ge- 
boren werden"  i),  oder  wenn  dieselbe  (nach  anderen  refor- 
matorischen Ausdrücken)  „coram  Deo  rea"  (vor  Gott  schuldig) 
und  wir  Menschen  vor  dem  geistlich  richtenden  Gesetz 
„untüchtig  zu  einigem  Guten  und  geneigt  zu  allem  Bösen' 
sind  2).  Optimi  pessima  corruptio.  Was  nützt  alles  Reden 
von  der  Güte  der  Substanz,  von  der  Unversehrtheit  des 
Verstandes  und  Willens,  wenn  dieser  Verstand  und  dieser 
Wille  seit  Adams  Fall  gänzlich  untauglich  geworden,  und 
wenn  dem  Menschen  zwar  noch  Verstand  und  Wille  ge- 
blieben, er  aber  dieselben  in  gänzlich  verkehrter  Richtung) 
d.  h.  gegen  Gott  und  sein  heiliges  Gesetz  verwendet? 
Wenn  nun  die  W^ahl  zwischen  dem  Strigelschen  Ausdruck: 
„die  Erbsünde  ist  Accidens"  und  dem  flacianischen  Aus- 
druck: „sie  ist  Substanz  allein"  übrig  bleibt,  so  müssen  wir 
sagen,  Placius  habe  das  größere  Rechtim  Vergleich  zu  Strigel. 
Ja,  die  übertriebensten  Flacianer  waren  zu  jener  Zeit 
immer  noch  besser  als  jene  mattherzigen  Accidenzer,  die 
aus  der  noch  irgendwie  gut  zu  nennenden  menschlichen 
Natur  immer  wieder  neue  Hilfsmittel  zur  Selbstbestimmung 
des  Willens  im  Punkte  der  Bekehrung  herbeiholen  konnten 
und  zuweilen   auch  herbeiholten'^). 

Obwohl  zuzugeben  ist,  daß  die  Gegner  des  flacianischen 
Ausdruckes  Substanz,   zu    denen    seit  dem    Jahre   1568    die 


1)  Heidelberg.  Katechismus,  Fr.  7,  in  Übereinstimmung  mit 
der  gesammten  protestantischen  Lehre.  Hauptverfasser  des  Katechis- 
mus ist  der  Breslauer  Ursinus,  Schüler  Melanchthons,  Moibans  und 
Peter  Martyrs. 

2)  Heid.  Kat.,  Fr.  8. 

3)  Man  vergl.  aus  damaliger  Zeit  die  Parajiblete  des  Christoph 
Lasius,  Predigers  zu  Küstrin  in  der  Mark,  welche  den  Flacius  veran- 
laßten,  zu  seiner  Rechtfertigung  die  im  Manuskript  bereits  einzelnen 
mitgeteilte  Schrift  ]"vw5i  oeauiov  in  den  Druck  zu  geben.  Derselbe 
Lasius  sprengte  die  Sage  aus,  Luther  habe  seine  Schrift  „De 
servo  arbitrio"  widerrufen.  Zu  ihm  stand  auch  Melanchthon  in  näherer 
Beziehung;  er  schrieb  die  Vorrede  zu  einem  seiner  Werke;  s.  Janssen 
Vni,  410. 


-     79     - 

angesehensten  Lutheraner  gehörten,  eine  an  sich  berechtigte 
Wahrheit  vertraten,  so  ist  doch  zu  beklagen,  daß  sie  es  zur 
Unzeit  gethan  und  zur  Unzeit  dem  Flacius  ein  Ketzer- 
gewand angezogen   haben. 

Heshus  war  es,  der  zufolge  eines  Mißverständnisses  des 
oben  genannten  Manuskripts  des  Flacius  diesem  die  unsinnige 
Konsequenz  aufbüidete,  er  mache  den  Teufel  zum  Schöpfer 
der  Substanz,  und  der  in  diesem  Stück  nur  allzuwilligen 
Glauben  fand.  Heshus,  Mörlin,  Wigand  befanden  sich  dabei 
zugleich  in  Auflehnung  gegen  die  ihrem  Ruhm  gefährliche 
Diktatur  des  Flacius,  welche  demselben  seiner  Gaben  wegen 
und  durch  die  Verhältnisse  zugefallen  war;  denn  als  nach 
dem  Interim  alle  schwiegen,  da  begann  Flacius  zu  schreien. 
Aber  freilich,  es  gelang  den  Gegnern,  die  flacianische 
Lehrweise  vom  schützenden  Boden  der  Augsburgischen 
Konfession  gründlich  zu  verdrängen  und  auch  in  Osterreich 
zu  verfemen.  Und  das  ist  höchst  verhängsnisvoll  für  diese 
Länder  geworden.  Von  großer  Wichtigkeit  ist  aber,  daß 
die  neuere  Forschung  den  Flacius  durchaus  wieder  ins 
Recht  setzt  und  zugeben  muß,  daß  man  seine  Lehre  arg 
entstellt  habe,  und  sie  nicht  so  übel  gemeint  war.  Loofs, 
Ritschi,  Kawerau  und  Tschackert  (im  Kurtzscheu  Lehr- 
buche der  Kirchengeschichte)    nehmen  Flacius  in  Schutz  ij. 

Der  beste  Beweis  dafür,  daß  Flacius  nicht  Unrecht 
hatte,  seine  Stimme  laut  zu  erheben,  ist  aber  darin  gelegen, 
daß  wirklich  in  den  folgenden  Jahrhunderten  alle  seine  Be- 
fürchtungen eingetroffen  sind. 

Im  Strigelschen  Fahrwasser  befindet  sich  der  rechte 
Flügel  der  gegenwärtigen  protestantischen  Theologie,  im 
pelagianischen  der  linke  Flügel   derselben. 


Ij  Loofs,  Leitfaden,  §  74,  3 ;  Ritschi,  Theologie  und  Meta- 
physik, S.  52  f.  sagt :  ,,So  anstößig  und  übertreibend  wie  der  Satz : 
peccatuni  originale  sei  substantia  hominis,  aussieht,  war  er  nicht  ge- 
meint. Derselbe  hat  ein  direktes  Verhältnis  zu  dem  Umfang,  in 
welchem  Luther  die  Erbsünde  zu  schildern  pflegte   und   zu  verab- 


—     80    — 

Wir  unterlassen  es,  Flacius  hier  auf  seinen  Irr- 
fahrten zu  begleiten,  indem  wir  uns  auf  die  Kämpfe  seiner 
Schüler,  die  unter  seinem  Namen  litten,  beschränken,  und 
zwar  im  Vogtlande  und  in  Thüringen  zunächst,  welche 
Kämpfe  ein  Vorspiel  für  den  Kampf  in  Österreich  bilden. 
Hier  wie  dort  sind  es  dieselben  Verhältnisse,  zuweilen 
sogar  dieselben  handelnden  Personen.  Wir  werden  ins 
Sächsische,  ins  Thüringische  imd  in  die  reußischen  Herr- 
schaften versetzt,  nach  Greiz  und  Gera,  und  hören  dieselben 
Klagen,  stoßen  auf  denselben  Widerstand,  der  Brüder  ent- 
zweite und  Pfarren  verödete. 

Beginnen  wir  mit  Kursachsen,  woselbst  der  alte  Gegen- 
satz gegen  die  Ernestiner  sich  auf  die  bei  denselben  ein- 
flußreichen Theologen,  auf  die  „Flacianer",  erstreckte.  Und 
neben  den  Ernestinischen  Herzogtümern  wurden  auch  die 
schönburgischen  Herrschaften  Penig,  Geringswalde,  nebst 
andern  benachbarten  Ländchen,  auf  die  sich  Augusts  Einfluß 
mittelbar  oder  unmittelbar  erstreckte,  in  Mitleidenschaft  ge- 
zogen. Kurfürst  August  war  ein  finsterer  und  heuchlerischer 
Mann  i).  Solange  er  in  den  Händen  der  Kryptocalvinisten 
war,  betrieb  er  die  Verdrängung  aller  jener,  die  diesen  ver- 
dächtig waren.  Die  Ausführer  seiner  Pläne  waren  Männer 
wie  Pfeffinger,  Camerarius  und  Johann  Curio.  Er  setzte 
damit  nur  fort,  was  schon  zu  Moritz'  Lebzeiten  die  Witten- 
berger gegen  ihre  unbequemen  Mahner  vollführt,  gegen  einen 
Johann  Ereder2),  Hofprediger  Weiß,  gegen  Amsdorf,  den  evan- 
gelischen Bischof  von  Naumburg  etc.  Kaum  war  August 
seinem  Bruder  in  der  Kurwürde  gefolgt,  so  wurde  auch  schon 
Martin  Wolf,  Hofprediger  zu  Kolditz,  gefangen  gesetzt.  Der- 
selbe predigte  am  22.  Oktober  1553,  daß  der  schmalkaldische 


scheuen  lehrte."'  Vergl.  ferner  Kawerau,  Art.  „Flacius",  in  der  prot. 
Real-Encyklopädie,  über  die  Zulässigkeit  der  flacianischen  Begriffs- 
bestimmung der  Sünde. 

1)  Vergl.    Kluckhohn,  Briefe  Friedrichs   IIL,  11,  1014  Note  2. 

2)  Preger  11,  20,  Note;  Distel,   der   Flacianismus    zu  Gerings- 
walde S.  17. 


-     81     — 

Krieg  wider  das  Evangelium  geführt  worden  sei,  und  derjenige 
Teil,  welcher  dem  Kaiser  anhange  und  helfe,  das  unschuldig 
vergossene  Blut  auf  sich  lade  i).  Er  wurde  nach  harter 
Kerkerhaft  des  Landes  verwiesen  und  zog  nach  Thüringen. 
Ähnlich  erging  es  1554  M.  David  Schäfer,  der  Ereiberg 
verlassen  mußte.  Solche  Eiferer  wider  das  Leipziger  Interim 
wollte  August  schon  damals  absolut  nicht  dulden ;  man  wollte 
nicht  an  die  Vergangenheit  erinnert  sein.  Das  geschah  zu 
Melanchthons  Lebzeiten.  Noch  viel  schroffer  trat  August  später 
auf.  Unter  dem  20.  Mäi-z  1560  befahl  er  die  allgemeine 
Einführung  des  Corpus  doctrinae  christianae  oder  Misnicum  i) 
in  allen  Landeskirchen,  indem  er  damals  noch  die  melan- 
chthonische  Richtung  mit  der  lutherischen  verwechselte. 
In  den  schönburgischen  Herrschaften,  besonders  zu  Penig, 
erhob  sich  Widerspruch  gegen  solche  obligate  Einführung 
der  melanchthonischen  Lehrweise  2).  Der  Patron  AVolf  zu 
Schönburg  wollte  sich  diesen  Befehl  nicht  gefallen  lassen. 
Noch  allgemeiner  wurde  der  Widerstand,  als  August  am 
18.  Juni  1566  ein  Mandat  erließ,  in  welchem  er  alles  un- 
zeitige und  unnötige  Gezänk  und  Verdammen  untersagte, 
widrigenfalls  die  Strafe  der  Landesverweisung  erfolgen 
würde.  Dieses  Mandat  traf  eine  Anzahl  uns  auch  sonst 
bekannter  Prediger:  Johann  Tetelbach,  Georg  Autumnus, 
Josua  Opitz  in  Sachsen,  ferner  Prediger  der  schönburgi- 
schen Besitzungen,  die  hier,  wie  in  dem  benachbarten 
Vogtlande,  nachdem  sie  an  anderen  Orten  vertrieben  waren, 
Anstellung  gefunden  hatten.    Der  sich  w'idersetzende  Patron, 


1)  Vergl.  Salig,  Vollst.  Historie  der  Augsb,  Konf.  III,  S.  219  f. 
Wolfs  Erzählung  findet  sich  im  Cod.  64  der  VVolfeubüttler  Bibl. 
S.  10  SS.  Melanchthon  verhörte  Martin  Wolf  und  David  Schäfer. 

2)  Dieses  enthielt  die  veränderte  Augsb.  Konfession  von  1540, 
die  Apologie,  die  sog.  Eepetition  der  A.  C,  Melanchthons  Examen 
ordinandorum  und  Antwort  auf  die  ArticuU  Bavarici,  endlich:  Ju- 
dicium de  controversia  Stancari;  latein.  Ausgabe  1560;  alles  auf 
Veranstaltung  und  unter  dem  Vorwissen  Melanchthons. 

3)  S.  Planck,  a.  a.  O.,  II  Buch  II,  T.  VII,  S.  526  f. 

6 


—     82     — 

Wolf  von  Schönburg,  erlitt  die  schwersten  Verfolgungen  ^). 
Als  er  sich  gewissenshalber  zu  keiner  Verdammung  der  strengen 
Richtung  verstehen  wollte,  wurde  er  gefangen  genommen, 
nach  Dresden  gebracht  und  in  ein  schmähliches,  von  Schmutz 
starrendes  Gefängnis  (den  sog.  „Kaiser")  geworfen;  dort 
erlitt  er  Monate  hindurch  eine  Behandlung,  die  ihn  bis  an 
die  Pforten  des  Todes  brachte.  Er  sollte  eine  die 
Vertreibung  der  „Flacianer"  zusichernde  Schrift  („Ob- 
ligation") unterzeichnen.  Die  Sache  lief  hoch.  Kurfürst 
und  Kaiser  standen  auf  der  einen  Seite,  den  Flacianismus 
zu  bekämpfen,  auf  der  anderen  Seite  etliche  einflußreiche 
Freunde  Wolfs.  Mit  Genehmigung  des  Kaisers  wurden 
auch  in  der  Schönburgschen  Herrschaft  Waidenburg,  die 
nicht  unter  August  stand,  Bartholomäus  Kosinus  und  Martin 
Faber  verjagt.  Der  Gefangene  unterschrieb  zwar,  zum 
Äußersten  gedrängt,  am  16.  Oktober  1567  jene  Obligation, 
war  aber  natürlich  aufs  tiefste  gekränkt  2).  Als  bald  darauf 
August  selbst  umschlug  und  seine  bisherigen  Freunde,  die 
Kryptocalvinisten,  verfolgte,  hörte  auch  seine  feindselige 
Haltiing  gegen  Wolf  von  Schönburg  auf. 

In  den  schönburgischen  Besitzungen  war  seit  dem  3.  Juli 
1566  eine  Landesschule  in  Geringswalde  bei  Rochlitz,  und 
zwar  im  „Kloster",  einem  böhmischen  Lehen,  welches  dem 
Kurfürsten  nicht  unterstand,  errichtet  worden.  Der  erste 
Rektor  (zugleich  auch  der  letzte)  war  M.  Hieronymus  Hauboid 
aus  Frankenberg,  ein  eifriger  Mann,  der  uns  auch  in  Öster- 
reich später  begegnen  wird.  Infolge  einer  von  Kurfürst 
August  durch  Kaspar  Peucer,  Joachim  Camerarius  u.  a.  am 
13.  Juli  1568  vorgenommenen  Visitation,  bei  welcher  die 
Visitatoren    kein    Lob    verdienen,    wurde    die    Schule    „ur- 


1)  Vgl.  Th.  Distel,  Der  Flacianismus  u.  die  Schönburgische 
Landesschule  zu  Geringswalde,  Leipzig  1879. 

2)  Durch  seine  Unterschrift  waren  seine  Gesinnungsgenossen, 
u.  a.  Cyriacus  Spangenberg,  betrübt  worden.  Dieser  schreibt  am 
31.  Dez.  1567  an  Walduer  in  ßegensburg  darüber.  (Reg.  Acten» 
Eccl.  IL  Nr.  26  Z.  122). 


—    83    — 

flatianisch"  mit  Waffengewalt  aufgelöst.  Nur  durch  seine 
Abwesenheit  entging  der  Rektor  der  ihm  drohenden  G-e- 
fangemiahme  1).  Der  Grund  der  besonders  heftigen  Ver- 
folgung gerade  dieses  Mannes  waren  seine  12  Argumente 
(Abhandlungen,  45  Folioseiten  groß),  die  Haubolds  Lehr- 
weise enthielten,  und  in  denen  der  Kurfürst  und  seine 
Mandate  für  tyrannisch  erklärt,  Melanchthon  aber  in  einem 
Punkte  der  Irrlehre  beschuldigt  wurde.  Haubold  entkam 
glücklich    und     war    eine    Zeitlang    Gast    des    Kosinus    in 

1)  Das  Interesse  dieses  zwischen  Camerarius,  Peucer  (JMelan- 
chthons  Schwiegersohn  und  Leibarzt  des  Kurfürsten),  Freihub  und 
Lycius  einerseits,  und  dem  von  ihnen  auf  kurfürstlichen  Befehl 
förmlich  überrumpelten  M.  Haubold  gehaltenen  Kolloquiums  liegt 
in  dem  Gewicht  der  Visitatoren.  Camerarius  und  Peucer  waren 
die  vornehmsten  Wortführer  der  gegen  Flacius  erbosten  Partei. 
Ihnen  gegenüber  steht  ganz  allein  der  überraschte  Schulrektor.  Jene 
traten  von  vornherein  als  Inquisitoren,  nicht  als  Visitatoren  auf, 
und  ohne  allen  ordentlichen  Prozeß  und  Verhör  setzten  sie  dem 
Ärmsten  mit  ihren  Argumenten  zu,  wobei  Peucer  sogar  flucht,  wäh- 
rend Camerarius  nur  gelegentlich  ein  Wörtlein  einfließen  läßt  und 
einmal  auch  dem  Rektor  ins  Gewissen  redet,  daß  er  „den  teueren 
und  wohlverdienten  Mann,  Philippum"  für  einen  falschen  Lehrer 
dürfe  ausschreien.  Den  Hauptton  gab  Peucer  an,  als  es  sich  um 
den  Synergismus  Melanchthons  handelte,  nämlich  daß  der  Wille  eine 
causa  efficiens  fidei  sei  („in  homine  est  vis  applicandi  se  ad  gratiam"). 
Alles  Einreden  auf  den  Rektor  half  nichts,  man  konnte  ihm 
nicht  beweisen,  daß  Melanchthon  nicht  gelehrt,  was  er  (Haubold) 
in  der  Disputation  behauptet  und  in  seinen  Vorträgen  vor  den  er- 
wachsenen Schülern  der  Anstalt  gesagt  habe.  Als  Camerarius  end- 
lich noch  auf  den  Mangel  an  Liebe,  der  in  der  Verdammung  Melan- 
chthons läge,  hindeutete,  wies  Haubold  auf  Lutherum,  der  auch 
verdamme.  Und  als  Camerarius  erwiderte:  „Ihr  seid  noch  lange 
nicht  Lutherus",  sagte  der  Rektor:  „So  bin  ich  ein  christ  und  alhie 
ein  Schulmeister."     Und  gleich  darauf:  „Eur  trotz  ist  nur  Philippus." 

Nachdem  die  Visitatoren  sich  also  blamiert,  zogen  sie  jählings 
von  dannen,  nachdem  sie  auch  eines  der  Argumentbücher  (Vor- 
träge), die  er  den  Knaben  gegeben,  vor  Haubolds  Augen  mitgenommen. 
Diese  Vorträge  gaben  den  Anlaß,  die  Schule  mit  Gewalt  auf- 
zuheben, den  Rektor  zu  verfolgen  und  das  Land  einer  heilsamen 
Schulanstalt  für  immer  zu  berauben.  (Die  ausführliche  Darstellung 
findet  sich  nach  Haubolds  Berichterstattung  bei  Distel  a.  a.  0.) 


—     84    — 

Weimar  und  Regeusburg.  In  letzterer  Stadt  kam  er  wegen 
seines  „Flacianismus"  mit  dem  Rate  in  Kollision  und  wurde 
mit  drei  Anhängern  (Predigern)  der  strengen  Lehre  1574 
entlassen;  er  wirkte  dann  in  Klagenfurt  und  endlich  in 
Eferding,  an  welchem  Ort  er  am  15.  Juni  1579  gestorben  ist. 
Hierselbst  hat  er  die  Formula  veritatis  noch  vor  seinem  Tode 
aufo-estellt  ^).  Wegen  seiner  strengen  Ansichten  und  flacia- 
nischen  Sympathien  hat  dieser  Rektor  viel  üble  Nachrede 
erduldet,  obschon  er  im  G-runde  nichts  that,  als  die  Lehre 
Luthers  von  der  Erbsünde  in  der  von  Elacius  vertretenen  Form 
vorzutragen,  und  zwar  so,  daß  es  auch  seinen  Schülern  ver- 
ständlich war,  worüber  der  Regensburger  Prediger  W.  Wald- 
ner sich  in  einem  Brief  an  Chemnitz  1572  unwillig  aus- 
läßt 2).  Distel  rechnet  Haubold  unter  die  Männer,  welchen 
die  lutherische  Kirche  ihre  scharf  ausgeprägte  Lehrgestalt 
mit  zu  verdanken  hat.  Er  schätzt  insbesondere  an  ihm, 
daß  er  sich  nicht  „für  dem  lieben  vnd  heiligen  Creutze, 
welches  dem  klaren  Bekentnis  der  Euangelii  immer  auff 
den  Fuß  nachfolget,  förchtete". 

Den  Kollegen  Haubolds,  Jakob  Meibom  aus  Langen- 
leuben-Niederhain  im  Altenburgischen ,  der  als  „Cantor" 
in  Geringswalde  wirkte,  traf  bei  der  Auflösung  des  Gy- 
mnasiums das  Schicksal,  ein  Jahr  lang  in  schwerer  Kerker- 
haft zu  sitzen.  Auch  ihn  finden  wir  später  nebst  einem 
der  Zöglinge  jenes  Gymnasiums ,  Paulus  Preuser  aus 
Thüringen,  der  Diakon  in  Eferding  ward,  in  Österreich.  Nach- 
dem Melhorn  allerlei  Schicksale  wegen  seines  Antisynergis- 
mus  erduldet,  erhielt  er  1582  einen  Ruf  nach  Eferding. 
Dies  gelang  aber  nicht,  da  inzwischen  nach  dem  Tode  des 
Freiherrn  von  Starhemberg  ein  Umschwung  in  den  dortigen 
Verhältnissen  stattgefunden,  wodurch  die  Flacianer  entfernt 
wurden.  Weiter  begegnet  uns  auch  Jakobs  Bruder,  Benedikt 
Melhorn  aus  Lößnitz,  unter  den  damals  Abgesetzten.  Er 
unterschrieb  das  „Einfältige  Bedenken"  in  Österreich  1579. 

1)  Eaupach  III,  S.  27  f. 

2)  Vgl.  Wiedemann,  Gesch.  der  Eeformation  etc.  I,  S.  402. 


—    85    — 

Für  die  Behandlung  der  Flacianer  wichtig  ist  noch 
ein  Brief  des  Johann  Tetelbach  ^)  an  W.  Waldner,  aus 
Schwandorf  vom  14.  August  15G8  2).  Er  gedenkt  darin  der 
großen  Gefahr,  in  welcher  Autumnus  in  Greiz  stehe.  Dieser 
sei  nämlich  beim  Kaiser  verklagt  als  der  Urheber  der 
Zwistigkeiten,  die  in  Greiz  und  Umgegend  unter  den  Brüdern 
ausgebrochen,  weshalb  der  Kaiser  ihn  vom  Amt  zu  entfernen 
befohlen.  Der  ältere  Baron  des  Ortes  ^),  gestützt  auf  diesen 
kaiserlichen  Befehl,  habe  seine  Unterthanen  angewiesen,  ihn 
als  flacianischen  Unruhestifter  zu  steinigen,  falls  er  in  die 
Gegend  käme,  und  habe  seinem  Bruder,  d^  m  Patron  des 
Autumnus,  gegenüber  sich  als  den  erbittertsten  Feind  aller 
Flacianer  bezeichnet,  weshalb  Autumnus  am  Rande  des  Exils 
stehe.  Wir  begegnen  also  in  Greiz,  d.  h.  im  Vogtlande, 
merkwürdiger  Weise  auch  dem  gewaltthätigen  Eingreifen 
Maximilians,  welches  sich  i.  J.  1570  wiederholte  und 
durch  August  von  Sachsen  in  großem  Maßstabe  gefördert 
wurde.  Im  gleichen  Jahr  mußte  Herzog  W^ilhelm  die 
strengsten  Weisungen  vom  Kaiser  entgegennehmen,  alle 
Flacianer  aus  den  Grenzen  seines  Herzogtums  zu  verbannen, 
was  abermals  August  von  Sachsen  durch  Gesandte  unter- 
stützte. Die  Stände  Herzog  Wilhelms  waren  nahe 
daran  solchem  Druck  nachzugeben  und  sich  gegen 
den  Herzog  zu  erheben  ^j.  Um  diese  verwickelten  Verhält- 
nisse zu  verstehen,  muß  man  wissen,  daß  im  Vogtlande  der 
Kaiser  Lehensherr  war,  und  August  von  Sachsen  Mitbelehner. 
Ferdinand  gab  seinem  Kanzler  Heinrich  von  Plauen  das 
Lehen  Greiz.     Da.  seine  Erben    es  vernachlässigten,    wurde 


1)  Dieser  war  29.  Sept.  1566  in  Chemnitz  nebst  seinem  Diakon 
Georg  Autumnus  der  Lehre  wegen  des  Amtes  entsetzt  worden. 

2)  R.  A.  Eccles.  I,  No.  XXVI,  Z.  170. 

3)  Die  hier  genannten  Barone  sind  die  Vertreter  zweier  reußi- 
scher  Linien.  Unter  den  Titulaturen  der  einen  Linie  kommt  auch 
die  Bezeichnung  vor:  dynasta  de  Greiz.  Zwei  Brüder  Reussen 
standen  also  in  diesem  Streite  gegeneinander. 

4)  Vergl.  den  Brief  von  Georg  Autumnus  an  Gallus  aus  Greiz 
Sonntag  Quasimodogeniti  1570.    R.  A.  Eccles.  Nr.  XL.  Z.  18. 


—     86     - 

es  1569  an  den  Kurfürsten  August  abgegeben,  und  so  er- 
klärt es  sich,  daß  beide,  der  Kaiser  und  der  Kurfürst  in 
jenen  Jahren  im  Vogtlande  ein  Recht  sich  aneigneten,  auch 
über  kirchliche  Sachen  zu  verfügen.  Interessant  dabei  ist 
aber,  wie  beide  mit  Zwang  gegen  die  „Flacianer"  auf- 
traten und  die  Entlassung  geliebter  Prediger  durchsetzten. 
Autumnus  schreibt  in  dem  erwähnten  Brief  1570  an  G-allus, 
daß  ihm  die  Vertreibung  unmittelbar  bevorstehe  laut  kaiser- 
lichen Befehls,  und  daß  die  Verheißungen  Luthers,  Deutsch- 
lands Undank  werde  gestraft  werden  durch  Entziehung  des 
Gotteswortes,  jetzt  sich  erfüllen  würden.  Er  und  viele  andere 
Heilige  müßten  wie  Lot  aus  Sodom  davon  ziehen,  wo  Gott 
es  also  wolle,  und  er  sei  bereit,  eine  Berufung  nach  Steier- 
mark anzunehmen,  die  ihm  durch  Josua  Opitz  angeboten 
worden  war.  —  Ob  nicht  doch  dergestalt  die  beiden  Fürsten, 
Maximilian  und  August,  in  den  „Flacianern"  wirklich  die 
Frommen  jener  Zeit  verfolgten  und  ausrotteten? 

Die  Behandlung  der  Antisynergisten  (Flacianer)  in 
der  schön  burgischen  Landesschule  zeigt,  wie  verhaßt  Flacius 
in  Kursachsen,  welches  dem  Philippismus  huldigte,  nament- 
lich aber  beim  Kurfürsten  August  und  seinen  Ratgebern 
(Camerarius,  Peucer)  gewesen.  War  doch  Flacius  1570 
selbst  bei  Kaiser  Maximilian  durch  seine  Gegner  als  politisch 
verdächtig  verklagt^)  und  seine  Gesinnungsgenossen  als 
persönlich  interessierte  Gegner  der  kurpfälzischen  Theologen 
verdächtigt  worden.  Alsbald  mußte  Herzog  Johann  Wil- 
helm und  mit  ihm  seine  Theologen,  auf  Kommando  des  Kaisers 
und  Augusts,  eine  Schwenkung  vornehmen,  und  die  Flacianer 
kamen  nun  zwischen  zwei  Feuer  zu  stehen,  zwischen  ihre 
früheren  Freunde  und  die  gesamte  Gegenpartei.  Man  jagte 
sie  als  Friedensstörer  durch  das  Reich  und  suchte  sich 
auf  ihre  Kosten  beim  Kaiser  und  Kurfürst  August  in 
Gunst  zu  setzen.  So  erklärt  sich  auch  aus  politischen 
Gründen    der  Haß    der    großen  Majorität    wider    die  in  die 


1)  Preger,  II,  242. 


—    87     — 

Minorität  gedrängten  Flacianer.  Daß  dieser  Haß  im  Grunde 
bis  auf  die  Zeiten  des  Interims  zurückdatierte,  steht 
fest.  August  scheute  keine  Mittel,  um  Flacius  zu  vernichten. 
Letzterer  schreibt  unter  dem  4.  Mai  1569,  der  Kurfürst 
habe  von  seinen  Freunden  in  Nürnberg  seine  Briefe  erpressen 
lassen.  Vom  Magister  Besler  in  Nürnberg  habe  der  Kurfürst 
die  Erzählung  seiner  für  die  Straßburger  geschriebenen  Hand- 
lungen amtlich  abfordern  lassen  ^).  Er  suchte  nach  Stoff,  um 
Flacius  des  Verbrechens  der  beleidigten  Majestät  anklagen 
zu  können.  Diese  Behandlung  oder  vielmehr  Maltraitierung 
so  geachteter  Leute  hat  etwas  für  den  rechtlichen  Sinn 
Empörendes :  das  odium  theologicum  steckt  dahinter,  von 
allen  das  schrecklichste.  Und  was  besonders  dabei  ins 
Auge  fällt,  ist,  daß  alle  jene  Verfolgten  sich  deutlich  der 
Gründe  der  ihnen  widerfahrenen  Behandlung  bewußt  sind. 
Wo  sie  in  die  Lage  kommen,  sich  zu  rechtfertigen,  sagen 
alle  ohne  Ausnahme  fast  dasselbe  aus,  sei  es  in  Öster- 
reich oder  in  Steiermark,  in  Nürnberg  oder  in  Regensburg. 
Für  alle  diese  Verteidigungen  typisch  ist  die  Ant- 
wort Beslers  an  den  Nürnberger  Stadtrat  vom  Januar  1576. 
Besler  sollte  nach  Nieder-Osterreich  als  Superintendent 
berufen  werden.  Er  war  der  Kandidat  der  „flacianischen" 
Partei,  die  Gegenpartei  wünschte  ihn  fernzuhalten  und 
verlangte  eine  ßechtfertigung  wegen  früherer  Anstände, 
die  er  im  antisynergistischen  (flacianischen)  Streite  in 
Nürnberg  gehabt,  infolge  deren  er  vom  Pfarramt  und  der 
Superintendentur  enthoben  worden.  Dieser  bereits  im  Ruhe- 
stand lebende,  sonst  unbescholtene  alte  Mann  rechtfertigt  sich 
alsbald  folgendermaßen:  Er  habe  nichts  anderes  gethan,  als 
gegen  die  durch  die  Annahme  des  Interims  und  durch  die 
Adiaphoristen  eingerissenen  Irrtümer  „vom  freien  Willen, 
von  gnädiger  Rechtfertigung  und  guten  Werken,  daß  sie 
auch  zur  Seligkeit  nötig"  Stellung  zu  nehmen  und  seine  Zu- 
hörer davor  zu  warnen.     Diesen  Irrtümern  habe  „Matthias 


1)  Präger,   a.  a.  Ü.  II,  S.  305.  Regsb.  Arch.,  Fase.  86,   N.  179. 


—     88     — 

riacius  Illyricus  neben  etlichen  anderen  beständigen  Kirchen- 
dienern nothalben  widersprechen  müssen,  daher  sie  denn 
von  dem  Gregenteil  und  Verteidigern  gedachter  interimistischer 
Handlungen  und  Corruptelen  Macianer  genannt  und  den 
Oberkeiten  hin  und  wieder  mit  Schreiben  und  Schreien, 
mit  Sparung  aller  Wahrheit,  Gottesfurcht  und  Redlichkeit 
bis  auf  diese  Stund  verunglimpft  und  die  Sache  dahin  ge- 
bracht worden,  daß  nun  alle,  so  dem  Interim  und  den  dar- 
aus hergeflossenen  Corruptelen  widersprochen  und  sich  noch 
zur  alten  unverruckten  Augsburgischen  Confession  und 
zum  reinen ,  beständigen,  evangelischen  Bekenntnis  der 
Schriften  Lutheri  halten,  Flacianische  Secten  und  Flacianer 
sein  und  als  die  ärgsten  Ketzer  verfolgt  werden  müssen". 
Bezüglich  der  Lehre  von  der  Erbsünde  stehe  er  noch  auf 
dem  Standpunkte  der  vom  Nürnberger  Stadtrat  verfaßten 
„Formula  concordiae",  die  er  auch  unterschrieben  habe  i). 
Ob  diese  Streitfragen  nun  Nutzen  hatten?  Ganz  ohne 
allen  Zweifel.  Die  Konkordienformel  sagt  (Abschnitt  2 
p,  654  &.:  „Vom  freien  Willen  oder  den  menschlichen 
Kräften"):  „Nachdem  ein  Zwiespalt  (über  obige  Dinge) 
nicht  allein  zwischen  uns,  sondern  auch  unter  etlichen 
Theologen  der  augsburgischen  Confession  selbst  eingefallen, 
so  müssen  wir  vor  allen  Dingen  klar  anzeigen,  welches  die 
Controversien  unter  den  Theologen  der  augsburgischen 
Confession  gewesen."  Darauf  folgt  eine  gänzliche  Ver- 
werfung dessen,  was  die  Gegner  unserer  strengen  „Flacianer", 
also  die  Synergisten,  gelehrt,  und  die  Flacianer  werden 
vollkommen  in  ihr  altes  Recht  eingesetzt.  Luthers  Ansicht 
vom  freien  Willen,  wie  sie  von  der  Augustana  an  bis  zu 
den  Katechismen  herab  (p.  665)  gehandhabt  worden,  wird 
streng  behauptet,  die  Gegner  dadurch  ins  Unrecht  gesetzt, 
und  vor  allem  sein  Buch  vom  unfreien  Willen  (de  servo 
arbitrio,  gegen  Erasmus  geschrieben)  in  den  Himmel  er- 
hoben (p.  668). 


1)  Vergl.    Bibl,    Die    Organisation    des    evang.  Kirchenwesens 

S.  107  (219);  a.  d.  n.  ö.  Landesarchiv,  Fol.  127—128. 


—    89     - 

Das  also  haben  mit  ihrem  Zeugniß  die  Gegner  des 
Synergismus,  die   „Flacianer",  gethan. 

Man  pflegt  wohl  zu  sagen,  daß  dieser  ganze  Streit  ein 
Schulstreit  gewesen,  für  die  große  Masse  unverständlich,  und 
also  nicht  vor  das  Volk  hätte  gezogen  werden  müssen. 
Das  ist  aber  keineswegs  der  Fall.  Die  Begeisterung,  mit 
der  das  Volk  in  Thüringen,  im  Vogtlande  und  dann  in 
den  österreichischen  Ländern  bis  nach  Steiermark  und  Krain 
hinunter    sich  des  Streites  annahm,    beweist  das  Gegenteil. 

Es  sind  freilich  Unterschiede  zu  machen  bei  der  Be- 
urteilung dieser  Streitigkeiten.  Unter  den  Protestanten,  die 
sich  der  besonderen  flacianischen  Terminologie  bezüglich 
der  Erbsünde  bedienten,  ist  wohl  zu  unterscheiden  zwischen 
den  Gelehrten,  wie  Irenäus  und  Cyriacus  Spangenberg,  und 
dem  nicht  theologisch  gebildeten  Gros  der  Anhänger.  Das 
Gleiche  gilt  von  den  sogenannten  Accidenzlern,  von  welchen 
auch  nicht  alle  die  Sache  so  tief  erfaßten,  wie  etwa  Wigand 
und  Heshusius.  Davon  sind  auch  die  Mitglieder  des  Herren- 
und  Eitterstandes  in  Österreich,  die  Rogendorf,  Starhemberg, 
Liechtenstein  u.  a.  m.,  die  mit  offnen  Armen  die  aus 
Thüringen  Vertriebenen  aufnahmen,  nicht  auszunehmen. 

Die  Durchschnittsanschauung  der  Partei  ist  mehr  nach 
den  Schriften  und  Äußerungen  der  Parteigänger  des  Flacius 
oder  seiner  Gegner,  als  nach  den  Schriften  der  Meister 
selbst  zu  bemessen.  So  dachten  sich  denn  die  meisten  Acci- 
denzler  die  Erbsünde  in  den  Menschen  eingetreten  als  ein 
fremdes  Element,  einen  Mangel,  eine  Schwachheit,  ein  Ge- 
brechen, Neigung,  Verderben,  qualitas,  kurz  als  ein  Accidens, 
aber  so,  daß  das  menschliche  Wesen  selbst  davon  noch  ab- 
trennbar sei.  Anders  die  Gegner,  welche  die  Erbsünde 
derartig  vom  Menschen  Besitz  ergreifen  ließen,  daß  zwischen 
dem  letzteren  und  ihr  kein  Unterschied  mehr  zu  machen 
sei.  Dadurch  allein  glaubten  sie,  wider  die  Pelagianer 
und  besonders  die  Synergisten  (wie  Strigel)  sich  verwahren 
zu  können.  An  die  theologisch  -  wissenschaftlichen  Folgen 
solcher  Lehre   dachten  sie  kaum,  sondern  bloß  an  den  prak- 


—     go- 
tischen Nutzen,  oft  auch  nur  an  einen  augenblicklichen  Er- 
folg  im    Disputieren    und    in    den    damals    beliebten   Rede- 
kämpfen. 

Dazu  kam,  daß  die  Accidenzler  auch  im  kirchlichen 
Leben  andere  Interessen  verfolgten.  Ihre  Lehre  ließ  erwarten, 
daß  man  die  Notwendigkeit  der  Taufe  und  überhaupt  des 
Verdienstes  Christi,  sowie  der  Wiedergeburt  einschränken 
wolle,  insofern  als  dem  Menschen  noch  ein  für  das  Gute 
empfänglicher  Rest  verblieben  war.  Und  so  war  sie  minder 
für  die  tieferregten  Zeitgenossen  berechnet,  die  soeben  aus 
den  Banden  Roms  durch  das  Evangelium  befreit  waren. 
Diese  hatten  eine  lebendige  Sündenerkenntnis  und  waren 
zu  keiner  Abschwächung  der  Sünden  Verderbnis  geneigt. 
Wie  tröstlich  und  echt  lutherisch  klang  es ,  wenn  der 
Thüringer  Jonas  Erancus  in  seiner  oben  genannten  Schrift 
gegen  Wigand  (1574)  lehrte:  „Wir  aber  lehren  mit  der 
Schrift  und  Luther,  das  des  Menschen  verderbte  Wesen, 
Seele,  Hertz,  Wille,  das  ist  der  gantze  Mensche  die  Sünde 
thue ;  wie  David  saget :  Dir  allein  habe  ICH,  ICH  gesün- 
diget und  ICH  habe  übel  für  dir  gethan,  nicht  etwas 
in  meiner  Seelen  oder  Wille.  Item  wir  sprechen: 
Meine  Sünde  sind  schwer,  sonst  werens  nicht  unsere 
Sünde."  Es  ist  also  die  streng  lutherische,  fälschlich 
flacianisch  genannte  Lehrweise  faßlicher,  unerschrocken  und 
ganz  stellen  sich  ihre  Anhänger  auf  Gottes  Wort  und 
Luthers  Lehre  und  ziehen  Kraft  daraus  in  den  vielfachen 
Gefahren  und  Leiden  ihrer  Zeit.  Und  das  tritt  nun  be- 
sonders in  den  von  ihnen  geleiteten  Gemeinden  unter  dem 
Kreuz  in  Österreich  hervor.  Auf  Schritt  und  Tritt  wissen 
sie  ihre  Sache  mit  Citaten  aus  Luthers  Schriften  zu  ver- 
teidigen, im  Kampfe  wächst  ihr  Mut.  Die  Folgerichtigkeit 
treibt  sie  wohl  oft  höchst  auffallende,  ja  unbescheidene  Sätze 
in  den  Streit  zu  mischen.  Aber  selbst  solche  Übertreibungen 
dienten  immer  noch,  für  die  gewaltigen  Folgen  der  Taufe  und 
überhaupt  für  den  Segen  der  Wiedergeburt  und  das  Verdienst 
Christi  mehr  und  schlagendere  Beweise  zu  bringen,    als  es 


-     91     — 

die  Gegner  vermochten.  Auch  in  ihrer  Streitschriften- 
litteratur  ist  mehr  biblische  Wahrheit  und  mehr  Erbauliches 
zu  lesen  als  auf  selten  der  Gegner.  Sie  sind  ferner  auch 
in  der  Antithese  gegen  die  Schweizer  klarer  und  auf- 
richtiger als  die  späteren  Lutheraner  und  besonders  die 
Straßburger  (Joh.  Marbach)  und  Württemberger  (Andrea). 
Vorbildlich  ist  in  diesem  Punkte  Flacius.  Er  sagt  (1560) 
in  einer  Zuschrift  über  eine  Generalsynode  zur  Beilegung 
der  Lehrstreitigkeiten :  Über  den  freien  Willen  und  die 
guten  Werke  habe  man  bis  jetzt  mit  den  Schweizern  keinen 
Streit  gehabt.  Es  sei  eine  häusliche  Angelegenheit,  welche 
auf  der  gewünschten  Synode  ausgeglichen  werden  sollte  ^). 
Die  Anhänger  des  Elacius  sind  die  Frommeren  und  auf- 
opferungsfähiger, wenn  auch  politisch  brutal  und  unbequem, 
wogegen  die  Accidenzler  sich  geschmeidig  nach  oben  bewiesen 
und  Opportunisten  im  Predigen  waren  ^).  Daher  kam  es 
auch,  daß  jene  bei  Maximilian  besser  gesehen  waren.  Der 
böse  Ruf  der  Unbotmäßigkeit  ging  den  „Flacianern"  voraus, 
wie  wir  aus  den  Regensburger  Akten  erfahren.  So  schreibt 
der  bekannte  österreichische  Prediger  Chr.  Reuter  im  Früh- 
jahr 1568  an.  Gallus^):  „Der  Kaiser  ist  ganz  entrüstet  über 
die,  die  oben  vertriben  und  in  das  landt  komen :  der  ge- 
fangen Fürst  "^j  redet  übel  von  uns,  die  nur  ein  wenig  dem 
Illirico  anhengig.  Unser  fromer  Herr  Victor  von  Mamming 
ist  persönlich  bei  Ime  zu  presburg  gewest;  vermeldt,  er 
höre,  es  seien  etliche  flacianische  Im  Lande,  werden  nichts 
guetts  stifFten.  Item  küns  ^)  darthun,  daß  Illyricus  soll  ge- 
leret,  die  unthertanen  heften  recht  In  feilen,  ir  ordentliche 
Obrigkeit    abzusetzen.     Item    er    bettet   täglich,    gott  welle 


1)  Präger  II,  93,  Anm. 

2)  Vergl.  den  Brief  Krells  an  Gallus,  aus  Laibach,  1.  Sept. 
1565:  Plerique  Potentes  tum  adulati  sunt,  et  Doctores  lilcclesiae  ob- 
mutuerant.  (E.  A.  Eccles.  Nr.  XXX,  Z.  76.) 

3j  E.  A.  Eccles.  Nr.  XXXVI,  St.  70. 

4)  d.  i.  Joh,  Friedrich  d.  Mittlere. 

5)  d.  h.  Der  gefangene  Fürst  könnte  es. 


-     92     — 

In  vor  dem  flacianischen  geiste  bewaren  und  vil  andere 
reden.  Der  R.  K.  hat  auch  den  zweien  ständen  aufgehoben  i) 
wie  man  außers  lande  den  flacianischen  geschenkhe  i;nd 
gaben  schikhe  und  hinaufordene ;  besonderlichen  vermeldt, 
wie  die  landtschafft  Illirico  sol  was  verehret  haben  2).  Wirt 
alles  erkundiget,  volgen  reden  ^)  :  gottes  wortt  wil  man  haben 
und  fürdern,  aber  keine  flacianischen,  denn  sie  seind  Sec- 
tisch  und  hadersichtig,  in  ehr  und  gelt  geitzig;  es  ist  Inen 
nicht  umb  die  kirchen,  Sondern  umb  das  ratthauß  zu  thun." 
Noch  ein  anderer  Umstand  kam  hinzii,  daß  die  Flacianer 
als  ganz  besonders  verlästert  vor  der  Welt  dastehen :  es 
galt  nämlich,  zwischen  Melanchthon  und  Flacius  zu  wählen, 
und  da  fiel  die  Wahl  nicht  schwer.  Selbst  solche,  die  eine 
Zeitlang  mit  Flacius  gegangen,  wie  Marbach,  Professor  zu 
Straßburg  ^),  Mörlin,  Heshusius,  Wigand  und  viele  andere 
wurden  zuletzt  seine  unversöhnlichen  Feinde  und  schlugen 
auf  den  armen  Vertriebenen  los,  der  doch  treuer  Luther 
gefolgt,  als  einer  der  Epigonen.  Den  Vorwand  bot  die  gar 
nicht  so  böse  gemeinte  Definition  der  Erbsünde  als  Substanz. 
Es  spielte  jedoch  meist  persönliche  Animosität,  ja  Eifersucht 
eine  bedeutende  Rolle,  so  bei  Mörlin  und  Andrea,  auch  bei 
Musäus  und  Wigand  ^)  ;  ferner  Mißverständnisse,  welche 
später  von  den  Urhebern  (u.  a.  Heshus)  bis  aufs 
äußerste  verteidigt  werden  mußten ;  kurz  der  alte  Satz : 
„Oderunt  quem  metuunt"  fand  hier  eine  neue  Bestätigung. 
Es  entstand  ein  Krieg  aller  gegen  Flacius.  Das  Feuer 
schürten  leitende  Persönlichkeiten,  wie  der  jüngere  Brück 
lind  der  sächsische  Kanzler  Carlowitz,  welche  dazu  halfen,  daß 


1)  d.  h.  vorgeworfen. 

2)  Dies  bezieht  sich  auf  die  Beiträge  zu  den  Centurien  des 
Flacius,  von  denen-  die  zwölfte  1569  erscheinen  sollte,  wofür  Eeuter 
schon  seit  1559,  wo  er  83  Fl.  2  ß  20  pf.  an  Gallus  schickt,  sammelte. 
(E.  A.  Eccles.  Nr.  XXIII,  Z.  7). 

8)  d.  h.  es  folgen  dabei  weitere  Reden. 

4)  Planck,  1.  c.  II  Buch  I,  T.  V  303,  312,   320,  328,  329,  331. 

5)  Preger  II  32ö  ff.,  329,  330,  333  f. 


—     93     - 

das  odium  theologicum  stets  unterhalten  blieb.  Camerarius 
vor  allen  anderen,  als  alter  Freund  Melanchthons,  haßte 
ingrimmig  jenen  Mann,  der  es  gewagt  hatte,  Melanchthons 
guten  Namen  anzutasten.  Er  sieht  Flacius  auch  als  schuldig 
dafür  an,  daß  1557  das  Wormser  Gespräch  abgebrochen 
werden  mußte  i),  obgleich  hier  Strigel,  Schnepf  und  Stößel 
die  Handelnden  waren,  und  überhaupt  mehr  Kirchenpolitik 
als  Religion  im  Spiele  war.  Die  Versöhnungsversuche  zu 
Koswig  würdigt  er  kaum  eines  Wortes;  statt  Liebe  trägt 
er  Flacius  Hohn  entgegen ;  und  diese  Auffassung  vererbte 
sich  der  Nachwelt.  Aber  noch  ganz  anc^ere  Erbstücke 
gingen  auf  die  Nachwelt  über:  die  Loci  theologici  Melan- 
chthons, welche  das  Lehrbuch  im  XVL  und  auch  noch  zu 
Anfang  des  XVII.  Jahrh.  bildeten,  und  durch  welche  Flacius' 
angefochtene  Lehrweise  von  vornherein  unmöglich  ward. 
Noch  1591  gab  Polykarp  Leyser  diese  Loci  mit  Kommen- 
taren des  Martin  Chemnitz  heraus  ;  derselbe  Leyser,  der  in 
seinem  Briefwechsel,  dem  gedruckten  wie  dem  handschrift- 
lich 1)  vorhandenen,  eine  Hauptquelle  über  das  Auftreten 
und  Wirken  der  Flacianer  in  Osterreich  hinterlassen.  Er 
stand  während  seiner  zweijährigen  Wirksamkeit  in  Öster- 
reich unter  dem  Einfluß  seines  Stiefvaters  Osiander  und 
des  mit  diesem  eng  befreundeten  Andrea.  Am  30.  April 
1577  verließ  er  seinen  Amtssitz  Göllersdorf  in  Osterreich  mit 
einem  rühmlichen  Entlassungsschreiben  des  Herrn  von  Puch- 
heim.  Kurz  vor  seiner  Abreise  verfaßte  er  ein  Gutachten 
darüber,  wie  ein  christliches  und  wohlgefaßtes  Kirchenregiment 
in  Österreich  möchte  angerichtet  werden.  Auch  von  Witten- 
berg aus  machte  er  noch  Vorschläge,  wie  der  durch  die  „Fla- 
cianer" angerichteten  Zerrüttung  möchte  gesteuert  werden. 
Dieselben  wurden,  nach  einer  gleichzeitigen  Nachricht  des  M. 
Lucius,    nicht  vorgelesen,    was    eben    nicht    für    die    Stich- 


1)  In  der  Vita  Melanchthons,  CVI. 

2)  In  der  Hamburger  Stadtbibliothek. 


-     94    - 

haltigkeit  seiner  Voinvürfe  zu  sprechen  scheint  i),  Leyser 
unterhielt  auch  später  noch  sowohl  mit  Backmeister  als 
auch  mit  verschiedenen  Predigern  in  Osterreich  eifrige  Korre- 
spondenz um  der  Notdurft  der  Gemeinden  abzuhelfen. 

Ferner  war  auch  Chyträus,  der  als  Verfasser  der  öster- 
reichischen Agende  und  als  angesehener  Ratgeber  der  Stände 
von  Nieder-Österreich  und  Steiermark  bekannt  ist,  ein 
Freund  und  Schüler  Melanchthons.  Die  späteren  Eatgeber, 
D.  Backmeister  und  D.  Becker,  standen  auf  seiner  Seite  und 
sahen  alles  mehr  durch  die  Brille  der  Gegner  des  Flacius  an  ^). 

Andrea,  der  vielgeschäftige  Diplomat  und  Veranstalter 
des  Konkordienwerkes,  war  viel  zu  schlau,  um  sich  mit 
Flacius  und  auf  dessen  theologische  Sätze  tiefer  oder  länger 
einzulassen ;  er  verfolgte  ihn  vielmehr  heimlich  und  öffent- 
lich. Und  so  erfuhr  schon  deswegen  die  Konkordienformel 
eine  Abweisung  in  Österreich. 

Daß  auch  der  entschiedene  Gegner  des  Flacianismus, 
der  Leibarzt  Crato  v.  Kraftheim  (seit  1560  am  Hofe  zu 
Wien),  seinen  Einfluß  gegen  die  strengen  Lutheraner  geltend 
machte,  steht  zu  vermuten.  Inwiefern  aber  der  Burgunder 
Hubert  Languet,  jener  ausgezeichnete  Diplomat  und  geist- 
volle Publizist,  der  in  den  Jahren  1573 — 76  am  kaiser- 
lichen Hof  im  Auftrage  Kursachsens  verweilte,  im  anti- 
flacianischen  Sinne  wirkte,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Sein 
Verhältnis  zu  Flacius  wechselt  je  nach  den  Umständen.  Wir 
lernen  ihn  im  Jahre  1555  als  im  Dienste  der  Centuriatoren 
in  Italien  weilend  kennen,  während  er  zur  Zeit  des  Streites 
zwischen  Melanchthon  und  Flacius  als  entschiedener  haß- 
erfüllter Gegner  des  Flacius  uns  entgegentritt,  der  selbst  den 


1)  Eaupach,  Presbyt.,  S.  97  f.  Mag.  Lucius  erwies  sich  auch 
später  noch  Backmeister  gegenüber  als  sehr  parteiisch,  indem  er 
die  vermittelnde  Haltung  desselben  in  einem  Briefe  an  Leyser  aufs 
häßlichste  anschwärzte  und  den  armen  Mann  in  bösen  Verdacht 
brachte  (s.  Raupach,  a.  a.  O.     Kleine  Nachlese,  S.  15f.l. 

2)  Vergl.  dazu  noch  das  Rostocker  Gutachten  der  theol.  Fakultät 
V.  J.  1580  bei  Raupach,  a.  a.  O.  III,  S.  1801 


—    95    — 

Samen  der  Zwietracht  weiter  zu  säen  bemüht  ist  ^ ).  Im 
späteren  Dienstverhältnis  zu  August  von  Sachsen  und  über- 
haupt als  Reformierter  mag  er,  der  bei  verschiedenen  Gelegen- 
heiten die  Parteien  zu  versöhnen  trachtete,  den  Widerstand 
der  Flacianer  ganz  besonders  unangenehm  empfunden  haben  ^). 
Sein  Einfluß  auf  Melanchthon  ging  so  weit,  daß  er,  nach 
einer  brieflichen  Bemerkung  Hotomans  an  Calvin,  ihn  sogar 
mit  dem  notorischen  Freidenker  Sebastian  Castellio,  Calvins 
und  Beza's  Gegner,  zu  versöhnen  gewußt  ^).  Auch  Calvin 
tadelt  dies. 

Kaiser  Maximilian  endlich  lieh  schon  a  is  politischen 
Gründen  dem  Kurfürsten  August,  des  Flacius  Todfeind, 
gern  das  Ohr,  und  so  wirkte  alles  zusammen,  daß  die 
„Flacianer"  allmählich  allein  den  Haß  aller  Gegner  des 
Evangeliums  in  Oesterreich  auf  sich  laden  mußten.  Es 
liehen  Männer,  wie  der  obengenannte  Languet  und  Lazarus 
Schwendi,  der  vielvermögende  kaiserliche  Rat  und  Feldherr, 
die  Hand,  um  Flacius  nach  dem  Mißlingen  des  Altenburger 
Gespräches  (1568 — 69)  dem  Kurfürsten  August  zulieb  von 
einer  Stadt  zu  der  anderen  zu  verfolgen*).  Schwendi 
war  ein  Weltmann,  stand  bei  vielen  großen  Herren  im  An- 
sehen und  wurde  zu  wichtigen  Sendungen  verwendet  °).    Als 


1)  Preger  II,  S.  30. 

2)  Siehe  über  ihn  Geiger,  Allg.  Deutsche  Biogr.  XVII,  S.  692  ff. ; 
Prot.  Eealencyclopädie  VIII;  AVaddington,  De  Huberti  Langueti 
vita,  1888. 

3)  Opp.  Calvini,  Tom.  XVII,  133.  Melanchthon  schrieb  au 
Castellio  am  1.  Nov.  1557.  Hotoman  sah  übrigens  voraus,  daß  die 
Lehre  von  der  Prädestination  dereinst  viel  verhängnisvoller  werden 
würde,  als  der  seit  30  Jahren  wütende  Sakramentsstreit.  Calvin 
war  darin  kurzsichtiger. 

4)  Preger,  II,  306 f. 

5)  Über  Schwendi  vergl.  den  Art.  in  AUg.  D.  Biographie  von 
Khickhohn  und  Briefe  Friedrichs,  II,  S.  768,  und  Hopfen,  a.  a.  0. 
S.  108 ff. ;  ferner  Aretin,  Max.  von  Bayern,  I,  209.  Berühmt  ist 
sein  Gutachten  v.  J.  1572  an  Kaiser  Maximilian.  Als  letztes  Ziel 
der  von  ihm  vorgeschlagenen  Toleranz  stellt  er  Constantins  Verfahren 


—  Ge- 
därm der  Streit  über  die  Schlagworte  „Substanz"  und 
„Accidenz",  auch  mit  durch  Absetzung  der  schlimmsten 
Kampfhähne,  zur  Ruhe  kam  (zu  Anfang  der  80er  Jahre),  ent- 
stand ein  gleichmäßigeres  evangelisches  Kirchenwesen  in 
Österreich,  welches  nur  unter  den  Schlägen  der  äußersten 
Gewalt  im  folgenden  Jahrhundert  zusammenbrach. 

Wie  wäre  aber  wohl  je  aus  dem  österreichischen  Pro- 
testantismus etwas  Rechtes  geworden ,  wenn  nicht  so 
entschlossene  Leute,  wie  jene  1562  aus  Thüringen  Ver- 
triebenen oder  jene  1568 — 73  eingewanderten  „beständigen 
Flacianer"  die  Predigt  von  der  Unfreiheit  des  Menschen 
und  der  göttlichen  Gnade  mit  ins  Land  Österreich  gebracht 
hätten,  also  Lebenswahrheiten,  um  die  zu  kämpfen  es 
sich  der  Mühe  lohnte.  Sie  sind  die  letzten,  die  für  Luthers 
Lehre  „vom  unfreien  Willen"  etwas  opferten,  ja  ihre 
Existenz  dabei  in  die  Schanze  schlugen.  Als  solche  nun 
hatten  sie  gegen  alle,  die  zurückblieben,  gegen  alle,  die 
auf  der  Seite  Melanchthons  gegen  Flacius  standen,  ein  un- 
auslöschliches Mißtrauen  ^).  Das  mußten  ein  Chyträus,  ein 
Andrea,  ein  Backmeister  und  Becker  erfahren.  Auch 
den  Flacianern  zahlte  man  mit  gleicher  Münze  heim :  die 
meisten  Quellen  Raupachs  stammen  von  entschiedenen 
Antiflacianern.  Solche  Abneigung  aber  ist  nicht  geeignet 
zu    unparteiischer  Geschichtschreibung. 

Jene  aus  dem  Reiche  Vertriebenen  konnten  sich  auf 
Luthers  Schriften  berufen  und  waren  in  den  Adiaphora 
keine  laxen  Interimisten,  noch  weniger  Synergisten  und  Ver- 

dem  Kaiser  vor  Augen,  weil  jener,  wie  auch  seine  Nachfolger,  beide 
Eeligionen  zugelassen,  bis  Theodosius  der  Grosse  die  Abgötterdienste 
abzustellen  befohlen.  (Vergl.  Aretin  a.  a.  O.  S.  209  Änm    18.) 

1)  Über  die  Wucht  des  Streites  geben  verschiedene  unserer 
Briefe  Auskunft;  z.  B.  einer  an  Gallus,  geschrieben  156.Ö  von  dem 
Prediger  Johannes  Leutner  über  die  errores  Wittebergensium  (Syn- 
ergie) und  des  Maior.  Es  wurde  angesichts  der  Herren  (der  Barone) 
über  solche  Materien  gestritten.  Leutner  lernte  seine  Theologie  aus  den 
Schriften  des  Irenäus  und  C.  Spangenberg.  (E.  A.  Eccies.  No.  XXXV, 
Z.  99.) 


-     97     - 

teidiger  des  Satzes  Maior's  von  der  necessitas  operum  ad  salutem. 
Sie  widerstanden  aufs  heftigste  dem  ihnen  vom  Kaiser  und 
den  Papisten  gelegten  .Fallstrick,  daß  man  Ceremonien,  wie  sie 
die  Adiaphoristen  zuließen  ,  in  die  neue  Agende  nehmen  solle 
und  perhorrescierten  Leute  wie  Camerarius,  Eber,  kurz  die 
Melanchthonianer,  die  sich  zu  solchen  Kompromissen  her- 
gaben. Selbst  der  vom  Kaiser  Maximilian  II.  geneh- 
migte Chyträus  aus  Eostock  war  ihnen  als  zu  nachgiebig 
verdächtig. 

Gleichwohl  standen  sie  um  jene  Zeit  zwischen  1560  und 
1580  als  Minorität  einer  großen  Phalanx  gegenüber  und 
konnten  sich  im  Eeiche  nur  auf  die  Kirchen  zu  Regens- 
burg, Pfalz-Neuburg,  Mansfeld,  Wismar  und  Braunschweig, 
kaum  noch  auf  Eostock  verlassen.  Von  den  Akademien 
waren  weder  Tübingen  noch  Leipzig,  weder  Jena  noch 
Straßburg,  weder  Wittenberg  noch  Heidelberg  für  sie 
völlig  zuverlässig,  wenn  es  galt,  Stellung  zu  nehmen  in  den 
Streitigkeiten  der  Zeit,  die  auch  in  Österreich  sich  reflek- 
tierten. In  Tübingen  herrschte  eine  durchaus  vermittelnde 
Eichtung,  z.  B.  dem  Osiandrismus  gegenüber,  welchen  die 
Württemberger  in  einem  Gutachten  Brenzens  (v.  5.  Dez.  1551) 
an  den  Herzog  von  Preußen  im  Gegensatz  zu  Melanchthon 
möglichst  schonend  behandeln  i).  Die  Anhänger  der  stren- 
geren Eichtung  in  Österreich  machen  den  Namen  Osiandrist 
zum  Schimpfnamen  und  bezeichnen  die  Empfehlung  eines 
solchen  in  Lauingen  als  ein  strafwürdiges  Unternehmen  (z.  B. 
in  dem  Briefe  Melissanders  an  die  krainischen  Stände  vom 
6.  April  1568  und  in  Cölestins  Brief  an  Nie.  Gallus  vom 
gleichen  Datum),  während  die  andere  Partei,  wozu  die  Tübinger 
dazumal    noch    gehörten  '^) ,    einen    notorischen  Osiandristen, 

1)  Vergl.  mein  Werk  über  die  Rechtfertigung  durch  den  Glauben 
S.  23  f.;  Brenzens  Leben  von  Jul.  Hartmann  im  6.  Bande  des  be- 
kannten Sammelwerkes  S.  240,  und  Traub,  Ein  Beitrag  zur  Gesch. 
des  Eechtfertigungsbegriffs  in  «tud.  u.  Krit.,  Heft  3,  1900,  S.  465  ff. 

2)  Tübingen  ist  überhaupt  erst  seitdem  Wirken  von  Luk.  Oslander 
und  Erhardt  Schnepf,  der  1557  auf  dem  Wormser  Kolloquium  Me- 


—     98     - 

namens  Yögelin.  der  aus  Preußen  vertrieben  war,  empfiehlt. 
Die  Tübinger  suchten,  gewarnt  durch  Primus  Trüber,  der, 
wie  wir  sehen  werden,  einer  vermittelnden  Richtung  an- 
gehörte, direkt  die  Berufung  eines  Caspar  Melissander  nach 
Laibach  zu  verhindern,  damit  ihre  Gegenpartei  in  Inner- 
Österreich nicht  verstärkt  werde.  Jene  Berufungsgeschichte 
Melissanders,  über  welche  die  Regensburger  Akten  ergiebig 
sind,  hat  symptomatische  Bedeutung  zur  Erkenntnis  der 
religiösen  Sachlage.  Es  sind  wirklich  schon  zwei  Richtungen, 
die  auch  in  Inner-Österreich  aufeinander  stoßen.  Zu  den  Lu- 
theranern der  strengen  Richtung,  die  man  unter  dem  Namen 
„Flacianer"  zurückzudrängen  und  anzuschwärzen  suchte, 
gehört  in  Krain  der  mit  Gallus  in  Korrespondenz  stehende 
Matthias  Klombner,  seit  1530  Landschrannenschreiber 
in  Laibach  1)  und  Hauptvertreter  der  evangelischen  Rich- 
tung, weshalb  er  auch  1562  von  König  Ferdinand  verfolgt 
wurde.  Dei'selbe  wünscht  2),  Leute  wie  Melissander  und 
Johann  Fr.  Cölestin,  kurz  energische  Vertreter  der  evan- 
gelischen Predigt,  und  nicht  seichte  Schwätzer  ins  Land 
zu  ziehen  (1568).  Auch  sonst  meldet  er  Interessantes: 
„Ich  hab  gutes  Wissen,  das  das  Evangelium  in  Ungarn  sehr 
aufgeht  und  jetzt  in  Sclovien  3).  Der  Herr  treibts  wo 
maus  am  wenigsten  glaubt  oder  verhofft,  und  soll  in  und 
durch  die  Türkei  gehn  und  keines  Schuzherrn  bedürfen. 
Gut  ist  es,  wo  maus  hat.  Wo  nit  weltlich  Schutz  und  Hilf, 
da  ist  Gott  selbst  Schutzherr;  unter  diesem  Fandl  wollt 
ich  am  liebsten  streiten.  Ich  sterb,  so  sterb  ich  Christo. 
Der  Tod  in  Christo  ist  mein  Gewinn.  Wolt  gern  erleben 
von  den  Crainerischen  mit  den  schwabischen  Teufeln,  Sie 
werden  uneins." 


lanchthon  entgegentrat  und  den  Abzug  der  herzogl.  Theologen  ver- 
anlaßte,  zur  strengen  Richtung,  die  in  der  Koukordieuformel  zum 
Abschhiß  kam,  gelangt.  Anfangs  stand  es  recht  verschiedenen  Rich- 
tungen offen. 

1)  Th.  Elze,  Trubers  Briefe,  S.  67,  107. 

2)  R.  A.  Kasten  D  eccles.,  Fach  2,  N.  XL,  Z.  35. 

3)  Slavonien, 


—    99     - 

Letztere  Worte  zeigen,  wie  groß  die  Animosität  der 
„beständigen"  Lutheraner  gegen  Trubers  Anhang  und 
Tübingen  war.  Er  weiß  „keinen  Ort,  da  das  Evangelium 
Ruhe  und  Frieden  hat.  —  Sie  meinen,  oben^)  seien  sie  sichei-, 
ist  nichts.  Ist  gleich  ein  Tanz,  allein  eine  deine  Ver- 
weilung kommt  dazwischen,  sonst  ist  alles  ein  Teuffl,  ein 
Hell  2)."  „Unter  den  Türken  haben  die  Prediger  mehr  Schutz, 
als   oben  oder  hier  unten." 

Neben  Klombner  wirkte  Sebastian  Krell,  mit  Flacius 
aus  Jena  geflohen  und  durch  ihn  bei  Klombner  in  Laibach 
persönlich  eingeführt,  ein  Freund  des  Gallus  and  hoch  von 
ihm  geehrt,  ein  Mann  des  Gebetes,  der  bei  aller  Leibes- 
schwäche auch  in  der  Landschaftschule  thätig  war  ^).  Er  hatte 
den  Ständen  Melissander  empfohlen  und  fürchtete  nichts 
mehr  als  die  Saat  (progenies)  der  Adiaphoristen  und  In- 
terimisten ;  auch  klagt  er  über  den  Mangel  an  passenden 
Predigern. 

Auf  der  anderen  Seite  stand  Primus  Trüber,  der 
zu  Anfang  des  Jahres  1564  sich  in  einem  Briefe  an 
Nie.  V.  Graveneck  des  Zwinglianismus  verdächtig  gemacht 
hatte,  weshalb  Herzog  Christoph  ihn  ermahnte,  sich  solcher 
verdächtiger  Ausdrücke  zu  enthalten'^).  Trüber  war  Vertreter 


1)  d.  i.  im  Eeich. 

2)  Klombner  ist  durchaus  nicht  optimistisch  und  kein  Freund 
der  „Halben",  wie  solche  durch  Trüber  und  überhaupt  von  Tübingen 
aus  nach  Inner-Osterreich  befördert  wurden. 

3)  b.  Th.  Elze,  Die  Rektoren  der  krain.  Landesschule  in  Laibach 
während  des  XVI.  Jahrh.,  Jahrbuch  d.  Ges.  f.  d.  Gesch.  d.  Prot. 
in  Österreich,  Heft  3  u.  4,  1899.  Hier  redet  Elze  sehr  entschieden 
von  jenen  zwei  Richtungen  (besonders  S.  119  u.  J49),  verwechselt 
aber  nach  seiner  Weise  Luthertum  mit  Flacianismus,  um  der  guten 
Sache  in  Inner-Osterreich  einen  gehässigen  Anstrich  zu  geben. 

4)  Vgl.  Laibacher  landschaftl.  Archiv,  Fase.  54  h.  Evang.  R.  S. 
Trüber  betreffend  ex.  1564.  Auch  Klombner  tadelt  Trüber  eben- 
deswegen in  einem  Brief  an  Gallus  (1568),  sowie  auch  noch  wegen 
anderer  in  der  windischen  Vorrede  zum  N.  T.  nachweisbarer  Irr- 
thümer  über  Werke,  Rechtfertigung,  freien  Willen  etc.  (R.A.  Eccles. 
Nr.  XXXVI,  St.  25.  vergl.  Sillem,  Primus  Trüber  S.  14). 

7* 


—     100     - 

einer  freieren  Richtung  und  nach  seiner  Vertreibung  aus 
Krain  Ende  Juli  1565,  wie  Elze  sagt,  besonders  Gegner  der 
flacianischen,  „alle  Entwicklung  der  evangelischen  Kirche 
und  Schule  in  Krain  hindernden  Richtung".  Man  ging 
so  weit,  ihn  bei  den  Ständen  in  Krain  zu  verklagen,  als 
sei  er  nicht  der  Augsburger  Konfession  gemäß,  und  seine 
Kirchenordnung  beim  Erzherzog  Karl  anzuschwärzen  i) : 
eine  Beschuldigung,  die  aber  die  Stände  als  unbegründet 
ablehnten,  indem  sie  in  ihrem  Entschuldigungsschreiben 
an  den  Erzherzog  sich  darauf  beriefen,  daß  sie  ihn  nie 
anders  als  gemäß    der  Augsburger  Konfession  befunden. 

Gewiß  ist  also,  daß  sich  die  Gesinnungsverwandten 
eines  Klombner  und  Krell  und  die  eines  Trüber  in  Schule 
und  Kirche  stießen  2),  und  die  Berufungsgeschichte  Melis- 
sanders  zeigt  uns,  mit  welchen  Mitteln  hier  gefochten  wurde. 
Der  Prediger  Seb.  Krell,  welcher  nach  Trubers  Vertreibung 
aus  Laibach  (Ende  Juli  1565)  in  die  Würde  eines  Super- 
intendenten vorgerückt  war,  bemühte  sich  jetzt,  an  die 
durch  Budina's  ^)  Pensionierung  1566  erledigte  Stelle  eines 
Rektors  der  Landschaftschule  seinen  gleichgesinnten  Freund 
M.  Kasp.  Melissander  zu  bringen.  Kaspar  Bienemann  (Melis- 
sander), um  1537  in  Nürnberg  geboren,  hatte  in  Jena  unter 
Flacius  studiert  und  war,  wie  Krell,  seinem  Lehrer  1561 
aus  Jena  nach  Regensburg  gefolgt^);    dann    aber    hatte   er 


l),Vgl.  Dimitz,  Geschichte  Krains.  Bd.  II,  4,  sowie  das  land- 
schaftl.  Archiv.  Eel.  S.  No.  2,  16  zu  Laibach. 

2)  Derartige  Gesinnungsgenossen  brachten  es  im  Mai  1582  dahin, 
daß  ihnen  von  Herzog  Ludwig  der  Professor  Dr.  Nicodemus  Frischhn, 
dessen  Leben  David  Strauß  beschrieben,  überlassen  wurde ;  im  Schul- 
kollegiuni  in  Laibach  saßen  damals  die  drei  Stadtprediger,  Super- 
intendent M.  Christ.  Spindler,  M.  Georg  Dalmatin  und  M.  Felic. 
Trüber,  welche  bei  dieser  Berufung  die  Augen  zudrückten.  S.  Elze, 
a.  a.  O.  S.  127. 

8)  Gesinnungsgenosse  des  Trüber,  vgl.  Elze  a.  a.  0. 
4)  Er  wurde  vom  Rektor  Matthias  Coler  in  Jena  (9.  Febr.  1562) 
auf  den  4.  Mai  citiert,  um  sich  zu  rechtfertigen  wegen  der  Mitteilung 
einer  Eechtfertigungsschrift  des  Flacius  an  Johann  Dürnpacher,  welcher 


—     101     — 

sich  nach  Tübingen  gewandt,  wo  er  1564  magistrierte.     So- 
dann   wurde    er    Professor    in    Lauingen,    an    jener   Schule, 
welche  Herzog  Wolfgang  von  Pfalz-Neuburg  gegründet  und 
die    von    1562—1622    daselbst    in    Blüte    stand  i).     Diesen 
luden  die  Stände  ein,    nach  Krain    zu  kommen  und  er  be- 
fand sich    schon    auf   der    Reise  nach  Laibach    in  Regens- 
burg,   als    die  Stände,    gewarnt  durch  ein  Anschreiben  des 
Erzherzog   Karl,    ihr    durch    Hans    Diener,    Burggrafen    zu 
Laibach    (damals    in    Augsburg),   mittels    Expreßboten   vom 
23.  März   1568   übersandtes  Berufungsschreiben  widerrufen 
ließen.    Dieser  Widerruf  (d.  d.  Laibach,  Ostermontag   1568) 
war    durch    den  Freiherrn  v.  Egk  an  Gallus  gerichtet    und 
wurde    behufs    schnellerer  Beförderung   über  Venedig  nach 
Regensburg  gesandt.    Vergebens  verteidigt  sich  Melissander 
am  6.  April  1568  in  einem  Schreiben  an  die  Stände  gegen 
die   auf  ihn   gehäuften  Ivalumnien,    als   ob   er  ein  aufrühre- 
rischer Geist    sei,    sofern    er   gegen    die    Interimisten,    Syn- 
ergisten und  Adiaphoristen  gestritten.    Vergebens  macht   er 
geltend ,    daß    er    bereits    mit    seiner    ganzen    Familie    sich 
unterwegs    in    Regensburg    befinde.      Vergebens    sind    die 
Klagen  des  Gallus,  daß  man  einen  Anhänger    des  frommen 
Krell  und  der  Augsburgischen  Konfession  verworfen  habe ; 
vergebens  klagt    auch    Klombner  in  einem  Brief  an  Gallus 
über   dieses  Vorgehen.     Melissander   bleibt  Österreich    fern 
—    warum?       „Etliche    Theologen    und    angesehene    Leute 
haben   vor    ihm    gewarnt."     Er    war    eben    ein  Gegner    der 
damals  herrschenden   melanchthonischen  Richtung.     Später, 
nachdem   er  als  Professor  in  Jena  eine  Rede,  die  den  Titel 
„Confessio"  trägt,  an  einem  großen  Disputationstage,  5.  März 


ihn  dann  angegeben  hatte  und  dadurch  sich  von  dem  ihm  drohenden 
Todesurteil  befreite.  (Vgl.  Präger  11,  S.  178.)  Jene  Citation  desEektors 
findet  sich  in  den  ß.  A. 

1)  In  Lauingen  wirkte  auch  Pfauser  nach  seiner  Entlassung 
aus  Österreich  1560  als  Pfarrer  und  Superintendent;  er  wurde  mit 
den  Professoren  der  dortigen  Schule  bald  in  Streitigkeiten  verwickelt 
(DöUinger,  Reformation  1,  S.  440;  Raupach,  Presbyterologie,  S.  140). 


—     102    — 

1572,  öffentlicli  gehalten,  ergab  sich,  daß  er  sich  von  der 
Meinung  des  Flacius  zwar  abgewandt,  aber  weit  entfernt 
war  von  dem  Haß  und  dem  blinden  Eifer  der  anderen 
Professoren  1).  Er  starb  1591  als  Generalsuperintendent 
in  Altenburg.  Sein  Symbol  war:  Mortuus  en  vivo;  auch 
war  er  ein  großer  Hebräer  und  Liederdichter.  Es  scheint 
nun,  daß,  „die  etlichen  Punkte  aus  dem  Schreiben  Karls 
an  die  Stände,  betreffend  Cölestin  und  Melissander  -y-  von 
den  evangelischen  Gegnern  dem  Erzherzog  souffliert  worden 
sind,  wodurch  auch  wohl  Klombners  Zornesausbrüche  er- 
klärlich werden  (S.  98).  Daß  damit  dem  Evangelium  in 
Inner-Osterreich  kein  Dienst  geschah,  liegt  wohl  aaf  der 
Hand.  Das  Evangelium  wird  nicht  durch  Intriguen  gefördert. 
Wir  sind  zwar  nicht  der  Meinung,  daß  durch  Be- 
rufung von  Männern,  wie  Casp.  Melissander  oder  J.  F.  Cö- 
lestin 3),  nach  Inner-Osterreich  der  Sache  des  Evangeliums 
besonders  gedient  worden  wäre.  Gewiß  waren  beide  be- 
deutende Gelehrte,  Cölestin  sogar  einer  ersten  Ranges  in 
jener  Zeit,  der  selbst  zwischen  Elacius  und  V.  Nuber 
(1563)  vermitteln  sollte"^),  der  mit  Andrea  in  Lauingen 
zusammentraf  und  über  die  wichtigsten  Zeitfragen  verhan- 
delte,   dann    in    Jena    von   1568 — 72  Professor    war.     Aber 


1)  Preger  II,  S.  361. 

2)  s.  Eegensburger  Stadtarchiv,  Eccles.  XXXV,  Beilage  zu  St. 
15.  Sie  wurden  als  „auffruerische,  Rebellische,  vnruebige,  aigensinige 
eut"  dem  Erzherzog  verdächtigt. 

3)  Vergl.  Klombners  Brief  an  Gallus  etwa  v.  J.  1568.  Cölestin 
war  zeitweilig  in  Ortenburg;  dann  von  dort  vertrieben,  war  er  als  Gast 
Gundakers  v.  Starhemberg  auf  Peuerbach  in  Österreich  und  ging  später 
wieder  nach  Lauingen  und  Jena  als  Professor;  er  starb  in  Wien. 

4)  Vergl.  seinen  wichtigen  Briefwechsel  darüber  mit  Gallus  und 
Flacius  1563  (R.  A.  Eccles.  XXIII,  Z.  114  u.  115.),  worin  er  anfangs 
Nuber  günstiger  beurteilte,  um  in  einem  folgenden  Briefe  doch  alles 
mehr  im  Sinne  des  Flacius  zu  beurteilen,  nachdem  sich  Nuber  sehr 
gemein  gegen  ihn  benommen  und  inzwischen  auch  der  Bigamie  be- 
zichtigt worden.  Er  gestattet  sich  sogar  ein  freimütiges  Wort  an  seine 
zwei  Lehrer.  —  Nuber  war  em  adiaphoristisch  und  synergistisch  ge- 
sinnter Prediger  im  Dienste  der  Freiherren  von  Hoffmann  in  Steiermark. 


—    103    — 

selbst  noch  größere  lutherische  Streittheologen  hätten  in 
jener  Zeit  und  bei  jenen  Händeln  keine  Besserung  mehr 
bringen  können.  Der  bestgemeinte  Eifer  um  die  reine 
Lehre  konnte  einer  solchen  Übermacht  des  Feindes  nicht 
dauernden  Widerstand  bieten.  Woran  es  fehlte,  das  war  hier 
wie  überall  dasselbe  —  es  fehlte  an  Männern  des  Gebetes 
und  des  Glaubens,  wie  Klombner,  Seb.  Krell  und  Barthol. 
Pica;  an  Männern,  die  den  rechten  Kampf  gekannt  und 
aus  innerster  Erfahrung  gleich  einem  Luther  redeten 
und  lehrten;  Männer,  die  den  Verbindungsfaden  zwischen 
Regensburg,  Graz  und  Laibach  nicht  abreißen  ließen,  son- 
dern durch  Briefe  und  Gebet  unterhielten.  Diese  Männer 
aber,  wider  die  allein  die  Jesuiten  auch  in  Inner-Österreich 
nichts  vermocht  hätten,  waren,  wie  sie  selbst  klagen,  in 
der  Minderzahl,  teilweise  auch  krank  oder  müde  geworden 
im  Streit  1).  Die  Älteren  wurden  alsbald  weggenommen 
und  nicht  ersetzt;  genug,  es  ging,  wie  es  Richter  2, 
V.  7 — 10  heißt:  „Es  diente  das  Volk  dem  Herrn,  so  lange 
Josua  lebte  und  die  Ältesten,  die  lange  nach  Josua  lebten 
und  alle  die  großen  Werke  des  Herrn  gesehen  hatten,  die 
er  Israel  gethan  hatte.  —  Da  nun  Josua  gestorben  war, 
....  und  da  auch  alle,  die  zu  der  Zeit  gelebt  hatten, 
zu  ihren  Vätern  versammelt  worden,  kam  nach  ihnen  ein 
ander  Geschlecht  auf,  das  den  Herrn  nicht  kannte."  Wie 
damals,  so  auch  jetzt. 

Treffliche  Worte  schreibt  ein  Mann  wie  der  Grazer 
Landschafts -Sekretär  Bartholomäus  Pica  an  Gallus.  Der 
erste  Brief  ist  bald  nach  der  Krönung  Ferdinands  geschrieben, 
wahrscheinlich    am   6.  Jan.  1562  2).     ^xiT    geben    den  Brief 


1)  Auch  Krell  starb  bereits  nach  dreijähriger  Wirksamkeit  in 
Laibach  nicht  ohne  die  schwersten  Sorgen  betreffs  eines  der  reinen 
Lehre  angehörigen  Nachfolgers  (vergl.  Brief  an  Gallus  vom  1.  Okt. 
1567).  Er  hat  einen  Katechismus  geschrieben  und  eine  Übersetzung 
der  Spangen berg'schen  Postille  hinterlassen,  welche  nach  seinem  Tode 
vollendet  wurde. 

2)  R.  A.  Eccles.  I,  Xo.  XV,  Z.  41. 


—    104    — 

zur  Erleichterung  des  Verständnisses  teilweise  in  deutscher 
Übersetzung  wieder.  „Was  den  allgemeinen  Zustand  der 
Dinge  anlangt,  das  hörst  du  aus  den  Briefen  anderer  und 
besonders  von  unserm  Rueppius  i)  reichlich ,  der  neulich 
auch  über  den  Fortgang  unserer  Gemeinden  im  Einzelnen 
geschrieben,  und  du  hast  ihm  weislich,  wie  ich  selbst  ge- 
lesen, geantwortet.  Sunt  sane  exigua  et  infirma  incrementa, 
adversarii  multa  iniciunt,  desunt  quoque  idonei  Doctores 
et  pii  praecones  verbi,  nee  deessent  illi  fortassis,  si  vester 
recens  per  vos  coronatus  ^)  a  persecutione  tandem  desisteret. 
Quae  et  quanta  impedimenta  Primus  Truberus  laborari  (?)  in 
ipsis  iniciis  habet,  ex  Rueppii  literis  facile  colliges  .... 
Unser  Alter 3)  ist  ganz  vom  Alter  geschwächt;  daß  doch 
unsere  Leute  über  einen  geeigneten  Nachfolger  denken 
möchten.  Sed  bone  Deus,  magna  est  infirmitas  nostracium ; 
illi  Agonothetae^)  qui  negocium  Evangelii  audacter  urgebunt, 
nunc  abrepti  sunt.  Sed  vivit  Christus  qui  vigilabit  super 
verbum  et  nos  oremus  ....  Doctor  Illyricus  misit  nuper 
testes  veritatis  ^)  et  alios  libellos,  quos  passim  inter  pios 
distribui  ....  Grüße  bitte  ehrerbietig  den  Illyricus, 
welchem  ich  bei  dem  schnellen  Abgang  des  Eamulus  des 
Rueppius  nicht  schreiben  kann,  dem  ich  aber  neulich  alles 
einzelne  geschrieben." 

Der  folgende  Brief  ist  gegen  die  Zeit  der  Türken- 
kämpfe um  Sziget  und  zwar  um  Ostern  1566  geschrieben*^); 
Rica  beklagt  zunächst  eine  schwere  Augenkrankheit,  von 
der  Gallus  befallen,  und  giebt  ihm  sehr  seltsamen  ärztlichen 
Rat.     Ihm    ginge    es    gut,   aber  er  sei  selten  ohne  Prüfung 

1)  Maximilian  Eueppius,  ein  steirischer  Adeliger. 

2)  Kaiser  Ferdinand. 

3)  d.  i.  unser  Prediger. 

4)  D.  i.  jene  Vorkämpfer,  die  die  Sache  des  Evangeliums  kühn 
in  die  Hand  nahmen,  sind  jetzt  von  uns  genommen. 

5)  Erschienen  Basel  1556. 

6)  Es  ergiebt  sich  aus  diesem  Briefe,  daß  verschiedene  Briefe  und 
auch  Schriften  von  Predigern  aus  Kärnten,  die  man  dem  Gallus  von 
Graz  aus  zugeschickt,  nicht  in  seine  Hände  gekommen.  Wir  geben 
diesen  Brief  in  deutscher  Übersetzung  (R.  A.  Eccles.  I,  No.  XII,  Z.  81). 


—     105     - 

und  [wünsche  auch  nicht  ohne  Kreuz  zu  leben.  Zu  den 
übrigen  Kümmernissen  komme  hinzu  ein  kränkliches  Alter 
und  politische  wie  häusliche  schwere  Lasten  i),  „Aber  von 
dem  allem  werde  ich  nicht  so  sehr  erregt,  als  durch  die 
Erfahrung,  daß,  je  mehr  das  reine  Wort  Gottes  hervor- 
leuchtet, um  so  mehr  überall  Hartnäckigkeit,  Sicherheit, 
Undank  und  alle  mögliche  Grottlosigkeit  hervortritt.  Die 
höchst  undankbare  Welt  wird  für  solche  übermäßige  Ver- 
gehen zwar  späte,  aber  doch  gerechte  Strafe  leiden  müssen. 
Ich  sehe,  daß  je  näher  uns  die  türkische  Tyrannei  und 
Barbarei  tritt,  um  so  sicherer  und  hartnäckiger  die  Menschen 
bei  uns  werden.  0,  Adamantina  coeca  pectora!^)  .  ,  .  . 
Wie  viele  sind  ihrer,  die  solche  unverbesserliche  Übel  er- 
wägen und  daran  denken,  wahre  Buße  zu  thun.  Alle  werden 
sie  von  allerlei  Sicherheit  und  Gottlosigkeit  übermannt, 
wobei  sie  alle  Ermahnung  der  Prediger  und  Männer  Gottes 
verwerfen.  Ich  habe  gehofft,  daß  die  Regenten  Deutsch- 
lands nach  altem  Brauch  einen  Bußtag  ausschreiben  würden, 
aber  davon  schweigt  alles,  auch  bei  Euren  Fürsten  und 
Vertheidigern  der  Irrtümer.  Überall  werden  Soldaten  aus- 
gehoben, Rosse  und  Wagen  werden  zum  Krieg  bereitet, 
aber  niemand  erwägt,  woher  der  Krieg  kommt.  Sed  haec 
Deo  committenda  in  cuius  manu  ista  sunt  ^)  .  .  .  .  Nach 
dem  Tode  unseres  Alten  ist  sein  Diacon,  der  mäßig  predigt, 
an  die  Stelle  getreten  und  lehrt  frei  zugleich  mit  einem 
der  zwei  Feldkapläne.  Unsere  Herren  wünschen,  daß  noch 
zwei  jenen  beiden  Eeldkaplänen  zugefügt  würden,  zur  bes- 
sern Versehung  der  Kriegstruppen,  aber  der  Fürst  gibt 
auf  Anreizung  der  Bischöfe  keinen  salvus  conductus  mehr. 
Es  steht  überhaupt  noch  zu  erwarten,  auf  welche  Seite  sich 
der  Sinn  des  Fürsten  wenden  werde.  Es  fehlen  unserm 
Lande  überhaupt  nützliche  und  heilsame  Männer  in  Kirche 
und    Staat.      Ich    bitte    Gott    von    ganzem   Herzen    und    in 


1)  Er  hatte  damals  zeitweilig  das  Amt  eines  Quästors. 

2)  ü,  über  die  Herzen,  die  blind  und  härter  sind  als  ein  Diamant  I 

3)  d.  h.  das  müsse  man  Gott  überlassen,   in  dessen  Hand  dies 
alles  sei. 


—     106     - 

heißen  Gebeten ,  daß  er  solche  sende  und  nach  seiner 
unendlichen  Güte  unsere  zerstreuten  Kirchlein  zu  Ehren 
seines  Namens  und  zum  Heile  vieler  wachsen  lasse  und 
unserer  Fürsten  Herz  lenke,  daß  sie  den  König  der  Ehren 
einziehen  lassen,  und  unsere  Herzen  lenke  zum  Gehorsam 
gegen  Gott  und  zur  wahren  Frömmigkeit.  Amen."  Schließ- 
lich grüßt  Pica  die  noch  am  Leben  sind  von  den  Bekannten 
vind  hofft  die  anderen  im  Jenseits  zu  sehen.  Auch  fragt  er 
dringend  nach  Illyricus,    dessen  die  Welt  nicht  wert  sei  ^). 

Solche  Zerklüftung  innerhalb  einer  und  derselben  Kirche 
zeigt,  daß  nicht  viel  Gutes  für  die  Zukunft  zu  erwarten 
war,  und  daß  der  Fehler  in  der  Vergangenheit  lag  —  ein 
Fehler,  der  nicht  recht  erkannt  und  gebüßt  worden. 

Seit  dem  Augsburger,  resp.  Leipziger  Interim  ist  die 
gesamte  lutherische  Kirche  aus  den  Fugen  gegangen  und 
nie  wieder  zur  Reinheit  der  ersten  Zeit  Luthers  zurück- 
gekehrt. Die  Konkordienformel  bringt  Änderung  in  diese 
gelockerten  Verhältnisse,  und  zwar  eine  Änderung  zum 
Bessern ;  aber  sie  bringt  doch  schon  mehr  ein  Bekenntnis 
zum  Ausdruck,  das  im  Buche  steht,  einen  Kompromiß 
zwischen  den  streitenden  Parteien.  Daß  sie  ein  frisches, 
fröhliches  Bekenntnis  wäre,  wie  solches  1530  geschehen 
kann  man  nicht  sagen.  Ihre  Verfasser  sind  auch  ganz 
danach  angethan,  um  eben  nur  solch  ein  Bekenntnis  herzu- 
stellen, wie  jene  Formel. 

Blicken  wir  nach  Österreich,  besonders  nach  den  Erb- 
ländern, nach  Ober-  und  Nieder-Österreich,  so  ist  bei  allen 
Verkehrtheiten    und    Ausschreitungen   im    einzelnen ,    wobei 


1)  Ein  Gegenstück  zu  Pica  bietet  das  Lebensbild  Caspar  Hirsch's, 
eines  späteren  Landschafts-Sekretärs  in  Graz,  welches  Gustos  Mencik 
aus  einem  in  der  Wiener  Hofbibliothek  befindlichen  Kalender  zu- 
sammengestellt hat.  Hirsch  ist  ein  unruhiger,  nach  seiner  Vertreibung 
aus  Graz  bald  in  Württemberg,  bald  in  Österreich  ansässiger  Mann, 
der  sich  wiederholt  wegen  Abweichungen  im  Punkte  der  Gnaden- 
lehre vor  lutherischen  Kircheubehörden  rechtfertigen  mußte.  Er 
huldigte  nämlich  dem  groben  UniversaHsmus  des  Samuel  Huber, 
imd  für  ihn  waren  die  Männer  der  Konkordienformel  Prädestinatianer 
oder  Xeocalvinisten  (JB.  f.  Gesch.  d.  Prot,  in  Österreich,  XXII.  1,  2), 


—     107     — 

wir  der  furchtbaren  Erbitterung  der  aus  dem  Reiche  Ver- 
triebenen Rechnung  tragen  müssen,  im  allgemeinen  folgen- 
des zu  sagen. 

Man  ereifert  sich  in  den  Streitigkeiten  zwischeu 
1560 — 1580  doch  immer  noch  über  Lebensfragen:  Sünde 
und  Gnade,  freier  Wille  und  Gottes  Souveränität;  über 
Adiaphorismus,  Majorismus  und  Synergismus  —  nicht  aber 
über  Kirchenverfassungsfragen,  die  man  vielmehr,  freilich 
ohne  Schuld  der  Theologen,  allzusehr  beiseite  ließ.  Da- 
gegen hatte  man  eine  feine  Nase,  wo  man  seitens  der  dem 
Kaiser  genehmen  Politiker  und  Theologen  mit  dem  Betrug 
umging,  „das  Babstthum  unter  dem  Namen  der  Augsburgi- 
schen Coufession  aufzurichten  und  zu  bestätigen"  i).  Man 
hatte  eine  noch  feinere  Nase  dafür,  wenn  unter  dem  Deck- 
mantel des  sogenannten  „Accidens"  die  Erbsünde  verkleinert 
werden  sollte.  Kurz  man  fürchtete  seine  alten  Feinde, 
die  Danaer,  auch  wo  sie  Geschenke  brachten.  Daher  der 
Streit  und  die  Aufregung,  die  nimmer  zur  Ruhe  kommen 
wollten,  bis  endlich  zu  Anfang  des  XVII.  Jahrhunderts,  seit 
Matthias'  Auftreten,  die  Protestanten  einer  relativ  ruhigeren 
Zeit  sich  erfreuen  durften,  und  die  Gemeinden,  besonders 
in  Österreich  unter  der  Enns,  leidlich  zufrieden  lebten. 

Endlich  geben  wir  noch  zu  bedenken,  daß  es  eine  Zeit 
war,  da  die  Prediger  keine  Superintendenten  und  kein 
ordentliches  Konsistorium  besaßen,  was  nach  dem  Toleranz- 
Edikt,  1781,  der  Fall  war.  Man  hatte  dem  Kaiser  Maximilian 
den  für  die  Evangelischen  höchst  nachteiligen  Rat  gegeben, 
sich  auf  kein  Summepiskopat  oder  Einrichtung  eines  Staats- 
kirchentums  einzulassen ;  solches  geschah  durch  den  Bischof 
von  Gurk.  Maximilian  überließ  vielmehr  die  weitere  Gestal- 
tung des  neuen  Kirchenwesens  den  Ständen  und  beging  hier- 
durch, wenn  er  es  wenigstens  mit  den  Evangelischen  ernst 


1)  !?.  Regensburger  Akten  Eccles.  Kasten  D,  Fach  I,  No.  XXXVI, 
8t.  15:  Nie.  Gallus  an  die  Stände  von  Krain  in  der  Melissander- 
schen  Berufungsangelegeuheit. 


—     108    — 

meinte ,  einen  großen  Fehler  ^).  Die  Stände  nahmen  die 
Sache  selbst  in  die  Hand ;  es  war  ihnen  nur  erlaubt,  zur 
Leitung  ihrer  kirchlichen  Angelegenheiten  Deputierte  zu  er- 
nennen und  einen  Superintendenten  aufzustellen,  der  aber 
nicht  die  Ordination  vornehmen  durfte.  Hierdurch  entstand 
im  Schöße  der  Stände  eine  Behörde,  auf  welche  sämtliche 
Bekenner  der  evangelischen  Lehre  blickten.  Damit  aber  war 
vielerlei  Unordnung  Thür   und  Thor  geöffnet. 

Wir  haben   im    bisherigen    besonders    die  Beziehungen 
Thüringens  zu  dem  evangelischen  Osterreich  im  Zeitalter  der 
Reformation   aus  den  Akten  des  Regensburger  Stadtarchivs 
erläutert  -)  und  treten  jetzt  auf  österreichischen  Boden  hinüber. 
Wir  wünschen  auch  hier  jene  Regensburger  Quellen  nutzbar 
zu  machen,  ohne  natürlich  eine  vollständige  Reformationsge- 
schichte geben  zu  wollen.    Wir  müssen  da  zunächst  die  vier 
Herrscher   aus  dem  Hause    Habsburg:    Ferdinand  L,  Maxi- 
milian IL,  Rudolf  IL  und  Matthias,  die  ein  ganzes  Jahrhundert 
einnehmen  (1521  — 1619),  in  Betracht  ziehen.  Alle  vier  haben, 
wenn  auch  nicht  gleichmäßig  freundlich,  so  doch  auch  nie  ab- 
solut feindselig  sich  zu  den  Evangelischen  gestellt.  Wenn  wir 
absehen    von   der  ersten  Regierungszeit  Ferdinands,    so  hat 
keiner   dieser  Herrscher   blutig  die  Evangelischen  verfolgt; 
Toleranz    haben    alle    vier   zu    gewissen    Zeiten    geübt.     Es 
wäre    gewiß    dem    Protestantismus    gelungen,    sich    auch   in 
Osterreich  auf  die  Dauer  zu   befestigen,  wenn  nicht  in  ent- 
scheidenden   Augenblicken    gerade    protestantische    Fürsten 
dem    am   meisten    entgegen    gearbeitet  hätten ;    unter  ihnen 
besonders  August  von  Sachsen  (reg.  1553 — 1586)  3). 

1)  Wiedemann  I,  S.  361. 

2)  Vgl.  Zeitschrift  für  Thüringische  Geschichte  u.  Altertumskunde 
Bd.  XX.  8.  327  ff.,  woselbst  die  bisherigen  Abschnitte  abgedruckt  sind. 

3)  Bei  seinem  Tode  wehklagten  am  meisten  die  am  schmerz- 
lichsten betroffenen  Parteigänger  der  habsburgischen  Politik.  Vgl. 
„Urteil  eines  Zeitgenossen  über  Kurfürst  August"  im  Archiv  f.  Kunde 
sächsischer  Geschichte,  Bd.  VI,  S.  218—217,  Leipzig  18G8,  ed.  D. 
Karl  Weber. 


100 


Besondere  Persönlichkeiten  zur  Zeit  der  Reformation 
in  Nieder-  und  Oberösterreicli. 

A.    Die  Fürsten. 
Ferdinand   IA\ 

Unter  den  leitenden  Persönlichkeiten  des  Jahrhunderts 
kommt  zunächst  König  Ferdinand  in  Betracht,  der  Wien 
wieder  zum  Mittelpunkt  und  Schauplatz  großer  Ereignisse 
machte.  Er  war  für  seine  Person  dem  alten  Glauben  er- 
geben und  sah  mit  Schmerz,  wie  ein  Teil  seiner  Unter- 
thanen,  besonders  der  Adel,  sich  von  jenem  Glauben  ab- 
und  dem  protestantischen  Bekenntnis  zuwandte.  Er  duldete 
aber  die  Vei-breitung  des  protestantischen  Gottesdienstes 
trotz  aller  Mandate  dagegen  und  gab  selbst  seinem  Sohn 
Maximilian  einen  Lehrer  von  evangelischer  Richtung,  namens 
Schiefer  (Severus;  und  diesem  folgte  1539  P.  Collatinus,  ein 
Freund  des  Joach.  Camerarius. 

Die  Vorbereitungen  auf  eine  Glaubensänderung  waren 
seit  dem  vorigen  Jahrhundert  schon  im  Gange;  besonders 
die  Verderbtheit  des  Clerus  und  seine  Unwissenheit  gaben 
den  wesentlichsten  Anstoß.  Häretische  Klänge  drangen  aus 
den  Räumen  der  Universität  hervor.  Es  wurden  öffentliche 
Predigten  gehalten,  die  den  tiefen  Zwiespalt  im  Schöße  der 
Kirche  und  bedenkliche  Angriffe  auf  kirchliche  Einrich- 
tungen zu  Tage  förderten'^).  Rasch  verbreitete  sich  durch 
Pamphlete  die  Kenntnis  von  dem,  was  in  Sachsen  und  auf 
dem  Reichstage  zu  Augsburg,  an  welchem  Ferdinand  den 
regsten  Anteil  nahm,  geschehen;  der  Adel  neigte  nach 
Wittenberg^);    Ferdinand  konnte  keinen  dauernden  Wider- 


1)  Über  ihn  vgl.  Buchholz,  1831—38,  neun  Bände.  Vgl.  auch 
die  von  Friedensburg  publizierten  Nuntiaturberichte,  die  über  zu  viel 
Nachsicht  gegen  die  Evangelischen  von  selten  Ferdinand  sund  Karls  V. 
klagen. 

2)  K.  Weiss,  Geschichte  der  Stadt  Wien,  II,  20. 

3)  Besonders  lebhaft  waren  die  Verbindungen  zwischen  den 
Jörgers  und  Luther.  Ein  Jörger  war  Kanzler  der  Universität 
Wittenberg. 


—     110    — 

stand  leisten  und  nicht  einmal  verhindern,  daß  seine 
Schwestern  Maria  von  Ungarn  und  Elisabeth,  die  Gemahlin 
Christians  II.  von  Dänemark,  dem  Evangelium  geneigt 
wurden  1).  Die  Opposition  ging  aus  sowohl  von  den  Land- 
tagen seit  1526  als  auch  von  einzelnen  Personen  2).  Wenn 
auch  die  freie  Religionsübung  den  Protestanten  nicht  gesetz- 
lich zuerkannt  wurde,  so  lag  die  Unterdrückung  der  pro- 
testantischen Lehre  doch  noch  in  weitem  Felde.  Ferdinands 
Politik  gegen  die  Protestanten  war,  durch  die  Finger  zu 
sehen.    Besonders  seit  Anfang  der  40er  Jahre,  wo  in  Ungarn 


1)  Von  Maria  von  Ungarn  schreibt  Melancbthon  am  28.  Juli 
1530  an  Luther:  „Die  Königin  steht  bei  Allen  im  Kuf  größter 
Frömmigkeit."  D.  Job.  Henkel  mußte  in  ihrem  Namen  Fragen 
über  den  Gottesdienst  an  Luther  stellen  (vgl.  Enders,  Luthers  Brief- 
wechsel, VIII,  151).  Spalatin  in  seinem  Tagebuch  über  den  Reichstag  zu 
Augsburg  schreibt  1530  folgendes  {p.  413,  27.  Juni):  „Die  Königin 
von  Ungarn  .  .  .  hat  ihr  bisher  ihr  Predigt  nicht  wehren  lassen, 
sondern  soll  Kais.  Maj.  gesagt  und  verwarnt  haben,  sich  wohl  für- 
zusehen, damit  sie  nicht  auch  von  den  Pfaffen  betrogen  werde,  wie 
ihr  Gemahel  König  Ludwig  und  ihr  Bruder  König  Ferdinandus  von 
ihnen  betrogen  wären ;  (412^',  30.  Juli)  Der  Königin  von  Ungarn 
Prediger  Henkel  sagt  ihr  viel  Guts  nach,  sonderlich  daß  sie  .... 
stetigs  ein  lateinisch  Biblien  mit  und  bei  ihr  habe,  auch  auf  der 
Jagd,  und  wenn  ein  Prediger  die  Schrift  nicht  anziehe,  so  suche 
sie  darnach  und  rede  darumb;  (415,  4.  Juli)  Der  Königin  Maria 
Prediger  ist  das  Predigtambt  auch  jetzt  verboten,  wiewohl  die  fromme 
Königin  treulich  dafür  gebetet  hat." 

Die  Schwester  Marias,  Königin  Elisabeth  von  Dänemark,  hatte 
evangelische  Eindrücke  empfangen,  da  sie  bei  jener,  ihrer  altern 
Schwester,  erzogen  war.  Nach  einem  unglücklichen  Leben  an  der 
Seite  ihres  Mannes  endete  sie  damit,  daß  sie  das  Abendmahl  unter 
beiderlei  Gestalt  empfing.  Sie  beschloß  ihr  Leben  in  der  Verbannung 
und  starb,  24  Jahre  alt,  in  der  Nähe  von  Gent. 

2)  S.  V.  Bibl,  Die  Organisation  des  ev.  Kirchenwesens  S.  1  [119] ; 
Th.  Wiederaann,  Eef.  und  Gegenref.  I,  S.  85 — 87:  Auf  dem  Ausschuß- 
tage der  n.-ö.  Lande  zu  Prag  1541  wurde  am  13.  Nov.  eine  Bittschrift  über- 
reicht und  dem  Landesherrn  gesagt,  es  sei  der  Landschaft  höchstes 
herzliches  Flehen  und  demütigste  Bitte,  S.  K.  M.  mögen  bei  den 
Ordinarien  und  aller  geistlichen  Obrigkeit  darob  sein,  daß  das  heilige 
Evangelium   nach  rechtem   christlichem  Verstand   und   der  höchste 


—   111   — 

sich  der  politische  Horizont  trübte  und  er  der  Hilfe  der 
Protestanten  bedurfte,  gab  Ferdinand  den  letzteren  nach. 
Auch  hatte  er  aus  den  Religionsgesprächen  1540  und  1541 
eine  bessere  Meinung  von  ihnen  gewonnen^). 

Seit  dem  Jahre  1546  ändert  sich  die  Sachlage.  Ge- 
schickte Prediger  der  „alten  wahren  Religion"  werden 
dringendstes  Bedürfnis.  Ein  eigentliches  Reformationswerk 
wird  allgemeine  Forderung  der  Zeit^j.  Man  sah  katholischer- 
seits  ein,  daß,  wenn  nicht  eine  Reformation  ins  Werk  ge- 
setzt würde,  alles  zu  Grunde  gehen  werde  ^).  Demgemäß 
trachtete  Ferdinand  für  die  Hebung  des  katholischen  Glau- 
bens etwas  zu  thun.  Er  verfügte  zunächst,  daß  an  der 
Universität  die  neu  zu  berufenden  Lehrer  das  „katholische" 


Artikel  unserer  Heilwürdigkeit,  als  Vergebung  der  Sünde  allein  aus 
dem  Verdienst  und  Leiden  Jesu  Christi,  und  daneben  die  Liebe  des 
Nächsten  und  aller  guten  Werke  als  Frucht  und  gewisse  Anzeige 
des  innerlichen  Glaubens  geprediget  und  mit  den  Geboten  Gottes 
zu  steter  rechter  Pönitenz,  als  zu  Widerstand  der  bösen  sündlichen 
Affecten  oder  Neigung,  auch  Danksagung  der  hohen  Gnaden,  das 
wir  allein  aus  solchem  Verdienst  Christi  von  Süud,  Tod  und  Hölle 
erlöset  und  Kinder  der  ewigen  Seligkeit  werden;  daß  auch  das  hoch- 
würdige Sakrament  des  Altars,  denen  so  aus  christlicher  Neigung, 
wie  es  im  Anfang  der  Christenheit  auf  etliche  Hundert  Jahren  ge- 
halten worden  und  noch  in  vielen  Landen  gebraucht  wird,  begehren, 
also  gereicht  werde."  Ferdinands  Antwort  auf  diese  aus  der  Feder 
von  Justus  Jonas  geflossene  Bittschrift  entsprach  nicht  den  Er- 
wartungen der  Stände,  und  in  der  von  Ungnad  verfaßten  Schlußrede 
nannten  sie  die  katholische  Religion  geradezu  eine  Abgötterei. 

1)  Von  1541  an  bemerkt  auch  Eaupach  ein  merkliches  Nach- 
lassen Ferdinands  von  seiner  vorigen  Heftigkeit,  was  aus  ver- 
schiedenen Gründen  abzuleiten,  besonders  auch  daher,  daß  der 
Bischof  von  Wien,  Johann  Faber,  1541  gestorben,  und  Ferdinand 
überhaupt  mehr  Fühlung  mit  Evangelischen  direkt  und  indirekt 
hatten.  (Vgl.  das  Wormser  und  Eegensburger  Gespräch,  1540 — 41, 
welch  letzteres  Faber  in  einem  Briefe  an  Aleander,  28.  Januar  1541, 
aufs  äußerste  perhorrescierte,  da  er  die  Gefährlichkeit  desselben  einsah.) 

2)  Vgl.  Wiedemann,  I,  S.  87  Note,  S.  104  ff.,  S.  127  Note,  S.  135. 

3)  Vgl.  Mauren brecher,  Skizzen  zur  Reformation,  S.  274:  „Die 
prot&stantische  Reformation  rief  eine  katholische  hervor." 


—     112    — 

Glaubensbekenntnis  abzulegen  hätten,  und  machte  für  seine 
Unterthanen  das  Studium  in  Wien  und  Freiburg  obliga- 
torisch. Besonders  wurde  das  Studium  in  Wittenberg  ver- 
boten (1548).  Auch  die  Lehrer  der  Partikularschulen  mußten 
auf  ihren  katholischen  Glauben  geprüft  werden. 

Urban  Textor,  Bischof  von  Laibach  bringt  die  Jesu- 
iten ins  Land.  Die  Evangelischen  sahen  in  seinem  jähen 
Ende  durch  einen  Sturz  von  der  Treppe  ein  Gottesgericht  ^). 
Ferdinand  aber  versprach  sieb  Erfolg  von  jener  Berufung 
behufs  Herstellung  der  Autorität  der  Kirche.  Es  war  dafür 
auch  seines  Erachtens  hohe  Zeit.  Im  Landtag  saßen  nur 
mehr  5  Katholische  vom  Herrenstand.  Katholische  Leichen- 
bestattungen mit  Sang  und  Klang,  Prozessionen  und  An- 
dachten der  Bruderschaften  mußten  eingestellt  werden,  w^eil 
die  Geistlichkeit  in  Gefahr  war,  auf  den  Straßen  beschimpft 
zu  werden.  Es  wurden  also  den  Jesuiten  Collegia  ein- 
geräumt, um  auf  den  Unterricht,  besonders  der  Söhne  des 
Herren-  und  Ritterstandes,  einzuwirken.  Kelch,  Abschaffung 
der  Messe,  Zulassung  der  Priesterehen  waren  so  allgemein,  daß 
das  Gegenteil  zur  Ausnahme  gehörte.  Interessant  ist  die 
Nachricht,  welche  Herzog  Christoph  2)  am  12.  Mai  1554  dem 


1)  S.  Eaupach,  Presbyterologie,  II.  Nachlese,  S.  92.  Valvasor 
in  seinem  Buch  „Ehre  des  Herzogtums  Krain",  Teil  II,  S.  664  will 
wissen,  daß  dieser  plötzliche  Tod  des  Bischofs  durch  eine  Hinter- 
list der  Evangelischen  geschehen  sei,  welche  in  der  kalten  Winter- 
nacht die  Treppe  mit  Wasser  begossen ,  auf  welcher  Textor  aus- 
gegütten  und  sich  zu  Tode  gefallen  habe.  Raupach  nennt  dies 
eine  boshafte  Beschuldigung,  und  ist  es  doch  gewiß  nicht  aus- 
geschlossen, daß  jener  Fall  ein  neues  Glied  an  der  langen  Kette  von 
Beispielen  de  mortibus  persecutorum  bildet.  Jedenfalls  hätten  jene 
Übelthäter  nicht  im  Auftrag  ihrer  kirchlichen  Obern  also  gehandelt. 
Flacius  Illyricus  in  einem  „Epigramma  in  foedain  mortem  Urbani 
Episcopi  Labacensis"  und  Wolf  gang  Waldner  haben  den  Tod  des 
Bischofs  als  ein  Gottesgericht  bezeichnet  (s.  Eaupach,  a.  a.  O.  S.  89 
und  deutsch-österreichische  Litteraturgesch.  von  Dr.  Nagl  u.  Zeidler, 
S.  503). 

2)  Vgl.  Briefwechsel  des  Herzogs  Christoph  von  Württemberg. 
Im  Auftrag  der  Kommission  für  Landesgeschichte  herausgegeben  von 
Dr.  Viktor  Ernst,  Bd.  II,  1553—54. 


—     113     - 

Kurfürsten  Friedrich  von  der  Pfalz  sendet,  König  Ferdinand 
habe  den  Bischöfen,  Prälaten  und  der  Landschaft  in  Ungarn 
auf  dem  ,,Rakosch"  ^)  zu  Preßburg  auf  ihr  „streng  und  emsig" 
Anhalten  1)  die  Predigt  des  reinen  Evangeliums,  2)  die 
communio  sub  utraque,  3)  die  Priesterehe  zugestanden.  Die 
österreichische  Landschaft  wolle  jetzt  diese  drei  Zugeständ- 
nisse auch  für  sich  gewinnen  ^). 

Den  eigenmächtigen  Gebrauch  des  Kelches  untersagte  zu 
gleicher  Zeit  Ferdinand  in  seinen  Erbländern  durch  das  General- 
mandat V.  20.  Februar  1554,  nahm  es  aber  nach  dem  Augs- 
burger Religionsfrieden,  im  Jahre  1 556,  gedrängt  durch  Türken- 
und  Geldnot,  zurück.  Demnach  sollte  den  Protestanten  in  den 
Erblanden  der  Gebrauch  des  Kelches  nicht  verwehrt  werden. 

Überhaupt  fällt  nach  unsern  Akten  in  jenes  Jahr  1554 
eine  stärker  hervortretende  Neigung,  den  Protestantismus  in 
den  Erbländern  zu  verfolgen.  J.  v.  Perckhaim,  Herr  von 
Wirting  und.  Roseneck,  ein  Adeliger  aus  Oberösterreich  von 
hohem  Ansehen^  klagt  in  einem  Brief  an  den  Juristen  D. 
Joh.  Hiltner  3)  in  Regensburg,  seinen  alten  Studienfreund  und 
Mitglied  des  Rats  (welcher  Brief  zugleich  für  Gallus  be- 
stimmt war)  aus  Linz  vom  15.  April  1554  *):  „Wasmassn 
die  K.  M.  mit  ainer  landtschafft  preceptor  ^)    In  Osterreych 

1)  Rakosch  oder  Ragocz  wurde  in  Ungarn  das  Feld  genannt, 
wo  die  Stände  ihre  Reichstage  hielten,  und  wobei  der  König  in 
Person  erschien.  Lat. :  campus  coniitiorum  Hungariae  (S.  Hübner, 
Staats-  u.  Konversationslexikon  s.  v.).  Seit  1541,  wo  Ofen  in  die 
Hände  der  Türken  fiel,  war  Preßburg  die  Hauptstadt  Ungarns. 

2)  Vgl.  auch  Raupach,  1,  S.  42. 

3)  Über  ihn  s.  WiLh.  Geyer,  die  Einführung  der  Reformation 
in  Regensburg  S.  18. 

4)  R.  A.  Eccles.  I,  Nr.  LVIII,  Z.  17. 

5)  Nach  einem  spätem  Brief  Perckhaims  hieß  derselbe  Polito  (?) 
und  wird  ein  guter  ehrUcher  Mann  genannt,  welchen  die  Hauptfeinde 
der  gottseligen  Lehre,  die  Jesuiten,  verfolgen  (12.  Aug.  54).  Dieser 
Jörg  oder  Georg  Freiherr  von  Perckhaim  wurde  1508  geboren,  und 
gelangte  später  zu  hohen  Würden  :  er  war  1547  auf  dem  Reichstag  zu 
Augsburg,  1555  und  1556  bei  der  Zusammenkunft  der  österr.  Lande 
und  der  Grafschaft  Görz  zu  Wien.  Er  starb  1559  als  der  Letzte  eines 
uralten  Geschlechtes,  wie  seine  Zeitgenossen  Schaimburg  und  Kuenring, 

8 


-     114    — 

vnter  der  Ens,  vmbget  vnd  durch  pischoff  von  laybach 
vnd  ain  a  Josuit  ^)  handlt,  vnd  wie  die  khuaben  so  15  Jerig 
ler  pekhantnus  zum  thayl  vor  K.  M.  on  schreckh  vnd  zum 
thayl  vor  dem  pischoff  than,  werd  ler  von  Andres  Wolffn 
vernemen,  gleychs  vals  von  dem  pfarrer  zu  weyßnpach. 
Vnd  werdn  nun  theglich  mer  gefenckhlich  einzogen,  wellns 
alles  auff  das  pabstumb  pringen  '^)  wies  den  an  Jetz  Im  rakosch 
an  die  Hunger  avich  pegert  wierdt  welich  aber  sych  noch 
pis  hör  3)  ganz  cristlich  erzaigen  vnd  In  die  abgotterey  nit 
gebilligt,  got  wel  sy  erhalten,  amen,  woln  demnach  mit 
Innerlich  petn  vnd  schreyen  zu  Gfot,  das  er  sy  pey  dem 
waren  cristlichen  glauben  erhalten  vnd  sterckhen  weil, 
wider  den  theuf  1  und  weldt,  ist  Jemals  pet  ^)  von  nott  ge- 
best so  is  Jetzund."  Im  weitereu  Verlauf  berichtet  er  ver- 
traulich: „Das  vnnser  etlich  (aus  Ober-Oesterreich)  ein 
kleine  vnterthenigiste  schrifft  auff  das  ausgangen  generali 
gesteldt,  welichs  auff  khunfftigen  lantag  merers  pedacht  vnd 
peratschlagt  sol  werden,  dan  vns  sunst  khain  gemaine  Zu- 
samenkhunfft  mer  gestat  wierdt."  Dieselbige  Schrift  möchte 
durch  Hiltner  und  Grallus  durchgesehen  und  verbessert  werden ; 
obwohl  er  der  Meinung  sei,  daß  das  ganze  Bekenntnis  unseres 
Glaubens  darin  stehe,  sei  solches  doch  nicht  jedermanns  Ding. 
Er  gedenkt  daher  des  weitern,  daß  sie  zuvor  zu  Prag  auf  ihren 
Knien  vor  R.  Iv.  M.  ihr  Bekenntnis  gethan  hätten,  das  im 
Druck  öffentlich  ausgegangen  sei  5). 

In  der  Beilage  zu  diesem  Brief  erzählt  Perckhaim 
folgendes:  Ein  gewisser  Paulus,  den  der  Bischof  von  Lai- 
bach auf  seine  Kosten  in  Bologna  hätte  studieren  lassen, 
der  aber  heimlich  über  ein  Jahr  in  Wittenberg  studiert, 
dann  erst  über  Rom  nach  Bologna  gegangen,  hier  Doktor 
geworden  und  hernach  Priester,  erhielt  in  Wien  die  Stelle 
eines  Hofkaplans.     Darauf,  als  die  evangelischen  Eindrücke 

1)  Einen  alten  Jesuiten? 

2)  zurückbringen. 

3)  bisher. 

4)  Gebet. 

5)  s.  Wiedemann,  I,  85. 


-      115     — 

in  ihm  mächtig  wurden,  bat  er  um  Urlaub  vom  Messelesen, 
weil  er  solches  nicht  mehr  könne.  Der  König  gestattete 
das,  hielt  ihn  aber  gleichwohl  am  Hofe  fest,  was  jener 
nur  ungern  that.  Als  nun  der  Theologe  Villinus  sich  nach 
Baden  begab,  ersuchte  er  den  Paulus,  ihn  an  der  Universität 
einstweilen  zu  vertreten,  was  er  that  und  „paulum  ad 
ephesios  angefangen  zu  lesen,  so  gewaltig  vnd  de  pleno  ^), 
das  sich  jedermann  verwundert.  Redt  frey  heraus  trefflich  vnd 
thuet  den  sachen  recht ;  ist  schon  ein  mal  vor  der  K.  M.  selbst 
und  zwier  vor  dem  Herrn  Hofmarschall  In  Capitl  gebest  ^), 
hart  angeredt  wordn,  er  aber  anzeigt,  erlesm'chsNeus,  Sunder 
Paulum  ad  ephesios,  denselbn  Interpretier  er  aus  heyliger 
schrifft  gütlicher  vnd  biblischer,  vnd  mit  den  alten  Vetern. 
Mag  man  das  nyt  leydn,  peger  er  ler  K.  M.  wol  In 
Zihen  lassen,  hat  vil  andwerten^)  von  Hoffgesindt  vnd 
landtleuten,  der  almechtig  sterkh  In  und  erhalt  In." 

Im  Postscriptum  folgt  dann  noch  die  Bemerkung: 
„wist  das  der  Doctor  paulus  das  leßambt  an  der  hohen 
schuel  Nidergelegt  hat,  hat  sein  abschiedt  pegert,  aber 
K.  M.  nit  gebn  wein,  In  der  meß  zu  lesen  pegeben"  ^). 

Am  12.  August  ^)  dankt  Perckhaim  für  die  empfangene 


1)  aus  der  Fülle  des  Herzens. 

2)  gewesen. 

3)  Anwert  s.  v.  a.  Beifall. 

4)  dispensirt.  —  Über  den  gleichen  Vorgang  mit  Paul  SkaUch, 
einem  Kroaten  aus  adeligem  Geblüt,  berichtet  Wiedemanu  II,  S.  83  ff. 
Nach  der  Darstellung  unserer  Akten  jedoch  ist  der  Kaiser  viel  glimpf- 
Ucher  mit  ihm  umgegangen.  Skalich  hielt  später  auch  eine  öffentliche 
Disputation,  in  welcher  er  die  Rechtfertigung  durch  den  Glauben 
verteidigte  (August  1557).  Die  Thesen  schickte  Eeuter  (11.  Oktober 
1557)  als  .Aieilige  Neuzeitung"  an  Galius;  er  nennt  ihn  einen  gelehrten 
Mann,  „der  unser  religion  lieb  soll  haben.  Gott  welle  in  erhalten 
vnd  mit  dem  heiligen  Geist  vmbschatten  durch  Christum,  Amen." 
Obgleich  der  Kaiser  ihm  Wien  zu  verlassen  befahl,  suchte  Maximilian 
Skalich  noch  zu  halten  (Buchholtz  VIII,  223);  er  mußte  ihn  aber 
endlich  ziehen  lassen,  worauf  er  später  wieder  abfiel  und  nach 
mannigfachen  Schicksalen  in  Preußen  verschollen  ist. 

5)  E.  A.  Eccles.,  No.  LVIII,  Z.  24. 

8* 


—     116    — 

Antwort  und  den  gottseligen  Ratschlag ;  er  habe  solches  den 
oberösterreichischen    Verordneten    und    Ausschüssen    vorge- 
bracht (da    keine  gemeine  Landschaft    zusammengekommen 
sei).     Dieselben    hätten    es  für  christlich    und    gut    erkannt 
und  nur    etliche    Änderungen  und  Kürzungen  vorgenommen, 
die    er    Gallus    hiermit    zur    Kenntnis    bringe.     Er    meldet 
ferner,    daß    die    Verordneten    (Ausschüsse)    mit    der  K.  M. 
derzeit  sich  in    keine    weitern  Verhandlungen  (Disputation; 
einlassen   wollten,    sondern    daß  I.  Mt.    allein    zur  Kenntnis 
gebracht  werde,    „das    wier  bey    vnser    ersten   peckhantnus 
peleybni)    ynd  verharren   wein,    ob  ler  M.    also    durch  die 
finger    zuesech     oder     des     mit    der     That    verfolg  2),    was 
wier    mit    gots    gnädiger    hilfif   gwarttn    wein."     —   Ferner 
meldet  er,  daß  I.  K.  Mt.  anjetzt  den  Verordneten  der  Städte 
besonders   geschrieben:  daß  L  M.  hoffen,    es    sei    nicht  aus 
aller  Städte  und  Gemeinden  Willen  geschehen,    daß  sie  im 
Landtag   in    die    Sache  3)    gewilligt  hätten,    mit    beigefügter 
Warnung,  sie  sollten  es  sich  nicht  gelüsten  lassen,   wider  den 
Brauch  der  katholischen  Kirche  [Forderungen  zu  stellen]  *). 
Gemeldete  Städte  sollen  zusammenkommen,  und  werde  sich 
Perckhaim  bemühen,  jenen  königlichen  Befehl  an  die  Städte 
und  ihre  Antwort  zu  erlangen  und  per  Boten  nach  Regens- 
burg zu  senden.     „Den  ler    Mt.    rett^)    damit  vmbgeen  das 
sy    gern    ein  Zerthaylung     zwischen    stendn    vnd    personen 
[anrichten]  darzue    der    teufl    gern  hülff,    hoff   aber    zu  got, 
werdt   vns    pey   vnser   peckhantnus    hinst  6)    zu    dem    endt 
diser    weit    von    wegen    seines    suns   Cristi   parmbherzlich 
vnd     gnedig    erhalten,     Amen,      vnd    gibt    das     nit    wenig 
pefuedrung^)    viller     Cristlich    fuerpit,    so    mit    dem  theg- 
lichen  pater  noster  geschechn  vnd  glaub  gwiß,    daß  zu  dem 
nit  khumen    wer,    wo    nit    offne    gemain  pet,    fuer   uns    ge- 

1)  bleiben. 

2)  d.  h.  mit  Gewalt  abstellen  wolle. 

3)  Freistellung  der  Religion. 

4)  Der  Satz  ist  im  Original  abgebrochen. 

5)  Räte. 

6)  bis. 

7)  Beförderung. 


—     117     — 

schehen  were,  der  tbeufl  feyrt  nit,  man  suecht  jetzt  vil 
rengkh,  wie  man  ein  bösen  frembdn  samen  vnter  vns  strett  i). 
aber  ich  hoffet  es  sol  nit  gerattn. 

Der  pfarher  zu  Weyssnkirchen  ligt  noch  ge- 
fangen, gedenkh  dieweyl  Ro.  K.  M.  an  Jetz  In  pehaim  ^) 
zihen,  daselbst  lantag  zu  halten,  mecht  zuvor  etbas  seint- 
halben  fuergenumen  werdn.  got  erhalt  In  pey  seim  wort, 
wie  ich  hoff,  es  gee  sunst  wies  wel ,  Er  der  guet  Herr, 
wierdt  von  got  reychlich  ergetzt  werdn  und  dadurch  vil 
Cristen  gesterckht  werden."  —  Nach  einer  Bemerkung  über 
die  Türken,  die  mit  den  Persern  zu  thun  hätten,  fährt  er 
resigniert  fort:  „Es  khan  vnd  wiert  pey  vns  nit  vil  gluckh 
sein,  die  weyl  vnsere  Heybter  ^j  wider  rain  wordt  gots  sein 
got  peckher  sy  oder  wer^)  In  ler  vorhaben,  Amen.'' 

In  einem  folgenden  Brief  an  Gallus  aus  Linz  vom 
28.  August  1554^)  schreibt  Perckhaim:  „Ich  khan,  euch  nit 
verhaltn  das  der  theufl  noch  vns  hefiftig  zürnt,  vnd  leugt  ^) 
wie  sein  ardt  ist.  Vor  verrugkhung  ^)  der  Ro.  K.  M.  zu 
Wien  sein  abermals  3  arm  pfarher  gefangen  worden,  alain 
das  sy  das  sacrament  des  altars  In  bederlaj  gestaldt  gebn 
habn,  die  lign  noch  gefangen.  So  hat  man  Im  landthaus 
mit  pebiligung  der  obrigkhait,  auff  dem  sali  ein  freye  sing- 
schuel  gehaltn  wordn,  die  haben  allain  aus  heyliger  schrifft 
gesungen,  vnter  andern  von  den  getzen^)  aus  dem  6.  Capitl 
Baroch,  auch  ein  wenig  den  pabst  augeruert,  wie  die  sing- 
schuel  ain  endt  genumen,  sein  sy  von  stund  an  der  K.  M. 
anzaigt  worden,  vnd  die  2  singer  gefengklich  angenumen, 
vnterrist    In    Kherner   thuern    geworffn^)    daselbst   lign    sy 


1)  streut. 

2)  Böhmen. 
3j  Häupter. 

4)  wehre. 

5)  R.  A.  Eccles.  No.  LVIII,  Z.  25. 
ü)  lügt. 

7)  Vor  der  Abreise. 

8)  Götzen. 

9)  zuunterst  in  den  Kärthner  Thurm  geworfen  —  ein  damaliges 
Gefängnis. 


-     118     - 

peschwerlich  vnd  zu  pesorgn  mueßen  ain  spot  leydn,  die 
weyl  sy  frembt  vnd  nit  peckhandt  sein,  got  lielff  In  aus 
not,  vnsere  Canzler  sein  vleysig,  unser  Herr  wierdt  In  lern 
verdeintn  Ion  geben,  in  dem  sy  hoffen,  der  sol  In  aufF  den 
deinst  wartn,  wo  sy  sich  nit  pekhern  vnd  bues  thain  i)." 

Nachdem  er  die  Eroberung  der  Festung  „Siget"^)  durch 
die  Türken  beklagt  hat,  fährt  er  fort :  Wier  habn  wenig 
gluckh,  vnd  wein  vns  nit  pessern,  sunder  das  wort  Je  lenger 
Je  mer  verfolgen;  vnsern  Canzlern  ist  gleych  wie  den 
wiedtenden  pluethundten,  wan  dieselbn  ainmal  des  wilpretz 
genossen,  so  khan  mans  nimer  dauon  Entwen  3),  also  den 
Vervolgern  auch.  Grot  peckher  sy  oder  wer  Innen,  umb 
seins  heylign  namens  wiln,  darzue  soln  wier  petn,  wie  ler 
Hern  schreybt,  aber  (wir  sind)  leyder  gotloß  vnd  faul,  dan  der 
alt  adam  wer  gern  frey,  vnd  ist  vast  schwach,  got  geb  sein 
gnadt  zu  aller  pesserung.  —  ich  hab  euch  Hern  zuvor  pey 
Valthan  puechfuerer  ^)  geschriben,  man  hat  Sy  wein  pe- 
suechn  vnd  was  gefundn  wer  worden,  lutheri,  puceri  ^).^  vnd 
Zwingli,  vnd  was  derselben  scribenten  anhang,  wern  alle 
zu  nemen,  vnd  In  die  regierung  gen  wien  zu  schickhn. 
Damit  weren  die  armen  puechfuerer  vmb  Ire  puecher  vnd 
In  grossen  nachtl  ^)  pracht  wordn,  also  hat  man  das  mitl 
gefundn,  das  sy  mit  all  lern  puechern  wegkh  zihen,  des  sy 
wol    zufriden  gebest  die  weyls    doch  zu  dem  khumen  isf)- 

In  die  Regierungszeit  König  Ferdinands  gehört  auch 
ein  wichtiges  lateinisches  Schreiben  des  Georg  Sigismund 
von  Dietrichstein  (dessen  Linie  in  diesem  Jahrhundert  aus- 
starb) an  Gallus  aus  seiner  Burg  Hollenburg  vom  10.  Dezember 


1)  Buße  thun. 

2)  Ein    fester  Grenzort   gegen   Steiermark   und    Krain,    womit 
der  Zugang  dorthin  frei  geworden. 

3)  entwöhnen. 

4)  Buchführer  =  Buchhändler. 

5)  Bucer. 

6)  Nachteil. 

7i  Die  Buchhändler   zogen  gern   fort,    nachdem   die  Aussichts- 
losigkeit ihres  Bleibens  sich  dergestalt  zeigte. 


—     119     — 

15571).  Er  dankt  zuerst  für  die  freundliche  Geneigtheit, 
mit  welcher  Gallus  seine  geringen  Verdienste  um  die  Kirche 
wertschätzt  und  wünscht  nur,  daß  seinen  guten  Absichten  besser 
entsprochen  worden  wäre.  Denn  was  gäbe  es  Köstlicheres? 
in  diesen  unglücklichen  letzten  Zeiten  als  den  Eifer,  die 
wahre  Religion  zu  behaupten?  Wie  selten  finde  sich  der 
Glaube,  der  durch  die  Liebe  thätig  ist  und  in  ihr  erkannt 
wird,  auf  Erden.  Und  dazu  komme,  daß  bei  dem  besten 
Vorhaben  doch  meist  die  Majorität  die  bessere  Minorität 
besiege  (ut  maior  plerunque  pars  meliorem  \äncat).  Denn 
es  sind  sehr  viele,  die  mehr  dem  Namen  nach  als  mit  der 
That  Christen  sind.  Solche  geben  sich  au  ihren  Früchten 
zu  erkennen,  indem  sie  mehr  das  teure  Vaterland,  die 
geliebte  Gattin  und  Kinder  als  das  fromme  Leben  schätzen, 
welches  des  Kreuzes,  der  Verfolgung,  der  Trübsal  in  der 
Welt,  wie  der  Apostel  zeugt,  nicht  entbehren  kann.  So 
bedroht  auch  Christus,  mit  der  Wurfschaufel  in  der  Hand, 
die  Sünder  und  droht,  nicht  den  Frieden,  sondern  das 
Schwert  und  zwar  das  zweischneidige,  welches  Herz  und 
Nieren  durchdringt,  zugleich  mit  dem  Feuer  zu  senden,  von 
welchem  Er  wünscht,  daß  es  bereits  brennen  möge  2).  Daher 
erheben  sich  jetzt  Deutsche  gegen  Deutsche  und  üben 
unerhörte  Grausamkeit  gegeneinander.  Ebenso  in  Frank- 
reich, Italien,  Spanien  und  den  Niederlanden  sei  Krieg  und 
Kriegsgeschrei:  „Donau,  Rhein  und  Po  sehe  ich  vom  Blut 
gefärbt.  Wie  viel  Blut  der  Christen,  das  beste  und  teuerste 
von  Europa  und  Ungarn,  ist  schon  geflossen,  und  dazu 
kommen  Pest,  Hungersnot,  Schwert,  welche  unsere  Provinzen, 
entblößt  vom  menschlichen  Schutze,  in  diesen  Jahren  ertragen 
mußten  3).    Und    doch  giebt    es    so    viele,    die   nicht   wissen 

1)  E.  A.  Eccles.,  I,  Nr.  XV,  Z.  42.    Er  war  der  Bruder  Adams, 
des  bevorzugten  Freundes  des  Kaisers. 

2)  Die  Meinung  ist:  Xeben   dem  Evangelium,  das  nicht  genug 
brenne  auf  Erden,  werde  Christus  jetzt  die  Gerichte  schicken. 

3)  Ao.  1542  kam   eine  ungarische  Gesandtschaft  nach  Regens- 
burg, um  Hilfe  wider  die  Türken  zu  erflehen. 


—     120    — 

wollen,  daß  der  gnädige  Vater  im  Himmel  damit  uns  strafen 
wolle,  oder  es  aus  Pharisäismus  sich  selbst  zu  verheimlichen 
suchen.  Der  König  wirft  auf  uns,  wir  dagegen  auf  unsern 
König  alle  Schuld  an  solchen  Übeln.  Wer  aber  läßt  vom 
Bösen  in  seinem  Dichten,  Trachten  oder  Handeln  ?"  Der 
Briefschreiber  beklagt,  daß  die  Furcht  vor  den  Türken 
weder  bei  Hoch  noch  Niedrig  die  rechte  Gottesfurcht,  die  Buße 
und  den  Griauben  an  Gottes  unendliche  Langmut  und  Barm- 
herzigkeit fördere.  Gewohnheitsmäßig  thue  man  seine  Pflicht. 
Dazu  kommen  die  königlichen  Edikte  (impia  principis  pub- 
lice promulgata  edicta) ,  die  gegen  das  ewige  Testament 
des  Sohnes  Gottes  und  den  alten  Brauch  der  wahren  katho- 
lischen Kirche  und  der  frommen  Väter  verstoßen,  indem 
sie  das  Abendmahl  unter  beiderlei  Gestalt  zu  nehmen  ver- 
bieten, den  Häretikern  wie  den  Schismatikern  i)  gemeinsame 
Strafe  auferlegen  und  den  alten  katholischen  Brauch  mit 
„profanen"  Worten  zu  verdammen  wagen,  ohne  zu  bedenken, 
welche  Strafe  jener  wartet,  die  eines  Menschen  Testament 
aufzuheben  suchen.  Aber  der  die  treuen  Kinder  Abrahams 
behütet,  die  für  die  wahre  Religion  gern  und  mit  Freuden 
Schmach  und  Verdächtigung  ertragen  und  Gott  mehr  als 
den  Menschen  zu  gehorchen  pflegen,  schläft  nicht.  Darauf 
fährt  er  fort: 

„Alsdann  aber,  wenn  wir  in  den  Krieg  ziehen  müssen, 
so  ist  es  unbegreiflich,  mit  welchem  Stolz  und  hoher  Ge- 
bärde solches  geschieht,  wobei  selten  oder  nie  Gott  ange- 
rufen wird,  mit  dem  Erfolg,  daß  wir  uns  und  das  unsrige 
(indem  wir  mehr  auf  die  eigene  Waffe  als  auf  die  gött- 
liche Allmacht  vertrauen)  der  türkischen  Übermacht  der- 
artig in  die  Hände  liefern,  daß  unsere  Provinzen  bereits 
der  Verteidiger  bar  und  ledig  sind.  Und  während  wir 
von  Haß  und  Bürgerzwist  entflammt  sind,  hat  es  der 
Türke  leicht,  das  Vaterland  (nachdem  Ungarn  und  fast 
ganz  Illyrien    schon  eingenommen)    mit  gewaltigen  Heeres- 


1)  Griechisch-Katholischen. 


—     121     - 

massen  zu  überfluten,  die  Männer  von  ihren  Weibern 
zu  trennen,  die  Kinder  an  der  Mutterbrust  zu  töten  und 
alles  mit  Feuer  und  Schwert  zu  verwüsten.  Und  wenn 
dann  unter  solchem  Schrecken  Grottes  zu  den  Waffen  ge- 
eilt wird,  so  ergreifen  wir  im  Handumdrehen  die  Flucht, 
verlassen  die  Fahnen  und  können  die  Unseligsten  aller  Sterb- 
lichen, die  gefangenen  Christen,  nicht  befreien Dabei 

werden  uns  und  den  unsrigen  alljährlich  Steuern  auferlegt, 
von  denen  zu  wünschen  wäre,  daß  sie  dem  gemeinen  Wohl 
dienten,  aber,  wie  die  Sachen  stehen,  uns  nur  dem  Unter- 
gang näher  bringen.  Wenn  dann  jemand  aus  wahrer 
Vaterlandsliebe  für  das  öffentliche  Beste  iasjenige,  was 
offenbar  zu  tadeln  und  nur  von  dem  höfischen  Anhang 
(aulicis)  belobt  wird,  mißbilligt  und  ohne  Schmeichelei  den 
Zorn  Gottes  als  die  wahre  Ursache  hinstellt,  von  dem  heißt  es, 
daß  er  sich  des  Majestätsverbrechens  schuldig  gemacht.  Und 
das  geschieht  von  solchen,  die  niemals  besonders  Lobens- 
wertes gethan  und  durch  Schmeichelei  und  andere  böse  Prak- 
tiken wohl  oder  übel  reich  zu  werden  trachten.  Diese  und 
andere  unzählige  Dinge,  die  brieflich  nicht  wiederzugeben  sind, 
liegen  mir  mehr  am  Herzen  als  die  noch  so  schlimmen  persön- 
lichen Sünden,  die  ja  der  Vergebung  unterliegen,  falls  nur 
nicht  darin  beharrt  wird,  wie  der  königl.  Sänger  sagt  ^)  • 
Der  Gerechte  fällt  siebenmal,  aber  der  Herr  hilft  ihm  wieder 
auf.  Aber  eben  das  Beharren  in  der  Sünde  oder  die  Ver- 
heimlichung und  Leugnung,  die  doch  im  Widerspruch  mit 
dem  eigenen  Gewissen  steht,  —  das  alles  verdient  Tadel 
und  Strafe.  Auch  ich  habe  vielfach  die  Gewalt  und 
Macht  Satans  erfahren,  seitdem  ich  zur  Besinnung  ge- 
kommen, besonders  aber,  seit  ich,  was  etwa  vor  4  Jahren 
geschah,  eifrig  in  den  heiligen  Schriften  studiert  und  mein 
Leben  nach  ihnen  zu  führen  unter  Gottes  Hilfe  mir  vor- 
genommen. Jetzt  aber  bleibe  ich  fest:  wenn  auch  die 
Welt    unterginge,    so  würde  ich,    im  Vertrauen    auf  Christi 


1)  Spr.  24,  16. 


—     122    — 

Hilfe  und  befestigt  durch  den  Trost  des  heiligen  Geistes, 
unerschütterlich  bleiben.  Ich  weiß,  daß  man  unserm  Könige, 
dem  Vaterland,  der  Gattin,  den  Kindern,  den  Brüdern  und 
Freunden  alles  Gute,  Ehre  und  Treue  nur  insoweit  zu 
geben  schuldig  ist,  daß  man  dabei  nicht  die  ewige  Freude 
und  Seele,  die  man  bereits  vorlängst  Gott  befohlen,  ver- 
liere. Ich  trachte  den  Fußstapfen  Jesu  Christi  des  Ge- 
kreuzigten nachzufolgen,  soweit  es  menschliche  Schwachheit 
vermag,  die  sich  dabei  auf  die  allergewissesten  göttlichen 
Verheißungen  verläßt,  und  wünsche,  sobald  es  sein  heiliger 
Wille  sein  wird  (welchem  ich  den  meinen  immerdar  unter- 
ordne), abzuscheiden  und  bei  Christo  zu  sein  und  mit  der 
unverwelklichen  Krone  der  Gerechtigkeit  gekrönt  zu 
werden,  welche  (wenn  ich  den  Lauf  vollendet  und  Glauben, 
der  mit  Liebe  und  Hoffnung  verbunden,  gehalten  haben 
werde)  mir  der  Herr  an  jenem  Tage,  der  gerechte  Richter, 
geben  wird  i).  Denn  wir  müssen  alles  Irdische,  falls  wir 
wahre  Christen  sein  wollen,  für  Dreck  achten,  auf  daß  wir 
Christum  gewinnen  2j,  und  dafürhalten,  daß  die  Leiden  dieser 
Zeit  nicht  wert  seien  der  ewigen  Freuden,  die  Gott  denen 
bereitet,  die  ihn  lieben,  und  welche  kein  Auge  gesehen, 
kein  Ohr  gehört  und  die  in  keines  Menschen  Herz  ge- 
kommen 3j.  Denn  nicht  sind  die  zu  fürchten,  die  den  Leib 
zwar  töten  und  die  irdischen  Güter  mögen  rauben,  aber 
die  Seele  nicht  zu  töten  vermögen,  wohl  aber  Der,  der 
Leib  und  Seele  verderben  mag  in  die  Hölle*). 

Zum  Schluß  weist  der  Briefschreiber  auf  die  dreimalige 
Versuchung  Christi  nach  der  Taufe,  die  auch  uns  von  der 
Taufe  an  bevorstehe,  die  wir  aber  ohne  des  Sohnes  Gottes 
Hilfe,  den  zu  hören  uns  die  göttliche  Stimme  anweist, 
nicht  überwinden  werden.  Er  entschuldigt  sich  darauf 
wegen  seines  langen  Briefes  und    citiert    endlich    noch  den 


1)  Phil.  1,  23;  2.  Tim.  4,  8;  1.  Petr.  5,  4. 

2)  Phil.  3,  8. 

3)  Rom.  8,  18;  1.  Cor.  2,  9. 

4)  Matth.  10,  28. 


-     123    — 

Spruch:  Wo  der  Geist  des  Herrn  ist,  da  ist  Freiheit  ^j; 
und  ferner:  Der  Herr  kennet  die  Seinen;  und:  Es  trete 
ab  von  der  Ungerechtigkeit,  wer  den  Namen  Christi 
nennet  2).  Hierauf  versichert  er  Gallus  seines  nie  endenden 
Dankes  für  alle  ihm  erzeigten  Wohlthaten,  besonders  für 
seine  Fürbitte  und  hofft  einmal  ihm  noch  mit  der  That  seine 
unauslöschliche  Dankbarkeit  beweisen  zu  können. 

Nach  dem  Rücktritt  Karls  V.  von  der  Regierung 
1556  eröffneten  sich  für  Ferdinand  die  Aussichten  auf  die 
deutsche  Kaiserkrone,  und  er  mußte  bestrebt  sein,  den 
Religiousfrieden  aufrecht  zu  erhalten  und  die  Protestanten 
für  sich  zu  gewinnen.  Dies  wurde  noch  dringender,  als 
der  Papst  sich  gegen  seine  Nachfolge  im  Reich  erklärte. 
Schlosser  (Weltgeschichte,  XIII.  304)  sagt:  „Der  Papst 
fand  bei  seiner  Ablehnung  Ferdinand's  an  dem  letzteren 
und  besonders  an  dessen  Sohn  Maximilian  II.  Fürsten, 
welche  seinem  päpstlichen  Rechte  die  Lehre  des  Evan- 
geliums entgegensetzten."  Und  Schlossers  Meinung  wird 
durch  die  neuerlichen  Forschungen  Sickels  einigermaßen 
unterstützt.  Wie  es  zunächst  am  päpstlichen  Hofe  selbst  aussah, 
zeigt  eine  Differenz  zwischen  dem  Kardinal  von  Medici 
und  dem  Protektor  Germaniae,  dem  Kardinal  von  Augsburg. 
Der  für  den  erledigten  päpstlichen  Stuhl  in  Betracht 
kommende  Kardinal  von  Medici  war  für  weitgehende  Zuge- 
ständnisse an  die  deutsche  Nation,  eventuell  an  Kaiser 
Ferdinand  willig  zu  finden  '^). 


1)  2.  Cor.  3,  17. 

2)  2.  Tim.  2,  19. 

3)  Sickel,  Zur  Geschichte  des  Concils  von  Trient  S.  17. 
F.  V.  Thurni,  kaiserl.  Orator,  an  den  König  Maximilian  Rom  11.  Okt. : 
Mon  sagt  das  der  cardinal  de  Äledizi  mit  dem  von  Auspurg  ver- 
traulichen geret  hab  und  gesagt,  waer  guet  das  mon  einen  pabst 
erwelet,  der  der  Tayzen  (Deutlichen)  gemiet  erkenet  und  der  sich 
nit  sprayzen  sei,  die  communion  sub  utraque  zu  bewiligen,  auch  das 
die  priester  elich  Weiber  nemen  mechten  ;  mit  dem  würdt  man  das 
concilium  paldt  enden,  solches  sol  der  von  Auspurg  den  andern 
cardinalen  geöffnet  haben,  welche  den  Medizi  angesprochen  und  von 


—     124    — 

Unter  den  von  Sickel  ^)  aufgezählten  Anklagepunkten, 
die  Papst  Paul  IV.  gegen  Ferdinand  erhob  und  deren  Reihe 
das  Überhandnehmen  des  Protestantismus  und  Maximilians 
Häresie,  sowie  die  stillschweigende  Gestattung  des  Kelches 
eröffnet,  findet  sich  u.  a.  auch  dieser,  daß  an  verschiedenen 
Orten  mehrfache  Konvente  und  Versammlungen  auf  Fer- 
dinands Befehl  gehalten  wurden,  auf  denen  in  Sachen  des 
Glaubens  und  der  Religion  ohne  richterliches  Dazuthun 
(sine  auctoritate)  des  heiligen  apostolischen  Stuhls  und  ent- 
gegen wiederholten,  dem  Nuntius  gegebenen  Versprechungen 
verhandelt  worden  sei.  Vom  Passauer  Vertrag  (1552)  an- 
hebend, dann  zum  Augsburger  Religionsfrieden  (1555)  fort- 
schreitend, wird  alles  Ferdinand  zur  Last  gelegt,  was  gegen 
Rom  beschlossen.  Ferner  daß  das  Religionsgespräch  zu 
Regensburg  1557  durchging,  sei  Ferdinands  Schuld  gewesen, 
der  damals  seinen  Bruder  Karl  V.  vertrat ;  ebenso  das  im 
selben  Jahre  folgende  Wormser  Gespräch  2),  auf  dem  über 
Glaubensartikel  ohne  päpstliche  Autorität  verhandelt  wurde ; 
endlich  der  1558  über  die  Einigung  mit  den  Protestanten 
verhandelnde  Reichstag  zu  Frankfurt  sei  wiederum  Ferdinand 
zur  Last   zu  legen. 

Zu  diesen  nicht  geringen  Anschuldigungen  gesellt  sich, 
in  italienischer  Sprache,  als  12.  Klagepunkt  ^j  folgender : 
Seine  Majestät  toleriere,  daß  dieser  offenbar  ketzerische 
Pfauser    seinem    Sohne    predige,    wobei   die  Gefahr  bestehe. 


hue  wissen  wollen,  ob  er  solches  geredt  hab,  des  er  wie  ich  vernimb 
uit  verredt  hat,  wiert  ime  aber  nit  von  jedermann  zum  besten  aus- 
gelegt, aber  den  cardinal  von  Auspurg  in  der  gemam  lobt  man  nicht, 
das  er  solches  geöffnet  sol  haben.  (Der  Kardinal  von  Augsburg 
hieß  Otto  Truchseß  von  Waldburg,  seit  1543  Bischof  von  Augsburg, 
als  Kardinal  Protektor  der  deutschen  Nation,  ein  dem  alten  Glauben 
eifrig  ergebener  Mann.) 

1)  Sickel,  a.  a.  O.  S.  29:  aus  einem  Briefe  Thurms  an  den 
Kaiser,  d.  d.  Rom,  20.  Januar  1560. 

2)  Hier  vertrat  der  versöhnliche  Bischof  Pflug  von  Naumburg 
den  Kaiser,  der  dem  Papst  anstößig,  aber  auch  Maximilian  nicht  ge- 
nehm war. 

3)  Sickel  S.  35. 


—     125    — 

die  Reinheit  der  Religion  dieses  Prinzen  zu  verderben  und 
der  ganzen  Welt  Ärgernis  zu  geben.  Darauf  folgt  eine 
13.  Klage  über  die  lutherischen  Professoren,  von  denen  die 
Wiener  Universität  voll  sei ,  über  den  Druck  und  Ver- 
kauf ketzerischer  Bücher  und  darüber,  daß  ein  gewisser 
Musler  ^)  in  der  St.  Stephansschule  den  Katechismus  Luthers 
erkläre ;  endlich  daß  in  Pfausers  Hause  ein  Zufluchtsort  der 
Ketzer  sei. 

Als  18.  Klagepunkt  endlich 2j  erfolgt: 

Man  habe  Seiner  Maj.  mehrmals  die  Bosheit  und  Ver- 
derbtheit der  folgenden  Ketzer  wissen  lassen,  nämlich 
Sebastian  Fabbrus  (Faber),  ehedem  Pfarrer  in  Hamburg, 
jetzt  Pfarrer  in  Haimburg  3),  Albertus,  Pfarrer  in  Pillerstorf, 
Christoph  Rosintaler,  Pfarrer  in  Cornaumburg  (Korneuburg), 
Johannes  Essingherus,  Pf.  in  Haslentin  aus  der  Passauer 
Diözese,  Sebastian  Egranus,  öffentlicher  Zwinglianer  in 
Krems,  Matthias,  regulierter  Kanonikus  in  Pruc  (Bruckj, 
Leonhard  Villinus  4) ,  Paulus  Schalik  (Skalich),  Georg 
Musler  und  Sebastian  Phauser,  und  läßt  sie  gewähren,  trotz- 
dem er  offenbar  Wien  und  das  ganze  umliegende  Land  von 
der  Bosheit  dieser  Leute  angesteckt  sehe. 

Daß  wir  die  Gefährlichkeit  der  schon  seit  den  50er 
Jahren  geübten  Toleranz  Ferdinands  für  die  Intentionen 
der  päpstlichen  Kurie  begreifen,  ist  selbstverständlich. 
Villinus  erzeigte  sich  1564  als  Vertrauensmann  Maximilians, 


1)  Thomas  Mauer  erwähnt  Georg  Musler  oder  Muschler,  der 
auch  mit  Melanchthon  korrespondierte,  in  der  Beschreibung  emer 
ßeise  nach  Österreich  und  sein  Bruder  Marcus  Mauer  gedenkt  seiner 
als  eines  auch  von  Maximilian  für  seine  Kinder  als  Informator  ver- 
wendeten evangehsch  gesinnten  Mannes ;  er  war  3  mal  Rektor  an  der 
Universität.  (Jahrb.  der  Ges.  f.  Gesch.  d.  Prot.  18,  37;  Raupach  II,  133.) 

2)  Sickel,  S.  37. 

3)  In  N.-Österreich,  wie  auch  die  in  der  Folge  erwähnten  Orte. 
Über  Faber  vergl.  Wiedemann  II,  330. 

4)  Villinus  ließ,  wie  oben  erwähnt,  Skaüch  1557  für  sich  an 
der  Universität  lesen,  wodurch  er  beim  päpstlichen  Hof  sich  ver- 
dächtig machte. 


—     126     — 

welcher  unter  Berücksichtigung  der  Augsburgischen  Kon- 
fession populäre  Schriften  verfassen  sollte  zur  Herbeiführung 
einer  Union  zwischen  Katholiken  und  Protestanten.  Er  wie 
Skalich,  Staphylus,  eigentlich  auch,  wie  wir  bald  sehen 
werden,  Gr.  Cassander  und  G.  Wicel,  gehörten  zu  jenen 
Theologen,  die  überaus  zahlreich,  auch  in  Böhmen,  ver- 
breitet und  der  Kurie  gefährlich  waren,  weil  sie  ihr  das 
Wasser  abgruben.  Sie  waren  den  Protestanten  schon  1541, 
auf  dem  Regensburger  Grespräch^  stark  entgegengekommen  i) : 
sie  suchten  alle  „einen  Platz  an  der  Sonne",  d.  h.  eine 
evangelisch  klingende  Lehre  mit  päpstlichen  oder  doch 
adiaphoristischen  Ceremonien.  Daher  kam  es,  daß  das 
Interim  in  Rom  ein  decretum  nefarium,  bei  den  Protestanten 
eine  verwerfliche  declaratio  Caesaris  hieß.  Aber  also  er- 
klärt es  sich  auch,  daß  jene  Genannten  Zugang  erhielten 
bei  Ferdinand,  zugleich  aber  die  Verdammung  der  Kurie  sich 
zuzogen .  welche  ihnen  durch  ihr  mächtigstes  Werkzeug, 
den  Jesuitenorden,  die  Bahn  verlegen  ließ  und  sie  zwang, 
von  solchen  Idealen  abzulassen  und  in  die  rauhe,  d.  h. 
päpstliche   Wirklichkeit  zurückzukehren. 

Im  Zusammenhang  mit  diesen  päpstlichen  Anklagen 
gegen  Ferdinand  erhalten  nun  die  folgenden  Briefe  unserer 
Akten  erst  ihre  rechte  Beleuchtung. 

Um  diese  Zeit,  am  22.  Juli  1557,  schreibt  J.  von  Perck- 
haim  an  Gallus  über  Ferdinand:  „Ihre  K.  Maj.  seindt  ein 
weyl  gar  vast  schwach  gebest,  aber  Got  lob  ist's  pösser  worden. 
lerer  K.  M.  prediger^)   greiffen    je    länger   je  mer  Mächtig 


1)  Die  „gefhekte  Notel"  über  die  Eechtfertigungslehre  gefiel 
selbst  Melanchthon,  Bucer  und  Calvin,  nicht  jedoch  Luther;  sie 
wurde  auch  von  Cassander  in  seiner  „Consultatio"  wieder  vorge- 
bracht: „Die  Protestanten  irren,  wenn  sie  nur  eine  Sündentilgung, 
aicht  auch  eine  Erneuerung  des  inneren  Menschen  durch  die  Ge- 
rechtigkeit annehmen,  die  Wandlung  des  Gottlosen  in  den  Gerechten." 

2)  Damit  ist  Pfauser  gemeint,  Maximilians  Hofprediger,  den 
er  im  Frühjahr  1560  ziehen  lassen  mußte.  Über  Pfauser  ist  der 
Bericht  Blahoslaw's  wichtig  (bei  Gindely,  Quellen  zur  Geschichte 
der  Böhmischen   Brüder  in  Fontes   rerum   Austriacarum,  Abth.  II, 


—     127     — 

die  abgottereyen  an,  haben  wider  das  fest  Corporis  Christi 
ein  gewaltige  predigt  than  (Randbemerkung:  „gesagt,  nenn 
es  ein  trug")  die  dem  hohen  potentaten  ^)  nit  gefalen,  das 
er  also  grob  predigt  hat.  Jedoch  acht  ers  nit,  ist  nit 
ein  Starkher  man,  ist  gar  vertreglich,  darff  wol  auffsehens, 
damitt  Im  nit  ain  Venedigisch  supl  geben  werdt  2).  Sunst 
haldt  die  K.  Maj.  hoch  ob  im,  sunst  het  er  längst  muessen 
herhalten  und  unter  der  Jesuiter  Joch  muessen,  die  hat 
das  spil  ausgemacht.  Got  pehuet  (behüt)  In  vor  Inen. 
A  (Amen)"=^j. 

Neben  Pfauser  erwähnen  die  Akten  Bischof  Urban 
von  Gurk.  Über  denselben,  den  nachmaligen  Hofprediger 
Maximilians,  haben  wir  reichlicher  Quellen  als  früher,  und 
zwar  aus  den  römischen  Akten,  welche  Sickel  erschlossen. 
Er  dachte,  ganz  ähnlich  wie  viele  der  Edelsten,  auch 
unter  den  Bischöfen  deutscher  und  französischer  Zunge, 
an  eine  Reformation  der  Kirche,  die  auch  vor  dem  Papst 
nicht  Halt  zu  machen  habe.  Er  trat  entschieden  für  den 
Laienkelch  ein ;  späterhin  war  er  dem  Canisius  und  dem 
venetianischen  Gesandten  Mocenigo,  August  1558,  ver- 
dächtig. Der  letztere  wünschte,  daß  der  Kaiser  dem 
Bischof  von  Gurk  bessere  Ansichten  vorzutragen  empfehlen 
sollte.  Kurz  er  vertrat  an  Ferdinands,  wie  später  an 
Maximilians  Hofe  eine  weitherzigere  Anschauung,  mußte  es 
aber  erleben,  daß  er  zuletzt  keiner  von  beiden  Parteien 
genehm  war,  indem  sein  bestes  Wollen  verkannt  wurde, 
weshalb  er  1568  um  Entlassung  aus  dem  Dienst  in  Wien 
einschritt    und  dieselbe    auch  wirklich  von    dem  Kaiser  er- 


Bd.  XIX,  S.  126).  Meines  Erachtens  ist  Pfauser  bisher  noch  nicht 
richtig  beurteilt  worden.  Von  ihm  sagt  Eeuter  (März  1557) :  er 
predigt  ziemlich,  aber  viel  geht  ab.  Er  tadelte  später  besonders 
seinen  Wandel  (1565). 

1)  dem  König  Ferdinand. 

2)  vergl.  bei  Diemitz  (Geschichte  Krains  II,  S.  274)  die  „walisch 
Suppen",  vor  der  sich  Primus  Trüber  fürchtet,  und  Eaupach  II, 
132,  wonach  die  Jesuiten  Pfauser  nach  dem  Leben  getrachtet  hätten. 

3)  K.  A.  Eccles.  I,  Nr.  XV,  Z.  44. 


—     128    — 

hielt  ^).  Seiner  milden  Gesinnung  hatten  sich  nach  seinem 
Weggang  aus  Wien  die  steirischen  Stände  zu  erfreuen,  denen 
er  eine  große  Kirche  in  Aussicht  stellte  2).  Bischof  Urb  an 
zu  G u r k 3)  predigt  —  wie  Herr  von  Perckhaim  berichtet  ■ — 
zur  Zeit  Ferdinands  gegen  die  Mißbräuche  der  alten  Kirche, 
—  allein  er  will  noch  nicht  recht  daran  mit  der  Vermeldung, 
was  die  Abgöttereien  seien.  Er  muß  gemach  thun:  „denn 
K.  Maj.  noch  khain  recht  wissender  ist,  Gott  aber  sey  lob, 
daß  I.  M.  nuer  mügen  davon  hören,  —  es  wiert  von  Tag 
zu  Tag  pesser  werden,  —  dafür  solen  wir  peten."  Für 
Ferdinand  beteten  die  Evangelischen  eifrig.  Am  26.  Mai 
1558^),  zwei  Monate  nach  der  Proklamation  Ferdinands  zum 
römischen  Kaiser,  schreibt  Perckhaim,  daß  unter  Ferdinands 
Tode  die  allgemeine  Lage  Deutschlands  aufs  äusserste 
leiden  würde.  „Demnach  ist  Beten  hoch  von  nöthen". 
Auch  daß  sein  ältester  Sohu  Maximilian  fast  ausschließlich 
mit  entschiedenen  Anhängern  des  Protestantismus  verkehrte, 
mag  auf  den  alternden  Vater  nicht  ohne  Eindruck  geblieben 
sein.  Die  auf-  und  ab  wogende  Erbitterung  gegen  Pfauser 
zeigt,  wie  ihm  die  Sachen  zu  Herzen  gingen  ^).  Im  Jahre 
1556  war  es,  daß  Maximilian  durch  seinen  Prediger  Pfauser 
Melanchthon  Fragen  von  11  strittigen  Religionsartikeln  zu- 
gehen ließ,  welche  Ferdinand  seinem  Sohne  vorgelegt  hatte  ^). 


1)  S.  Hopfen,  Kaiser  Maximilian  II,  61  ff.,  309. 

2)  Loserth,  a.  a,  O.  S.  124. 

3)  Man  vergl.  aus  früheren  Zeiten  die  Stellung  des  Bischofs 
Bonuomo  von  Triest,  die  in  noch  ganz  anderer  Weise  eine  der 
evangelischen  Bewegung  freundliche  war. 

4)  R.  A.  Eccles  I,  Nr.  XVIII,  Z.  24. 

5)  S.  Reimann,  a.  a.  O.  S.  9—16  in  Sybels,  H.  Z.,  VIII,  1. 

6)  Nicolaus  Selneccer  hat  die  Antwort  Melanchthons  heraus- 
gegeben, 1567,  Leipzig,  unter  dem  Titel:  „Bericht  auf  ettliche  ge- 
meine haubtfragen  und  Obiectionen  der  Papisten,  u.  a.  von  den 
fürnembsten  stücken  der  streitigen  artickel  gestellet  durch  P.  Melan- 
chthon." Diese  Antwort  findet  sich  auch  unter  den  Consil.  germ.  Mel. 
S.  448—489.  Vergl.  Corpus  Ref.  IX,  699—723.  Abgedruckt  bei 
Horawitz,  Wien,  Abhandlungen  der  Wiener  Akademie,  1874,  p.  307. 


—     129     - 

Viel  weitgehender  ist  die  merkwürdige  Mitteilung,  daß 
der  Kaiser  durch  seinen  auf  dem  Siechbett  liegenden 
Hofprediger  (Citardus?)  ermahnt  worden  sei,  nicht  wider 
den  Stachel  zu  locken,  indem  er  selbst  sich  Gewissenbisse 
mache  und  von  der  Wahrheit  überführt  worden  sei.  Der 
infolgedessen  an  Luther  gerichtete  Brief  findet  sich  in 
der  Regensburger  Sammlung  und  bei  Raupach.  Solche 
Gerüchte  sind  nicht  verwunderlich,  wie  denn  selbst  von 
Karl  V.  das  Gerücht  ging,  er  sei  evangelisch  gestorben. 
Melanchthon  in  seinen  L.  V.  Epp.  p.  729  erwähnt  dieses 
Gerücht.  Man  soll  scharf  gegen  die  Umgebi'ng  Karls  nach 
seinem  Tode  verfahren  sein.  Wie  dem  auch  sei,  Kaiser  Fer- 
dinand muß  innere  Kämpfe  gekannt  haben  gegen  das  Ende 
seiner  Regierung.  Er  wurde  nachgiebiger  und  gestattete, 
um  das  Ärgste  zu  verhüten,  allerlei  Nachlässe ;  besonders 
wurde  vom  Kelch  Gebrauch  gemacht  bis  in  die  Klöster 
hinein.  Am  15.  Juli  1561  schrieb  Christoph  von  Württem- 
berg an  Kurfürst  Friedrich  III.  einen  Bericht  darüber, 
was  der  Kaiser  dem  Erzbischof  von  Salzburg  und  anderen 
Bischöfen  jenes  Gebietes  geschrieben  und  fügt  hinzu :  „Und 
wa  dem  also,  so  were  zu  hoffen,  die  K.  M.  möchte  noch 
vor  ihrem  Ende  ain  wenig  von  Luther  schmecken." 

Nicht  ohne  Eindrücke  von  der  reinen  Predigt  des  Evan- 
geliums waren  ja  auch  Franzi,  von  Frankreich  und  sein  Hof  i), 
ferner  Katharina  von  Medici,  von  deren  Aufrichtigkeit  die 
Pfälzer    Gesandten    auf   dem    Religionsgespräch    zu    Poissy 


1)  Florimond  de  Eemond,  Hist.  de  la  naissance  et  progrfes  de 
l'H^rfeie  (deutsch  von  Aegidius  Albertinus,  München  1614),  1.  VIII, 
cap,  16,  p.  10431.  erzählt,  wie  man  sich  am  Hofe  der  Psalmen 
Marots  bediente,  wie  Heinrich  II.  für  Psalm  42  Vorliebe  hatte  und 
Franz  I.  selber  sie  vor  seinem  Tode  las.  Auch  Katharina  von  Medici 
schätzte  jene  Psalmenübersetzung;  ihr  evangelisch  predigender  Beicht- 
vater Boutellier  erinnert  sie  an  jene  ernsteren  Zeiten  am  franz.  Hofe 
und  beschwört  sie,  der  Wahrheit  nicht  zu  widerstehen.  Wir  werden 
auch  hier  in  eine  Zeit  der  Erweckung  eingeführt,  aber  alles  wurde 
durch  Weltlust  und  hoffärtiges  Leben  erstickt. 


—     130     - 

und  Kurfürst  Friedrich  selbst  sich  zeitweilig  überzeugt 
hielten  1).  Der  Hauptvorwurf  freilich,  den  solche  laue 
Freunde  den  Evangelischen  machten,  war  die  Uneinigkeit 
derselben,  während  das  feste  Vertrauen  auf  die  Einheit  der 
römischen  Kirche  sowie  deren  politische  Unterstützung 
sie  beim  alten  Glauben  festhielten.  Auch  in  Bayern  hat 
diese  menschliche  Berechnung  nach  längerem  Schwanken  bei- 
getragen, den  Herzog  Albrecht  V.,  Ferdinands  Eidam,  dauernd 
wieder  an  das  römische  Kirchenjoch  zu  fesseln.  Er  ver- 
folgte sodann  das  Evangelium  in  seinem  Lande  und  in  der 
Grafschaft  Orten  bürg  2). 

Ein  Ereignis  aus  Ferdinands  Zeit  zeigt,  welche  gerechte 
Haltung  er  auch  in  Konflikten  der  Römischen  mit  den  Evan- 
gelischen bewies.  Aus  einem  Briefe  Christoph  Reuters  aus 
dem  Jahre  1557  an  Nie.  Gallus^)  ist  folgendes  mitzuteilen: 
.  .  .  Vnd  gibe  E.  E.  darneben  mit  freiden  zu  uernemen, 
dz  sich  meine  herrn,  herr  Leopold  grabner,  herr  lienhartt 
kirichperger,  herr  Achatz  Eneckhel  ietz  gar  wol  vnd  christ- 
lich küen  vnd  dapffer  in  der  bekentnus  reiner  leer  gehalten 
haben.  Also  dz  im  gantzen  Lande  vnd  noch  ferner  er- 
schollen ist,  ia  der  König  selber  verwundertt,  Und  ist  also 
zuegangen.  Sie  haben  ein  Baß  odr  Mumen  verheiratt  einem 
herrn  von  Neideckh,  welcher  ein  bäbstler  ist,  vnd  etliche 
Brueder  zu  hoff  hat,  die  was  gelten.  In  der  Ersten  Wer- 
bung gaben  sie  sambt  der  muetter  im  zur  antwortt,  die  Junck- 
fraue  war  ein  Christin.  Vnd  damit  er  sie  aber  in  keiner 
ketzerey  vnd  schwermerey  verdenckhe,  so  geben  sie  Ime 
zu    verstehen  dz   sie   sey  der  Augspurgerischen  Confession, 


1)  Briefe  Friedrichs  des  Frommen  von  Khickhohn,  I,  225,  276. 

2)  Vergl.  über  letzteres  noch  besonders  Verhandlungen  des 
histor.  Vereins  für  Niederbayern  [Landshut  1894]  30,  1—44  f.  Sehr 
zutreffend  drückt  sich  im  allgemeinen  über  die  Lage  im  Deutschen 
Eeiche  auch  aus  Lamprecht,  Deutsche  Geschichte  V,  2,  S.  609  ff. 
Schlosser,  W.-G.  XIV,  S.  36  und  Aretin,  Maximihan  I.  von  Bayern, 
Bd.  I  sind  noch  immer  beachtenswert. 

3)  Regensburger  Akten,  Eccl.  I,  No.  XV,  Z.  12. 


—     131     — 

vnd  derselben  lere  verwant.  Dabey  gedenckhs  mit  gottes 
Hilffe  ewiglich  zu  bleiben.  Der  herr  von  Neideckb  gab 
zu  antwortt,  was  das  soll  hindern,  er  sey  willens  auch 
solche  lere  anzunemen,  vnd  nicht  die  wenigste  vrsach,  dz 
er  daher  heirat,  in  bedenckhung,  dz  ir  muetter  so  gar  ein 
christliche  fraue  sey.  Darvon  hoffe  er  was  zu  lernen,  mit 
verhaissung,  er  wolle  die  guette  Junkfraue  in  irer  religion 
gar  nicht  hindern  noch  in  gewissen  beschweren,  man  sol 
nicht  so  arge  ding  von  Im  gedenckhen,  sondern  im  besseres 
trauen.  Nach  langen  bedenckhen  verehelicheten  sie  ime  die 
Junckhfraue.  Und  am  Suntag  vor  Laurenti  hielten  sie  ime 
die  Hochzeitt  in  der  Statt  S.  Polten,  in  dem  königlichen 
Hauß.  Da  war  ich  prediger  vnd  pfarrherr,  abents  prediget 
ich  vnd  gabs  zusamen  in  Versammblung  eines  großen  Adels 
in  die  12  tisch  nur  herrn,  frauen  vnd  Junckhfrauen,  darunter 
war  vil  hoffgesindts;  nach  endung  der  predig,  da  war  das 
feuer  im  Dach,  da  war  ein  singen  vnd  sagen  von  der 
predig.  Ich  und  meine  herrn  schwigen,  doch  hieltens  vil 
mit  uns,  aber  des  hoffgesindts  war  zuvil,  der  breuttigam 
vergaß  seines  zusagens,  vnd  zu  morgen  frue  rotteten  sich 
die  hoffjunckhern  zum  breuttigam  vnd  beschlussen,  sie  weiten 
kurtzumb  die  Braut  in  das  Kloster  füren  zu  einem  Hoch- 
ambt  vnd  Meß.  Der  breuttigam  gebott  der  brautt  mit  ernst 
sagende,  ir  gehört  mir  zue,  ir  müest  mir  gehorchen.  Aber 
die  braut  war  bestendig,  vnangesehen  daß  der  beyschlaff  schon 
war  geschehen  vnd  sie  erinerte  in  seines  zusagens,  die  braut- 
fürer  weiten  sie  nur  immer  hinführen,  sie  wolt  aber  kurtz- 
umb nicht. 

Letzlich  waren  meine  Herrn  vnd  andere  Christen  als 
die  freundt  zu  ratt  vnd  Namen  die  brautt  vnd  fürten  sie 
an  den  ortt  da  man  Abends  hatt  geprediget,  trutz  allen  teufein 
and  scharhansen.  Da  hätt  einer  Wunder  gesehen ,  was 
Christen  waren,  volgeten  der  brautt  nach,  da  prediget  ich 
unerschrockhenlch,  papisten,  mamuluckhen,  Heichler  volgeten 
dem  bräuttigam  in  das  Closter  zu  der  Meß,  vnter  dem  war 
ein    alter  Mamuluckh  Herr  Jörig   von  Mäning,    Hoffmeister 

9* 


—     132    — 

üewesen,  ietz  im  Caminerratt,  der  hatt  ein  Christliche  Fraue 
ein  geborne  Eneckhlin,  ist  die,  die  die  große  anfechtung  er- 
litten hatt,  vnd  E.  E.  vorm  Jar  ein  trostgeschriflft  durch  mich 
geschickht  haben.  Ist  bey  vns  bliben,  ein  sehr  Christliches 
Weib.  Nach  der  predig  erhueb  sich  ein  lermen.  Der  von 
Mäning  saget  er  wolt  sein  weib  einmauren  lassen,  wo  sie 
sich  nicht  bekeret,  aber  das  weib  war  bestendig.  In  dem 
saget  er,  wo  ich  zu  Ime  kam  wolt  er  mir  hend  vnd  füesse 
binden  vnd  in  das  wasser  werffen.  Item  fraget  herumb  am 
tisch  waz  ich  wertt  war,  als  der,  der  einem  weib  vnd  kind 
verfüret  vnd  vom  gehorsam  zöge.  Da  gab  gott  gnad,  das 
nicht  vil  personen  an  demselben  tisch  waren,  die  Im  recht 
gaben.  Ja  meine  Herrn  schützen  mich  beide  mit  wortten 
vnd  daß  ich  vnbeleidiget  daruon  kam,  gleichwol  war  niemants 
noch  da,  der  mich  antastet. 

Solches  kam  von  stundt  am  viertten  tag  für  den  könig, 
der  sol  gesagt  haben,  Mich  wundertt,  daß  sie  solches  So 
öffentlich  derffen  thuen.  Etliche  meiner  Herrn  freund  sagen, 
der  könig  halt  allein  ietzunder  stil,  weil  das  Reichskriegs- 
volckh  1)  herunten  ist,  damit  nicht  ein  lerrmen  ins  reich 
käme.  Gott  waiß  was  noch  drauff  volgen  wirtt.  Wolan 
Gottes  wil  geschehe.  Also  wissen  E.  E.  wie  es  vns  her- 
unden  gehet." 

Inwiefern  die  besten  Absichten  Ferdinands,  sich  den 
Anmaßungen  des  Papstes  zu  widersetzen,  von  seinen  Dienern 
durchkreuzt  wurden,  zeigt  die  Huldigungsrede  Scipios  v. 
Arco  an  Papst  Pius  IV,  (1560).  Dieser  Arco  erkühnte  sich, 
in  seiner  Anrede  aus  eigener  Bewegung  dem  Papste  den 
Gehorsam  des  Kaisers  zu  versprechen  ^). 


1)  d.  h.  Kriegsvolk  aus  dem  Reiche,  unter  dem  viele  Prote- 
stanten waren. 

2)  Es  geschah  dies  auf  Andringen  der  päpstlichen  Umgebung. 
Damit  hatte  er  den  Kaiser  schwer  kompromittiert  und  bekam  dies 
auch  von  demselben  zu  hören  (vergl.  die  Depesche  vom  14.  August 
bei  Sickel,  Aktenstücke  zur  Gesch.  des  Conc.  Trid.  p.  580).  AUe 
Schriftstücke   über  diese  Obedienzleistuna;  Ferdinands  sind  verloren 


-    133    - 

Im  Jahre  1564,  also  in  seinem  Todesjahre,  war  Ferdi- 
nand, offenbar  auf  Antrieb  Maximilians,  noch  ernstlich  auf 
eine  Union  in  der  Lehre  zwischen  Protestanten  und  Römi- 
schen bedacht  und  hatte  G.  Wicel  nebst  G.  Cassander  \)  beauf- 
tragt, eine  dazu  dienende  Schrift  abzufassen,  die  aber  Maxi- 
milian bei  seinem  Regierungsantritt  wohlweislich  beiseite 
legte.  Näher  dem  Ziele  gekommen  war  die  Gestattung  des 
Laienkelches,  welche  Ferdinand,  im  Verein  mit  seinem 
Schwiegersohn  Albrecht  von  Bayern,  mit  aller  Entschiedenheit 
auf  dem  Tridentiner  Koncil  durchzusetzen  bemüht  war,  und 
welche  durch  ein  Breve  des  Papstes  Pius  IV.  vom  16.  April 
1564  erfolgte.  Der  Papst  wußte  sich  nicht  anders  zu  helfen, 
als  daß  er  den  Kardinal  Morone,  einen  gewiegten  und  ge- 
mäßigten Diplomaten,  nach  Wien  schickte,  um  die  Sache  im 
Sinne  Roms  bei  Ferdinand  zu  begleichen.  Ahnungsvoll 
schreibt  der  Grazer  Sekretär  Barthol.  Pica  am  3.  April  1564 
(also   11  Wochen  vor  Kaiser  Ferdinands  Tode)    an  Gallus: 

„Der  Legat  des  Papstes  Moronus  wird  binnen  kurzem 
nach  Wien  zum  Kaiser  kommen,  um  das  zu  Trient  mühsam 
Zusammengestoppelte  durchzusetzen  (peracturus  negocium. 
Tridenti  consutum).  Parturiunt  montes  Prodibit  Chimera 
multo  deterior  INTERIMO,  d.  h.  die  Berge  gebären;  es 
wird  eine  Chimäre  hervorgehen,  die  viel  schrecklicher  ist 
als  das  Interim." 

Pica  ermahnt  dann  seine  Regensburger  Freunde,  fest 
zu  widerstehen,  ohne  Rücksicht  zu  nehmen  auf  der  bösen 
Welt  schrecklichen  Unglauben.  In  der  That  war  die 
Einführung  des  Laienkelches  nur  von  kurzer  Dauer.  Für 
uns  ist  bei  dieser  Klage  von  Wichtigkeit  die  Vergleichung 
zwischen  dem  Tridentinum  und  Interim,  welche  beide  den 
Völkern    in    der  That    Wunden    geschlagen,    deren  Heilung 

gegangen  (vergl.  Sickel,  a.  a.  0.  p.  38).  Nur  die  Rede  Arcos  ist 
vom  Regensburger  Stadtarchiv  der  Nachwelt  aufbewahrt  worden. 
Wir  bringen  dieses  denkwürdige  Aktenstück  im  Anhang. 

1)  Kathohscher  Theolog,  der  wie  Wicel  eine  versöhnliche  Hal- 
tung zwischen  den  Parteien  einnahm. 


—    134    — 

auch  den  besten  Bemühungen  der  geistlichen  Ärztezunft 
nie  gelingen  wollte  i). 

Als  ein  den  Evangelischen  nicht  geradezu  Abgeneigter 
ist  in  den  letzten  Zeiten  Ferdinands  auch  der  Kanzler 
Johann  Ulrich  Zasius,  der  Sohn  des  berühmten  Freiburger 
Humanisten,  zu  nennen.  Dieser  doppelzüngige  Mann  galt  bei 
den  päpstlich  Gresinnten  wohl  gar  für  evangelisch  ^j.  Zasius 
war  bereits  auf  dem  Colloquium  zu  Worms  1557  zugegen 
und  auch  den  Pfälzern  wohlbekannt  3).  J.  von  Perkirchen 
schreibt  an  Nie.  Gallus  aus  Linz  am  18.  Oktober  1557  4): 

„Hie  ist  die  Sag,  wie  der  Doctor  Zasius  sag:  das 
Colloquium  zu  wuermbs  ^)  sey  zertrent ,  vnd  sol  füer- 
gebn,  das  Melanthon  die  höchst  Vrsach  sein  solle,  des 
ich,  wo  dem  also,  von  Hertzen  erschrickh,  pesorg,  es 
sey  vmb  das  lieb  theysch  Vaterlaude  geschehen  vnd  möcht 
wohl  vmb  die  zeyt  sein,  wie  Cristus  sagt:  Mainstu,  wan 
des  menschen  son  khomen  wirdt,  das  er  glauben  werde 
finden  ?   Dan  war  die  sag,  sol  Melanthon  khein  Widthauifer  % 

1)  Beide  berührten  sich  auch  in  der  Rechtfertigungslehre.  Die 
PubUkation  der  Tridentiner  Beschlüsse  war  aber  vorläufig  in  Öster- 
reich untersag-t  und  blieb  solches  auch  unter  MaximiUan  II.,  weshalb 
das  Anathema  auf  alle  Häretiker,  mit  welchem  das  Tridentinum  auf 
Antrag  des  Kardinals  von  Lothringen  schloß,  vorerst  in  Österreich 
noch  keine  Giltigkeit  hatte. 

2)  Wiedemann,  a.  a.  O.  I,  S.  360 ;  vgl.  eine  andere  Beurteilung 
bei  Hopfen,  a.  a.  0.  S.  102. 

3)  Was  er  1566  auf  dem  bekannten  Augsburger  Reichstage 
dem  verklagten  Kurfürsten  Friedrich  III.  von  der  Pfalz  in  den  Weg 
legte,  hat  uns  Kluckhohn  in  der  Lebensbeschreibung  jenes  Kur- 
fürsten, S.  466,  aus  dem  Münchener  Staatsarchiv  mitgeteilt.  Er  steht 
hier  ganz  auf  Seiten  der  Stände  der  Augsburger  Konfession  und 
fürchtet  von  einem  Überhandnehmen  des  calvinischen  Geistes  nur 
eine  Verschlimmerung  des  Üliels  und  lauter  Unruhen  gleich  wie  in 
Frankreich,  ja  eine  Unterdrückung  der  „A.  C- Verwandten".  Seme 
UnZuverlässigkeit  beklagen  die  Briefe  der  Pfälzer  (s.  Kluckhohn,  I, 
S.  631  und  639). 

4)  Nach  den  Regensburger  Akten,  Eccles.  I,  No.  XV,  Z.  18. 
b)  Worms. 

61  Wiedertäufer. 


-     135     — 

Sacramentharrier,  Ossiander  vnd  dergleychen  sectierer  nit 
wein  verurteln  Sonder  einn  Jeden  zu  seinem  glauben  pleyben 
lassen,  also  würdt  gar  khain  wäre  gewisse  religion  sein, 
Sonnd  all  seylig  werden,  Juden,  Heiden,  türckhn  vnd 
Cristen ;  das  khan  nit  sej-n.  Der  guette  Melanthon  vertraut 
seinem  hohen  Verstandt  zu  vil ;  wo  dem  also  ist,  mecht  des 
lieben  seyligen  Man  M.  Lutero  weyßsagung  i),  an  Im  erfüldt 
werdn  vnd  ....  (?)  Er  hat  In  das  Interim  gebilgt  vnd 
helffen  zu  machen,  das  ich  Ime  ja  nit  vergunnen  wolt,  dan 
er  je  vil  guetz  an  der  rechten  waren  khirchen  erpaut  hat, 
got  wel  Im  helffn  vnd  sein  Erparmbenn,  amen." 

Dieser  Brief  Perkirchens  zeigt  uns  das  große  Inter- 
esse, welches  der  hohe  Adel  in  Österreich  an  allen  Zeit- 
begebenheiten nahm.  Selbst  die  augenblicklichen  Kämpfe 
zwischen  Frankreich  und  Spanien,  in  welchen  Heinrich  IL 
(1557)  besiegt  wurde,  erregen  seine  Hoffnung,  daß  nun  die 
„Christen"  in  Frankreich  aufatmen  würden.  Am  meisten 
aber  interessiert  ihn  natürlich  die  Lage  der  Evangelischen, 
die  gerade  damals  sowohl  in  Steiermark  als  auch  in  Oster- 
reich zufolge  der  versöhnlicheren  Haltung  Ferdinands  sich 
günstiger  zu  gestalten  begann.  In  diesem  Zusammenhang 
ist  Perkirchens  Urteil  über  den  Abt  vom  Kremsmünster  2) 
wichtig,  welchen  er  dem  Gallus  schildert  als  einen  Prälaten, 
der  „auch  gern  säch  das  ordentlicher  vnd  christlicher  zue- 
gang,  als  geet".  Er  rühmt  die  feine  Schule  des  Abtes,  an 
welcher  derselbe  gegen  100  Knaben  „und  gemainigkhlich  ge- 
lerte  Leyt,  die  die  Jugend  ziehen",  habe.  Er  nennt  ausdrücklich 
als  früheren  Schulleiter  den  Nicenius,  „so  jetz  zu  frangkh- 
fuert    In    der  zusamenkhunfft   gebest   ist"  ^j.     ,,In  Suma    er 

1)  S.  o.  S.  15. 

2)  Gemeint  ist  Gregor  Lechner  (1543—56),  der  die  Schule  im 
Jahre  1549  zu  einer  öffentlichen  umgestaltete  (d.  h.  zu  einem  Gym- 
nasium). Vergl.  den  Art.  von  D.  Schiffmann  im  59.  Jahresbericht 
d.  Mus.  Francisco-CaroHnum,  Linz  1900,   „Das   Schulwesen  ob  der 

Enns  etc.". 

3)  Gemeint  ist  der  Frankfurter  Fürstenkonvent,  1557,  auf  den 
ihn  sein  Landesherr  mitnahm,  nachdem  er  in  Wittenberg  ordiniert 
worden  und  in  Thüringen  ein  Amt  erhalten  hatte. 


-     136    — 

lest  sy  die  knaben  auff  khain  abgeterey  weyssen,  Jedoch 
bleybt  er  ein  abt."  Perkirchen  habe  noch  vor  kurzem  mit 
ihm  geredet,  da  habe  sich  der  Abt,  der  ziemlich  alt,  ent- 
schuldigt, er  wisse  nirgends  hin;  „sol  er  dem  Cluster  etbas 
entfuern  ^j,  wer  auch  nit  guet.  In  Summa  ist  Im  allain 
vmb  erhalthung  lebens  vnd  leybs  zu  thain,  ist  sonst  ain 
erbarer  man,  der  den  armen  gern  hilfft,  auch  ein  gueteu 
Verstandt  hat,  aber  was  hilifz  zu  dem  ewigen". 

Diese  Briefstelle  gewährt  einen  tiefen  Blick  in  die  wahren 
Hindernisse,  auf  welche  das  Evangelium  überall  in  diesen 
Ländern  trotz  der  aller  Anerkennng  werten  Bemühungen 
Ferdinands  traf.  Und  so  scheiden  wir  im  Innern  versöhnt 
von  dem  hochgestellten  Fürsten  und  wenden  uns  zu  seinem 
Sohn  Maximilian. 

Maximilian  II. 

Während  Ferdinand  ein  deutliches  Bild  dem  Geschichts- 
schreiber hinterlassen,  ist  die  Schwierigkeit,  Maximilians 
Bild  zu  zeichnen,  ungleich  größer.  Das  Jahr  seines  Re- 
gierungsantrittes 1564  macht  einen  Einschnitt,  der  freilich 
nicht  zu  Gunsten  Maximilians  spricht.  Bis  1562,  d.  h.  bis 
zur  Wahl  zum  römischen  König,  hatte  Maximilian  es  leichter, 
seine  evangelischen  Neigungen  auch  im  Widerspruch  mit 
dem  Vater  zur  Geltung  zu  bringen.  J.  von  Perckhaim  in 
einem  Briefe  an  Gallus,  vom  5.  Juni  1558  2),  [^^  (Jes  Lobes 
voll  über  ihn.  Zunächst  klagt  derselbe  über  den  jetzigen 
Bischof  zu  Wien  und  dessen  neues  Vorhaben,  die  wahren 
Lehrer  aus  Osterreich  zu  vertreiben:  „hetzt  die  Khay.  Mt. 
auff  hefftigist  darzue  vnd  Kay.  Mt.  glaubn  Im  mer  als 
vnnserign,  Sol  auch  on  (?)  die  Kh.  wierdt  (Maximilian)  nit 
wol  zufridn  sein,  halten  vast  an  das  ler  Kh.  W.  von  der 
Neuen  lehr  lassn  solen,  aber  ler  Kh.  W.  sein  vnuerzagt 
pey  dem  waren  wort   zupleybn,    vnd  wein  ler  Kh.  W.  mit 


1)  d.  h.  zum  Schaden  handeln. 

2)  R.  A.  Eccles.,  No.  XVIII,  Z.  17. 


-     137     — 

geduldt  durch  gots  Hilff  alles  leyden,  was  der  lieb  gut 
schikst,  dem  ers  peuielicht  i)."  Diese  gute  Meinung  über 
Maximilian  basierte  auf  seinem  Entgegenkommen,  das  er 
seit  dem  Jahre  1555  und  ebenso  auf  dem  jüngst  1558  ge- 
haltenen Landtage  in  Stellvertretung  des  Kaisers  bei  den 
Verhandlungen  mit  den  Evangelischen  gezeigt  hatte,  wovon 
die  Akten  im  ß.-A.  vorliegen  2).  Damals  war  es  überhaupt 
noch  leichter,  sich  über  den  Parteien  zu  halten,  da  die 
Unterscheidungslehren  noch  keineswegs  festgestellt  waren 
und  die  Römischen  bis  in  die  Zeit  des  Wormser  Gesprächs 
(1557)  ein  gewisses  Entgegenkommen  zeigten,  um  sich 
mit  den  Protestanten  zu  verständigen,  wie  solches  auch 
der  Wunsch  Kaiser  Ferdinands  und  besonders  Maximilians 
war.  Es  herrschte  namentlich  bei  den  Katholiken  noch  eine 
große  Verwirrung  in  den  Ansichten,  welcher  erst  der  Ab- 
schluß des  Tridentiner  Koncils  (1563)  ein  Ende  setzte. 
Wichtige  Glaubenssätze  harrten  lange  der  dogmatischen 
Feststellung.  Außerdem  hatten  damals  die  Protestanten  die 
Beweise  für  ihre  religiösen  Meinungen  weit  besser  ausge- 
bildet als  die  Katholiken ;  die  Bibelstellen,  auf  welche  sie 
sich  stützten,  nahmen  auch  solche  gefangen,  die  der  alten 
Kirche  treu  blieben  ^). 

Notorisch  ist  Maximilians  Verkehr  mit  Christoph  von 
Württemberg  4j  und  anderen  evangelischen  Fürsten,  so  auch 
mit  Kurfürst  Friedrich  III.  von  der  Pfalz.  Von  ersterem  ließ 
er  die  Werke  eines  Luther,  Melanchthon  und  Brenz  sich 
schicken.    Von  einer  ganzen  Bibliothek  lutherischer  Bücher 


1)  befiehlt. 

2)  Eccles.  I,  No.  XVIII,  Z.  25,  vergl.  im  übrigen  Hopfen, 
a.  a.  O.  S.  30. 

3)  E.  Reimann,  Die  religiöse  Entwickelung  Maximilians  II. 
von  1554—1564,  Hist.  Zeitschrift  von  Sybel,  VIII,  1866,  S.  15. 
Außerdem  die  Skizze  von  Maurenbrecher,  Hist.  Zeitschr.  VIII,  S.  365 
bis  367. 

4)  Lebret,  Magazin  zum  Gebrauch  der  Staaten-  und  Kirchen- 
geschichte, Uhn  1785,  Bd.  IX,  S.  107,  111,  122,  132,  134. 


—     138    — 

redet  die  päpstliche  Anklage,  die  1559  an  Ferdinand  erging, 
womit  kaum  der  von  Nid  brück  gesammelte  Quellenstoff  zur 
Herstellung  der  Centurien  des  Flacius  gemeint  sein  wird, 
wie  Bibl  meint  i).  Ferner  ließ  er  einen  J.  S.  Pfauser  längere 
Zeit  vor  sich  predigen,  wie  wir  bereits  aus  den  Zeiten 
Ferdinands  wissen;  ja  er  unterhielt  einen  regen  Verkehr 
mit  ihm  und  zog  viele  Evangelische  in  seine  Nähe,  wie  z.  B. 
Wolf  Haller  und  B.  von  Pacheleben,  von  dem  Perckhaim  am 
26.  Mai  1558  an  Gallus  schreibt  2),  Johann  Baptista  von  Pache- 
leben sei  „ein  guter,  erber  ^)  Cristlich  man,  ein  glerter*) 
Jurist ,  wie  darvor  v.  Nitprugch  ^),  Seyliger  gedechtnus, 
gebesen  ist".  Pacheleben  wünschte  die  Bekanntschaft  des 
Gallus  zu  machen,  weshalb  Perckhaim  ihn  demselben  em- 
pfiehlt mit  den  Worten :  „Den  müget  Jer  trauen,  dan  er 
ainer  freyen  guten  gewissen  ist."  Er  ist  der  Vater  jenes 
Johann  v.  Pacheleben,  welcher  auf  seinem  Gute  St.  Ulrich 
evangelische  Prediger  hielt,  weswegen  ihn  Kaiser  Matthias 
1614  des  Besitzes  verlustig  erklärte^).  Auch  der  vom 
Papst  dem  Maximilian  aufgedrungene  Kardinal  Hosius,  sowie 
die  Ermahnungen  seines  Schwagers,  Albrecht  von  Bayern, 
hatten  wenig  Erfolg  bei  ihm.  Maximilian  blieb  seinen  An- 
sichten, die  er  gewiß  schon  im  ersten  Jugendunterricht  (durch 


1)  Bibl,  Nidbruck  u.  Tanner,  Wien  1898,  S.  5. 

2)  E.  A.  Eccles.  No.  XVIII,  Z.  24. 

3)  ehrbarer. 

4)  gelehrter. 

5)  Bekannter  Gönner  und  ehemaliger  Schüler  des  Flacius,  als 
Kais.  Rat  im  Dienste  Maximilians  und  sehr  fromm,  am  26.  September 
1557  in  Brüssel  gestorben.  Er  hat  Flacius  bei  Herstellung  der  Kirchen- 
geschichte, für  die  in  Österreich  unter  dem  Adel  gesammelt  wurde, 
geholfen.  Sein  Briefwechsel  s.  Jahrb.  d.  Gesellsch.  f.  d.  Gesch.  des 
Protestantismus,  1898.  Vergl.  auch  Bibl :  Nidbruck  und  Tanner,  ein 
Beitrag  zur  Entstehungsgeschichte  der  Magdeburger  Centurien.  Für 
Anteilnahme  Maximihans  an  der  Herstellung  der  Centurien  ent- 
scheidet sich  Krones,  Mitteilungen  d.  Instituts  für  österr.  Geschichts- 
forschung, XXI,  Heft  4. 

6)  S.  Weiss,  Gesch.  der  Stadt  Wien,  II,  S.  46. 


—     139     - 

Schiefer;  eingesogen,  im  ganzen  getreu,  nur  daß  uns  der 
Entwicklungsgang  im  einzelnen  verborgen  ist. 

Aber  das  alles  ist  nicht  entscheidend  für  Maxi- 
milians volle  evangelische  Gesinnung,  wenn  seine  Thaten 
nicht  danach  waren.  Was  soll  es  heißen,  wenn  er  1563  im 
Widerspruch  mit  seiner  religiösen  Überzeugung  den  künf- 
tigen Thronfolger  Rudolf  und  dessen  Bruder,  trotz  der  Vor- 
stellungen der  Stände,  zur  Erziehung  nach  Spanien  schickte 
und  eine  Ehe  seiner  Tochter  Anna  mit  Don  Carlos,  diesem 
unglücklichen  Sohne  Philipps,  ernstlich  ins  Auge  faßte? 

Interessant  ist  hier  der  Brief  des  Sigmund  Alten- 
dorffer,  böhmischen  Kammer  -  Kanzleischreibers  zu  Prag, 
eines  vertrauten  Freundes  von  Gallus^j,  Flacius  und 
Waldner,  welche  er  samt  deren  Hausfrauen  grüßen  läßt. 
Dieser  berichtet  über  die  Zustände  in  Böhmen  zur  Zeit, 
als  Maximilian  seinem  Vater  nachfolgte,  an  Gallus  d.  d. 
15.  September  ]564  unter  anderem  folgendes  2):  Daß  erst- 
lich in  Wien  und  darnach  auch  durch  den  Erzbischof  allhier 
die  Kommunion  sub  utraque  specie  gestattet  sei,  wovon 
Gallus  längst  werde  gehört  haben.  Dennoch  habe  er 
„nach  seiner  ainfältigen  Layschen  Vernunft"  nicht  finden 
können,  daß  es  viel  Erfreuliches  und  Seliges  mit  sich 
bringen  werde,  sonderlich  weil  es  sub  una  auch  (erlaubt) 
und  also  beides  für  recht  gedeutet  werde.  Er  sorge 
unaufhörlich,    „welch    ain    gar    große  Heuchelei   und  falsch 

als    etwa    noch    zur    weiteren    Defendirung des 

papistischen  Meßopfers  hier  zwischen  stekhen  müge 

wie  süß  man  dieses  alles  auch  fürgegeben."  Er  bittet  Gott, 
derselbe  wolle  um  seiner  hochgeliebten,  rechten,  wahren,  ein- 
fältigen, auch  allgemeinen  christlichen  Kirchen  willen  allen 
Falsch  und  Betrug  besser  noch  ans  Tageslicht  bringen 
„vnd  vnß  vnsererseits,  bei  erkhanter  Evangellischer  waar- 
haitt,  biß  anß  ende  vnd  in  alle  Ewigkhaitt  erhaltten". 

1)  Dem  Schwager  Altendorffers,  Thomas  Molitor,  verhalf  Gallus 
zu  einer  Pfarrstelle  beim  Grafen  Nie.  Salm  in  Oesterreich. 

2)  R.  A.  Eccles.  I,  No.  XXIII,  Z.  137. 


—     140    — 

Zugleich  berichtet  Altendorffer,  daJ]  den  zwei  Söhnen 
Maximilians,  den  Erzherzögen  Rudolf  und  Ernst,  samt  dem 
ihnen  zugeordneten  Kardinal  von  Augsburg,  in  Italien  und 
Spanien  große  Ehre  erwiesen  und  ihre  fürstlichen  Durch- 
lauchten auch  vielleicht  noch  eine  Zeit  in  Hispanien  zu- 
bringen würden.  Er  meldet  weiter,  daß  Erzherzog  Ferdi- 
nand durch  den  Kaiser  Maximilian  („dem  der  Allmächtige 
Gott,  darumben  höchst  zu  bitten,  ain  glugksällgiste  langwierige 
Regierung,  zu  Eerung  vnd  meerung  seines  heilligen  gött- 
lichen Namenß,  vnd  desselben  Cristenlichen  Khirchen,  auch 
heilligen  Römischen  Reichs,  beuorab  in  Teutscher  Nation, 
ganz  genediglich  verleihen  welle")  zum  Statthalter  in  Böhmen 
etc.  verordnet  worden.  Er  erwähnt  auch  das  schreckliche 
Ende  des  abtrünnigen  Staphilus ,  wovon  er  den  Bericht 
gelesen;  ferner  die  Verfolgung  der  Christen  in  Bayern. 
Er  erzählt,  daß  im  verflossenen  Sommer,  auf  Berufung  des 
Erzbischofs,  ein  Prädikant  aus  Schlesien  gekommen,  „der 
ettliche  vast  guete  Predigen  gethon,  vnnd  waarlich  baldt 
ain  grosse  anzall  zuehörer  gewunnen,  der  Ich  auch  selbst 
sambt  meinem  clainen  Heuiflein  geern  zu  söllichen  Pre- 
digen gangen  bin  vnnd  allda  vill  cristenlichs  vnnd  guetts 
gehört  hab".  Dann  aber  sei  jener  bald  gestorben,  und 
„eß  sollen  Jm  auch  die  Jesuwiderischen  i)  vast  mißgünstig 
geweest  sein".  Der  Erzbischof  habe  ihn  vor  einem  Altar 
in  der  Schloßkirche  begraben  lassen.  Daran  knüpft  der 
Briefsteller  die  Bemerkung,  daß  das  Wesen  der  hiesigen 
Schloßkirche  noch  immerdar  nach  papistischer  Art  bestellt 
sei,  und  er  bittet  Gott  um  Erleuchtung  „vnseres  Aller- 
genedigsten  so  frumben,  gotßförchtigen  Fürsten  vnd  Herrn". 

Daß  Maximilian  sich  vor  der  Übernahme  der  unga- 
rischen Krone  das  Abendmahl  in  beiderlei  Gestalt  vom 
Papste  ausbedang,  obzwar  er  damit  abgewiesen  wurde,  war 
keine  Heldenthat,  denn  der  Kelch  gehört  zu  den  Gebräuchen, 
die  der  Papst  ausnahmsweise  gestatten  kann,  wie   er  früher 


1)  Jesuiten. 


-     141     - 

gelegentlich  der  Kompaktaten  in  Böhmen  gethan  und  später, 
wie  eben  erwähnt,  in  Österreich  und  Böhmen  ^j.  Maximilian 
ist  und  bleibt  ein  durch  und  durch  weicher  und  schwanken- 
der Charakter ;  in  der  Jugend  war  er  sogar  einem  unmäßigen, 
dissoluten  Lebenswandel  ergeben,  so  daß  ihn  sein  Vater  in 
einem  Briefe  vom  Jahre  1547  ermahnt,  den  wüsten,  seiner 
Gesundheit  schädlichen  und  seiner  Stellung  unwürdigen  Ver- 
gnügungen zu  entsagen.  Dies  geschah  auch  wirklich:  er 
wurde  später  ernster  und  fand  immer  mehr  Geschmack  am 
Verkehr  mit  protestantischen  Fürsten  und  Männern.  Wie 
schon  erwähnt,  ließ  er  sich  von  Kaiser  Ferdinand  einen 
eigenen  Hofprediger  gestatten,  den  Pfauser,  der  sich  freilich 
in  Wien  während  dieser  Dienstleistung  nie  als  einen  Evan- 
gelischen bekannt  hat. 

Auch  ist  es  nicht  verwunderlich,  daß  Maximilian  die 
Regierungshandlungen  seines  Vaters  kritisierte.  So  schreibt 
er  anläßlich  der  von  Ferdinand  verhinderten  Freistellung  des 
Gottesdienstes  fauf  dem  Reichstag  zu  Regensburg,  1556  bis 
1557)  an  Herzog  Christoph  (13.  März  1557;:  „Wer  weiß, 
es  kann  sich  etwa  noch  alles  umkehren.'- 

Nicht  verwunderlich  ist  es  ferner  bei  seinem  Charakter, 
wenn  er  anläßlich  des  römischen  Druckes,  welcher  auf 
seinen  Vater  um  jene  Zeit  ausgeübt  wurde,  von  „teuflischer 
Werbung"   des  Papstes  spricht  (20.  Dezember  1557)  ^i. 

Nicht  entscheidend  für  Maximilians  volle  Überzeugung 
ist  auch  jener  Umgang  mit  dem  unzuverlässigen  Peter  Paul 
Vergerius,  und  daß  dieser  ihn  fest  im  evangelischen  Glauben 
fand,    oder    daß  Maximilian    den    evangelichen   Fürsten    ge- 


1)  Vergl.  Schlosser,  Weltgeschichte,  XIII,  S.  309. 

2)  Wiedemann,  II,  S.  106.  Der  Pap.st  hatte  einen  Notar  an 
Kaiser  Ferdinand  gesandt,  um  ihm  zu  gratulieren  wegen  des  Miß- 
lingens  des  Wormser  Gesprächs  imd  ihn  um  weitere  Abwehr  „der 
lutherischen  Pest"  zu  bitten,  welche  „Werbung"  Maximilian  miß- 
fiel. Er  meldet  bei  dieser  Gelegenheit,  daß  er  des  Evangeliums 
halber  in  Verdacht  stehe  („propler  veritatem  suspectus  simi")  und 
zu  den  Verhandlungen  seines  Vaters  nicht  zugezogen  werde. 


-     142    — 

legentlich  auch  guten  Rat  geben  zu  müssen  meint  i).  So 
schreibt  Vergerius  an  Christoph  von  Württemberg  am 
20.  Febr.  1558:  Maximilian  wünsche  dringend ,  daß  das 
Evangelium  in  seinen  Bekennern  eine  wahre  Besserung  des 
Lebens  hervorbringe,  besonders  aber,  daß  die  Fürsten  allen 
Haß  und  alle  Feindschaft  fahren  lassen  und  wieder  eine 
wirkliche  Eintracht  untereinander  aufrichten.  Hierdurcb 
wüi'den  die  Protestanten  leicht  den  Sieg  über  diejenigen 
davontragen,  die  ihnen  das  Evangelium  aus  den  Händen 
winden  wollten  '^). 

Selbst  Melanchthon  mußte  einmal  eine  Ermahnung 
j\Iaximilians  in  einem  Brief  vom  14.  Mai  1559  entgegen- 
nehmen S),  worüber  er  sehr  beleidigt  war.  Der  König  er- 
mahnte ihn,  „auf  dem  gegenwärtigen  Augsburger  Reichstage 
(dem  vom  Februar  1559)  sich  die  gottselige  geliebte  Ver- 
gleichung  treulich  angelegen  sein  zu  lassen,  so  daß  alle 
Schärfe  vermieden  werde".  Das  Gebahren  der  melanchtho- 
nischen  Partei  auf  dem  letztverflossenen  Wormser  Kolloquium 
mochte  solche  Mahnung  als  nicht  überflüssig  erscheinen 
lassen  4). 

Persönlich  aber  große  Opfer  für  das  Evangelium  zu 
bringen,  war  Maximilian  nicht  gewillt.  Als  er  im  Früh- 
jahr 1560  durch  seinen  Vater  genötigt  war,  seinen  Pre- 
diger  Pfauser  5)    vom    Hofe    ziehen    zu   lassen,    da   wendete 


1)  Kluckhohn,  Briefe  Friedrichs  III.,  Bd.  II,  S.  69.  In  einer 
Ermahnung  MaxitniUans  „an  die  Chur-  und  Fürsten"  heißt  es :  „Ir 
die  Augspurgischen  confessionsverwandten,  haltend  beieinander,  ir 
werdend  sonst  bald  zerrissen  wie  ein  hasenbalg".  Oder  an  Christoph 
(22.  Juni  1558) :  „Durch  den  Weg  der  Vergleiehung  der  Spaltungen 
unter  den  Anhängern  des  Augsburger  Bekenntnisses  sticht  man  dem 
Papste  ganz  den  Hals  ab"  (s.  Reimann,  a.  a.  O.  S.  24). 

2)  S.  Kugler,  Herzog  Christoph,  Bd.  II,  S.  321. 

3)  S.  Corp.  Ref.  IX,  praef.  XIII  und  832. 

4)  Vergl.  dazu  Brieger,  Theol.  Studien  u.  Kritiken,  1873,  S.  932. 

5)  Es  steht  nicht  einmal  fest,  daß  M.  mit  diesem  entlassenen 
Hofprediger  noch  in  näherer  Verbindung  blieb,  obwohl  freilich 
Pfauser  wiederholt  Bittgesuche  (so  auch  für  Eeuter)  an  ihn  vermittelte. 


—     143    - 

er  sich  alsbald  mit  der  Bitte  um  Rat,  nötigenfalls  um 
Schutz  an  Philipp  von  Hessen  i)  und  Kurfürst  Friedrich  III. 
von  der  Pfalz  2),  zu  dem  er  ein  besonderes  Vertrauen^  hegte. 
Er  suchte  im  Falle  einer  nötigen  Entfernung  vom  Wiener 
Hofe  ein  Asyl.  Auch  fragte  er  an,  wie  er  sich  gegen  seinen 
Vater  verhalten  solle,  und  bekannte  sich  zu  der  Lehre,  so 
in  der  Augsburger  Konfession  begriffen.  Der  Kurfürst  ant- 
wortete, er  rate,  sich  der  kaiserlichen  Majestät  nicht  zu 
widersetzen,  fleißig  zu  beten,  aber  die  Messe  zu  fliehen :  im 
Falle  der  Not  werde  er  ihm  seine  Unterstützung  angedeihen 
lassen,  so  weit  er  nicht  dem  Kaiser  gegenüber  durch  Eides- 
pflicht gebunden  sei  3).  Philipp  von  Hessen  antwortete 
Maximilian,  er  gebe  ihm  bloß  den  Rat,  in  keinem  Falle  aus 
dem  Lande  zu  ziehen,  wohl  aber  vom  Kaiser  die  Ab- 
schaffung der  päpstlichen  Mißbräuche  zu  erbitten.  Dieser 
Rat  aus  dem  Munde  Philipps  stimmt  freilich  nicht  mehr 
mit  seinen  früheren  Glaubensäußerungen  überein.  In  der 
an  die  zwei  Fürsten  gerichteten  mündlichen  Werbung  durch 
den    königlichen    Gesandten    kommt    der  Satz    vor,    was    zu 


Wir  hören  vielmehr  aus  einem  Brief  Eeuters  an  Gallus,  v.  28.  April 
1565,  daß  er  gelegentlich  auf  ihn  als  einen  Verführer  schimpfe 
und  gar  nicht  willens  sei ,  wie  die  gutherzigen  Evangelischen  hofften 
ihn  wiederum  zum  Predigtamt  an  den  kaiserlichen  Hof  zu  berufen 
1568  setzte  er  ihm  freilich  eine  Pension  von  800  Fl.  aus.  Pfauser 
hat  in  Lauingen  sich  keines  guten  Rufes  erfreut.  Melissander  schreibt 
in  einem  Briefe  an  Waldner,  JuU  1569,  Pf.  habe  mit  Fressen  und 
Saufen  böses  Beispiel  gegeben,  er  sei  plötzlich  gestorben.  Auch 
J.  F.  Cölestin  klagt  1568  in  einem  Schreiben  an  Gallus  über  diesen  Fem- 
schmecker,  wie  er  ihn  nennt,  und  giebt  zu  verstehen,  daß  derselbe  auf 
Bitten  eines  österreichischen  Adiaphoristen  beim  Kaiser  auf  die  Ver- 
jagung der  Flacianer  andringen  würde. 

1)  Vergl.  Rommel,  PhiUpp  der  Großmütige,  Bd.  II,  S.  577. 

2)  Vergl.  Kluckhohn,  a.  a.  O.  Bd.  III,  S.  1032,  Note  3. 

3)  Kluckhohn,  a.  a.  0.  I,  LXIII.  Beklagenswert  ist  der  Undank 
Maximilians  gegen  Kurfürst  Friedrich  HL,  den  er  auf  dem  Reichstag 
zu  Augsburg  1566  wegen  seines  sogenannten  calvinischen  Bekennt- 
nisses und  Abfalls  vom  Religionsfrieden  der  Kurwürde  entsetzen  wollte, 
was  auch  gelungen  wäre,  wenn  nicht  im  letzten  Moment  Kursachsen 
sich  dagegen  erklärt  hätte. 


—     144     — 

zu  geschehen  habe,  „falls  ihre  königliche  Würde  zu  der 
päpstischen  meß  und  anderen  dergleichen  ceremonien  und 
mißbreuchen,  darob  ihre  kön.  W.  viel  jähr  anhero  (un- 
geacht  das  sie  derzeit  etwas  nachhangen  muß) 
abschewen  und  mißfallen  getragen,  weiter  genöthigt  wird". 
Der  eingeklammerte  Satz:  „ungeacht  das  sie  derzeit  etwas 
nachhangen  muß"  enthält  eine  Entschuldigung  gegenüber 
den  Fürsten  und  bestätigt  die  alte  Klage  der  Protestanten, 
daß  Maximilian  mit  seiner  evangelischen  Umgebung  der 
Ansicht  huldigte,  man  dürfe  sich  verstellen,  dem  Meßopfer 
beiwohnen  und  das  Abendmahl  aus  den  Händen  eines 
katholischen  Priesters  unter  beiden  Gestalten  empfangen  ^). 
Zu  diesem  Äußersten  der  Verbannung  vom  Hofe  kam 
es  nun  freilich  nicht.  Maximilian  fand  eben  bei  seinen 
Glaubensgenossen  den  Beistand  nicht,  auf  den  errechnen 
zu  dürfen  gehofft;  andererseits  ward  er  von  seinem  Vater 
mit  Ausschluß  von  alleu  Ehren  und  Würden  bedroht.  So 
gab  er  denn  nach.  Während  Maximilian  Ende  Dezember 
1561  in  der  durch  den  Kanzler  Zasius  an  Friedrich  III. 
überbrachten  Werbung  sich  noch  rühmen  konnte,  daß  er  die 
königliche  Krone  Ungarns  zu  zweien  Malen  ausgeschlagen,  um 
nicht  im  Punkte  des  Kelches  wider  sein  Gewissen  handeln  zu 
müssen  2),  so  giebt  er  sich  jetzt  vor  der  römischen  Königs  wähl, 
wie  bei  der  im  September  1563  erfolgenden  ungarischen  damit 
zufrieden,  daß  die  Handlung  der  Kommunion  völlig  unter- 
bleibt. Als  endlich  die  geistlichen  Kurfürsten  von  Ferdi- 
nand die  Gewißheit  haben  wollten,  daß  Maximilian  gut 
katholisch  wäre,  erklärte  der  letztere  feierlich  seinen  Ent- 
schluß,   die    katholische    Religion    zu    behalten,    vor    eigens 


1)  Kluckhohn  III,  S.  1033,  Note  1.  Noch  am  28.  April  1565 
schreibt  Chr.  Reuter  an  Gallus:  „Item  man  sagt,  der  Kaiser  solle 
das  Sakrament  Nemen  In  grosser  geheim,  vor  Tages,  Auch  also, 
daß  nur  ein  einiger  Camerdiener  darumb  sol  wissen". 

2)  Kluckhohn,  I,  248,  249.  Diese  Separatbewerbung  geschah 
in  Angelegenheiten  der  Wahl  Maximilians  zum  römischen  König 
und  verfolgte  den  Zweck,  Maximilian  als  gut  evangelisch  hinzustellen. 


—     145     — 

hierzu  nacli  Prag  abgesandten  Männern.  Diese  Erklärung 
befriedigte  die  drei  geistlichen  Kurfürsten,  und  als  nun 
auch  Friedrich  III.  seinen  Widerspruch  aufgab,  ging'^am 
24.  Nov.  1562  die  Wahl  und  am  letzten  November  die 
Krönung  zum  römischen  König  vor  sich. 

Maximilian  wohnte  von  jetzt  an  auch  kirchlichen 
Handlungen  bei,  von  denen  er  sich  so  viele  Jahre  aus- 
geschlossen hatte,  wie  Prozessionen,  Oflfertorien,  Vespern, 
Heiligenmessen.  Bei  einer  Unterredung  mit  dem  Vater 
sprach  er  sich  deutlich  dahin  aus,  daß  er  einsähe,  wie 
sehr  die  Evangelischen  irre  gingen,  und  er  bekannte  sich 
nun  zu  der  Ansicht,  welche  Ferdinand  im  Jahre  1560  sehr 
ausführlich  dem  Papste  begründet  hatte,  daß  sich  der 
größte  Teil  des  Volkes  bekehren  würde,  wenn  die  Geist- 
lichen aufhörten,  es  durch  ihr  böses  Beispiel  zu  ärgern^). 
Im  September  1563  empfing  dann  Maximilian  die  ungarische 
Krone ;   —   die  Kommunion  unterblieb. 

Daß  Maximilian  trotz  alledem  im  Herzen  evangelisch 
blieb,  ist  gewiß  und  wird  auch,  wenn  wir  etliche  Gelehrte 
ausnehmen,  selbst  katholischerseits  gegenwärtig  allgemein 
anerkannt  2j.  Es  lag  ihm  nun  aber  die  nicht  leichte  Arbeit 
ob,  zwischen  zwei  Gegensätzen  zu  vermitteln,  die  beständig 
aufeinander  stießen.  Und  dieses  beklemmende  Schauspiel 
über  dessen  Unwürdigkeit  er  wohl  niemals  zur  Klarheit  ge- 
kommen ist,  welches  aber  von  seinem  Regierungsantritt 
bis  zu  seinem  12  Jahre  darauf  erfolgenden  Tode  an- 
dauert, trübt  den  freundlichen  Eindruck,  welchen  die  Zeit 
Maximilians  sonst  auf  uns  Protestanten  macht. 

Maximilians  Regierungsantritt  als  Kaiser  am  25.  Juli 
1564  wurde  von  den  Protestanten  als  der  Beginn  einer 
neuen  glücklichen  Ära  gefeiert  ^).    Sie  leisteten  mit  Freuden 

1)  S.  Reimann  in  Sybels  bist.  Ztschr.,  VIII,  S.  59  ff. 

2)  Wiedemann ,  Weiss ,  Gesch.  der  Stadt  Wien ,  Janssen, 
Geschichte  des  deutschen  Volkes,  IV,  S.  274  ff.,  417,  Krones,  Hand- 
buch der  Geschichte  Österreichs  III,  S.  270  u.  a. 

3)  Vergl.  Weiss,  Geschichte  der  Stadt  Wien,  II,  S.  36f.  Des 
Kurfürsten  Friedrich  III.  Erwartungen   bezüglich  Maximilians  be- 

10 


—     146    — 

die  Erbhuldigung ,  wobei  ihnen  der  römisch  -  katholische 
Eid  erlassen  und  ein  bloßes  Gelöbnis  gewährt  wurde  i). 
Die  ersten  Regierungsmaßregeln  machten  auch  die  Hoff- 
nungen der  Protestanten  weiter  rege.  Zur  Promotion  an 
der  Universität  durfte  das  katholische  Glaubensbekenntnis 
nicht   mehr   gefordert  werden  (Edikt  vom  5.  September)  2). 


zeichnet  die  Instruktion  für  den  pfälzischen  Gesandten  D.  Pastor 
(Kluckhohn,  I,  S.  528).  Dieser  soll  darauf  achten:  „ob  auch  die 
Meß  und  andere  Päpstlerei  noch  verstattet  sei  (;NB.!),  was  für 
katholische  Ceremonien  beim  Begräbnis  Ferdinands  beobachtet  seien" 
etc.  etc.  Hoffnungen,  Befürchtungen  und  Enttäuschung,  welche  sich 
an  den  Eegierungsantritt  Maximilians  betreffs  der  Religion  knüpften, 
geben  wohl  am  besten  etliche  Verse  des  von  Maximilian  arg 
verfolgten  Schmähgedichts  die  ,, Nachtigall"  wieder,  wo  es  heißt: 

„Da  du  empfingest  die  gülden  krön, 

„Hastu  das  evangeUon 

„Zu  schützen  vielen  zugesagt. 

„Denk,  ob  es  denn  auch  Gott  so  behagt, 

„Wenn  itzt  die  hur  von  Babylon 

„Gefürdert  wird  durch  deine  krön." 
Vers  262  fährt  der  Frankfurter  Dichter  Hans  Baier  warnend    fort: 

„Der  höchste  sitzt  in  seinem  thron 

„Und  hat  für  lengst  gezelet  schon 

„Die  tag  und  stund  des  zepters  dein 

„Die  zeit,  die  ist  hie  kurtz  und  klein. 

„Das  heilige  evangelion 

„Daß  ist  die  beste  confession." 
(Wiener  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv,  Fase.  50).  Den  Zorn  Maxi- 
mihans  über  dieses  Schmähgedicht  lernen  wir  kennen  aus  Kluck- 
hohn, a.  a.  0.  Bd.  n,  S.  82,  3,  90,  92,  4,  97,  8,  108-110. 
Vergl.  Hopfen,  a.  a.  O.  S.  Ulf.  Etliche  nehmen  den  Heidelberger 
Prediger  Kiebitz  für  den  Verfasser  jenes  Gedichtes  an,  so  Krones, 
a.  a.  O.  III,  S.  271. 

1)  Für  die  Eidesleistung  der  Stände  in  Krain,  die  zu  Gunsten 
der  EvangeHschen  abgeändert  wurde,  vergl.  Dimitz,  Geschichte  Krains, 
II,  S.  4.    Statt  „alle  Heiligen"  setzten  sie  „das  heilige  Evangelium". 

2)  Vergl.  Otto,  Gesch.  der  Reformation  im  Erzhzgtum  Öster- 
reich unter  Kaiser  Maximilian  IL,  S.  29,  Note  67:  Die  Doktoren, 
Dekane,  Rektoren  der  Universität  Wien  waren  damals  zum  größeren 
Teile  Protestanten.   Maximilian  erließ  am  4.  Februar  1568  ein  Dekret, 


—     147     - 

Der  Ausdruck  „katholisch"  mußte  den  Ausdruck  „römisch- 
katholiscli"  ersetzen  i).  In  den  Kirchen  zu  St.  Stephan, 
St.  Michael  und  bei  den  Jesuiten  wurde  kundgemacht,  daß 
gegen  die  Verabreichung  des  Abendmahls  unter  beiderlei 
Gestalt  kein  Bedenken  zu  erheben  sei.  Die  Jesuiten  wurden 
in  Schranken  gewiesen ;  man  entzog  ihnen  die  eine  der 
zwei  Lehrkanzeln  an  der  Universität.  Auf  dem  Landtage 
zu  Ende  des  Jahres  1564  ließ  Maximilian  ausdrücklich  er- 
klären, daß  die  Stände  bis  zur  Ordnung  der  Religions- 
streitigkeiten in  ihren  Rechten  geschützt  und  ihre  Prediger 
von  niemand  beschwert  werden  sollten.  Dennoch  aber 
zeigte  sich  keine  Entschiedenheit,  und  die  Praxis  ließ  viel 
zu  wünschen  übrig. 

Sehen  wir  nun,  was  die  Regensburger  Akten  aus 
den  Reuterschen  Briefen  für  diese  Zeit  ergeben. 

Anno  1565,  als  sich  der  Ortenburger  Graf  bei  Maxi- 
milian wegen  der  in  seiner  Herrschaft  stattfindenden  bay- 
rischen Einmischung,  die  ihn  aus  dem  Lande  getrieben,  be- 
schwerte, meldet  Reuter  am  28.  April  an  Gallus  folgendes 
aus  „Steyreckh  auf  der  Thonaue",  nachdem  er  aus  seiner 
zweijährigen  Verbannung  nach  Österreich  ohne  Vorwissen 
des  Kaisers  zurückgekehrt  war  2) : 


worin  ausdrücklich  erklärt  wurde,  daß  die  Augsb.  Konfession  nicht 
als  ein  Hindernis  zur  Erlangung  des  Doktorgrades  zu  betrachten 
sei.  Abgedr.  b.  Kink,  Geschichte  der  Universität  Wien,  Bd.  I,  Th.  2, 
S.  187  f. 

1)  Wiederaann,  I,  352. 

2)  R.  A.  Eccles.  No.  XXIII,  Z.  47.  In  Wien  verglich 
Reuter  mit  dem  Hofmarschall  Herrn  von  Ungnad  das  geschrie- 
bene Exemplar  der  Augsb.  Conf&ssion ,  das  sich  im  Besitz 
des  Kaisers  befand,  mit  dem  bereits  veröffentlichten  Druck;  „vnd 
hat  sich  im  Meisten  artikhel  wie  die  zu  R.  (Regensburg)  ge- 
drukht  verglichen,  doch  Ist  in  dem  geschribenen  esemplar  iner, 
hat  mirs  nicht  ausser  das  Hauß  wellen  vertrauen".  —  Haben 
wir  hier  etwa  eins  der  beiden  nie  aufgefundenen  Originale  der  A.  C. 
zu  suchen?  Dann  dürfte  es  vielleicht  noch  in  Wien  zu  finden 
sein!  Khevenhüller,  Annales  Ferd.,  T.  VI,  S.  108  (s.  bei  Otto, 
a.  a.  O.  S.  44),  verzeichnet  ein  Gutachten   des  Erzherzogs  Matthias 

lü* 


-     148     - 

„In  den  Tagen    besuchten    wir   herrn  Joachim    graffen 
von    Orttenberg,    vnd   hielten   ratt,    ein   vertriebener    beym 
andern  ;    stellet  sich  gegen  vns  freuntlich  Doctor  Simon  i) ; 
vermeinet,    wo    es    zur  Audienz  komm,    soll    ich   mit  wenig 
beystand  erscheinen ;  meldet,  die  Apostel  hätten  auch  wenig 
beystand  gehabt.    Aber  unsere   Österreicher  verhießen  einen 
großen    beystand    vnd    war    dazumal    eine    große    anzal    der 
Landleutt."     Herr  von  Polhaim  auf  Männersdorf  hatte  sich 
bereit   erklärt,    „unsere  Brief  der    Rom.    K.  Maj.    zu    über- 
antworten vnd  unser  Nehemias  sein  und  bleiben  zu  wollen. 
Ir  Maj.  aber  entschuldiget  sich    ihm    gegenüber    der  Unge- 
legenheit  halber.     Ir  Maj.  waren  krank,  und  da  wir  in  die 
4.  Woche    zu  Wien  verharrten    und    nichts   (dabei)  heraus- 
kommen wolt,    zogen  wir  zuhaus.     Vnd  wisset,    der  gantze 
Handel  -)    ist    nie    für    die    ratte    (Räte)    komen ,     die    Ro. 
K.  M.  hatts    allein    für    sich    mit    dem  Herrn    von  Polhaim 
gehandelt  In  geheim.    Darumb  ists  lang  nicht  zu  einer  offent- 
chen   audientz   vnd  verhör  komen,   wie  wir  meinten.    Sehet, 
höret,    geliebte    Herrn    vnd    Brueder,    wie    arm    der    fromb 
keiser ist, fürwar  er  hangt  voller  teufel,  wir  haltens  darfür,  er 
war  gern  fromb,  aber  der  Teufel  helt  stark."  —  Im  selben  Brief 
klagt  Reuter  weiter :  Der  Offizial  (von  Passau)  zu  Wien  habe 
einen  „Landtag"  mit  seinen  Pfaffen  jetzt  gehalten  vor  wenig 
Tagen,  d.  h.  seine  Geistlichen  berufen  und  ihnen  beide  Teile 
des  Sakraments  unter  der  Messe  auszuteilen  vorgehalten  ^).   Da 


n  Rudolf  II.,  vom  Juli  1604,  wonach  das  Original  der  A.  C.  in 
der  That  damals  auf  Befehl  Maximilians  „aus  der  Mainzischen 
Kanzlei"  hätte  gebracht  und  für  die  Stände  abgeschrieben  werden 
müssen. 

1)  Vielleicht  ein  kaiserlicher  Rat? 

2)  Es  handelt  sich  in  diesem  Briefe  dem  Reuter  zuerst  um  Dar- 
stellung seiner  Rehabilitierung  in  Österreich,  wozu  die  Empfehlung 
Pfausers  und  ein  Zeugnis  des  Pfalzgrafen  Wolfgang  dienen  sollte. 

3)  Reuter  meint  jenen  Vorhalt,  den  der  Offizial  der  Geistlich- 
keit in  Österreich  unter  der  Enns  gemacht,  wonach  sich  die  Pfarrer 
verpf höhten  mußten,  die  Spendung  des  Kelches  nach  den  kaiser- 
lichen und    päpsthchen  Erlässen    zu    halten  (Wiedemann,    I,  314), 


—     149    — 

seien  nur  wenige  (6  ?)  beständig  geblieben  bei  der  Augsbur- 
gischen Konfession,  sondern  die  Meisten  wären  wirklich  er- 
schienen. „Sehetan  die  beswichter  f Bösewichte),  wer  wolt 
wider  solche  pueben  nicht  donnern  vnd  blitzen ;  sie  sind  vnd 
bleiben  zweizüngische  pfaflfen.  Sei  das  vnserm  Ro.  K.  nicht 
ein  bedenckhen  machen  ?  Vnter  andern  ist  auch  Caesar  ^) 
erschienen,  aber  von  den  Vnsern  keiner,  Ich  bin  auch  nie 
berueffen.  0  wie  spottlich  haben  sie  vnsern  armen  Kaiser 
(d.  i.  Caesar)  gehalten ;  der  claget  seinem  Herrn  von  Eyzing ; 
der  ging  zum  Landtmarschalich,  welcher  Instante  zum  K. 
(Maximilian)  gieng,  zeiget  Ime  darneben  an,  die  pfaffen  rumben 
(rühmen)  sich,  ir  Maj.  hettens  befolhen.  Die  K.  gab  zur 
Antwortt  gleich  fragweis :  Hab  Ichs  befohlen  ?  vnd  aber- 
mal, Hab  Ichs  befolhen  ?  vnd  Nams  auf  ein  bedenckhen. 
was  darauf  wirtt  folgen,  wirtt  die  Zeitt  geben".  —  Maxi- 
milian lehnte  also  den  Evangelischen  gegenüber  alle  Ver- 
antwortlichkeit für  solches  Verfahren  ab. 

„Yr  Herrn  glaubet  nicht  wie  elend  die  Kirchen  In 
Osterreich  ist,  es  ist  eine  lauttere  Samaritanische  religion  In 
gemein,  wir  alle  sind  In  Osterreich  wie  Christus  Im  staal 
zu  betthlehem,  Annas  vnd  Caiphas  haben  den  Tempel  Innen. 
Ausgenommen  meine  Herren,  sonst  tugets  mit  dem  Nimro- 


Dabei  ergab  sich,  daß  auch  manche  bisher  der  A.  C.  treu  Gebliebene 
sich  gefügt  hätten,  weil  es  kaiserlicher  Befehl  war,  unangesehen  dessen, 
daß  das  Sakrament  nur  dann  zu  reichen  sei,  wenn  es  sub  sacrificio 
missae  konsekriert  war.  (Vergl.  das  gleiche  Verfahren  in  Bayern 
bei  Aretin  a.  a.  0.  I,  122  und  den  Brief  Eisengreins  nach  München 
bei  Hopfen,  Kaiser  Maximilian  II.,  S.  272,  der  aber  den  Brief,  der 
ohne  Datum  ist,   in  ein  falsches  Jahr  setzt.) 

1)  Caesar  zu  Schratten tal,  bei  von  Oswald  Eyzing;  er  hieß  wohl 
Kaiser;  ihn  führt  Eeuter  in  einem  Brief  vom  6.  Januar  1566  als  im 
Ruf  der  Trunkenheit  stehend  an.  Am  7.  JuU  1566  beklagt  Jonas 
Frankus  (in  einem  Briefe  an  Gallus)  den  Streit,  welchen  Georgius 
Caesar  mit  Reuter  und  allen  Orthodoxen  angebunden,  worüber  er 
an  „unsern  lUyricus"  geschrieben,  der  vielleicht  darüber  mit  Gallus 
handeln  werde.  Er  scheint  ein  laxer  Synergist  gewesen  zu  sein, 
wie  es  deren  so  viele  im  Lande  gab. 


—     150    — 

dischen  (Wesen)    Wol  besser,  die    guetten    bruder  werdens 
wol  erfaren,  (ja)  leider  sie  erfahrens  schon/' 

Der  Kaiser  lavierte  eben  zwischen  den  streitenden 
Parteien  hindurch,  bald  dieser,  bald  jener  etwas  zur 
Beruhigung  nachlassend  i).  Aber  diese  Vermittlerrolle  ge- 
nügte nicht  zur  Durchführung  des  Evangeliums  in  seinen 
Ländern ;  sie  hat  vielmehr  zur  Folge  gehabt,  daß  bei  seinem 
Tode  niemand  recht  wußte,  in  welchem  Glauben  er  gestorben. 

Zu  den  Beschwichtigungsmaßregeln  nach  der    römischen 

Seite    hin    gehört    auch   jener    Erlaß  Maximilians    kurz    vor 
seinem    Abgang    nach    Augsburg    (Januar    1566),    welchen 
Reuter  in  einem    Brief  vom    7.    Januar  ein  böses    „Valete" 
nennt    und  worin    die  Regierung   und  die  Stadt  Wien  auf- 
gefordert wird,    „die  Winkelprediger    zu  Wien  und,   wo  es 
die  Notdurft    erfordert,    gar    aus    dem  Lande    zu  schaffen". 
Dabei    sind    folgende    Worte    angehängt:    „Wie    Wir    auch 
mit  vnserm  bruder  Ertzhertzogen  Carole  geredt,  dem  sollet 
ir   In    allem    gehorchen."      Damit   war    also    einem    Gregner 
die    evangelische    Sache    ausgeliefert.      Dort    in    Augsburg 
war    es,    dass  der    Kaiser    das  Verwerfungsurteil   über    den 
pfälzischen    Calvinismus    und    die    Ausschließung    des    Kur- 
fürsten vom  Religionsfrieden  durchzusetzen    trachtete,    was 
aber  die  Fürsten  schließlich  nicht  bewilligten  -).    Maximilian 
war  überhaupt  in  Augsburg  in  schlechter  Stimmung  gegen 


1)  Die  Jesuiten  schränkte  er  ein,  aber  kam  ihnen  doch  wieder 
entgegen,  wenn  sie  sich  schmeichelnd  an  ihn  heranmachten,  be- 
sonders durch  ihren  Fürsprecher,  den  angesehenen  Hofrat  Eder, 
denselben,  der  auch  den  Hofprediger  Eisengrein  aus  Bayern  ver- 
schrieben. Als  aber  dieser  mit  seinem  Buche  „Evangelische  Inquisition" 
mit  dem  Schelten  gegen  die  Lutheraner  zu  weit  ging  und  gegen  sie  das 
Wort  „Ketzer"  gebrauchte,  woUte  Maximilian  das  nicht  dulden.  Mit 
einer  für  aUe  unverstäudhchen  Heftigkeit  wurde  Eder  gefänglich 
eingezogen  und  sein  Buch  schonungslos  vertilgt  (vergl.  die  Akten 
bei  Hopfen,  a.  a.  O.  S.  367—376,  S.  115  ff.).  Maximilian  Heß  es 
nicht  zu,  daß  religiöse  Ansichten,  mit  denen  er  im  Grunde  sympathi- 
sierte, also  lächerhch  gemacht  und  beschimpft  wurden. 

2)  Kluckhohn  I,  S.  658,  665,  667,  680-682 


-     151     — 

die  Evangelischen ;  er  ließ  sich  von  der  römischen  Partei 
dazu  gebrauchen,  die  im  Zuge  befindliche  Einigung  der 
Protestanten  zu  hindern.  Ja  vielmehr,  er  benutzte  die  vor- 
handene Spaltung  in  der  Abendmahlslehre,  um  den  refor- 
mierten Teil  in  der  Person  des  pfälzischen  Kurfürsten  vom 
Reiche  auszuschließen.  Damit  wäre  das  Gleichgewicht  der 
Konfessionen  im  Reiche  gänzlich  zu  Ungunsten  des  Pro- 
testantismus verändert  und  die  ausländischen  Religions- 
verwandten vollends  von  der  Teilnahme  an  jenem  Frieden 
ferngehalten  worden ,  '  was  eben  der  römischen  Partei 
erwünscht  war.  Der  Kaiser  äußerte  sich  gelegentlich : 
,,Confessionem  Augustanam ,  sacco  esse  persimilem,  in  quem 
sectas  quasvis  conjicerent  et  ubi  sacci  os  obstruxissent,  tum 
foramina  fieri,  per  quae  et  novae  rursum  sectae  inserentur 
et  nova  errumperent  dissidia,  Imperium  tandem,  nisi  obviam 
Iretur ,  funditus  perditura"  i).  Dem  Herzog  von  Bayern 
schreibt  Maximilian  1566  von  Augsburg  aus:  „In  summa 
nulla  constantia  est  apud  istos  ....  ich  wolt  vmb  ier  con- 
fession  nit  ain  ruebenschnitz  gewn,  dann  der  gschtalt  wiert 

es  bald  ain  zwinglianismus aber  sie  saind  verblent, 

transeat  cum  ceteris  erroribus,  wie  wol  es  zu  grow  ist"  ^). 
—  Auch  war  Cithardus  in  diesem  Jahre,  wie  Reuter  im 
Januar  bemerkt,  wieder  von  Einfluß  und  warnte  vor  Reuter, 
als  einem,  „der  die  Landschaft  aufrührig  mache".  Cithar- 
dus' Einfluß  war  überhaupt  kein  günstiger;  er  hatte  bereits 
1560  Kaiser  Ferdinand  als  Hofprediger  gedient,  als  dieser 
seinem  Sohne  Maximilian  den  Bischof  von  Gurk  als  Hof- 
prediger beigegeben.  Zu  der  Zeit  diente  er  3)  dem  Hosius 
als  Werkzeug,  um  schwache  Seelen  wieder  in  den 
Schoß  der  Kirche  zurückzuführen,  und  wurde  auch  von 
diesem  Maximilian  dringend  anempfohlen.  Maximilian  nahm 
ihn,     nachdem    er    ihn    früher    nicht    hatte    hören    wollen, 

1)  Historia  Soc.  Jes.  III,  56. 

2)  Freyberg,    Historische   Schriften    und  Urkunden,    IV,    14'J; 
vergl.  Stülz,  Gesch.  des  Klosters  Wilheriug,  S.  106. 

3)  Eaupach,  Bd.  II,  S.  137. 


—    152    — 

bei  seinem  Regierungsantritt  zum  Hofprediger  an  und  ließ 
ihn  auf  dem  Augsburger  Reichstage  1566  öffentlich  in 
anticalvinischem  Sinne  predigen,  was  die  Pfälzer  sehr 
verletzte  1).  Es  bestanden  für  Maximilian  allerlei  äußer- 
liche Gründe,  um  sich  gerade  damals  also  hervorzuthun. 
Nach  seiner  Rückkehr  kommunizierte  Maximilian  mit 
etlichen  seines  Hofgesindes  bei  Herrn  Hans  Gugelman, 
Pfarrherrn  zu  Enns.  Über  diesen  schreibt  Reuter  am  28.  April 
1565  an  Gallus  2) :  „H.  Hanß  Kugelman  pfarher  zu  Ens  ist 
jetz  stätts  zu  Wien.  Ist  nicht  guet  auf  vnser  seitten,  er 
sei  des  R.  K.  beichtvatter  sein.  Er  wil  ein  beschaidner 
Man  sein.    Ich  bin  bei  Ime  gewest,  habe  Ime  mein  Handel 


1)  So  klagt  ein  Gesandter  dem  Kurfürsten  Friedrich  von  der 
Pfalz  (29.  Jan.  1566),  daß  Cithardus  eine  scharfe,  heftige  und  läster- 
liche Predigt  wider  unsere  Religion  und  Meinung  vom  heil.  Abend- 
mahl (doch  ohne  Namen  zu  nennen)  gehalten  habe  (s.  Kluckhohn, 
Briefe  I,  634).  Übrigens  hatte  Cithardus  wohl  seine  besseren 
Seiten;  er  predigte  scharf  das  Gesetz,  sagte  auch,  es  sei  recht,  daß 
man  das  heilige  Abendmahl  unter  beiderlei  Gestalt  reiche,  und  gab 
nichts  auf  seine  Mönchskutte  (vergl.  Raupach,  II,  137).  Auch  predigte 
er  1563  vor  Kaiser  Ferdinand  über  die  1.  Epistel  Johannis  streng 
nach  der  Schrift,  und  Zasius  hat  seinen  guten  Einfluß  auf  K.  Ferdinand 
sehr  gelobt  (s.  Hopfen,  Kaiser  Maximihan  IL,  S.  63:  „er  bessere 
sich  täglich  treffentlich  in  seiner  Lehre,  schaffe  viel  gutes,  und 
weise  und  stärke  den  Kaiser  (Ferdinand)  zu  der  Moderation  in 
Glaubenssachen"  schreibt  Zasius  an  PhiHpp  von  Hessen  12.  Mai  1564). 
Er  war  also  weder  kalt  noch  warm,  und  Reuter  beurteilt  ihn  richtig, 
wenn  er  seufzt:  „Gott  bekehre  ihn!"  Cithardus  stammte  aus 
Acken;  er  war  ein  gelehrter  Mann  und  Doktor  der  Theologie, 
auch  führte  er  ein  unsträfliches  Leben  und  hatte  eine  schöne 
Gabe  der  Beredsamkeit  (vergl.  Henr.  Pantaleon ,  Prosopographia, 
Part.  III,  S.  194).  Wie  hoch  ein  Mann  wie  Dr.  Weber  seine 
zwischen  den  Parteien  vermittelnde  Predigtweise  schätzte,  bezeugt 
eine  Korrespondenz  Prunners  an  Eisengrein,  wonach  Dr.  Weber  ge- 
sagt habe:  „Ja,  es  ist  wahr,  wir  werden  sobald  keinen  Cithardum 
mehr  mögen  bekommen".  Neben  Cithardus  wird  in  diesem  Gespräch 
auch  Urban  von  Gurk  als  das  Ideal  eines  Predigers  der  vermittelnden 
Richtung  gekennzeichnet  (s.  Hopfen,  Kaiser  Maximilian  IL,  S.  268). 

2)  Reg.  A.  Eccles.  No.  XXXV,  Z.  47. 


—     153     - 

angezaigt,  aber  wenig  darzue  gethan.  Er  ratt  nur,  Ich  sol 
auf  ein  pfar  vnd  dise  Condition  faren  lassen,  das  thue  ich 
nicht."  Und  im  Mai  1566  schreibt  Reuter:  „Die  fromen 
Christen  halten  diesen  gugelman  für  einen  ertzheuchler"  ^). 
Wir  werden  auch  fernerhin  bei  den  Verhandlungen 
über  die  evangelische  Agende  den  mehr  lähmenden  als 
fördernden  Einfluß  Maximilians  kennen  lernen ;  vergebens 
hatten  die  Evangelischen  ihre  Hoffnung  auf  einen  Mann 
gesetzt,  der  leider  ein  schwankendes  Rohr  war.  Einer- 
seits machte  er  notgedrungen  dem  Herren-  und  Ritterstande 
große  Zugeständnisse,  indem  er  ihnen  am  18.  August  1568 
den  Gottesdienst  gemäß  der  Augsburgischen  Konfession  und 
Abfassung  einer  Agende  gestattete  2) ;  andererseits  suchte 
er  wieder  die  Katholiken  zu  beschwichtigen.  ,  An  seinen 
Bruder  Ferdinand  schreibt  Maximilian:  Wider  seinen  Willen, 
aus  äußerster  Not  habe  er  den  beiden  Ständen  ihre  Bitte 
um  freie  Religionsübung  bewilligen  müssen,  ihm  sei  es  um 
die  mögliche  Vereinigung  beider  Religionen  zu  thun  ge- 
wesen. Er  folge  hierin  seinem  Vater.  Was  aber  diesem 
nicht   gelungen,    vermöge    auch    er  nicht  durchzuführen.  — 


1)  Dieses  Urteil  wird  indirekt  bestätigt  durch  den  bayrischen 
Hofprediger  Eisengrein,  der  an  Herzog  Albrecht  (4.  Sept.  1568)  von 
Gugelman  schreibt:  er  sei  sonst  catholicus,  allein  daß  er  ein  Weib 
hat,  den  Meßkanon,  Anrufung  der  Heiligen,  Gebet  für  die  Ver- 
storbenen auslasse  und  den  Papst  für  den  Antichrist  halte  u.  s.  w. 
—  caetera  bonus!  (Hopfen,  a.  a.  O.  S.  397.)  Nach  Raupach  II, 
268  f.  erzählte  Reuter  dem  Backmeister,  der  Kaiser  habe  Gugelman 
bei  einer  Audienz  in  der  Ferne  stehen  sehen,  sich  sofort  zu 
ihm  verfügt  und  zu  aller  Verwunderung  mit  entblößtem  Haupt 
dem  Manne  die  Hand  geboten,  ihn  freundlich  gegrüßt  und  angeredet: 
„Mi  Domine  Johannes,  seit  Ihr  zu  Wien;  vnd  wollet  mich  nicht 
salutiren  und  bleibet  jetzt  dahinden  stehend,  Ir  solt  herfürtreten, 
ich  sehe  und  habe  euch  gerne."  Darauf  nahm  er  ihn  bei  der  Hand 
und  führte  ihn  in  sein  Kabinet. 

2)  Davon  wird  weiter  unten  die  Rede  sein.  Mit  welchem  Opti- 
mismus Friedrich  von  der  Pfalz  die  Kachricht  davon  begrüßte,  siehe 
Kluckhohn,  Briefe  II,  273;  v.  17.  Dez.  1568.  Er  sah  darin  eine 
ganze  Freistellung  des  Evangeliums. 


—     154    — 

An  den  katholisch  gebliebenen  Adam  von  Dietrichstein  i) 
schreibt  er:  die  Konzession  2)  sei  gegeben,  um  Confusion 
und  Sektiererei  zu  mindern  und  einen  x\ufstand  zu  hindern. 
—  Dem  Kardinal  Commendone  gegenüber  behauptete  der 
Kaiser  (24.  Okt.  1568),  die  römische  Kirche  habe  bei  der 
Augsburgischen  Konfession  am  wenigsten  zu  fürchten, 
worauf  jener  erwiderte,  die  Lutheraner  seien  nicht  minder 
schlimme  Ketzer  als  die  übrigen  ^j. 

Zur  Beruhigung  des  Papstes,  dessen  Dispensation  er 
zur  Vermählung  seiner  ältesten  Tochter  mit  ihrem  Oheim 
Philipp  von  Spanien  bedurfte,  versprach  Maximilian,  daß 
er  „in  betreff  der  Augsburgischen  Konfession  nichts  Neues 
einräumen  werde".  Dies  deutete  der  Papst  auf  gänzliche 
Aufhebung  der  Aug.  Conf.  in  einem  Schreiben  vom  1.  Dez. 
1568,  wogegen  der  Kaiser  nur  hatte  sagen  wollen,  er  werde 
außer  der  Konzession  vom  18.  August  d.  J.  den  beiden 
evangelischen  Ständen  nichts  weiter  zugestehen^). 

Der  Kardinal  bot  sogar  dem  Kaiser  vom  Papste  Geld 
an,  Reuter  schreibt  von  30000  Gulden.  Die  Stände  boten 
90000  (nach  anderen  99  000)  Gulden,  wie  jener  an  Gallus 
berichtet  5).  So  ging  alles  sehr  nach  der  Welt  Lauf, 
Als  im  folgenden  Jahre  sein  Bruder  Karl  eine  dringende 
Mahnung  an  den  Kaiser  sandte,  ihm  mit  gutem  Rate  bei- 
zustehen^ wie  er  sich  seiner  drängenden  protestantischen 
Unterthanen  zu  erwehren  habe,  die  auf  dem  bevorstehenden 
Landtage  die  Freistellung  der  Religion  verlangen  würden, 
antwortete    der    Kaiser    unter   Anerkennung    seines    Eifers, 


1)  Dieser  war  Vormund  der  beiden  ältesten  Söhne  Maximilians 
und  dessen  intimster  Freund,  der  auch  bei  seinem  Tode  zugegen  war. 
Die  Linie  dieses  katholischen  Dietrichstein  ist  18ö4  erloschen. 

2)  Gemeint  ist  die  ebenerwähnte  Konzession  an  die  niederöster- 
reichischen Stände  vom  18.  August  1568,  s.  Eaupach  II,  195. 

3)  Wiederaann  I,  3üO. 

4)  S.  bei  Otto,  Gesch.  der  Eeformation  in  Österreich  unter 
Maximilian  IL,  S.  28  f. 

5)  Vgl.  Otto,  a.  a.  O.  S.  43,  und  zwar  als  Ehrengabe  für  die 
Religionskonzession. 


—     155    — 

daß  er  von  Gewalt  abmahüen  müsse,  so  auch  von  der  an- 
gedrohten Strafe  der  Abschaffung  der  Evangelischen  vom 
Hofe.  Die  Zeiten  seien  zu  schwierig:  „bereits  wird  uns 
(dem  Kaiser),  dem  König  von  Spanien  ^)  und  beiden  E.  L. 
(den  Erzherzögen  Ferdinand  in  Tirol  und  Karl  in  Inner- 
österreich) ohnedies  mit  Gewalt  zugemessen,  und  will  sich 
niemand  abreden  lassen,  daß  wir  mit  dem  Papste,  der 
Krone  Frankreich  und  den  geistlichen  Ständen  des  Reiches 
in  einem  verdächtigen  geschwinden  Bündnis  einverleibt  und 
Vorhabens  seien,  die  Augsburgische  Confession  auszutilgen"  ^). 
Im  weiteren  Verlauf  des  Schreibens  rät  der  Kaiser,  „man 
solle  sich  gedulden,  bis  Gott  auf  einem  andern  Wege  eine 
Besserung  sende.  Man  müsse  „dissimulieren",  wie  dies  jetzt 
auch  andere  Kurfürsten  und  Fürsten  an  ihren  Höfen  und 
in  ihren  Landen  selbst  gegen  ihre  geheimsten  Räthe  bei 
diesen  unseligen  Zeiten  thun  müssen". 

Also  auch  hier  dasselbe  schwankende,  oft  sogar  un- 
aufrichtige Verfahren,  wie  es  uns  bei  den  Verhandlungen 
im  eigenen  Lande ,  wie  nicht  minder  im  Reiche  in  den 
Verhandlungen  mit  den  Fürsten,  entgegentritt  ^i.  Ver- 
gebens suchte  man  im  Reiche  Gelegenheit,  den  Kaiser 
zu  drängen,  sich  einmal  ungescheut  und  öffentlich  zu  der 
Augsburgischen  Konfession  zu  bekennen  *).    Vergebens  suchte 

1)  Philipp  IL  hatte  am  26.  Okt.  1569  eine  Mahnung  in  Betreff 
der  Religion  an  Maximilian  ergehen  lassen.  Vgl.  Koch,  Quellen 
zur  Gesch.  Maximilians  IL,  Bd.  II,  S.  02—100).  Die  Antwort  vom 
20.  Nov.  1569  erinnert  Philipp  an  den  wahren  Weg  der  Toleranz, 
wobei  Maximilian  nur  das  Beispiel  seines  Vaters  nachgeahmt  habe. 
Im  Übrigen  aber  ist  der  Brief  voll  von  Dissimulationen,  die  auch 
wohl  kaum  in  Spanien  geglaubt  wurden. 

2)  Loserth,  Reformation  und  Gegenreformation  in  Inner- 
österreich, S.  145. 

3)  Vgl.  auch  das  weitere  bei  Loserth,  S.  148,  wo  der  Kaiser 
abrät  von  einer  Bewilligung  der  Augsburg.  Konfession  „ohne  Weiters" 
isimphciter  et  absolute).  Dabei  werden  dem  Erzherzog  lauter  Aus- 
flüchte und  ein  Hinhalten  der  Stände  empfohlen. 

4)  Kluckhohn,   Briefe   Friedrichs   des  Frommen  von 
I,  S.  608. 


—     156    — 

man  ihn  zu  energischer  Parteinahme  „für  die  bedrängten 
Christen",  z.  B.  in  den  Niederlanden,  zu  bewegen  i);  im 
Interesse  der  französischen  „Christen"  schrieb  Calvin  eine 
Confession  (1562),  die  besonders  auf  den  römischen  König 
Maximilian  berechnet  war  2j.  Es  kam  doch  über  Anläufe 
und  Versprechungen  nicht  hinaus.  Die  Hoffnungen  auf 
Maximilians  offenen  Übertritt  zum  Protestantismus,  die  er 
selbst  gelegentlich  nährte,  erwiesen  sich  immer  wieder  als 
trügerisch  3).  Die  „Freistellung  der  Religion"  war  auch 
auf  Maximilians  letztem  Reichstage  zu  Regensburg  1576 
nicht  durchzusetzen*),  wie  solches  schon  vor  dem  Augs- 
burger Reichstage  1566  offen  befürchtet  wurde  5).  Von 
Maximilians  Liebe  zum  Evangelium  ist  wohl  die  Rede  ^j, 
auch  davon,  daß  er  sich  der  wahren  Religion  „affectionirt" 
ausgesprochen  (z.  B.  auf  dem  Frankfurter  Wahltage,  woselbst 
Friedrich  von  der  Pfalz  hoffte,  „daß  Maximilian  an  der 
Kirche  Christi  viel  thun  werde"),  aber  zu  durchschlagenden 
Entschlüssen  kommt  es  nicht.  Trotz  alledem  war  Maxi- 
milian mit  dem  Verstände  Protestant  und  gab  an  buch- 
stäblicher Erkenntnis  den  evangelischen  Fürsten  wohl  wenig 
nach.  Er  hatte  sein  eigenes  Urteil  über  die  Agende  in 
Österreich  und  über  den  pfälzischen  Calvinismus;  er  er- 
munterte auch  die  Amberger  hinter  dem  Rücken  des  Kur- 
fürsten Friedrich  zum  Widerstand  gegen  denselben  7) ;  er 
las  den  Heidelberger  Katechismus  und  mißbilligte  ihn  auch 
nicht,  sondern  nannte  ihn  „an  ihm  selbst  ein  müglich  gut 
Werk",  obwohl  er  ihn  nicht  überall  mit  der  Augustana 
übereinstimmend  fand  ^). 

1)  Ebendas.  I,  708,  709. 

2)  Corpus  Ref.  XXXVII,  Prol.  LX  f . 

3)  Vgl.  Kluckhohn,  a.  a.  O.  I,  637. 

4)  Ebendas.  I,  418. 

5)  Ebendas.  I,  639,  657  A. 

6)  Ebendas.  I,  122,  537,  538,  600. 

7)  Kluckhohn,  a.  a.  O.  I,  595,  Note :  Friedrich  hat  Zuversicht, 
der  Kaiser  werde  wegen  des  Katechismus  nicht  gegen  ihn  ein- 
schreiten, aber  gleichwohl  geschieht  es.     Vgl.  S.  706. 

8)  Ebendas.  I,  398,  399,  Note. 


—     157     — 

Schöne  Trostworte  aus  dem  Evangelium  weiß  der 
Kaiser  zu  finden;  so  schreibt  er  z,  B.  an  Friedrich  von 
der  Pfalz  beim  Tode  der  Kurfürstin  Maria  i):  „Wir  alle 
sind  tödtlich  und  müssen  die  Schuld  der  Natur  einmal  be- 
zahlen ,  zu  dem  daß  es  jetzt  leider  dermaßen  in  der  elenden 
Welt  steht,  daß  einer  ja  wohl  sagen  möchte:  cupio  dissolvi 
et  esse  cum  Christo"  (d.  h.  ich  habe  Lust  abzuscheiden 
und  bei  Christo  zu  sein,  Phil.  1,  23).  In  derselben  rühren- 
den Weise  schrieb  der  Kaiser  über  die  Toleranz  an  Lazarus 
Schwendi  (Prag  14.  Jan.  1571)  und  zwar  unter  dem  un- 
mittelbaren Eindruck  der  am  selben  Tage  ausgefertigten 
Assekuration :  „Und  ist  in  der  Wahrheit  nicht  anders,  als 
wie  ihr  vernünftiglich  schreibet,  daß  Religionssachen  nicht 
mit  dem  Schwert  wollen  gerichtet  und  gehandelt  werden. 
Kein  Ehrbarer,  Gottesfürchtiger  und  Friedliebender  wird 
es  anders  sagen.  Zudem  hat  Christus  und  seine  Apostel 
viel  ein  anders  gelehrt.  Denn  ihr  Schwert  ist  die  Zunge, 
Lehre,  Gottes  Wort  und  christlicher  Wandel  gewest.  Zu- 
deme,  so  sollten  die  tollen  Leute  nunmehr  billig  in  so  viel 
Jahren  gesehen  haben,  daß  es  mit  dem  tyrannischen  Köpfen 
und  Brennen  sich  nicht  will  thun  lassen.  In  Summa,  mir 
gefällt  es  gar  nicht  und  werde  es  auch  nimmermehr  loben, 
es  wäre  denn  Sach,  daß  Gott  über  mich  verhängte,  daß  ich 
toll  und  unsinnig  würde,  dafür  ich  aber  treulich  bitten 
will  2)." 

Besonders  aber  ward  Richard  Freiherr  von  Strein,  der 
seit  den  7Uer  Jahren  großen  Einfluß  am  Hofe  erhielt,  in- 
timer Herzensergüsse  von  Seiten  Maximilians  gewürdigt. 
Wir  werden  davon  näher  bei  der  Herstellung  der  Agende 
hören.  Aber  auch  betreffs  der  Bewilligung  einer  Land- 
schaftskirche in  Wien  äußert  sich  des  Kaisers  Gutherzig- 
keit kurz  vor  seinem  Tode  (1576).  In  einem  Handschreiben 
erinnert    er    Strein    an    das,    was    sie    miteinander    geredet 

1)  Ebendas.  II,  142. 

2)  Vgl.  K.  Oberleitner,  Die  evang.  Stände  im  Lande  ob  der 
Enns  unter  Maximilian  II.  und  Rudolf  II.,  Wien  1862  S.  24. 


—     158     — 

haben.  Er  werde  aber  den  Sachen  getreulich  nachgedenken, 
wie  etwa  zu  einer  besseren  und  gelegeneren  Zeit  dieser 
Sache  (Bewilligung  einer  Landschaftskirche)  möge  abge- 
holfen und  die  Stände  nach  Möglichkeit  mögen  zufrieden 
gehalten  werden.  „Denn  Ihr  wißt,  wie  treulich  und  gut- 
herzig ichs  gegen  bemelten  Ständen  jederzeit  und  noch  mein, 
und  in  nichts  anders  suche,  allein  damit  Fried  und  Einig- 
keit erhalten  werde,  zudem  daß  die  zween  Stand  ohne  das 
nunmehr  in  Religionssachen  unbetrübt  seint  und  ihnen  kein 
Irrung  beschieht,  so  muß  auch  solche  Sachen  also  wohl  in 
der  Still  als  die  Bewilligung  der  Agenda  gehalten  und 
tractirt  werden"  ^). 

Immer  aber  müssen  wir  es  bei  allen  solchen  Zeug- 
nissen einer  evangelischen  Gesinnung  bedauern,  daß  es 
nicht  zu  einer  völligen  Zerreißung  jener  Bande  kam,  die 
Maximilian  an  die  Welt  und  ihre  Lust  gefesselt  hielten. 
Wie  hoch  wir  trotzdem  einen  Maximilian  schätzen  und  sein 
Gedächtnis  in  Ehren  halten  messen,  beweist  der  Vergleich 
mit  seinem  Schwager  Herzog  Albrecht  von  Bayern  und 
seinem  Bruder  Karl  in  Innerösterreich.  Ersterer  war  be- 
kanntlich stets  ein  Freund  der  Jesuiten,  und  nach  der 
Ortenburger  Affaire  1563  wurde  durch  ihn  Bayern  das 
Hauptland  katholischer  Restauration^);  letzterer  war  von 
Anfang  seiner  Regierung  an  ein  erbitterter  Feind  der 
Evangelischen;  er  ließ  sich  nur  durch  die  Not  bewegen, 
den  Ständen  Zugeständnisse  zu  machen,  und  that  solches 
alles  wider  sein  Gewissen,  während  Maximilian  mit  gutem 
Gewissen  seinen  evangelischen  Unterthanen  ihr  Recht  gab. 

R  u  d  0  1  f  II.    und    Matthias. 
Noch  höher  in  unserer  Schätzung  steigt  die  Regierung 
Maximilians,  wenn  wir  sie  mit  derjenigen  seines  Sohnes  und 


1)  Vgl.  BibI,  Die  Organisation  des  evang.  Kirchenwesens  in 
Niederöst.,  Wien  1899,  S.  42  ff.,  63. 

2)  Eifersucht  gegen  den  Pfalzgrafen  und  späteren  Kurfürsten 
Friedrich  III,  dem  er  die  Kurwürde  abzuhandeln  suchte,  trieb  ihn 
noch  mehr  ins  päpstHche  Lager  (s.  Kluckhohn  I,  S.  XLIV). 


—    159    — 

Nachfolgers  Rudolf  II.  vergleichen.  Obwohl  beide  nicht  die 
Männer  waren,  welche  die  unabweisbaren  Anprüche  der 
Protestanten  auf  eine  gerechte  und  gesetzmäßige  Weise 
hätten  befriedigen  können,  konnten  doch  die  Protestanten 
damals  auf  die  Sympathien  ihres  Kaisers  rechnen,  während 
sie  unter  Rudolf  nur  selten  mit  dem  in  Prag  residierenden 
Kaiser  in  direkte  Berührung  kamen. 

Jedoch  das  alles  wäre  noch  von  minderer  Bedeutung 
gewesen,  hätte  nicht  eine  höchst  ungünstige  politische  Kon- 
stellation dem  Fortschreiten  des  Protestantismus  überhaupt 
Einhalt  gethan. 

Es  war  Kurfürst  August  von  Sachsen,  welcher  1576 
ganz  kurz  vor  dem  Tode  Maximilians  und  Friedrichs  III. 
von  der  Pfalz  der  Sache  des  Katholizismus  förderlich  wurde. 
Ohne  irgend  welche  Grarantie  zu  fordern  bezüglich  der 
Auslegung  des  „geistlichen  Vorbehalts"  im  Sinne  der 
Deklaration  Ferdinands  I.,  willigte  er  in  die  Wahl  Rudolfs 
zum  König  ^).  Die  Uneinigkeit  der  protestantischen  Fürsten, 
besonders  die  feindselige  Stimmung  Augusts  gegeu  den 
Kurfürsten  Friedrich  haben  der  Gegenreformation  in  Oster- 
reich und  anderswo  zum  Siege  verhelfen  2). 

Auch  die  römische  Kurie  that  das  ihre,  um  zu  den 
weltlichen  Fürsten  katholischen  Glaubens  in  Deutschland  in 
engere  Beziehungen  zu  treten,  so  zu  Herzog  Albrecht  V. 
von  Bayern,  dem  Hauptmann  des  Landsberger  Bundes  und 
Eidam  Ferdinands  I.;  ferner  zu  den  Erzherzögen  Karl 
von  Innerösterreich  und  Ferdinand  von  Tirol;  endlich  zu 
dem  Kaiser  selbst.  Die  Vermittler  waren  die  Jesuiten,  in 
deren  Geist  Rudolf  erzogen  war. 

Rudolf  war  nicht  der  Mann,  um  mit  dem  alten  System 
plötzlich  zu  brechen.  Er  behielt  auch  unter  seinen  Räten 
protestantisch  Gesinnte,  welche  die  Furchtsamkeit  des  Kaisers 


1)  Vgl.  Kluckhobu,  Friedrich  der  Fromme,  S.  416. 

2)  Vgl.  Die  Einführung  der  katholischen  Gegenreformation  in 
Niederööterreich  durch  Kai.ser  Rudolf  II.  (1576—1580),  von  Dr. 
Victor  Bibl,  Innsbruck  lüOO,  zunächst  S.  2  f. 


—     160     - 

vor  Glaubenskrieg  und  gewaltsamer  Erhebung  der  pro- 
testantischen Stände  zu  nähren  wußten  i).  Somit  blieb  Rudolf 
vorerst  in  des  Vaters  Fußstapfen  und  rührte  nicht  an  die 
Privilegien  und  Freiheiten  der  evangelischen  Stände.  Das 
war  immerhin  löblich;  denn  er  hätte  auch,  nach  strengem, 
durch  den  Augsburger  Eeligionsfrieden  (1555)  statuiertem 
Recht,  mit  Umgehung  der  ständischen  Privilegien,  verfahren 
und  alsbald  den  Protestantismus  ausrotten  können. 

Von  großer  Bedeutung  war  es,  daß  Kaiser  Rudolf,  der 
in  Prag  residierte,  das  Erzherzogtum  Österreich  durch 
seinen  Bruder  Erzherzog  Ernst  verwalten  ließ,  der  an  Ent- 
schlossenheit und  Willensstärke  ihn  weit  überragte,  was 
seit  dem  Beginn  der  Krankheit  Rudolfs  noch  ersichtlicher 
wurde-').  Die  vormals  milde  Auslegung  des  Gesetzesbuch- 
stabens wurde  nunmehr  verlassen  und  das  Verbot,  in  Wien 
sowie  in  den  landesfürstlichen  Städten  und  Märkten  öffent- 
lichen Gottesdienst  zu  halten,  urgiert.  Es  geschah  freilich 
zunächst  wenig,  um  dem  aus  der  Ferne  erlassenen  Befehl 
des  Kaisers  Gehorsam  zu  verschaffen  3).  Erzherzog  Ernst 
scheute  bei  der  großen  Ausdehnung  der  evangelischen 
Sympathien  in  Wien  vor  Gewaltmaßregeln  zurück. 

Etappenweise  rückte  man  gegen  die  Hauptstellungen 
des  Protestantismus  vor,  unter  beständiger  Einholung  maß- 
gebender Ratschläge  aus  München.  Der  Kern  der  letzteren 
war:  bei  der  Konzession  einstweilen  zu  bleiben,  aber  dar- 
über hinaus  den  Ständen  nichts  mehr  einzuräumen;  aus 
den  Städten  aber  die  Prädikanten  unverzüg- 
lich auszuweisen.  Im  Fall  gewaltsamen  W^iderstandes 
habe  man  auf  die  thatkräftige  Hilfe  Bayerns  und  anderer 
befreundeter  Mächte  zu  rechnen.  Also  zuerst  Wien  und 
dann  die  übrigen  Städte  sollten  von  den  Prädikanteu  ge- 
säubert werden  —  das  war  der  Anschlag !  Auf  Grund  der 
Konzession    Maximilians,     die    keine    Prädikanten    in    den 


1)  Bibl,  a.  a.  O.  S.  4  f. 

2)  Die  Krankheit  bestand  in  Melancholie   und  Menschenscheu. 

3)  Bibl,  a.  a.  O.  S.  18. 


-     161     — 

Städten  zugelassen,  wurde  zunächst  Opitz  im  Landhause  und 
dem  Prädikanten  Ziegler  in  Hernais  das  Predigen  unter- 
sagt. Bei  Opitz  wurde  durch  Albrecht  von  Bayern  seine 
falsche  manichäische  (d.  h.  flacianische)  Lehre  mit  ins 
Treffen  geführt  ^).  Denn  sonst  konnte  man  ihm  nicht  viel 
anhaben.  Josua  Opitz,  wie  wir  sehen  werden,  war  ein  be- 
gabter und  gelehrter  Mann,  früher  Superintendent  in  Regens- 
burg, und  dort  nur  deshalb  entlassen,  weil  der  Rat  (nach 
theologischen  Gutachten,  aus  Tübingen  und  Braunschweig  2), 
wo  Gegner  des  Flacius  wirkten),  es  für  opportun  erachtete. 
Jedoch  der  Mann  mußte  nun  einmal  beseitig:  werden,  eben 
weil  er  Tausende  in  Wien  um  sich  sammelte  und  mit  be- 
redter Zunge  das  Evangelium  verkündete. 

Die  Stände  leisteten  die  Erbhuldigung  und  gaben 
sich  zufrieden  mit  der  mündlichen  Erklärung  des  Kaisers, 
daß  er  ihre  Freiheiten  (also  auch  die  Religionskonzessionj 
respektieren  werde.  Damit  war  der  geeignete  Augen- 
blick versäumt,  um  dem  Kaiser  die  Freistellung  des  Gottes- 
dienstes auch  in  den  Städten  und  Märkten  abzunötigen. 
Die  Sache  war  auf  die  lauge  Bank  geschoben,  und  als 
hernach  die  Stände  auf  die  verheißenen  Verhandlungen 
über  die  Religionssachen  zurückkamen,  zogen  sie  den 
kürzeren.  Der  Hof  hatte  sie  nicht  mehr  zu  fürchten,  und 
es  geschah,  was  eigentlich  in  Maximilians  letzten  Regierungs- 
zeiten vorauszusehen  war,  daß  nämlich  die  Evangelischen 
streng  nach  dem  Buchstaben  der  1568  gegebenen  Konzession 
behandelt  wurden.  Die  Schließung  des  evangelischen  Gottes- 
dienstes in  Wien  und  Umgebung,  die  Ausweisung  der 
Prediger  war  nur  die  Folge  davon.  Obschon  die  Stände, 
der  Mehrzahl  nach  evangelisch,  einen  starken  Druck  3)    auf 


1)  Bibl,  S.  22. 

2)  Bald   standen   andere  Gutachten  über  Opitz,   das  Eostocker 
z.  B.,  den  obigen  entgegen  (s.  Raupach,    Bd.  I,  ö.  142). 

3)  Gegen  hundert  Ständemitglieder  erschienen  am  27.  Mai  1578 
in   der  Hofburg,   um   eine   von   Ihnen   unterfertigte  Schrift,  die  auf 

11 


—     162    — 

Kaiser  Rudolf  auszuüben  wußten  ,  obschon  die  meisten 
Bürger  Wiens  der  augsburgischen  Konfession  angehörten, 
so  war  doch  nichts  über  die  Grenzen  der  Konzessions- 
urkunde hinaus  zu  erreichen  i).  Die  Gegner  rechneten  nur 
zu  gut  mit  dem  zahmen  Charakter  der  Opposition  in  Öster- 
reich und  wußten  andererseits  ihre  Machtmittel  beim  Kaiser 
in  die  Wagschale  zu  werfen.  Nicht  einmal  der  vierte  Stand 
(die  Städte)  war  in  Niederösterreich  eng  mit  dem  Herren- 
stand verbunden;  nach  kurzem  Zusammenhalten  trennte 
sich  der  Adel  wieder  von  den  Städten  und  ging  seinen 
eigenen  Weg  2).  Damit  aber  konnte  die  Rückgewinnung 
der  Städte  und  Märkte  für  die  alte  Religion  und  die 
Reinigung  der  Ämter  von  Evangelischen  beginnen.  Den 
Drohungen  des  Adels  gegenüber  gewährte  die  Berufung 
auf  den  Landsberger  Bund  und  auf  Bayern  dem  Kaiser 
Beruhigung.  Nach  langen  Verhandlungen,  auf  die  wir  hier 
nicht  eingehen  können,  endete  die  Sache  mit  einem  Rück- 
zug der  evangelischen  Stände.  Mit  dem  Jahre  1580  wurde 
die  katholische  Restauration  auf  Grund  der  bayrischen 
Ratschläge  systematisch  und  in  großem  Stile  durchgeführt. 
Daß  dabei  auch  die  Uneinigkeit  der  Evangelischen 
untereinander  eine  Rolle  spielte,  dürfen  wir  nicht  leugnen. 
Diese  beklagenswerten  Mängel  wollen  wir  ohne  Zögern  an- 
erkennen ;  nur  ist  es  nicht  gerecht,  etliche  Männer  besonders 
dafür  verantwortlich  zu  machen,  wie  es  geschehen  und 
leider  immer  geschieht.  Opitz  mußte  freilich  für  die  offen- 
baren Schäden,  die  seit  der  Mitte  des  Jahrhunderts  in  der 
Kirche  zu  Tage  getreten,  büßen,  und  werden  wir  darauf 
später  zurückkommen.  Dem  Kaiser  aber  hat  seine  Politik 
gegen  die  Protestanten  nichts  genützt,  ja  vielmehr  Ver- 
derben gebracht. 


Zugeständnisse   in    Sachen    des    Gottesdienstes    in   Wien    drang,    zu 
überreichen;  vgl.  Bibl,  S.  58. 

1)  Wiedemann,  Bd.  II,  ö.  212—214.  (bes.  Note  1). 

2)  Vgl.  Bibl,  S.  177. 


—     163    — 

Alles  schlug  nur  zum  Schaden  für  den  Frieden  des 
Reiches  und  speciell  auch  für  Rudolfs  Autorität  aus.  Der 
Kaiser  lebte  in  ewigem  Zwist  mit  seinen  Unterthanen,  die 
wiederum  um  des  Gewissens  willen  seine  persönlichen 
innersten  Überzeugungen  verletzen  mußten.  Solch  ein  innerer 
Krieg  zwischen  Fürst  und  Unterthanen  ist  höchst  ge- 
fährlich für  des  ersteren  Autorität.  Rudolf  sah  seine  fürst- 
liche Gewalt  unter  dem  Widerstand  der  Protestanten,  be- 
sonders auch  in  den  böhmischen  Kronländern  ^),  wo  er  die 
Bestimmungen  seines  Vaters  mißachtete,  hinfällig  werden. 
Die  Schwäche  des  Kaisers  hatte  aber  für  das  gesamte  Reich 
die  Folge,  daß  ein  Teil  desselben  1608  an  Matthias  ab- 
getreten werden  mußte,  darunter  eben  Österreich  unter 
und  ob  der  Enns.  Und  Matthias  hatte  noch  weniger  Sym- 
pathie für  die  Protestanten  als  Rudolf,  geschweige  denn 
sein  Vater.  Von  einer  Gewissensfreiheit,  wenigstens  für  die 
königlichen  Städte,  wollte  auch  er  nichts  wissen.  Aber  der 
Bruderzwist  im  Hause  Habsburg  zwang  König  Matthias, 
unter  Vermittelung  des  mährischen  Freiherrn  Karl  von 
Zierotin,  den  Österreichern  eine  mehr  ausgedehnte  Religions- 
freiheit zu  erteilen  2),  wofür  er  dann  die  Huldigung  in  Wien 
und  Linz  (29.  April  und  18.  Mai  1609)  erhielt. 

Damit  hatte  aber  die  evangelische  Lehre  keinen  voll- 
ständigen Sieg  errungen  und  noch  nicht  volle  Freiheit  erlangt. 


1)  Beiträge  zur  Geschichte  der  Zeit  Kaiser  Rudolfs  IL,  von 
A.  Gindely,  Sitzungsber.  d.  phil.-hist.  KL,  Bd.  XVIII,  Heft  1. 

2)  Dies  geschah  durch  eine  vom  König  erteilte  Resolution,  in 
welcher  der  Assekuration  Maximilians  eine  Ausdehnung  auch  auf 
die  Städte  gewährt  wurde  (19.  März  1609),  wogegen  freiUch  der 
Nuntius,  der  Bischof  Leopold  von  Passau  und  Kiesel  Beschwerde 
erhoben  (Wiedemann  I,  538).  Was  alles  hinter  den  Kulissen  vorging, 
bevor  es  zu  solcher  Resolution  kam,  hat  Raupach,  Bd.  IV,  Beilagen 
12—23,  mitgeteilt.  Das  Genaue  über  den  Hergang  findet  sich  in  der 
„Relation  der  Unter-  und  Ober-österr.  evang.  Stände  Abgesandter 
nach  Wien,  1610",  und  „Kurzer  Anhang,  Was  nach  jener  Relation 
ferner  zwischen  I.  Majestät  und  den  drei  evang.  Ständen  vorgegangen, 
1610"  (Raupach,  Bd.  IV,  S.  204  Note). 

11* 


—     164     — 

Denn  die  niederösterreichischen  evangelischen  Stände  mußten 
sich  damit  zufrieden  geben,  daß  die  Worte  der  den  mährischen 
Abgeordneten  gegebenen  Erklärung,    als  Grundlage  für  fol- 
genden   Zusatz    bezüglich    der  Städte,    der   Resolution    ein- 
verleibt würden: 

„In  Ansehung  der  Städte  lassen  es  Ihre  Majestät  bei 
dem,  wessen  sie  sich  gegen  die  mährischen  Abgesandten 
in  Gnaden  erklärt,  bewenden.  Soviel  aber  das  Landhaus 
zu  Linz  und  die  Städte  ob  der  Enns  betrifft,  welche  Kirchen 
und  andere  Gerechtigkeiten  prätendiren,  so  sollen  sie  bei 
dem  gnädigst  gelassen  werden,  wozu  sie  ihre  Rechte  er- 
weisen würden." 

Der  mährischen Vermittelungsgesandtschaft  unter  Zierotin 
hatte  Matthias  eine  mündliche  Erklärung  abgegeben,  dahin 
gehend,  er  werde  „die  Städte  in  keiner  Sache  wider  die 
Billigkeit  beschweren,  sondern  sie  in  allem  also  halten,  daß 
sie  sich  bei  seiner  Regierung  über  keinerlei  Unbilligkeit 
und  Bedrängnis  zu  beklagen  haben  werden"  ^). 

Den  Sinn  der  Erklärung  des  Königs  Matthias  gaben 
die  mährischen  Vermittler  den  Österreichern  auf  ihr  Er- 
suchen schriftlich.  Es  ist  sonach  ersichtlich,  daß  allen 
Einwohnern  Österreichs  Gewissensfreiheit  gewährt  war,  daß 
aber  die  Protestanten  in  den  niederösterreichischen  Städten 
sich  keine  Kirchen  bauen-  durften.  Es  ist  dies  jedenfalls 
eine  Religionsfreiheit  mit  Hindernissen,  und  die  Gegen- 
reformation hat  sich  den  zu  verschiedenen  Deutungen  An- 
laß gebenden  Wortlaut  der  Resolution  wohl  zu  nutze  ge- 
macht. 

Daß  die  Stände  alles  an  die  Erreichung  oder  dann 
die  Befestigung  der  erreichten  politischen  Machtstellung 
gesetzt  hätten,  wie  Wiedemann  bissig  bemerkt  2),  ist  falsch. 
Schon    die    Beteiligung    Zierotins    beweist    das    Gegenteil. 


1)  Vgl.  A.  Gindely,  Die  Gegenreformation  und  der  Aufstand 
in  Oberösterreich  im  Jahre  1626,  S.  5  f.,  aus  den  Abhandhmgen  d. 
phil.-hist.  KI.,  Bd.  CXVIII,  Heft  6. 

2)  Bd.  I,  S.  548. 


—    165    - 

Unter  seinem  Einfluß  geschah  es,  daß  man  Vertrauen 
auf  die  Zusagen  des  Königs  Matthias  setzte,  die  doch  nur 
m  ün  d lieh  geschehen  und  durch  die  Hand  der  mährischen 
Vermittler  schriftlich  sichergestellt  waren.  Dieses  Vertrauen 
war  politisch  unklug,  aber  unter  den  gegebenen  Umständen 
v/ohl  das  einzig  mögliche  loyale  Verfahren. 

Der  Widerstand  der  Katholiken ,  besonders  Kiesels, 
des  im  Vergleich  zu  seinen  Nachfolgern  toleranten  Ministers 
Matthias',  zeigt,  daß  die  Protestanten  viel  erreicht  hatten. 
Auch  König  Matthias '  hatte  ein  Opfer  gebracht,  denn  er 
wurde  durch  seinen  Bischof  von  den  Sakramenten  aus- 
geschlossen. 

Wir  können  uns  auf  das  Einzelne  nicht  einlassen, 
zumal  da  die  Eegensburger  Akten  über  diese  Zeit,  abge- 
sehen von  zahlreichen  Ordinationsgesuchen,  schweigen.  Beim 
Tode  Matthias'  (20.  Mai  ]619)  waren  die  evangelischen 
Stände  im  Besitze  einer  hervorragenden  Machtstellung  und 
die  katholischen  nur  eine  oppositionelle  Partei.  Zum  Glück 
ließen  sie  sich  nicht  in  den  böhmischen  Aufstand  zu  weit 
mitverwickeln,  sondern  traten  rechtzeitig  als  loj^ale  Unter - 
thanen  zurück.  Sie  huldigten  mehrere  Monate  vor  der 
Schlacht  am  weißen  Berge,  am  13.  Juli  1620,  dem  König 
Ferdinand  IL  unter  der  Bedingung,  daß  ihre  politischen 
und  religiösen  Ereiheiten  nicht  angetastet  würden^),  und 
Ferdinand  verzieh  seinen  Gregnern.  Damit  retteten  sie  für 
ihre  Gewissensfreiheit,  was  noch  eben  in  elfter  Stunde  zu 
retten  war.  Mündlich  hatte  Ferdinand  in  der  That  am 
11.  Juli  1620  feierlich  gelobt,  die  Stände  bei  dem  Exer- 
citio  der  Augspurgerischen  Confession,  wie  sie  es  bei  Kaiser 
Matthiä  Zeit  gehabt,  ruhig  verbleiben  lassen  zu  wollen. 
„Glaubt  Unsern  Worten,  sagte  der  Kaiser,  die  Hand  auf 
die  Brust  legend  und  über  sich  zum  Himmel  sehend,  dann 
Wir  auch  Alles,  so  wahr  wir  ein  geborner  Erzherzog,  er- 
wählter römischer  Kaiser  sein,  gewisslichen  halten  wollen." 


1)  Gindely,  a.  a.  0.  S.  1. 


—     166    — 

Es  wurde  auch  diese  Zusage  zu  Papier  gebracht  mit  dem 
Vermelderi,  „das  solche  Worte  I.  K.  M.  den  11.  Juli  1620 
mündlich  geredet  und  unter  dero  aufgedruckten  kais.  Secret 
Insigl  schriftlich  herauszugeben  verwilligt". 

In  Oberösterreich  wurde  die  Gegenreformation  gewalt- 
sam durchgeführt,  in  Niederösterreich  auf  Umwegen,  indem 
die  Prädikanten  auf  Anraten  des  Nuntius  und  des  kaiser- 
lichen Beichtvaters  Lammormain,  sowie  zweier  Jesuiten  — 
aber  im  Widerspruch  mit  dem  kaiserlichen  Eid  einfach  aus 
dem  Lande  geschafft   wurden  (Dekret  v.  27.  Sept.   1627)  i). 

Daß  nun  die  evangelischen  Stände  in  den  Jahren  von 
1609 — 1620  keine  feste  Ordnung  des  Kirehenwesens  an- 
strebten, zeugt  von  ihrer  Vorsicht.  Ihre  Gegner  hätten 
sie  auf  Schritt  und  Tritt  gehindert,  und  für  die  damalige 
Zeit  konnten  sie  ohne  einen  Summus  Episcopus,  oder  die 
autoritas  magistratus  nicht  auslangen.  Ihre  Schöpfungen 
wären  nur  Kartenhäuser  gewesen,  und  für  den  bloßen  Schein 
wollten  sie  nichts  thun.  Während  in  den  protestantischen 
Territorien  des  Landesfürsten  Entscheidung  Norm  und  Regel 
für  kirchliche  Neubildungen  war,  hätte  man  in  Österreich 
eine  freie  Kirche  anticipieren  müssen,  was  auch  heute 
noch  bekanntlich  die  größten  Schwierigkeiten  bietet.  Sind 
doch  auch  die  Kirchen  unter  dem  Kreuz  nicht  am  schlimmsten 
dran:  die  Kirche  Christi  muß  unter  jedem  Regime  blühen 
können,  da  sie  in  Christo,  ihrem  Haupte,  alleinigen  Schutz 
und  Halt  hat. 

B.  Der  Adel. 

Die  evangelische  Bewegung  ist  in  Österreich  so  mit 
dem  Adel  verwoben,  daß,  wer  eine  vollständige  Geschichte 
derselben  schreiben  wollte,  die  Geschichte  der  vornehmsten 
Adelsgeschlechter,  sowohl  der  Grafen  und  Freiherren  als  auch 
der  Ritter,  schreiben  müßte. 


1)  Vergl.  Wiedemann  ,  Bd.  I,    S.  597,  601 ;     Kaupach,    Bd.  I, 

S.  270  ff. 


—     167     — 

Da  aber  der  Zugang  zu  den  Archiven,  soweit  dieselben 
überhaupt  noch  bestehen ,  bisher  noch  mannigfaltig  ver- 
schlossen ist,  so  hätte  das  seine  großen  8chwierigkeiten_ 
Bei  der  Auswanderung  gingen  natürlich  viele  ramilien- 
papiere  verloren,  und  die  an  die  Stelle  der  Vertriebenen 
tretenden  Familien  sorgten  nur  in  seltenen  Fällen  für  die 
Erhaltung  derselben,  wo  sie  sie  nicht  gar  verschleuderten. 
Der  Beispiele,  wie  leichtsinnig  mit  den  Archiven  umge- 
gangen wurde  und  wird,  könnten  wir  genug  anführen,  aber 
dies  gehört  an  einen  anderen  Ort. 

Zur  Zeit  der  Reformation  lebte  noch  eine  stattliche 
Anzahl  ältester  Geschlechter  im  Erzherzogtum  und  in  Inner- 
österreich, deren  Mitglieder  sich  des  höchsten  Vertrauens 
und  Wohlwollens  ihrer  Landesherren,  bereits  zu  den  Zeiten 
der  Babeuberger,  rühmen  konnten.  Ihrer  unentwegten  Treue 
und  Loyalität  konnten  sie  sich  mit  Recht  berühmen  i  m 
ganzen  16.  Jahrhundert,  wie  solches  H.  v.  Starhem- 
berg  (1598  bei  einer  Abordnung  nach  Prag)  dem  Erzherzog 
Maximilian  gegenüber  that,  indem  er  Nachdruck  darauf 
legte,  daß  sie  nicht  gethan,  was  die  Niederländer  oder 
Franzosen  gegen  ihre  Herren  gethan^).  Hohenecks  Werk: 
Österreichs  Genealogien  2)  führt  jene  Geschlechter  an  für 
Oberösterreich,  Wisgrill  für  Niederösterreich.  Bei  diesen 
Geschlechtern  finden  wir  oft  das  Prädikat  „uralte  Familie" 
angegeben,  und  die  meisten  Familien  sind  untereinander  ver- 
wandt. Im  Erzherzogtum  unter  der  Enns  waren  nach  der 
Zählung,  welche  uns  die  Akten  der  von  Backmeister  ge- 
leiteten   Kirchenvisitation    aufbehalten    haben  ^j,    im    Jahre 


Ij  Der  diesbezügliche  Bericht  Starhemhergs  an  die  obcrösterr. 
Landstände  findet  sich  im  Linzer  Landesarchiv. 

2)  3  Bände,  Fol.,  von  denen  der  dritte  äußerst  selten,  da  ein 
Brand  gerade  diesen  zum  größten  Teil  zerstört  hat.  Außerdem  giebt 
es  ein  sehr  umfangreiches  Wappen  buch  von  V.  iSibraacher,  welches 
weit  korrekter  ist  als  Hoheneck  und  neuerdings  von  O.  Hefner  wieder 
herausgegeben  wird. 

3)  Die  Kirchenvisitation;  vom  Jahre  1580  findet  sich  im  4. 
Bande  des  Raupachschen  Werkes. 


—    168    - 

1580  aus  dem  Herrenstand  81 ,  aus  dem  Ritterstand  96 
Protestanten,  und  diese  geboten  über  7  Städte,  35  Märkte, 
.150  Schlösser  und  130  Dörfer.  Die  geachtetsten  Namen 
des  Adels,  die  Dietrichstein,  Liechtenstein,  Rogendorf  und 
Starhemberg,  Zinzendorf,  Polhaim,  Jörger  zu  Tollet  und 
Kreusbach,  Eyzing,  Perckhaim,  Perckirchen ,  Puchhaim, 
Kirchberger,  Zelking,  Mamming ,  Losenstein,  Tschernembl, 
Salm,  Strein,  Ruber,  die  Grabner,  die  Gebrüder  Enickl 
u.  s.  w.  gehörten  zur  evangelischen  Kirche  in  Österreich. 
Nicht  gering  war  auch  die  Zahl  der  evangelischen  Stände 
in  dem  Erzherzogtum  ob  der  Enns,  beträchtlich  auch  in 
Innerösterreich,  also  in  Steiermark,  Kärnten  und  Krain ,  wo- 
selbst Loserth  die  loyale  Haltung,  Ehrlichkeit  und  Bildung  des 
Adels  aufs  höchste  rühmt  i) ,  Die  meisten  dieser  Herren 
bekleideten  die  höchsten  Ämter  und  Würden  und  wurden 
zu  allen  Staatsgeschäften  hinzugezogen.  Sie  begegnen  uns 
auf  den  Reichstagen  und  werden  zu  Gesandtschaften  im 
Auslande  verwendet.  Sie  bewohnten  die  herrlichsten 
Schlösser  in  schönen  Gegenden.  Des  Chyträus  Begleiter, 
der  junge  Edeling,  rühmt  in  einer  dichterischen  Beschrei- 
bung Spitz  als  das  glänzende  Städtchen  am  Donaufluß,  von 
Weinbergen  rings  umgeben,  bewohnt  von  den  Kirchbergern  ^). 
Auch  Lucas  Backmeister  genoß  Gastfreundschaft  auf  diesen 
Schlössern.  So  war  er  bei  Christoph  Ruber,  dem  Vater 
des  berühmten  Eeldhauptmanns,  Patron  des  Joachim  Magde- 
burgius;  ferner  bei  diesem  selbst  in  seinem  Schloß  zu 
Grafenwerd,  das  voll  von  Waffen  und  Trophäen  war,  und 
wo  sich  ein  von  einem  gefangenen  Türken  angelegter 
schöner  Garten  befand.  An  den  Disputationen  der  Theologen 
nahmen  die  Gastherren  Anteil,  und  Chyträus  rühmt  die 
Frömmigkeit,  die  Weisheit  und  Schärfe  des  Urteils  an  ver- 


1)  Loserth,  Die  Eeformation  und  Gegen  reform  atin  in  Inneröster- 
reich, bes.  S.  271  Note,  343.  Sie  standen  im  Schutze  des  h.  röm. 
Reichs;  s.  J.  Ges.  für  Prot.  1899,  S.  188. 

2)  Chyträus,  Epp.  S.  446,  und  Schütz,  De  vita  D.  Chytraei,  II, 
S.  32. 


—     169    — 

schiedenen  dieser  Herren  i).  Nachmals  wünschte  er  sich  in 
diese  Gegenden  zurück. 

Selbst  Frauen  traten  mutig  ein  für  ihren  evangelischen 
Glauben.  Judith  von  Polhaim,  geb.  von  Weißpriach,  riet 
der  Schwester  Maximilians  Kathax'ina,  Königin  von  Polen, 
die  von  ihrem  Gemahl  getrennt  in  Linz  lebte,  die  heilige 
Schrift  zu  lesen,  um  sie  für  das  Evangelium  zu  gewinnen. 
Sie  erhielt  eine  sehr  gemessene,  aber  freundliche  Antwort 
von  der  Königin,  daß  ihr  die  Bibel  gar  wohl  bekannt  sei 
und  sie  dieselbe  oft  durchgelesen  zu  ihrer  größten  Freude 
und  Trost  2).  Die  Frauen  scheinen  besonders  auch  die 
strengen  Prediger  zu  lieben;  als  ein  Beispiel  tritt  uns 
Barbara  von  Zinzendorf  entgegen,  welche  Reuter  als  ihren 
Vater  bezeichnet.  Wenn  sie  auch  nicht  jene  ansehnliche 
Eolle  spielten,  wie  in  der  französischen  Reformation,  welche 
große  Namen  aufzuweisen  hat  ^),  so  haben  sie  doch  mannig- 
faltig durch  ihren  sanften  und  stillen  Geist,  durch  ihr  Gebet 
und  ihren  Glauben  ihre  Männer  zum  Widerstand  gegen  die 
katholische  Partei    angetrieben    und  in  demselben  bestärkt. 

Daß  nun  freilich  das  Hofleben  und  die  Hofsitte  bei 
den  Adeligen  im  16.  Jahrhundert  nicht  alsbald  mit  dem 
Wechsel  des  Bekenntnisses  sich  auch  schon  gründlich 
änderten,  ist  nach  der  menschlichen  Art  wohl  selbstverständ- 
lich. Wir  sind  hier  nicht  in  der  Zeit  des  Pietismus ;  freilich 
gab  es  auch  damals  schon  Kritiker,  besonders  im  Freundes- 
kreise Polykarp  Leysers,  des  Dresdener  Hofpredigers,  welche 
einen    asketischen    Maßstab    anzulegen    liebten.      So    klagt 


1)  Raupach  III,  100—103;  D.  Chyträus,  Orationes  (heraus- 
gegeben von  seinem  Sohne),  S.  389. 

2)  Der  Brief  der  letzteren  vom  16.  Oktober  1568  findet  sich  in 
CoUectanea  Geneal.  Hist.  ex  Archiv.  Austr.,  Vienn.  1705,  p.  177  und 
bei  Raupach,  Bd.  II,  S.  171. 

3)  Unter  den  französischen  Frauen,  welche  sich  an  der  Aus- 
breitung der  evangelischen  Lehre  beteiligten,  nennen  wir  Johanna 
von  Navarra,  nebst  ihrer  Mutter  Margaretha,  Renata  von  Fcrrara, 
Charlotte  von  Bourbon,  Charlotte  de  Laval,  Louise  von  Teügny, 
Jacqueline  de  Moribel  u.  v.  a. 


—     170     — 

der  Nachfolger  Leysers,  M.  Joh.  Prätorius,  in  einem  Schreiben 
an  den  Erstgenannten  nach  Dresden  im  Jahre  1600  über 
die  Mittel,  welche  die  evangelischen  Landstände  anwendeten 
nm  ihre  kirchlichen  Zwecke  zu  fördern.  Es  seien  noch 
dieselben,  wie  zur  Zeit  der  Assekuration  unter  Maximilian, 
wo  sie  40  Tonnen  Goldes  für  jene  gegeben.  Dabei  klagt 
er  über  die  merklich  veränderten  Zustände  in  Göllersdorf, 
woselbst  nach  dem  Tode  des  so  frommen  und  christlichen 
Patrons  Hans  Christoph  von  Puchhaim,  bei  Minderjährigkeit 
der  nachgelassenen  Erben ,  reichlicher  Anlaß  zu  Klagen 
gegeben  war  ^).  Auch  über  die  Aneignung  der  Kirchen- 
güter seitens  der  Adeligen  klagt  er  als  ein  gemeines  Übel 
in  Österreich,  ferner  über  das  reichliche  Essen  und  Trinken 
an  den  Adelshöfen.  An  der  evangelischen  Lehre  lag  solches 
alles  nicht.  Oft  genug  hatten  Prediger,  wie  Moseder,  Keuter 
und  auch  Magdeburgius,  unerschrocken  ihre  Stimme  erhoben. 
Besonders  der  letztere  ging  in  einer  eigenen  Predigt  von 
„Johannes  dem  Täufer"  schon  1565  den  Predigern  scharf 
zu  Leibe.  Er  erinnert  sie,  was  für  Glück  sie  zu  Hofe  zu 
gewarten  haben  unter  Hinweis  auf  Johannes  den  Täufer. 
Dieser  sei  nicht  einer,  der  weiche  Kleider  trage,  gewesen, 
„das  ist,  er  sey  nicht  ein  Fuchsschwäntzer,  Heuchler  vnd 
Suppenfresser  oder  Tellerlecker,  kein  Tüncher  oder  Polster- 
macher, kein  Euchß  der  nicht  für  die  lucken  trete  gewesen 

,    der  den  Leuten    nach  dem  Maul    rede,    und  ihnen 

placentia  sage".  Zum  andern  sollen  die  Prediger  aus  dem 
Ruhm,  den  Christus  dem  Johannes  gibt,  lernen,  wie  sie  sich 
in  ihrem  Amt  rechtschaffen  verhalten  sollen.  „Sie  sollen 
nicht  lose,  leichtfertige  leut  sein,  keine  Wetterhanen  oder 
Windmüller,  welche  den  Mantel  nach  dem  Wind  schicken 
vnnd  den  leuten  sagen,  was  sie  gern  h-ören  wollen.  Sollen 
nicht  wanckelmütig  noch  unbeständig  sein,  welche  zu  ver- 
folgungszeiten  verleugnen  oder  verschweigen,  was  sie  zu 
fridenszeiten    mit  grosser  freimütigkeit  gelehrt  und  bekand 


1)  Eaupach,  Presbyt.,  143,  ferner  IV,  124. 


1 


—     171     — 

haben Wie    wir  aucli    dergleichen    zu  vnsern    zelten 

mit  grossem  hertzenleid  gesehen  und  erfahren  an  den 
Interimisten  vnd  Adiaphoristen,  welche  zu  Fridens  Zeiten 
die  Warheit  frei  vnd  öffentlich  lehreten  vnnd  bekenneten, 
auch  vil  grosser  bücher  für  die  Warheit  Vnnd  wider  die 
veruolger  derselben  schrieben,  Zu  welchen  sie  sich  her- 
nach in  zeit  der  veruolgung  nicht  dorften  bekennen,  sondern 
vilmehr  dieselben  verleugneten"  etc.  Genug  also  des  Guten, 
um  den  Predigern  Warnungen  zu  geben,  auf  dem  glatten 
Boden  der  adeligen  Höfe  mit  Vorsicht  zu  wandeln. 

Die  guten  Elemente  des  Adels  nahmen  solche  Predigt 
mit  Dank  entgegen,  trotzdem  sie  ja  eigentlich  mit  Herodes 
in  einer  Linie  zu  stehen  kamen.  Magdeburgius  schonte 
eben  niemand.  Sie  suchen  sich  über  die  schwebenden 
Streitfragen  aufzuklären ;  wiederholte  Bücherbestellungen 
in  Briefen  an  Gallus  beweisen  das.  Gundakar  von  Starhem- 
berg  bestellt  sich  durch  J.  F.  Cölestin,  dem  er  nach  seiner 
Vertreibung  aus  Ortenburg  Unterkunft  an  der  bayrischen 
Grenze  gewährte,  alle  Schriften  über  die  adiaphoristischen 
Streitigkeiten  (1565).  Perckkirchen  wie  Perckheim  zeigen 
sich  in  ihren  Briefen  aufs  beste  über  alles  unterrichtet. 

'  Die  Stammbäume  mehrerer  ältester  Geschlechter  be- 
schlossen damit,  daß  noch  der  Letzte  an  den  Segnungen 
des  Evangeliums  Anteil  erhielt.  Dahin  gehören  die  Fa- 
milien der  Perckheim,  der  Schaunberg  1),  endlich  die  Familie 
der  Khunring^).  Wie  eng  die  Landesfürsten  selbst  mit 
verschiedenen  Herren  vom  Adel  verbunden  waren,  zeigen  uns 
zwei  Beispiele:  einmal  das  Verhältnis  Kaiser  Maximilians  L, 
der  dem  Sigmund  Freiherrn  von  Dietrichstein  ein  Ehren- 
denkmal in  der  Burgkapelle  zu  Wiener-Neustadt  setzen 
ließ,  was  er  ihm  schon  bei  Lebzeiten  zugesagt  und  was  von 
Ferdinand  L   dann  ausgeführt  wurde. 


1)  Vergl.  über  sie  Strnadt  in  seiner  großen  Abhandlung :  Peuer- 
bach,  im  Museuiji  Francisco-Carolinuin,  Linz  186S. 

2)  Blätter    des    Vereins    f.    Landesliunde   in  Niederösterreich, 
Neue  Folge,  Bd.  II,  S.  11,  18ü9j. 


-     172    — 

In  gleicher  Weise  ehrte  Rudolf  IL  den  Freundschafts- 
bund zwischen  Maximilian  IL  und  Adam  von  Dietrichstein 
dadurch,  daß  der  Sarg  des  letzteren  in  der  kaiserlichen 
Gruft  zu  Prag  neben  den  Sarg  des  ersteren  gestellt  wurde  i). 

Wir  werden  auf  den  Adel  fortwährend  zurückkommen ; 
auch  bei  Besprechung  der  einzelnen  Prädikanten  (im  folgen- 
den Abschnitt)  und  bei  der  Agende ,  sowie  der  Kirchen- 
visitation. Wir  lassen  es  hier  bei  den  wenigen  allgemeinen 
Bemerkungen  bewenden  und  fügen  nur  noch  etwas  über 
die  damalige  Landesordnung  bei. 

Die  Landschaft  war  aus  den  drei  Ständen  oder  „Land- 
ständen"  der  Prälaten,  der  Herren  und  der  Ritterschaft  ^j 
zusammengesetzt  und  versammelte  sich  alljährlich  auf  einem 
Landtage.  Dieselbe  hatte  seit  alter  Zeit  ihre  zahlreichen 
Privilegien  und  Rechte,  welche  der  Landesfürst  bei  der 
Erbhuldigung  beschwören  mußte;  sie  war  in  den  einzelnen 
Ländern  eine  zweite  Macht  neben  der  landesfürstlichen 
und  bewilligte  die  Forderungen  des  Fürsten,  stellte  aber 
auch  ihre  Bedingungen.  Die  Städte  bildeten  einen  nicht 
immer  anerkannten  vierten  Stand,  obwohl  sie  es  anstrebten 
und  auch  bei  wichtigen  Fragen  auf  dem  Landtage  zugezogen 
wurden.  An  der  Spitze  stand  der  Landmarschall ;  das  war 
1568  Herr  von  Rogendorf;  ferner  der  Landesverweser; 
auch  gab  es,  wie  wir  hören  werden,  ständige  Ausschüsse, 
welche  in  Abwesenheit  der  Stände  amtierten ;  weiter  einen 
Landessekretär,  als  welchen  wir  Barthol.  Pica  in  Graz 
kennen  gelernt  haben ,  und  einen  zweiten  in  Chr.  Thalhamer, 
einen  dritten  in  M.Amman  kennen  lernen  werden;  endlich  gab 
es  einen  Quästor,  welches  Amt  derselbe  Pica  auch  zeitweilig 
verwaltete.      Der    Sekretär    war   häufig   das   Faktotum    der 


1)  Archiv  f.  vaterl.  Gesch.  und  Topographie,  herausgegeben  v. 
hist.  Verein  f.  Kärntheu,  III,  5;  Klagenfurt  1856. 

2)  Letztere  zwei  auch  schlechthin  die  „Landleute"  genannt. 
Vgl.  dazu  K.  Haselbach,  Über  die  Stände  Niederösterreichs  im 
16.  Jahrhundert  (Blätter  des  Vereins  für  Landeskunde  von  Nieder- 
österreich, 4.   Jahrg.,  Wien  1870). 


-     173     — 

Landschaft,  wie  es  offenbar  bei  Pica  und  Amman  der  Fall 
war.  Die  Stände  machten  auch  wohl  dem  Kaiser,  wie  wir 
bei  der  Agende  sehen  werden,  Ehrengeschenke,  stellten  als 
Bedingung  die  Gewissensfreiheit,  drohten  gelegentlich,  wie 
zur  Zeit  des  Matthias,  und  suchten  selbst  Bündnisse  außer- 
halb des  Territoriums  ^). 

C.  Die  Prädikanten, 

Wichtiger  als  Kaiser  und  Adel  für  die  Ausbreitung 
des  Evangeliums  waren  die  Diener  am  Wi^rt,  die  Prä- 
dikanten —  die  eigentliche  Großmacht  des  Jahrhunderts, 
wenn  sie  rechter  Art  waren.  Und  an  diesen  war  Österreich 
nicht  arm ;  es  erhielt  sie  vom  Reiche,  besaß  aber  auch  unter 
den  eigenen  Landeskindern  treffliche  Prediger  und  Schul- 
lehrer, die  als  kühne  Streiter  für  ihren  Glauben  auftraten, 
und  deren  Namen  die  Geschichte  aus  den  Archiven  erst 
wieder  zu  erheben  haben  wird.  Während  in  dem  benach- 
barten Bayern  vor  der  Ankunft  der  Jesuiten,  1557,  fast 
gar  keine  bedeutenden  Lehrer  hervortraten  '-^j,  und  die  bald 
nach' 1560  eintretende  Gegenreformation  Herzog  Albrechts 
die  Ausländer  systematisch  fernhielt^),  stand  es  in  Oster- 
reich ganz  anders.  Dieses  steht  ein  Jahrhundert  lang  unter 
dem  Zeichen  der  neuen  Lehre,  und  auch  hier,  wie  in  Deutsch- 
land, waren  es  die  fähigsten,  mutigsten  und  tüchtigsten 
Köpfe,  die  sich   derselben  zuwandten. 

Die  Verbreitung  der  evangelischen  Lehre  läßt  sich  von 
Anfang    der  Reformation    an    verfolgen  ^) ;    früh   schon  fand 


1)  Vgl.  auch  Pfausers  Bericht  an  Blahoslav  bei  Gindely  in  Fontes 
rerum  Austriacarum.  Abt.  2,  Bd.  XIX,  S.  164  und  ßeimann  in  Sybels 
H.  Z.  VIII,  Heft  1,  S.  12. 

2)  Aretin,  Maximilian  I.  von  Bayern,  Bd  1,  S.  176  nennt  aus 
der  alten  Schule  von  Eck  in  Ingolstadt  nur  zwei:  Gotzmann  (The- 
ander)  und  Hunger. 

3)  1569  wurde  der  Besuch  protestantischer  Hochschulen  ver- 
boten, Aretin,  a.  a.  O.  I,  177. 

4)  Eine  wohlgehnigene  Darstellung  siehe  bei  A.  Czerny,  regulirteiii 
Chorherrn  von  St.  Florian  und  ehemaligen  Bibliothekar:    Der   erste 


—     174     - 

dieselbe  Eingang.  An  der  Spitze  der  mit  Luther  Sj'^mpathi- 
sierenden  steht  der  Landeshauptmann  Wolfgang  Jörger 
zu  Tollet,  der  seinen  ältesten  Sohn  Christoph  1521 
in  Wittenberg  Luthers  Unterricht  genießen  läßt.  Die 
Familie  bleibt  im  engsten  Verkehr  mit  Wittenberg.  Die 
mit  Luther  gewechselten  Briefe  hat  Martin  Moseder  1561 
zu  Regensburg  drucken  lassen.  Luther  schickt  dem  Sohne 
Christoph  als  ersten  Prediger  in  Österreich  den  ehe- 
maligen Mönch  Michael  Stiefel.  Als  einen  anderen  Kor- 
respondenten Luthers  lernen  wir  Barthol.  v.  Starbemberg 
kennen;  der  an  ihn  gerichtete  Brief  Luthers  ist  vom 
1.  Sept.  1523.  Später  standen  Georg  und  Johann  v.  Schaun- 
berg  mit  Luther  in  brieflichem  Verkehr. 

Weiter  erwies  die  Visitation  der  Klöster  vom  Jahre  1528, 
veranlaßt  durch  Faber,  den  Bischof  von  Wien  ^  i,  daß  die 
Reformation  in  den  Klöstern  Nieder-  und  Oberösterreichs 
zahlreiche  Anhänger  hatte. 

Die  Kirche  hatte  ihren  Einfluß  eingebüßt,  wie  Czerny 
sagt  (S.  51  f.),  und  war  in  ihrer  Existenz  bedroht.  In  ihrem 
Gutachten  an  Erzherzog  Ferdinand  vom  7.  Juni  1525  finden 
die  Stände  ein  Hauptursache  der  Empörung  der  Bauern  in 
dem  verweigerten  Wort  Gottes  und  in  dem  Hass,  mit 
welchem  dasselbe  von  den  Gegnern  bekämpft  werde.  Im 
Verzeichnis  der  Artikel,  welche  alle  nieder-  und  oberöster- 
reichischen Lande  in  Innsbruck  beraten  sollten  und  welche 
in  Linz  am  14.  Juni  1525  aufgesetzt  wurden,  heißt  es  „Zu- 
allererst daß  das  heilig  Evangeli  recht  und  ainheilig  allent- 
halben gepredigt  und  Niemand  deshalben  in  Irrsal  geführt 
werde." 

Wenn  die  Majorität  des  Landtages  den  Fürsten  mit 
der  offenen  Bitte,  dem  Worte  Gottes  kein  Hindernis  zu  be- 
reiten,   nahen    durfte,    so    läßt    sich  schon  daraus  schließen. 


Bauernaufstand   in  Oberösterreich,    1525  (Linz  1882);    ferner  Wiede- 
mann  I,  I.  Buch:  Die  reformatorische  Bewegung. 
1)  Vergl.  Wiedemann,  I,  52. 


—     175    — 

wie  viele  adelige  Familien  sich  bereits  den  reformatorischen 
Bestrebungen  angeschlossen  hatten.  Österreich  war  von 
der  Bewegung  der  Geister  damals  nicht  isoliert,  wie 
später.  Wenn  schon  am  12.  Mai  1523  Ferdinand  die 
Schriften  Luthers  ,  Ökolampads  und  Zwingiis  verbieten 
muß,  die  das  Land  überschwemmten,  besonders  durch  das 
Mittel  des  Handels  von  Linz  und  Steyr  mit  Regensburg; 
Augsburg,  Nürnberg  und  durch  die  stark  besuchten 
Linzer  Jahrmärkte,  so  läßt  sich  aus  dem  Verbot  und  dessen 
Motivierung  auf  die  Nachfrage  schließen.  In  seinem  strengen 
Edikt  V.  J.  1528  nennt  Ferdinand  die  Buchdrucker  und 
Buchhändler  gradezu  die  Hauptverführer  und  Vergifter 
seiner  Lande.  Derselbe  Fürst  verschwieg  aber  nicht  in 
der  geheimen  Instruktion  seiner  Gesandten  an  Karl  V  \/ 
(in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1524),  daß  die  Zwietracht 
in    religiösen    Angelegenheiten,  die    Beraubung    der  Kirche, 

die    Untergrabung    aller    Autorität größtenteils 

(potissimum)  daher  entstanden  seien,  daß  beinahe  der  ganze 
geistliche  Stand  mehr  das  Fleisch  und  die  Welt,  als  den 
Geist  und  die  Religion  spüren  lasse  ^).  Vier  Jahre  später 
erkennt  er  als  die  Ursache  der  raschen  Verbreitung  der 
unchristlichen  Sekten,  besonders  der  Wiedertäufer  ^),  den 
Mangel  an  ehrbaren,  geschickten,  wohlgelehrten,  verständigen 
Predig;ern  an,  was  er  in  seinem  Testament  abermals  wieder- 
holt  4). 

Das  Predigerwesen  lag  eben,  wie  Wiedemanu  sagt 
(I,  S.  60  f.),  im  Erzherzogtum  im  argen.  Weder  im  Bistum 
Wien,  noch  im  Bistum  Passau  fanden  sich  Männer,  die  dem 
Schaden  abgeholfen  hätten.  Die  Zahl  der  Tauglichen  neigte 
zu  den  Ideen  der  gierig  aufgesogenen  neuen  Lehre,  sei  es 
in  den  Schlössern,  sei  es  in  den  Städten  und  Marktflecken 
oder  auf  dem  Lande. 


1)  S.  Archiv  f.  österr.  Gesch.-Quell.  I,  109 ff. 

2)  Czerny,  a.  a.  O.  62. 

3)  Die  sich  hier  auch  unnütz  machten  und  sich  bis  Steiermark 
und  Mähren  hinein  schlichen  (besonders  Hans  Hut). 

i)  Buchholz,  Ferdinand  I.,  Bd.  VIII,  S.  741. 


—     176    - 

In  Steyr  predigte  im  Jahre  1524  der  Barfüßermönch 
Patricius,  der  als  gefährlich  mitten  in  der  Fastenzeit  ent- 
fernt werden  sollte.  Erst  auf  die  eindringliche  Bitte  des 
Stadtrates  wurde  sein  Bleiben  gestattet.  In  der  Fasten- 
zeit 1525  predigte  der  Franziskaner  Calixtus  zu  Steyr  in 
lutherischem  Sinne,  und  die  Stände  in  Linz  meinten  dazu, 
sie  hielten  das  für  das  rechte  Evangelium  und  göttliches 
Wort  1). 

Von  der  Kirche  ist  schon  nimmermehr  die  Rede  in 
diesen  Verhandlungen.  Im  Benediktinerkloster  zu  Garsten 
predigten  der  Prior  Michael  Forster  und  sein  Kooperator 
Hans  Weinberger  unter  Gutheißung  der  Steyrer  Bürger 
ebenfalls  lutherische  Lehre;  ersterer mußte  abberufen  werden, 
worauf  er  1528  starb  2). 

In  der  Hauptstadt  Linz,  dem  Mittelpunkt  des  öffent- 
lichen Lebens  in  Oberösterreich,  trat  zu  Anfang  des  Jahres 
1524  Leonhard  Eleutherobius  (Freisleben),  ein  aus  dem 
Reich  eingewanderter  deutscher  Schulmeister,  mit  der  Über- 
setzung der  Bugenhagenschen  Schrift  „von  der  Sünde  im 
hl.  Geist  und  wie  man  die  Psalmen  lesen  soll"  hervor. 
In  einer  Vorrede  widmet  er  das  Büchlein  den  „sogenannten 
Geistlichen"  in  Linz  und  freut  sich  über  das  wieder  an 
den  Tag  gekommene  Wort  Gottes,  tadelt  aber  jene,  welche 
die  Mutter  des  Herrn  über  das  Wort  Gotte;s  setzten  ^). 

In  Gmunden  müssen  schon  1523  ziemlich  viele  An- 
hänger Luthers  gewesen  sein,  darunter  der  Priester  und 
Rektor  der  Stadtschule  Kaspar  Schilling,  welcher  heiratete 
und  sodann  nach  Enns  ging^j. 


1)  Czerny,  S.  55  u.  56. 

2)  Vergl.  Preuenhuber,  Annal.  Styr.,  S.  241. 

S)  Für  diesen  und  den  folgenden  Fall  vergl.  Czerny,  S.  56. 

4)  Vergl.  Raupach,  Presbyt.,  S.  175  ff.  Dafür,  daß  die  Masse 
der  Laien  mit  protestantischen  Ansichten  erfüllt  war,  vergl.  auch 
Stieve,  Gesch.  des  oberösterreichischen  Bauernaufstandes,  I,  S.  26. 
Für  Gmunden  speciell  vergl.  die  wertvolle  Geschichte  dieser  Stadt  von 
Dr.  F.  Krackowizer,  II,  S.  129  ff.,  wonach  das  Übergewicht  des 
Protestantismus  schon  um  die  dreißiger  Jahre  eine  vollendete  That- 
sache  war. 


—     ITT     — 

In  einem  Bericht  der  Stände  an  den  Wiener  Hofrat 
vom  St.  Valentinstag  1526  wird  bemerkt,  daß  schon  vor 
dem  Auftreten  des  oben  genannten  Calixtus  in  Steyr  auch 
in  anderen  Städten  und  auf  dem  Lande  verschiedene  Prediger 
wegen  verdächtiger  Lehre  nach  Passau  citiert  wurden  und 
„spurlos  verschwunden  seien". 

Schon  im  Jahre  1524  klagen  verschiedene  Klöster  über 
Ausreißer  und  Überläufer  i).  Jünger  des  heiligen  Franciscus 
waren  es,  welche  in  den  österreichischen  Ländern  evangelische 
Predigt  verbreiteten,  und  im  Domkapitel  von  Passau  saß 
der  Dechant  Rupert  von  Mosheim,  ein  Frtund  der  Refor- 
mation 2). 

Bei  der  Gefangennahme  des  bekannten  Leonhard  Keiser, 
der  im  Bayrischen  1527  hingerichtet  werden  sollte,  legten 
die ,  vornehmsten  Edelleute  Oberösterreichs,  u.  a.  die  Grafen 
von  Schaunberg,  beim  Bischof  von  Passau  ein  Fürwort  für 
sein  Leben  ein  ^). 

Wenn  auch  seit  der  Versammlung  der  Bischöfe  Süd- 
Ost-Deutschlands  zu  Regensburg  im  Jahre  1524  seitens  der 
katholischen  Klerisei  im  ganzen  Lande  ein  Kampf  gegen 
das  Luthertum  von  den  Kanzeln  organisiert  und  gegen  die 
verdächtigen  Priester  mit  Absetzung  vorgeschritten  wurde, 
so  blieben  solche  von  oben  befohlene  Verteidigungsmaß- 
regeln doch  wirkungslos  (Czerny,  S.  60).  Auf  allen  Land- 
tagen brach  der  Unwille  der  oberen  Stände  los,  und  nichts 
konnte  mehr  die  Ausbreitung  der  evangelischen  Lehre  ver- 
hindern.   Die  Visitationen  der  Jahre  1555,   1562  und  spätere 


1)  Vergl.  Schelhorn,  Vom  Ursprung  und  Fortgang  der  evang. 
ReUgion  in  den  salzb.  Landen,  S.  71,  79.  Über  die  Verbreitung  der 
evang.  Lehre  in  Tirol  s.  „Beiträge  zur  Geschichte  Tirols  in  der  Re- 
formationszeit" im  Jahrbuch  der  Gesellsch.  für  d.  Gesch.  des  Protest, 
in  Österr.,  Bd.  VI,  S.  145  s. ;  ein  Aktenbündel  über  die  späteren 
Schicksale  des  Evangeliums  in  Tirol  findet  sich  im  Laibacher  Landes- 
archiv, das  ich  1893  dort  eingesehen  habe. 

2)  Czerny,  a.  a.  O.  S.  60;  Wiedemann  II,  335. 

3)  Czerny,  S.  54. 

12 


-     178     — 

mußten  die  kirchlichen  Behörden  überzeugen,  daß  der  weit- 
aus größte  Teil  des  Klerus  im  Bannkreis  der  neuen  Lehre 
stand.  Die  Bekenner  des  Evangeliums  mußten  zwar  zu- 
nächst unter  Kreuz  und  Verfolgung  ihr  Dasein  fristen ; 
um  so  mehr  setzte  sich  aber  das  Evangelium  in  den  Herzen 
fest,  so  daß  die  prädikantenlose  Zeit  nicht  so  schwer 
empfunden  wurde.  Die  anfangs  heimlich  ins  Land  ge- 
drungenen, dann  wieder  verjagten  Prediger  mehrten  sich 
seit  der  Mitte  des  Jahrhunderts,  und  unter  dem  milderen 
Scepter  Maximilians  kamen  sie  endlich  in  Scharen,  um  dem 
Volke  die  regelmäßige  Verkündigung  des  Evangeliums  und 
schriftgemäße  Verwaltung  der  Sakramente  zu  bringen. 

So  nehmen  wir  eine  ganz  naturgemäße  Entwickelung 
der  evangelischen  Bewegung  in  Österreich  wahr;  besonders 
ist  es  die  Verbindung  mit  Regensburg,  die  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Jahrhunderts  dem  Lande  gute  Prädikanten  ver- 
schaffte und  so  einen  guten  Volksunterricht  ermöglichte. 
Vor  allem  aber  hatten  diese  evangelischen  Männer  den 
reichen  Bücher-  und  Liederschatz  ihrer  Kirche  zur  Ver- 
fügung, worunter  die  Bibelübersetzung  und  überhaupt  Luthers 
Werke  den  ersten  Rang  einnehmen.  So  schmolz  unter  dem 
warmen  Hauche  des  Evangeliums  das  Eis  der  kirchlichen 
Satzungen  in  vieler  Herzen,  und  an  die  Stelle  trat  frisches 
geistliches  Leben.  Inwiefern  an  alle  dem  die  Prädikanten, 
wenn  auch  durch  den  Widerstand  immer  wieder  gehindert. 
Anteil  hatten,  das  werden  uns  die  folgenden  Blätter  zur 
Anschauung  bringen. 

Widerlegt  haben  die  Feinde  die  Prediger  des  Evange- 
liums nicht;  —  nur  waren  dieselben  wider  solche  kein 
Mittel  scheuende  Rekatholisierung ,  wie  die  Jesuiten  sie 
eingeführt  hatten,  nicht  gerüstet.  Sie  gingen  eben  unter, 
und  nur  wenige  Apostaten  haben  wir  zu  beklagen.  Aber 
auch  der  Untergang  wurde  auf  ein  halbes  Jahrhundert,  bis 
in  die  Zeit  des  dreißigjährigen  Krieges,  hinausgezogen, 
während  in  Bayern  schon  1569  das  Schicksal  der  evange- 
lischen Bekenner   besiegelt    war.     Die  Ursache    davon    war 


—     179     - 

Herzog  AlbrecLts  entschieden  katholische  Haltung  und 
der  Mangel  an  begeisterten  Prädikanten  i).  Merkwürdig  ist, 
daß  die  schlimmsten  Feinde  des  Evangeliums  in  Osterreich 
aus  Bayern  hereinkamen;  wir  nennen  nur  Georg  Eder  (Hofrat; 
aus  Freising,  Eisengrein  aus  Ingolstadt.  Merkwürdig  ferner 
ist,  daß  Staphylus,  Superintendent  in  Ingolstadt,  ein  Apostat 
und  geborener  Osnabrücker  war,  und  der  bösartige  Gegner 
von  Cölestin  und  Rorer,  der  Apostat  Caspar  Franck,  später 
Professor  in  Ingolstadt,  ein  gebürtiger  Meißener.  Rudolf 
Klenck  endlich  war  aus  Bremen  und  Professor  am  Seminar 
in  Ingolstadt.  Der  bereits  erwähnte  Propst  und  Polemiker 
Eisengrein  zu  Ingolstadt  war  ein  Stuttgarter  und  auch  wieder 
übergetreten  zum  alten  Glauben.  Also  lauter  Apostaten  und 
Fremde  besorgten  die  Geschäfte  Roms,  und  in  Bayern  selbst 
ließ  mau  geduldig  alles  über  sich  ergehen. 

Wir  beginnen  mit  dem  Lebensbild  des  Mannes,  dem 
das  Heil  der  evangelischen  Kirche  in  Österreich  besonders 
am  Herzen  lag,  mit  Nicolaus  Gallus. 

I.  Nicolaus  Gallus 2). 
Gallus,  geboren  zu  Köthen  in  Anhalt  (1516),  gehörte 
einer  sehr  angesehenen  Familie  an.  Sein  Vater,  eigentlich 
Han,  was  der  Sohn  in  Gallus  umwandelte,  war  fürstlicher 
Rat  und  Bürgermeister.  Dieser  Sohn  nun  war  durch  die 
göttliche  Vorsehung  berufen,  im  Süden  Deutschlands  und 
mittelbar  auch  in  Österreich  segensreich  zu  wirken.  Schon 
frühzeitig,  nachdem  er  seine  Studien  in  Wittenberg  vollendet 
und  daselbst  magistriert  hatte,  berief  ihn  der  Rat  von 
Regeusburg  auf  Luthers  Empfehlung  als  Diakon  an  die 
Marienkirche.  Er  sollte  hier  die  Einführung  der  evangelischen 
Lehre  neben  Mag.  Nopp,  dem  gleichfalls  empfohlenen  Super- 
intendenten, unternehmen  (1543).  Hier  las  er  zuerst  die 
deutsche  Messe    und    schrieb  mehrere    erbauliche  Schriften, 


1)  Aretin,  a.  a.  O.  I,  62—234. 

2)  Vgl.  den  Artikel  „Gallus"  von  Kawerau  in  der  Prot.  E.  E., 
3.  Auflage. 

12* 


—    180     - 

während    Nopp    die    Kirchenordnung   verfaßte.      Unter    den 
schweren  Bedrängnissen    des  Augsburger  Interims   wich  er 
mit  den  anderen  Predigern   aus  der  Stadt  (Juni  1548)  und 
ging    nach    Wittenberg,    wo    er    Cruciger    vertrat    und   mit 
riacius  näher  bekannt  wurde.    Hier  aber  stand  alles  anders, 
als  da  er  es  verlassen;  an  Stelle  des  heldenmütigen  Luther 
fand    er    Theologen,    welche    mit    dem    Kurfürsten    Moritz 
wegen  Annahme    des  Interims    verhandelten.     Gerade  jetzt 
wurden  jene  entscheidenden  Konvente    von  Meißen,    Pegau 
und  Celle,    Jüterbogk    und    Leipzig    gehalten,    wo    sich    die 
Ohnmacht     der    Wittenberger    Theologen     offenbarte.      Er 
war    nur    zurückgekehrt,    um    hinsichtlich    seiner    Freunde 
(Melanchthon ,     Major ,    Bugenhagen)    bitter    getäuscht    zu 
werden.      Er    verließ    daher    Ostern    1549    die    Stadt,    ge- 
rade   als    das  Leipziger  Interim  vom  Kurfürsten  in  Torgau 
bekannt  gegeben  wurde.    Zunächst  ging  er  nach  Magdeburg, 
wo    sein    Schwager    Heinrich    Merckel    Sekretär    war,    und 
wurde    erster  Prediger    an  der  Ulrichskirche.     Bald  kamen 
auch  der  aus    seinem  Bistum    Naumburg    vertriebene  Ams- 
dorf  und  Elacius,  der  kurz  vor  Gallus  Wittenberg  verlassen 
hatte.      Auch    hier   wirkte    Gallus    vorzugsweise    als    Seel- 
sorger,   scheint    aber  damals    schon  nicht    ohne  Einfluß   aul 
wichtige  Entscheidungen   des  Rates  gewesen    zu  sein.     Die 
feste    Haltung  Magdeburgs,    auch   während    der  Belagerung 
durch    Moritz,    ist  Gallus    und  Elacius   zuzuschreiben.     Zu- 
gleich   nahm    Gallus  Anteil    an    dem  Schriftenkampf  gegen 
die    Wittenberger,     dessen    Anführer    Elacius     war.      Sein 
Name  steht  in  gewichtigen  Schriften   obenan,    vor  dem  des 
Elacius  1).      Nach    dem    Passauer    Vertrage    gelangte    auch 
Regensburg  wieder  zur  Ereiheit  des  evangelischen  Bekennt- 
nisses, und  der  Rat  berief  alsbald  Gallus  zurück,  was  dieser 
nur   nach    großen    inneren    Kämpfen    annahm,    da    es    ihm 
schwer    wurde,    aus    dem    Magdeburger    Ereundeskreis    zu 


1)  S.  Preger  II,  S.  544  f.  (Verzeichnis  der  Schriften  und  Flug- 
blätter aus  jener  Zeit;. 


-     181     — 

scheiden.  Er  wurde  in  Regensburg  Superintendent  und 
ordnete  das  sehr  verwahrloste  Kirchenwesen  aufs  Neue- 
Eine  Hauptstütze  fand  er  an  dem  würdigen  Dr.  Hiltner, 
Advokaten  der  Stadt  Regensburg,  den  uns  die  Regensburger 
Akten  wiederholt  nennen.  Die  Schwierigkeiten  mit  dem 
Bischof  von  Regensburg  wußte  er  geschickt  zu  umgehen ; 
seine  Besonnenheit  zeigte  sich  auch  den  Feinden  gegenüber, 
so  daß  er  bald  der  Schützer  der  in  Bayern,  Österreich  und 
Salzburg  sich  bildenden  evangelischen  Gemeinden  wurde. 
Bei  alledem  vergaß  er  seine  Magdeburger  Freunde  nicht. 
Er  unterstützte  dieselben  getreulich  in  ihren  Kämpfen,  be- 
sonders gegen  den  Majorismus.  Auch  bei  dem  großen  kirchen- 
geschichtlichen Werke  des  Flacius  leistete  er  treue  Hand- 
reichung. Der  Hauptförderer  desselben,  Kaspar  von  Nid- 
bruck  1),  bediente  sich  seiner  Beihilfe  und  sandte  ihm  eine 
große  Anzahl  von  Werken  behufs  Excerpierung  für  die  be- 
rühmten Centurien  nach  Regensburg  (Oktober  1554).  In 
einem  Briefe  Nidbrucks  an  Gallus  wird  dieses  Quellen- 
material, welches  von  überall  her  zusammengebracht  war, 
in  den  Dienst  der  Centuriatoren  gestellt,  —  das  heißt  also, 
unter  gewissen  Kautelen  der  schrankenlosen  Benutzung  durch 
Flacius  und  seinen  Amanuensis  Wagner  anheimgegeben. 
Letzterer  war  ein  halbes  Jahr  in  der  Wohnung  des  Super- 
intendenten Gallus  damit  beschäftigt.  Zugleich  leitete  Gallus 
Geldsammlungen  ein,  und  sein  Name  machte  auch  in  Oster- 
reich für  dieses  den  Feinden  bald  so  verhaßte  Werk 
Propaganda.  Christoph  Reuter  sammelte  in  Niederösterreich, 
Rica  in  Steiermark  während  der  ganzen  Zeit  der  Her- 
stellung der  Centurien.  Noch  am  3.  April  1564  schreibt 
Rica  an  Gallus  über  diese  Sammlungen,  bemerkt  aber,  daß 
bei  ihm  im  Lande  „hergelaufene  Prediger,  die  aus  Euren 
Gegenden  stammen  und  sich  hier  eingedrängt,  jenes  heilige 
und  fromme  Werk  der  Kirchengeschichte,  zugleich  mit 
ihrem    Verfasser"    in    Verachtung    brächten    und    auch    die 


1)  Vergl.  Bibl:  „Nidbruck  und  Tanner",  S.  18. 


—    182    — 

Herzen  der  wohldenkenden  Magnaten  entfremdeten.  Er 
selbst  müsse  oft  für  die  gute  Sache  der  frommen  Männer 
eine  Lanze  einlegen  und  häufig  werde  er  gezwungen,  über 
den  Streit  und  Hader  im  Reich  Bemerkungen  zu  hören. 
Das  sei  der  Dank,  der  frommen  Männern  gezahlt  würde. 
„Oh  greuliche  Zeiten,  veni  Christel" 

Unsere  Aktenstücke  beweisen  die  ununterbrochene 
Teilnahme,  welche  Gallus  den  allgemeinen  Angelegen- 
heiten der  evangelischen  Kirche  gewidmet.  In  Osterreich 
waren  viele  adelige  Herren,  die  auch  ein  offenes  Auge  für 
diese  Dinge  hatten.  So  war  Christoph  Jörger  zu  Tollet  und 
Kreuspach  auf  dem  Regensburger  Reichstag  (1556),  wo  die 
zwischen  Katholiken  und  Protestanten  streitigen  Punkte 
verglichen  werden  sollten,  anwesend  und  läßt  des  Gallus 
Schwager  Merckel,  einen  der  Magdeburger  Abgeordneten, 
in  einem  Brief  an  Gallus  vom  18.  August  1557  grüßen. 
Auf  diesem  Reichstag  war  es,  daß  Gallus  die  Gelegenheit 
ergriff,  die  Abweichungen  der  „Wittenberger"  von  der 
reinen  Lehre  Luthers  in  zahlreichen  Predigten  zu  geißeln. 
Auch  zu  dem  Frankfurter  Konvent,  den  die  Protestanten 
behufs  Vorbereitung  zum  Wormser  Religionsgespräch  und 
Schlichtung  ihrer  eigenen  Lehrstreitigkeiten  abhielten  (1557), 
wurde  Gallus  abgeordnet  i),  um  an  der  Ausarbeitung  einer 
Instruktion  für  die  evangelischen  KoUokutoren  zu  helfen. 
Es  fanden  seine  zwei  Vota,  die  eine  klare  Stellungnahme 
zu  den  in  die  Kirche  eingerissenen  Irrtümern  forderten, 
zwar  nicht  die  Zustimmung  der  Majorität,  wohl  aber  ein 
beifälliges  Echo  in  Österreich.  Der  alte  Jörg  von  Perck- 
haim  hebt  in  einem  Briefe  an  Gallus  (14.  Dezember  1557) 
hervor,    wie  sehr  sie  des  Gallus  gegen  die   „Sectierer"    be- 

1)  Ein  Brief  des  Lindauer  Pfarrers  G.  Necker  (1559),  dessen 
wir  unten  erwähnen  werden ,  bezeugt  das  Zusammentreffen  mit 
Gallus  in  Frankfurt  und  ihr  inniges  Verhältnis,  das  durch  einen 
österreichischen  Adeligen,  Johannes  Stockhorner,  vermittelt  wurde. 
Über  diese  Versuche  zur  Einigung  der  Fürsten  auf  verschiedenen 
Konventen  vgl.  Preger,  Bd.  II,  S.  63  ff. 


—     183     - 

dürften.    Jener  war  auch  in  Regensburg,  wohl  in  Begleitung 
des  Kaisers  (1556),  ist  später  den  Ereignissen  in  Frankfurt 
und    auf   dem  Religionsgespräch    in  Worms    (1557)  gefolgt 
und  hat  die  Zuschriften  Melanchthons  an  Kurfüst  August  und 
Johann  Friedrich  den  Mittleren  gelesen,  in  denen  Melanch- 
thon  nicht  ohne  Bitterkeit  alle  Schuld  Erhart  Schnepf  und 
den  herzoglich  sächsischen  Gesandten  beimessen  will.   Perck- 
haim  fühlt   sich  zu  gering,    um  hierin  zu  urteilen,   bemerkt 
aber,  daß  der  Fürst  dieser  Welt  „ein  Tausendkünstler,  ein 
alter    erfahrner    Schalk"     sei,    der    „durch    viel    Weg    zu 
schlüpfen"  weiß  und   „wo's  möglich  war',  die  Auserwählten 
verführen    möchte".      Er    bittet    schließlich    Gott,    derselbe 
wolle  sie  bei  seinem  ewigen  gnädigen  Wort  erhalten.    Ahn- 
lich äußert  sich  J.  von  Perckkirchen  in  dem  schon  citierten 
Brief   an    Gallus   aus    Linz    vom    18.  Oktober  1557.     Seine 
Meinung   über    das    Religionsgespräch    in   Worms,    an    dem 
er  krankheitshalber  nicht  teilnehmen  konnte,  drückt  Gallus 
in  einer  Schrift  i)  an  den  Pfalzgrafen  Friedrich,    den  nach- 
maligen Kurfürsten  von  der  Pfalz,  damals  noch  Statthalter 
seines  Oheims    in  Amberg,  aus.     Er  führt  dem  Fürsten  zu 
Gemüte,    daß   man    nicht   im  Interesse  des  Friedens  Sekten 
und    Irrtümer    „in    unsere   Kirchen"    einlassen    dürfe,    denn 
das  hieße  die  A.  C.  und  Lutheri  wie  der  Apostel  und  Pro- 
pheten Zeugnis  zum  Deckel  mißbrauchen.    Besonders  richtet 
er   sich    gegen   jenes    auf  dem  Wormser  Gespräch  beliebte 
Vertuschen    der   Irrtümer,    wie    es    von    der   Majorität    der 
Protestanten  als  Mittel  der  Einigkeit  empfohlen  wurde.    Er 
weist  nach,  wie  die  Papisten,  Wiedertäufer,  Schwenkfelder, 
Zwinglische    und  Calvinische    nicht    nur,    sondern   auch  die 
Interimisten  (Adiaphoristen),    ferner    die  Majoristen,    Osian- 
dristen  gegen  die  einige  wahre  Regel  des  göttlichen  Wortes 

1)  „Von  Irthumen  vnd  Secten  Thcses  vnd  Hypotheses,  das  ist, 
gemeine  erwiesene  Sprüche,  auf  gegenwertige  zeit  vnd  hendel  gezogen 
zu  erhaltuug  wares  Verstands  vnser  Christlichen  Augspurgischen 
Confession,  vnd  absonderung  der  Secten,  dieser  zeit  nötig.  Jhena 
IMDLVIII."     Die  Calvinischen  behandelt  er  hier  noch  mild. 


—     184     - 

in  der  heiligen  Schrift  und  der  A.  C.  verstoßen  hätten.  Mit 
Kraft  tritt  er  dafür  ein,  daß  es  nicht  geringe  Streitigkeiten 
seien,  um  die  es  sich  handle,  Streitigkeiten,  die  man  etwa 
unterschlagen  könnte,  sondern  höchst  gewichtige,  weshalb 
er  die  ganze  Sache  bei  seiner  Leibesschwachheit  dem  lieben 
Gott  befehlen  müsse,  aber  es  doch  zugleich  dem  ihm  wohl- 
geneigten Fürsten  unter  die  Augen  bringen  wolle. 

Daß  der  „Frankfurter  Abschied"  in  Regensburg  nicht 
angenommen  wurde,  war  Gallus'  Werk.  Dem  Prediger 
Martin  Schalling  kostete  seine  Weigerung,  eine  Censur  des 
Gallus  über  diesen  Abschied  zu  unterschreiben,  sein  Amt. 
Unsere  Akten  geben  reichliche  Belege  für  diesen  Vorgang. 

Den  nächsten  Anlaß,  um  sich  auf  kirchenpolitischem  Ge- 
biete hervorzuthun,  gab  ihm  der  Naumburger  Fürstentag 
(1561).  Die  hier  versammelten  Fürsten  warnte  er  gemeinsam 
und  einzeln  in  Sendschreiben  vor  der  vordringenden  calvini- 
schen Abendmahlslehre,  fand  aber  kein  Gehör.  Die  Politik  for- 
derte damals  eine  durch  Melanchthon  angebahnte  Toleranz  auch 
der  Lehranschauung  der  Schweizer  und  drängte  die  Majorität 
der  Fürsten,  zu  diesem  Behuf  alle  früheren  Spaltungen  im 
eigenen  Hause  zu  begraben.  Aber  nicht  einmal  so  sehr 
dem  Calvinismus  als  vielmehr  seinen  eigenen  alten  Gegnern, 
die  hier  am  Werke  waren,  trat  Gallus  feindlich  entgegen. 
Seitdem  konnte  er  sich  auf  die  innerkirchliche  Wirksamkeit 
beschränken,  da  die  Sache,  die  er  vertrat,  nach  dem  Naum- 
burger Fürstentage  eine  siegreiche  zu  werden  begann. 

Er  vermochte  Flacius,  der  in  Regensburg  eine  Zufluchts- 
stätte gefunden,  vier  Jahre  lang  kräftig  zu  schützen.  Ihre 
Gemeinschaft  gründete  sich  auf  die  feste  Überzeugung,  in 
der  unveränderten  Lehre  Luthers  das  festeste  Bollwerk 
nicht  nur  gegen  Abweichungen  in  der  eigenen  Kirche, 
sondern  auch,  was  mehr  ist,  gegen  den  Ansturm  des  neu- 
gekräftigten  Papsttums  zu  besitzen.  Bei  aller  Überein- 
stimmung beider  ist  doch  dem  Gallus  ein  weit  höheres  Maß 
von  Besonnenheit,  Takt  und  Zurückhaltung  eigen.  Wir 
finden   ihn,    trotz  aller  Anschuldigungen   auch  eines  Melan- 


—     185    — 

chthon,  als  einen  seiner  natürlichen  Neigung  nach  fried- 
liebenden Mann.  Dies  zeigte  sich  besonders  Heshusius 
gegenüber,  dem  er  durchaus  nicht  in  allen  Stücken  recht 
gab,  z.  B.  in  der  bekannten  Magdeburger  Streitfrage  ^).  Er 
vertrat  auch  in  der  Kontroverse  über  den  Satz  des  Flacius 
von  der  Erbsünde  des  letzteren  Meinung  gegenüber  Hes- 
husius, wie  die  Briefe  zeigen.  Er  steht  keinem  seiner 
Gegner  an  Weite  des  Blickes,  an  Lauterkeit  der  Gesinnung 
und  Offenheit  des  Charakters  nach.  „Es  ist  vollkommen 
unrichtig",  sagt  Brecher^),  „von  ihm  zu  behaupten,  er  habe 
mit  echt  flacianischem  Geiste  die  Zerwürfnisse  in  der  Kirche 
zu  erhalten  gesucht.  Er  hat,  wie  wenige,  die  Not  der 
Kirche  im  Zwiespalt  und  Kampfe  gefühlt  und  wohl  danach 
gerungen,  sie  zu  enden." 

Wie  er  Flacius  in  jenen  Jahren  seine  Stellung  in  Regens- 
burg erleichterte,  hat  Preger  ausführlich  beschrieben  ^).  In 
den  Briefen  an  Gallus  aus  dieser  Zeit  wird  auch  oftmals 
des  Flacius  ehrende  Erwähnung  gethan.  Selbst  mit  den 
evangelischen  Ständen  Österreichs  wird  durch  Vermittlung 
des  Grafen  Niklas  von  Salm  wegen  einer  Anstellung  des 
Flacius  in  Verhandlung  getreten.  Der  Pfarrer  des  Salm- 
schen  Gutes  Orth,  Zach.  Prätorius,  läßt  Flacius  am  1.  Dez. 
1565  grüßen  und  sich  seinen  wie  des  Gallus  Gebeten  em- 
pfehlen. So  thun  auch  J.  F.  Cölestin,  damals  in  Lauingen, 
Rorarius,  Pica,  Krell  u.  v.  a.^).  Von  Regensburg  aus  machte 
Flacius  seine  kleineren  Reisen  auf  die  Frankfurter  Messe. 
Auf  der  letzten  (1566)  passierte  er  Augsburg,  wo  der 
Reichstag  versammelt  war,  und  hatte  Audienz  bei  Kaiser 
Maximilian,  wobei  er  ihm  ein  Buch  überreichte:  De  trans- 
latione  imperiiS).    Der  Kaiser  versprach,  seiner  eingedenk  zu 


1)  Vergl.  Preger  II,  250. 

2)  Allgemeine  Deutsche  Biographie,  Bd.  VIII. 

3)  Bd.  II,  Abschnitt  5. 

4)  Eegensburger  Akten,  Ecclesiastica ,  Kasten  D,  Fach  I, 
XXXV,  Z.  63.  Krell  redet  einmal  von  „unserer  lUyrikanischen  Ge- 
meinde" in  einem  Brief  an  Gallus. 

5)  Preger  II,  S.  281. 


—     186     — 

sein.  Auch  hier  nahm  sich  Graf  Salm  auf's  freundlichste  seiner 
an.  Es  verschlug  freilich  alles  nicht  gegen  den  Haß  des 
Kurfürsten  August,  der  den  Kaiser  immer  wieder  stachelte, 
seinen  Todfeind  auch  im  Süden  Deutschlands  zu  verfolgen. 
Er  wäre  wohl  bald  aus  Regensburg  verwiesen  worden, 
wäre  er  nicht  gerade  zu  dieser  Zeit  durch  die  lutherische 
Gemeinde  zu  Antwerpen  behufs  Ordnung  ihrer  kirchlichen 
Verhältnisse  berufen  worden.  So  wurde  Antwerpen  die 
einzige  Stadt ,  in  welcher  Elacius  sein  Licht  leuchten 
lassen  konnte,  ungehindert  durch  Ehrabschneider  und  Feinde. 
Der  Prinz  von  Oranien,  das  Haupt  der  Opposition,  war  ihm 
nicht  abgeneigt,  da  derselbe  mit  der  Unterzeichnung  der 
Augsburgischen  Konfession  sich  der  Hilfe  der  lutherischen 
Fürsten  versichern  zu  können  meinte^).  Schon  im  März 
1567  entwich  aber  Flacius  wieder  nach  Frankfurt  und  war 
nun  doppelt  seinen  alten  Feinden  unwillkommen,  nachdem 
er  seine  Hand  in  jenes  Wespennest  gesteckt.  An  eine 
Rückkehr  nach  Regensburg  war  nicht  mehr  zu  denken,  und 
so  konnte  er  nur  aus  der  Ferne  mit  Gallus  die  gleichen 
Zwecke  verfolgen. 

Wie  Melanchthon  in  öffentlichen  Schriftstücken 
Gallus  behandelte,  erhellt  besonders  aus  dem  „Bedenken 
Herrn  Philippi  Melanchthonis  auf  das  Weimarische  Con- 
futationsbucli,  an  Churfürst  zu  Sachsen,  Augustum  gesandt. 
9.  März  1559"  2).  Er  nennt  Gallus  hier  (S.  771)  „der  großen 
Clamanten  einen"  und  bezichtigt  ihn,  unter  Berufung  auf 
Matthesius'  Urteil  (S.  767),  absurder  und  gottloser  Meinungen 
über  den  freien  Willen.  Unter  Berufung  darauf,  daß  er 
(Melanchthon)  die  stoischen  und  manichäischen  deliria  vom 
freien  Willen  schon  früher  verworfen,  beschuldigt  er  nun 
eine  „neue  unflätige  Schrift"  des  Gallus  des  Rückfalles  in 
solche  Ansichten.    Er    meint    damit    die  Schrift  „De    libero 


1)  Preger  II,  S.  287. 

2)  Corp.  Reform  IX,  763—775.  Ein  sehr  bedauerhches  Schrift- 
stück des  in  kränklicher  Erbitterung  ganz  außer  sich  geratenen 
alten  Mannes. 


—    187     — 

arbitrio",  welche  Georg  Necker  ^)  in  einem  Brief  an  Gallus 
vom  20.  Februar  1559  eine  sehr  orthodoxe  nannte,  die  von 
allen  Gläubigen  mit  offenen  Armen  aufzunehmen  sei  2). 

Weiter  führt  Melanchthon  den  Satz,  daß  gute  Werke 
notwendig  seien,  in  einer  Weise  aus,  als  ob  Gallus  diese 
Proposition  ausdrücklich  verworfen  habe,  dagegen  will 
er  sich  berufen  haben  „auf  alle  gottesfürchtige  Christen, 
welches  Urteil  wir  leiden  mögen,  und  sollen  die  Weimarischen 
Condemnationen  nicht  allein  gehört  werden"^).  So  eng 
verwachsen  war  ihm  Gallus  mit  den  Verfassern  des 
Konfutationsbuches,  daß  er  sie  in  einem  Atemzuge  nennt. 
Wenn  dem  Gallus  auch  in  diesem  Schriftstück  das  starre 
Festhalten  an  der  Erwählungslehre  vorgeworfen  und  da- 
gegen von  Melanchthon  S.  768  auf  den  Trost  der  all- 
gemeinen Gnade  verwiesen  wird,  so  ist  solches  ganz  un- 
gerechtfertigt. Gallus  ging  durchaus  nicht  über  das  Maß 
der  Gnadenlehre  hinaus,  wie  sie  damals  in  den  streng 
lutherischen  Kreisen  allgemein  gelehrt  wurde.  Ja,  an- 
läßlich der  Erklärungen,  die  1566  auf  dem  Reichstage 
von  Augsburg  gegen  den  Calvinismus  des  Pfälzer  Kur- 
fürsten auf  die  Tagesordnung  kamen,  steht  er  auf  Seiten 
der  Gegner  Friedrichs  und  des  ihm  zur  Last  gelegten 
„Calvinismus".  Er  sagt  in  einem  Konzept  aus  dieser  Zeit: 
„Das  aber  ist  auch  nicht  recht  vnd  ein  geferlich  praeiudicium, 
das  sie^)  den  Caluinischen  geben  waren  verstand  der 
Augsp.  Confession  inn  den  andern  articuln  5),  dan  sie,  die 
Caluinischen,  viel  andere  ihre  irthume  wider  die  Augsp. 
Conf.    haben:    als    von    vrsach    der    sünde,    von   der  ewigen 


1)  Eegensburger  Stadtarchiv,  No.  XXIII,  Ecclesiastica. 

2)  Dieselbe  wird  auch  wohl  in  einem  Briefe  Melanchthons  an 
Matthesius  vom  17.  April  1557  eine  rabiose  scripta  contentio  genannt. 

3)  Corp.  Eeform,  IX.  771. 

4)  d.  h.  der  Pfalzgraf  und  die  Heidelberger  Theologen. 

5)  d.  h.,  daß  sie  in  allen  anderen  Artikeln  außer  dem  vom 
Abendmahl  die  Calvinischen  der  Augsburgischen  Konfession  gemäß 
hielten. 


—    188    — 

versehung  1),  von  der  tauff,  absolution,  bildern,  ja  auch  von 
Vereinigung  der  naturen  in  Christo,  seiner  Himelfart  vnd 
sitzen  zur  rechten  Gottes,  vnd  ist  eben  der  articul  der 
rechtfertigung  nicht  gar  rein  bei  ihnen"  ^j. 

Neben  dieser  Ablehnung  der  dem  Calvinismus  zu- 
geschriebenen Sonderlehren,  die  um  diese  Zeit  nur  aus 
großer  Erbitterung  zu  erklären  ist,  steht  zugleich  die  Forde- 
rung :  daß  die  wider  die  „wahre  Augsburgische  Confession" 
unter  deren  Anhängern  selbst  eingerissenen  Opinionen  gleich- 
zeitig abgestellt  würden.  Er  vergißt  über  dem  Calvinismus 
nicht  den  Zunder  im  eigenen  Hause.  Das  mußte  auch 
Brenz  erfahren,  der  ihm  seit  den  osiandrischen  Streitigkeiten 
verdächtig  geworden  war.  Mit  ihm  geriet  Gallus  in  Konflikt, 
indem  er  seinen  Katechismus  und  die  Württembergische 
Kirchenordnung  einer  —  wohl  nur  handschriftlichen  — 
Censur  unterzog.  Kawerau,  dem  wir  diese  Nachricht  ver- 
danken, weiß  auch  von  einer  Verteidigung  des  Brenz,  und 
daß  seitdem  eine  Verstimmung  zwischen  beiden  Männern 
bestanden  hat.  Wir  können  nur  vermuten,  daß  dem  Gallus 
der  Katechismus  zu  sehr  von  demjenigen  Luthers  abstach, 
als  daß  er  ihm  hätte  gefallen  können.  In  der  Lehre  von 
guten  Werken  mag  er  auch  Anklänge  an  die  Lehrweise 
des  Georg  Major  gefunden  haben  ^). 

Viel  weiter  noch  als  Melanchthon  gingen  dessen  Schüler 
in  der  Verurteilung  des  Gallus,  ja  sie  verhöhnten  ihn  gerade- 
zu. In  dem  „Idyllion  de  philomela"^)  ist  Gallus  die  turba- 
trix  placidae  nempe  quietis  avis ;  noch  viel  giftiger  wird 
er  behandelt  in  der  „Summa  und  kurzer  Auszug  aus  den 
Actis  synodicis   1560", 


1)  Auch  BuUinger  hat  in  einem  Brief  an  den  Engländer  Barthol. 
Trehernus  (Zürich,  3.  März  1553)  über  Calvins  supralapsarische  An- 
sicht im  Punkte  der  providentia  Dei  sich  ablehnend  geäußert,  zu- 
gleich aber  Calvin  das  höchste  Lob  erteilt  (S.  Siniler  Mscr.  Nr.  79, 
Stadtbibliothek  in  Zürich). 

2)  Regensburger    Stadtarchiv,   Ecclesiastica,    XXXVI.    St.  61. 

3)  Vgl.  z.  B.  Katechismus  Brentii  S.  620  ff. 

4)  ö.  die  Scripta  publica   academiae   Witeb.,   Tom.  III,  p.  10. 


-     189     — 

Es  erübrigt  uns  noch,  jenes  Vorwurfes  Melanchthons 
zu  gedenken,  daß  Gallus,  anstatt  seine  ganze  Aufmerksamkeit 
auf  die  Übergriffe  katbolischerseits  zu  richten,  vielmehr 
ihn  (Melanchthon)  verfolge^j.  Ein  ähnlicher  Vorwurf  kommt 
noch  später  in  einem  Schreiben  an  Matthesius  vor,  daß 
nämlich  Gallus  seine  Klauen  von  der  Donau  aus  bis  nach 
Wittenberg  strecke,  aber  das  benachbarte  Bayern  schone  2). 
Wie  unrecht  Melanchthon  mit  dieser  Behauptung  bezüglich 
Österreichs  hatte,  zeigen  unsere  Aktenstücke.  Auch  wenn 
in  Bayern  die  Grafen  von  Ortenburg  und  von  Haag  ^)  schon 
in  den  fünfziger  Jahren  ein  geordnetes  Kirchenwesen  hatten, 
das  bis  in  die  sechziger  Jahre  unangefochten  bestand,  so 
ist  dies  keinesfalls  ohne  Gallus'  Zuthun  geschehen.  Daß 
er  nicht  direkt  mit  den  Jesuiten  in  Wien  und  Ingolstadt 
polemisiert  hat,  ist  wohl  verzeihlich;  denn  warum  sollte  er 
sich  in  ein  fremdes  Amt  mischen?  Wie  sehr  er  der 
päpstlichen  Partei  ein  Dorn  im  Auge  war,  zeigen  die  Gespräche 
des  Kardinal  Hosius,  Bischof  von  Ermeland,  mit  König 
Maximilian.  In  einem  derselben  (Okt.  1560)4)  rügt  Hosius 
die  Verwegenheit  des  Gallus  und  anderer,  welche  Luthers 
Wort  das  Wort  Gottes  nennten  und  jede  Abweichung  davon 


1)  C.  E.  VIII,  S.  915  schreibt  Melanchthon  au  Gallus:  ,,Tu 
contra  cum  in  duabus  Academiis  ad  Istnmi  non  procul  a  te 
monstrosa  deliramenta  rcepl  aproX^Tpeiac  et  alia  edita  sint,  illis  omissis 
me  insectaris,  ut  lenissime  dicam."  Geraeint  ist  wohl  das  lun  diese 
Zeit  bemerklicher  werdende  Vordringen  der  Jesuiten. 

2)  C.  E.  IX,  S.  804,   (17.  April  1559). 

3)  Vgl.  für  die  wichtige  Eeformationsbewegung  in  Bayern 
Janssen,  Geschichte  des  deutschen  Volkes,  Bd.  IV,  S.  108,  388,  424ff.; 
ferner  Eaupach ,  Presbyterologia  ,  Supplementum  ,  S.  16.  Wir 
werden  weiter  unten  den  vertriebenen  Ortenburgcr  Grafen  als  in 
engsten  Beziehungen  zu  Gallus  und  Eeuter  stehend  kennen  lernen. 
Thomas  Eorarius,  welcher  in  den  50er  Jahren  Pfarrer  in  der  Ober- 
pfalz war  und  von  dort  aus  seine  Wirksamkeit  nach  Ortenburg  er- 
streckte, war  ein  Freund  des  Gallus,  die  Akten  geben  viel  über 
diesen  Verkehr. 

4)  Vgl.  Buchholtz,  Geschichte  der  Eegierung  Ferdinands  I., 
Wien  1836,  Bd.  VII,  Ö.  497. 


-     190    — 

gleichsam  als  eine  große  Lasterthat  ansähen,  während  sie 
ihrer  Abweichungen  von  der  Kirche  in  so  vielen  Stücken 
sich  als  herrlicher  That  selbstrühmten.  Er  meint,  es  sei  doch 
besser,  dem  Papst  zu  gehorchen,  als  so  vielen  dem  Irrtum 
unterworfenen  Menschen  ^). 

Doch  blicken  wir  zunächst  auf  Osterreich.  Lange 
bevor  durch  die  Agende,  welche  erst  in  seinem  Todesjahr 
erschien ,  ein  mehr  geordnetes  Kirchenwesen  zustande 
kam,    sorgte  Grallus    (nachweislich  seit  1556)  eingehend  für 


1)  Es  ist  das  der  alte  Wahn  der  Römischen,  dem  auch  der 
neuere  Eomanismus  und  desgleichen  Janssen  in  seiner  Geschichte 
des  deutschen  Volkes  huldigt :  es  sei  besser,  von  einem  großen  Tyrannen 
regiert  zu  werden,  als  von  vielen  kleinen.  Janssen  wird  nicht  müde, 
die  Hoffnungen  der  Evangelischen  zu  verspotten,  gleichsam  durch 
einen  papiernen  Papst  (ein  einheitliches  Lehrcorpus)  den  wirklichen 
Papst,  der  im  Tridentinum  mit  Hilfe  der  Jesuiten  triumphierte, 
zu  überbieten.  Wir  gönnen  ihm  das  Vergnügen ,  durch  eine  in 
Hohn  und  Geifer  getauchte  Feder  die  Kirchengeschichte  des 
XVI.  Jahrhunderts,  so  weit  sie  die  Protestanten  betrifft,  illustriert 
zu  haben.  Wir  sind  die  ersten,  die  von  Luther  an  bis  zum  letzten 
Prediger  dieses  Zeitalters  8ünden  und  Irrtümer  zugeben  und  für 
keinen  Menschen  Unfehlbarkeit  beanspruchen.  Es  fragt  sich  aber 
nur,  was  die  Apostel  für  einen  Ausblick  in  die  Zukunft  uns  er- 
öffnet haben,  ob  sie  eine  Papstkirche  oder  eine  mühsam  durch  den 
Widerstand  dieser  Welt  einen  Weg  sich  bahnende  Kirche  im  Auge 
hatten.  Da  wissen  wir  nun,  daß  sie  in  den  letzten  Zeiten  viele 
Antichristen  aufstehen  sahen  (I.  Tim.  4,  ] — 6;  1.  Joh.  2,  19; 
4,  1—4;  Apostelgesch.  20,  30;  Rom.  16,  17,  desgleichen  die  Offen- 
barung Johannis  in  ihrem  Urteil  über  die  7  Gemeinden).  Wir 
sehen  da  überall,  daß  das  Evangelium  nicht  Frieden  in  äußerlicher 
Weise ,  sondern  weit  eher  Krieg ,  nicht  Sieg ,  sondern  zeitliches 
Unterliegen,  mit  anderen  Worten  erst  eine  ecclesia  militans  und 
dann  hernachmals  eine  triumphans  verkündet  hat.  Kurz,  wir 
meinen,  das  Bild,  welches  die  evangelische  Kirchen geschichte  bietet, 
entspricht  wohl  jenem,  das  die  Apostel  sich  in  Voraussicht  mensch- 
hcher  Fehlbarkeit  und  Sünde  entworfen  haben.  Keineswegs  stimmt 
mit  letzterem  jenes  andere  Bild  überein,  welches  von  jeher  die 
römischen  Kirchenlehrer,  obenan  der  Papst  und  die  Jesuiten,  in 
ihrem  Kopfe  sich  von  der  Kirche  Christi  gemacht  haben.  Selbiges 
Bild  steht  vielmehr  ganz  außerhalb  und  neben  der  heiligen  Schrift. 


—     191     — 

Österreich.  David  Chyträus,  der  ihn  in  den  Briefen  als 
seinen  verehrten  Lehrer  anredet,  rühmt  ihm  nach\i,  daß  er  ,.to- 
tius  viciniae,  Austriae  et  Stiriae  ecclesias  emendavit,  doctrina 
et  consiliis  suis  pie  et  fideliter  erudiit  et  gubernavit".  Grenzen- 
los war  das  Vertrauen  der  Herren  vom  Adel,  gewisser 
Magistrate  und  vieler  Prädikanten  zu  ihm;  unter  letzteren 
ragt  besonders  Christoph  Reuter,  der  treue  Ausführer  seiner 
Ratschläge,  hervor.  Gallus  war  unermüdlich,  allen  an  ihn 
gerichteten  Gesuchen  um  Prüfung  und  Ordination  zu  ent- 
sprechen. Nur  die  von  ihm  Ordinierten  seien  gut,  so  lautete 
das  Votum  eines  Pfarrers  aus  Ober-Österreich,  und  diese 
Überzeugung  teilten  viele  der  Herren  und  Patrone.  Diese 
angesehene  Stellung  des  Gallus  bewirkte,  daß  auch  nach  seinem 
Tode  dem  Wolfgang  Waldner  und  dem  in  Thüringen  ent- 
setzten Rosinus  ein  gleiches  Zutrauen  geschenkt  wurde.  Ja, 
es  wurde  Regel,  daß  bis  ins  folgende  Jahrhundert  hinein 
junge  Leute  auf  Kosten  der  Stände  behufs  Prüfung  und 
Ordinierung  am  liebsten  nach  Regensburg  gesandt  wurden. 
Die  Ausweise  hat  das  Regensburger  Archiv  uns  hinterlassen. 

Die  Weite  von  Gallus'  Interessensphäre  zeigen  folgende 
Notizen  aus  den  Regens  burger  Akten.  Auf  Reuters  Mit- 
teilung, daß  Herr  von  Weispriach  sich  der  Juden,  deren 
er  viele  auf  seinen  Gütern  hatte,  in  der  Weise  anzunehmen 
gedenke,  daß  er  sie  „zur  Predigt  zwinge",  in  der  Hoffnung, 
etliche  zu  gewinnen,  antwortet  Gallus  ablehnend  (Aug.  1568): 
„Es  Judentzt  doch  imer  mit,  do  man  gleich  Religion  fürwendt, 
vnnd  wenns  also  ist,  so  ist  vmb  souil  grösser  sünde,  vnnd 
mehr  ergerlich"  ^j. 

Am  Schlüsse  des  Tridentiner  Konzils  wagte  er  es  im 
Verein  mit  Flacius,  in  großem  Stil  dem  Romanismus  zu 
opponieren  (Aug.  1563;.  Er  übersandte  mit  einem  Schreiben 
dem  römischen  König  Maximilian  eine  gedruckte  Protesta- 
tion ^j,  von  verschiedenen  Predigern  der  reinen  Lehre  unter- 


1)  Saxonia,  ed.  1599,  S.  399. 

2)  R.  A.  Eccle.s.  XXXVI,  St.  13  u.  14. 

3)  Vgl.  Präger  II,  S.  27.5. 


-     192    — 

schrieben,  gegen  das  Konzil  (contra  Conventum  Triden- 
tinum).  In  dem  Begleitschreiben  wurde  der  König  in  be- 
redten Worten  aufgefordert,  dem  in  die  Welt  einziehenden 
Christus  die  Thüren  zu  öffnen  und  dem  in  größter  Ehr- 
furcht Aufgenommenen   zu  huldigen. 

Von  seinen  Werken  nennen  wir  zu  den  von  Preger  im 
Anhang  zu  Flacius'  Leben  angeführten  noch  folgende :  einen 
Katechismus,  ferner,  mit  W.  Waldner  zusammen,  ein  kurzes 
„Bekenntnis"  (Regensburg  1562),  das  Buch  De  libero  arbi- 
trio,  dessen  oben  gedacht  wurde,  und  folgende  Predigten: 
„Ad  Romanos"!),  ,Jn  Epistolam  Johannis"  ;  zwei  Predigten 
wider  den  Wucher,  1569  gehalten,  aber  erst  1572  erschienen, 
„De  feste  Corporis  Christi",  dann:  „Wider  die  Kalumnien 
des  Staphylus",  endlich  zahlreiche  Gutachten  und  Schrift- 
stücke im  großen  Stil  an  Fürsten  und  Städte. 

Nur  zu  früh,  erst  54  Jahre  alt,  starb  Gallus,  nachdem 
er  schon  öfter  von  schwerer  Krankheit  heimgesucht  worden 
war  2).  Um  von  Steinbeschwerden  und  Podagra  Linderung 
zu  suchen,  begab  er  sich  im  Jahre  1570  ins  Zellerbad 
(bei  Liebenzell  in  Württemberg).  Hier  nahte  ihm  der 
Tod.  Der  Geistliche,  der  dem  Sterbenden  am  14.  Juni 
1570  dort  das  Abendmahl  reichte,  nahm  ihm  ein  förmliches 
„letztes  Bekenntnis"  ab  3):  daß  er  in  der  Lehre,  die  er 
bisher  in  Amt  und  Schrift  geführt,  bleibe,  daß  er  sein 
Vertrauen  allein  auf  Jesum  Christum  setze,  und  daß  er 
im  Nachtmahl  die  wahrhaftige,  wesentliche  Gegenwärtig- 
keit   des  Leibes   und  Blutes  Christi    glaube*).     Auf   dieses 

1)  Von  Waldner  in  einem  Briefe  erwähnt. 

2)  Solches  erhellt  aus  einem  Brief  des  ihm  befreundeten  Arztes 
Martin  Stopius  aus  Linz  vom  Jahre  1558  {Eegensburger  Stadtarchiv, 
Ecclesiastica  I,  No.  XVIII,  Z.  54). 

3)  S.  SerpiUus,  Diptych.  Reginsburg.,  S.  35  ff. 

4)  Also  die  apToXarpew,  welche  Melanchthon  höchst  unmotiviert 
seinem  Gegner  (z.  B.  Corp.  Ref.  IX,  1080)  vorwarf,  traf  den  Gallus 
gewiß  nicht,  und  ebensowenig  auch  die  Verfasser  des  Konfutations- 
buches  (Flacius  cum  suis;  s.  Corp.  R.  IX,  765).  Er  verwarf,  wie 
die  Wittenberger,   die  Lutheraner  der  flacianischen  Partei,  und  die 


—    193    - 

Bekenntnis,  dessen  Wortlaut  hernach  der  Leichenprediger 
seiner  Regensburger  Gemeinde  als  sein  letztes  Vermächtnis 
übermittelte,  starb  er.  Seine  Gattin  —  es  war  die  dritte 
Frau  —  ließ  die  Leiche  nach  Regensburg  überführen,  wo 
am  24.  Juni  die  feierliche  Beisetzung  erfolgte. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zu  der  Hauptsache,  zur  Beur- 
teilung des   Verhältnisses  des  Gallus  zu  Melanchthon. 

Dem  Gallus  ist  keinesfalls  Undank  gegen  diesen 
seinen  Lehrer  und  Förderer  vorzuwerfen.  Er  nahm  sich 
in  seinem  Streit  mit  Melanchthon  nur  die  Verteidigung  der 
Wahrheit  zur  Richtschnur,  und  man  kann  nicht  sagen,  daß 
er  oder  seine  Kampfgenossen  in  Briefen  oder  öffentlichen 
Schriften  den  alten  Lehrer  geflissentlich  beleidigt  hätten. 

Leider  kann  das  Gleiche  nicht  von  Melanchthon  gesagt 
werden  in  seinem  Verhältnis  zu  Gallus,  besonders  um  die 
Zeit,  als  es  sich  handelte,  den  durch  das  Interim  gestörten 
Frieden  auf  Grund  fester  Bedingungen  herzustellen  (1556). 
Die  Einigungsversuche,  besonders  des  Flacius'  Schrift:  „Von 
der  Einigkeit"  i),  hatten  Melanchthon  außer  Fassung  gebracht. 
Er  sah  alles  als  böswillige  Verleumdung  und  persönlichen 
Ehrgeiz  an ;  und  wie  von  Flacius  dachte  er  von  dem  fernen 
Gallus  2).  Aber  sein  gewaltiger  Unwille  gegen  letzteren 
kann  nicht  lediglich  durch  eine  oder  die  andere  briefliche 
Äußerung  des  Gallus  hervorgeruien  sein.  Es  war  viel- 
mehr der  gewaltige  Ärger  darüber,  daß  ihn  Gallus  bezüg- 
lich des  freien  Willens  ^)  wie  zuvor   bezüglich  des  heiligen 


Eeformierte,  die  Theorie  der  Tübinger  (Ubiquität),  mit  welcher  diese 
seit  1559  die  lutherische  Doctrin  vom  heiUgen  Abendmahl  zu  stützen 
suchten.    Vgl.  Sudhof:  C.  Olevianus  u.  Z,  Orsinus,  S.  198. 

1)  „Von  der  Einigkeit  derer,  so  fiu-  und  wider  die  Adiaphora  in 
vergangenen  Jahren  gestritten  haben,  christlicher,  einfältiger  Bericht, 
sehr  nützlich  zu  lesen",  Magdeburg  1556,  8".  Flacius  fordert, 
Melanchthon  und  seine  Freunde  sollen  Schuld  bekennen. 

2)  C.  E.  VIII,  S.  828. 

3)  C.  R.  VIII,  S.  747;  Brief  Älelanchthons  an  Mathesius, 
1.  Mai  1556:  GaUus  in  ripa  Tstri  de  libero  arbitrio  dicitur  mecum 
pugnare. 

13 


—     194     - 

Abendmahls  ^)  an  den  früheren  Standpunkt  erinnerte,  den 
er  mit  Kraft  eingenommen,  jetzt  aber  verlassen.  Wenn 
Gallus  ihm  vorwarf,  daß  er  das  Buch  Luthers  „De  servo 
arbitrio"  nicht  beibehalte  2),  so  antwortete  er :  „Also  du  ver- 
theidigst  die  stoische  Notwendigkeit  (An  tu  defendis  sto- 
icam  necessitatem)  ?"  Und  als  Gallus  eine  neue  Schrift  „De 
libero  arbitrio"  herausgegeben,  da  nennt  er  ihn  in  einem 
Briefe  ^)  an  Georg  Agricola  in  Amberg  (vom  22.  Sept.  1559) 
einen  Polyphem,  der  über  die  „Notwendigkeit"  ein  Lied  an- 
stimme. Ja,  er  bemerkt  sogar,  daß  die  stoischen  Paradoxien 
des  Gallus  dem  König  Maximilian,  auf  dessen  Urteil  er 
Wert  lege,  mißfallen  hätten   (25.  Sept.   1559)4). 

Man  kann  mit  Recht  sagen,  daß  Regensburg  von  1553 
bis  1570  die  Stadt  des  Gallus  gewesen  sei.  Freilich  werden 
solche  Verdienste,  wie  er  sie  hatte,  nicht  in  ein  goldenes 
Buch  geschrieben,  sondern  gar  bald  vergessen.  Auf  Grund 
von  Verzeichnissen  der  „im  Stift  Salzburg  beschwerten 
Personen"  steht  auch  C.  Fr.  Arnold  nicht  an,  Gallus 
den  Versorger  und  Berater  der  verfolgten  salzburgischen, 
österreichischen  und  ba3'rischen  Gemeinden  zu  nennen,  zu- 
gleich aber  auch  einen  Anhänger  des  Flacius,  aus  welchem 
Umstand  die  Feinde  bis  ins  achtzehnte  Jahrhundert  Kapital 
geschlagen  hätten  ^). 

Besonders    steht    fest,    daß    durch    diesen    Mann    die 


1)  C.  R.  VIII,  S.529.  Gallus  gab  1554  einen  Neudruck  einer 
alten  Schrift  Melanchthons  gegen  Oekolampad :  „Melanch.  sententiae 
vetermn  aliquot  scriptorum  de  coena  domini,  cum  praefat.  Nie.  Galli'', 
Eatisb.  1554,  heraus.  Hierauf  nennt  Melanchthon  ihn  Thersites 
ßatisponensis. 

2)  Nach  Melanchthons  Schreiben  an  Gallus  vom  1.  Dez.  1556. 
C.  R.  VIII,  S.  916. 

3)  C.  R.  IX,  S.  925. 

4)  Am  Hofe  kursierten  also  solche  Bücher  wie  jenes  des  Gallus. 

5)  Vergl.  Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgesch.  XVIII, 
2 :  Die  Ausrottung  des  Protestantismus  in  Salzburg  unter  Erz- 
bischof Firmian  etc.   S.  12.    Von  C.  Fr.  Arnold,   Prof.  in  Breslau. 


1 


-     195     — 

Reformationsbewegung    in  Bayern    kräftigen  Anstoß   erhielt 
und  daß  die  um  des  Glaubens  willen  Vertriebenen  bei  ihm 
Zuflucht    und    Rat    fanden,     wie    nicht    minder   bei    seinen 
Kollegen. 

Als  im  Jahre  1563  der  Streit  des  Herzogs  von  Bayern 
mit  dem  Grafen  Joachim  von  Ortenburg  wegen  der  evan- 
gelischen Predigt,  die  von  Ortenburg  ausging  und  ,,halb 
Niederbayern  in  seinem  katholischen  Glauben  beunruhigte"  i), 
ausbrach,  kam  es  zu  Gewaltmaßregeln.  Der  Herzog  nahm 
die  in  Bayern  gelegenen  Güter  des  Grafen  unter  ungerechtem 
Vorwand  2)  in  Beschlag,  ließ  Ortenburg  besitzen  und  ver- 
trieb am  25.  Febr.  1564  die  evangelischen  Geistlichen  J.  F. 
Cölestin  und  seinen  Gehilfen  Thomas  Rechner,  die  er  eid- 
lich verpflichtete,  nicht  frei  im  Lande  zu  predigen.  Aus 
dieser  Zeit  finden  sich  interessante  Briefe,  die  zwischen 
Regensburg  und  den  also  gemaßregelten  Geistlichen,  besonders 
Cölestin  und  seinem  Nachfolger  Rorarius ,  gewechselt 
wurden.  Auch  mit  dem  Grafen  von  Ortenburg  stand  Gallus 
in  Korrespondenz. 

Johann  Friedrich  Cölestin,  1562  aus  Jena  vertrieben, 
fand  zeitweise  bei  dem  fürstlichen  Gymnasium  zu  Lauingen 
in  Pfalz-Neuburg  eine  Anstellung.  Sodann  war  er  in  der 
Grafschaft  Haag  thätig.  Hier  hatte  Kaspar  Franck  zuerst 
reformiert,  ein  Meißner  von  Geburt,  der  durch  besondere 
Beredsamkeit  die  Religionsänderung  zustande  brachte.  Nach 
dem  Tode  des  Grafen  Ladislaus  geriet  die  Grafschaft 
in    die    Hände    des   Herzogs    Albrecht,    und   dieser   begann 


1)  Nach  Aretin,  Maximilian  v.  Bayern,  I,  134. 

2)  Ungerecht  war  die  Beschuldigung,  daß  Joachim  und  seine 
Prediger  Propaganda  in  Bayern  geübt,  da  sie  doch  vielmehr  den 
Zulauf  von  Leuten  aus  fremdem  Gebiet  ernstlich  zu  verhüten  suchten. 
Ebenso  unrichtig  war,  daß  sie  bei  der  Religionsänderung  unordentlich 
zu  Werke  gegangen  wären,  und  endlich,  daß  sie  durch  einen  unkonse- 
crierten  Prediger  das  Abendmahl  hätten  reichen  lassen,  wo  doch 
J.  F.  Cölestin  gewiß  ordiniert  war.  (Vergl.  Mehrmann,  Geschichte 
Ortenburgs,  S.  27.) 

13* 


-     196     - 

alsbald    mit    der    Contrareformation.      Kaspar   Franck    hat, 
nachdem  er  abgefallen,  dabei  als  Werkzeug  gedient  i). 

Von  Haag  aus  hatte  Cölestin  Gelegenheit ,  auch  dem 
Grafen  von  Ortenburg  gute  Dienste  zu  leisten ,  ja  zeit- 
weilig sich  ganz  der  Einführung  des  Evangeliums  in 
Ortenburg  zu  widmen.  Als  nun  der  Herzog  von  Bayern 
den  Grafen  vertrieb,  indem  er  Ortenburg  besetzte  (Ende 
Dezember  1563),  mußte  auch  Cölestin  Urfehde  schwören, 
was  ihm  von  vielen  sehr  verdacht  wurde,  und  fand 
Unterkunft  hart  an  der  bayrischen  Grenze  in  Oberösterreich 
bei  Gundakar  von  Starhemberg.  Von  hier  aus  schreibt  er 
wiederholt  Briefe  an  Gallus  und  Flacius,  auch  im  Namen 
des  Ortenburger  Grafen,  um  mit  ihnen  wichtige  Nachrichten 
auszutauschen.  Man  hatte  die  Korrespondenz  des  Grafen  auf 
Mattigkofen,  einem  seiner  Schlösser  gefunden,  wie  Cölestin, 
Juni  1564,  nach  Regensburg  2)  meldet,  und  der  Herzog 
von  Bayern  wollte  ihm  nun  den  Hochverratsprozeß  machen. 
Cölestin  warnt  die  Regensburger,  weil  auch  von  ihnen  Briefe 
gefunden,  und  ermahnt  sie  zu  Fürbitte  für  die  verfolgte 
Kirche  und  den  Grafen.  Man  wolle  sich  über  die  Antwort 
an  den  bayrischen  Herzog  verständigen,  damit  man  nicht 
in  Widersprüche  gerate.  „Gott  helfe  uns,  die  Sache  ist  gut 
und  gerecht,  wenn  auch  Menschliches  mit  unterlaufe.  Gott 
wolle,  um  seiner  Kirche  willen,  der  alles  zum  besten  dienen 
muß,  diese  schwerste  Gefahr  lindern,  zu  Ehren  seines  Namens 
durch    Christum     unsern     Herrn  3)".      Zugleich    unterstützte 

1)  S.  Raupach,  Presbyt.  Suppl.  S.  10,  und  Mehrmann,  a.  a.  O. 
S.  30,  32.  J.  Fr.  Cölestin  hat  später  gegen  Mag.  K.  Franck,  der  Pro- 
fessor der  Theologie  und  Stadtpfarrer  in  Ingolstadt  geworflen,  eine 
Widerlegung  geschrieben  (1568). 

2)  ß.  A.  Eccles.  No.  XXIII,  Z.  115. 

3)  In  einem  Brief  an  GaUus  aus  dem  Exil  in  Österreich  (da- 
tiert vom  April  1563  vom  Schlosse  Gundakars  von  Starhemberg) 
schreibt  Cölestin,  in  Österreich  leuchte  das  Licht  des  Evangeliums, 
aber  die  Parteinahme  der  Adiaphoristen  (Adiaphoristarum  prosopo- 
lepsia)  halte  die  meisten,  sowohl  von  den  Herren  und  Baronen,  als 
auch  von  den  pastores  wie  mit  einem  Bann  gefesselt.  „Dominum 
misereat  nostri"  (R.  A.  Eccles.  No.  XXIII,  Z.  115). 


—     197     — 

Cölestin  die  Sache  des  Grafen  durch  Schriften,  in  welchen 
er  zum  Teil  auch  seinen  eigenen  theologischen  Standpunkt 
verteidigt,  nachdem  die  Gegner  ihn,  wie  sie  auch  sonst 
zu  thun  liebten,  als  sektisch  bei  dem  katholischen  Fürsten 
verleumdet  hatten.  Er  schrieb  unter  anderem  eine  Trost- 
schrift an  die  geplagte  Kirche  von  Ortenburg,  Haag  und 
Neuburg  (1564),  auch  eine  Rechtfertigung  seines  an  Baj'ern 
geschworenen  Eides,  und  die  Regensburger  beförderten 
solches  zum  Di'uck  und  zur  Weiterverbreitung  ^j.  Überdies 
stützten  sie  den  Ortenburger  Grafen,  der  wegen  Majestäts- 
beleidigung und  Meuterei  verfolgt  wurde  und  dessen  Güter 
ihm  bis  1566  vorenthalten  wurden,  mit  Rat  und  That.  In- 
zwischen stärkten  Cölestin  und  Rorarius  die  verlassene 
Gemeinde.  Letzterer  wagte  es  sogar,  mit  Erlaubnis  seines 
Fürsten,  des  Herzog  Wolfgang  von  Pfalz-Neuburg,  vom 
April  bis  August  1564  sich  in  Ortenburg  im  Dienste  der 
Gläubigen  aufzuhalten  2).  So  schreibt  er  am  13.  April  ^) 
an  seine  Hausfrau,  es  hätten  450  Personen  am  11.  bei  ihm 
kommuniziert.  Auf  seiner  Rückkehr  nach  Pfalz-Neviburg 
wurde  er  gefangen  genommen  und  mußte  Urfehde  schwören. 
Dieser  Thomas  Rorer  oder  Rörer,  Prediger  zu  Renhartz- 
hofen  ^)  in  Pfalz-Neuburg ,  nahm  überhaupt  werkthätigen 
Anteil  daran,  Bayern  von  der  Finsternis  des  Papsttums  zu 
befreien.  Schon  an  26.  Februar  1563  bittet  er  Gallus,  er 
möge  den  Druck  seiner  Erwiderung  auf  Eisengreins  Predigt 


1)  Noch  1567  ist  Cölestin  iu  lebhaftem  Schriftenkamjjf  und 
bietet  von  Lauingen  aus  den  Regensburger  Freunden  Manuskripte 
an  (1.  Oktober),  und  zwar  im  Dienste  der  eigenen  Partei  unter  dem 
Titel:  „Prüfung  des  sakramentirischen  Geistes"  und  „Anatomia  des 
Papsttums",  zur  Abwehr  eines  jesuitischen  Schriftstückes.  Herzog 
Wolfgang  steht  ganz  zu  seiner  Partei  (R.  A.  Eccles.  No.  XXXV, 
Z.  45). 

2)  Mehrmann,  a.  a.  O.    S.  109. 

3)  R.  A.  Eccles.  No.  XXIII,  Z.  119. 

4)  Jetzt  Rennerzhofen,  wohl  in  der  Nähe  von  Cham  gelegen. 
An  die  Pfleger  dieser  Stadt  schreibt  er  1563  eine  geistliche  Er- 
mahnung, welche  Raupach  (Presbyt.,  S.  153  Anra.)  noch  gekannt  hat. 


—     198    - 

bei  Geisler  befürworten.  Dabei  urteilt  er  über  die  damalige 
Lage  folgendermaßen  1) :  „In  unserm  fürstenthumb  ist  wol, 
gott  sei  lob,  nicht  sonders  schwermerey,  aber  nicht  mehr 
so  ein  eifer.''  Mit  diesem  Fürstentum  ist  Pfalz-Neuburg 
gemeint,  welches  Kurfürst  Ottheinrich  1557  dem  Herzog 
Wolfgang  von  Zweibrücken  nebst  Sulzbach  überließ.  Das 
Lob  des  vormaligen  Eifers  trifft  also  die  Zeit  des  Ott- 
heinrich, des  für  die  Reformation  ohne  Nebenabsichten  be- 
geisterten Fürsten.  Von  solcher  Unbefangenheit  hatte 
freilich  Herzog  Wolfgang  nichts  mehr,  der  vielmehr  nach 
den  heute  vorliegenden  Quellen  ein  ländergieriger  und  eifer- 
süchtiger Mann  gewesen  sein  muß  2).  Unter  ihm  kam  die 
Schule  zu  Lauingen  in  Blüte,  an  welcher  als  Professoren 
Cölestin  und  Melissander  wirkten,  wo  Pfauser  Hofprediger 
war,  und  die  lange  Zeit  gegenüber  den  jesuitischen,  in 
Bayern  überhand  nehmenden  Schulen  das  protestantische 
Interesse  vertrat.  In  Neuburg  selber  wirkten  Heshusius  und 
auch  andere  Eiferer,  welche  der  neue  Kurfürst,  Friedrich  III., 
des  Friedens  wegen  aus  Heidelberg  entlassen  hatte. 

Wir  werden  nun  wahrnehmen,  wie  zwischen  Lauingen, 
Neuburg  und  Regensburg  fort  und  fort  ein  reger  Verkehr  auf 
der  Donau  stattfand,  welcher  sich  dann  bis  Linz  und  Wien 
erstreckte  und  auch  im  Norden  seine  Verzweigungen  hatte 
(besonders  in  Mansfeld,  wo  Cj^r.  Spangenberg  die  Freunde 
mit  Nachrichten  und  Rat  bediente,  und  alles  aufgeboten  wurde, 
um  den  bayrischen  Maßregeln  zur  Rekatholisierung  des 
ganzen  Landes  entgegenzuwirken)  ^).  Durch  Pfauser  wirkte 
man  dabei  gelegentlich  auch  auf  Maximilian,  was  aber  kaum 


1)  E.  A.  Eccles.  No.  XXIII,  Z.  36. 

2)  Vgl.  Kluckhohn,  Briefe  Friedrichs,  I.  S.  563. 

3)  Aus  Thüringen  erhoffte  der  Ortenburger  Graf  Prediger  für 
seine  Gemeinden ;  z.  ß.  Martin  Wolf  in  Helfta  war  berufen.  Dieser 
schreibt  am  12.  Mai  1565  an  Gallus  und  lUyricus,  daß  er  sich  für 
seiae  Entschließungen  noch  Aufschub  beim  Grafen  erbitte,  da  seine 
Frau  dem  Umzug  so  sehr  widerstrebe,  obwohl  er  selbst  gern  „seinen 
alten  Schelm"  an  den  Antichrist  in  Bayern  wagen  wolle. 


—     199     - 

viel  praktischen  Nutzen  hatte.  Nach  Lauingen  schickten 
die  Regensburger  und  auch  österreichische  Adelige  ihre 
Söhne,  auch  Gallus  und  "Waldner  selbst,  wodurch  ein  reger 
schriftlicher  Verkehr  und  Gedankenaustausch  entstand.  So 
bildete  denn  hier  im  Süden  die  Donau  mit  jenen  Städten 
einen  Cordon,  der  in  dem  ausgebrochenen  Kampfe  wichtige 
Dienste  that  gegen  die  Römischen  und  zur  Stärkung  des 
evangelischen  Standpunktes,  besonders  auch  in  Osterreich, 
diente.  Von  Tübingen  aus  half  Melissander,  der  auch 
vorübergehend  in  Österreich  bei  Gundakar  v.  Starhemberg 
war  und  gern  eine  bleibende  Anstellung  dort  gefunden 
hätte.  In  Öttingen  wieder  war  Alexander  Bresnicerus,  der 
aus  Jena  Vertriebene ,  Superintendent  geworden ,  dessen 
Tochter  am  30.  Januar  1565  den  Cölestin  heiratete.  Zu 
dieser  Hochzeit  war  auch  Rorer  geladen.  Dieses  innige 
Zusammenhalten  der  evangelischen  Prediger  war  ein  großes 
Glück,  denn  zufolge  der  gewaltthätigen  Politik  des  Herzogs 
Albrecht,  der  den  Widerstand  der  Stände  zugleich  mit  der 
durch  sie  geforderten  Religionsfreiheit  brach  (1563  auf  dem 
Landtage  von  Ingolstadt),  stand  für  die  Protestanten  alles 
auf  dem  Spiel.  Damals  war  es  auch,  daß  Graf  Joachim 
von  Ortenburg,  der  für  die  Freigabe  der  Augsburger 
Konfession  mit  43  anderen  vom  Grafen-,  Herren-  und  Jlitter- 
stande  sich  einsetzte,  den  Zorn  des  Herzogs  sich  zuzog  und, 
wie  gesagt,  Ende  1563  in  die  Verbannung  ziehen  mußte. 
Ohne  den  Schutz  jener  beständig  gebliebenen  Vororte  des 
Protestantismus  wäre  Ortenburg  wohl  nicht  dem  evan- 
gelischen Glauben  erhalten  geblieben  und  hätte  das  Los 
der  Grafschaft  Haag  geteilt,  die  nach  dem  Aussterben 
der  gräflichen  Familie  schutzlos  dem  Herzog  und  seinen 
Jesuiten  preisgegeben  war.  Zur  Ausführung  ihrer  Pläne 
erbot  sich  Kaspar  Francus,  der  selbst  anfänglich  hier 
das  Evangelium  verbreitet  hatte  ^). 

1)  S.  Raupach,  Presbyt.,  Suppl.  S.  16.  Ihn  nennt  Cölestin  mit 
Anspielung  auf  Psalm  80,  14  gelegentlich  das  Haagsche  Schwein 
(Reg.  St.  Eccl.  I,  No.  XXIII,  Z.  71). 


—     200    — 

Zu  Ortenburg  aber  blieb  das  Evangelium  in  Kraft 
bis  auf  den  heutigen  Tag;  ja  im  17.  Jahrhundert,  als 
auch  die  Habsburger  den  Witteisbachern  mit  der  Nieder- 
werfung des  Protestantismus  es  gleich  thaten,  fanden  ver- 
triebene Österreicher  in  Ortenburg  gastliche  Aufnahme,  wie 
nicht  minder  in  den  anderen  großen  protestantischen  Städten 
des  Südens,  Nürnberg,  Regensburg  etc.  Wir  nennen  hier 
nur  die  Familie  des  Erasmus  von  Starhemberg,  die  in  Orten- 
burg ein  Asil  fand,  wo  dann  1631  seine  Gattin  starb  i). 
Auch  Barthelmae  Khevenhüller  fand  auf  seiner  Rückfahrt 
aus  Wien  nach  Nürnberg  am  28.  Juni  1678  in  Ortenburg 
sein  Grab  2). 

Der  nächste   Nachfolger  des  Gallus  als  Superintendent 
war  Josua  Opitz  (geb.   1542).     Er  war  in  Gera  als  Diakon 
angestellt  und  hat  die  bekannte  Konfession,  die  nach  dieser 
Stadt  den  Namen  trägt,  mitunterschrieben.     1571,  also  erst 
29  Jahre  alt,  wurde  er  nach  Gallus'  Tode  zum  Oberpfarrer 
oder   Superintendenten    erwählt.     An    seiner    Seite  wirkten 
Hieronymus  Peristerius  und  Wolfgang  Viereckel.    Alle  drei 
wurden    1574,    weil    sie    an    der    fiacianischen    Definition 
der    Erbsünde    festhielten    und    sie    von    der    Kanzel    ver- 
teidigten, ihrer  Ämter  entsetzt.   Opitz  fand,  seiner  besonderen 
Gaben"  wegen,  Anstellung  als  Landschaftsprediger  in  Wien. 
Von    dort  1578   vertrieben,    fand    er    nach   langem  Umher- 
wandern   ein  Pfarramt   in  Büdingen  im  Isenburgschen,    wo 
er  segensreich  wirkte    und  1585  starb.     Der    zweite  Nach- 
folger des  Gallus  war  der  bekannte  Barthol.  Rosinus.    Dieser, 
geboren  zu  Pößneck  im  Vogtland   1520,  hatte  unter  Luther 
und  Melanchthon  in  Wittenberg  studiert  und  war  daselbst 
Magister    geworden;    dann    wurde    er    Rektor    und    später 
Diakon  zu  Eisenach,  1559  Superintendent   zu  Weimar  und 
fürstlich   sächsischer  Beichtvater.     Er  wurde  1562  mit  den 
40    strenglutherischen    Geistlichen    vertrieben,    wovon    ein 


1)  Vgl.  Schwerdling,  Geschichte  des  Hauses  Starhemberg. 

2)  Vgl.  Czerwenka,  Die  Khevenhüller,  S.  546. 


—    201     — 

eigener  Brief  handelt  ^  i.  Er  erhielt  1 565  im  fürstlich  schön- 
burgischen  Waidenburg  eine  Anstellung  und  hielt  bei  Er- 
öffnung der  Landesschule  in  Geringswalde  am  4.  Juli  1566 
die  Festrede. 

Als  Johann  Wilhelm  Herr  von  Thüringen  geworden  ^), 
wurde  neben  Bresnicer  und  Wolf  auch  Rosinus  wieder  an 
seine  alte  Stelle  berufen.  Auf  dem  zur  Wiederherstellung 
des  Friedens  zwischen  den  kursächsischen  und  thüringischen 
Landen  gehaltenen  Kolloquium  zu  Altenburg  (1568),  wo  sich 
der  ganze  Haß  Augusts  auf  Flacius  konzentrierte,  war  er  neben 
J.  Fr.  Cölestin  und  Irenäus  Hauptteilnehmer  Er  wünscht, 
daß,  falls  Wigand  ausbleibe,  entweder  Gallus  oder  Heshusius 
als  Kollokutoren  berufen  würden,  „damit  die  Wahrheit 
keinen  Schaden  leide".  Überhaupt  dringt  er  mit  seinen 
Freunden  auf  gänzliche  Umwandlung  im  Weimarischen  (Visi- 
tation und  Rückberufung  der  Vertriebenen).    Noch  in  Alteu- 


1)  Dieser  Brief  (vom  11.  Jänner  15(33,  R.  A.  Ecc.  I,  No.  XXIil, 
Z.  34)  ist  an  seinen  Verwandten,  den  Protonotar  Johann  Linde  in 
Regensburg,  gerichtet  und  zeigt  uns  das  ganze  Elend  jener  Jahre  in 
Thüringeü.  Vom  Hofe  aus  wurde  4  ganze  Tage  lang  durch  vier 
Theologen  auf  Rosinus  eingewirkt,  daß  er  den  „synergistischen  Sauer- 
teig der  Viktorinischen  Deklaration"  annehme,  dann  die  Superinten- 
dentur,  endlich  das  Pfarramt  ihm  abgenommen,  worauf  er  über  die 
Winterszeit  auf  eigene  Kosten  in  Erfurt  samt  seiner  Familie  leben 
mußte.  Sein  Schicksal  teilten  andere  Geistliche.  Von  den  übrigen 
sagt  er,  daß  sie  des  Bauches  wegen  der  Kirche  Heil  imd  die  Er- 
haltung der  Wahrheit  hintansetzten.  Er  sieht  die  schlimmsten 
Folgen  für  Thüringen  daraus  hervorgehen.  Den  Hochmut  gewisser 
Höflinge  und  die  allgemeine  Sicherheit  der  Menge  giebt  er  als  Ur- 
sache dieses  Verfalles  an. 

2)  Schon  als  derselbe  im  Februar  1565  durch  einen  Teilungs- 
vertrag Gotha  erhielt,  schrieb  er  dem  Rosinus:  „So  Ir  auch  ver- 
traueter  Weise  mit  M.  WoLfio,  den  von  Saltzungen  vnd  andern 
reden  kuntet,  das  sie  sich  nicht  one  vußern  wilen  in  andere  voca- 
tiones  einließen,  were  gar  gut  das  es  geschehen  kunte,  denn  wir 
leute  haben  müssen.  So  Ir  nun  solches  kunt  zuwege  bringen,  thet 
Ir  vns  zu  gnedigem  gefallen."  (Aus  einem  Briefe  Älartin  Wolfs  an 
Gallus  aus  Helfta,  12.  Mai  1565;  R.  A.  Eccles.,  Kasten  D,  Fach  I, 
No.  XXXV,  Z.  61.) 


—     202     — 

bürg  aber  trennt  er  sich,  ohne  darum  seinen  alten  Gegnern 
in  Leipzig  und  Wittenberg  nachzugeben,  von  Flacius,  der 
bald  allein  seinen  Weg  ziehen  muß  ^). 

Unter  der  vormundschaftlichen  Regierung  des  Kur- 
fürsten August  wurde  er  aber  definitiv  in  die  Verbannung 
getrieben  (1574).  Er  ging  zunächst  nach  Stolberg  und  über- 
siedelte von  dort  aus  nach  Regensburg  am  26.  April  1574 -), 
wo  ihn  der  Magistrat  zum  Superintendenten  ernannt  hatte  ^). 

In  Regensburg  entfaltete  er  eine  sehr  eingreifende 
Thätigkeit  und  wirkte  besonders  für  Herstellung  des  durch 
die  Ausweisung  der  Flacius  ergebenen  Prediger  gestörten 
Friedens,  wobei  ihn  Wolfgang  Waldner  unterstützte.  Rosinus 
bereitete  ferner  den  Übergang  zum  Friedensstand  des  Kon- 
kordienzeitalters  vor  und  hielt  zu  Wigand  gegen  Flacius. 
Ersterer  bezeichnet  ihn  in  einem  Briefe  an  Waldner  (Juni 
1574)  als  „pius  doctus  exercitatus  integer  et  mihi  coniunc- 
tissimus" ;  Wigand  wäre  selber  gern  gekommen,  falls  ihn 
der  Regensburger  Senat  während  seines  Exils  berufen  hätte. 
Von  Rosinus'  umfangreicher  Thätigkeit  zeugen  Hunderte 
von  Ordinationszeugnissen,  die  im  Regensburger  Stadtarchiv 
noch  vorhanden  sind.     Er  starb  am  17.  September  1586. 

Rosinus  ist,  wie  viele  anfänglich  zu  Flacius  Haltende, 
später  von  der  Meinung  desselben  zurückgetreten,  ist 
aber  trotzdem  ein  strenger  Bekämpfer  des  Synergismus 
und  also  im  Grunde  mit  Flacius  einig  geblieben.  Selbst 
Andrea '^j    äußert  sich  gegen  Melissander  in  Tübingen  rund 


1)  Vgl.  Preger  II,  338. 

2)  Brief  an  Wolfgang  Waldner,  R.  A.  Eccles.  I,  No.  XXVI, 
Z.  114. 

3)  Anno  1574  den  1.  November  findet  sich  ein  erster  Ordinations- 
akt  von  Eosinus'  Hand  und  zwar  für  einen  Mährer  (Regensb.  Akten, 
Kasten  D,  Fach  I,  No.  XXX,  Z.  5).  Von  da  an  folgen  dann  sehr 
viele  andere  Zeugnisse. 

4)  Propst  und  Kanzler  der  Universität  Tübingen ;  er  befand  sich 
1562  in  Jena,  um  nach  der  Vertreibung  des  Flacius  Frieden  zwischen 
Strigel  und  der  Landesgeistlichkeit  zu  stiften  (s.  über  ihn  Henke  in 
A.  D.  B.,  Bd.  I). 


—     203     - 

heraus  (zwischen  1565  und  1567):  daß  Illyricus  rein  und 
wohl  lehre  und  er  ihn  „für  einen  gelehrten  und  reinen 
Lehrer"  halte.  Was  seine  Privathändel  anlangt,  hätte  er 
linder  handeln  mögen,  doch  nehme  das  der  Lehre  gar 
nichts.  Den  jungen  Flacius  empfing  Andrea  freundlichst 
und  pries  ihm  gegenüber  seinen  Vater  i).  Auch  Cölestin 
erwähnt  solche  versöhnliche  Haltung  Andreas  in  einem 
Briefe  an  Gallus  und  übermittelt  dessen  Grüße  an  Flacius 
(27.  Sept.  1565)2). 

Gleichwohl  aber  warfen  Heshus,  Rosinus,  Andrea  u.  a.  m. 
den  riacius  über  Bord,  um  das  Schiff  zu  retten.  Daß  sie 
darin  treu  gehandelt,  wird  heutzutage  niemand  mehr  be- 
haupten wollen.  Aber  sie  erleichterten  sich  dadurch  die  Er- 
reichung des  Hafens.  Dieser  Hafen  war  das  Koukordienbuch. 

Das  servum  arbitrium  Luthers,  die  Lehre  vom  un- 
freien Willen,  ist  in  jenem  Buche  gewahrt,  und  somit  des 
Flacius  und  Gallus  Lebenskampf  nicht  vergeblich  gewesen. 
Die  dem  Flacius  treu  Gebliebenen  sind  uns  teils  bekannt  (wir 
finden  sie  unter  den  aus  Thüringen  Vertriebenen),  teils  werden 
wir  sie  noch  näher  kennen  lernen. 

Auf  Rosinus  folgte  als  Superintendent  in  Regensburg 
Hagenloch,  1591  — 1608;  diesem  folgte  der  zuvor  auch  in 
Österreich  thätige  Württemberger  Cämentarius,  1608  bis 
1620  3). 

Ein  letzter  kraftvoller  Vertreter  und  Kämpfer  für  das 
„Depositum"  Luthers,  der  auch  im  Verkehr  mit  Gallus 
stand,  ist  Christoph  Irenäus^).  Dieser  war  geboren  zu 
Schweidnitz  1522  und  wurde  Schüler  Trotzendorfs  in  Gold- 
berg. Von  Melanchthon  empfohlen,  übernahm  er  das  Rek- 
torat der  Schule  in  Aschersleben,  nachdem  er  in  Witten- 
berg 1549  magistriert.    1562  ward  er  Pfarrer  zu  Eisleben  und 


1)  E.  A.  Eccles.  I,  No.  XXIII,  Z.  81. 

2)  R.  A.  Eccles.,  Kasten  D,  Fach  I,  No.  XXXV,  Z.  141. 

3)  S.  Eaupach  Presb.,  I,  S.  18,  Suppl.  S.  10. 

4)  Vgl.    Raupach,    Presbyterol.,    S.    69—73,    und    neuerdings 
G.  Bessert  in  der  Prot.  Real-Enkyclop.,   III. 


—     204     — 

schloß  sich  den  Anhängern  des  Flacius  an.  1566  giug  er 
in  den  thüringischen  Kirchendienst  über  i)  und  wohnte  dem 
Altenburger  Gespräch  bei.  Er  ließ  sich  nicht  von  Flacius 
abwendig  machen,  sondern  ist  bis  zuletzt  Gegner  auch  der 
Konkordienformel  geblieben.  Er  mußte  aus  Neustadt  a.  d. 
Orla  weichen,  kam  nach  Mansfeld  und  stand  in  dem  letzten 
friedlichen  Gespräch,  das  1572  mit  Flacius  dort  abgehalten 
wurde,  auf  des  letzteren  Seite.  Er  griff  auch  im  Verein 
mit  Cyr.  Spangenberg  die  Wittenberger  heftig  an,  die  ihm 
mit  gleicher  Münze  begegneten  ^).  Im  Streit  über  die  Lehre 
von  der  Erbsünde,  ob  dieselbe  die  verderbte  Natur  selber 
oder  nur  ein  Accidens  sei,  hat  er  wohl  das  umfangreichste 
Werk  in  drei  Teilen  verfaßt  3).  Zur  Widerlegung  dieser 
Schrift  hat  sich  niemand  verstiegen,  sie  ist  niederschmetternd 
für  den  Synergismus.  Auch  sonst  erschien  Irenäus  als  so 
gefährlich,  daß  er  im  Index  unter  die  Autores  damnati 
primae  classis  gesetzt  wurde. 

Endlich,  nach  längeren  Irrfahrten,  finden  wir  ihn  1581 
in  Österreich,  woselbst  er  die  repetitio  der  zu  Flacius  halten- 
den Prediger  unterschrieben  hat,  und  zwar  als  „exul".  1582 
steht  Irenäus  in  dem  „Christlichen  Bekenntnis  etc."  unter 
den  Unterschriften  obenan  als  Senior,  Prediger  und  Inspektor 
zu  Hörn.  Obwohl  er,  wie  wir  später  hören  werden,  der 
besonderen  Lehre  des  Magdeburgius,  wonach  auch  die 
Leichname    Anteil    an    der    Erbsünde    hätten,    nicht    beifiel, 


1)  Er  nahm  hier  sofort  eine  maßgebende  Stellung  ein  and  be- 
reitete mit  Rosinus  das  Altenburger  Gespräch  und  die  Neuordnung 
der  Dinge  vor,  wie  solches  aus  einem  Briefe  des  Rosinus  an  Gallus, 
Weimar,  17.  August  1568,  ersichtlich  ist  (R.  A.  Eccles.  Kasten  D, 
Fach  I,  No.  XXXVI,  St.  87). 

2)  In  der  Schrift:  „Vom  Flickwerk  M.  Irenäi",  1572. 

3)  „Censuren  und  Urteil  der  heiligen  Propheten,  Christi  und 
der  Aposteln,  mit  Erklärung  Lutheri  (Pomerani,  Philippi,  ßrentii, 
Regii  und  viel  anderer  Theologen)  vom  Streit  über  der  Lehre  von 
der  Erbsünde.  Erstlich  gedruckt  zu  Mansfeld  1574,  4,  und  Anno 
1579  wiederum  übersehen  und  nachgedruckt."  Die  Vorrede  zum 
ersten  Teil  ist  von  Cyriacus  Spangenberg. 


-     205     — 

wurde  er  dennoch  1584  mit  andern  Predikanten  durch 
Dietrich  von  Puchaim  aus  seiner  Stelle  entlassen.  Er  ging 
ins  Ausland;  1595  ersieht  man  aus  einer  gedruckten  Schrift, 
daß  er  noch  damals  im  Exil  gelebt  haben  muß ;  wahr- 
scheinlich ist  er  im  Frühjahr  dieses  Jahres  gestorben  i). 
Sein  Sohn  hatte  eine  Tochter  des  Elacius  zur  Frau  2), 

Irenäus  ist  trotz  aller  Anfeindungen  seiner  Gegner  ein 
Charakter,  wie  ihn  die  folgenden  Jahrhunderte  nicht  oft 
aufzuweisen  haben. 

Noch  andere  überze'ugungstreue  Männer,  die  an  Luther 
sich  herangebildet,  sehen  wir  in  diesem  Kreise,  und  zwar 
nicht  immer  Theologen,  sondern  auch  Pädagogen,  die  durch 
ihre  Lehre  und  ihr  Beispiel  auf  ihre  Schüler  wirkten. 
Th.  Distel  hat  in  seiner  mehrerwähnten  Schrift  3)  den  Mag. 
Hieron.  Haubold  aus  Frankenberg  wieder  zu  Ehren  ge- 
bracht'i).  Dieser,  aus  Deutschland  vertrieben,  ward  in 
Villach  und  Eferding  angestellt,  und  hier  hat  man  ihm 
Avegen  seines  rücksichtslosen  Auftretens  für  den  Flacianis- 
mus  nur  Böses  nachgesagt.  Wir  werden  unser  Urteil  über 
ihn  nach  Distels  Schrift  notwendig  korrigieren  müssen,  die 
Haubolds  Lehrweise  aktenmäßig  darlegt,  während  Döllinger 
ihn  nur  verspottet  5). 

Das  Gleiche  gilt  von  Haubolds  Kollegen,  dem  Kantor 
Jakob  Meibom  ^),  und  wohl  noch  von  manchem  treuen  An- 
hänger Luthers,  bezw.  Flacius',  welche  nie  Anerkennung 
gefunden. 

IL    Wolfgang  Waldner. 
Wolfgang    Waldner    ist    ein    andrer    unser    Interesse 
fesselnder  Mann  aus  der  Zeit  der  Reformation  in  Österreich. 


1)  Vgl.  Bessert,  a,  a.  O. 

2)  S.  Präger,  a.  a.  O.   II,  527,  Note. 

3)  „Der  Flacianismus  zu  Geringswalde." 

4)  Er    widmet    ihm    eine   kurze    Lebensbeschreibung    in    der 
D.  Biographie. 

5)  Döllinger,  Die  Eeformation,  S.  427,  432. 

6)  Vgl.  Distel,  a.  a.  O.    S.  8,  65. 


—     206     — 

Vor  allen  anderen  schien  er  berufen,  als  geborener  Öster- 
reicher, für  seine  Heimat  Großes  zu  leisten.  Er  war  der 
Sohn  eines  Weinbauern  in  Tulln  bei  Wien,  etwas  jünger 
als  Gallus,  etwa  1520  geboren,  dann  Mönch  im  Benediktiner- 
stift zu  Garsten^),  seit  1545  Geistlicher  in  Steyr  und  als 
solcher,  wie  Viele  zu  jener  Zeit,  im  Konkubinat  lebend  ^). 
Dieses  Konkubinat  verwandelte  er  in  eine  Ehe,  auf  Rat 
Veit  Dietrichs ,  des  Freundes  Luthers ,  damals  in  Nürn- 
berg. Bereits  der  evangelische  Annalist  Val.  Preuen- 
huber  ^)  sagt  von  ihm:  „Waldner  fing  an,  in  seinen 
Predigten  die  in  den  Römischen  Kirchen  eingerissenen 
Misbräuche  in  der  Lehr  und  Ceremonien  ....  zu  strafen 
und  auf  das  Wort  Gottes  und  heilige  Schrift  zu  weisen. 
Solche  Predigten  waren  der  Anfang  hernach  gefolgter 
Religions-Mutation  bey  dieser  Stadt." 

Waldner  war  aber  in  Steyr,  wo  er  zuerst  und  allein 
in  Österreich  evangelisch  wirkte,  durch  seinen  Freimut, 
sowie  durch  seine  Ehe  unmöglich  geworden.  Der  Bischof 
von  Passau  citierte  ihn  zu  Beginn  1548  vor  sein  geistliches 
Gericht,  und  er  mußte,  um  sein  Leben  in  Sicherheit  zu 
bringen  (wie  er  selbst  an  den  Steyrer  Bürgermeister  Winkler 
schreibt),  fliehen.  Er  ging  zunächst  nach  Augsburg  und 
von  da  nach  Nürnberg,  wo  er  einen  Sohn  des  Freiherrn 
Adam  Hofmann  aus  Steyr  erzogt). 

La  Nürnberg  durchlebte  Waldner,  nachdem  er  gewiß 
viel  unter  den  durchs  Interim   erforderten  Änderungen  des 


1)  Nach  Val.  Preuenhuber,  Annales  Styrenses  (Denkwürdig- 
keiten der  Stadt  Steyr),  p.  264. 

2)  Ferdinand  wie  Maximilian  bestanden  inständigst  beim  Papst 
auf  Abschaffung  des  Cölibats. 

3)  1.  c.  p.  264,  267.  Preuenhuber  studierte  mit  anderen  Steyrern 
in  Wittenberg  ca.  1572. 

4)  Die  Familie  der  Hofmann  war  seit  Kaiser  Friedrich  III.  zu 
hohen  Würden  erhoben.  Adam  Hofmann,  der  Schützer  Waldners 
war  Erb-Land-Hofmarschall  (vgl.  Preuenhuber,  a.  a.  O.).  Sie  war 
besonders  in  Innerösterreich  begütert  und  werden  wir  noch  von 
ihr  reden. 


—     207     - 

evangelischen    Gottesdienstes    gelitten,    auch    die    späteren 
Lehrkämpfe.     Er  nahm  au  den  adiaphoristischen,  majoristi- 
schen    und    osiandristischen  Streitigkeiten  regen  Anteil;    er 
stand    auf   Seiten    der   strengen    Lutheraner    und    trug   das 
Seinige    zur  Klärung    bei.     Er    stand    entschieden    zu    der 
Partei,     die    von    Melanchthon     und     den    Wittenbergern 
Buße    ob    des  Geschehenen    forderte,    und    kam    darüber   in 
Kollision  mit  der  von  den  Wittenbergern  inspirierten  Gegen- 
partei, indem  er  mit  etlichen  anderen  die  Irrtümer  öffentlich 
strafte    und    auch    besonders    auf   öffentliches    und    privates 
Sündenbekenntnis,  kurz  auf  Zucht,  drang.     Die  Philippisten 
waren    auch    hier    geneigt,     alles    zu    vertuschen,    und    be- 
schuldigten die  anderen :  „sie  seien  zu  heftig,  sie  wollten  es 
dem    Luther    nachthun    und    seien    doch    nicht    die    Leute 
danach"  i).    Wenn  es  nach  jenen,  von  Camerarius  angeführten 
Theologen    gegangen    wäre,     so     wäre     schon    damals     eine 
Richtung    die    alleinherrschende    geworden ,    die    statt    des 
treuen  Festhaltens  an  Luther,  unter  Melanchthous  Namen 
eine    „Entwickelung"   befördert  hätte,    welche  die  Zeit    der 
Aufklärung    um    zwei    Jahrhunderte    früher    über    die    pro- 
testantische Welt  herbeigeführt  haben  würde  —  und  das  wäre 
ein  wahres  Unglück  gewesen.    So  redete  damals  der  junge 
Mauritius  Heling    offen   dem    freien  Willen    das  Wort   und 
verteidigte  den  Major.    Im  erwähnten  Briefe  vom  7.  Januar 
schildert    Waldner    einen    Zusammenstoß    zwischen  Michael 
Rotingius    und  Josias  Menius,    „dem    neuen  Praeceptor    im 
spital",  der  den  Unterricht  zu  reformieren  trachtete.  „Darüber 
ist    der  Handl    an  Philippum    (Melanchthon)    durch   Josiam 
schriftlich  gelanget,  aber  Philipp,  wie  sein  weis  ist,  hat  nichts 
richtigs  geantwortet,  vnd  gleichwol  hat  Josias  die  Antwort 
auf  sich  gezogen."     Als  aber  Rotingius   auf   diesen  Handel 
mit  Mauritius  Heling    bei    einem    Mahl,    wo    auch  Waldner 
nebst  Besold  zugegen,    zu    reden  gekommen    und  Mauritius 
Philippum  stets  entschuldigen  wollte,  fährt  Rotingius  flugs 


1)  Brief    Waklners    an   Gallus    vom    7.   Januar    1557    (K.   A. 
Eccles.  I,   No.  XXVI,  Z.  49). 


—    208    — 

heraus :  „Philippus  der  hab  schelmisch  gehandelt."  Die 
Gründe  für  dieses  Urteil  des  ßotingius  werden  wir  im 
Anhang  geben.  Kurz,  die  sich  anbahnende  „neue  Theologie" 
fand  in  Waldner  ihren  eifrigen  Bekämpfen 

Waldner  schrieb  einen  markigen  Stil,  war  nicht  un- 
bewandert in  den  Wissenschaften,  er  hielt  z.  B.  Predigten 
auf  den  Propheten  Hosea,  und  schrieb  anderes  (1559,  Manu- 
skript) ;  er  verfolgte  auch  die  wichtigeren  die  Reformation 
in  Österreich  betreffenden  Ereignisse,  wovon  ein  Fascikel 
im  Münchener  Staatsarchiv  Zeugnis  ablegt  ^).  Ferner  lieh 
er  Bücher  an  Chr.  Reuter,  wie  aus  einem  Briefe  (aus 
Regensburg)  a,n  denselben,  der  damals  in  Rosenberg  bei 
Leopold  Grabner  war,  zu  ersehen  ist,  nämlich :  Calvin  in 
Jeremiam,  Calvins  Kommentar  zu  den  vier  Büchern  Mosis 
und  endlich  des  Hamburger  Aepinus  de  justificatione.  In 
Nürnberg  schreibt  er  gegen  Oslander  2),  der  ihn  einen  Nürn- 
berger Uhu  schilt.  Er  kommt  hier  bei  Gelegenheit  des 
Cullmannschen  Streites  (1555)  mit  Melanchthon  in  Verkehr, 
dessen  den  Osiandrismus  Cullmanns  widerlegende  Formel 
er  mitunterschreibt  ^).  Später  übersetzte  er  Joachim  West- 
phals  Schrift  gegen  Calvin  ins  Deutsche  (mit  einer  Vorrede 
des  Gallus),  obgleich  ihn  das  in  Schwierigkeiten  mit  den 
Wittenbergern  bringen  mußte,  wobei  ihn  aber  doch  die  alte 
Verehrung  gegen  Melanchthon  stets  in  gewissen  Schranken 
hielt*).    Die  Wittenberger  waren  besonders  vertreten  durch 


1)  Unter  dem  Titel :  Notizen  zur  Reformationsgeschichte  von 
W.  Waldner.  v.  J.  1558;  das  Stück  gehörte  der  Eegensburger  Kreis- 
bibliothek an,  ist  aber  von  dort  nach  München  abgefordert  worden. 
Das  Gleiche  ist  der  I'all  mit  jenen  Predigten,  wie  auch  mit  Werken 
von  Gallus,  von  dem  sich  Predigten  über  Johannes,  2  Bände,  4°,  und 
über  die  Epistel  des  heiligen  Johannes  daselbst  finden. 

2)  S.  Planck,  a.  a.  O.  I,  Bd.  II,  S.  373  Note. 

3)  Vgl.  Camerarius'  Vita  Melanchthons,  §  CHI,  der  besonders 
ausführlich  ist,  und  mein  Werk :  Von  der  Rechtfertigung  durch  den 
Glauben,  Leipzig  1890. 

4)  Vgl.  im  allgemeinen  den  langen  Brief  Waldners  an  Gallus 
über  diese  Streitigkeiten,  7.  Jan.  1557. 


—    209     — 

M.  Besold  1),  Josias  Menius ,  Dr.  Mauritius  Heling ,  Pre- 
diger daselbst.  Für  Waldner  dagegen  war  der  alte 
Dr.  Rotingius  ^) ,  der  ein  Buch  de  libero  arbitrio  gegen 
Melanchthon  geschrieben.  Natürlich  nahm  Waldner  Partei 
für  des  Gallus  Censur  des  Frankfurter  Abschiedes  und 
suchte  dafür  in  Nürnberg  Anhänger  zu  gewinnen.  Auf 
eine  Anfrage  des  Nürnberger  Rates  wurde,  laut  eines 
Briefes  Waldners  vom  28.  April  1558  an  Gallus^j,  folgendes 
einmütig  in  einer  vom  Ministerium  gestellten  Schrift  er- 
widert :  Es  sei  der  Frankfurter  Abschied  (v.  18.  März  1558) 
keineswegs  anzunehmen,  noch  die  Amnestie  ".u  leiden,  „das 
man  die  offenlicheu  Irthumb  *)  nicht  straffen  oder  nennen 
sol".  Auf  die  weitere  Frage,  ob  Nürnberg  den  von  Johann 
Friedrich  dem  Mittleren  ausgeschriebenen  Konvent  zu 
Magdeburg  beschicken  solle  ^),  erklärt  sich  das  Ministerium 
mit  solcher  Beschickung  einverstanden.  Grleichwohl  sieht 
Waldner  voraus,  daß  der  Rat  dem  nicht  Folge  geben  werde, 
weil  er  einen  Zusammenstoß  der  streitenden  Parteien  (Jena 
einerseits,  Wittenberg-Leipzig  andererseits)  befürchtete.  Für 
ein  solches  Zusammentreten  der  Parteien  aber  erklärt  sich 
Waldner  im  Interesse  der  Unparteilichkeit;  und  dann  erst, 
wenn  jenes  erfolglos  geblieben,  solle  man  mit  der  Konfatation 
und  Verdammung  aller  Irrtümer,  die  wider  die  Konfession 
(A.  C.)  und  Gottes  Wort  seien,  vorgehen.  Auch  Illyricus 
habe  in  der  „Apologia  wider  Menium"  solche  öffentliche 
Verhandlung   gefordert.     Der   Brief  ist  interessant,  weil    er 


1)  Als  Freund  Melanchthons,  und  demnach  mehr  vermittelnd, 
trat  damals  Hieronymus  Besold  auf,  an  den  1549  Oslander,  auf 
seiner  Reise  nach  Königsberg,  einen  Brief  richtete  (vgl.  Dr.  Ambr. 
Moibanus  in  Schriften  des  V.  f.  Ref.-Gesch.,  IX,  I,  S.  40). 

2)  Denselben  finden  wir  bereits  1526  zugleich  mit  Camerarius 
als  Lehrer  in  Nürnberg  (De  Vita  Ph.  Melanchthonis  von  Camerarius, 
p.  103). 

3)  Eegensb.  Akten  Eccles.  I,  No.  XXIII,  Z.  66. 

4)  Genannt  sind  in  der  Schrift:  des  Calvini  Irrthum,  die  Wirten- 
berger  Theologen  mit  den  Osiandro,  Eißleben  mit  seinem  Interim. 

5)  Preger  II,  77. 

14 


—     210     — 

Waldners  echt  protestantische  Gesinnung  zeigt,  welche  auf 
ein  offenes  Sichaussprechen  besteht  und  jede  voreilige  Ver- 
tuschung (Amnestie),  aber  auch  einseitige  Konfutation  ver- 
wirft. Die  Gegner  zeigten  eine  unprotestantische  Furcht- 
samkeit. Gleichwohl  wahrt  Waldner  sich  sein  kritisches 
Urteil  und  äußert  von  des  Straßburger  Marbach  christo- 
logischen  Auseinandersetzungen,  sie  klängen  fremd,  setzt 
aber  hinzu,  er  wolle  weiter  lesen. 

Um  diese  Zeit,  als  Waldner  Prediger  am  Dominikaner- 
kloster zu  Nürnberg  war,  1558,  kam  auch  ein  neues  An- 
suchen aus  Steyr  an  ihn  heran.  Freiherr  Adam  von  Hofmann 
will  ihn  wieder  ins  Land  ziehen  und  schreibt  einen  beweg- 
lichen Brief  nach  Nürnberg.  Waldner  aber  schwankt,  und 
in  einem  längeren  Schreiben  an  den  Stadtrichter  Benedikt 
Attl  zu  Steyr,  vom  10.  Febr.  1558 1),  giebt  er  seine  Bedenken 
kund,  dahin  gehend,  daß  er  Freiheit  haben  müsse  im  Predigt- 
amt, „um  alle  Abgötterei,  Mißbräuche,  Sünde  und  Heuchelei 
zu  strafen",  ferner  eine  feste  Besoldung  vom  Rat  und  dem 
Herrn  Adam  Hofmann;  sodann  widerstrebe  es  ihm  auch, 
die  sichere  Stelle  in  Nürnberg  mit  den  Gefahren  in  Oster- 
reich zu  vertauschen.  Er  ist  offenbar  nicht  mehr  an  die 
kleinen  Verhältnisse  in  Österreich  gewöhnt,  und  so  geht  er  für 
sein  Vaterland  verloren ;  er  hilft  nur  mit  Rat  und  That  aus 
der  Ferne  und  verfolgt  die  weiteren  Schicksale  der  Kirche 
mit  liebenden  Augen  ^).  Für  Osterreich  paßte  er  nicht ;  hier 
paßte  nur  einer,  der  es  verstand,  sich  an  die  Wand  drücken 
zu  lassen  und  Gottes  Zeit  abzuwarten,  da  die  gute  Sache 
zu  Ehren  kommen  werde ;  wobei  man  freilich  nicht  Menschen- 
tage suchen  darf,  sondern  allein  Gottes  Gebot  vor  Augen 
und  im  Herzen  haben  muß.  In  Osterreich  fielen  manche 
durch,  die  draußen  schön  liefen,  und  von  durchschlagender 
Wirksamkeit  erwiesen  sich  nur  die,  welche  allein  die  Ehre 


1)  E.  A.  Eccles.  No.  XVIII,  Z.  52. 

2)  Vgl.  ein   Schreiben  Waldners  bei  Eaupach,    Presb.,   S.  149, 
Note  N,  in  welchem  er  Reuter  und  Leopold  Grabner  ehrenvoll  nennt. 


—    211     - 

Gottes  suchten  und  nicht  Ehre  bei  den  Menschen  und  ein 
ruhiges  Leben.  Und  derer  sind  allerwege  wenige,  und 
unter  ihnen  gewöhnlich  nicht  viel  Edle  nach  dem  Fleisch. 
Osterreich  aber  macht  hier  eine  Ausnahme ;  hier  sind  Männer 
vom  höchsten  Adel,  die  Blüte  ihres  Landes,  die  alles  für 
Schaden  achteten,  auf  daß  sie  Christum  gewönnen. 

Inzwischen  lief  Waldners  Zeit  in  Nürnberg  auch  zu 
Ende;  der  Rat  zu  ßegensburg  berief  ihn  im  Jahre  1558  an 
Schallings  ^)  Stelle,  der  als  Melanchthouianer  sich  als  un- 
geeignet erwies.  In  Nürnberg  ließ  man  ihn,  wie  sich  aus 
den  Regensburger  Akten  ergiebt,  nicht  ung'>rn  ziehen,  weil 
er  sich  mit  der  im  Rat  vorherrschenden  (philippistischen) 
Richtung  nicht  in  Einklang  zu  setzen  wußte.  Hier  nun  in 
Regensburg  eröffnete  sich  ihm  ein  neuer  Wirkungskreis 
neben  seinem  Freunde  und  Kollegen  Gallus.  Obwohl  Waldner 
der  am  meisten  Empfangende  war,  spricht  er  dem  Gallus 
gelegentlich  auch  Mut  ein,  wenn  derselbe  aus  Müdigkeit 
vom  Predigen  abzulassen  willens  war,  und  ermahnt  ihn,  die 
gottselige  Disciplin  in  der  Kirche  trotz  des  Undanks  der 
Leute  fortzusetzen 2).  Seine  Autorität  stieg;  sehr  wirksam  war 
auch  sein  „Nohtwendiger  Bericht  für  die  verfolgten  Christen, 
so  an  andern  Orten  die  Predigt  des  göttlichen  Worts  und 
die  Sacrament  nothalben  suchen  müssen",  welcher  1566  in 
Eisleben  gedruckt  wurde  mit  einer  Vorrede  von  Gallus  und 
einer  Beschlußrede  von  Cyr.  Spangenberg. 

An  Waldner  richteten  die  Österreicher  ihre  Anfragen 
sowohl  wie  an  Gallus;  an  ihn  sandte  man  Ordinationsgesuche; 
Reuter  ließ  sich  durch  ihn  beraten,  schickte  ihm  eine  Apologie 
seiner  Agende  (1573)  und  wurde  auch  von  Waldner  stets  als 
alter  Freund  geschätzt.  An  ihn  schreiben  die  auswärtigen 
Theologen,  z.  B.  Flacius,  der  schon  aus  Jena  am  9.  Juli 
1561 3)  einen  herzlichen  eingehenden  Brief  über  Waldners  Sohu 


1)  Über  diesen  trefflichen   Liederdichter   ist  manches   in   den 
Eegensb.  Akten  zu  finden.    Er  korrespondierte  mit  Calvin. 

2)  ?  im  Jahre  1562;  Regensb.  Akten,  Eccles.  I,  No.  XXVI,  Z.  72. 

3)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  183. 

I4* 


—    212    — 

Martin  sandte,  den  er  dem  G.  Cölestin  (später  Professor  in 
Frankfurt  a.  0.)    übergeben,    nachdem    er    dem    C.  Liipulus 
weggelaufen  ^).      Flacius    tadelt    die    weichliche    Elternliebe 
auch  bei  sich    und    seiner  Frau    und    findet    schöne  Worte 
zum    Trost    und    zur    Bestrafung    der    Mutter    des    jungen 
Waldner.     Es  ist  eins  der  Zeugnisse,    daß    auch    in  diesem 
Manne    ein    warmes    Herz    schlug,    das    aber    die   widrigen 
Beo-egDungen  mit  Menschen,  die  nicht  seiner  Richtung  waren, 
zuletzt  verbittert  hatten.     Auch    stand    Waldner   im    Brief- 
wechsel mit  Wigand  und  mit  Cyr.  Spangenberg  in  Mansfeld, 
der  seine  Klagen  über  die  Unbeständigkeit  des  kaiserlichen 
Hofes    äußert    (26.   Juli    1565).     Am    9.   Mai    1573    schreibt 
Waldner  2)  an  Chr.  Reuter  über  den  Erbsündestreit  und  ist 
gegen    beide  Ausdrücke  (Substanz  und  Accidenz),    wo    man 
sie  als  Schlagwörter  gebrauchen  will.    Im  übrigen  ist  er  für 
biblische  Einfachheit  und  beklagt  den  schrecklichen  Sturm, 
den   Flacius    erregte    und    besonders    solche    Schriften    des- 
selben,   welche    zur  Verhetzung    von  Obrigkeit    und  Unter- 
thanen  dienten.     Schon   bei    Gallus  Lebzeiten  hat  Waldner 
gemahnt,  sich  nicht  von  Flacius  so  impoüieren  zu  lassen  und 
zwar    warnte    er    Gallus    besonders    vor    gemeinschaftlicher 
Herausgabe   von  Streitschriften.     Er    tadelt    Flacius    wegen 
der  Unruhe,    die   er  gestiftet  von  Land  zu  Land,  und  ver- 
weist (wahrscheinlich  i.  J.  1565,  zur  Zeit  der  Magdeburger 
Streitigkeiten  mit  Heshusius)    den  Theologen  hauptsächlich 
4  Stücke,  die  er  nicht  gut  heißen  kann :    „L  den  offenlichen 
Bann,    damit  sie  nit  allein  Zerstörung    sonder    vil    vnrat   in 
den    gewissen    anrichten.     IL    Das    sie    auf    der    Oberkeit 
beuelch  (Befehl)    nicht   weichen    wolten;    unangesehen  was 
sie  dagegen  fürwenden  können,   selten  sie  doch  gewalt  ge- 
litten, aber  nicht  gebillicht  haben  ^).     IIL  Das  sie  so  greu- 
liche Invective  schreiben,  die  keiner  christlichen  Defension 
sonder  Rachgier  gleich  sehen  und  mit  fluchs  alle  Menschen 

1)  Ein  solcher  Lehrer  kostete  daziunal  8  flor. 

2)  R.  A.,  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  84. 

3)  d.  h.  ohne  es  im  Gewissen  darum  zu  billigen. 


—    213     — 

verbannen  vnd  verdammen  so  ir  Jawort  darzu  nicht  geben. 
IV.  Das  sie  nu  eine  gemeine  Regel  daraus  machen,  vnd 
ein  solch  Dominium  vber  die  kirch  statuirn,  das  aufrur  vnd 
vil  Zerrüttung  anrichten  wird,  davor  Gott  gnediglich  sein 
wol.  Die  Magdeburger  haben  auch  grobe  sunde,  aber  sie 
waren  wol  änderst  abzulainen  (zu  widerlegen)  gewest^)." 

Gallus  war  in  der  Beurteilung  der  Magdeburger  Verhält- 
nisse anders  berichtet.  In  einem  Briefe  vom  12.  September 
1565  2)  hatte  Johann  Aurif'aber  ihm  mitgeteilt,  daß  Magdeburg 
den  göttlichen  Zorn  erfahren  wegen  der  Behandlung  des  Hes- 
husius  und  Bartholomäus  Strele.  Die  Gegner  seien  durch  Pest 
und  Epilepsie  eines  der  beteiligten  Prediger,  die  demselben 
am  Altar  widerfahren,  gestraft  worden.  Vv'enn  nun  Heshu- 
sius  dem  Gallus  vorwirft,  daß  er  nicht  entschieden  für  die 
Vertriebenen  Partei  ergriifen  i'Brief  vom  Jahre  1568/,  so 
geschah  dies  deshalb,  weil  er  durch  Siegfried  Saccus 
(4.  April  1565)  ^)  gebeten  war,  jenen  Beschuldigungen  nicht 
Glauben  zu  schenken,  welche  Heshusius  gegen  die  Magde- 
burger Schule  erhoben  und  die  ihm  seine  Ausweisung  aus 
der  Stadt  zuzogen. 

Waldner  scheint  ein  etwas  schnell  urteilender  Cha- 
rakter gewesen  zu  sein  ;  er  hatte  nicht  die  Charakterstärke 
eines  Gallus  und  geriet  oft  in  Streitigkeiten.  Jedoch  lobte 
Joh.  Praxinius  aus  Gotha,  Professor  in  Lauingen,  seine 
antike  Sitteneinfalt  in  einem  langen  lateinischen  Gedicht 
aus  dem  Jahre  1569.  Immerhin  hat  er  andere  manchmal 
schief  beurteilt;  auch  den  Placius,  wie  Preger  tadelnd  be- 
merkt. Er  nahm  auch  aktiven  Anteil  an  der  Vertreibung 
der  flacianischen  Prediger  aus  Regensburg  (1574)  und  ver- 
ursachte dadurch,  daß  die  Gegner  derselben  in  Steiermark, 
wie  wir  unten  sehen  werden,  sich  auf  seinen  Namen  be- 
zogen   und    ihn    um    Rat    angingen.      Solche    Inkonsequenz 


1)  Brief  aus  Nürnberg  an  Gallus  —  wie  immer   ohne  Datum 
und  Jahreszahll 

2)  K.  A.  Eccles.,  No.  XXXV,  Z.  137. 
3j  R.  A.  Eccles.,  No.  XXXV,  Z.  137. 


—    214     — 

können  wir  nicht  gutheißen.  Er  starb  1582  als  armer  Mann. 
Seinem  Sohne  Martin  kam  in  Österreich  das  Ansehen  des 
Vaters  zu  gute,  ohne  daß  er  nur  entfernt  an  ihn  heran- 
reichte, wie  solches  die  Briefe  ausweisen. 

Tief  in  die  intimen  Gesinnungen  der  österreichischen 
Landbevölkerung  läßt  uns  das  Verhältnis  zwischen  Hans 
Waldner  und  seinem  berühmten  Sohn  Wolfgang  blicken.  Der 
alte  Waldner,  1481  geboren,  also  fast  ein  Altersgenosse 
Luthers,  war  ein  einfacher  Bürger  zu  Tulln  bei  Wien,  in  guten 
Verhältnissen  lebend  und  mit  offenen  Augen  für  die  Dinge 
um  ihn  her.  So  hatte  er  denn  zeitig  das  Evangelium  lieb- 
gewonnen, vielleicht  durch  Schriften,  die  ihm  sein  Sohn 
mitteilte,  oder  auch  durch  das  Beispiel  desselben.  An  der 
Bibel  hat  sich  sein  Stil  gebildet,  aus  dem  Evangelium 
seine  Gredankenwelt  sich  bereichert.  Als  echt  evangelischer 
Christ  tadelte  er  streng  im  Kreis  seiner  Eamilie  alle  Aus- 
schreitungen in  Handel  und  Wandel.  Er  hat  bereits  eine 
für  jene  Zeit  und  für  seinen  Kreis  ganz  ansehnliche  Schrift- 
kenntnis, bemüht  sich,  immer  mehr  zu  lernen,  bittet  auch 
seinen  Sohn,  den  er  aufs  höchste  verehrt,  um  Predigten 
oder  ein  Buch  über  das  Abendmahl.  Als  ihm  solches  ge- 
schickt worden,  vergleicht  er  es  mit  einem  bereits  im  Hause 
befindlichen  und  merkt  den  Unterschied.  Seine  Briefe  sind 
zwar  stereotyp,  aber  in  gutem  Deutsch  geschrieben  —  die 
beständige  Anrede  ist:  „Mein  hertzlieber  Sun".  Wir  geben 
einige  dieser  Briefe  zur  Probe. 

Im  Jahre  1554  schreibt  der  73-jährige  Vater i): 
„Gottes  gnadt  vnd  parmhertzikhait  Sey  mit  vns  allen 
Amen,  mein  hertzlieber  Sun  Ich  hab  ain  Schreyben  von 
dir  ausgangen  enpfangen  am  mitichen  ^j  Nach  Martini  Das 
datum  ist  gestanden  den  27  July  vnd  hab  auch  dj  andern 
zben^)    brieff    deinen    bruedern    vberandtbuert^j    Sunst    Ist 

1)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  91. 

2)  Mittwoch. 

3)  zwei  (b  =  w). 

4)  überantwortet. 


—    215    — 

mir   khaiu    brieff  von    dir  In   zbeyn  Jaren  Nit  zuekhumen 
Hertzlieber    Sun  wiß   das    ich  dir  nun  zu  dem  vierttn  mall 
Schreyb    hab    nit    anders    gedacht   sy  wern  dier   zuekhome 
Mein  hertzlieber  Sun  Ich  sag  dier  warlich  das  ich  so  gern 
pey    dier    weit    sein    als    ich    leb    aber    schwachait    halben 
khaii    ich    nit    So   get    es    mir   auch    narung    halben    gantz 
spöri)    dan    ich    der   weingarttn    In    zbain   Jar    nichs    hab 
genossen    hab    auch  vor  dem    lesen  ain  hyn  muessen  gebin 
vnd    mueß    noch  wol    ain  hingebin  dan  dy  wein  gar  wenig 
gelten    vnd   mir  auch  heur  wenig  ist  worden  So  khan  vnd 
mag   ich   nichs  arbaittn  wan  dein  Mueter  nit  treulicher  an 
mir   thet   Ich  wer    langst    gestorben  Nun  got   schicks  wye 
er  well  Hertz enlieber  Sun  wiß  das  mir  zben  Sun  dy  ich  pey 
der   mutter    hab    gehabt  gestorben    sein   vnd  hab  nuer  ain 
töchterl  noch  haist  Katerina  ist  anderthalb  Jar  alt  vnd  der 
wölfl   ist  zu  ainem  Schneider  khomen  hab  In  nimer  In  dy 
schuel  khunen  pringen  Auch  wiß  mein  hertzlieber  Sun  das 
wir  mit  gottes  wort  zum  tail  yetz  versehen  sein  Aber  alle 
ceremonia   mit  vigili  Seilmeß  weichpron-j  Saltzweichen  etc. 
helt    man    Noch    Steiff    dan    dy    hoch    obrikhait   wils    also 
habm  auch  reicht  vnd  gibt  man  das  hochwirdig  Sacrament 
Nuer   In    ainer   gestalt  wie    vor    vnd  weliche  briester  oder 
prediger    anders    thuen    vnd   recht    wellen    lernnen    dj    ver- 
jauckt^)  man    vnd   wils    nit   leyden  Hertzenlieber  Sun  wier 
sein  gleich  wol  mitten  In  babiloin  '^j  got  der  himlisch  vater 
well    vns    durch    cristum    vnsern    erloser    vnd    Seligmacher 
heraus    fueren   zu  dem  ich  all  mein  vertrauen  vnd  glauben 
Setz  wel    mir    di   gnadt   des    heyligen  geist  verleichen  vnd 
den    warhafftigen    glauben  Mern  ^j  Hertzenlieber    Sun    dein 
Muetter    last  dich    dein  hausfrau  vnd   khinder  von  Hertzen 


1)  spärUch. 

2)  Seelmessen,  Weihbrunnen. 
8)  verjagt. 

4)  Babylon. 

5)  mehren. 


—    216     — 

treulichen  gruesen  Ich  hab  eylundti)  geschribm  Jetz  nit 
mer  ^)  Sunder  got  fuer  vns  dasselbig  wellen  wier  auch  thuen 
datum  Tulln  den  10  Decembris  Im  54  Jar 

Hans  Waldner  dein  vater  burger  daselbs. 

Adresse:  Dem  Erwirdigen  geistlichen  Herren  Wolf- 
gangen Waldner  predicant  zu  Nuernberg  Meinem  hertzlieben 
Sun  zu  Händen." 

(„21  Januarij  empfangen".  Schrift  des  Sohnes  Wolfgang.) 

Am  27.  April  1555  schreibt  derselbe  Hans  Waldner 
nach  einer  Einleitung,    die  seine  tiefe  Frömmigkeit  zeigt  ^): 

„Mein  hertzlieber  Sun  das  ist  am  aller  gnätigisten  ^)  vnd 
mein  hertzlichs  begern  das  vns  got  erhalten  well  In  ainem 
rechten  cristlichen  glauben  wir  haben  wohl  yetz  ainen  zim- 
lichen  prediger  aber  darneben  hangt  er  dem  bastischen  5) 
wesen  vnd  Zeremonien  an  vnd  Schneidt  auff  zbo  Seytten 
wil  auch  das  hochwirdig  Sacrament  wie  es  Cristus  hat  ein- 
gesetzt vns  nit  raichen  Nachdem  Im  das  dy  obrikhait  hat 
verpotten  vnd  Sagt  es  doch  selber  auff  der  khantzl  es  sey 
recht  Ich  pin  auch  selbs  noch  nit  communitziret  ß)  worden 
vnd  auch  dy  muetter  Ich  gleich  nit  wol  wais  wie  ich  Im 
thuen  sol  vnd  pit  dich  wellest  mir  ain  vntterricht  gebn 
vnd  schreiben  pit  dich  hertzlich  wellest  mir  ain  clains 
puechl  oder  zbay  schickhen  zu  ainer  geistlichen  freidt  vnd 
leer  dan  das  gotlich  wort  gibt  Je  vnd  Je  mer  freidt  Je 
mer  vnd  öffter  man  das  hört  pessern  verstandt." 

In     einem     anderen    Briefe    vom    3.    Dezember    1555 
heißt  es''): 

„Herzlieber  Sun,    du  Solt  wissen  das  es  yetz    pey  vns 
gar   geferlich  Stet  Mit    dem  Wortt    gottes    vnd    rayner   1er 

1)  eilend. 

2)  „Jetzt  nit  mehr"  ist  ein  damals  gewöhnlicher  Abschluß  in 
Briefen. 

3)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  88. 

4)  nötigsten. 

5)  päpstlichen. 

6)  bin  nicht  zum  Abendmahl  gegangen. 

7)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  87. 


-     217     - 

des  ewangelion  dan  dy  Jesuiter  die  new  seckt  welche  zu 
Wien  das  closter  am  hoff  gelegen  zu  den  weyssen  bruedern 
Innen  haben  vnd  Innen  der  khunig  hat  eingeben  ^)  dy  lassen 
ain  Neuen  cathecismon  ausgen  wie  du  villeicht  wol  dar- 
von  hast  gehört  wie  wol  ich  noch  nit  gelesen  han,  dan 
nuer  so  vil  ich  daruon  gehört  hab;  es  wil  mich  auch 
nit  vil  bekhumern.  Wir  haben  yetz  ain  ziemlichen  Jungen 
prediger  bleybt  fein  pey  dem  ewangelio  Aber  er  hat  dem 
pfarrer  hye  auffgesagt.  Der  pfarrer  wer  auch  wol  zimlich 
mit  seiner  predig  aber  er  helt  noch  alle  bastische  cere- 
monia  vnd  Schneidt  auf  zbo  Seytten  Mein  hertzlieber  Sun 
des  Turckhen  halben  khan  ich  dir  nichs  gbisses  Schreybn 
wir  haben  vns  vor  dem  lesen  ^)  besorgt  Er  wurdt  ainen 
Straiff  auff  vns  thuen  got  hat  es  genedicklich  verhuettert 
Aber  aufi"  das  Jar  wais  got  woll  wie  es  geen  wirt  Man 
sagt    grosse    forcht  vnd  Schreckhen  got  wol  vns  gnedickh- 

lich   behuetten Es  wer  mein  hertzlich  verlangen  das 

ich  solt  Oder  khunt  pey  euch  allen  sein  So  khan  es  nit 
wol  sein  dan  ich  nun  schier  alt  vnd  schwach  pin  dan  wie 
du  lieber  Sun  auch  begert  hast  zu  wissen  mein  alter  wie 
vil  Jar  ich  alt  sey  Soltu  wissen  das  ich  vber  74  Jar  nit 
alt  pin  Ich  hab  aber  wie  du  waist  vor  zeittn  hart  gearbait 
das  mir  dan  Jetz  alles  haymher  khumbt.  Nun  der  almachtig 
got  schick  es  nach  seinem  willen  vnd  verleich  vns  sein 
gotliche  gnadt  durch  Jesum  cristum  vnsern  Erloser  vnd 
Säligmacher  den  ich  wol  wais  vnd  vestiklich  glaub  das  wir 
allain  durch  In  muessen  Sälig  werden.  Dan  er  hat  ye  die 
khelter  allain  getrettn  als  der  prophet  betzeugt  vnd  auch 
der  heylig  paulus  sagt  vnd  betzeugt  das  vns  khain  ander 
namen  ist  geben  dar  Innen  wir  Sälig  werden  dan  allain 
Im  namen  Jesu  cristi  welcher  allain  fuer  vnser  sundt  hatt 
genueg    gethan    vnd    sein    hymlischen    vater    versuent    das 


1)  Ferdinand  räumte  den  Jesuiten  damals  das  „am  Hof"  (noch 
heute  ein  Platz  in  Wien)  gelegene  Kloster  ein.  Der  Katechismus  ist 
der  des  Canisius. 

2)  vor  der  Weinlese. 


—    218    — 

sey  Im  In  ewikhait  lob  er  i)  preyß  vnd  danck  gesagt  das  er 
vns  Erlost  hat  von  dem  Ewigen  todt  teuffl  vnd  hell  alle 
dy  solchs  vestiklich  glauben  vnd  vertrauen  vnd  byß  an  das 
Ende  verharren  darumb  wellen  wir  got  den  hymlischen 
vatter  pitten  In  dem  namen  seynes  aynigen  geliebten  Sun 
Jesu  cristi  vnsern  lieben  haylmacher  vnd  erloser  der  well 
vns  verleichen  dy  gnadt  des  heyligen  geist  vnd  vns 
Sterckhen  vnd  meren  vnsern  cristlichen  glauben  byß  an 
vnser  endt  zu  beharren  dan  on  In  wir  doch  nichs  khunnen 
fruchbars  thuen  noch  aufrichten  zu  vnser  Seel  Salikhait 
Mein  hertz  lieber  Sun  ich  pit  dich  So  es  khan  sein  vnd 
geschechen  das  du  mir  ain  predig  woltest  Schickhen  wie 
du  sy  predigst  es  sey  von  was  Suntag  ewangelion  oder 
predig  dyweil  ich  dich  nit  khan  persolich  hörn  es  wer  mir 
ye  ain  sunderliche  freidt  vnd  wolgefalln." 

Im  Jahre  1556  ^j,  welches  ein  Notjahr  war,  entschuldigt 
sich  der  alte  Waldner,  daß  er  seinem  Sohne  das  von  ihm 
gewünschte  Faß  Wein  nicht  schicken  könne.  „Ich  laß  dich 
wissen  das  ich  selbs  khain  wein  diser  zeit  Im  kheller  hab 
vnd  nuer  khaufien  muess  so  ich  aynnen  will  trinckhen  .  .  . 
Ich  mueß  oflft  ain  spare  Suppen  essen  wil  ich  mich  anders 
on  meines  nagsten^;  Schaden  vnd  nachtail  erneren  Der 
almachtig  vatter  well  vns  allen  sein  gnadt  verleichen  vnd 
vns  erhalten  in  leibtlicher  vnd  geistlicher  Narung  durch 
cristum  Jesum  Amen." 

Den  schlichten  Worten  des  Kleinbürgers  lassen  wir 
den  Brief  Veit  Dietrichs,  des  berühmten  Freundes  Luthers, 
folgen  '^) : 

„Veit  Dieterich  prediger  zu  Nürnberg  an  Hn  Wolfgang 
Waldner  pfarhern  zu  Steyr^). 

1)  Ehre. 

2)  E.  A.  Eccies.,  No.  XXVI,  Z.  89. 
8)  Nächsten. 

4)  K.  A.  Eccies.  I,  No.  XXIII.  Z.  86. 

5)  Obige  Aufschrift  muß  gemäß  dem  Schluß  des  Briefes  von 
späterer  Hand  hinzugefügt  worden  sein. 


—    219    — 

Grottes  gnad  zuuor,  sambt  erbietung  meiner  dienst, 
wirdiger  vnd  lieber  Herr,  das  ir  mir  durch  einen  vertrauten 
freund  schreibt,  vnd  bittet  euch  zu  radten  der  zween  feile 
halb,  eures  ambts,  vnd,  des  ehestands,  fuge  ich  euch  drauff 
zu  wissen,  weil  Gott  euch  an  den  ortt  ^)  beruffen  vnd,  Ir 
solchen  beruff  so  vil  müglich  dahin  wendet,  das  Ir  gottes 
wort  dem  armen  volklin  treulich  furtragt,  kan  ich  euch  nit 
radten,  den  beruff  zu  endern,  sonder,  vermane,  das  ir  dabei 
bleibt.  In  dem  wort  Gottes  mit  lesen  euch  vleissig  vbet, 
vnd  die  bucher  für  euch  nehmbt,  die  euch  zum  predig 
ambt  dienstlich.  Als  die  postilleu  D.  Luthers,  Seinen 
Catechismum,  locos  comunes  philippi,  epistolam  ad  Romanos, 
Brencium  in  evangelion  lucae  et  lohannis,  Confessionem 
Augustanam  et  Apologiam  vnd  dergleichen.  Des  Sacra- 
ments  halb,  ist  diß  mein  radt,  auft  dise  Zeit,  das  Ir  im 
predigen  die  leut  dahin  solt  weisen,  das  sie  auff'  die  Ordnung 
vnd  einsetzung  Christi  sehen,  vnd  der  nachkommen  sollen, 
weyl  aber  gewis,  wo  Ir  solche  Ordnung,  das  gantze  Sacra- 
ment  zu  reichen,  werdet  furnhemen,  das  man  euch  diß  orts 
(in  Steyr)  nit  leiden,  vnd  einen  argen  wolff  an  die  statt 
werde  setzen,  vnd  ferner  das  arme  volklin,  werde  on  einen 
treuen    Hirten,    wie    die    Irrenden    schafe,    bleiben    müssen. 


1)  nach  Steyr.  Die  Stadt  Steyr  war  damals  größer  und  be- 
deutender als  Linz.  Sie  hat  zwei  Annalisten  gefunden:  1)  Valentin 
Preuenhuber,  dessen  Annales  aber  nur  bis  zum  Jahre  1618  reichen. 
Dieser  war  Protestant  und  floh  später  nach  Eegensburg.  Als  sein 
Fortsetzer  ist  2)  Jakob  Zetl  zu  betrachten,  dessen  Annalen  vom  Jahre 
1612—1635  gehen.  Dieser  war  Katholik.  Er  redet  in  der  ersten 
Person  und  war  also  Augenzeuge.  Trotz  seiner  Konfession  ver- 
Uert  sein  Werk  nichts  von  seinem  hohen  Werte.  Der  Lmzer 
Professor  Ludw.  Edlbacher  hat  im  Jahre  1874  die  Chronik  der  Stadt 
Steyr  neu  herausgegeben.  Steyr  war  so  gründlich  reformiert,  daß 
nach  S.  38  jener  Chronik  im  Jahre  1625  nur  noch  16  kathohsche 
Bürger,  und  zwar  meist  Handwerker  von  geringem  Vermögen,  ge- 
zählt wurden.  Die  Stadt  nahm  au  dem  Aufstande  der  Stände  teil 
und  wurde  hart  behandelt.  Wer  nicht  konvertieren  wollte,  mußte 
auswandern.  Dies  geschah,  und  die  einst  blühende  Stadt  lag  bis  in 
die  neueste  Zeit  fast  gänzlich  danieder. 


-     220     — 

das  Ir  ein  lose  geduld  mit  traget,  vnd  die,  so  nach 
altem  brauch  zum  Sacrament  gehn,  ein  Zeitlang  duldet, 
und  mit  Inen  schwach  seyd,  bis  got  sie  sterket,  Niemand 
aber  weder  zur  beicht,  noch  solchem  ierlichen  i)  brauch 
des  Sacraments  zwinget ,  wie  bisweilen  pfarrherrn  aus 
befelh  irer  obern  thun.  Aber  mit  den ,  so  am  todbet^ 
ligen,  vnd  des  Sacraments  nach  der  einsetzung  christi 
begern,  das  Irs  denselben  frey  hinreichet,  nach  Christi 
Ordnung,  denn  wo  es  zu  schulden  käme,  das  Ir  darumb  an- 
gesprochen wurdet,  köndt  Ir  euch  mit  dem  schützen,  das 
Irs  an  Irem  letzten  ^)  inen  nit  habt  können  versagen,  wenn 
aber  etliche  gesunde  des  Sacraments  also  nach  christi  gebott 
begerten,  kondt  Ir  sie  an  die  ort  weisen,  da  sies  haben 
können,  ob  irs  Inen  gleich  nit  reichet,  aus  der  vrsach,  wo 
Irs  thettet,  das  dadurch  die  gantze  kirch  mochte  nit 2) 
leiden,  wenn  man  euch  veriagte,  vnd,  ein  argen  wolff  an 
die  stad  stellete.  So  kondt  ir  den  schwachen  blöden  ge- 
wissen immer  dar  in  dem  fall  wol  dienen,  das  Irs  vom 
brauch  des  Nachtmals  recht  vnterrichtet  denn  also  können 
sie,  ob  sie  gleich  das  Sacrament  nit  empfahen,  sich  mit  dem 
sterben  christi  trösten  wie  Augustinus  sagt  crede  et  man- 
ducasti'^).  So  vil  eures  ambts  halb,  welches  ich  doch  nur 
aufif  ein  Zeitlang  radte,  denn  Hoffnung  ist,  es  könne  sich 
endern  entweder  mit  euch,  oder,  eurer  gantzen  landes- 
ordnung  ^).  Eur  person  aber  vnd  den  ehestand  betreffend, 
ist  das  gentzlich  mein  radt,  das  Ir  euch  der  hurerey  gantz 
vnd  gar  abthut,    denn  sine  castitate  Deo  placere,  aut  carte 


1)  jährlichen. 

2)  letzten  Ende. 

3)  nicht  möchte  leiden.  Man  sieht,  daß  zu  der  Zeit  in  Öster- 
reich bereits  in  verschiedener  Weise  das  Sakrament  gereicht  wurde. 
Etliche  Obrigkeiten  waren  furchtsam,  andere  traten  ein  für  die 
biblische  Austeilung  unter  beiderlei  Gestalt. 

4)  Eine  merkwürdige,  an  Luther  erinnernde  Toleranz. 

5)  entweder  daß  Ihr  an  einen  anderen  Ort  kommt,  oder  daß 
es  im  ganzen  Lande  anders  wird. 


—    221     - 

orare,  non  est  possibile  ^).  Derhalb  so  ir  schon  mit  leibes 
fruchten  von  eurer  concubin  begäbet,  so  feren  das  sie 
gottfurchtig  sey,  vnd  sich  eur  allein  halte  -),  radte  ich  das 
Ir  einen  oder  zwen  fromme  Christen  zu  euch  nembt,  den 
zu  trauen  ist,  vnd  in  derselben  gegenwertigkeit,  eur  concubin 
ehlichet,  mit  ein  herzlichen  gebet  eur  aller  zu  Gott,  das 
er  gluck  zu  solchem  furnhemen  geben  wolte.  Vnd  in  disem 
Fall  solt  ir  kein  fahr  scheuhen,  denn  euch  an  eurem  ge- 
wissen billich  am  meisten  sol  gelegen  sein  vnd  ob  schon 
ein  fahr  drauff  erfolgete;  so  habt  ir  doch  den  trost  Gott 
will  die  seinen  nit  lassen.  So  vil  habe  ich  euch  in  eyl 
wollen  auff  euren  brief  antwortten.  Kan  es  dise  Zeit  besser 
in  radt,  bey  mir,  beder  rell  halb  ^)  nit  finden.  Der  gnedige 
barmherzige  Gott  sterke  euch  vnd  leite  euch  mit  seinem 
Geist  zu  seines  nhamens  ehr  vnd  der  armen  leutlin  sei 
Seligkeit  Amen. 

Ich  hab  meinen  Namen  nit  wollen  vnterschreiben,  das 
es  euch  nit  zu  nachteil  komm.  Auch  einen  nhamen  nit 
melden  wollen.  Datum  N.  am  abendt  Mathie^j  1546.  Bittet 
got  auch  für  mich,  denn  tegliche  schwacheit  des  leibes 
hindert  mich  ser  an  meinem  ambt,  hab  dise  zeit  gen  regens- 
bure:  nit  können  schwacheit  halb  kommen,  ob  ich  gleich 
dazu  bin  erfordert  worden  vnd  noch  drauff  stehet  das  ich 
hin  müsse." 

in.  Christoph  Reuter. 

Unter  den  in  Österreich  selbst  wirkenden  Prädikanten 
war  der  wichtigsten   einer    Christoph  Eeuter    oder,   wie    er 


1)  denn  ohne  Keuschheit  ist  es  unmögüch,  Gott  zu  gefallen 
oder  doch  beten  zu  können. 

2)  wenn  sie  nur  mit  Euch  eines  Sinnes  ist  und  sich  allein  zu 
Euch  hält.  —  Die  Ehe  ist  eine  recht  glückliche  geworden ;  der  Vater 
Waldners  schätzte  die  Schwiegertochter  sehr. 

3j  beider  Fälle  halber. 

4)  Luthers  Tod  war  Uim  also  noch  unbekannt;  der  Mathias- 
tag ist  am  24.  Februar. 


—     222     — 

sich  schreibt,  Eeitter.     Derselbe  war  geboren  in  der  Ober- 
pfalz,   etwa    im    zweiten  Jahrzehnt    des  Jahrhunderts,    und 
wird,  wie  Waldner  in  einem  Briefe  vom  15.  Mai  15731)  dem 
Reuter  ins  Angesicht  sagt,  „vom  Kloster  her  sein".    Er  war 
also  Mönch  gewesen,  und  seine  Gegner  leiteten  aus  diesem 
Umstände    die   vielen  Ceremonien    in    der  Agende    ab,    was 
Waldner  in  ebendemselben   Briefe  erwähnt.     Reuter  wurde 
etwa  1543   von    dem    durch    Luther    nach  Regensburg    em- 
pfohlenen   Superintendenten  D.    Nopp    „zuerst  treulich  auf- 
genommen und  unterrichtet",  an  dessen  gute  Lehren  er  sich 
noch  1559    in  einem  Briefe    an  Gallus    erinnert  2).     Darauf 
muß  Reuter    in    seiner  Heimat  irgendwo  im  Kirchendienste 
gestanden    haben,    weil    er    selbst    erzählt,    er   habe     dort 
1548     eine    Agende    verfaßt,     welche     ihm    später    allerlei 
üble  Nachrede  eintrug,    z.  B.   daß  er  ein  „Brotbrecher"  sei, 
was     auf     süddeutsche     Abendmahlslehre     deuten     würde. 
Dieses  mochte  unter  dem  Pfalzgrafen  Otto  Heinrich  in   der 
Oberpfalz  wohl  vorkommen,  insofern  als  dieser  auch  solche 
duldete,    die    der    Schweizer  Lehrweise  nicht  abhold  waren 
[z.  ß.  Wolfgang  Musculus,  1548  ^)].     Er  selbst  legte  keinen 
Wert  auf  dieses  Jugendwerk  (s.  sein  Bekenntnis  Art.  XVII). 
1555    kam    er    nach    Österreich    und    wurde    als    ein    vom 
Herzog    von    Pfalz -Neuburg   und    von    Gallus  Empfohlener 
bald    von    verschiedenen  Herren  in  Dienst    genommen    und 
für    geistliche    Verrichtungen    verwendet.     Er    selbst    klagt 
damals,    daß    er   über    die  Maßen    beschäftigt    sei    und  sich 
bald    hier,    bald    dort    aufhalten    müsse.      Sein    vertrauter 
Freund    und  Berater  war    von  Anfang  an  Gallus.     Reuters 
definitive     Vokation     datiert     erst     vom     9.    Oktober   1557; 
sie  ist    unterzeichnet  von   Leopold   Grabner   zu   Rosenberg, 
welcher   bei    Gallus    darum    anhält,    daß    er   Reuter   länger 


I 


1)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXIII,  Z.  84. 

2)  E.  A.  Eccles.,    No.  XXII  l,    Z.  7.      „Er    solle    nicht   bald 
traurig  sein  und  seufzen  über  sein  Pfarrvolk." 

3)  Vergl.  Musculus,  Comm.  in  Ev.  Johannis,  in  der  Vorrede. 


—     223     — 

in  Österreich  zu  bleiben  veranlasse,  unter  Bezeigung  großer 
Zufriedenheit  mit  des  letzteren  Dienste  i). 

Anfangs  lebte  Reuter  zu  Spitz  in  Niederösterreich,  dann 
ward  er  als  Schloßprediger  nach  Rosenberg  versetzt,  wo 
ihm  ein  Haus  gebaut  wurde ;  obwohl  nicht  öffentlich  an- 
erkannt, hat  er  doch  in  der  Stille  im  Dienste  verschiedener 
adeliger  Herren,  und  zwar  „wohl  in  16  Edelmannshäusern 
ausser  der  gemein"  gewirkt  oder,  wie  er  im  eben  genannten 
Briefe  schreibt,  „die  Seelen  versehen". 

Über  die  ersten  Anfänge  seines  Wirkens,  und  wie  es 
dazumal  in  Österreich  stand,  vernehmen  wir  Wichtiges  aus 
den  Briefen  an  Grallus.  Einiges  von  den  Anfechtungen  und 
Verfolgungen  um  des  Wortes  Grottes  willen,  denen  die  Evan- 
gelischen ausgesetzt  waren,  hat  auch  Wolfgang  Waldner  in 
seinem  1566  gedruckten  „Bericht  für  verfolgte  Christen"  in 
der  Dedikation  an  die  österreichischen  Herren  mitgeteilt  2). 
Am   15.  März  1557  schreibt  Reuter  an  Gallus  aus  Nußdorf -^j: 

„Wie  es  herund  im  Lande  stehet  in  unserer  Religion 
ist  erbärmlich  zu  hören.  St.  Paulus  het  bluttige  Zähren 
gewaint.  Denn  die  heuchlerischen  zweyzungischen  pfaffen 
am  maisten  vnd  mer  den  die  papisten  selber  thun,  vnd 
zuefugen,  Iber  welche  S.  paul.  schier  in  allen  seinen  Episteln 

nicht  wenig  ja    auch    mit  Weinen    klagt Es  stehet 

jämmerlich,  gott  erbarms,  niemant  last  im  zu  Hertzen 
gehen,  es  ist  ein  wildes,  grobes,  tolles  volckh  vnd  wirtt 
gleich  das  andere  Sodoma  werden.  Die  besten  sind  heuchler 
vnd  Schmeichler,  man  predigt  an  etlichn  orttern  gleichwol 
zimblich,  auch  der  königliche  wirde  May:  predicant,  aber 
vil  gehet  ab,  mich  sihet  aber  an,  es  gehe  gleich  zu,  ich 
trag  sorge,  wol  erger,  wie  zu  zeitt  pauli,  philip.  1 :  Etliche 
zv/ar  predigen  christum,  auch  umb  Haß  und  Haders  willen, 
....    2<^  Clage    E.   E.    dz   ich    zu    Rosenberg    einen    bösen 


i)  R.  A.  Eccles.,  No.  XV,  Z,  79. 

2)  Raupach,   Presb.,   S.  149.     Besonders   wird   Leop.   Grabuer 
gelobt. 

3)  R.  A.  Eccles.,  No.  XV,  Z.  9. 


—     224     — 

nachtparn  hab  erkriegt;  der  jung  Herr  von  puechhain,  ein 
freyiierr,  hat  ein  Schloßprediger  aufgenommen ;  läßt  sie  vom 
Sacrament  nichts  guetts  hören ;  nur  ein  halbe  meil  wegs 
von  mir,  haist  das  Schloß  vnd  stättl  Hörn,  daselbst  ^)  on  dz 
auch  ein  Öcolampadischer,  der  Spittelmeister,  der  etwan 
zu  Vlm  ein  Diener  ist  gewesen,  wonet ;  hab  wol  mit  Ime 
geredet,  aber  nichts  ausgericht,  redt  schmehlich  vom  Luther 
vnd  Augspurgerischen  Confession.  Wie  es  den  zuegehet 
wo  kein  öffentliche  kirichen,  vnd  auf  diese  neuzeittung  vom 
Reichstage  noch  keine  zu  hoffen  ist.  Ich  glaub  vnser  kunig 
induratus  est  sicut  pharaon  ^). 

Wie  es  aber  umb  mich  stehet,  gibe  ich  E.  E.  in  christ- 
licher gehorsam  vnd  lieb  zu  erinnern,  dz  ich  samb  weib  vnd 
kind  inn  zimblich  zeittlich  wolfartt  stehe,  wie  ein  armer 
diener,  doch  one  Verfolgung,  predige  feiertage  iezt  im  schloß 
Nusdorff  bey  Herr  Achatzen  Enenkhl,  der  grabner  Vater, 
kombt  zusamen  ein  grosse  suma  Volckhs,  vnd  wir  alhie 
die  Ostern  begehen  vnd  haltn,  hoffe  nicht  one  frucht,  der 
Herr  gebe  dz  gedeien  Amen." 

Am  24.  Juni  1557  3)  schreibt  Eeuter  aus  Spitz,  dem 
Besitztum  des  Herrn  Kirichperger^),  an  Gallus  interessante 
Bemerkungen  über  den  jämmerlichen  Zustand  der  Evan- 
gelischen, die  nicht  wie  er,  den  Schutz  eines  adeligen  Herrn 
genössen.  Der  Prediger  von  Mautteren  sei  kaum  den 
Schergen  des  Bischofs  zu  Passau  entronnen,  aber  der  Herr 
habe  ihn  aus  der  Hand  Herodis  errettet.  Zu  der  Predigt 
des  Bischofs  von  Gurk  strömten  etliche  Tausend,  wie  man 
sagt,  hinzu,  auch  seien  Psalmen  gesungen,  und  einmal  habe 


1)  daselbst  ist  ohnedies  auch  ein  Öcolampadischgesinnter  S., 
der  zu  Ulm  vormals  gewesen.  Diese  beiden  machen  Eeuter  auch 
nach  einem  Briefe  vom  22.  Jxmi  1558  viel  Kummer,  so  daß  er  über 
sie  und  ihre  Lehre  eine  Schrift  aufstellte  (E.  A.  Eccles.,  No.  XVIII, 
Z.  82). 

2)  ist  verstockt  wie  Pharao. 

3)  E.  A.  Eccles.,  No.  XV,  Z.  83. 

4)  d.  i.  Kirchperger. 


-     225    — 

König  Ferdinand  selber  „gepumpelt  Im  stuel  troender  weiß 
Stil  zu  schweigen  i).  Hernacher  die  psalm  2)  verpotten  zu 
singen,  anstatt  derselben,  in  versamblung  großes  volckhs 
welches  lang  auf  die  Predig  mues  wartten,  vnd  Hauffen- 
weiß  zusam  lauift,  mitten  darunter  verordnete  Meßknecht, 
die  teufelische  Meß  zu  halten,  vnd  welch  gern  aus  der 
kirichen  wolt  gehen,  kan  nicht  herauß  vor  dem  volckh. 
Sehet  lieber  gott,  das  kan  der  Sathan;  da  wirtt  auch  wol 
Caro  crucifixi  et  Venus  vereintt"  ^). 

Am  11.  Oktober  1557  berichtet  Reuter,  daß  der  Bischof  von 
Gurk  aus  Wien  fortgezogen  sei  und  Sidonius  an  seiner  Stelle 
erwartet  werde;  „so  es  geschieht  wirtt  der  armen  kirichen 
nichts  guetts  volgen".  Dieser  bekannte  Mann,  Michael 
Heiding,  Bischof  von  Sidon,  war  wirklich  am  Ende  seines 
Lebens  in  Wien  angestellt. 

In  dem  schon  erwähnten  Briefe  Leopold  Grabners  an 
Gallus  vom  9.  Oktober  1557  dringt  derselbe  auf  definitive 
Berufung  Eeuters  nach  Österreich.    Er  sagt  unter  anderem : 

„Ich  pit  aber  E.  E.  wolle  sambt  der  ganzen  kirchen 
mit  ernst  für  vnß  pithen  Auf  daß  er  Herr  Christofif  pej  vnß 
durch  das  wort  vill  khunde  Ausrichten  wier  auch  dem- 
selben gern  volgen,  Auf  das  wir  In  Zuekhunfft  des  herlichen 
und  großen  tags  des  Herrn,  dem  Herrn  mit  freiden  khunden 
entgegen  khumen  fwelches  dann  das  Ende  vnsers  heiligen 
glaubens  ist)  zu  welcher  freid  vnd  herlikhait  wolle  vns  alle 
der  parmherzig  Vatter  durch  das  Verdienst  vnsers  ainigen 
erlösers  vnd  hailandts  seines  ainigen  geliebten  sohns  pringen 
vnd  führen.     Amen." 

Am  22.  Juni  1558  schreibt  Eeuter  an  Gallus ^j:  „Wir 
haben    bisher    aines    Schreibens    von    E.    E.    sonderlich    die 


1)  Wie  es  scheint,  hat  der  König  dem  Redner  mit  einer  Geberde 
befohlen,  still  zu  schweigen,  weil  ihm  derselbe  zu  weit  zu  gehen 
schien. 

2)  Wohl  lutherische  Lieder. 

3)  d.  h.  Fleisch  und  Geist. 

4)  E.  A.  Eccles.,  No.  XVIII,  Z.  82. 

^  15 


-     226    — 

Herreu  immer  mit  freiden  gewartt  vnd  syn  nun  betrübt 
weil  vns  eur  schwachhaitt  wol  bewust,  in  dem  wir  auch 
ia  in  all  euren  creutz  ein  treulichs  mittleiden  tragen  vnd 
haben:  Es  werde  etwan  ärger  vnd  gefärlicher  vmb  euch 
stehen,  das  wir  warlich  von  wegen  der  kirichen  nicht  gerne 
suchen,  Sintemal  dieselbige  eur  noch  lenger  notturftig  ist, 
ia  auch  vns  in  diesem  lande  sehr  dienstlich  künnet  sein, 
trag  aber  gleichwol  sorg,  weil  nindert^)  keine  besserung 
wil  volgen,  gott  were  (werde)  euch  vnd  andere  Heilige 
Gottes  Numer  (nunmehr)  zu  sich  Nemen  vor  dem  vnglükh 
wie  Esaias  sagt,  wolt  gott,  wolt  gott  der  Herr  Zebaoth 
käme  mit  seinem  herrlichen  grossen  tage  Amen.  Es  gehet 
ie  ie  Jamerlich  allenthalben  zue." 

Nachdem  er  um  nähere  Nachrichten  über  Gallus  selbst, 
und  was  zu  Jena,  Wittenberg  oder  anderswo  über  das  1557 
zu  Worms  gehaltene  Kolloquium  etwa  gedruckt  wäre,  ge- 
beten, fährt  Reuter  fort:  „Meine  Herrn  lassen  euch  sonder- 
lich bitten,  nachdem  sie  von  Eurentwegen  vnd  Math.  Flac. 
Illiricus  vilmals  in  stritt  komen,  euch  bede  lobende,  Ist 
nun  herunden  einrede  erschollen,  E.  E.  solle  das  Mesgewandt 
gebrauchen.  Item  Illiricus  soll  sagen:  Logos  no(n)  sit  filius 
dei^),  Ja  sol  ein  ganzer  Schwermer  sein  worden,  solches 
ist  vns  vnglaublich,  darumb  wartten  wir  eures  berichts. 
Umb  uns  hatts  dise  gestalt.  Neulich  ist  wider  ein  kayser- 
licher  befelh  wider  mich  ausgangen,  wir  wissen  aber  nicht, 
was  auf  den  bericht  wirtt  volgen.  Etliche  Landleutt  aus 
der  Ritterschaft  haben  vns  erschreckht  vnd  böse  neuzeittung 
gesagt:  zu  Wien  hatt  man  die  buechfuerer  (Buchhändler) 
visitirtt,  Item  khay.  Majestät  sol  zu  kö.  W.  (Ferdinand  zu 
Maximilian)  gesagt  haben.  Er  solle  seinen  prediger  hinwekh 
thain,    oder    er  welle    in    verprennen.     Die  antwortt    ist    zu 


1)  nirgend. 

2)  Diese  Beschuldigung  ist  falsch.  Auch  Heshus  in  einem 
Briefe  vom  7.  JuH  1568  an  Gallus  sagt,  daß  dem  Flacius  dariu 
Unrecht  geschehe,  und  erwähnt,  daß  man  sage,  er  sei  nach  Jena 
zurückberufen. 


—     227     — 

köstlich,  darumb  vnterlasse  ichs  zu  schreiben.  Meine  Herren 
sind  iez  zu  baiden  (Fürsten  gegangen),  werdens  grundtlich 
bei  dem  predicanten  (Pfauser)  erfahren.  Sonst  hatts  zimb- 
liche  diener  Im  lande,  weis  aber  nicht  wie  sie  sicher  bleiben 
vor  dem  OfficiaP),  auch  wie  sie  sich  in  babstischen  Cere- 
monien  halten.  Vulgus  ist  roch,  schreiet  nur  nach  der  Meß." 
Ferner  meldet  Reuter:  „Die  Ro.  Khay.  Mt.  Ist  widerurab 
In  die  krankhaitt  des  Fieber  gefallen.  Die  pfaffen  trauern, 
hergegen  Schelten  sie  die  Kö.  W."  (d.  i.  Maximilian). 

Zuguterletzt  klagt  Reuter  noch  seine  Not,  die  er  mit 
dem  einen  Hofprädikanten  des  Herrn  von  Pv.echhaim  habe, 
der  bei  ihm  zu  Rosenberg  in  seiner  Kirche  öffentlich  die 
leibliche  Gegenwärtigkeit  Leibes  und  Blutes  (Christi)  ver- 
neint habe.  Er,  Reuter,  habe  an  seine  Herren  eine  Schrift 
wider  den  Mann  erlassen  und  werde  weiter  darüber  an 
Gallus  berichten.  Also  auch  Prediger,  die  es  mit  den 
sog.  „Sakramentierern-'  hielten,  gab  es  vereinzelt  im  Lande. 
Darauf  bezieht  sich  wohl  die  Meldung  Reuters  an  Gallus 
in  einem  Briefe  vom  Jahre  1557,  daß  seine  Herren  am 
28.  Oktober  den  ganzen  Handel  von  den  Schwärmern  duich 
einen  eigenen  Boten  gen  Wittenberg  oder  an  Philippum 
geschickt  und  von  ihnen  ein  Judicium  begehrt  hätten;  die 
Antwort  gab  Melanchthon  1560  (s.  u.). 

Die  österreichischen  Herren  hatten  zu  Reuter  ein 
solches  Vertrauen,  daß  sie  von  ihm  sogar  ein  Bekenntnis 
forderten,  welches  er  in  aller  Einfalt  nach  längeren  Vorberei- 
tungen 1562  im  Druck  heraus  gab,  nebst  einer  stattlichen 
Vorrede  seiner  Herren  Leopold  Grabner  und  der  Brüder 
Achaz  und  Leonhard  Enickel  2).  Diese  Schrift  ist  wichtig'.für 
die  Erkenntnis  der  Zustände  zu  jener  Zeit.  Im  14.  Kap. 
klagt  er  über  die  Prädikanten,  so  zugleich  päpstisch  und 
evangelisch  sein  wollen,  Messe  lesen  und  daneben  unter 
beiden    Gestalten    das    Abendmahl    austeilen.     Im   15.  Kap. 


1)  d.  i.  der  Vertreter  des  Passauer  Bischofs. 

2)  Sonst  Enenkel. 

15* 


-     228     — 

verwirft  er  jene,  die  es  allen  recht  machen  wollen  und  „um 
des  Bauches  willen  mit  den  Papisten  und  Rotten  heulen". 
Er  trennt  sich  von  den  Wittenberger  Theologen,  unter  Ver- 
werfung des  Interims,  und  klagt,  daß  ihrer  etliche  im  Lande 
wohnen,  die  ,,alle  Sache  mit  Gewalt  verteidigen  und  uns, 
wie  unsere  Präceptoren  Schelme  und  Aufrührer  schelten" 
(Kap.  16).  Er  klagt  auch  über  die  Adiaphoristen,  die  beim 
Volk  in  großem  Ansehen  ständen,  denn  die  Heuchelei  sei 
ein  angenehmes  Ding.  Sie  kommen  von  Wittenberg  und 
nehmen  abgöttische  Konditionen  an,  werden  Pfaffen  und 
wollen  doch  evangelisch  sein  etc.  i).  Reuter  mußte  1563, 
nachdem  diese  Konfession  hohen  Ortes  sehr  übel  vermerkt 
worden  war,  aus  Osterreich  weichen.  Sechs  Herren  gaben 
ihm  am  27.  April  1563  einen  Empfehlungsbrief  an  Gallus 
mit  und  baten  um  gastliche  Aufnahme  für  ihn,  bis  sich  der 
Zorn  des  Kaisers  gelegt  haben  werde  2).  In  seiner  Be- 
gleitung waren  etliche  adelige  Knaben,  wahrscheinlich  um 
in  der  lateinischen  Schule  (Poetenschule)  erzogen  zu  werden. 
Wir  wissen  nicht,  womit  Reuter  sich  beschäftigte;  nur  so 
viel  ist  sicher,  daß  seine  Freundschaftsbande  mit  Gallus 
noch  mehr  befestigt  wurden,  und  er  viel  in  Regensburg 
gelernt  haben  wird.  Auch  mit  Wolfgang  Waldner  trat  er 
hier  in  enge  Beziehungen,  was  aus  verschiedenen  zwischen 
ihnen  später  gewechselten  Briefen  hervorgeht. 

Am  18.  Dezember  1564  endlich  wird  Pfauser  (damals 
in  Lauingen)  von  Gallus,.  Waldner  und  Oberndorffer,  den 
Pfarrern  der  Kirche  zu  Regensburg,  feierlich  angegangen, 
für  die  Rückkehr  des  in  Osterreich  so  unentbehrlichen 
Reuter  bei  Maximilian  Fürsprache  einzulegen,  unter  Hervor- 
hebung seiner  Verdienste  und  seiner  Bekenntnistreue  ^).  Wie 
weit  dies  von  Nutzen  gewesen,  ist  uns  unbekannt;  jeden- 
falls hat  Reiiter  nach  einem  Briefe  an  Gallus  vom  28.  April 
1565    jenen    Brief  Pfausers    nebst    einem    Zeugnis    seines 


1)  Raupach  II,  S.  144—148. 

2)  R.  A.  Eccies.,  No.  XXX,  Z.  1. 

3)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXIII,  Z.  110. 


I 


—    229     - 

früheren  Landesherrn,  des  Pfalzgrafen  Wolfgang,  dem  Kaiser 
Maximilian  überreichen  lassen.  Sein  Wiedererscheinen  in 
Wien  erregte  großes  Aufsehen  und  kam  alsbald  dem  Kaiser 
.zu  Ohren,  der  nach  mehrwöchentlichem  Zaudern  sich  der 
Rehabilitation  Reuters  nicht  widersetzte.  Die  neuen  Ver- 
hältnisse nach  Ferdinands  Tode  machten  ihn  seinem  alten 
Herrn  Leopold  Grabner  und  den  anderen  ihn  sehnlichst 
erwartenden  Freunden   dringend  nötig. 

Es  stand  Ende  1564,  als  Reuter  zuerst  wieder  ins  Land 
Österreich  kam,  recht  übel.  Er  schreibt  darüber  d.  d.  13.  No- 
vember 1564^):  „In  unsern  Landen  steht  es  gantz  still  —  da 
regiert  Epicurus  als  obrister  Feldhauptmann;  da  ist  kein 
Frag  von  Chx'isto  und  seinem  AVort.  —  Die  Unsern  werden 
auch  still,  aber  damit  wirt  die  Sach  nicht  besser."  Nachdem 
er  etwas  spöttisch  bemerkt,  wie  wohl  es  dem  Magdeburgius 
in  Raab  ergehe,  meldet  er:  „Ein  Diener  bey  vnser  kirichen 
ist  zu  einem  schelm  worden  ....  vnd  hat  doch  ein  Adeliche 

fraue 0  ein  grosse  sicherhait  volget ;  wie  war  wie  die 

Vater  schreiben.  Wo  die  kirchen  Verfolgung  leidet  stehet  es 
besser,  den  wo  sie  fridt  hat."  Sodann  meldet  er,  der  Erz- 
bischof von  Prag  habe  einen  sehr  gelehrten  Gottesmann  ver- 
klagt bei  Ihrer  Majestät:  „er  sey  ein  Schwenkfelder  vnd  habe 
die  alte  Kai.  M.  gelestert  Den  hat  ir  K.  M.  selber  verhöret, 
vnd  sich  trefflich  wol  verhalten  In  der  Verantworttung,  vnd 
durchaus  rein  befunden,  daran  ir  M.  wol  zufriden.  Aber  In  dem 
einen  stuckh,  daß  er  die  alte  K.  M.  einen  Verfolger  gehaissen, 
hat  er  vberhupft,  vnd  als  ein  christlicher  Heldt  nicht  ge- 
laugnet.    vnd  solches  ist  Ime  zum  besten  von  irer  M.  selber 

gedeutet Warlich  mit  tapfer  bekantnus  rieht  man  mer 

aus,  dan  mit  heichlen."  Als  die  Bischöfe  von  Maximilian 
begehrt  hätten,  er  solle  den  Salzburger  Synodum  -)  rati- 
fizieren, habe  er  solches  geweigert.  „Aber",  fährt  Reuter 
fort,    „gleich  wol    gehet  man    taglich  zur  Meß  vnd  Vesper. 


1)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXII 1,  Z.  81 

2)  S.  über  diese  Synode  Hopfen,  a.  a.  O.  S.  215  ff. 


—    230     — 

Doch  sagt  man  er  (Maximilian)  sey  der  Aug.  Confes.  genaigt. 
Man  meinet  aber,  wie  die  Meißner.  Das  vbrige  verstehet 
man."  Letzteres  Urteil  zeigt,  daß  Maximilian  für  einen 
Anhänger  der  kurfürstlich- sächsischen  Theologen  in  der 
Öffentlichkeit  galt. 

Reuter  ist  in  der  That  einer  der  durch  die  Vorsehung 
gesandten  Männer,  die  nicht  bahnbrechend  sind,  aber  doch 
durch  stilles,  nachhaltiges,  treues  Wirken  Bedeutendes  leisten, 
wie  er  denn  selbst  von  sich  am  26.  Oktober  1568  an  Gallus 
schreibt:  „Für  mich  ist  das  ein  Trost,  daß  Gott  durch  viel 
einfältige  und  bestendige  leutlein  auch  etwas  gethan  hat, 
wie  viel  Kirchenhistorien  zeugen". 

Chyträus  (1569)  und  Backmeister  (1580)  sind  ein- 
stimmig im  Lobe  dieses  Mannes.  Chyträus  wünscht  unserem 
Reuter  in  einem  Schreiben  aus  Spitz  vom  14.  Februar  1569 
Glück,  daß  er  schon  seit  24  (soll  heißen  14)  Jahren  den 
Samen  des  Evangelii  in  den  österreichischen  Landen  aus- 
gestreuet  habe^).  Derselbe  sagt  in  seiner  „Oratio  de  statu 
eccles."  (p.  391)  von  Reuter:  „Inter  primos  semina  purioris 
evangelii  doctrinae  in  Austria  sparsit,  et  propter  pietatem, 
prudentiam,  fidem,  vitae  integritatem  et  facundiam  Nobilitati 
Austriacae  merito  carus  est."  —  Auch  Backmeister  be- 
kennt, daß  Reuter  ihn  am  meisten  während  seiner  An- 
wesenheit in  Österreich  unterstützt  habe^j. 

Er  muß  eine  besondere  Art  gehabt  haben,  mit  den 
Hohen  und  Höchsten  dieser  Erde  umzugehen.  Selbst  Kaiser 
Maximilian  beriet  sich  mit  ihm,  und  er  hat  die  letzte  Hand 
an  die  Agende  gelegt.  Nachgiebig  [weshalb  ihn  auch 
Waldner  in  einem  Briefe  an  Gallus  der  knechtischen  Ge- 
sinnung gegen  die  Herren  zeiht  ^)],  aber  nicht  auf  Kosten 
der  Wahrheit,  immer  bereit,  dem  Zank  aus  dem  Wege  zu 
gehen,   war    er    auch  in  dem  späteren  flaciauischen  Streite, 


1)  Eaupach,  Presbyt.,  S.  149,  aus  Chyträi  Briefen,  S.  637. 

2)  Raupach,  Presb.,  S.   151. 

3)  Regensb.  Akten,  Eccles.  I,  No.  XXIII,  Z.  119. 


—    231    — 

der  nach  1574  entbrannte,  zur  Vermittelung  geneigt,  wes- 
halb er  sich  von  beiden  Seiten  verlästert  sah.  Auch  bei 
der  ihm  aufgedrungenen  Befehdung  des  Magdeburgius  klagt 
ihn  Waldner  an,  daß  er  „Hahn  im  Korbe"  sein  wolle  und 
den  „Herren"  die  Religionssache  gänzlich  in  die  Hand 
spiele.  Das  aber  war  in  jenen  Zeiten  das  einzig  Zulässige, 
weshalb  auch  Reuter  deswegen  zu  loben  ist. 

Er  war  ein  ernster  Lutheraner  nach  Luthers  Katechis- 
mus,   ein  Mann  der  Praxis,    dem    es    auf  die  Seelsorge  und 
nicht  auf  dogmatische  Distinktionen  ankam.     In  seiner  Be- 
scheidenheit kann  er  es  kaum  begreifen,  daß  ihn  die  Stände 
der  Kaiser    und    seine   ausländischen  Freunde   als  eine  Art 
Mittelpunkt    und    Beirat    in    allen    kirchlichen    Fragen    be- 
handeln,   daß    er    dem    Kaiser,    Camerarius    und    Carlowitz, 
diesen  Männern  ersten  Ranges,  die  Stirn  bieten  soll  —   er, 
„der  arme  Esel  Reiter",  wie  er  sich  wohl  einmal  in  seinen 
Briefen  nennt.     Und    doch  korrespondiert    Nicolaus    Grallus, 
am    liebsten   mit   ihm  und  läßt  durch  ihn  seine  Weisungen 
an    die    Männer    vom    Herren-    und   Ritterstande    gelangen, 
denen  man  wie  Befehlen  von  oben  nachlebt.  —  Reuter  ge- 
hört also  zu  den  Männern  der  Vorsehung,  und  wir  erinnern 
uns  bei  ihm  insbesondere  der  Dichterworte : 

„Und  was  kein  Verstand  der  Verständigen  sieht, 
Das  übet  in  Einfalt  ein  kindlich  Gemüt." 

Bei  der  Werkheiligkeit,  die  in  der  damaligen  Christen- 
heit alles  durchzog  und  das  rechte  Sündenbekenntnis  lähmte, 
war  es  ein  gutes  Zeichen  für  die  Herren  des  niederöster- 
reichischen Adels,  daß  sie  überhaupt  solche  Speise  ver- 
tragen konnten ,  wie  sie  Reuter  bot  vor  hoch  und  niedrig, 
und  solches  Zeugnis,  wie  es  das  obige  Bekenntnis  enthält,  als 
öffentliche  Rechtfertigung  hinausgehen  ließen.  Es  waren 
keine  geringen  Leute,  sondern  ihre  Familien  reichten  zum 
Teil  in  die  vorhabsburgischen  Zeiten  zurück.  Sie  hatten 
eigene  Grerichtsbarkeit,  und  doch  mußten  sie  sich  unter  das 
Wort  der  Predigt  beugen,  wie  es  aus  dem  schlichten  Munde 
eines  Reuter  an  sie  erging. 


—    232    — 

Reuter  hatte  die  besondere  Gabe,  dasjenige,  was  für 
den  Augenblick  notwendig  war,  zu  erkennen  und  vermochte 
wie  Gallus  zwischen  den  widerstrebenden  Geistern  zu  ver- 
mitteln. Auch  dem  Joach.  Magdeburgius  wußte  er  auszuweichen 
als  dieser  ihn  wütend  wegen  der  Zurückziehung  seiner  Unter- 
schrift von  der  später  zu  erwähnenden  „Confession  etlicher 
österreichischer  Prediger"  verfolgte.  Bei  diesem  Handel  tritt 
seine  furchtsame,  aber  zugleich  vorsichtige  Art  ins  hellste 
Licht.  Daß  aber  Reuter  den  Magdeburgius  beim  Kaiser 
verleumdet  hätte,  so  daß  diesem  nicht  die  erste  Rolle  in 
der  Agendensache  zuerteilt  wurde,  lag  gewiß  nicht  in 
seinem  Charakter.  Er  schob  gern  andere  vor,  wo  er 
konnte.  So  z.  B.  wußte  er  bei  der  Kirchenvisitation  sich 
wohlweislich  im  Hintergrunde  zu  halten ,  um  zwischen  den 
Flacianern  und  ihren  Gegnern  nicht  dadurch  den  Streit 
zu  steiffern,  daß  er  sich  offen  auf  eine  Seite  stellte.  Er 
gab  dem  Lukas  Backmeister  bei  dessen  Abschied  aus  Öster- 
reich in  einer  Zuschrift  i)  alle  Ehre  und  erkannte  seine 
eigene  Mitwirkung  als  gering  an ,  entschuldigte  sich  aber 
zugleich  mit  seiner  damaligen  Leibesschwachheit.  So  wenig 
er  Pfauser  leiden  mochte,  der  keinen  guten  Einfluß  auf 
Reuters  Sohn  hatte ,  tadelte  er  doch  J.  F.  Cölestin ,  daß 
er  nach  dem  Primat  in  Lauingen  strebe.  Er  klagt  in  einem 
Briefe  an  Gallus,  Mitte  Mai  1566  2),  unter  Hindeutung  auf 
den  Gegensatz  zwischen  Pfauser  und  allen  Lauinger  Pro- 
fessoren: „Wolt  gott  Ich  hette  meinen  Son  nicht  dortthin 
geschickht,  der  souil  geergertt,  daß  er  nicht  allein  zum 
Ministerio  nicht  gewolt  Sondern  bald  zu  freien  vnd  poli- 
tischen Sachen  sein  Herz  gestellet,  Sich  an  Herrn  phauser 
gehalten,  volgents  von  D.  Celestinus  geurlaubet."  Daß 
Reuter  wegen  seines  großen  Einflusses  in  Österreich  selbst 
von  einem  Waldner  wohl  einmal  beneidet  wurde,  läßt  sich 
denken.     Er    hat   aber  diesen  Einfluß  nicht  gesucht.     Seine 


1)  Raupach,  III,  S.  363. 

2)  R.  A.  Eccles.    No.  XIV,  Z.  8. 


—    233     — 

liebsten  Freunde  waren  Leute,  wie  der  fromme  Jonas  Prancus 
und  Philipp  Barbatus.  Vor  der  Heftigkeit  des  Magdeburgius 
fürchtete  er  sich.  —  Er  hätte  am  liebsten  mit  allen  Leuten 
soviel  als  möglich  in  Frieden  gelebt. 

Auch  in   weltlichen  Dingen  wurde   Reuter  als  Richter 
angerufen   und  dieser  ging   dann  wieder  Gallus  als   „seinen 
geliebten  Herrn    vnd  Vater    mit    demütiger    bitt  vmb  ratte 
vnd    kleinen    kuertzen  bericht"    an.     Seine  Lage  beschreibt 
er  selbst  in  der  Antwort  auf  Gallus'  Bemerkung,  daß  er  ein 
„Edelmanusprediger"     geworden    sei,     folgendermaßen:    Er 
hoffe,  es  werde  ohne  Frucht  nicht   abgehen,    „aber  mer  hab 
ich   zu  leiden  als  andere.     Suma    hab  al    Hende  vol,  geitz, 
pracht,   hoflfart,  faulkeitt,   sicherhaitt,  Schinderey.     Ich  hab 
nur  zu  thain  mit  der  verfluchten  Rowolt,  frondiensten,  ach 
du   lieber  gott  wir  wollen  Christen  sein,   aber  dem  Lazaro 
nicht    winckhlein     lassen.      wil    Imer    in     vnsern    schönen 
Schlössern    wachsen    vnd    zuenemen,    dem    ich    were    vnd 
steure.    Wo    kein    volge    wirtt    sein    wil    ich    zuletzt    den 
Herrntisch  noch  fallen  lassen,  den  es  haist.  Mache  dich  fremb- 
der  sinden  nicht  teilhafftigi)."     Interessant  ist  auch  der  oben 
citierte     Brief    vom    24.    Juni    1557.      Der    Herr    Lienhart 
Kirichperger,  der  Besitzer  von  Spitz,  begehrt,    „von  seinen 
Unterthanen  nach   dem  Landtsbrauch  rowolt  oder  frondienst 
Im   iar    12    tage    von  ieden,    welcher  frondienst  bei  seinen 
Eltern    nicht  ist  gewesen.     Darüber  ich  Ime  solches  baldt, 
mit   gewaltiger    anzegung  2)    wie    gott  ie    vnd    alwegen    die 
schinderisch  Obrigkeit  habe  gestrafft,  auch  wie  dem  Evangelio 
dardurch    grosser    schaden,  weil    er    ein  christlich  herr  wel 
sein,    zugefuertt   wurde,  gar  gentzlich  abgeschlagen.     Her- 
gegen  hatt  er  mich  bericht  was  (er)  für  grosse  Steuer,  kriegs- 
lüstung    vnd    anders    dem    könige  mues    geben ,    das    seine 
eitern  nicht  gethan ;  darzue  alles  theurer  täglich  wirtt,  waz 
er  kauffen  wil,  aber  sein  Järlich  Einkumen  kune  noch  möge 


1)  Brief  vom  11.  Oktober  1557,  R.  A.  Eccles,  No.  XV,  Z.  12. 

2)  Anzeigung. 


—    234    — 

er  nicht  steigern.  Er  wiß  sich  sonst  nicht  zu  erweren, 
sein  meistes  einkumen  seie  Wein ,  den  küne  er  nicht  ver- 
kauffen.  Vor  etlichen  Jaren  haben  sie  Ime  geholffen  den 
Wein  aufzugeben ,  das  wellen  sie  auch  nun  nimer  thain. 
Er  beger  auch  nicht  mer  von  seinen  vnterthanen,  denn  waz 
andre  landtleitt^j  von  iren  vnterthanen ,  Ja  noch  wol  weni- 
ger, allein  2)  das,  das  Im  der  Landtsfürst  zuelast  vnd  erlaubt. 
Waz  Ime  derhalben  der  könig  erlaubt  vnd  mit  recht  er- 
helt,  da  neme  er  im  kein  gewissen  darüber.  Auch  So  ime 
der  Landsfürst  solche  frondienst,  die  Im  gantzen  landt  ge- 
breuchlich  vnd  doch  nur  ein  gantz  Jar  12  tage  meniglichen 
ein  recht  ist  worden,  abschafft,  wel  er  sein  lebenlang  solche 
von  seinen  vnterthanen  nicht  begern  noch  fordern.  Oder 
so  ich  oder  ein  ander  Diener  mit  heiliger  gschriflft  solches 
recht,  das  im  lande  ein  recht  ist  worden,  abieine,  ^)  vnrecht 
vnd  verdamblich  kan  machen,  wil  er  nicht  allein  das  vnter- 
lassen,  Ja  er  wolt  ehe  gantz  vnd  gar  von  Allen  seinen 
guett  gehen,  den  seinen  gott  belaidigen  vnd  verdambt  werden. 
Den  er  beger  nicht  vil  gelts  zu  samblen,  von  schwaiß  vnd 
Bluett  armer  leutt,  so  verspiel  er  noch  verpanckhetier  er 
nicht  sein  guett.  —  — 

In  diser  Sachen  bin  ich  zu  gering ,  wie  die  Sachen 
aber  zu  thain  sein,  wie  oben  gemelt,  Ist  mein  hochfleyssig 
bitt  wellet  one  Verdruß  Eur  kurtz  Judicium  in  einem 
sendtbrieffel  noch  vor  Jacobi  herab  mir  zuesenden,  vmb 
Jacobi  wil  er  den  frondienst  begern." 

Daß  Gallus  auf  diesen  Brief  geantwortet,  sehen  wir  aus 
Reuters  Schreiben  vom  11.  Oktober  1557 -^j  wo  er  sagt: 
„Vnd  bedanckhe  mich  zum  höchsten  des  treuen  vnd  christ- 
lichen bedenckhens,  Herrn  Kirichperger  angehet ;  one  Zweifel 
er  wirtt  E.  E.  vnd  mir  hierinnen  volgen,  es  ist  ein  feiner? 
verstendiger,  gottseliger  vnd  bestendiger  Herr ;  er  hatt  offt 


1")  =  Herren. 

2)  ■=  und  nur. 

3)  ablehne,  widerlege. 

4)  R.  A.  Eccles.,  No.  XV,  Z.  12, 


—    235    — 

zu  mir  gesagt,  Er  wolt  lieber  todt  sein  vnd  von  allem  seinen 
guett  gehen,  den  verdamblich  leben,  vnd  sich  vor  seinem 
gott  versündigen." 

Der    Adel    hatte    in    Osterreich    wie    überall    von    den 
Landesfürsten    Rechte    über  Dörfer    und   ganze  Bezirke  er- 
halten ,    die   natürlich    oft  als  ein  schwerer  Druck  auf  dem 
Volke  lasteten  und  vielfach  zu  Aufständen    geführt    haben, 
in  Deutschland    sowohl    als    auch    in  Österreich  und  in  der 
Schweiz.     Aber  dieser  Adel  mußte  ja  auf  der  anderen  Seite 
von    seinem  Landesherrn  Lasten  geduldig  übernehmen,    die 
oft   ganz  unerträglich    waren ,    besonders    in    der    Zeit    der 
Türkenkriege,   und  woher  sollte  er  das  Geld    wohl  nehmen, 
wo  nicht  von  seinen  Unterthanen?    Denn  Bürger,  die  Kredit 
gegeben  hätten,  gab  es  nur  wenige,  und  ihre  Zahl  verringerte 
sich    in    dem    Maße,    als    man    den    Städten    die    Religions- 
freiheit   schmälerte.      Der    österreichische    Adel    aber,    der, 
natürlich  mit  Ausnahmen,  mit  Würde  und  Einsicht  regierte, 
hat    seinen    Unterthanen ,    zumal    als    das    Evangelium    die 
Herzen  erwärmte,  schwerlich  Überlast  auferlegt  oder  durch 
ein  schändliches    und    ärgerliches  Leben    sein    Ansehen  er- 
schüttert.   Wir  sehen  vielmehr  bis  zuletzt,  wie  seine  Unter- 
thanen ihm  anhangen,  und  haben  an  dem  Beispiel  von  Kaum- 
berg (in  Niederösterreich)  zu  lernen,  wie  man  sich  gewehrt 
für  seinen  Herrn,  auch  nachdem  er  verjagt  worden  ^j.     Man 
wollte  lieber  türkisch  als  papistisch  werden,  —  aber  Gewalt 
ging   vor   Recht.      Wir    denken,    daß    Gallus    in   der  oben- 
erwähnten Antwort,  die  wir,  wie  gewöhnlich,  nicht  besitzen, 
den    Herrn    Kirchperger    von    allem    Geiz    und   Härte    ab- 
gemahnt,   aber    doch   wahrhaft     konservativ    geurteilt,    und 
nicht  wie  Schwärmer,  sondern  wie  einst  Luther  (im  Bauern- 
krieg) Recht  und  Unrecht  weise  abgewogen  haben  wird. 

In    die  gleiche  Kategorie    gehört  der  Zank  wegen  des 
Wuchers  ^').      Auch    hier   gingen    die   Ansichten    stark    aus- 


1)  Wiedemann,   a.  a.  O.  IV,  S.  171  ff. 

2)  Wegen    desselben    wandte    Reuter    sich    bereits    1560    an 
Melanchthon.    Dieser  antwortet  ihm  unter  dem  4.  Februar  als  „Vene- 


—    236     - 

einander.  Magdeburgius  verwarf  in  seinem  1566  verfaßten 
Bekenntnis  den  Wucher  bei  den  Evangelischen  überhaupt 
und  meinte,  die  frühere  Zulassung  stehe  gleich  mit  der 
Zulassung  der  Vielweiberei  bei  Mose,  sei  aber  jetzt  unter 
dem  Evangelium  nicht  mehr  erlaubt.  Als  nun  die  Land- 
herren den  Artikel  vom  Wucher  in  jenem  Bekenntnis  fanden^ 
wollte  er  ihnen  nicht  gefallen,  und  dasselbe  wurde  über- 
haupt verworfen.  Von  da  an  begann  ein  längerer  Disput 
über  den  Wucher.  Auch  hier  wurde  Gallus'  Rat  eingeholt. 
Es  drohte  ein  Zwist  unter  den  Pfarrern  selber.  Philipp 
Barbatus  und  Eccius,  beide  aus  dem  Reiche,  ereiferten  sich 
sehr  darüber.  Gegen  Magdeburgius  wandte  sich  dann  Gallus 
und  verweist  Reuter  betreffs  des  Wuchers  auf  Luther  ^)  und 
warnt  zugleich  vor  Disputation.  Auch  Reuter  weist  des 
Flacius  Zank  wegen  des  Zinskaufes  ab  und  will  ungeschoren 
bleiben  bezüglich  solcher  Fragen  2).  Barbatus  selbst  soll 
aber  später,  laut  eines  Schreibens  des  Eggerdes  an  Waldner 
in  Regensburg  (1571).  dies  Zinsennehmen  erlaubt  haben, 
nachdem  Gallus  scharf  sich  gegen  „seine  Unarten"  erklärt, 
die  an  ihm  keine  Unterstützung  finden  würden.  Überhaupt 
hat  sich  damals  Gallus  gegen  Magdeburgius  ausgesprochen : 
seine  Konfession  streite  mit  der  Augsburger  Konfession 
und  nehme  Luthers  Autorität  weg.  Gallus'  kräftiges  Wort 
stellte  sich  der  Erörterung  solcher  Fragen  entgegen,  die  eine 
völlige  Änderung  des  wirtschaftlichen  Zustandes  zur  Folge 
gehabt  und  die  Landherren  aufs  gewaltigste  vor  den  Kopf 
gestoßen  haben  würden.     Auch  die  zwei  Eiferer  Eccius  und 


rando  viro  eruditione  et  virtute  praestanti  Christophoro  Reutter" 
und  mahnt,  Unterschied  zu  machen  zwischen  ,, Interesse"  und 
„Wucher" ;  er  schickt  zugleich  sein  Examen  ordinandorum.  Unter 
demselben  Datum  schreibt  Melanchthon  ziemlich  kühl  an  L,  Grabner 
imd  andere  Herren  wegen  der  Form  des  Abendmahls  und  übersendet 
ihnen  dasselbe  Buch  (siehe  Corp.  Ref.  IX,  1037). 

1)  Vom  Zinskauff  an  Dr.  Brück,  Tom  II,  275. 

2)  Siehe  Reuters  Brief  an  GaUus  vom  8.  Juli  1564  aus  Dürren- 
khrut.    R.  A.  XXIII,  Z.  76. 


—    237     — 

Eggerdes,  die  nebst  Barth.  Strele  aus  Magdeburg  unverhört  ab- 
geschafft worden  waren,  in  Österreich  eine  Zuflucht  gefunden 
hatten  und  hier  nun  eine  neue  Ordnung  der  Dinge  einzuführen 
trachteten  (1565),  wurden  von  Gallus,  der  sich  dabei  Reuters 
bediente,  in  Zaum  gehalten.     Und    nicht   mit  Unrecht  thut 
Reuter  die  Äußerung,  daß  er  wohl  in  Österreich  nicht  weit 
gekommen  wäre,  wenn  er  im  Anfange  so  rücksichtslos  mit 
dem    Alten    aufzuräumen    begonnen    hätte.      Jonas   Francus 
war  dagegen  ganz  im  Sinne  des  Gallus  thätig,  dem  er  am  6. 
Mai  (1565?)  schreibt:  erst  müßten  die  gottlosen  Meinungen 
aus    den  Herzen  hinweg,    dann  könne  mau  die  Bilder  und 
anderes  Unnütze  ihnen  nehmen.     Dabei  berührt  er,  daß  die 
durchs    AntiChristentum  verführten  Österreicher    ohne  diese 
Vorsicht    die    aus    der  Fremde  kommenden  Prediger  als  zu 
kühn  und    von    ihnen  allzu  verschieden  in  Verdacht  ziehen 
möchten,  welcher  Verdacht  dann   schwer  zu  tilgen  sei.     In 
diesem  Zusammenhang  giebt  er  zugleich  Reuter  das  Zeugnis, 
daß  er  bei  den  meisten  Herren  in  größtem  Ansehen  stünde, 
und    bedauert,     ihn    so    selten    sehen    zu    können.      Petrus 
Eggerdes,  der  in  Reuters  Nachbarschaft  angestellt  war,  fing 
an  die  Kirchen  zu  reinigen  und  zu  reformieren  ^),  alle  Bilder 
und  Altäre    hinwegzuthun    und    die  Wände    zu  vertünchen. 
Er   führte    strenge  Zucht   ein,   z.  B.    daß    man   am  Sonntag 
keine    Hochzeit   halten    solle,    worüber   er  schon   mit    Ver- 
schiedenen  in  Wien    disputiert    und    es    für  eine  Todsünde 
erklärt  hatte.  Das  war  selbst  Reuter  und  dem  frommen  Fran- 
cus zu    viel,    die    sich    durch  solchen    Zwang    nicht   binden 
lassen    wollten,  weshalb    es   zu  Uneinigkeit  zwischen  ihnen 
kam.     Meßgewand    und  Lichter  wollten  beide,    Eccius  und 
Eggerdes,    nicht    annehmen.     Eggerdes   hatte  überdies  sehr 
strenge    Ansichten    betreffs    der   ungetauft    im    Mutterleibe 
sterbenden     Kinder    und    brachte     den     Satz,     daß    solche 
verdammt    seien,    unter    die    Gemeinde.      Als   solches    Frau 

1)  In  Eferding  ließ  Rüdiger  Starhemberg  die  Altcäre  aus  der 
Kirche  herausbrechen  (nach  Oberleitner,  Die  evangeUschen  Stände 
im  Lande  ob  der  Enns  S.  31). 


—    238    — 

von  Zintzendorff  dem  Reuter  anzeigte,  erbittet  sich  dieser, 
der  einer  milderen  Ansicht  anhing,  den  Rat  des  Gallus 
und  erwähnt  die  Historie  Johannis,  der  im  Mutterleibe  ge- 
heiligt sei,  welche  Eggerdes  dahin  erkläre,  es  sei  dies  amts- 
halben geschehen  und  das  Hüpfen  nur  aus  der  Freude  der 
Mutter  zu  erklären.  Was  Gallus  ihm  antworten  werde, 
werde  Reuter  jener  Edelfrau  aufs  eheste  schreiben.  Gallus 
hatte  auch  hier  durch  Reuter  die  oft  hochgehenden  "Wellen 
zu  glätten  und  der  gehorsame  Mann  half  ihm ,  manches 
Ärgernis  in  Osterreich  aus  dem  Wege  zu  nehmen. 

Reuter  berührt  auch  in  einem  Brief  an  Gallus,   „montag 
nach  pankratius"   15661)    die  Kirchengüter,  indem  er  sagt: 
„Ist    alles    vmb    die    pfarguetter    zu    thun."     Damit    deutet 
er    auf   einen    wunden    Punkt   in    der   österreichischen    Be- 
wegung dieser  Zeit;  wie  Wiedemann  auch  wohl  behauptet, 
daß    die  Stände    nur  auf   Befestigung    ihrer  Macht  bedacht 
gewesen  seien  2).    Ein  Mann,  wie  Eccius,  klagt  sogar  1570 
in    einem  Schreiben  aus  Göllersdorf   an  Gallus  über  seinen 
Patron    Michael   Freiherrn    zu    Puechheim   und    zwar    über 
dessen  „sacrilege"  Aneignung  des  Pfarrgutes.    Der  generosus 
patronus  erkenne  es  zwar  an,  meine  aber,  es  sei  der  Kirche 
damit  besser  geholfen,  als  wenn  sie  einen  papistischen  Ver- 
führer gehabt,  d.  h.  also,  wenn  alles  beim  Alten  geblieben 
wäre.    Es  trifft  sich,  daß  gerade  bei  diesem  Patron  der  junge 
Polykarp  Leyser  zwei  Jahre  diente  (1572 — 74)  und  von  ihm 
in  höchsten  Ehren  entlassen,  ja    auch  später  zurückbegehrt 
wurde.      Herrn    von    Puechheim    dürfen    wir     keine   über- 
triebene Habsucht  zumuten,  sondern  es  spricht  sich  in  seiner 
obigen  Meinung  ein  Prinzip  aus.     Die  Landherren  konnten 
mit  Recht  erwarten,  daß  man  nach  der  langen  Sklaverei  sich 
das    Regiment    der    Herren    gefallen    lassen    würde,     wenn 
nur    das  Evangelium  gepredigt  werde;  aber  gewisse  Leute, 
wie  Eccius  und  Eggerdes,   hätten  gern    schon    damals    eine 


1)  R.  A.  Eccles.,  No.  XIV,  Z.  8. 

2)  Wiedemann  I,  328. 


-     239    — 

freie  Kirche  aufgerichtet,  in  welcher  sie  die  Herren  und  Ver- 
walter der  Kirchengüter  waren.    Dazu  kam  es  nicht  in  der 
damaligen  Zeit.     Das    der  alten  Kirche    entzogene  Pfarrgut 
wurde  in  den  Dienst  der  Predigt  des  Wortes  gestellt,  und 
wo    man  das  Geld,   das    man  unwürdigen  Leuten  bis  dahin 
gegeben,  an  würdige  austeilte,  so  war  dies  wohlgethan,  und 
verlor  das  Gemeinwesen  dabei  nichts.    Die  Kirchengüter  er- 
reichten um  so  mehr  ihren  Zweck,  für  den  sie  die  Vorväter 
bestimmt     hatten,    eine   je    bessere    Anwendung    dieselben 
fanden.    Eine  wahrhaft  fürstliche  Gabe    bot  Chr.  Jörger  zu 
Tollet  am  28.  Oktober  1564  aus  Kreuspach  dem  Nie.  Gallus 
an,  1)    um  sie  der  Stadt  Regensburg  ad  pios    usus,  also  zur 
Förderung  des  Evangeliums,    zu   übergeben    und    bittet   um 
wohlmeinenden  Rat  betreffs  der  Verwendung  dieser  Summe 
von    „6000  fl.  Reinisch".     So    hat  Österreich     eine     Menge 
Stipendien  ^)  zu  verzeichnen,  welche  einst  adelige  Herren  ge- 
stiftet, die  aber  dann  zu  anderen  Zwecken  verwendet  wurden. 
Zur    Errichtung  einer    „Christlichen,  ordentlichen    und  ade- 
lichen   Landtschuell"    gab    das     im  Jahre    1543    errichtete 
Vermächtnis    der  Brüder  Georg   und  Wolf  von    Perckhaim 
Anlaß.     Dieselben    hatten    alle  ihre  Güter  den  Ständen  für 
solche  Zwecke  vermacht  ^j. 

Daß  es  auch  geizige  Patrone  gab,  welche  zu  gerechten 
Klagen  Anlaß  gaben,  läßt  sich  denken  ^j;   aber  wo  das  Wort 


1)  R.  A.  Eccies.,  No.  XXIII,  Z,  162. 

2)  Bis  heute  verwaltet  die  Wiener  evangelisch  -  theologische 
Fakultät  das  Praunfalcksche  Stipendium,  bestimmt  für  einen  Juristen 
und  einen  Theologen. 

3)  S.  darüber :   Evang.    Vereinsblatt   aus   Oberösterreich   1901, 

No.  11  u.  13. 

4)  So  klagt  beispielsweise  Wolfgang  Wegerich  aus  Plauen, 
Pfarrer  zu  Weierburg,  am  29.  Februar  1570,  in  einem  Briefe  an  Gallus 
über  gewisse  Herren,  die  die  Kirchengüter  an  sich  zögen,  aber  sie 
behielten;  in  seiner  Parochie  seien  innerhalb  2  Jahren  6  Pfarrer 
gewesen,  die  einander  abgewechselt,  aber,  ohne  ordentlich  dotiert 
worden  zu  sein,  wieder  fortgeschickt  wären.    Solche  Herren   ertrügen 


—    240     - 

Gottes  verkündigt  wurde  und  man  den  Herren  unerschrocken 
entgegentrat,  ging  es  auch  den  Predigern  relativ  wohl. 
Magdeburgius  hatte  es  sogar  zum  Staunen  gut  in  Raab  und 
Grafwerd;  auch  Reuter  durfte  sich  nicht  beklagen,  Chr. 
Plättinger  1564  hatte  es  bei  Georg  Jörger  ebenso  gut  als 
Phil.  Barbatus  bei  Karl  von  Zelking.  Frau  Barbara  von 
Zintzendorff  war  unter  vielem  Kreuz  das  Muster  einer 
Edelfrau  jenes  Jahrhunderts.  Ihr  Hofprediger  war  Jonas 
Prancus.  Zur  Bescheidenheit  hielt  eben  das  Evange- 
lium seine  Lehrer  an ,  und  verwöhnt  sind  sie  nie  wor- 
den bis  auf  die  heutige  Zeit.  Wunderliche  Verhältnisse 
gab  es  noch  lange,  aber  als  Ausnahmen.  Dahin  wollen  wir 
rechnen,  daß  der  Geistliche,  wie  die  Leute  von  Warttberg 
sich  beschwerten,  ihnen  nur  einmal  im  Jahr  „einen  meß- 
pfaffen  hinaußschickht,  meß  zu  halten,  welchen  sy  mit 
sondrem  vnkosten  vnd  beschwehren  müssen  außhalten,  vnder 
solchem  offt  die  Kranckhen  ohn  das  Sacrament,  ia  auch 
Kinder  ohne  Tauff  bleiben  vnd  sterben  müßen.  Wan  sy 
den  pfaffen  anreden,  er  sol  auch  den  gottesdienst  bei  ihnen 
verrichten,  andtwortt  ehr,  die  pfahrkirch  sy  zu  Egenburg; 
wehr  dahin  nicht  komen  wol,  dem  wolle  er  nicht  nachghen ; 
aber  nach  dem  Zehendt  kan  er  wol  mit  roß  vnd 
wagen  komen.''  Die  Warttberger  Gemeinde  möchte  des- 
halb einen  Prediger  augsburgischer  Konfession  haben,  und 
der  Schreiber  des  Briefes  i)  bittet  Rosinus,  seinen  bisherigen 
Schulmeister  zu  ordinieren. 

Es    ist    selbstverständlich ,    daß    sich  in  Österreich  die 
evangelische  Kirche  langsam  aus  den  zerstreuten  Gläubigen 


keine  Kirchenzucht,  und-wenn  der  Pfarrer  solches  Verfahren  strafe, 
machten  sie  ilm  beim  Volke  verhaßt  und  hielten  es  so  mit  den 
Feinden^  der  Wahrheit.  Wegerich  nennt  Oswald  und  Andreas  von 
Eyzing,  letzterer  Rat  des  Kaisers,  die  sich  solcher  Handlungsweise 
schuldig  machten  (R.  A.  Eccles.,   No.  XL,  Z.  36). 

1)  INIichael  Grinberger,  Pfarrer  zu  Egenburg,  an  Eosinus  unter 
dem  26.  Februar  1577  (Eegensburger  Stadtarchiv,  Eccles.,  Kasten  D, 
Fach  I,  No.  XXX). 


—    241     — 

sammelte.     Bei  einem  Mitte  Mai  1566,  anberaumten  Examen 
aller     Pfarrer  des  Pasaauer  Kirchendistrikts  unter  der  Enns, 
von  dem  auch  Reuter    unter  Klagen  berichtet  ^j,  bekannten 
sich,  soweit  das  Examen  reichte,    113    noch  zu  der  katho- 
lischen Religion ;  deren,  so  sich  zu  der  Augsburgischen  Kon- 
fession bekannten,   waren  in  die  34;  25    waren  zweifelhaft. 
Von  diesen  wurden  10  als  von  Prädikanten  der  Augb.  Conf. 
ordiniert  befunden.  Dazu  bemerkt  der  katholische  Bericht  2) 
daß    die   ganze  Masse    verdorben    sei.      Der  Messe 
und     anderer    Ceremonien    bedienten    sie    sich   noch,    aber 
die  Lehre    sei    vermengt  und    ungleich    und  wüßten    wenig 
Unterschied    zwischen    reiner    und   unreiner  Lehre;    tauften 
bald    deutsch,    bald    lateinisch,    im    Beichthören    sei  keine 
Ordnung ,     die    öfientliche    Beichte     fände    sich     vielfach ; 
von  ihren  eigenen  Patronen  und  Pfarrleuten  würden  sie  ge- 
drungen, in  den  Ceremonien  und  Reichung  der  Sakramente 
Änderungen     vorzunehmen.      Wo    sie    solches    nicht    thun, 
würden    sie    von    den  benachbarten  Pfarrern   der  A.  C.  auf 
offener    Kanzel    geschmäht    und  als    papistische    Meßpfaffen 
gelästert,   an  etlichen  Orten  auch  der  Unterhalt  geweigert. 
„Was    dann  die  belangt,    so   sich  zu  der  A.  C.  bekhennen, 
da  befindt  sich  das  deren  ain  thail  nit  dann  von  der  A.  C. 
verwanndten  Superintendenten  (ordiniert  sei),  ein  thail  vom 
Gallus  zu  regennspurg,  ein  thail  aber  ordentlich  ordiniert." 
Unter  diesen  befände  sich :  erstlich,  was  die  Lehre  betrifft, 
Verschiedenheit    des   Lehrausdruckes  und   Unbekanntschaft 
mit  der  Konfession  selber  und  den  daselbst  vorgeschriebenen, 
freilich    nur    wenigen    Ceremonien.     Und    zeige    man  ihnen 
aus  der  A.  C,  daß  sie  offenbar  von  ihr  abweichen  im  Punkt 
der  Ceremonien,    so    geben    sie  vor,    es    sei  wider    ihr  Ge- 
wissen,   darin  nachzugeben.     Ferner  befindet  sich,    daß  sie 
die  Messe    teils  gar  nicht,    oder  dann  mit  Beseitigung  des 
Opfers  halten ;  ebenso  verfahren  sie  mit  der  Taufe.    Manche 


1)  R.  A.  Eccles.,  No.  XIV,  Z.  8. 

2)  s.  Hopfen,  a.  a.  O.  S.  248  f. 

16 


-     242     - 

lassen  auch  Lichter  und  Chorrock  beiseite.  Und  ob  sie 
schon  mit  dem  Munde  sich  der  geistlichen  Jurisdiktion 
unterwürfig  bekennen,  so  thun  sie  mit  dem  Werk  das 
Widerspiel,  und  wird  ihnen  von  den  Ordinarien  Gehorsam 
befohlen,  so  sagen  sie,  es  sei  das  wider  ihr  Gewissen.  Die 
dritte  Sorte,  die  Unentschlossenen  und  Zaudernden,  besteht 
zum  größeren  Teil  aus  entlaufenen  Mönchen,  die  im  Wider- 
spruch mit  der  Ordensregel  beweibt  sind ,  dazu  auch  ge- 
meiniglich ungelehrt.  Die,  welche  nicht  durch  bischöfliche 
Gewalt  ordiniert  sind,  widerständen  jeder  Widerholung  der 
Ordination.  Der  katholische  Bericht  giebt  hier  neun  Orte 
an,  meint  aber,  daß  der  Nichtordinierten  noch  mehr  seien 
und  bricht  dann  ab  mit  der  Bemerkung,  das  Examen  sei 
durch  die  Türkennot  und  andere  Hindernisse  unterbrochen 
und  bis  auf  weiteres  eingestellt  worden i). 

Gleich  einem  Rekonvalescenten  mußte  die  Kirche  an 
Haupt  und  Gliedern  erst  wieder  gehen  und  sich  frei  be- 
wegen lernen.  Man  gewöhnt  sich  schwer  an  die  Freiheit. 
Insbesondere  jener  „heilige"  Ausschuß  der  Menschheit,  der 
für  die  anderen  fromm  sein  und  durch  Gebet  und  Opfer  das 
Heil  verdienen  mußte,  forderte  nun  sein  Recht  zurück.  Ein 
Beispiel  dafür  giebt  Goethe  in  Bruder  Martins  Worten 
im  Götz  von  Berlichingen,  die  ganz  zeitgemäß  klingen,  wenn 
sie  auch  nicht  im  pietistischen  und  mönchischen  Geiste 
gehalten  sind.  Daher  kommt  es,  daß  bei  solchen,  die  in 
Regensburg  ordiniert  werden  sollten,  wohl  einmal  zuerst 
die  Ehe  legalisiert  werden  mußte 2),  wie  solches  auch  bei 
Wolfgang  Waldner  uns  entgegengetreten  ist.  Wer  will  auf 
solche  Leute  den  ersten  Stein  werfen,  wo  doch  die  Übel- 
stände,  welche  das  Cölibat  hervorrief,  gen  Himmel  schrieen ! 


1)  Dieses  Aktenstück  befindet  sich  im  Archiv  des  Kultus- 
ministeriums Akten  No.  67  Gen.    Die  Ortsnamen  sind  unwichtig. 

2)  Vgl.  ein  in  den  E.  A.  vorhandenes  Schreiben  des  Mich. 
Grinperger  zur  Empfehlung  des  Crispinus  Schnitzer.  Derselbe  war 
im  Coenobium  Haymerense.  Eosinus  bemerkt  zu  dem  Akt:  hie 
duxit  uxorem,  mediocriter  satis  in  examine  respondit. 


—     243     — 

Es  ist  diese  Zeit  voll  von  Ausbrüchen  nicht  so  sehr 
des  alten  Menschen,  wie  der  Pietismus  zu  sagen  Itebt, 
sondern  des  Menschen,  wie  er  eben  nach  so  langer  Ver- 
nachlässigung von  Seiten  einer  entarteten  Kirche  sein  konnte. 
Die  Gestalt  und  das  Ansehen,  welches  damals  die  Völker 
darboten,  war  mehr  antinomistiscb,  nicht  aber  pharisäisch  wie 
einstmal.  Man  war  aufrichtiger ;  man  schimpfte  und  schalt, 
daß  es  eine  Art  hatte ;  Verwandte  schalten  über  die  eigenen 
Familienglieder.  Barbara  v.  Zintzendorff  klagt  aus  Dienen- 
thal  am  2.  Januar  1567  in  einem  Brief  an  Gallus  über  ihre 
Stiefkinder,  mit  denen  sie  im  Streite  war,  unter  Beifügung 
von  Zeugnissen  Reuters  (den  sie  „unsern  frommen  christ- 
lichen Lehrer,  ja  Vatter"  nennt)  und  Leop.  Grabners,  um 
Gallus  Urteil  zu  empfangen.  Das  eine  der  Stiefkinder  näm- 
lich wollte  nicht  mit  und  neben  ihr  das  hochwürdige 
Sakrament  empfangen,  „welches",  wie  sie  sagt,  „mich  gantz 
pillich  (billig)  betrübt"  i).  Man  erging  sich  nicht  in  reli- 
giösen Gefühlen,  und  „Bekenntnisse  einer  schönen  Seele" 
waren  unbekannt.  Ebensowenig  haschte  man  nach  religiösen 
Stimmungen  und  schwelgte  in  Bewunderung  des  Heiligen 
(^Gefühlsschwärmerei),  sondern  alles  verlief  platt;  in  der 
rauhen  Wirklichkeit  bewegt  sich  der  Mensch,  ohne  sich  die- 
selbe zu  verblümen  oder  sich  über  sein  Elend  durch  fromme 
Phrasen  hinwegzutäuschen.  Es  war  ein  hartes  Geschlecht, 
aber  von  Herzen  gut  oder  von  Herzen  gottlos,  je  nachdem 
der  Einzelne  inwendig  ein  Christ  oder  nur  auswendig  ein 
solcher  war.  Die  Rechtfertigung  durch  den  Glauben  machte 
den  Unterschied,  nicht  aber  äußere  Erkennungszeichen  des 
heiligen  Lebens. 

Was  nun  den  weiteren  Vorwurf  anlangt',  daß  Pro- 
testantismus und  Opposition  gegen  den  Kaiser  ein  und  das- 
selbe gewesen  sei,  so  ist  er  vollkommen  unbegründet '-'). 
Wiederholt    tritt    in    den    Briefen    hervor,    daß    Reuter   und 


1)  E,  A.  Eccles.,  No.  XIV,  Z.  142. 

2)  Gegen  Wiedemann  I,  S.  387. 

16^ 


—    244     — 

seine  Herren  zwar  in  aller  Gotteslurch.t  entschlossen  waren, 
zu  protestieren,  z.  B.  bei  der  Agende,  aber  daß  sie  nie  an 
Aufruhr  o-edacht,  sondern  höchstens  das  Exil  als  letztes 
Schicksal  sich  vor  Augen  stellten.  So  war  denn  auch  den 
französischen  Religionskriegen  gegenüber  eine  reservierte 
Haltung  bemerkbar.  Zwar  äußern  die  Briefe  Mitleid  z.  B. 
mit  der  gänzlichen  Niederlage  der  Condeschen  i),  und  man 
hofft,  daß  es  nicht  so  schlimm  sein  werde;  aber  Gallus 
fürchtet  doch  das  böse  Beispiel  des  Bürgerkrieges,  und 
daß  Tunken  davon  herüberfliegen  würden;  ja  ein  Mann  wie 
Sigmund  Herr  zu  Polhaim  schreibt  am  10.  Februar  1570  an 
Gallus : 

„Wenn  sich  die  Condeschen  in  Frankreich  nur  mehr 
auf  Gott,  als  ihre  Macht  verliessen,  zweifelt  mir  nicht,  Sy 
würden  denselben  Bannerherrn  Jesu  Christ  bei  Inen  haben; 
so  Er  dann  bey  vnd  mit  Inen  ist,  wer  khan  wider  sie  sein. 
Aber  ich  hab  sorg,  die  groben  Landsknecht  nehmen  diesen 
Fenndrich  nicht  an,  sondern  Sy  vertreiben  denselben  mit 
ihrem  Scheltten,  fressen  und  sauffen.  Es  solle  fürwar  am 
Evangelischer  Veldtherr  ain  Evangelisch  Regiment  halten." 
Als  Beispiel  giebt  er  an,  was  freilich  leichter  gesagt  als 
gethan  ist,  es  sollten  solche,  die  Gott  und  sein  heiliges 
Sakrament  lästern,  an  einem  Baume  aufgeknüpft  werden. 

Daneben  war  freilich  auch  die  Furcht  vorhanden, 
woran  wir  beiläufig  erinnern  wollen,  daß,  wenn  die  Huge- 
notten triumphierten,  sie  gegen  die  Lutheraner  der  strengeren 
Tonart    sich    wenden    und    die    Partei    der    Gemäßigten    in 


1)  Vgl.  einen  Brief  Khuns  aus  Graz  an  Gallus  vom  8.  November 
1569.  Khun  war  1558  Prediger  zu  Heidelberg  und  mußte  1560  nebst 
anderen  Lehrern  sein  Amt  aufgeben,  weil  er  sich  der  Änderung  im 
reformierten  Sinne  widersetzte.  Wir  werden  ihm  später  in  Steiermark 
wieder  begegnen.  Die  Hugenotten  hatten  am  13.  Okt.  1569  die 
mörderische  Schlacht  von  Montcontour  verloren.  Pfalzgraf  Wolf- 
gang,  der  die  deutschen  Hilfstruppen  der  Hugenotten  führte,  war 
gestorben,  Cond^  bereits  im  März  gefallen  ;  so  war  die  damalige  Lage 
möglichst  ungünstig. 


—     245     - 

Wittenberg  verstärken  würden  i).  Der  Haß  also  gegen  die 
Gegner  im  eigenen  Lager  machte  sie  wohl  einmal  erbittert 
oder  doch  gleichgiltig  gegen  die  Hugenotten. 

Im  eigenen  Lande  sind  unsere  Österreicher  eminent  kon- 
servativ. Für  sie  ist  Protestantismus  und  Opposition  nicht 
ein  und  dasselbe.  Sie  haben  vielmehr  unglaubliche  Geduld 
gezeigt ;  sie  treten  nicht  an  den  Kaiser  fordernd  heran,  ohne 
zugleich  ihre  Gewissensnöte  der  Lehre  wegen  ihm  zu  offen- 
baren und  auf  ihren  Knieen,  wie  J.  von  Perckhaim  schreibt, 
ihr  Bekenntnis  vor  der  königlichen  Majestät  abzulegen  "■^j. 
Trotz  aller  Versuchung  zum  Gegenteil  hielten  die  Stände 
in  unerschütterlicher  Treue  zu  ihrem  Landesfürsten.  Wenn 
die  Türkennot  rief,  so  boten  sie  dem  Kaiser  Geld  und' 
Mannschaft.  Feldhauptmann  Ruber  nennen  wir  vor  Allen  ; 
in  einem  Briefe  wird  auch  Heinrich  von  Khunsperg^)  als 
ein  teurer  ritterlicher  Mann  und  Teilnehmer  am  Türken- 
kriege genannt,  und  verschiedene  andere  Herren  *j  waren  ab 
und  zu  unten  in  Ungarn  gegen  die  Türken  thätig.  Der 
Kaiser  konnte  sich  auf  seine  deutschen  und  böhmischen 
Herren  besser  verlassen  als  auf  die  ungarischen  ^j,  die  schon 
damals  forderten:  „das  ler  kh.  Mt.  alle  grenizn,  vnd  ort- 
flegkh,  als  Rab,  Gomorn,  vnd  allenthalben"  auf  beiden  Seiten 


1)  Heshusius  giebt  1568  in  einem  Briefe  an  Gallus  dieser  Furcht 
Ausdruck,  nachdem  er  freilich  bereits  böse  Erfahrungen  mit  den  Re- 
formierten gemacht  hatte  in  Heidelberg  und  in  Wesel,  und  also  nicht 
unparteiisch  war. 

2)  Brief  an  D,  Hiltner  in  Regensburg,  5.  April  1554.  Das 
Zeugniß  hoher  Loyalität  stellt  auch  das  Gegenreformationspatent 
Ferdinand  II.  vom  1,  Aug.  1628  den  prot.  Ständen  Innerösterreichs 
aus  (s.  Jb.  f.  Gesch.  des  Prot.  XXII  S.  172  ed.  W.  A.  Schmidt). 

3)  Kunigsperg,  aus  einem  evangelischen  Geschlecht. 

4)  Wie  Albrecht  v.  Rosenberg,  der  Herr  von  Krumau,  mit  dem 
Perckhaim  eng  befreundet  war,  was  ein  Brief  v.  18.  Okt.  1557  an 
Gallus  zeigt  ;  die  Familie  war  auch  in  Oberösterreich  ansässig.  Auch 
V.  d.  Schulenburg  wird  genannt,  der  mit  1500  Pferden  zu  Tyrnau 
liege,  aber  den  Eingesessenen  Schaden  zufüge. 

5)  Brief  J.  v.  Perckhaims  an  Gallus  vom  22.  Juli  1557. 


-     246     — 

der  Donau,  nicht  mit  Deutschen,  Böhmen  oder  anderen 
Nationen  als  Obersten,  Hauptleuten  oder  anderen  Befehls- 
habern besetzen  möge,  sondern  allein  mit  Ungarn  als  zu 
ihrer  Nation  gehörig.  Der  Kaiser  antwortete,  er  könne  sich 
die  Hände  nicht  sperren  (binden)  lassen ;  nachdem  ihrer  gar 
viele  von  I.  Majestät  abgefallen  und  wider  ihn  schlecht 
und  rebellisch  worden,  wie  dann  vor  Augen,  so  habe  er 
zur  Erhaltung  des  übrigen  Teiles  der  Krone  Ungarns  und 
um  der  benachbarten  Länder  willen  die  Grenzen  und  Orts- 
flecken mit  Deutschen  und  anderen  Nationen,  so  „I.  kh.  Mt. 
für  nutz-  und  tauglich  und  zum  besten  angesehen",  besetzt. 
Perckhaim  fügt  bei,  die  Ungarn  seien  an  all  ihrem  Ver- 
derben selbst  schuld,  denn  sie  seien  in  40  oder  50  Jahren 
nie  selbst  eins  gewesen  (haben  kein  Recht).  Wo  einer  den 
anderen  kann  vertreiben,  der  thut's,  bis  Wien  und  sie  mit- 
einander verderben.  Die  Ungarn,  sagt  P.,  hätten  es  dann 
dabei  bleiben  lassen  müssen.  Loserth^)  hat  in  dieser  Be- 
ziehung den  Ruhm  Inner-Osterreichs  verkündet.  Daß  sie 
sich  bei  den  Landtagen,  wo  über  die  Türkenhilfe  verhandelt 
wurde,  abgeneigt  zeigen,  ohne  bestimmte  Religionskonces- 
sionen  Kriegssteuern  und  Tilgung  der  fürstlichen  Schulden 
zu  bewilligen,  ist  selbstverständlich.  Sie  hatten  dazu  das  vom 
Landesherrn  verbriefte  Recht.  Mißbrauch|^haben  sie  dasselbe 
nicht.  Oft  genug  getäuscht  in  ihren  Hoffnungen,  besonders  bei 
statthabendem  Regierungswechsel,  warteten  sie  immer  wieder 
geduldig,  ob  der  neue  Herrscher  ihre  Forderungen  erfüllen 
würde.  Sie  folgten  eher  dem  Beispiele  eines  Karl  von 
Zierotin,  der  bis  zum  Übermaß  loyal  genannt  zu  werden 
verdient,  als  dem  Beispiele  der  Böhmen  und  Ungarn.  In 
altdeutscher  Treue  umstanden  sie  als  Mannen  ihren  Erz- 
herzog in  Leid  und  Freud  und  folgten  ihm  auch,  wenn  er 
als  Kaiser  und  König  gebot  —  treu  bis  ins  Exil.  Ab- 
weichungen von  dieser  Handlungsweise  finden  sich  zwar  in 


1)  Loserth  beklagt  es,  daß  die  Österreicher  nicht  wie  die  Nieder- 
länder sich  ihre  Gewissensfreiheit  kräftiger  gewahrt  hätten. 


—     247     - 

der  Zeit  der  Unruhen  im  Winter  1619.  Da  griff  Karl  von 
Jörger  zu  den  Waffen,  hatte  etliche  hundert  Mann  unter  sich 
und  gerierte  sich  als  Herr  im  Garstenthal,  wobei  er  den 
Abt  von  Spital  am  Pj'rn  gelegentlich  brandschatzte.  Aber 
es  half  nicht  viel :  er  mußte  der  Übermacht  unterliegen. 
Es  war  das  letzte  Ringen  der  ständischen  Macht  gegen  die 
landesfürstliche  Übermacht :  die  letztere  siegte  ^). 

Das  letzte  Lebenszeichen,  das  wir  von  Reuter  haben, 
ist  ein  Brief  an  Backmeister,  in  welchem  er  von  demselben 
Abschied  nimmt  und  mit  seiner  Leibesschwachheit  sich 
entschuldigt,  nicht  persönlich  kommen  zu  können.  Er 
bittet  um  Christi  willen  um  Vergebung,  wenn  er  ihn  sollte 
verletzt  haben.  „Unser  lieber  Herr  Gott  weiß,  daß  ichs 
nicht  arg  gemeinet,  sondern  im  Christlichen  Vertrauen;  Mein 
Hertz  schalcket  fürwahr  nicht.  Mein  Weib,  8ohn  und 
Tochter  segnen  E.  E.  im  Namen  Jesu  und  wir  wollen  E.  E 
bey  unserm  Gottes-Dienst  treulich  eiugedenck  seyn." 

Im  folgenden  Jahre  berichtet  M.  Luzius  in  einem  Briefe 
an  D.  Leyser  (Juli  1581):  „Reuterus  numen  quorundam  ad 
superos  abiit"  (d.  h.  Reuter,  der  Gott  etlicher,  ist  gestorben^. 
Aus  solchen  Worten  erhellt,  daß  man  im  gegnerischen 
Lager,  trotz  seiner  Nachgiebigkeit  in  den  letzten  Zeiten 
seines  Lebens,  mit  ihm  nicht  zufrieden  war.  Wenn  anderer- 
seits auch  Irenäus  in  seinen  „Censuren  und  Urtheyl,  Oo." 
ihn  nicht  mehr  gänzlich  zu  seinen  Gesinnungsgenossen 
rechnet,  so  folgt,  daß  er  durch  seine  Nachgiebigkeit  keiner 
der  beiden  Parteien  Genüge  that.  Er  hat  sich  eben,  wie 
so  unzählig  viele  seiner  Zeit,  damit  zufrieden  gegeben,  daß 
andere  die  Pacificierung  der  Kirche  in  die  Hand  nahmen, 
war  aber  zu  alt  und  kränklich,  um  sich  über  das  Für  und 
Wider  auszusprechen.  Wenn  nur  Friede  und  irgend  ein 
Stillstand  in  die  Bewegung  kam,  die  seit  1548  die  Gemüter 

1)  Über  diese  Zeit  sind  die  Berichte  des  Propstes  zu  Spital 
Christoph  Milieder  bei  aller  Einseitigkeit  wichtig.  Vgl.  Stülz,  Gesch. 
Wilherings,  CXXVI,  welcher  Auszüge  aus  jenen  Akten  mitteilt. 


—    248     - 

erschütterte,  so  war  ihm  alles  recht.  Ob  aber  dieser  Still- 
stand auch  zur  dauernden  Besserung  führen  werde,  darüber 
wird  er  gewiß  seine  besonderen  Gedanken  gehabt  haben. 
Mit  der  Partei,  der  er  nach  Luthers  Tode  angehörte  und 
die  seit  1580  verschwand,  traten  immer  doch  Vertreter 
alter  berechtigter  Lehren  Luthers  vom  Schauplatz  ab.  Und 
dieser  Abgang  ist  auch  dadurch  nicht  ersetzt  worden,  daß 
nun  nach  1580  mit  der  Konkordienformel  Ordnung  geschafft 
wurde.  Denn  mit  der  bloßen  Eintracht  ist  der  Kirche  nicht 
geholfen.  Im  Gefolge  jener  Formel  zog  die  Orthodoxie  ein, 
und  als  diese  nicht  mehr  genügte,  kam  der  Pietismus,  so- 
dann der  Rationalismus,  um  den  Schaden  der  Kirche  zu 
bessern,  ohne  daß  jene  Besserung  erfolgte,  die  ein  Reuter 
vor  Augen  haben  mochte. 

IV.  Joachim  Magdeburgius^). 

Dieser  Mann,  ein  bekannter  Mitkämpfer  des  Placius 
und  Gallus  und  eigentlich  in  Ungarn  als  Prediger  der 
„teutschen  Reutter  zu  Raab"  ansässig,  greift  doch  nach 
Österreich  über,  woselbst  er  auf  dem  Ruberschen  Gut 
Grafwerd  seine  bekannte  Konfessionsschrift  herausgiebt  und 
sich  später  als  Pfarrer  daselbst  bezeichnet.  Magdeburgius 
ist  geboren  zu  Gardeleben  2)  in  der  Altmark,  in  Wittenberg 
immatrikuliert  (April  1544),  ward  im  Braunschweigischen 
Rektor  und  hier  1547  von  dem  katholischen  Herzog  Hein. 


1)  Vgl.  für  die  ersten  Lebensschicksale  des  Magdeburgius  den 
Artikel  von  C.  Bertheau  in  der  AUgem.  deutsch.  Biographie,  Bd.  XX. 

2)  Das  heutige  Gardelegen,  woselbst  auch  ein  Bruder  von  ihm) 
der  Theolog  ward,  geboren  ist.  Dieser  war  Prediger  an  der  St. 
Katharinenkirche  zu  Hamburg  und  brachte  die  Psalmen  Davids  ge- 
sangsweise in  Reime.  Er  starb  1565  (s.  Koch,  Gesch.  des  Kirchen- 
liedes I,  449  über  ihn).  Gesänge  aus  den  Psalmen  waren  überhaupt 
in  diesem  Zeitalter  gang  und  gebe  auch  in  der  luther.  Kirche.  Ein 
Beispiel  davon  giebt  auch  der  Kan  tor  Brassican  in  Linz  (s.  Schiff  mann, 
Das  Schulwesen  ob  der  Enns  |bis  zum  Ende  des  XVII.  Jahrhunderts, 
59.  Jahresbericht  des  Museum  Francisco -Oarolinum,  Linz  1901, 
S.  122). 


—    249    ~ 

rieh  verjagt.  Er  bekam  eine  Pfarre  im  Lüneburgisclien,  zu 
Dannenberg,  welche  er  1549  freiwillig  mit  einer  Pfarre  in 
Salzwedel  vertauschte.  Hier  traf  ihn  wegen  seiner  Reni- 
tenz gegen  das  Interim  die  Verbannung  (1552),  bei  Strafe 
des  Stranges  wurde  ihm  die  Rückkehr  verboten.  Er  kam 
hierauf  nach  Hamburg  an  die  Petrikirche  und  nahm  an 
den  durch  den  Superintendenten  Aepinus  geführten  Kämpfen 
gegen  die  Wittenberger  Theologen  teil,  was  ihn  bei  dem 
Nachfolger  Aepins,  dem  Superintendenten  von  Eitzen  ^), 
einem  Freunde  Melanchthons,  in  Ungunst  brachte.  Er  griff 
auch  in  den  Kampf  ein  durch  die  Herausgabe  einer  sati- 
rischen Schrift  i.  J.  1557,  betitelt:  „Dialogus  oder  ein  Ge- 
spräch eines  Esels  und  Matthei  Bergknechts",  deren  Spitze 
gegen  Melanchthon  gerichtet  war  und  den  Superintendenten, 
wie  auch  den  Hamburger  Rat  verletzte  -).  Dazu  kam  ein 
Buch  wider  die  Sakramentierer  unter  dem  Titel:  „Von  dem 
alten  und  neuen  Christo'',  welches  ihm  seines  gehässigen 
Schreibens  wegen  Absetzung  von  selten  des  Rates  zuzog 
(25.  Mai  1558).  Darauf  ging  er  erst  nach  Magdeburg,  wo 
er  mit  Flacius  zusammentraf,  blieb  aber  nicht  dort, 
sondern  nahm  einen  Ruf  nach  Oßmannstedt  in  Thüringen 
an,  woselbst  er  nach  4  Jahren  1562  entsetzt  wurde,  weil  er 

1)  Paulus  V.  Eitzen  war  übrigens  einer  der  Gesandten  in  Cos- 
wig  (Preger,  M.  Flacius,  II,  33).  Obgleich  strenger  Lutheraner  blieb 
er  doch  mit  seinem  alten  Lehrer  Melanchthon  in  stetem  Verkehr  und 
mißbilligte  wenigstens  Satiren  gegen  Melanchthon  aufs  höchste. 

2)  Der  Verkauf  dieser  Schrift  wurde  vom  Senat  verboten,  was 
Melanchthon  am  l.  Febr.  1558  dankbar  anerkennt.  Es  erfolgten 
zwei  bitterböse  Antworten  auf  jenes  Spottgedicht,  wovon  die  erste  be- 
titelt war:  „Ein  newes  Lied  von  zweien  Eseltreibern,  Johan  Ritzen- 
bergen, vnd  Joach.  Magdeburgio.  Gestellet  auff  das  Gesprech  Joach. 
Magdeburgü,  eines  Esels  vnd  Matthei  Bergknechts.  Anno  1558" ; 
Spottgedicht  von  24  siebenzeiligen  Strophen  mit  Musiknoten:  „Ey 
was  solich  euch  singen,  Zu  diesem  Fastnachtsspiel".  Der  zweite  Titel 
lautet:  „Ein  new  Gedicht  wider  die  Chammisten  auff  zwey  newe 
Liedlein  eines  Eseltreibers  J.  M.  B.  (d.  h.  Joach.  Magdeburgü)  ge- 
macht im  Thon  Pertransiuit  Clericus.  Anno  1559".  Es  findet  sich 
im  German.  Museum  in  Nürnberg,  Histor.  Blätter  No.  13839. 


—     252     — 

Von  Raab  aus  trachtete  Magdeburgius,  auch  die  öster- 
reichische Landschaft  mit  Rat  und  That  zu  unterstützen  i). 
Er  trat  mit  großem  Selbstvertrauen  auf.  In  der  Lehre  war 
er  durchaus  unanstößig,  in  den  Ceremonien  maßhaltend,  un- 
beugsam gegenüber  allen  Anforderungen  des  Adiaphorismus, 
Majorismus  und  Synergismus.  Die  sehr  bezeichnenden 
Mottos  seines  Bekenntnisses  v.  J.   1566  sind: 

„II  Timoth.  1 :  Scheme  dich  nicht  des  Zeugknus  vnsers 
Herrn  |  noch  meiner  |  der  ich  gebunden  bin  |  sondern  leyde 
dich  mit  dem  Euangelio."  —  „Tito  I.  Ein  Bischoff  halte 
ob  dem  Wort  |  das  gewiß  ist  |  vnd  lehren  kan  |  Auff  das 
er  mächtig  sey  zu  ermanen  durch  die  heilsame  Leere  |  vnd 
zu  straffen  die  Widersprecher." 

Über  Magdeburgius  geben  die  Regensburger  Akten 
mehrfach,    zumeist  in  Briefen  an  Gallus,    neue  Aufschlüsse. 

Am  4.  Oktober  1566,  also  kurz  nach  der  Einnahme 
von  Szigeth,  als  die  Türken  alles  überschwemmten,  hatte 
man  auch  ihm  seine  beiden  Häuser  verbrannt,  worüber  er, 
nachdem  er  sein  langes  Schweigen  in  einem  Briefe  an  Fla- 
cius  und  Gallus  entschuldigt,  folgendermaßen  klagt:  150C» 
Gulden  hätte  er  durch  Brand  verloren,  worauf  er  nach 
Grafwerd  verzogen  sei.  Erst  dann  schreibt  er  über  den 
Tod  seiner  Gattin  und  die  Krankheit  seiner  Kinder  und 
bemerkt,  daß  nach  Ungarn  nur  „Halbverdammte"  hinkämen, 
welche  andere  Länder  teils  der  Bosheit,  teils  des  Bekennt- 
nisses wegen  nicht  tragen  können.  Er  schickt  ihnen,  außer 
seiner  Predigt  von  Johannes  dem  Täufer,  seine  Konfession 
behufs  Drucklegung  in  Regensburg,  und  dabei  eine  „  Ratio , 
cur  Austria  libertatem  verae  Religionis  petere  debeat", 
also  einen  Entwurf  für  freie  Religionsübung  und  Gleich- 
stellung der  Konfessionen  in  Österreich  —  300  Jahre  vor 
deren  Realisierung  (1861).    Im   übrigen  lobt  er  die  Sicher- 

1)  8ein  Patron  Ruber  war  auch  Besitzer  von  Grafwerd  und 
Mitglied  des  Herrenstandes  in  Österreich.  Dadurch  war  Magde- 
burgius auch  österreichischer  Prediger  und  hielt  sich  häufig  in  Graf- 
werd oder  auch  einmal  Veltsbergk  auf. 


-     253     — 

heit  der  evangelischen  \/erkündigung  in  Ungarn  trotz  aller 
Anfeindung  der  Gegner,  und  bemerkt,  daß  die  Zahl  der 
Gläubigen  daselbst  wachse.  Erbittet  die  Regensburger  Kirche 
um  Fürbitte  angesichts  der  kommenden  schweren  Zeitläufte 
die  eine  babylonische  Gefangenschaft  drohen,  und  wünscht 
sich  und  den  Seinigen  einen  baldigen  Übergang  ins  ewige 
Leben.  Wir  begreifen  die  bitteren  Klagen  des  Briefes  aus 
dem  Munde  eines  Mannes,  der  innerhalb  eines  halben  Jahres 
dreimal  den  Wohnort  ändern  mußte  und  sich  daher  wohl 
für  einen  Märtyrer  Christi  ansehen  konnte. 

Wir  begreifen  aber  auch  aus  dem  Munde  eines  solchen 
Zeugen  den  rücksichtslosen,  in  Österreich  bisher  nicht  ge- 
hörten Ton  der  Vorrede  an  die  drei  Stände  in  Österreich, 
die  sein  Bekenntnis  einleitet.  Er  bittet  dieselben,  sie  wollen 
„zur  errettung  der  warheit  vnser  Lere,  der  gerechtigkeit 
vnser  Gottesdiensten  |  vnd  der  vnschald  vnsers  Lebens,  | 
dis  vnser  Bekentnis  der  hochgedachten  Key.  M.  demütiglich 
überantworten",  natürlich  zu  dem  Zweck,  um  zur  Ehren- 
rettung der  Evangelischen  beim  Kaiser  zu  dienen.  Ja,  er 
scheut  sich  nicht ,  die  Parallele  zu  ziehen  zwischen  diesem 
seinem  Unternehmen  und  der  Überreichung  der  Augs- 
burgischen Konfession  (Ao.  1530),  welche  zur  Zeit  der 
höchsten  Gefahr  die  löbl.  Kur-  und  Fürsten  „zur  Errettung 
ihrer  Prediger  Unschuld"  übergeben  haben.  Noch  in  seinem 
zu  Erfurt  1571  errichteten  Testament  bezieht  er  sich  auf 
diese  Konfession.  Die  Überreichung  derselben  sollte  auf  dem 
kommenden  wichtigen  Landtage,  Weihnachten  1566,  ge- 
schehen. Wir  können  uns  denken,  was  der  Kaiser  dazu 
für  eine  Miene  gemacht;  aber  auch  die  Stände  waren  zum 
Teil  wenig  erbaut  von  solchem  Freimut,  wie  uns  die  weiter 
unten  zu  erwähnenden  Aktenstücke  zeigen  werden.  War 
es  doch  an  sich  ein  starkes  Stück,  daß  Magdeburgius, 
kaum  daß  er  in  Österreich  warm  geworden,  eine  solche 
Konfession  in  solchem  Ton  an  die  Stände  richtete,  wenn 
selbige  auch  iüm  Anlaß  dazu  gegeben  haben  werden.  Auch 
das    aber    ist   echt  protestantisch;  man    war   noch    nicht  in 


—     254    — 

dem  Zeitalter  angelangt,  wo  die  Augustana  als  Lehrgesetz 
galt.  In  ähnlicher  Weise  hat  um  die  gleiche  Zeit  Flacius 
selber  für  die  Lutherischen  in  Antwerpen,  wohin  er  1566 
behufs  Ordnung  der  Religionsangelegenheiten  von  der  Ge- 
meinde berufen  wurde,  die  Confessio  Ministrorum  J.  C.  in 
Ecclesia  Antverpiensi,  quae  Aug.  Conf.  adsentitur  (1567) 
verfaßt.  Damit  that  er  das  Gleiche,  was  hier  Magdeburgius 
that,  der  übrigens  auch  schon  1555  den  Antwerpner  Christen 
ein  frommes  Buch  zur  Stärkung  und  Ermahnung  zugeeig- 
net hattet).  Und  wie  diese  beiden  hier  gethan,  so  war  es 
die  Gewohnheit  vieler,  ganz  ohne  Rücksicht  auf  das  Be- 
stehen bereits  anerkannter  Konfessionen,  sowohl  Katechismen 
als  auch  Konfessionen  zu  publizieren  (z.  B.  J.  F.  Cölestin 
und  Martin  Gieringer,  Pfarrer  zu  Baden  in  Niederösterreich, 
1558  u.  a.  m.)  Soweit  entfernt  war  man  noch  von  dem 
sklavischen  Verehren  des  Symbolbuchstabeus  in  den  späteren 
Zeiten  der  lutherischen  Kirche. 

Magdeburgius  wurde  nicht  verfolgt,  wie  1562  Christoph 
Reuter,  welcher  zeitweilig  zu  seiner  eigenen  Sicherheit 
das  Land  verlassen  mußte.  Die  Zeiten  waren  andere  ge- 
worden ;  Maximilian  war  tolerant,  und  Magdeburgius'  Patron 
Ruber  war  ein  Mann  von  höchstem  Einfluß,  der  ihn  überall 
schützte.  Auch  die  19  in  der  Konfession  des  Magdeburgius 
Unterzeichneten,  zum  Teil  bekannte  Exulanten  aus  Thü- 
ringen, jetzt  in  Niederösterreich,  blieben  unbelästigt,  obwohl 
auch  sie  Einfluß  genommen  auf  die  eilige  Redaktion  jener 
Bekenntnisschrift  und  zum  Theil  sehr  eifrig  zu  ihr  hielten. 
Nur  unter  seinen  Glaubensgenossen  fand,  wie  sich  denken 
läßt,  Magdeburgius  viel  Widerspruch,  was  auch  leider  echt 
protestantisch  ist  und  überall  da  üblich,  wo  nicht  der  Macht- 
spruch der  kirchlichen  Obrigkeit  (z.  B.  des  Summepiskopus) 
die  Geister  im  Zaum  hält  und  demnach  Kirchhofsruhe  waltet. 

Der  Ton  der  ganzen  Konfession  ist  ein  echt  protes- 
tantischer, stellenweise  äußerst  kühner ;  sie  tritt  auf  mit  dem 


1)  s.  Raupach,  Presbyt.  S.  110. 


—    255    — 

ausgesprochenen    Wunsche,   ja   Anspruch,    „vnsern    Benach- 
barten   in    Mehern  (Mähren),    in  Behmen  |  Vngarn  |  Zips  | 
vnd  Siebenbürgen  |  ein  gut  Exempel''  fürzustellen.    Sie  kam 
in    Vieler   Hände,    nicht    bloß    in    Österreich,    sondern   auch 
im    Reiche.      F.    W.    Cölestin    verlangt    von    Lauingen    aus 
(Ostern  1568)    von  Grallus    ein  Exemplar    dieser  Konfession 
sammt  dem    Appendix.     Auch  Joh.  Rex,  Prediger  in  Qued- 
linburg, billigt  in  einem  Schreiben  an  Gallus  (2.  Nov.  1568) 
diese    Konfession    und    nennt    sie    Confessio    Austriacorum. 
In    seinem  Briefe  vom  4.  Okt.   1566  an  Flacius  und  Gallus 
spricht    Magdeburgius    sich    über    die    Notwendigkeit    einer 
raschen  Drucklegung  der  Konfession   aus.    Um  Weihnachten 
1566  nämlich  stand  ein   wichtiger  Landtag   bevor,    für    den 
er  die    Konfession    fertig   haben    wollte,    die    er   im  Namen 
der  Brüder    überreichen    zu    lassen  beabsichtigte.     Er  hofft 
eben,  durch    seinen    gezwungenen    Aufenthalt    in  Österreich 
dazu   besser   imstande    zu    sein,    als  von  Ungarn    aus.     Nur 
19  Prediger  unterschrieben  definitiv;  zwei,  Christoph  Reuter 
und  Christoph  Plädting  i),  traten  zurück,    nachdem    sie    an- 
fänglich unterschrieben,  und  zwar,  weil  sie  das  Verbot  des 
Wuchers    im  25.  Artikel    als    für    die  Umstände    zu  schroff 
mißbilligten,  ferner  aber  die  Auslegung  des  dritten  Glaubens- 
artikels in  jener  Konfession  beanstandeten.     Die  Konfession 
hatte   den    Artikel    von  der   Kirche    abgesondert    behandelt 
und  so  auch  die  Gemeinschaft  der  Heiligen,  was  im  Wider- 
spruch mit  Luthers    großem  Katechismus  zu  stehen    schien. 
Sofort  entstand  ein    Zwiespalt.     Die  genannten    zwei   Dissi- 
denten wurden  hart  mitgenommen  2).     Vergebens  suchte  sich 
Magdeburgius,  der  für  eine  Weile  das  Pfarramt  zu  Velsbergk 
(in  N.-Ö.)  inne  hatte,  mit  ihnen  zu  verständigen ;  auch  Jonas 
Frankus  und   Conrad  Lupulus  suchten  einen  Weg  der  Ver- 

1)  Prediger  in  Wilhelmsbiirg  bei  Christoph  Jörger  von  Kreus- 
pach  (Niederösterreich). 

2)  Im  Punkte  des  Wuchers  wohl  nicht  ohne  ihre  kSchuld.  Mag- 
deburgius konnte  sich  hier  auf  Luther  berufen  (s.  Werke  Erl. 
Ausg.  20,  282  ff.  und  23,  122). 


-     256    — 

mitteluQg  einzuschlagen  2)  —  es  war  vergebens.  Jenes  Be- 
kenntnis rief  mehr  Zwiespalt  als  Einigkeit  hervor.  Besonders 
war  der  unruhige  Petrus  Eggerdes  auf  Philipp  Barbatus  erbost, 
daß  er  sich  zur  Unterschrift  herbeigelassen.  Der  öster- 
reichische evangelische  Adel  verhielt  sich  ganz  ablehnend,  ja 
feindlich  gegen  dieses  Bekenntnis.  Dasselbe  war  gewiß 
nicht  opportun,  aber  freilich  hätten  Reuter  und  Plädting  i) 
sich  von  Anfang  an  fernhalten  und  Magdeburgius  nicht  die 
Gelegenheit  verschaffen  sollen,  ihnen  jahrelang  aus  ihrer 
Unbeständigkeit  in  unziemlicher  Weise  einen  Vorwurf  zu 
machen.  Die  Freunde  in  Regensburg  hatten  Mühe  genug, 
um  diesen  Brand,  den  beide  Teile  verschuldet  hatten,  ohne 
ihre  Schuld  bekennen  zu  wollen,  zu  löschen. 

Magdeburgius  ging  erst,  nach  einem  Briefe  des  Phil. 
Barbatus  aus  Syrendorf  vom  2.  Februar  1569,  in  diesem 
Jahre  wieder  definitiv  nach  Ungarn  zurück  und  trat  den 
österreichischen  Angelegenheiten  damit  fern.  Das  war  gut 
für  ihn  und  für  den  Frieden  in  der  Kirche ;  denn  schon 
war  Kaiser  Maximilian  über  ihn  erzürnt,  und  an  ein 
Heranziehen  dieses  Mannes  zur  Abfassung  der  Agende  war 
nicht  zu  denken.  Dies  fiel  Christoph  Reuter  allein  zu.  Nach 
einer  Andeutung  in  einem  Briefe  Waldners  an  Gallus  muß 
sogar  ein   „kaiserlicher  Abschied"  wider  ihn  ergangen  sein. 


1)  Über  Chr.  Plädting  oder  Pläd tinger  wissen  wir  durch  einen 
Brief  von  ihm  an  Gallus  vom  31.  März  1558  folgendes.  Er  war 
gebürtig  aus  Landshut  und  kam  nach  Regensburg,  wurde  von  Gallus 
nach  Amberg  empfohlen,  ging  aber  nach  Mauttern  in  Niederösterreich 
als  Hofprediger  des  alten  Jörger.  Nachdem  er  dort  wegen  Ab- 
schaffung der  Messe  sich  viele  Feinde  gemacht,  mußte  er  fort  imd 
kam  nach  Leuben  bei  Stein  in  Niederösterreich,  wo  seine  Thätigkeit  von 
Dauer  war,  gleichwohl  aber  selbst  von  dem  Namen  nach  Evangehscheu 
behindert  wurde,  indem  letztere  Adiaphora  zuließen,  d.  h.  offenbaren 
Aberglauben.  Da  er  sich  diesen  widersetzte,  erhielt  er  bald  den  Namen 
Schismatiker  und  wünschte  deshalb  aus  Österreich  fortzukommen. 
Plädting  hatte  viele  Autoren  gelesen  und  erbot  sich  auch,  dem 
Gallus  ein  Bekenntnis  einzureichen,  falls  es  erfordert  würde  (Regens- 
burger Akten,  Eccles.  I,  No.  XVIII,  Z.  8ö). 


—    257     — 

den  die  evangelischen  Herren  benutzten,  um  sich  seiner  zu 
entledigen  i).  Das  Schreiben  neuer  Konfessionen  und  das 
Sammeln  von  Unterschriften  war  in  der  That  eine  Un- 
ordnung und  störte  den  Frieden  der  jungen  Kirche. 

Magdeburgius    ist    ein    Gesinnungsgenosse  des    Flacius. 
Beide    verteidigen    mit  Energie    echt    protestantische    Sätze, 
z.  B.  den    Satz  vom  allgemeinen  Priestertum    der    Christen, 
den    zuerst  Flacius    verteidigte    im  Kampf  gegen  Menius  ^). 
Die    flacianisch    gesinnten   Prediger   wollten   die    christliche 
Freiheit,    als  im  gemeinen  Beruf  aller  Christen  gelegen,  auch 
auf  die   Weiber  erstrecken  ^j.    Magdeburgius  'erklärte  es  als 
"indifferent  im  Streite  mit  Christoph  Reuter,  ob  das  Symbolum 
Apostolicum  12  oder  13  Artikel  habe;  er  verwarf  entschieden 
die    Apologie   Melanchthons,    die    die    Absolution    unter  die 
Sakramente    setzte  ^j,     was   Reuter    und    der    Regensburger 
Katechismus  annahmen,  und  weigerte  sich,  sie  in  seiner  Kon- 
fession   ausdrücklich    anzuführen.      Desgleichen    finden   wir 
in   der   Konfession  des  Magdeburgius  keinen  Exorcismus  bei 
der  Taufe,  auch  war  er  gegen  den  Chorrock  und  überflüssige 
Ceremonien.     Überhaupt    haben    diese  Theologen    das   hohe 
Verdienst,  daß    sie    die  Centraldogmen    des  Protestantismus 
immer  wieder  zur  Verhandlung  brachten  und  die  Auslegung 
des    Römerbriefes   Kap.    5—8,  wie    auch    den    Galaterbrief, 
weiter  die  Schriften  Luthers  in  die  Debatte  zogen :  Schriften, 
die  später  zum  Schaden  der  Kirche  mehr  in  den  Hintergrund 
traten.     Das  zeigt    sich  noch  zum  allerletzten  Mal  1580  in 
jenem  Eferdinger  Streit    über    die  Leiber  der  verstorbenen 
Gläubigen,    welchen   Magdeburgius   anfing,  und  in  welchem 
Marcus  Volmarius  und  Johann  Hauser  ihm  mit  Streitschriften 
sekundierten. 

1)  Regensb.  Akten,  Eccles.  I,  No,  XXVI,  Z.  73. 

2)  Vgl.  Preger,  M.  Flacius,  I,  S.  416. 

3)  Vgl.  die  Visitation  in  Schallaburg,  Eaupach  III,  S.  272: 
man  soUe  einem  Weibe  mehr  glauben,  wenn  es  die  Schrift  führte, 
als  einem  ganzen  Conzilio  ohne  Schrift". 

4)  Brief  Reuters  an  Gallus  vom  9.  Februar  1568  (R.  A.  Eccles., 

No.  XXXVI,  St.  100). 

17 


—     258     — 

Beachtenswert  ist  die  Art  und  Weise,  wie  die  einwandern- 
den Pfarrer  in  Österreich  aufgenommen  wurden.  Besonders 
ragt  hier  eine  edle  Frau  hervor,  deren  Namen  verschiedene 
Verteidiger  des  evangelischen  Glaubens  in  Österreich  tragen : 
Frau  Barbara  von  Zintzendorff.  Wie  sie  die  Prediger  bei  sich 
empfing,  also  ließ  sie  ihnen  auch  weiter  ihre  Teilnahme 
angedeihen.  Als  sie  von  Magdeburgius  und  von  dem  aus 
Eisleben  gekommenen  Zacharias  Prätorius  i)  vernimmt,  daß 
beide  den  Mut  verlieren  und  das  Land  wieder  verlassen 
wollen,  sagt  sie  dem  Christoph  Reuter  (um  Neujahr  1566 
etwa):  „So  Magdeburgius  vnd  pretorius  hinweckh  ziehen, 
dieweil  sie  nicht  verfolget  werden,  So  verlassen  sie  fraue 
vnd  kindt  In  höchster  geburtt,  theologice  dauon  zu  reden." 
Was  sie  gemeint,  ist  deutlich  aus  Apokalypse  12,  4,  wo 
das  Weib  in  Kindesnöten  die  Kirche  bedeutet,  und  wo  der 
Drache  vor  das  Weib  tritt,  die  gebären  soll,  „auf  daß,  wenn 
sie  geboren  hätte,  er  ihr  Kind  verschlinge".  Diesen  Drachen 
zu  besiegen,  gelingt  nur,  nach  Vers  11,  durch  des  Lammes 
Blut  und  durch  das  Wort  des  Zeugnisses  derer,  die  ihr 
Leben  nicht  geliebet  bis   an  den  Tod. 

Von  Magdeburgius  und  Prätorius  ging  nur  der  letztere 
fort,  und  zwar  nach  Regensburg,  Anfang  1565,  woselbst 
er  Diakon  wurde.  Auch  hier  aber  erregte  sein  ansteter 
Sinn  bald  Anstoß.  Er  machte  sich  nach  unseren  Akten  ver- 
dächtig in  Bezug  auf  seine  Sakramentslehre,  kam  mit  Fla- 
cius  und  Grallus  darüber  vorübergehend  in  Streit,  ging  schon 
im  Oktober  1566  mit  einem  guten  Zeugnis  des  Rates  nach 
Tübingen  und  kehrte  endlich  wieder  nach  Eisleben  zurück, 
wo  er,  wieder  orthodox  geworden,  an  dem  Streite  gegen  Fla- 
cius  1574  teilnahm  2). 

1)  Z.  Prätorius  hatte  bei  dem  Grafen  Salm  vorübergehend  eine 
Anstellung  gefimden.  Sein  Charakter  ist  unzuverlässig.  Martin 
Wolf  klagt  über  die  Verdächtigungen,  mit  denen  er  seiner  Berufung 
nach  Bayern  entgegengetreten,  in  einem  an  den  Grafen  Ladislaus 
von  Haag  gerichteten  Briefe. 

2)  S.  Eegensb.  Stadtarchiv,  verschiedene  Akten,  und  Preger  II, 
S.  374. 


—    259    — 

Dieser  Prätorius  ist  ein  Typus  damaliger  Prediger  in 
Deutschland.  Er  beanstandet  einerseits  die  Prädestinations- 
lehre und  macht  sie  Martin  Wolf  zum  Vorwurf;  anderer- 
seits schwankt  er  hinüber  zur  reformierten  Abendmahlslehre, 
ähnlich  wie  die  Wittenberger  Theologen  um  diese  Zeit. 
Er  gehört  ferner  zu  jener  sehr  gewöhnlichen  Sorte  Theo- 
logen, welche  wohl  genießen  und  herrschen  möchten,  aber 
nicht  mit  den  Aposteln  leiden  und  die  Geringsten  sein 
(1.  Kor.  4,  9).  Daher  stammt  das  unstete  Wesen  und  das 
Trachten  nach  sicheren  Ruheplätzen,  überhaupt  nach  Er- 
folg. Sie  sind  eitler  Ehre  geizig,  lieben  Geld  und  Gut  und 
wechseln  leicht  ihre  Ansichten. 

Magdeburgius  blieb  inzwischen  bei  seinen  Reitern.  Er 
war  abwechselnd  in  Raab  und  Grafwerd ,  aber  nie  bleibend 
in  Österreich. 

Vor  1580  erhielt  er  an  Leonhard  Reuter  einen  gleich- 
gesinnten  Nachfolger  in  Raab  und  hielt  sich  in  Grafwerd  i) 
und  sodann  bei  seinem  Gönner  Rüdiger  von  Starhemberg  in 
Eferding  auf,  dem  er  schon  1567  seine  Predigt  von  Johannes 
dem  Täufer  handschriftlich  zugeeignet  hatte  ^). 

In  Eferding  werden  wir  ihm  später  wieder  begegnen. 
Von  dort  wich  er  1583,  und  sein  weiteres  Schicksal  ist 
unbekannt. 

Von  persönlichen  Nachrichten  ist  noch  zu  berichten, 
daß  er  am  21.  Mai  1571  zu  Erfurt  eine  Art  Testament  an 
seine  Söhne  unterschrieb,  welches  vor  seinen  „Christlichen 
und    tröstlichen    Tischgesängen",    die    zu    Erfurt    1572    mit 


1)  Daß  er  jemals  von  Hans  Ruber  seines  Dienstes  entlassen 
worden  sei,  ist  nirgends  ersichtlich ;  wohl  aber  giebt  er  als  die  erste 
Ursache,  daß  er  in  seinem  Predigtamt  nicht  länger  zu  verbleiben 
hätte,  dies  an,  daß  man  ihm  seinen  gebührenden  Unterhalt  vorent- 
hielt. Sein  Patron  Hans  Ruber  war  offenbar  in  großer  Geldverlegen- 
heit, wie  solches  aus  der  genannten  Leichenrede  des  M.  Luzius  deut- 
lich wird. 

2)  Dieses  Exemplar  befindet  sich  auf  der  Wiener  Hofbibliothek. 

17* 


—    260     — 


Smesi  ets^etses^  sibgsämekt  ist^j,    Bier  fisdee  »d»  als 


Im  all  doi  Jalsr^  m  w^ldben  db»s  ETaagi^nim  smoen 
l^fiizog  SD  Oi«iStri»e]&  g^sakm^  wsar  im»«^  su^nak  etwas 
BeeM«sf!eidi«iieii;iiaiOrdini]ig2»sdia£5»,  Usd d««liwaxiei& 
<is^  0e9s4[^  sett  lamgje  ^^beaSä^  \aer  im  Sfidea  d«s  Beatodb»» 
Bekisi«»,  E»  »ad»  I]Sfi«'®i«»i«ie]»,  äem  Kfistenlaiid  nud 
Ms  is$  beisaebtyait«  Bsstoo»  Scü^mxig;  luiid]»  »stredkt^s  »d& 
(ik  r^üi»  B^ensbcirg  atHg?elii«DCI«m  £3i^fia»&  Im  das  KlSstetm 
Adm^i£fi^  ^xem^a^Saasfbes^  WiHOaenug^  Lastbadb  iL.  a,  hl  ^)  fiikl^ii 
■ww  d^itlielie  %>«ines  4er  E«£$nuatiiHi,  m^aA  yh&  im  L^»eii 
tnsd  im  Wandel  d@r  Sdftrauil^Üed^r^'  sond^n  andi  is  d^' 
L«|jifi&,  I^  B^^eosbari^  Akt^s  ^BtbalteiiL  dineu  Brief  des 
Kasfsu'  JSjeasd^r  at»  Bade»,  des  dbeinaligei&  Sdrehadata» 
der  Kk«(«n^nile  zu  AdüKSfOt  (1563^  an  Galli»  Tcnu  16,  Febr. 
1570^)  der  sehr  bezeselmeiiid  »t  Diea&r  Mann  gebt  mit 
Eoü^^Islaisig  de»  Admtwir^  ÄJbkes  f^der  1^45  sadi  weäigente 
atxf  dem  Trideiitiiser  K&aai  zu  &r^hemeii)f  oaebäem  er  im 
Khs^er  ber»lif  saeh  als  täetOig  &ar  dn  erangdisdies  P&rr- 
ämt  erwies^  naeb  B^jensbcng^  emp&a^  bier  am  2^,  Mai 
1565   die  Ofdinadcna   dnreb  GaEiis    lEtod  kdnt  am  5,  Juni 

1  V^,  Batapaeb,  Trmbjt^  SoffL  Br  ^  w&  am  J,  C.  W^^ssa^ 
om  ria«  (M&die  tseridbtet  wiid, 

^;  Vgl.  Wadseatagelf  Da»  Öeatsäts  KndbeBfieä  HI,  ^  M^ 
so.  1213  ttrwl  Kmk  ä,  a,  O.  I,  447,  a».  YHI,  373L  Fadi  ihm  ii« 
<^  erxte  ütTo^be  rmi  MstgMmr^as;  die  watena  «ud  ^iSfeer  tob 


3)  »,  Wi«5i^«ta»Kisi,  L,  Ö.  174. 

4)  K.  A.  T?:^«*».,  No,  XL,  Z.  1&. 


—     2*}\     - 

wieder  ins  EJost«r  Admont  zurück.  Mit  Bewilligung  seine« 
Abte«  Valeutiu  Abel  hat  er  augefangeD,  den  _Iiet>en  Kate- 
cbisma«*'  <d.  h.  den  Latherisclieo)  alle  Sonntage  und  Feier- 
ta«;e  in  der  beuachbarteu  Pfarrkirche  zu  predigen  vor 
^eiueo  Schülern  uud  anderen  ZuhOrem.  Am  13.  Okt.  15Q5 
hält  er  auf  Befehl  desselben  Abtes  im  Frauenklosrer  eine 
Gedächttiisp redigt  auf  Kaiser  Ferdinand  und  predigt  auch 
hier  den  Frauen  den  Katecbi^iuos.  Darauf  vermahnt  er  den 
Abt  in  einem  „scharptfeu  Brief",  er  solle  die  noch  im 
Mönchskloster  vorhandenen  etlichen  )[ifibräuche.  .als  die 
Eleuation,  doch  sine  Canoue'  abschaffeu,  wa«  auch  am 
2<t.  Januar  15(30  geschehen.  Demgemäß  hatte  mau  im 
Kloster  von  der  Messe  nichts  mehr  beil>ehalten  als  die 
Elevatiou  •  •  Da  al^er  die  zwei  Stellungen  —  Schul-  und 
Kircheudienst  —  dem  Xi«:ander  zu  viel  wurden,  bat  er 
deu  Abt,  iliu  aus  dem  Schuldienst  zu  entlassen.  Dieser 
willigt  ein ;  indem  er  aber  bereit«  die  Ungnade  de«  Bischofs  zu 
Salzburg  und  de«  Landesfiirsten  zu  fürchten  *  -  •  •  '  '  »«ucht 
er  Mittel  uud  Wege,  den  Nicander  weiter  zu  b>. :  ;  . . ;  u.  und 
derselbe  geht,  zunächst  provisorisch,  nach  Oberösterreich, 
wo  er  in  Kirchdorf  durch  Christoph  Jörger  eine  Stell« 
erhält. 

Xoch  andere  Fälle  können  wir  uaniliaft  machen, 
wo  die  Lehrer  direkt  aus  dem  Klost«r  nach  Wittenberg 
gehen  oder  behufs  Übernahme  eines  Pfarramt««  sich 
ordinieren  lassen.  Dahin  gehOrt  der  ol>en  genannte  Magister 
Johann  Kicenius  aus  dem  Kloster  Kremsmüuster.  der 
unter  dem  Abt  Ge<.'rg  Lechner  an  dessen  neueröffneter 
Schule  wirkt  und  von  da  direkt  nach  Wittei)l>erg  geht,  am 


1)  Über  das  CJf*agte  vergL  P.  Jakob  Wit-hner.  CJew-'h.  des 
Benc<liktiuer-8tift«»  Admont,  IV,  6.  131  f.  und  Kloster  .Vdmout, 
S.  68 — 71;  leruer  '^  "  'aph.   I^exikou 

■i    üher   Admont    und    Abt    ^  \    j,  -      /   r 

Bextätigwig  dienen.     Er  kennt  auch  einen  lutberiiicheu  Pre«liger  und 
nennt    ihn   einen    apot^ta^ierten    Mönch  au«   deni    K]o«>tef  3(oudii«e. 


—     260     — 

Noten  erschienen,  abgedruckt  ist  i).  Hier  findet  sich  als 
Tischgebet  für  Sonnabend  -  Abend  die  erste  Strophe  des 
Liedes:  ,,Wer  Gott  vertraut,  hat  wohl  gebaut  im  Himmel 
und  auf  Erden",  für  deren  Dichter  Magdeburgius  deshalb 
wohl  mit  Recht  gehalten  wird  2). 


Die  niederösterreicliische  Agende. 
A.  Die  Vorbereitungen. 

In  all  den  Jahren,  in  welchen  das  Evangelium  seinen 
Einzug  in  Osterreich  gehalten,  war  noch  niemals  etwas 
Rechtes  geschehen,  um  Ordnung  zu  schaffen.  Und  doch  waren 
die  Geister  seit  lange  lebendig  hier  im  Süden  des  Deutschen 
Reiches.  Bis  nach  Innerösterreich ,  dem  Küstenland  und 
bis  ins  benachbarte  Bistum  Salzburg  hinein  erstreckten  sich 
die  von  Regensburg  ausgehenden  Einflüsse.  In  den  Klöstern 
Admont,  Kremsniünster,  Wilhering,  Lambach  u.  a.  m.  ^)  finden 
wir  deutliche  Spuren  der  Reformation,  nicht  bloß  im  Leben 
und  im  Wandel  der  Stiftsmitglieder,-  sondern  auch  in  der 
Lehre.  Die  Regensburger  Akten  enthalten  einen  Brief  des 
Kaspar  Nicander  aus  Baden,  des  ehemaligen  Schulmeisters 
der  Klosterschule  zu  Admont  (1563),  an  Gallus  vom  16.  Febr. 
1570^)  der  sehr  bezeichnend  ist.  Dieser  Mann  geht  mit 
Empfehlung  des  Admonter  Abtes  (der  1545  sich  weigerte 
auf  dem  Tridentiner  Konzil  zu  erscheinen),  nachdem  er  im 
Kloster  bereits  sich  als  tüchtig  für  ein  evangelisches  Pfarr- 
amt erwiesen,  nach  Regensburg,  empfängt  hier  am  29.  Mai 
1565    die  Ordination    durch  Gallus    und    kehrt  am  5.  Juni 


1)  Vgl.  Eaupach,  Presbyt.,  Suppl.  S.  63,  wo  aus  J.  C.  Wetzeis 
Liederhistorie  das  Gleiche  berichtet  wird. 

2j  Vgl.  Wackernagel,  Das  deutsche  Kirchenlied  III,  S.  1042, 
no.  1213  und  Koch  a.  a.  O.  I,  447,  ss.  VIII,  373.  Nach  ihm  ist 
die  erste  Strophe  von  Magdeburgius;  die  weiteren  sind  später  von 
anderen  hinzugefügt. 

3)  s.  Wiedemann,  I.,  S.  174. 

4)  R.  A.  Eccles.,  No.  XL,  Z.  19. 


—     261     - 

wieder  ins  Kloster  Admont  zurück.  Mit  Bewilligung  seines 
Abtes  Valentin  Abel  hat  er  angefangen,  den  ,,lieben  Kate- 
chismus" (d.  h.  den  Lutherischen)  alle  Sonntage  und  Feier- 
tage in  der  benachbarten  Pfarrkirche  zu  predigen  vor 
seinen  Schülern  und  anderen  Zuhörern.  Am  13.  Okt.  1565 
hält  er  auf  Befehl  desselben  Abtes  im  Frauenkloster  eine 
Gedächtnispredigt  auf  Kaiser  Ferdinand  und  predigt  auch 
hier  den  Frauen  den  Katechismus.  Darauf  vermahnt  er  den 
Abt  in  einem  „scharpffen  Brief",  er  solle  die  noch  im 
Mönchskloster  vorhandenen  etlichen  Mißbräuche,  „als  die 
Eleuation,  doch  sine  Canone"  abschaffen,  was  auch  am 
20.  Januar  1566  geschehen.  Demgemäß  hatte  man  im 
Kloster  von  der  Messe  nichts  mehr  beibehalten  als  die 
Elevation  i).  Da  aber  die  zwei  Stellungen  —  Schul-  und 
Kirchendienst  —  dem  Nicander  zu  viel  wurden,  bat  er 
den  Abt,  ihn  aus  dem  Schuldienst  zu  entlassen.  Dieser 
willigt  ein ;  indem  er  aber  bereits  die  Ungnade  des  Bischofs  zu 
Salzburg  und  des  Landesfürsten  zu  fürchten  beginnt,  sucht 
er  Mittel  und  Wege,  den  Nicander  weiter  zu  befördern,  und 
derselbe  geht,  zunächst  provisorisch,  nach  Oberösterreich, 
wo  er  in  Kirchdorf  durch  Christoph  Jörger  eine  Stelle 
erhält. 

Noch  andere  Fälle  können  wir  namhaft  machen, 
wo  die  Lehrer  direkt  aus  dem  Kloster  nach  Wittenberg 
gehen  oder  behufs  Übernahme  eines  Pfarramtes  sich 
ordinieren  lassen.  Dahin  gehört  der  oben  genannte  Magister 
Johann  Nicenius  aus  dem  Kloster  Kremsmünster,  der 
unter  dem  Abt  Georg  Lechner  an  dessen  neueröffneter 
Schule  wirkt  und  von  da  direkt  nach  Wittenberg  geht,  am 


1)  Über  das  Gesagte  vergl,  P.  Jakob  Wichner,  Gesch.  des 
Benediktiner-Stiftes  Admont,  IV,  S.  131  f.  und  Kloster  Admout, 
S.  68 — 71 ;  ferner  Schmutz,  Histor.  topograph.  Lexikon  von  Steier- 
mark, I,  S.  15  f.  Dr.  Schuster,  Martin  Brenner,  S.  213 ,  dessen  Mit- 
teilungen über  Admont  und  Abt  Valentin  obigen  Angaben  zur 
Bestätigung  dienen.  Er  kennt  auch  einen  lutherischen  Prediger  und 
nennt  ihn   einen    apostasierten   Mönch  aus   dem    Kloster  Mondsee. 


—     262     - 

22.  März  1556  dort  ordiniert  wird,  dann  ein  Pfarramt  in 
der  Grafschaft  Eisenberg  bei  Altenburg  annimmt  und  als 
Theologe  auf  den  Frankfurter  Konvent  i)  1558  mitgenommen 
wird  2).  Besonders  ließ  die  Visitation  und  Reform  der 
Klöster  in  den  Jahren  1566 — 68  eine  Aussonderung  der 
entschieden  evangelischen  Elemente  aus  der  Spreu  der  beim 
alten  Glauben  Verharrenden  hervortreten.  So  berichtet 
Nicander  in  dem  oben  erwähnten  Briefe,  daß  auf  Befehl 
des  Kaisers  alle  Prälaten  zur  Entgegennahme  der  neuen 
Generalordnung  nach  Wien  berufen  wurden  (22.  Dez.  1567)  ^). 
Die  sich  nicht  Fügenden  wurden  des  Amtes  entlassen. 
Unter  diesen  wird  Wolfgang  Pruggner  (Pontanus),  Dechant 
in  Spital  am  Pyrn,  genannt,  dem  Maximilian  auf  sein  in- 
ständiges Bitten  eine  reichliche  Abfertigung  bewilligte, 
worauf  ihm  Christoph  Jörger  die  Pfarrei  Atzbach  gegeben. 
Dieser  Pruggner  wurde  ein  Beförderer  des  Evangeliums 
und  empfahl  2  Jahre  später  seinen  Schulmeister  Dürr  in 
Spital  zur  Ordination  nach  Regensburg  ^).  Während  nämlich 
die  Prälaten  dem  Drucke  von  oben  nachgaben  5),  blieben, 
wie  Nicander  berichtet,  „die  Pfarren,  so  unter  den  Klöstern 
waren"  und  die  evangelische  Religion  angenommen  hatten, 
bei  ihrem  Glauben.  Sie  wurden  darin  bestärkt,  teils  durch 
den  schlechten  Ersatz,    den  die   treu  Gebliebenen  erhielten. 


1)  S.  Preger  II,  S.  63. 

2)  Vgl.  den  Brief  des  J.  v.  Perckhirchen  an  Gallus,  Linz, 
13.  Okt.  1557  (R.  A.  Eccles.  I,  No.  XV,  Z.  18),  den  wir  oben  (S.  135  f.) 
angeführt  haben. 

3)  Wiedemann,  a.  a.  O.  I,  S.  193. 

4)  R.  A.  Eccles.,  No.  XL,  Z.  19  u.  42. 

5)  Jedoch  nicht  alle;  Propst  Georg  Freuter  (1572—98)  duldete 
während  seiner  ganzen  Regierungszeit  die  protestantischen  Schul- 
meister im  Markt  und  auf  den  inkorporierten  Pfarreien  (Czerny,  Die 
BibUothek  von  St.  Florian,  S.  90;  Klosterschule,  S.  56).  Der  Dekan 
von  Klosterneuburg  (bei  Wien)  soll  1568  als  Häretiker,  und  zwar 
erst  auf  Verlangen  Commendones,  abgeschafft  werden  (Hopfen, 
K.  Maximilian  II,  S.  313). 


-     263     — 

teils  auch  durch  offenbare  Gottesgerichte  an  solchen,  die 
sich  feigerweise  fügten.  Das  Gleiche  erzählt  Nicander 
von  Steiermark,  wo  ebenfalls  im  68.  uud  69.  Jahre  eine 
solche  Visitation  wie  in  Oberösterreich  durch  landes- 
fürstliche Kommissare  und  den  Bischof  von  Gurk  vorge- 
nommen wurde.  Von  Admont  berichtet  er,  daß  „alle,  so 
nit  widerumb  zur  meß  welln  tretten,  vom  Gl  oster  geschafft, 
vnd  dieselbige  gegend  gantz  vnnd  gar  verbotten.  Sie  aber 
sind  alle,  ausgenomen  ein  alter,  so  gleich  ein  Kind,  be- 
ständig bliben,  vnnd  schon  im  Land  ober  der  Enß  vnd 
Österreich  alle  mit  Dienst  versehen ,  vnder  welchen  ich 
dreien  mit  fürschrifften  behilflich  gewesen.'  Den  erwähn- 
ten „alten  Herrn"  aber  empfiehlt  er  Gallus,  daß  derselbe  ihm 
ein  „kleines  trostbrieflein  stellen  wolle" ,  welches  er  ihm 
selbst  überantworten  werde. 

Nicander  selbst  ging  Michaeli  1568  nochmals  vorüber- 
gehend nach  Admont ,  um  seinen  „lieben  Bekannten"  in 
der  Klosterkirche  eine  Predigt  zu  halten  und  sie  zu  er- 
mahnen, was  „bei  vielen  Nutzen  geschafft"  habe.  Er  erwähnt 
hier  abermals,  was  er  droben  von  Österreich  bemerkt: 
„alle  pfarrer  und  pfarrleute  so  dem  Closter  vnderworffen, 
lassen  sich  von  der  reinen  angenomenen  relligion  nit 
treiben";  —  freilich  fügt  er  hinzu:  „wiewol  sie  bisher 
nichts  angefochten  worden." 

Dem  Stift  Wilhering  geben  bereits  im  Mai  1566  die 
Kirchenpröpste  des  Gotteshauses  zu  Alkoven(in  Oberösterreich) 
das  unzweideutige  Zeugnis:  „daß  dort,  wie  vns  wol  bewust, 
das  wäre  Wort  Gottes,  nach  Inhalt  der  Prophetischen  vnd 
apostolischen  schrifften  lauter  vnd  rain,  on  Vermischung 
menschliches  sauertaigs,  gepredigt,  vnd  die  hochwierdigen 
Sacrament,  nach  den  befeilen  Christi,  on  Zuthuung  der 
Papistischen  greul  gereicht  wurden".  Aus  diesem  Stifte 
ging  der  an  Gallus  zur  Ordination  empfohlene  Schulmeister 
Joseph  Summereckher  hervor,  der  am  26.  Mai  1566  von 
den    eben    genannten     Kirchenpröpsten    ein    Empfehlungs- 


—     264    — 

schreiben  erhielt  ^).  Also  allüberall  in  den  Klöstern  wie  in 
den  Schulen  evangelische  Einflüsse  bis  ins  Mark  hinein !  ^) 
Aus  dem  Erwähnten  entnehmen  wir,  daß  es  mit  der 
Reformation  der  Klöster  mühselig  genug  zuging  im  Erz- 
herzogtum sowohl  wie  in  Steiermark.  Erst  der  von  Maxi- 
milian eingesetzte  Klosterrat  schaffte  eine  Wandlung.  Diese 
neue  Behörde  ordnete  die  verworrenen  katholischen  Re- 
ligionssachen, während  die  den  evangelischen  Ständen  ge- 
währte Religionsfreiheit  das  evangelische  Kirchenwesen  in 
die  rechte  Bahn  leitete.  Beide  Institutionen  dienten  dazu, 
dem  bisherigen  Chaos  ein  Ende  zu  machen,  in  welchem 
viel  Reines  mit  Unreinem  vermischt  war.    , 

Neben  diesen  Zeugnissen  eines  Nicander  stehen  die- 
jenigen Reuters,  die  ganz  unabhängig  davon  zeigen,  daß  in 
den  Schulen,  auf  den  Pfarr-  und  Seelsorgstationen  hin  und  her 
Männer  genug  waren,  die  am  neu  aiifgegangenen  Lichte  des 
Evangeliums  Geschmack  fanden,  aber  den  völligen  Bruch 
mit  der  Vergangenheit  scheuten.  Solche  Männer  fand 
Christoph  Reuter  bereits  zu  Ende  der  fünfziger  Jahre  vor. 
In  einem  Schreiben  an  Gallus  vom  11.  Oktober  1557  3) 
heißt  es,  neulich  habe  er  nahe  bei  Rosenberg  in  Garsch 
einen  Pfarrherrn  „bekehrt  und  eingesegnet"  ;  der  sei  aber 
alsbald  vertrieben  worden ;  gleichwohl  lasse  man  andere 
bisweilen  bleiben.  Viele  wollten  gern  „der  Meß  abstehen", 
aber  sie  würden  durch  die  „verfluchten  trunkenen  Bauern" 
daran  gehindert.  „Summa,  mundus  vult  decipi,  will  Heuchler 
haben.'' 

Ein  Typus  der  nichts  wagenden  und  den  Mächtigen 
stets  nach  dem  Munde  redenden  Prediger,  deren  bis  heute 
die  Welt  voll  ist,  war  der  bekannte  Hans  Gugelmann  (oder 
Kugelmann),  Pfarrer  in  Enns,  mit  welchem  J.  von  Perckhaim 
schon  im  Juli  1557  zu  Enns  ein  Gespräch  hat  und  den  er 


1)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXXV,  Z.  156. 

2)  Vgl.  Dr.  Schuster  a.  a.  0.  S.  212—215. 

3)  R.  A.  Eccles.  I,  No.  XV,  Z.  12. 


—    265     - 

in  einem  an  Gallus  gerichteten  Briefe  ^j  einen  frommen 
christlichen  Pastor  nennt,  „der  sein  schefflein  vil  jar  wol 
vorgestanden".  Der  Pfarrer  hatte  Kenntnis  von  Gallus' 
Katechismus  und  hätte  gern ,  da  ihm  sonst  alle  Artikel 
desselben  wohl  gefallen,  sich  mit  Gallus  eines  Artikels 
halber  unterredet.  Gallus  schreibe  nämlich  in  seinem 
Katechismus:  „Cristus  hab  In  der  Hollen,  die  pein  der 
Hellen  gelitn,  —  das  er  (Gugelmanni  nit  Verste,  seines 
achtens  hat  er  alle  sachn  am  kreytz  erfüldt."  Perckhaim 
gab  zur  Antwort,  er  solle  dem  Gallus  „nuer  fix"  schreiben ; 
derselbe  werde  ihm  gute  Antwort  geben  und  nicht  ver- 
argen ;  worauf  Gugelmann  erwidert,  er  dürfe  es  nicht  wagen. 

Das  war  nun  jener  Pfarrer  Gugelmann,  der  hinterher 
dem  Kaiser  Maximilian  aufs  höchste  gefiel,  so  daß  Reuter 
ihn  seiner  Majestät  Beichtvater  nennen  konnte,  und  der  dem 
Kaiser  zulieb  aufs  heftigste  wider  die  Flacianer  und  so  auch 
wider  die  Kirche  zu  Regensburg  und  deren  Ordinanden  agi- 
tierte 2).  Im  Jahre  1569  wird  er  als  Inspektor  (Visitator) 
der  evangelischen,  durch  Perckhaim'sche  Legate  gestifteten 
Landschaftsschule  zu  Enns,  neben  Johann  von  Tschernembl 
als  Superintendent,  genannt  ^ ). 

Mitten  unter  der  großen  Masse  der  äußerlich  noch 
römisch  Gesinnten  gab  es  also  ein  reichliches  Baumaterial 
für  die  Errichtung  einer  großen  protestantischen  Kirche. 
Damit  aber  ließ  sich  ein  solider  Bau  nicht  unternehmen ; 
der    erste    Sturm    hätte   ihn     umgestoßen.      Mit    geringeren 


1)  R.  A.  Eccles.  I,  No.  XV,  Z.  44. 

2)  S.  0.  S.  152.  Reuter  an  Gallus ,  Schwielenpach,  Sonntag 
nach  Ostern  1568  (R.  A.  Eccles,  N.  XXXVI,  St.  70). 

3)  Vgl.  den  59.  Jahresbericht  des  Museum  Francisco-Carolinum, 
Linz  1901 :  Das  Schulwesen  ob  der  Enns  bis  zum  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts, von  Dr.  K.  Schiffmann,  S.  111  ff.  In  dieser  wertvollen 
Abhandlung  wird  uns  ein  Einblick  gewährt  in  die  weite  Verbreitung 
der  protestantischen  Ansichten.  Es  gab  nur  wenige  Klöster,  in  denen 
dieselben  nicht  Eingang  gefunden,  ebenso  auch  wenig  Stadtschulen. 
Ein  eigener  Abschnitt  (IV)  handelt  von  dem  weltlichen  Schulwesen 
unter  dem  Einfluß  des  Protestantismus  von  1517 — 1624. 


—     266     — 

Leuten  ist  der  Sieg  erfochten.     Und  solche  eben  finden  wir 
hin    und    her    unter    den    Briefstellern ,    teils    Laien ,    teils 
Prediger,    welche    ihre    Anliegen    den  Regensburgern    vor- 
tragen.    So  schreibt  Sigmund  Flaisch,   ein  einfacher  Hand- 
werker,   dem    nebst    Anderen    Gefangenschaft    drohte,    aus 
Gastein    an    Gallus,    Dienstag    nach  Lätare    1564  2)    folgen- 
dermaßen:   „Es  werden  vnß  vieler  neuer  secten  valsche  ler 
zuegemesen  vnd  wiert  vnß  zuweilen  von  andern  furgeworfen 
als    selten    wier    nit   der  rechten  augspurgischen  Confesion 
oder  lutrischen  ler  anhengig  sein  vnd  wier  klagens  gleich- 
wol  selbs  das  wier  alzuwenig  euangelisch  vnd  ale  zufil  aigen- 
wilisch    sein,    das    macht    vnser    verderbte    natur,    das   wier 
nuer  alain  das   wollen  vnd  nit  auch  das  verpringen  haben, 
aber    das     waiß     got    vnd    gibt    vns    das    Zeugknus     vnser 
gewisen,   das    vns    muest    von  Hertzen    laidt    sein   das  wier 
vnwisendlich    Ich    geschweige    den    mit  muetwilen  solen  in 
ainem  oder  mer  artikeln  der  augspurgischen  Confesion  oder 
den  artikeln  schmalkaldi  zuwider  sein."    Flaisch  hat  sich  nun 
eine  Masse  Bücher  zusammengekauft:  das  antisynergistische 
Bekenntnis  der  Prediger  in  der  Grafschaft  Mansfeld,  item  ein 
Buch  von  Erasmus  Alberus ;  neben  der  A.  C,  der  Apologie 
und    den    schmalkaldischen   Artikeln   die   Earchengeschichte 
des  Flacius,  natürlich  auch  Luthers  Werke.    Er  hat  daraus 
die  Artikel  des  christlichen  Glaubens  sich  zusammengestellt 
und  wünscht,   dieselben  Gallus  und  Flacius  vorzulegen,  um 
zu  beweisen,  daß  er  weder  mit  Interimisten  noch  Adiapho- 
risten  zu  schaffen  habe,  noch  mit  irgend  einem  Schwärmer. 
Falls    seine   Artikel   gut   befunden    würden,    will    er    sie   in 
Regensburg    drucken    lassen    und    bittet,    daß    Gott    treue 
Arbeiter   in    seine  Ernte  senden  möge;    er  klagt  auch,    daß 
er    sein   Handwerk    oftmals    versäumen    müsse    über    dieser 
ihm  von  Gott  auferlegten  Arbeit. 

„Was  wir  vor  allem  bedürfen",  schreibt  ein  Jonas  Francus, 
Pfarrer  in  Ober-Hollabrunn  in  Niederösterreich,  am  12.  Mai 


1)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXIII,  Z.  136. 


—     267     — 

1566  an  Gallus,  „ist  ein  Generalsuperintendent  und  ein  Con- 
sistorium,  da  wir  von  den  Bischöfen  die  Ordination  nicht 
annehmen  dürfen."  In  einem  Briefe  vom  6.  Mai  ^j  äußert 
Francus  denselben  Wunsch  nach  einem  orthodoxen  Superin- 
tendenten und  bittet  Gallus,  er  möge  den  nach  Österreich 
zu  berufenden  Thomas  Molitor  zur  Vorsicht  in  der  Be- 
seitigung der  Ceremonien  und  Bilder  ermahnen,  damit  er 
nicht  die  Schwachen,  durch  das  antichristliche  Wesen  Ver- 
führten, vor  den  Kopf  stoße.  Er,  Francus,  rate  solches  aus 
eigener  Erfahrung.  Das  Wort  Gottes  war  teuer  im  Lande, 
und  so  nahmen  es  denn  viele  recht  leicht  mit  der  Befriedigung 
ihrer  geistlichen  Bedürfnisse.  So  klagt  Petrus  Lasacher, 
Prediger  zu  Krembs  in  Kärnthen,  am  15.  Dez.  1569  dem 
Gallus  2) :  es  möchte  einer  schier  in  Todesnöten  das  Sacrament 
von  einem  Meßpfaffen  empfangen,  was  ihm  nicht  gefalle  und 
er  auch  nie  gelehrt  oder  geraten.  Ja,  er  berichtet :  es  seien 
„jener  Pfaffen  gar  viel,  die  die  Sacramenta,  wie  wir,  in  teischer 
(deutscher)  Sprache  reichen  und  dadurch  die  Leute  mit  Haufen 
an  sich  bringen.  Item  predigen :  die  bösen  Werkh  machen 
dz  Sacrament  Erger  noch  lezer  nit,  wie  in  grossen  Cate- 
chismus  Spangenbergi  stet."  Also  die  Konsekration  mache 
das  Sakrament  und  nicht  erst  die  Verfassung  des  Predigers. 
„Item:  Unser  Herr  sei  an  den  päpstlichen  Örtern  so  gut  als 
da  man  Gottes  Wort  rein  prediget  und  kein  Meß  hält."  Zu- 
gleich erwähnt  er,  daß  unter  den  dortigen  Predigern  von 
Gallus  Ordinierte  sich  befänden. 

Am  14.  März  1565  schrieb  ein  gewisser  Adam  Ranacher 
(Pfarrer  „auf  der  purg")  an  Gallus  und  Flacius  in  Regens- 
burg 3)  und  begehrte  Unterricht:  „ob  man  das  pfarampt  von 
wegen  mispreuch  vnd  daß  die  person  darin  vnchristlich  gar 
meiden  sol?"  Es  war  Gefahr  vorhanden,  einerseits,  daß  man 
Papisten  und  Interimisten  mied,  die  doch  der  Gemeinde  im 


1)  R.  A.  Eccles.  I,  No.  XIV,  Z.  20  u.  70. 

2)  R.  A.  Ecclesiastica,  Kasten  D,  Fach  1,  No.  XXXVI,  St.  181. 

3)  R.  A.  Eccles.  I,  No.  XXXV,  Z.  145. 


-     268     — 

oi-dentlichen  Wege  vorgestellt  waren,  und  sich  auf  eigene  Faust 
half,  d.  h.  deutsch  taufte,  zum  Sakrament  griff,  im  Falle  kein 
evangelischer  Kirchendiener  in  der  Nähe  wohnte,  —  also 
gleichsam  auf  der  rechten  Seite  zu  weit  ging.  Andererseits 
war  Gefahr  vorhanden,  daß  man  zu  der  Predigt  der  Adia- 
phoristen,  ja,  zu  der  Papisten  Abendmahl  sich  wandte,  um 
nur  nicht  gänzlich  ohne  geistliche  Speise  bleiben  zu  müssen, 
—  also  vom  Teufel  auf  die  linke  Seite  zu  weit  zu  gehen 
verführt  würde.  Der  Briefschreiber  möchte  nun  der  epi- 
kurischen Verachtung  von  Wort  und  Sakrament  gesteuert 
wissen  und  wünscht,  daß  man  das  Amt  weit  von  der  Person 
scheiden  möchte:  „denn  auch  der  pest  (beste)  Euangelisch 
prediger  seiner  person  halben  gegen  das  amt  zu  uergleichen 
schier  wie  der  teuffl  gegen  gott  ist.  Darumb  soll  man  von 
wegen  des  pösen  vnd  mit  den  Vbl,  das  gute  vnd  was  recht 
ist  nit  wekthueni)  ....  piß  (bis)  got  durch  obrigkeit 
oder  landplagen  verenderung  macht,  wie  zu  Jerusalem, 
vnd  das  Ampt  zu  Apostolischen  prauch  ordenlich  Reformiret 
werde".  Die  Antwort  des  Gallus  kennen  wir  nicht;  nach 
einer  Andeutung  im  Texte  des  Bi-iefes  von  seiner  Hand 
schien  er  nicht  abgeneigt,  zur  Vermeidung  der  Eigenhilfe, 
das  Sakrament  in  der  Ortskirche  benützen  zu  lassen,  wenn 
es  nur  „sub  utraque"  (unter  beiderlei  Gestalt)  gereicht  werde. 
Es  gab  also  neben  den  halben  und  ganzen  Papisten 
auch  viele  Adiaphoristen  im  Lande,  welche,  wie  der  Diakon 
Wolfgang  Wegerich  (aus  Plauen)  in  einem  Briefe  vom  29. 
Febr.  1570  an  Gallus  klagt  2),  es  mit  den  Römischen  hielten. 
So  wurde  Wegerich  von  seinem  Ortspfarrer  in  Eferding 
gewarnt,  daß  er  in  der  Predigt  nicht  den  Papst  nennen 
solle,  am  allerwenigsten  ihn  als  Antichrist  bezeichnen  dürfe, 
obwohl  der  Text  des  Evangeliums  (Joh.  15)  es  an  die 
Hand  gäbe.  Die  frommen  Prediger  fühlten  sich  also  sehr 
beengt  um  jene  Zeit,    umgeben    von  falschen    Brüdern    und 


Ij  Mit  anderen  Worten :   man    solle  das  Kind    nicht   mit  dem 
Bade  ausschütten. 

2)  R.  A.  Eccles.   No.  XL,  Z.  36. 


—     269     - 

Papisten.  Andere  klagen  wieder  über  Synergisten  ito  Lande ; 
so  der  Steirer  Pfarrer  A.  Gotterus  in  einem  Schreiben  an 
W.  Waldner  in  Regensburg  vom  25.  März  1567  ^).  Er 
sendet  dem  letzteren  verschiedene  Schriften  von  orthodoxer 
iSeite  und  von  selten  der  Synergisten,  in  deren  Mitte  er 
ganz  vereinsamt  lebe;  doch  vertraue  er  auf  den  Herrn,  mit 
dessen  Hilfe  er  all  seine  Feinde  zu  überwinden  hoffe. 
Gotterus  bittet  nun  um  ein  Urteil  zu  Händen  seines  Barons 
Adam  Hofmann.  Der-  Magistrat  stehe  auf  selten  des 
synergistischen  Pfarrers,  welcher  nach  der  Gewohnheit  dieser 
Leute  mehr  im  Wege  der  Verdächtigung  der  Gegner  seine 
giftige  I/ehre  bei  den  Mitbürgern  ausbreite,  als  daß  er  offen 
etwas  zu  behaupten  wage.  Man  suche  die  Gemeine  ihm 
(dem  Briefschreiber)  zu  entfremden,  aber  das  gelänge  nicht, 
da  die  Leute  haufenweise  ihm  zuströmten.  Sodann  be- 
klagt Gotterus  die  thüringischen  Wirren  und  sieht  in  dem 
traurigen  Ausgang  Johann  Friedrichs  des  Mittleren  göttliche 
Strafe  wider  die  Verfolger  der  Knechte  Gottes.  Zugleich 
bittet  er  um  Nachricht  bezüglich  der  nach  Antwerpen  be- 
rufenen Theologen,  ob  sie  dorthin  abgegangen  oder  noch 
nicht ;  woraus  man  sieht,  welch  eine  Interessengemeinschaft 
alle  diese  Gegner  der  Adiaphoristen.  Synergisten  und  Majo- 
risten  unter  dem  von  Flacius  vorangetragenen  Banner  an- 
noch  vereinigte. 

Schon  der  alte  Christoph  Plädting  aus  Landshut  klagte 
in  einem  Briefe  an  Gallus.  d.  d.  1.  April  1558  aus  Leuben 
bei  Stein  2)  über  solche  Evangelische,  welche  die  doctrina 
schädigten  aus  Leidensscheu ;  diese  ließen  Adiaphora  zu : 
Ceremonien,  die  offenen  Aberglauben  in  die  Kirche  einführten 
Plädting  wünscht  deshalb  aus  Österreich  fortzugehen. 

Für  Oberösterreich  haben  wir  ein  gleichlautendes 
Zeugnis  in  dem  Briefe  des  Pfarrers  M.  Hoffmendl  aus  Kirch- 


1)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  120. 

2)  R.  A.  Eccles.  I,  No.  XVIII,  Z.  86. 


—     270    — 

dorf  an  Gallus,  vom  11.  Dez.  15701).  Derselbe  klagt  einer- 
seits über  die  papistischen  Meßpriester,  andererseits  über 
solche,  die  sich  des  Evangeliums  zwar  äußerlich  rühmten, 
aber  denen  der  Bauch  ihr  Gott  sei.  Nur  die  durch  Gallus 
Ordinierten  seien  gut. 

Darin  brachte  nun  die  Agende  Veränderung.  Die- 
selbe steuerte  ferner  auch  aller  Ungewißheit  im  Punkte 
der  Lehre,  sofern  sie  einen  festen  Katechismus  als  Richt- 
schnur des  Unterrichtes  einführte.  Derartiges  gab  es  bis- 
her nicht,  wenn  wir  von  der  Augustana  als  dem  selbst- 
verständlichen Grundstein  absehen.  Mit  Wiedemann  von 
eigenen  Bekenntnisschriften  der  „neuen  Lehre"  zu  reden, 
ist  verkehrt.  Weder  das  Bekenntnis  des  Jörgerschen 
Predigers    Moseder  ^)    noch    das    von    Reuter    und    Magde- 


1)  K.  A,  Eccles.  I,  No.  XXVI,  Z.  215.  —  In  den  vierziger 
Jahren  war  Matth.  Hofimendl  Schulmeister  in  Spital  am  Pyrn  ge- 
wesen und  war  seit  1562  Pfarrer  in  Kirchdorf  (vgl.  den  59.  Jahres- 
bericht d.  Mus.  Franc.-Carol.,  Linz  1901,  a.  a.  O.  S.  35).  Merk- 
würdigerweise verschweigt  Dr.  Schiffmann,  daß  H.  evangelischer 
Pfarrer  war. 

2)  Cristoff  Jörger  zue  Tollet  vnd  Kreuspach  schreibt  an  Gallus 
am  18.  August  1557  (R.  A.  Eccles.  I,  No.  XV,  Z.  132): 

„Von  Gott  dem  Herren  Erwierdiger  In  gott  geystlicher  sunder 
lieber  Herr  vnd  patron  Winsch  Ich  Euch  mit  Erpietung  meiner 
gantz  Willigen  dienst  vyll  hails  Wans  her  Euch  sambt  deren  gliebten 
gemachel  vnd  kinder  von  gott  gegewen  woUferig  Ergieng  das  wer 
allen  Christen  zue  guett  vnd  vröiich  zu  hören  Ausser  des  Löwen  tigen 
Prinnens  (lebendigen  Brennens)  des  predygambts  hab  ich  mit  wejb 
vnd  Kind  gott  In  Ewyckhait  danckht  byllycher  wejs  kaen  klag 
her  Martin  (Moseder)  halt  sich  mit  seinem  priesterlichen  ambt  woll 
darumb  Ich  Euch  her  vmb  die  christliche  befiederuug  (Beförderung) 
byllich  danckh  sag.  Wie  woll  Ich  In  alhie  selten  haben  mag  dan 
seine  pfar  Neüchaws  die  Ich  Ime  verlassen  Im  land  ob  der  Ens  ist 
17  meyl  von  dannen  Aber  so  Ich  In  berieff  Erscheint  Er  alhier 
guetwihch  der  Hoffnung  In  der  14  tagen  soll  Er  mit  seinem  christ- 
lichen ambt  alhie  seyn  goth  woll  das  Er  lang  beharen  mig  dan  die 
trieben  Wolken  wollen  grad  herferprechen  der  heb  gott  woll  obhand 
halten  amen." 

Dieser  Moseder  hielt,  wie  von  ihm  in  den  Briefen  bezeugt  wird, 


—    271     - 

burgius  1  i  erhielten  den  Charakter  eines  öffentlichen  Bekennt- 
nisses. Die  beiden  ersteren  waren,  wie  schon  bemerkt,  im  Auf- 
trage gewisser  Herren,  die  sich  das  Recht  des  evangelischen 
Magistrats  beilegten  und  gelegentlich  sich  auch  um  das 
Bekenntnis  kümmerten,  verfaßt.  Beide  dienten  zur  Verant- 
wortung ^j  und  Rechenschaftsablegung  vom  Glauben  ein- 
zelner evangelischer  Grruppen,  aber  für  die  evangelische 
Kirche  selbst  waren  sie  nur  von  vorübergehender  Bedeutung. 
Der  Kaiser  drang,  seitdem  er  sich  der  Regelung  des  evan- 
gelischen Kirchenwesens  annehmen  mußte,  auf  eine  Kircheu- 
ordnung  oder  eigene  Agende.  Was  das  Bekenntnis  anlangt, 
so  stellte  er  sich  mit  der  Augustana  Confessio  vom  Jahre 
1530  zufrieden  und  wünschte  keinerlei  von  Privatpersonen 
ausgehende  Konfessionen. 

Die  Sachlage  war  eine  schwierige,  indem  selbst  in 
Deutschland  bis  zur  Annahme  der  Formula  concordiae  nur 
Versuche  gemacht  worden  waren,  um  zu  einem  festen  Be- 
kenntnis zu  gelangen.  Nur  die  starke  Hand  des  Staats- 
oberhauptes konnte  Garantien  bieten  für  dauerhafte  Ver- 
hältnisse, und  Maximilian  war  nicht  gesonnen,  sich  diese 
Einflußnahme  auf  die  Ordnung  des  Kirchenwesens  verkürzen 
zu  lassen.  Die  Obrigkeit  hat  nach  evangelischer  Anschauung 
Macht  empfangen,  den  Kirchendienst  unter  ihren  Schutz 
zu  nehmen  3),  und  in  der  Reformationszeit,  wie  auch  noch 
lange    darüber    hinaus,    konnte   nur   die   Staatskirche,    nicht 


sehr  auf  kirchliche  Zucht  und  war  ein  stiller,  feiner  INIann ;  ein  Mann, 
ganz  wie  ihn  Österreich  brauchte,  ähnlich  dem  Eeuter,  Jonas  Francus 
und  ethchen  anderen. 

1)  Vgl.  den  früheren  Abschnitt:  „Die  Prädikanten"  und  Kau- 
pach I  u.  II  unter  den  Namen  dieser  Männer,  wie  auch  Wiedemann, 
I,  5.  Buch,  Kap.  1. 

2)  Vgl.  Eder,  bei  Raupach  1, 149,  welcher  bemerkt,  daß  Reuter  und 
Magdeburgius  ihre  Bekenntnisse  nur  zu  ihrer  eigenen  Verantwortung 
geschrieben  hätten,  ohne  daß  es  weitere  Folgen  gehabt. 

3)  So  heißt  es  im  niederländischen  Bekenntnis,  Art.  36;  dasselbe 
wurde  1562  dem  Landesherm  Philipp  II.  überreicht  und  kam  1566 
auf  dem  Augsburger  Reichstage  auch  Maximihan  II.  zur  Kenntnis. 


—     272     — 

aber  die  freie  Kirche  eine  gesicherte  Existenz  führen. 
Maximilian  handelte  also  als  christliche  Obrigkeit  und 
gewissermaßen  als  summus  episcopus,  wenn  er  sich  um 
die  evangelischen  Kirchenangelegenheiten  bekümmerte,  und 
die  Stände  suchten  auch  bei  ihm  Anerkennung  und  Schutz, 
wobei  sie  ganz  treuherzig  seine  evangelische  Gesinnung 
voraussetzten,  von  der  er  ja  mannigfaltige  Beweise  gegeben. 
Verfolgen  wir  die  Entwickelung  der  Reformation  in  Öster- 
reich vom  Regierungsantritt  Maximilians  an. 

Bereits    auf   dem  am   11.  Dezember  1564  in  Wien  er- 
öffneten Landtage  kamen  die  Stände  ordnungsmäßig  um  die 
Beilegung    des    Zwiespaltes  in  der  Religion  und  Belassung 
bei  der  augsburgischen  Konfession  ein.     Sie  wiesen  darauf 
hin,  daß  durch  die  Gewährung  freier  Ausübung  der  Religion 
die    Wohlfahrt    des    kaiserlichen    Hauses    sowohl    als    auch 
sämtlicher  Erblande  herbeigeführt  werde,  indem  die  Stände 
ihre  Abgaben  weit  williger    entrichten   würden,    und    mehr 
Glück    und    Sieg    gegen    die    Ungläubigen    erfolgen   werde. 
Der  Kaiser  ließ  noch  während  des  Landtages  den  Ständen 
eine  gnädige  Erklärung   zukommen :    Er  werde  in  dem  von 
seinem  Vater    begonnenen  Werke    fortfahren    und  alles  an- 
wenden,   damit  —   auch    zur    Zufriedenheit    der    Stände  — 
die  Religion  in  einen  guten,  gottseligen,  einhelligen  Verstand 
gebracht  werde.     Insonderheit  werde   er  ihre  Prediger  und 
Seelsorger,  wenn  sie  in  Lehre  und  Leben  dem  Worte  Gottes 
nachkommen,  von  niemand  [auch  nicht  von  den  Officialen^) 
der  Bistümer  Passau  und  Wien]  wider  Gebühr  und  Billig- 
keit beschweren  lassen^). 

Da  aber  keine  Abhilfe  erfolgte,  so  überreichten  die  drei 
Stände  auf  dem  am  28.  Juni  1565  eröffneten  Landtage  zu 
Wien  eine  eindringliche  Bittschrift,  in  welcher  sie  in  zehn 
Punkten  ihre  Beschwerden  und  Forderungen ,  besonders 
auch    die  Anerkennung   ihrer  Prädikanten   betreffend,    fest- 


1)  d.  i.  den  Vertretern  des  Bischofs  beim  Kaiser. 

2)  Niederösterr.  Landesarchiv,    Landtagshandlungen   1564,  bei 
Otto,  Geschichte  der  Reformation  unter  Maximilian  II.,  S.  8. 


-     273     - 

gestellt  hatten.  In  derselben  beschweren  sie  sich  1)  über 
den  Passauer  und  Wiener  Official  und  die  übrige  geistliche 
Obrigkeit,  welche  fast  alle  Pfarrherren  und  Priester  des 
Landes  vorfordern  und  zur  Unterschreibung  einer  unge- 
setzlichen („  wider  wertigen ";  Kirchenordnung  verhalten,  und 
diejenigen,  welche  in  Lehre  und  Wandel  wissentlich  anders 
nicht  als  dem  Worte  Gottes  und  der  Augsburgischen  Kon- 
fession gemäß  sich  verhalten,  ohne  genügsames  Verhör  von 
ihren  Kirchenämtern  entfernen  und  aus  dem  Lande  schaffen, 
mit  dem  Vorgeben,  daß  dies  auf  Befehl  der  kaiserlichen 
Majestät  geschehe;  2)  beklagen  sie,  daß  Lierdurch  viele 
fromme,  gottselige  Christenmenschen  der  Verkündigung  des 
wahren  Wortes  Gottes  und  des  rechten  Gebrauches  der 
hochwürdigen  Sakramente  zur  höchsten  Beschwer  ihrer 
Gewissen  und  Verkürzung  der  Seelen  Seligkeit  entbehren 
müssen ;  3)  ersuchen  sie,  ihnen  die  Ausübung  ihrer  evan- 
gelischen Religion  in  offenen  Kirchen  ungehindert  zu 
gestatten ;  4)  begehren  sie  die  Abschaffung  aller  Satzungen, 
Ceremonien  und  Mißbräuche,  so  der  Religion  der  Augs- 
burgischen Konfession  zuwider  sind;  5)  verlangen  sie  die 
Einführung    eines    gleichmäßigen   Gottesdienstes    im  Landet 

6)  betonen  sie,  daß  die  Augsburgische  Konfession  die  einzig 
wahrhafte,  recht  katholische  und  apostolische  Re- 
ligion enthalte,  von  der  sie  ohne  Verletzung  ihrer  Gewissen 
und  ihrer  Seelen  Seligkeit  nicht  weichen  können.     Sie  bitten 

7)  um  Einstellung  des  bisherigen  Verfahrens  des  Passauer 
und  Wiener  Officials  und  der  übrigen  geistlichen  Obrigkeit, 
mit  dem  Beifügen ,  daß  sie  ihre  Pfarrherren  und  Prädi- 
kanten  ohne  ausdrücklichen  Befehl  Sr.  Majestät  vor  diesen 
Officialen  und  Obrigkeiten  nicht  mehr  erscheinen  lassen 
werden;  8)  erklären  sie,  sich  zu  keiner  fremden,  irrigen 
Sekte  (der  Wiedertäufer,  Schwenkfeldtischen,  Zwinglischen, 
Calvinischen)  zu  bekennen  und  keinen  einer  solchen  Sekte 
angehörigen  Prädikanten  zu  dulden;  9)  ersuchen  sie  Se. 
Majestät  um  Anerkennung  ihrer  Prädikanten,  obgleich  diese 
nicht    von    der    römisch-katholischen  Kirche    ordiniert   sind, 

18 


—     274     - 

sondern  ihre  besonderen  Formata  haben.  Schließlich  10) 
bitten  sie  um  die  Erlaubnis  zur  Anstellung  eines  von  ihnen 
besoldeten,  der  A.  C.  (und  keiner  fremden  Sekten  verwandten 
Predigers  in  der  Hauptstadt  Wien,  wo  möglichen  Falls  ein 
oder  mehrere  Stäademitglieder  während  der  Landtage  oder 
anderer  Versammlungen  in  Todesnöten  oder  sonst  eines 
Kirchendieners  bedürften  ^). 

Es  folgten  noch  etliche  flehentliche  Vorstellungen,  um 
des  Kaisers  Herz  zu  bewegen. 

Diese  offene  Darlegung  der  Wünsche  der  Landstände 
stieß  natürlich  auf  Widerstand  beim  Kaiser,  und  die  An- 
gelegenheit stockte.  Um  diese  Zeit  war  es,  daß  Christoph 
Jörger  za  Tollet"^)  (1565)  sich  an  Xik.  Gallus  in  folgenden 
Klagen  erging: 

„In  jüngst  gehaltenen  Wiennerischen  lantag  ist  Kha. 
Maj.  von  allen  stenden  ausser  der  prelaten  die  sich  zu  den 
gluncken  (linken)  Hand  halten,  abermals  vnterthänigst  Er- 
mand  worden,  vns  beider  augspurgerschen  Confession,  so  Im 
30.  Jahr  Kaiser  Karl  von  reicliständen  mit  angehenckter 
apologie  [überreicht  worden],  beruen  zu  lassen;  auch  Ihr 
kha.  Maj.  starck  vnsers  vilfältigen  anlangens  korschamist 
(gehorsamst)  Ermand:  aber  Es  stockt,  des  wier  nit  gehofft; 
gott  wol  den  stilstand  vnd  weissheit  nit  verkiertzen.  Es 
ist  sorglich  \vider  den  Stachel  locken,  wer  sein  hand  ainmal 
an  den  pflueg  legt,  siecht  wider  hinder  sich  ist  mein  nit 
werd.     gott  Erparm  sichvnser^)" 

Maximilian  suchte  lange  auszuweichen,  zumal  um  die- 
selbe Zeit  die  oberösterreichischen  Stände  sich  auf  dem 
Landtage  zu  Linz  um  die  Religionsfreiheit  bemühten  und  er 
also  von  zwei  Seiten  bedrängt  wurde  ^). 


1)  Miederösterr.   Landesarch.,  Landtagshdlgn.   1565,    bei  Otto, 
a.  a.  O.  S.  9. 

2)  Über  die  Jörger  siehe  unter  anderen  Freiherr  v,  Hoheneck, 
Genealog,  u.  bist.  Werk,  Bd.  I,  Fol.  446— 4S4. 

3)  Eegensb.  Akten,  Eccles.,  Xo.  XXXV,  Z.  87. 

4)  Vgl.  die  Petition   um  freie  Eeligionsübung  nach  der  Augs- 
burg. Konfession  u.  Kirchenordnuns  vom  1.  Jan.  1566. 


—     275     — 

Anch  in  Oberösterreicli  war  in  den  Städten  wie  in 
den  Dörfern,  auf  den  ScUössern  wie  in  den  Bauernhöfen 
die  reine  Lehre  siegreich  geworden ;  in  den  jetzt  katho- 
lischen Kirchen  finden  sich  noch  zahlreiche  evangelische  Grab- 
steine eingemauert.  Hunderte  von  evangelischen  Pfarrern 
nennt  Raupach.  In  keinem  der  Erbländer  hat  sich  der 
evangelische  Glaube  so  tief  eingenistet  und  hat  alle  Stürme 
der  Gegenreformation  so  überdauert,  wie  gerade  in  Ober- 
österreich, woselbst  das  Toleranz-Patent  noch  beinahe  13  000 
Evangelische  vorfand  i).  Bald  nach  seinem  Regierungsantritt 
sicherte  Maximilian  in  einer  Resolution  vom  17.  Oktober 
1564  den  Ständen  den  erbetenen  Religionsschutz  zu,  und 
am  Ende  des  Jahres  erfolgte  die  Huldigung  in  Linz.  Die 
evangelischen  Stände  brachten  vor  den  Kaiser  eine  ernste 
Supplik  um  Handhabung  des  Augsburger  Glaubensbekennt- 
nisses im  Lande,  wobei  auch  die  Städte  einbezogen  waren. 
Der  Kaiser  nahm  diese  Supplik  nach  längerem  Hin-  und 
Herverhandeln  gnädig  an  und  gestattete  am  7.  Dez.  1568 
dem  Herren-  und  Ritterstande  die  Ausübung  der  Augs- 
burgischen Konfession  bis  zur  vollständigen  Regelung  der 
konfessionellen  Angelegenheit.  Die  Einwohner  der  Städte 
und  Märkte  aber,  die  ebenfalls  eine  Petition  um  Religions- 
freiheit überreicht  hatten,  wurden  damit  zunächst  abge- 
wiesen. Zugleich  erhielten  die  Stände  am  24.  Eebr.  1570 
einen  kaiserlichen  Brief  über  die  Freiheiten  des  Land- 
hauses in  Linz,  und  wurde  dasselbe  ein  Asyl  auch  für  die 
evangelischen  Stände  ^). 

Von  Linz  heimgekehrt,  bewilligte  Maximilian  den  nieder- 
österreichischen Ständen,  daß  das  von  den  Jesuiten  besetzte 
Konvikt,  errichtet  für  die  Jugend  jener  beiden  Stände,  den 
letzteren  zurückgegeben  werde.  Wirklich  mußten  die 
Jesuiten    das  Haus    alsbald    verlassen.     Während    der    Ab- 


1)  Vgl.  G.  E.  Waldau,  Gesch.  der  Protestanten  in  Ostreich  etc. 
Ansbach  1784,  Bd.  II,  S.  462. 

2)  Vgl.  K.   Oberleitner,   Die  evang.  Stände  im  Lande  ob  der 
Enns  unter  Maximilian  II.  n.  Rudolph  II,  Wien  18G2,  S.  7 — 13. 

18* 


-     276     — 

Wesenheit  Maximilians  in  Augsburg  hatte  sein  Stellvertreter 
Erzherzog  Karl    genug  zu  thun,    sich  der  Forderungen  der 
4  Stände    (auch  der  Städte)    zu    erwehren.     Der  Erzherzog 
versprach    nur,   ihre  Suppliken    an    den  Kaiser    zu    senden, 
worauf  Maximilian    eine    Kommission    errichten    zu   wollen 
erklärte,    welche    die  Unordnung    im  Allgemeinen    abstellen 
sollte.     Höchst  folgenreich  war  aber  für  den  vierten  Stand, 
den  Bürgerstand,  seine  von  Maximilian  veranlagte  Trennung 
von  dem  Herren-  und  Ritterstande.     Zur  Überraschung  der 
letzteren    Stände    erklärte    der    Bürgermeister    von    Wien, 
Hans     Übermann     [wie    es    scheint,    ohne    Vorwissen     der 
Bürger  ^)]  im  Namen    des    vierten  Standes,    daß  diesem  der 
Kaiser    auf   Grund    des  Augsburger    ßeligionsfriedens    vom 
Jahre    1555    strenge    verboten    habe,    sich    mit    den    zwei 
oberen    Ständen    in    eine   Traktation    einzulassen.     Die  Ab- 
geordneten der  anderen  Städte    und  Märkte   erklärten,    daß 
sie    den    gleichen     Befehl    erhalten,    aber    um    den    Schutz 
der  oberen  Stände  bäten,  eine  Fürsprache,  die  freilich  nicht 
erhört    wurde-).      Es    ist    wahrscheinlich,    daß    Maximilian 
verhüten    wollte,    daß    die    Evangelischen    das    Übergewicht 
erhielten,    weil    dies    die    gewünschte    Vereinigung    beider 
Religionsparteien    erschweren    würde.      Seit    der    Zeit    hielt 
Wien  daran  fest,  mit  den  oberen  Ständen  in  der  Religions- 
frage   nicht   gemeinsam    vorzugehen,    obgleich  es  sich  seine 
Freiheit    gegenüber   den  Eingriffen    der  katholischen  Greist- 
lichkeit  vorbehielt. 

Der  Kaiser  nahm  am  7.  Dez.  1566  abermals  eine 
Supplik  entgegen,  auf  welche  er  am  17.  Dez.  den  Ständen 
kundgab,  er  wolle  sich  in  keine  Diskussion  über  die  Be- 
schwerden   einlassen;  er    verweise    vielmehi'  die  Stände  auf 

1)  S.  Eaupach,  I,  S.  76. 

2)  Diese  Trennung  wurde  aufs  äußerste  beklagt,  auch  noch 
von  Heshusius  in  einem  Briefe  an  Gallus  vom  5.  Sept.  1568:  „Quid 
vero  obtinuere  Austriaci  ?  Nima  ordini  militari  (Eitterstand)  totum 
patet  coelum  ?  cur  non  et  agricohs .  quos  Christus  eodem  redemit 
pretio  ?  " 


^      -     211     - 

eine  allgemeine  Reformation,  wie  sie  sein  Vater  bereits  be- 
absichtigt. Inzwischen  ermahne  er  sie,  sich  der  bischöflichen 
Jurisdiktion  zu  fügen.  Die  Stände  der  Herren  und  Ritter- 
schaft antworteten  am  20.  Dez.  sanftmütig,  gaben  aber  die 
Hoffnung  nicht  auf,  den  Kaiser  für  ihre  Anliegen  zu  ge- 
winnen. Jene  oben  erwähnte  vom  Kaiser  ernannte  Kom- 
mission richtete  wenig  aus  ^).  Das  Evangelium  gewann  immer 
neue  Anhänger  in  den  weitesten  Kreisen.  Aber  freilich, 
die  feste  Hand  fehlte,  welche  die  widerstrebenden  Elemente 
zusammenhielt.  Selbst  Reuter  mußte  klagen  (29.  Juli  1568)  ^), 
das  Ministerium  im  Lande  sei  übel  zerspalten.  „0,  die 
Vnsern  thun  grossen  schaden  mit  irem  Zankhen ;  stund  war- 
lichen sunsten  Im  Lande  besser!"  Dazu  kamen  falsche 
Brüder,  die  das  Ohr  des  Kaisers  zu  finden  wußten,  und  von 
Kursachsen  aus  wurde  natürlich  gegen  die  Flacianer  Stim- 
mung gemacht.  Im  Grunde  konnte  sich  Reuter  nur  auf 
die  etlichen  Herren  in  den  zwei  Ständen  verlassen,  die  an 
der  durch  die  „beständigen  Lutheraner"  vorgetragenen  und 
speciell  auch  durch  ihn  vertretenen  Lehre  festhielten.  Da- 
gegen waren  die  anderen  evangelischen  Ständemitglieder 
wider  diese  ihre  frommen  Kollegen  zeitweise  sehr  gehässig. 

Die  Grewährung  einer  Konzession  also  und  der  damit 
zusammenhängenden  Assekuration  war  ein  dringendes  Be- 
dürfnis. Alles  war  gespannt  auf  den  am  18.  August  be- 
rufenen Landtag,  wo  sich  der  Knoten  lösen  sollte. 

B.   Die  Agende. 

Nachdem  alle  Hoffnung  auf  eine  friedliche  Vereinbarung 
der  entgegenstehenden  Kirchen,  welche  auch  Maximilian 
anfangs  gehegt,  verflogen  war,  entschied  der  Kaiser  sich 
für    die    Toleranz.      Die    politischen    Verhältnisse    drängten 


1)  Vgl.  Ritter,   Deutsche  Geschichte  im   Zeitalter  der   Gegen- 
reformation und  des  dreißigjährigen  Krieges.  I,  1889,  8.  1  i 

2)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  48. 


—     278     — 

auch  dazu ;  die  Kriege  mit  den  Türken  i)  hatten  eine  ge- 
waltige Schuldenlast  zur  Folge,  und  der  Kaiser  mußte  auf 
dem  Landtag,  der  vom  18.  Aug.  bis  14.  Sept.  1568  zu 
Wien  tagte,  die  4  Stände  ersuchen,  solche  Last  mit  ihm 
zu  tragen ,  wozu  sie  sich  bereit  erklärten  2).  Die  beiden 
Stände  der  Herren  und  Ritterschaft  erwarteten,  daß  ihnen 
nun  endlich  die  freie  Religionsübung  nach  der  Vorschrift 
der  Augsb.  Konfession  gesetzlich  erlaubt  werde  ^).  Die  Kon- 
zession dafür  ward  höchst  unerwarteterweise,  am  Tage  der 
Landtagseröffnung  selbst,  freilich  auf  neuerliches  Anhalten 
der  Stände,  am  18.  August  gegeben^).  Und  so  konnte  Reuter 
an  Gallus  unter  dem  2.  Okt.  1568  aus  Schwielenpach  ^')  gün- 
stiges melden  ^).  Nachdem  er  über  die  Bewilligung  der 
2  500  000  Gulden  geredet,  fährt  er  fort :  „In  der  Religion 
haben  ir  Maj.  die  zwen  Landtstände,  von  Herrn  vnd  Ritter- 


1)  Maximilian  that  hier  also  etwas,  was  er  1572  seinem  Bruder 
Karl  in  Steiermark  entschieden  abriet,  nämlich  daß  er  die  Religion 
mit  der  Finanznot  vermischte  (vgl.  Loserth,  a.  a.  O.  S.  1801 

2)  Die  Stände  bewilligten  ohne  langes  Zögern  und  ohne  die 
üblichen  Abstriche  die  erbetenen  2  Millionen  sammt  den  Interessen 
von  500  000  Gulden,  welche  Summe  sie  auf  unbestimmte  Zeit  zu 
zahlen  versprachen.  S.  V.  Bibl,  Die  Organisation  des  evangelischen 
Kirchenwesens  iiu  Erzherzogtum  Österreich  unter  der  Enns  von  der 
Erteilung  der  Eeligionskonzession  bis  zu  Kaiser  Maximilians  II. 
Tode  (1568—1576),  Wien,  Gerold,  1899,  S.  11—14. 

3)  Von  direkt  bei  der  Agendensache  beteiligten  Personen,  und 
zwar  milder  katholischer  Gesinnung,  ist  Georg  Gienger  von  Rotten- 
eck, Geheimer  Rat,  der  von  Maximilian  wiederholt  um  sein  Gut- 
achten befragt  ward,  zu  nennen.  Wir  haben  eine  eigenhändige  IMit- 
teilung  von  ihm,  deren  Darstellung  ziemlich  übereinstimmt  mit 
unseren  Akten.  Er  verließ  schon  1569  den  Hof  und  erlebte  also 
nicht  den  Abschluß  der  Agende  (siehe  Buchholz,  a.  a.  O.  XIII, 
S.  343). 

4)  Die  Konzession  ist  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für 
Österreich.  Geschichtsforschung,  XX,  S.  335  ff.  von  Bibl  abgedruckt. 
Verfasser  war  Dr.  Joh.  Ulrich  Zasius. 

5)  Schw.  in  Niederösterreich  im  Viertel  ob  dem  Mannharts- 
berg,  woselbst  sich  Reuter  damals  aufhielt. 

6)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  13. 


^     —    279     — 

Schaft,  beiseitts  in  die  Camer  berueffen,  vnd  lautterlich 
one  disputation  den  zweien  stenden  gnediglichen,  als  vil  die 
leer  betrifft,  die  A.  C.  zuegelassen,  doch  mit  dieser 
Condition,  wouer  (wofern)  man  sich  einer  Agende  In  den 
Ceremonien  kan  vergleichen.  Vnd  ir  M.  haben  die  ersten 
kirchen,  die  der  A.  Confession  vnterschriben,  wie  mans 
dazumal  in  den  Kirchen  gehalten,  die  Agenda  darnach  an- 
zurichten den  Ständen  für  geschlagen  vnd  die  Waal  gelassen^;. 
Dazu  wollen  ir.  M.  etliche  personen  verordnen ;  das  sollen  auch 
die  zwen  stende  thun.  In  derDeliberation^j  haben  die 
Stende  ir.  M.  3  Kirchen-Ordnungen  In  vnterthenigkeit  ver- 
meldt, die  pfalzisch,  wirttenbergerisch  vnd  ITtraßburgerisch. 
Ist  durchaus  abgeschlagen,  mit  anzeig  ir  M.  wollen  ein 
eigene  haben." 

Was  die  Erwählung  der  Personen  anlangt,  so  hatte 
der  Kaiser  (nach  Reuter)  ernannt  „den  Bischof  von  der 
Neustatt"  (Wiener-Neustadt),  ferner  den  Landschreiber 
Lorenz  Saurer,  Sigmund  von  Ödt,  und  von  Protestanten 
Joachim  Camerarius  von  Leipzig  und  Christoph  von  Carlo- 
witz  3).  Zum  Direktor  wurde  der  Doktor  Weber  (Geheimer 
Rat  am  Hofe)  ernannt.  Auf  der  Landschaft  Seiten  hätte  man, 
wie  Reuter  schreibt,  „gegen  Etlicher  Fürnehmen",  was  die 
theologischen  Personen  betrifft,  Dr.  Eber  zu  Wittenberg  3) 
und  Reuter  selbst  benannt.  Man  war  auf  selten  der  Land- 
schaft für  ein  möglichst  weites  Entgegenkommen  dem  Kaiser 


1)  In  Gallus'  Schrift  findet  sich  am  Eand  die  ironische  Be- 
merkimg: „wer  ein  unitas",  d.  h.  eine  durch  den  Zurückgang  auf 
die  alten  Ceremonien  hergestellte  Einheit. 

2)  In  der  Verhandlung  zwischen  Kaiser  und  Ständen. 

3)  Letzteren  rühmt  wegen  seiner  edlen  Geburt,  vorzüglichen 
Bildung  und  als  erfahrenen  Staatsmann  J.  Camerarius  in  der  Vita 
Ph.  Melanchthonis  (ed.  Strobel,  p.  310);  ferner  auch  als  Haupt- 
beschützer Melanchthons  und  natürhch  als  Eatgeber  von  Herzog 
Moritz  (1552). 

4)  Damals  Generalsuperintendent  des  Kmiürstentums  Sachsen 
imd  Pfarrer  zu  Wittenberg,  Freund  und  Genosse  Melanchthou's. 


—     280    — 

gegenüber.  „Die  zwen  stende  aber  (d.  h.  die  Evangelischen 
darunter)  haben  Mich  armen  Esel  Reitter  erwellet  (erwählt), 
aber  den  Eberum  abgeschlagen;  dafür  Jacoben  Andre(ä) 
o-esetzt.  Der  ist  von  stundt  an  von  ir  M.  verworffen, 
aber  mein  person  gar  gnediglichen  gefallen  lassen,  vnd  In 
öffentlichen  schrifften  i)  Eberum  vnd  Ambrosium  rot,  der 
bej  dem  gefangenen  Fürsten  2)  ein  zeitt  lang  In  der  Neustat 
gewest,  fürgeschlagen.  Das  hat  auch  ein  lanttschaft  der 
zwey  stende  geweigert,  vnd  vrsach  angezeigt  vnd  Wigandum 
erwellet."  Die  Stände  behaupteten  nämlich,  Eber  sei  mit 
dem  calvinischen  Irrtum  befleckt,  und  Rot  habe  in  Sachsen 
allerlei  „Unrat"   angerichtet  3). 

Darauf  ließ  der  Kaiser,  wie  Reuter  andeutet,  den  zwei 
Ständen  mitteilen,  daß  Dr.  Eber  kein  Anhänger  der  Lehre 
Calvins  sei,  vielmehr  selbst  gegen  die  calvinische  Sekte 
geschrieben  habe;  ebenso  sei  von  irgend  einer  Unheilstiftnng 
des  Mag.  Rot  nichts  bekannt. 

Weiter  meldet  Reuter:  „Und  ist  jetzt  auf  Rostock  zu 
David  Chytraeo  ein  Legatus  abgefertigt,  und  die  Tractation 
auf  den  zwölften  Tag  Novembris  angestelt.  Der  Herr  durch 
Jesum  Sende  dazu  seinen  heiligen  Geist,  Amen." 

„Politici  auf  der  Landschaft  Seiten  sind  Landmarschall 
von  Rogendorf,  ein  trefflicher  Mann,  Herr  Riediger  von 
Starhemberg,  Herr  Leopold  Grabner  und  Herr  Wolff 
Christoff  von  Enzesdorff.  Die  Kayserischen  halten  sich 
zusammen,  das  müssen  wir  auch  thun.  Und  begert  (ist 
begehrt  worden)  von  den  zwey  Landstenden  ein  verfertigt 
Instruction  ^),  darin  folgende  Artikel  begriffen : 


1)  Ksds.  Dekret  vom  28.  Aug.  1568. 

2)  Herzog  Johann  Friedrich  der  Mittlere  von  Sachsen. 

'S)  Ebers  Behauptung  vom  Nichtgenuß  des  Leibes  Christi 
seitens  der  Ungläubigen  nennt  der  Prediger  J.  Leutner  (Schwertperg 
in  Oberösterreich,  Brief  an  Gallus  vom  2.  Mai  1565)  ein  Delirium. 
Eber  retraktierte  zwar  (siehe  den  Artikel  Eber  von  Kawerau  in  der 
Prot.  Realencyk.),  aber  machte  sich  dadurch  nur  beiden  Parteien 
verdächtig.    Vgl.  Wolters,  Ref.-Geschichte  der  Stadt  Wesel,  S.  246. 

4)  Diese  Instruktion  war  anfänglich  für  die  sechs  evangelischen 
Deputierten  als  Richtschnur  von  dem  Plenum  der  Landschaft  an- 


-     281     — 

1)  Freiheit  zu  reden  und  zu  widersprechen. 

2)  Die  Augsburg.  Confession  ungeteut  (ungedeutet)  zu 
lassen  1). 

3)  Nicht  alles  für  mittelding  annemen. 

4)  Wer    Mitteldinge    anneme   doch  mit  christlicher 
Freyheit  2). 

5)  Zucht    und    Fleis    bey    den   Ministris    der   Kirchen 
befürdern. 

6)  Anzuhalten    vmb  ein  Christliches  nach  laut  des  re- 
ligion  frids  Consistoriu.m, 

7)  Die  gefallenen  vnnöttigen  ^)  Ceremonien  nicht  wider- 
umb  aufrichten. 

8)  Daß  in  dieser  tractation  nicht  die  meiste  stim  wie  in 
der  politici  fürziehe  ^). 

9)  Schließlich    Sol    es    In    den    Ceremonien    bej    dem 
1.  (?)  vnd  15.  artikhel  der  A.  C.  verbleiben. 

10)  Eine    kürchen    zu  Wien    für   die    zwey  stende  die 
In  dereinsten  verhofft  5)  oder  zum  wenigsten  das  Landthauss. 

11)  Einen    Superintendenten     verpflicht    allein    den    2 
Stendten. 

12)  Den  Religionsfridt  auch  auf  die  Nachkomen  bringen. 

13)  Alles  auf  hinderbringen  —  der  2  Ständt  oder  der- 
selben verordtneten   ausschieß  ^). 


geordnet  worden.  Die  Mehrzahl  im  Plenum  war  zu  großen  Zu- 
geständnissen an  den  Kaiser  bereit  (zu  Meßgewand  und  Lichtern, 
wie  Eeuter  am  16.  November  an  GaUus  berichtet),  ja  man  ging  um 
diese  Zeit  damit  um,  aus  jedem  Stande  zwölf  zu  erwählen,  damit 
die  Instruktion  möglichst  liberal  gehandhabt  werde. 

1)  Bei  2  findet  sich  die  Anmerkung  von  GaUus  „Luther 
in t er p res",  imd  bei  3:  „was  von  Gott  nicht  geboten  oder  ver- 
boten, expresse." 

2)  GaUus  macht  ein  NB.  zu  Mitteldinge. 

3)  GaUus  hat  darübergeschrieben  „vnd  ergerlichen". 

4)  Der  Sinn  ist  wohl,  daß  nicht  wie  in  politischen  Dingen 
abzustimmen  sei,  wodurch  die  Evangelischen  majorisiert  worden 
wären. 

5)  d.  i.  auf  die  ihnen  Hoffnung  gemacht  wurde. 

6)  Der  von  den  beiden  Ständen  der  Herren  imd  Ritterschaft 
deputierte  Ausschuß  (Deputati  religionis,  Deputatio  religionis). 


-     282     — 

In  Aufrichtung  diser  Instruction,  das  schreibe  ich 
auch  im  großen  Vertrauen,  hat  uns  alter  und  junger  Jörger 
großen  widerstandt  thon  (gethan)  i) ;  doch  gottlob,  wider  Ir 
Herz  und  willen  (ist  es)  aufgericht  und  verfertiget.  Eins 
macht  uns  sorgliche  gedanckhen.  ir  M.  haben  Im  noch  ein 
unbenannte  person  fürbehalten,  etliche  meinen  es  sey  der 
Eisengrein  2). 

Eisengrein,  unter  der  Ägide  des  bayrischen  Kanzlers 
Eck,  war  um  diese  Zeit  das  Mundstück  der  streng  katho- 
lischen Partei.  Er  strengte  sich  an,  die  erteilte  Kon- 
zession, ohne  Rücksicht  auf  die  Staatsnotwendigkeit  der- 
selben, als  Quelle  des  Unterganges  der  christlichen  Kirche  zu 
verdächtigen  und  den  Kaiser  zu  bestürmen,  diesen  Schritt 
rückgängig  zu  machen.  Als  er  unter  anderem  dem  Kaiser 
äußerte^  Gott  möge  den  Griiedern  jener  Kommission  den  Geist 
der  Zwietracht  schicken,  erwiderte  JMaximilian  treffend:  „Ich 
aber  vvolt,  daß  sie  sich  verglichen."  Zasius  hatte  genug  zu 
thun,  nach  beiden  Seiten  hin  zu  beschwichtigen,  was  ihm 
auch  vortrefflich  gelangt).  Man  führte  die  Römischen  an 
der  Nase  herum. 

Im  Zusammenhang  mit  diesen  Zugeständnissen  einer 
Religionskonzession  und  Agende  versprach  der  Kaiser  den 
zwei  Ständen,  unter  dem  7.  September,  „sie  und  ihre  Kirchen- 
diener   bis    zur    Erlassung    der    Kirchenagenda    bei    ihren 


1)  Die  Freiherren  von  Jörger  nahmen  nach  Reuters  Brief  vom 
21.  Oktober  einen  laxen  Standpunkt  ein  und  waren  gegen  jegüche 
Schroffheit. 

2)  Sehr  berühmter  Prediger  zu  jeuer  Zeit  und  Propst  in  Ingol- 
stadt, der,  geboren  in  Stuttgart,  erst  1554  vom  Protestantismus  zum 
KathoUzismus  übergetreten  war.  Herzog  Albrecht  von  Bayern  be- 
nutzte ihn  zur  Auskuudschaftung  der  kirchUchen  Dinge  in  Wien' 
von  wo  er  giftige  Briefe  an  den  Herzog  und  den  Kanzler  san  dte 
(vgl,  Hopfen,  Kaiser  MaximiUan  IL,  S.  268—320).  Ueber  Eiseu- 
greins  Charakter  giebt  ein  Brief  bei  Hopfen  Aufschluß,  woraus  sich 
ergiebt,  daß  derselbe  aus  Furcht  Ueber  daheim  in  Ingolstadt  verbliebe; 
vgl.  ferner  Aretin,  Gesch.  Maximilians  I.,  Bd.  1. 

3)  Hopfen,  a.  a.  O.  S.  270. 


—    283    — 

religiösen  Gebräuchen  nach  der  Augsb.  Conf.  von  1530 
verbleiben  zu  lassen  und  sie  gegen  alle  Obrigkeiten 
geistlichen  und  weltlichen  Standes  zu  schützen". 

Reuter  schreibt  über  seine  Wahl  noch  folgendes 
Nähere:  „Wie  ich  aber  gehen  Hoff  kome,  weis  unser  lieber 
Herr  Gott.  Ettliche  tage  vor  dem  landtage  war  ich  be- 
ruffen  zu  Herrn  D.  Zasio  i),  wir  waren  in  angst,  vnd  da  ich 
durch  meinen  Herrn  presentiert,  wurde  ich  auf  den  andern 
Tage  beschieden,  doch  freundtlich  empfangen,  am  andern 
tage  noch  freundlicher  •  mit  vermeldung,  ich  wäre  Im  vnd 
der  R.  K.  M.  comendirt,  —  ob  ich  zuvor  gleich  der  aller 
Sectisch  war  beschrieen  — -,  fieng  an,  von  den  landtags- 
handlung  wie  eben  gehöret,  zu  reden  vnd  schwur  heftig  ir 
M.  suchet  keine  abgotterey  noch  falsch,  die  lere  sey 
richtig,  doch  das  die  Agenda  mit  Ceremonien  werde 
aufgericht  nach  der  weis  der  ersten  Kürchen  der  A.  C, 
Vnd  da  ich  zum  dritten  mal  erschiene,  war  auch  gegen- 
werttig  Herr  von  Entzesdorff  2),  wurde  lautter  (nur)  begert, 
Man  solle  den  Thonau  vnd  Rheinstrom  ^)  in  erwällung 
der  Theologen  zu  der  tractation  fahren  lassen. 

Ganz  Intimes  über  seine  Wahl  enthält  schließlich 
folgende  Anmerkung  Reuters  in  demselben  Briefe:  „Meine 
gedankhen  darumben,  daß  ich  mit  den  fürnembsten  Landt- 
leutten  bekandt  und  Beichtvatter  bin  seind  etwan  In 
solchen  zu  vber  massen,  da  behuett  Gotte."  Worte  des 
bescheidenen  Mannes,  die  der  Meinung  Ausdruck  geben, 
daß  er  wohl  als  die  bei  den  Landleuten  bekannteste 
und     beliebteste     Person    dem    Kaiser    genehm     sei.       „0 


1)  Über  Dr.  Zasius  Gesinnung  war  man  1568  in  Rom  sich  klarer 
als  in  Wien;  der  Papst  hielt  ihn  für  sektisch,  gerade  so  wie  den 
Kanzler  in  Frankreich,  Michael  de  l'Hospital,  auf  dessen  Rat  die 
Königin  mildere  Maßregeln  gegen  die  Hugenotten  1560 — 63  ergriffen 
hatte.  Derselbe  ward  1568  ebendeshalb  zum  Rücktritt  gezwungen. 
Vgl.  Hopfen,  a.  a.  O.  S.  284,  Note. 

2)  Religionsdeputierter. 

3)  Süddeutschland,  d.  i.  Andrea  und  Gallus.  Die  oben  ge- 
sperrt gedruckten  Worte  sind  von  Gallus'  Hand  unterstrichen. 


—     284     - 

wie  herzlich  gern",  fahrt  er  fort,  „hetten  wir  E.  E.  (Euer 
Ehrwürden)  oder  einen  anderen  der  Vnsern  gewellet.  Vnsere 
brueder  Im  lande  machen  aber  vbel  stinckhet  vnsere  prae- 
ceptores,  Illyricum  (Flacius)  vnd  andere."  Ganz  entschieden 
aber  hatte  sich  Maximilian,  wie  Reuter  April  1568  an  trallus 
schreibt,  gegen  alle  „flacianische  und  Illyrische  Geister" 
erklärt  und  selbige  alle  zu  entlassen  geboten,  was  bei  et- 
lichen Herren  Eindruck  machte.  Auch  die  von  Regensburg 
Ordinierten  kamen  in  Verruf. 

Eür  die  Agende  standen  also  die  anfänglichen  Chancen 
sehr  schlimm.  Die  Stände  waren  schlaff;  der  Hof  wollte 
ihnen  unter  Ereigebung  der  Lehre  und  unter  Berufung  auf 
die  früheste  protestantische  Kirchenordnung,  u.  a.  auf  die 
von  Mansfeld  i)  ganz  päpstliche  Bräuche  aufdringen  (be- 
sonders Meßgewand  und  Lichter).  Und  dazu  sollten  der 
sächsische  Staatsmann  Carlowitz  und  Joachim  Camerarius 
dienen,  die  einen  großen  Ruf  auch  beim  Kaiser  hatten. 

Es  waren  aber  beide  Männer  den  evangelischen  Land- 
ständen übel  berüchtigt.  Gallus  nennt  Camerarius  in  einem 
gleich  zu  erwähnenden  Briefe  „der  Adiaphoristen  einigen 
Patron,  der  in  der  Vita  Philippi  alle  ihre  Adiaphoristerei 
verteidigt,  aufs  Beste  schmückt  und  lobt,  wie  er  jetzt  auch 
thun  wird."  Während  aber  die  Evangelischen  sich  über 
Camerarius  ängstigten,  lachte  Eisengrein  ihn  aus  als  einen 
guten  alten  Gecken,  der  zuletzt  sich  bei  einer  theologischen 
Unterredung  damit  entschuldigt  habe,  er  wäre  kein  Theo- 
logus  etc.  2).  Seine  neutrale  Haltung  war  der  Grund,  wes- 
halb Maximilian  ihn  berufen  hatte  s),  die  evangelischen 
Stände  aber  ihn  mißtrauisch  betrachteten*). 


1)  Wo  man  schwarze  Kreuze  den  Leichen  vorantrug  und  Erde 
ins  Grab  warf  (Klage  Reuters  au  Gallus  vom  16.  Nov.  1568;  R.  A. 
Eccles.,  No.  XXXVI,  Z.  71). 

2)  s.  Hopfen,  a.  a.  O.  S.  304  an  den  Herzog  v.  Bayern. 

3)  Vgl.  auch  Hopfen,  K.  Max.  II,  S.  292  (No.  90). 

4)  Chytraeus'  Briefe,  S.  1095  ff. 


—    285     - 

Noch  übler  stand  es  mit  Christoph  von  Carlowitz. 
Er  war  es,  an  den  Melanchthon  jenen  schlimmen  Brief 
1548  geschrieben,  in  welchem  er  sich  über  Luther  beklagte 
und  über  das  Interim  sich  aufs  äußerste  nachgiebig 
aussprach ,  sowie  über  die  alten  kirchlichen  Gebräuche, 
die  auf  ihn  in  seiner  Jugend  so  tiefen  Eindruck  ge- 
macht hätten.  Auch  Gallus  bringt  das  Interim  mit  diesem 
Briefe  in  Zusammenhang,  indem  Carlowitz  mit  demselben 
„bei  khaiser,  Khönigen,.  fürsten,  Herren  geprangt  vnd  hofiert, 
darauff  die  beide  Interim  ergangen,  das  Augspurgische  vnd 
Leiptzische".  Auf  dem  Konceptbogen  in  .inem  Schreiben 
Galli  vom  13.  Okt.  1568  an  Reuter  heißt  es^):  „Wenn  man 
Carlowitz  und  Camerarii  Herz  aufschneiden  sollte,  steckt 
ein  Calvinus  drinnen."  Diese  Bezeichnung  der  beiden  als 
calvinisch  Gesinnter  seitens  des  Gallus  ist  interessant.  Beide 
waren  Vertreter  jener  einflußreichen  Partei,  die,  auf  Melanch- 
thon sich  stützend,  über  die  Köpfe  der  durch  Flacius  ver- 
tretenen strengen  Lutheraner  hinweg,  den  Reformierten,  und 
auch  wohl  Calvin,  die  Hand  reichten.  Es  hat  den  Refor- 
mierten nicht  zum  Vorteil  gereicht,  daß  die  liberale  Partei 
der  Lutheraner  sie  als  Reserve  gleichsam  gebrauchte,  um 
gegen  den  schroffen  Lutheranismus  ihre  Partei  zu  ver- 
stärken. Sie  verpflichteten  sich  zwar  za  nichts,  blieben  aber 
auch  den  lehrreichen  Kämpfen  der  Lutheraner  unter- 
einander fern  und  versäumten  also  die  Zeit,  aus  diesen 
Kämpfen  zu  lernen.  Calvin  gab  Melanchthon  durch  seine 
Übersetzung  noch  der  letzten  Ausgabe  der  loci  zuviel  nach. 
Beza  aber  mußte  sich  von  Bullinger  sagen  lassen,  er  wandle 
in  seiner  Abendmahlslehre  auf  den  Wegen  Oslanders  ^). 
Calvin  wie  Beza  waren  zu  arglos  und  auch  zu  weit  entfernt 
vom  Schauplatz  der  Kämpfe.  Dank  ernteten  die  Refor- 
mierten nicht  für  ihre  neutrale  Haltung  im  häuslichen 
Zwiste    der  Lutherischen.     Als    später  Flacianer  und  Anti- 


1)  E.  A.  Eccies.,  No.  XXXVI,  8.  14. 

2)  Siehe  darüber  meine  Schrift,    Von  der  Rechtfertigung  durch 
den  Glauben,  S.  279. 


—     286    — 

flacianer  in  die  Lutheraner  der  Formula  Concordiae  auf- 
gingen —  da  mußten  sie  allein  die  Verantwortlichkeit 
für  die  schweren  Lehrsätze  de  praedestinatione  et  gratia 
(von  der  Gnadenwahl)  übernehmen  und  wurden  seit  der 
Dortrechter  Synode  (1618 — 19)  weidlich  dafür  gescholten. 
Ihnen  war  es  genug,  wenn  sie  nur  Ruhe  hatten  im  Punkte 
des  Sakramentes,  und  dazu  half  eben  Melanchthon. 

Natürlich  ist  es,  daß  Reuter  ganz  besonders  gegen 
jene  beiden  Männer  eingenommen  war.  Er  schreibt  an 
Gallus  im  obigen  Briefe  vom  2.  Oktober  1568:  „Unsere 
Hertzen  stehen  nicht  richtig  gegen  den  Camerario  und 
Carlowitzer."  Diese  bestanden  eben  auf  Nachgiebigkeit  in  den 
Ceremonien,  wenn  nur  die  Lehre  ihnen  zugelassen  werde. 
,,Camerarius  wil  nur  eilen  mit  der  tractation,  sagt  imer, 
der  alte  greis  Nausea(?)  vnd  adversarii  sunt  potentissimi ; 
periculum  in  mora.     Wendet  vil  wortt  für." 

Carlowitz  war  der  Meinung,  die  zu  verfassende  Kirchen- 
ordnung an  irgend  ein  Muster  anzuschließen,  und  schlug 
die  1545  von  Fürst  Georg  von  Anhalt  verfaßte  vor.  Kur- 
fürst August  von  Sachsen  aber  trug  Bedenken,  diese  Kirchen- 
ordnung nach  Wien  zu  senden ;  er  war  eben  über  die  Ver- 
leumdung seiner  Theologen  durch  die  österreichischen 
Herren  erzürnt.  Zwar  schrieb  er  an  Carlowitz,  es  werde 
aus  dem  Gelingen  des  Werkes  unzweifelhaft  der  ganzen 
Christenheit  unaussprechlicher  Nutzen  erfolgen;  daß  aber 
die  flacianischen  Schwärmer  zur  Verleumdung  seiner  Uni- 
versitäten, Kirchen  und  Schulen  bei  dem  österreichischen 
Adel  so  tief  eingewurzelt  i),  daß  sie  von  ihnen  sonderlich 
gerühmt  und  anderen  vornehmen  christlichen  Lehrern  vor- 
gezogen würden,  solches  sei  ihm  beschwerlich  zu  erfahren 
und  werde  dem  Werke  nicht  geringe  Behinderung  bringen; 
es  habe  schon  bisher  den  Lauf  des  Evangeliums  nicht 
wenig  gestopft  und  zu  großem  Ärgernis  Anlaß  gegeben. 


1)  Das   ist  wahr;    unsere    Gewährsmänner  klagen    über  Adia- 
phoristen,  Synergisten   etc.;'  dadurch  fühlte  August   sich  getroften. 


—    287     — 

Trotz  solcher  heuchlerischen  Worte  bleiben  wir  dabei, 
datf  niemand  der  ruhigen  Entwickelung  der  evangelischen 
Sache  auch  in  Osterreich  so  viel  geschadet  hat,  wie  Kur- 
fürst August,  der  es  bekanntlich  fertig  brachte,  jene  auf 
Melanchthon  sich  stützende  und  mit  den  Schweizern 
Fühlung  suchende  Partei  erst  groß  zu  ziehen  und  sodann 
grausam  zu  vernichten.  Solches  schwankende  Verhalten 
konnte  nur  dazu  dienen,  Maximilian  den  streng  Lutherischen 
im  Reiche  abwendig  zu  machen.  Wie  zur  Rache  für  solches 
Verhalten  erzählte  die  spätere  Fama  von  Versuchen  Herzog 
Wilhelms  von  Bayern  und  des  Papstes,  den  Kurfürsten 
August  katholisch  zu  machen  i).  Bei  seinem  Tode  beklagten 
ihn,  wie  schon  erwähnt,  vornehmlich  die  Päpstlichen. 

Die  Interimisten  und  Adiaphoristen  oder  doch  ihre 
geistigen  Nachkommen  waren  vorderhand  noch  die  Mehr- 
zahl auch  in  Österreich.  Gegen  diese  Strömung  miißten 
Reuter  und  die  Deputierten  die  Hilfe  des  Gallus  anrufen 
und  haben  sie  auch  reichlich  erhalten.  Dazu  ließ  ihnen  die 
Verzögerung  der  Beratungen  im  Schöße  der  zwölf  für  die 
Agende  Deputierten  gute  Zeit.  Als  nichts  geschah,  lang- 
weilte sich  Camerarius,  und  Carlowitz  begab  sich  auf  sein 
Gut  Rothenhaus  in  Böhmen  ^).  Dieser  ganze  erste  Versuch, 
zu  einer  gesetzlichen  Ordnung  der  evangelischen  Angelegen- 
heiten zu  kommen,  verlief  im  Sande.  Man  mußte  Chytraeus' 
Ankunft  abwarten,  den  der  Kaiser  selbst  aus  Mecklenburg 
berufen  hatte  ^). 

Gallus  beantwortete  am  13.  Oktober  4)  Reuters  Brief  vom 
2.    Oktober.     Seine    Aussichten    in    die    Zukunft    sind    die 


1)  S.  Aretin,  Maximilian  I.  v.  Bayern  I,  209. 

2)  Wiedemann  I.,  S.  369. 

3)  Vgl.  Chytraei  Epp.  p.  661.  Reuter  bemerkt  in  einem 
Schreiben  an  Gallus,  daß  der  Berufsbrief  Maximilians  an  den  Herzog 
von  Mecklenburg  energischer  zu  Gunsten  der  Evangelischen  gelautet, 
als  irgend  eine  andere  Äusserung  dieser  Art  (R.  A.  Eccles.  No. 
XXXVI,  St.  150,  vgl.  dazu  Raupach,  Presbyt.  2,  Nachlese,  S.  105). 

4)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  S.  14. 


—    288     — 

schwärzesten.      Er     sieht    in    der    neuen    Religionshandlung 
nichts  anderes  als  das  alte  Interim  oder  Adiaphorismus,  — 
mit  „neuen  etlichen  Färblein  angestrichen"  ;  selbiges  wollten 
sie  jetzt  durch  Reuter  und  die  zwei  Stände  ins  Werk  setzen. 
Man    wolle    die   Augsburgische   Konfession    („nemlich   bäb- 
stischer  Meinung")  aufrichten,  wie  sich  aus  einem  Schreiben 
des  münchischen  Kanzlers  an  Eisengrein  ergebe;  2.  stimme 
damit  die  Verordnung  der  Person  so  von  Kaiserl.  Majestät 
dazu  deputiert  worden.      „Papisten,  Juristen,  Adiaphoristen 
et    quidem   principes  Adiaphoristarum,    reliqui  papae  iurati, 
vnnd     das     man     auff     dem     Andern     teil     kheinen     von 
Theologen    leiden    wil,    er    sei   dann    vor  den  Adiaphoristen 
teils    oder    das  man  sich  nicht  sonders  widerstandts  bei  im 
zuuersehen.     qualis    vero    causa,    talis  effectus,  vnnd  wierdt 
man    itzt    schwerlich    in    dieser    weinerndten    trauben    von 
diesteln  in  Österreich    lesen."     3.  stimmt  damit,  daß  sie  es 
jetzt    eben    mit   den  Adiaphoris    wieder  anfangen,    so  ihnen 
doch  nicht  Adiaphora  noch  von  ihnen,    sondern  vom  Papst 
sind  und  für  necessaria  gehalten  werden.    Dazu  kommt  die 
Kondition,  die  Lehre  der  augsb.  Konfession  zu  geben,  sofern 
man    sich  der  Agenda  vergleicht.     Durch  diese  Hinterthür, 
meint  Gallus,  könne  zuletzt  das  völlige  Papsttum  eingemengt 
werden.      Man    wird   ihnen,    wie    er    deutlicher    auf  seinem 
Konceptbogen  zu  diesem  Briefe  sagt,   „die  7  Sakrament  ein- 
bringen,   wie   vor    (vordem),     obgleich    nit    den    Titel     der 
Sakrament;  die  fasten  als  politische  Ordnung,  des  gleichen 
die   Bäpstische  Büß,   Beichtbeten,    Almosengeben    als   satis- 
faction,    obgleich    nicht    mit    dem    Namen.     Item    die    Syn- 
ergiam,  necessitatem  operum  ad  salutem,  gantzen  Adiaphoris- 
mum,  Calvinismum,  Item  primatum  papae  et  lurisdictionem 
Episcoporum    propter    ordinem    (was    wirklich   Maximilians 
Absicht    war  nach  seinen  Resolutionen  vom  Juli  1565  und 
17.  Dez.    1566),    ob    nicht    aperte,    doch    verdeckt,    und  das 
man  gewislich  nicht  wird  dawider  reden  dürfifen,  wie  Pala- 
tinusi)  et  August  itzt  auch  thun    vnd    drüber  persequirn." 


1)  Friedrich  III.  von  der  Pfalz  in  Amberg. 


-     289     — 

„Villeicht",  so  fährt  er  im  Briefe  fort,  „khumpt  wol  die 
gantze  Meissniscbe  große  Agenda,  zu  Hertzog  Moritz  Zeiten 
geschmidt,  da  Camerarius  eben  beigewesen  vnd  das  feine 
dabei  getban,  doch  Gott  durch  widersprechen  etlicher  seiner 
armen  diener  der  Zeit  sie  geschreckht,  das  sie  damit  müsen 
dahinten  bleiben." 

4)  beklagt  Gallus  und  sieht  es  als  ein  nicht  geringes 
Anzeichen  des  Betruges,  den  man  mit  der  Augsburgischen 
Konfession  vorhat,  an,  daß  sie  allein  den  Herren  und  der 
Ritterschaft  zugelassen  werden  sollte,  „als  gehörten  die 
Pawren  (Bauern)  oder  Bürger  nicht  auch  ia  Himel.  Des- 
gleichen ist,  daß  man  sich  khain  ander  Ordnung  wil  gefallen 
lassen"  i). 

„5)  So  bekhent  Camerarius  vnd  Carlwitz  selb,  was 
die  Khay.  Majt.  zuuil  wider  den  Bapst  mit  der  Lehre  ge- 
than,  müsse  sie  in  Ceremonien  wider  zurecht  bringen,  Ist 
dann  das  nicht  auch  genug  bekhanndt,  wie  es  mit  den 
Adiaphoris  hie  gemeint,  vnd  wem  damit  solle  gedient 
werden,  nicht  schlecht  dem  Khayser,  sonder  dem  aller- 
hellischen  Vatter,  dem  Bapst.  Nicht  weniger  zeigt  einen 
gewissen  Betrug  die  zweierlei  Agenda,  große  und  khleinere, 
starckhe  und  geringere,  die  geringere  für  Herren  und  Ritter- 
schafft, das  sie  nur  ehe  willigen  (sich  überhaupt  dazu 
verstehen).  (Es)  khumb  ihnen  die  starckhe  noch  wol,  ja, 
der  gantze  Bapst  vnd  hellisch  Feuer  dazu,  wie  sie  es  zum 
Theil  meinen  vnd  mit  dem  Handel  umgehen." 

Gallus  warnt  entschieden  vor  Annahme  oder  „Schmie- 
dung" der  neuen  Agende,  da  Reuter  Gott  zuvörderst 
davon  Rechenschaft  geben  müsse  „vnd  auff  euch  laden  alles 
was  Schadens  geistlich  und  leiblich  darauß  volgen  möchte, 
wovor  vns  alle  der  Ifebe  Gott  behüte".  —  Im  weiteren, 
ermahnt  er  Reuter,  sein  Gewissen  zu  retten ;  übrigens  habe 
er  ja  die  Instruktion  göttlichen  Wortes. 


1)  d.  h.  fremde  Agenden  verweigert.    Vgl.  Otto,  a.  a.  O.  S.  24. 

19 


—    290    — 

„Wer  weiß,  was  der  liebe  Gott  noch  für  hat,  daß  sein 
Beruf  und  wortt  bei  euch  nicht  ohne  Frucht  abgehe." 
Wenn  es  nun  dazu  käme,  daß  man  eine  solche  Ordnung 
(Agende)  selbst  bedenken  solle,  „wäre  abermals  mein  Be- 
denken, das  man  die  Ceremonien  auffs  engste  einzöge,  nach 
dem  Exempel  der  Ersten  apostolischen  Khirchen ;  Hesse 
gleich  etwas  der  ihren  Ceremonien,  in  vnseren  Khirchen 
der  Augsb.  Confession  nicht  gar  uubreuchlich ,  mit 
vnderlauffeu  ^),  so  khöntten  sie  souil  weniger  daran  straffen. 
Als  zum  Exempel:  Bey  der  Predigt  sünge  man  vor  vnd 
nach  etwa  ein  Psalmen,  hielte  vorbitte  vnd  nachbitte.  Bei 
der  Tauff  ein  guet  Gebet  neben  dem  Vatter  vnser,  Be- 
khentnis  des  glaubens  vnd  gleich  den  Exorcismum,  wie  er 
bei  Vielen  der  vnsern  gebreuchlich.  Item  die  Beicht  2) 
vnd  exploration,  sampt  der  Privat-Absolution. 

Bei  der  Communion  zu  den  wortten  der  einsatzung 
orationem  dominicam  cum  gratiarum  actione,  vnd  convenientes 
cantilenas  3),  alß  „Jesus  Christus"  oder  „Gott  sey  gelobt", 
Alles  in  bekhanter  sprach  vnd  gleich  *)  mit  dem  Chorrock  ^), 
so  auch  viel  bei  den  vnsern  geblieben." 

Inzwischen  rät  Gallus  nicht  zu  absolutem  Widerstand, 
wenn  der  Kaiser  auf  die  Form  der  ersten  Kirchen  dringen 
sollte ;  aber  da  werde  sich's,  wie  zu  besorgen,  allermeist 
stoßen.  Die  K.  Maj.  werde  einen  völligen  Adiaphorismus, 
wo  nicht  in  forma,  doch  in  materia  et  fine,  haben  wollen, 
was  dem  Papst  gefalle  und  ihm  diene :  „Dann  könnt  Ihr 
und  die  Stände  es  im  wenigsten  nicht  thun,  und  ist  besser 
dergestalt  khein  öffentliche  Khirche  oder  Religion  der 
Augsb.    Conf.    dann    dieselben     verfelscht    haben."      Dann 


1)  d.  h.  sei  es  auch  immer,  daß  man  dabei  —  conzessions weise 

etwas  von  ihren  Ceremonien  mit  unterlaufen  ließe. 

2)  d.  i.  öffentliche  Beichte 

3)  Im  Konzept  steht  „psalmis  convenientibus". 

4)  d.  b.  wenn  auch  immer. 

5)  Im  Konzept:  „zur  Unterscheidung  der  Minister. 


—    291     — 

möge  es  nur  lieber  bleiben ,  wie  es  bisher  i;  auch 
schon  gewesen  und  wie  es  die  Bürger  auch  noch  werden 
thun  müssen :  wobei  sie  ihre  reinen  guten  Gewissen  hätten 
haben  können,  wenn  sie  gewollt,  „wie  man  itzt  auch  noch 
khan,  obs  gleich  dem  Fleisch  nach  etwas  schwerer  zugehet". 
Das  Gleiche  wiederholt  im  wesentlichen  ein  Brief  des 
Gallus  vom  5.  Nov.  1568  an  Reuter,  den  wir  im  Anhang 
geben  werden. 

Interessant  ist  eine  Notiz  Reuters  an  Gallus  vom 
26.  Oktober  2)  wonach  „Yr  Maj.  zum  G.^)  gesagt  habe: 
Nur  was  recht  vnd  der  geschrifft  gemäß  für^unemen.  Item 
zum  gebett  vermanet."  Wir  sehen  also,  wie  der  Kaiser 
sehr  gut  gestimmt  war. 

Unterdessen  waren  der  Papst  und  sein  Anhang  nicht 
unthätig.  Durch  den  Herzog  von  Bayern  war  Pius  V.  von 
den  Vorgängen  in  Österreich  in  Kenntnis  gesetzt*).  Pius  V., 
der  einzige  seit  vielen  Jahrhunderten  heilig  gesprochene 
Papst  (1712),  ein  großer  Asket  und  Eiferer  für  die 
Glaubensinquisition,  erließ  ein  Breve  an  Maximilian  und 
sandte  den  gewandten  Kardinal  Commendone  in  größter 
Eile  nach  Wien,  um  die  den  Ständen  zugesagte  Bewilligung 
zu  hintertreiben.  Der  Kaiser  wollte  diese  Sendung  ablehnen ; 
nur  auf  die  kräftigsten  Vorstellungen  seines  Schwagers,  des 
bayrischen  Herzogs,  hin  ließ  er  sie  zu.  Am  24.  Oktober 
traf  Commendone  ein ;    er  wurde  auf  der  Straße  verspottet. 


1)  In  den  Zeiten  der  Verfolgung,  wo  die  Herren  keine  eigenen 
Prediger  und  Kirchen  gehabt. 

2)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  72. 

3)  Celking;  d.  i.  Carl  Ludwig  v.  Zelking. 

4)  Ein  Brief  des  Kanzlers  Simon  Eck  vom  30.  Juli  1568  an 
den  Propst  Eisengrein  zu  Ingolstadt  (R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI, 
St.  33)  enthält  bereits  den  Notschrei :  „Es  steet  vbel  In  Össterreich ; 
sy  wollen  die  Augspurgische  Confession  nit  allein  per  (manum?) 
fortem,  sondern  auch  die  Catholicos  gar  nit  mer  haben."  Derselbe 
Brief  erwähnt  die  Abordnung  Eisengreins  nach  Wien,  um  gegen  die 
Zulassung  der  A.  C.  zu  intrigieren. 

19* 


—     292     - 

wie  uns  Reuter  erzählt  ^) ,  und  konnte  an  Maximilians 
Entschlüssen  wenig  oder  nichts  ändern.  Der  Kaiser  ging  ihm 
möglichst  aus  dem  Wege  und  reiste  zuletzt  nach  Linz.  Das 
einzige  Zugeständnis,  von  dem  wir  bereis  oben  gesprochen, 
war  dieses,  der  Kaiser  wolle  rücksichtlich  der  Augsburgischen 
Konfession  nichts  Neues  bewilligen,  d.  h.  kein  Konsistorium 
errichten,  an  dessen  Spitze,  wie  geplant,  er  selbst  stehen 
sollte  2).  Dies  war  schließlich  kein  so  großes  Übel,  wenn 
doch  im  Dezember  1569  Aurifaber  aus  Mansf'eld  klagen 
mußte:  „Auch  wir  bedürften  etlicher  Superintendenten,  aber 
werden  sie  kaum  finden ;  solch  großer  Mangel  ist  an  frommen 
und  klugen  Lehrern  uud  Predigern."  Wenn  dies  von 
Thüringen  gilt,  wie  viel  mehr  dann  von  Osterreich.  Man 
mußte  noch  froh  sein,  wenn  die  Religionsdeputierten  mit 
kräftiger  Hand  einschritten  und  schließlich  der  Kaiser 
gelegentlich  den  Knoten  zerhaute.  Gott  lenkt  das  Herz  der 
Könige  wie  Wasserbäche. 

Gerade  Commendones  Drängen  scheint  den  Wider- 
spruch Maximilians  geweckt  und  bis  dahin  gesteigert  zu 
haben,  daß  er  nun  zu  Konzessionen  williger  wurde.  In 
einem  Briefe  vom  7.  Dezember  1568^)  kann  Reuter  an 
seinen  Freund  Gallus  bessere  Zeitung  berichten.  Der  An- 
schlag der  Feinde  war  abgewendet.  Er  beginnt  mit  einem 
Dank  auch  namens  seiner  Herren  für  alle  treue  brüderliche 
Liebe  und  Mühe  des  Gallus  und  mit  der  Andeutung:    „die 


1)  Am  16.  Nov.  schreibt  Eeuter  als  „neue  Zeitung"  (E.  A. 
Eccles.,  No.  XXXVI,  Z.  71) :  „Des  Cardinais  ist  man  alhie  nicht 
for,  ir  Maj.  haben  Ime  3  Curier  entgegen  geschickht,  vnd  ab- 
geschlagen die  ankunfft,  er  ist  aber  fortt  gezogen,  wirt  nicht  herrlich 
gehalten.  Da  er  zu  erst  mit  seinem  Creutz  gehen  hoff  kam,  pfiffen 
in  die  pueben  öffentlich  an,  ist  gleichwol  abgestellt. 

Ir  Maj.  ist  Ime  nur  auf  halbe  stuben  entgegen  gangen,  vor 
wenigen  tagen  hat  er  audienz  gehabt,  bin  ich  auch  In  ir  M.  Zimmer 
gewest." 

2)  Wiedemann,  I,  S.  360. 

3)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXXVl,  Öt.  3. 


-     293    — 

Herren  werdens  in  Gnaden,  wie  ich  heimblich  verstehe,  von 
einer  landtschafft  [wegen]  vergelten,  wie  es  auch  billich 
ist  ^j.  Vnd  gib  hinwider  in  vertrauen  zu  wissen.  Wir  vnsers 
teils  seind  gott  lob  entschlossen ;  seind  damit  etliche  vber 
14  Tage  damit  umbgangen,  gedenckhen  mit  gottes  gnaden, 
nach  vnserm  höchsten  vermögen  der  kirchen  nur  zu  dienen 
und  die  nicht  zu  betriben  ^).  Was  sind  aber  wir,  wenn 
die  24  personen  nicht  wellen  3)  ?  Weilen  (währenddessen] 
wir  wollen  vnsere  Seelen  erretten,  das  sol  gott  und  die 
kirchen  sehen.  Der  heilige  geist  leere  vnd  salbe,  Amen.  — 
Die  R.  kayserliche  Majestät  haben  meine  Herrn  in  vnsern 
mittel  beruelfen  vnd  den  tage  verschoben  bis  Chyträus 
kombt.  In  höchster  gehaim  einem  aus  den  vnsern  In  die 
obren  vertraut  vnd  diese  wortt  geredt:  Maius  faveo  vestris 
quam  nostris^).  Ach  daß  das  Herz  darbey  wäre.  .  .  . 
Camerarius  ist  auch  hinweckh,  doch  verhaissen,  wan  ir  Majestät 
in  beruefft,  widerumb  zu  komen.  (Er)  hatt  unter  Ime  eine 
guette  lezte  tehsen  ^),  die  wir  uns  erlicher  massen  (?)  lassen 
gefallen,  Nemlich  was  man  lang  vmb  Mesgewandt  und  liechter 
welle  zanckhen,  man  lasse  es  frey,  wer  es  wil  brauchen,  der 
brauchs,    doch  daß    kein  teil  verdambt  werde  ^).     Carlewitz 

1)  Gallus  hatte  6  Söhne  und  mußte  gelegentlich  den  Eat  um 
ein  Stipendium  für  einen  derselben  bitten  (R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI, 
St.  57).    Er  war  also  wohl  unterstützungsbedürftig. 

2)  Eeuter  meint,  daß  er  und  seine  Partei  mit  festem  Mut  in 
die  auf  den  11.  November  ausgeschriebene  Rehgionstraktation  einge- 
treten seien. 

B)  Das  zielt  auf  den  oben  berührten  Plan  der  Landschaft,  die 
Zahl  der  Deputierten  zu  verdoppeln,  um  den  streng  Evangelischen 
Schwierigkeiten  zu  bereiten,  wovon  Eeuter  an  anderen  Orten  spricht, 

4)  d.  h. :  Ich  bin  den  Eiuren  mehr  gut,  denn  den  Unsern.  Es 
steht  in  der  sehr  unleserlichen  Schrift  Reuters  maius,  was  korrekter 
magis  heißen  müßte. 

5)  d.  h.  er  hat  eine  letzte  These  hinterlassen;  das  Folgende 
ist  nur  teilweise  lesbar. 

6)  Camerarius  kam  nicht  wieder,  hinterließ  aber  den  Rat,  man 
solle  es  alles  in  die  Freiheit  der  einzelnen  Kirchen  stellen  (NB.); 
ganz   in    seiner    leichtsinnigen    Weise.      In   Adami   Vitae   German. 


—    294    - 

ist  lengst  hinweckh.  Item  Camerarius  hatt  sich  auf  hoch 
beschwertt,  daß  er  von  der  landtschafft  gar  nicht,  angesprochen 
noch  besuecht  ist  worden.  Ich  armer  Esel  Reitter  thue 
dennoch  Im  lande  was  ich  vermag,  vnd  gehet  one  frucht 
nicht  abe ;  gott  lob,  viel  ehrliche  vnd  hohe  personen  fragen 
wenig  nach  solchen  Gesellen.  —  Der  lose  tropf  Andreas 
Cupitsch  wolt  gern  schaden  thun,  thuets  zwar  bey  etlichen 
vngelerten  Landleutten,  leufit  hin  vnd  her  mit  des  losen 
Interimisten  Lasii  ^)  schmachbuechel  wider  Illyricum.  Wir 
thun  Ime  aber  ziemblichen  widerstandt,  hat  In  Vngern  bey 
grafi'en  Julio  von  Salm  Dienst.  Die  vnsern  haben  sich 
entschlossen,  wan  er  wider  kombt,  einer  hartten  antwortt. 
Öffentlich  erklärt  er  .«ich  wider  Illyricum,  wie  wider  den 
babst,  ein  vnverschambter  muet  2).  Also  haben  wir  da  und 
dort  zu  wehren,  gott  hellfe  seiner  kirchen,  Amen.  Ire 
Majestät  seind  auch  mit  dem  Cardinal  nicht  gar  wol 
zufriden,  daß  er  so  lang  alhie  verharrt.  Der  sage  ist  vil 
vnd  derzeitt  der  feder  nicht  alles  zu  vertrauen." 

Bei  aller  scheinbaren  Schroffheit,  die  er  dem  Kardinal 
Commendone  gegenüber  bewies,  muß  Maximilian  doch  auch 
vor  ihm  seine  Handlungsweise  gerechtfertigt  haben.  Er 
sagte  in  einer  Unterredung:  „Wer  wird  mich  verteidigen? 
Habe  ich  vielleicht  Spanier  oder  andere  von  andern  Nationen, 
um  diesen  Landständen  zu  widerstehen?  .  .  .  Nuntius,    ich 


Philosoph.  S.  264  wird  erzählt,    daß    er    nach  wohlverichteter  Sache 
non  sine  favoris  argumento  vom  Kaiser  entlassen  worden  wäre. 

1)  Vgl.  S.  78,  Note  3. 

2)  Reuter  schreibt  am  29.  Juli  über  diesen  Cupitsch  an  Gallus 
(E.  A.,  St.  48) :  „Herr  Andre  Cupitsch  von  .  .  .  grueblet,  hat  sich 
gegen  der  Rom.  kais.  Maj.  wider  uns  armen  Flacianer  zu  einen 
Feind  vnd  Streitter  erklärt  vnd  erpotten;  thuett  In  der  statt  Wien 
grossen  schaden ;  rhümbt  sich  entweder  gehen  hoff  zu  komen  oder 
In  der  statt  Wien  pfarherr  zu  S.  Michel  zu  werden.  Gott  wäre  Ime, 
Amen."  Unter  dem  26.  Oktober  nennt  er  ihn  ,, einen  gottlosen 
Adiaphoristen".  Vergleiche  auch  über  ihn  Raupach,  Presb.,  der 
erzählt,  daß  er  aus  Krain  sei,  lange  gefangen  gewesen,  aber  zuletzt 
entflohen  und  nach  Ungarn  gegangen  sei. 


—     295    — 

habe  sechs  Söhne  und  habe  ihnen  kein  anderes  Erbe  zu 
hinterlassen,  als  die  paar  Erbländer.  Wenn  diese  verloren 
gehen,  wovon  sollen  sie  denn  leben?  "i)  Ähnlich  lautete  die 
dem  Gesandten  in  Rom,  Grafen  Arco,  erteilte  Instruktion : 
er  habe  keinen  anderen  Ausweg  gewußt,  um  noch  größere 
Religionsspaltungen,  das  Einreißen  der  Sekten  und  einen 
Aufstand  der  Stände  zu  verhüten.  Desgleichen  rechtfertigte 
er  sein  Verhalten  als  ein  ihm  abgedrungenes  in  einem 
Schreiben  an  seinen  Bruder  Erzherzog  Ferdinand  ^). 

Die  Angelegenheiten  der  Evangelischen  stockten  ;  alles 
wartete  auf  Chyträus,  einen  einflußreichen  Mann  in  jener 
Zeit  durch  seine  Verbindung  mit  allen  hervorragenden 
Persönlichkeiten.  Er  nennt  sich  selbst  in  einem  seiner 
Briefe  an  Richard  Strein  vom  August  1569  einen  Schüler 
Luthers  und  Melanchthons  ^).  Uns  interessiert  von  ihm  am 
meisten  seine  Briefsammlung  (ed.  1614);  seine  zahl-  und 
umfangreichen  Kommentare  sind  minder  bedeutend.  Sein 
Charakter  ist  irenisch,  doch  wechselt  er  wohl  einmal 
seine  Anschauung,  je  nachdem  seine  Umgebung  war.  Gallus 
schildert  ihn  folgendermaßen  '^) :  „Chytraeus  ist  ein  gelerter 
vnd  fromer  Man,  der  den  handel  zimlich  wol  verstehet,  vnd 
weil  (während)  er  nicht  bei  inen  (d.  h.  Gleichgestimmten) 
ist,  sich  wol  erclert  (nachgiebig  zeigt)  gegen  andere  der 
vnsern;  wil  doch  mit  öffentlicher  bekhantnis  nicht  heraus. 
Trüge  sorge,  er  wurde  den  Fuchs  auch  nit  baissen  vnd  die 
Herrn    nicht    erzürnen    wollen.     Das    sage    ich    in    geheim. 


1)  Vgl.  Bibl,  Die  Organisation  etc.,  S.  29,  nach  den  Venetia- 
nischen  Depeschen,  III,  460. 

2)  Vgl.  Hopfen,  a.  a.  O.  S.  274. 

'S)  Gh.  wurde  geboren  am  26.  Februar  1531  zu  Ingelfingen  bei 
Schwäbisch-Hall  und  studierte  in  Tübingen  unter  Camerarius.  Er 
starb  zu  Eostock  am  25.  Februar  1600.  (Vgl.  über  ihn  Loesche  in 
Prot.  Realencykl.,  der  ihn  sogar  zu  einem  Vermittelimgstheologen 
macht,  wo  er  dann  freilich  nicht  „der  letzte  der  Väter  der  lutheri- 
schen Kirche"  sein  kann.)  Chyträus  ist  nicht  einmal  ein  Charakter, 
geschweige  ein  Reformator. 

4)  In  dem  Brief  vom  13.  Okt.  1568  an  Reuter. 


—    296     - 

So  er  khumpt,    werdet  ir's  sehen,  was  er  thut.     Gf-ott  gebe 
ihm    neben    euch    auch    bestendigen    mut ,     andere    gaben 
dazue  hat  er  genug,  wolte  ers  aber  nicht  thun,  so  gedenckht 
ir  abermals  an  der  Athenienser  Jurament :  Pugnabo,  aut  con- 
tradicam,  et    solus    et    cum   aliis.     —   Doch  mueß    ich  eins 
fragen:    weil     den    Herren    souiel    orth     eines    Theologen 
halben  oder  mehrer    fürgeschlagen  und    inen    die    waal    ge- 
geben, warumb  sie  nicht   etwa  Joachimum  Westphalum  zu 
Hamburg  '  fürgeschlagen,    Mencelium    oder    Spangenbergium 
zu    Mansfeldt,    Mörlinum    in    Preussen    oder    Chemnicium 
zu    Braunschweig.     Es    würde    ihnen    aber    gleichwol     der 
Schwäbin    antwort    worden    sein,    „welchen    ir    wolt,    ohne 
(nur)    den  nicht"  3).     Denn    man  doch  kheinen  dabei  haben 
wil,    bei    dem    man    sich    ernstlichs  widersprechens    zu  ver- 
sehen   habe,    und  habt    ir   euch  des  umb  souil  mehr  vorzu- 
sehen vnd  den  Lieben  Gott  zu  bitten,  was  ir  thut."     Gallus 
schließt  mit  der  Warnung  vor  Vertrauensseligkeit,  da  Reuter 
doch   hauptsächlich    mit    „Bapisten    und   Adiaphoristen"    zu 
thun  haben  werde.     Und  im  unmittelbaren  Anschluß  daran 
gedenkt    er    des    in    Thüringen    auf   den    20.    Oktober   be- 
rufenen Kolloquiums  zwischen  den  kurfürstlich-  und  herzog- 
lich sächsischen  Theologen,  auf  dem  es  auch  gefährlich  zu- 
gehen werde.     Reuter    zeigt    sich    durch  diesen  Brief   sehr 
ermutigt    und    will    alles    getrost    Gott   befehlen.     Er  über- 
sendet   die    „Instruction'^    welche    Herr    Grabner   und    der 
Widerspruch  der  Herren  Jörger  zwar  gemildert  habe,    aber 
dennoch  durch  die  Stände    also  formuliert  worden,  daß  die 
beiden  Jörger  sich  noch  lange  widersetzt  hätten. 

Nunmehr  verstehen  wir  auch  den  Seufzer  Reuters: 
„Ach,  daß  Chyträus  den  Stich  hielte!"  und  seine  Klage, 
daß  sie  nur  „gezwungen"  ihn  angenommen  hätten.  Es 
zittert  eben  in  diesem  großen  Mißtrauen  und  äußerster  Be- 
denklichkeit auch  gegen  Chyträus  der  alte  Hader  nach,  und 
das  verwundete  Herz  will  sich  nicht  beruhigen.     Man  hatte 


1)  Wohl  ein  damals  bekanntes  Witzwort  aus  einem  der  Volks- 
bücher. 


-     297     - 

die  Bruderliebe  verletzt,  und  eine  Sühne  war  dafür  nicht  ge- 
schehen. Der  Dissensus  seit  den  Tagen  des  Interims  war  nicht 
zur  Ruhe  gebracht,  sondern  von  beiden  Seiten  unterhalten 
worden.  Die  Erregung  ließ  sich  nur  schwer  verbergen, 
wenn  gewisse  Namen  genannt  wurden,  deren  Träger  nichts 
gethan,  um  das  in  der  Person  des  Flacius  der  guten 
Lehre  geschehene  Unrecht  zu  begleichen.  Beim  Adia- 
phorismus,  Majorismus,  Synergismus,  setzen  wir  hinzu 
Osiandrismus,  handelte  es  sich  um  schwerste  Irrtümer,  und 
diese  nahm  eben  ein  Teil  der  Evangelischen  leichter,  der 
andere  furchtbar  ernst.  Dieser  Ernst  trat  ne^i.erdings  zu  Tage 
auf  dem  mit  der  Agende  gleichzeitigen  Gespräch  zu  Alten- 
burg (25.  Oktober  1568  bis  März  1569) ,  wo  zwischen 
den  kursächsischen  und  herzoglichen  Theologen  verhandelt 
wurde  i).  Von  herzoglicher  Seite  nahmen  daran  teil  die 
strenglutherischen,  bis  dahin  Flacius  verbündeten  Theo- 
logen Wigand,  Irenäus,  Rosinus,  Bressnitzer,  Kirchner  und 
Joh.  Friedr.  Cölestin,  alles  Leute  bedeutenden  Namens  ^). 
Auf  kursächsischer  Seite  waren  außer  dem  alten  Eber  nur 
junge  streitsüchtige  Professoren,  wie  Salmuth  und  Frej^hub 
aus  Leipzig,  Peter  Prätorius,  der  jüngere  Kaspar  Cruciger, 
Christian    Schütz    und    Heinrich   Moller,    beteiligt.      Leider 


1)  Planck,  a.  a.  O.  III.  IX.  Buch,  S.  324  ff. 

2)  Bis  zu  diesem  Zeitpunkt  war  Heshus  noch  Flacius'  Freund, 
freute  sich  seiner  Aufnahme  in  Straßburg  und  nannte  ilin  exul  et 
minister  Christi.  (K.  A.,  Kasten  D,  No.  XXXVI,  St.  53).  Aber 
auf  diesem  Kolloquium  ging  durch  Heshus'  Streitschrift  („Ana- 
lysis")  die  Einheit  der  Strenglutherischen  verloren,  indem  Wigand 
sich  von  Flacius  absonderte  (vgl.  Preger  II,  S.  337  ff.)  und  so  unter 
seiner  Führung  eine  antiflacianische  Partei  entstand,  die  den  Flacius 
später  sogar  wegen  des  Ausdruckes  „Substanz"  bekämpfte.  Hes- 
husius  schrieb  am  7.  Juli  und  11.  Okt.  1568  an  Gallus ,  und 
zwar  Absagebriefe  an  die  Adresse  des  Flacius,  und  schickte  Ende 
1568  die  ,,Analysis"  im  Manuskript  nach  Altenburg,  die  den  Riß 
anbahnte.  Heshus'  eigene  Briefe  über  die  Erbsünde  an  Gallus,  der  1568 
noch  auf  Flacius'  vSeite  stand,  sind  höchst  interessant  (s.  den  An- 
hang). Später  war  auch  Gallus  geneigt,  mit  dem  Ausdruck  „Sub- 
stanz" ziurückzuhalten. 


—    298    - 

diente  dieses  langdauernde  Gespräch  nur,  die  gegenseitige 
Annäherung  statt  zu  erleichtern  zu  erschweren.  Auch 
Gallus  sah  in  diesem  Kolloquium  nichts  als  einen  politisch 
gefärbten  Religionshandel  des  Kurfürsten  August,  um  einen 
Kompromiß  mit  den  Katholiken  und  Reformierten  auf  dem 
künftigen  Reichstag  anzubahnen  i).  Auch  der  Straßburger 
Philologe  Valentin  Erythraeus  schreibt  an  Gallus  d.  d. 
22.  Oktober  1568  ^j:  „Den  Ausgang  unserer  Religionsver- 
handlungen in  Thüringen  sowie  in  Osterreich  empfehle  ich 
dem  Sohne  Gottes,  daß  er  durch  seinen  heiligen  Geist 
gänzlich  die  Beschlüsse  lenke,  so  zwar,  daß  sie  allein  die 
Regel  des  Wortes  Gottes  befolgen  und  nicht  Räthsel  (sphyn- 
gas)  aus  Liebe  zur  Welt  ersinnen,  noch  weniger  etwas  mit 
dem  Antichrist  gemeinsam  haben." 

Es  standen  ferner  bei  diesen  Debatten  außer  der  Lehre 
des  sogenannten  Philippismus  auch  noch  calvinische  Sym- 
pathien ^j  im  Hintergrunde.  So  schreibt  Heshus  an  Gallus 
(13.  Mai  1568):  Scribunt  aulam  Misnicam  palam  ad  Cal- 
vinismum  inclinare^l  Und  daraus  erklärt  sich  Gallus'  und 
der  Seinen  gewaltige  Besorgnis,  die  sich  noch  steigerte,  als 
die  kryptocalvinische  Richtung  in  immer  weiteren  Kreisen 
ihre  Anhänger  fand  und  allerlei  Geister  an  sich  zog^).  Viele 
jüngere  Elemente  drängten  sich  herzu,  welche  in  hitzigen 
Reden  und  Predigten  nur  Verbitterung  statt  Frieden  her- 
vorriefen **). 


1)  Vgl.  Brief  an  Eeuter,  Eegensburg,  5.  Nov.  1568. 

2)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  77. 

3)  Kurfürst  Friedrichs  Entgegenkommen  zeigen  seine  Briefe, 
ed.  KliTckhohn ;  über  den  Sturz  der  Kryptocalvinisten  in  Sachsen  vgl. 
Sybels  bist.  Zeitschrift  B.  18,  91  ff.  Die  Gehässigkeit  dieser  Witten- 
berger Theologen  gegen  die  strengen  Lutheraner,  die  unter  dem 
Namen  Flacianer  vernichtet  werden  soUten,  verrät  uns  sodann  be- 
sonders ihre  berüchtigte  Schrift :  „Grundfest",  geschrieben  zur  Ver- 
teidigung  ihres  ,, Katechismus"  v.  J.  1571. 

4)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  55. 

5)  Vgl.  Loofs,  Dogmengeschichte,  §  75. 

6)  Für  die  Jahre  1572  und  1573  vgl.  die  gleiche  Bemerkung 
bei  Kluckhohn,  Friedrichs  Briefe,  II,  S.  572,  Note. 


—     299    — 

Endlich  ist  nochmals  zum  besseren  Verständnis  der 
österreichischen  Agendensache  zu  betonen,  daß  Gallus  und 
die  Seinen  einer  damals  schon  abnehmenden  Schar  alter 
Lutheraner  angehörten,  die  bald  verdrängt  wurde  von  einem 
andersartigen  Luthertum,  welches  aus  Württemberg  beson- 
deren Zuzug  erhielt  (Brenz,  Andrea)  und  verstärkt  wurde  durch 
Leute,  wie  M.  Chemnitz,  Nicolaus  Seinecker,  David  Chyträus, 
u.  a.  die  über  dem  Streit  mit  den  alten  Philippisten  und 
Kryptocalvinisten  ihres  lutherischen  Erbes  sich  mehr 
und  mehr  bewußt  wurden  und  endlich  bei  Abfassung  der 
Konkordienformel  sich  die  Hände  reichten.  Flacius  und 
Grallus  aber  haben  durch  ihr  Eintreten  für  die  Autorität 
Luthers  der  Zurückdrängung  des  freien  Willens  und  der 
Geltendmachung  des  servum  arbitrium  die  bedeutendsten 
Dienste  geleistet.  Sie  sind  eigentlich  die  letzten  der  echten 
Lutheraner  in  diesem  Jahrhundert  zu  nennen. 

Nach  dem  Absterben  der  Alten  folgt  eine  neue  Zeit. 
Vormals  ging  die  Menge  großer  Männer  Hand  in  Hand  mit 
einer  reichen  Zahl  heißhtingriger  Gemüter  bei  hoch  und 
niedrig.  Solch  glückliches  Zusammentrefifen  bot  die  Folge- 
zeit nicht  mehr,  sondern  die  Klage  über  den  Undank 
Deutschlands,  die  Luther  bereits  angestimmt,  behält  immer 
mehr  recht.  Dem  konnte  auch  die  bestgemeinte  Zusammen- 
fassung der  orthodoxen  Lehre,  wie  sie  seit  1576  von  Andrea, 
Chemnitz  u.  a.  in  die  Hand  genommen  wurde,  nicht  ab- 
helfen. Zwar  wurden  die  bekannten  Streitigkeiten  (Adia- 
phorismus ,  Synergismus ,  Majorismus ,  Osiandrismus)  in 
Luthers  Sinne  geschlichtet,  aber  freilich  neben  anderen  auch 
die  Prädestinationslehre  abgeschwächt.  Die  lebendige  Lehre 
ließ  sich  eben  nicht  in  eine  Formel  einfangen,  und  schon 
der  bloße  Versuch,  so  berechtigt  er  war,  öffnete  neuen  Ab- 
weichungen Thür  und  Thor. 

Die  Abfassung  der  österreichischen  Agende  fand 
aber  noch  im  Bannkreise  der  alten  Zeit    statt  ^),    und   zwar 


1)  Ein  schlagender  Beweis    für  diese  Thatsache  ist  die  Nach- 
schrift  eines  Briefes   des   lUyricus   vom  4.  Mai  1569    au  Gallus  (R- 


—     300     — 

unter  vielem  ernsten  Aufsehen  zu  Gott  seitens  der  dabei 
Beteiligten,  besonders  seitens  G-allus  und  Reuters.  Vom 
Adel  waren  aaßer  den  oft  zu  nennenden  Religionsdeputierten, 
mit  Rogen  dorf  an  der  Spitze,  nur  wenige  warm  für  die  Agende 
interessiert,  sondern  erhoben  vielmehr  Schwierigkeiten,  als 
nun  endlich  die  Agende  fertig  war,  z.  B.  C.  L.  Zelking, 
Mich.  Lud.  von  Puchhaim,  Sigmund  und  Heinrich  Graf  zu 
Hardegg,  Xiclas  Graf  zu  Salm,  Erasmus  von  Scherffenberg, 
Hartmann  von  Lichtenstein,  Wilh.  von  Hochkirchen,  Veit 
Albrecht  und  Dietrich  von  Puchheim,  Christof  und  Helm- 
hardt  Jörger  u.  a.  ^\ 

Die  Agendenarbeit  zerfällt  in  zwei  Teile.  Der  Anfang 
wurde  von  Chyträus  gemacht,  den  im  Auftrag  des  Kaisers 
und  der  Stände  Chi-,  v.  Memming  aus  Rostock  herbeiholte.  Er 
reiste  erst  Anfangs  Dezember  ab,  nachdem  er  zuvor  gezögert 
und  lieber  schriftlich  über  die  beabsichtigte  Kirchenverbesse- 
iTing  sich  ätißern  zu  wollen  erklärt  hatte.  Begleitet  von  seinem 
Amanuensis  Joachim  Edeling  und  dem  Professor  der  gi'ie- 
cldschen  Sprache  Johann  Possei  aus  Rostock,  kam  Chyträus» 
nachdem  er  unterwegs  zu  Wolfenbüttel  mit  dem  Braun- 
schweiger   Superintendenten    Martin    Chemnitz  - 1    und    dem 


A.  Eccles.,  Xo.  XXX^T:,  Z.  179),  worin  er  erstens  beklagt,  daß 
Chemnitz,  wie  Spangenberg  ihm  schreibe,  offen  den  Majorismus  m 
Schutz  nehme.  Er  fügt  hinzu:  _ld  üli  qm  apud  eum  fmt  tribuo." 
Gemeint  ist  Andrea,  der  damals  für  sein  Einigungswerk  herunn-eiste 
(Preger  11,  S.  300  ff.).  Sodann  sagt«  er:  ^ Bitte,  schicke  diesen  Brief 
[von  dem  wir  nur  die  Nachschrift  haben]  unserm  Superinten- 
denten, „recte  ad  Chyträum-'  tmd  erbitte  Antwort  durch  zuver- 
lässige Boten.-  Auf  so  freundlichem  Fuße  stand  also  Flacius  um 
diese  Zeit  selbst  noch  mit  Chyträus. 

1)  Tgl.  Bibl,  a.  a.  O.  S."  1S5  (73). 

2)  Dem  berühmten  Martin  Chemnitz  wurde  die  Superinten- 
dentenstelle  in  Österreich  offiziell  am  27.  September  1569  durch  jene 
Adehgen,  die  Chyträus  nach  Rostock  zurückgeführt  hatten,  angeboten. 
Er  erbat  sich  eine  Bedenkzeit,  indem  er  schwerüch  in  Braunschweig 
seine  Entlassung  erhalten  würde  und  auch  nicht  gern  auswandern 
möchte.  Er  frug  inzwischen  Gallus  tun  Bat.  um  seine  Entschließung 
demgemäß  treffen  zu  können  (27.  Sept.  1569:  E.  A.  Eccles.,  No. 
XXi^^.  Z.  176). 


—     301     — 

Tübinger  Kanzler  Jakob  Andrea  einige  Tage  vereint  ge- 
wesen, sowie  zu  Leipzig  (21.  Dezember;  bei  Camerarius 
der  unlängst  von  Wien  heimgekehrt  war,  sich  Rats  erholt 
hatte ,  über  Dresden ,  Außig ,  Prag ,  Czaslau ,  Iglau  am 
10.  Januar  1569  in  Krems  an  i).  Von  Krems  richtete 
er  schon  am  12.  d.  M.  ein  Schreiben  an  den  Kaiser  Maxi- 
milian, welches  der  Vicekanzler  überreichte  ^).  Als  Schüler 
Melanchthons  mußte  er  sich  zu  einer  Erklärung  über  Ar- 
tikel XV  und  XVni  der  Augustana  i  De  ritibus  ecclesiasticis 
und  De  libero  arbitrioj  verstehen  '^j.  Die  sechs  ständischen 
Deputierten :  Landmarschall  Hanns  Freihf^rr  von  Rogen- 
dorff,  Rüdiger  Freiherr  von  Starhemberg,  Leopold  von 
Grabner,  Wolf  Christoph  von  Enzersdorf,  Chyträus  und 
Reuter  begannen  nun  die  Aufstellung  der  „Kirchenagenda", 
über  welche  dann  nach  ihrer  Vollenduns:  mit  den  sechs 
kaiserlichen  Deputierten  verhandelt  werden  sollte.  Es  sollte 
in  folgender  Art  vorgegangen  werden.  Chyträus  übernahm  die 
Ausarbeitung,  und  sobald  er  ein  Stück  vollendet  hatte,  er- 
hielt es  sein  mit  den  kirchlichen  Verhältnissen  Österreichs 
vertrauter  Beirat  Reuter  zur  Durchsicht  und  zur  Verhand- 
lung darüber  mit  den  andern  4  Deputierten  der  beiden 
Stände,  als  Vermittler  der  Verbindung  mit  denselben.  Letztere 
erachteten  es  für  ratsam,  daß  Chyträus  in  einem  von  Wien  ab- 
gelegenen Orte  die  Arbeit  vornehme,  weil  der  Kaiser  die  ganze 
Angelegenheit  bis  zur  demnächstigen  Abreise  des  päpstlichen 
Legaten  Commendone  geheim  gehalten  wissen  wollte,  und 
daß  er  deshalb  von  Krems  nach  dem  Flecken  Spitz  über- 
siedle. Hier  verweilte  er  auf  dem  Schlosse  des  Ritters  Leon- 
hard  von  Kirchberg  beinahe  drei  Monate  (seit  19.  Januar 
1569;  in   stiller  Thätigkeit  i> 


1)  Epp.  Chytraei,  p.  1092;     Eaupach  II,  S.  180-190. 

2)  Epp.,  p.  39—42,  1100. 

3)  Epp.,  p.  638. 

4)  Epp.,  p.  446,  1093.    Vgl.  auch  Otto,  a.  a.  O.  S.  31—33. 


-     302     — 

Gallus  rät  am  9.  März  1569  i)  dem  Chyträus  Vorsicht, 
um  weder  in  die  Irrlehren  des  Antichristen  zu  verfallen, 
noch  auch  die  gute  Gelegenheit  zu  versäumen.  Sein  Rat, 
den  er  auch  Reuter  wiederholt  erteilt,  ist:  „Schreibt  ihr 
Ceremonien  (forma) ,  wie  ihr  sie  convenientes  der  Augs- 
burgischen Konfession  findet  —  der  Kaiser  soll  dann  ur- 
teilen." 

Die  Thätigkeit  des  Chyträus  liegt  freilich  sehr  im 
Dunkel ;  es  ist  uns  selbst  unbekannt,  welche  Agenden  ihm 
vorgelegen.  Wir  haben  ja  auch  nicht  einmal  Chyträus' 
Elaborat  vor  uns  in  der  österreichischen  Agende,  die  viel- 
mehr von  Reuter  erst  über  Auftrag  des  Kaisers  fertigge- 
stellt wurde.  Er  hat  dann  später,  im  Jahre  1578,  sein 
Elaborat  zu  Rostock  im  Druck  herausgegeben.  Dasselbe 
ist  ein  viel  größeres  Werk  als  die  Agende,  die  nachmals 
bei  Kaiser  Maximilian  Anerkennung  fand.  Es  enthält  näm- 
lich auch  die  Lehrschriften.  Und  zwar  konnte  sich  Chy- 
träus darauf  berufen,  daß  er  von  dem  Ausschuß  der  Stände 
zu  4  Schriftstücken  veranlaßt  worden  sei,  zu  denen  frei- 
lich die  Instruktion  der  Landschaft  ^)  ihn  kaum  in  diesem 
Umfange  berechtigt  hatte.  Auch  Gallus  hatte  zu  einem 
geringsten  Maß  von  Ceremonien  geraten  und  durchaus 
kein  Doctrinale  gewünscht. 

Das  erste  dieser  Schriftstücke  sollte ,  wie  Chyträus 
schreibt,  eine  Agende  (Agendorum  liber)  für  den  öffent- 
lichen Gottesdienst  in  den  gesamten  evangelischen  Ge- 
meinden des  Landes  sein;  sie  war  dem  Kaiser  vorzulegen. 
Das  zweite  sollte  eine  Instruktion  für  den  Superintendenten 
und  das  Konsistorium  aufstellen,  denn  die  Stände  hofften  '"'•), 
daß  ihnen  vom  Kaiser  die  Bestellung  eines  Superintendenten 
und    die    Errichtung    eines    Konsistoriums    werde    gestattet 


1)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  Z.  151. 

2)  S.  oben  S.  281. 

3)  So  fragt  Jörger  von  Tollet  den  Gallus,   was  geschehen    soUe 
wenn  der  Kaiser  dies  nicht  bestätigen  wolle    (1568). 


—     303     — 

werden.  Das  dritte  sollte  eine  Erklärung  aller  Artikel  der 
Augsburgiscben  Konfession  (später  das  „Doctrinale"  genannt) 
enthalten,  worin  „die  fürnembsten  Hauptstücke  christlicher 
Lehre ,  so  in  der  Augsburg.  Confession  auf  das  Kür- 
zeste zusammengefaßt,  aus  Gottes  Wort  ausführlich  erklärt 
waren",  zugleich  mit  Berücksichtigung  aller  damals  unter 
den  Evangelischen  herrschenden  Streitigkeiten.  Dieses 
Schriftstück  wollten  sie,  wie  später  erst  ersichtlich  ward, 
dem  Kaiser  nicht  überreichen,  sondern  als  Ausdruck  der 
reinen  Lehre  für  sich  und  ihre  Nachkommen  aufbewahren. 
Das  vierte  sollte  ein  Auszug  aus  jener  Erklärung  der  Augs- 
burgiscben Konfession  sein,  eine  Summe  der  christlichen 
Lehre  zur  Benutzung  bei  der  Prüfung  der  Ordinanden  ^ ). 

Ueber  den  Verkehr  des  Chyträus  mit  Gallus  und  seine 
Hoffnungen  haben  wir  nichts  als  folgenden  Brief  vom 
25.  Juni  1569  2j ;  ßeverende  et  clarissime  vir  amice  colende 
De  felici  exitu  praesentium  actionum  non  desinunt  bene 
sperare  Domini  mei,  Ordinum  delecti.  Ego,  ut  antea  aliquoties 
scripsi,  de  tuo  et  tot  aliorum  sapientum  et  piorum  iudiciis, 
aliisque  causis  motus,  nihil  de  humana  Imp.  voluntate  mihi 
vel  aliis  certi  pollicens,  spem  omnem  in  solo  DEO  repositam 
habeo  et  eventum  exspecto.  Tribus  iam  vicibus  Dies 
Responsionis  categoricae,  a  Caesare  dicta,  ulterius  prorogata 
et  nunc  in  mensem  Julium  reiecta  est,  Exspectamus 
igitur  Dominum,  qui,  etsi  moram  facit,  ut  pietatem  et 
coustantiam  nostram  exploret  et  invocationem  acuat,  tamen 
veniens  veniet^),  cum  ipsi  visum  fuerit  et  gloriae  suae  vindex 
et  Ecclesiae  instaurator  et  custos  ipse  futurus  est.  D.  Jacobi 
Andreae  conciliationes,  quas  sub  praelo  esse  ex  filio  Pfauseri 
intellexi,  si  excusae  sunt,  exemplum  ad  nos  mitti  velim. 
Geislero  Typographo  vestro  prodesse  nihil  potui,  cum 
Christophorus  Reuter  noster  sumptus  in  eas  conditiones  fieri 


1)  Epp„  p.  648. 

2)  R.  A.  Eccles.,  No.  XL,  Z.  39. 

3)  Hebr.  10,  37. 


—     304     — 

dissuaderet,  et  ipsi  Ordinum  delecti  impressione  Confessionis 
Magdeburgii  offensi  essent  i). 

Colloquium  AldeburgeDse  ingentia  certamina  et  maiora 
iis,  quae  hactenus  usque  fuerunt,  secutura  sunt.  De  horum 
initiis,  siquid  habes  certi,  nobis  significabis.  Deum  oro,  ut 
nos  doceat  et  gubernet.  Bene  vale.  Die  25.  Junii,  qua 
ante  39  annos  Confessio  Augustana,  quam  nunc  passim  in 
aulis  Confusionem  uominant,  Imp.  Carole  V.  primum  exbibita 
est.     Viennae  Austriae  David  Chytraeus. 

Adresse :  Reverendo  et  clarissimo  viro  D.  Nicoiao  Gallo 
Superintendenti  Ratisbonensi,  domino  suo  colendo. 

Wie  sehr  auch  die  Stände  in  Steiermark  des  Chyträus 
Begabung  für  ein  solches  wichtiges  Werk  schätzten,  dafür 
zeugt,  daß  sie  ihn  aufforderten,  herüberzukommen,  und  auch 
ihnen  eine  Agende  anzufertigen :  was  aber  erst  5  Jahre 
später  geschah  2). 

Wir  verfolgen  jetzt  das  weitere  Geschick  der  Agende. 
Chyträus  sandte  das  Werk  am  26.  Februar  an  den  Vor- 
sitzenden der  Deputierten,  den  Freiherrn  von  Rogendorff, 
unter  gleichzeitigem  Bericht  an  den  Vicekanzler  Zasius. 
Jenes  Werk  enthielt  zunächst  die  Agende  —  die  anderen 
drei  oben  genannten  Nummern,  nämlich  die  Instruktion  des 
Consistorii,  das  Doktrinal  und  Examen,  wurden  nach  Reuters 
Brief  vom  24.  März  1569  erst  zu  Ostern  fertig.  Rogendorff, 
dem  nach  Chyträus  3)  der  freieste  Zugang  zum  Kaiser  offen 
stand,  vermittelte  die  Kenntnisnahme  der  Agende  und 
besprach  auch  die  anderen  Punkte  mit  ihm.  Der  Kaiser, 
der   die  Agende    mit  den  beiden    geheimen  Räten,  Richard 


1)  Dies  scheint  auf  den  bei  Geisler  beabsichtigten  Druck  der 
Agende  zu  gehen,  wozu  die  Stände  keine  Einwilligung  gaben,  weil 
sie  über  die  Drucklegung  der  Konfession  des  Magdeburgius  noch 
immer  unzufrieden  waren  (s.  o.). 

2)  S.  Loserth,  a.  a.  O.  S.  149. 

3)  Epp.  S.  673. 


—    305     - 

von  Strein  i)  und  den  Kanzler  Zasius  geprüft  hatte,  sagte,  daß 
ihm  dieselbe  nicht  mißfalle,  aber  die  Abfassung  eines  Lehr- 
buches der  Hauptstücke  christlicher  Lehre  habe  er  nicht 
verlangt  2).  —  Chyträus  war,  wie  Reuter  schreibt,  die  ganze 
Zeit  kränklich  und  kam  infolge  der  Aufforderung  Rogen- 
dorffs  erst  gegen  Ende  März  von  Spitz  nach  Wien,  um  den 
Deputierten  der  Stände  mit  seinem  Rate  beizustehen. 

Kurz  vor  Ostern  wurde  die  Agende  zum  ersten  Male 
von  den  ständischen  Deputierten  den  24  Herren  und  Rittern 
zur  Censur  mitgeteilt  und  von  ihnen,  mit  kleinen  Ände- 
rungen versehen,  am  29.  April  in  einer  öffentlichen  Audienz 
dem  Kaiser,  gleich  als  ob  er  noch  nichts  davon  gesehen 
hätte,  überreicht  3).  Man  lebte  der  Hoffnung,  daß  die  Be- 
stätigung dieser  Kirchen-Agenda  alsbald  erfolgen  werde. 
Diese  Hoffnung  war  vergeblich  '^) ;  vom  Tage  der  Über- 
reichung bis  zum  31.  Juli  blieb  die  Agende  im  Kabinet  des 
Kaisers,  der  nach  Zasius  „die  gantze  action  gern  in  der 
band  behalten  wollte"  ^').  Wohl  aber  verhieß  der  Kaiser 
neuerdings  durch  Rogendorff,  er  werde  der  evangelischen 
Stände  mit  der  Augustana  übereinstimmende  Lehre  und 
gottesdienstliche  Gebräuche  dulden,  sowie  wider  alle  geist- 
lichen und  weltlichen  Gegner  schützen.  So  wertvoll  nun 
ihnen  dieses  Versprechen  war,  so  baten  sie  doch  in  einer 
Eingabe  um  baldige  definitive  Bestätigung  der  über- 
reichten Kirchen-Agenda  und  um  die  Erlaubnis,  ein  eigenes 
Konsistorium  einsetzen,   einen  Superintendenten  berufen,  in 


1)  Strein  war  adiaphoristisch  gesinnt  imd  stand  mehr  über  den 
Parteien,  war  jedoch  seinen  Glaubensgenossen  ein  guter  Helfer.  Er 
soll  viel  bei  Maximilian  gegolten  haben,  wie  auch  seine  von  Bibl, 
a.  a.  O.  S.  32,  benutzte  „Relation  in  Religionssachen  de  anno  68 
bis  in  das  76.  Jahr"  beweist. 

2)  ßaupach  II,  S.  183. 

3)  Raupach  I,  S.  103. 

4)  Auch  Gallus  teilte  dieselbe  nicht  in  einem  Briefe  vom 
25.  April  1569  (R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI). 

5)  Siehe  Zasius  an  Albrecht  von  Bayern  am  10.  und  31.  Juli 
1568,  bei  Hopfen,  S.  324. 

20 


—     306     — 

Wien  ein  offenes  Gotteshaus  besitzen  und  eine  theologische 
Schule  errichten  zu  dürfen.  Es  scheint  auch  nach  Chyträi 
Bericht  1),  daß  zu  gleicher  Zeit  die  Gegenpartei  recht  böse 
Forderungen  an  die  Evangelischen  stellte,  welche  Chyträus 
nur  andeutet,  die  aber  des  Gallus  Vermutungen  vollauf  be- 
stätigten. 

Der  Kaiser  erklärte  ihnen  endlich  in  einem  Erlaß  vom 
26.  Juli  1569,  er  müsse  wegen  der  Wichtigkeit  der  An- 
gelegenheit zunächst  das  Gutachten  seiner  Räte  vernehmen, 
wobei  er  sie  zugleich  ermahnte ,  bis  zur  endlichen  Ent- 
scheidung sich  aller  Neuerungen  und  Sekten  zu  enthalten 
keinen  Prädikanten  in  Wien  aufzustellen,  sich  mit  allen 
geistlichen  und  weltlichen  Ständen  und  Unterthanen  friedlich 
zu  verhalten,  dieselben  ob  ihres  Glaubens  nicht  zu  lästern 
oder  zu  verdammen,  sondern  mit  ihnen  in  christlicher  Geduld 
und  Eintracht  zu  leben  ^). 

So  war  denn  die  Verhandlung  auf  die  lange  Bahn  ge- 
schoben und  zum  Teil  in  feindliche  Hände  geraten.  Was 
Gallus  vorausgesehen,  geschah  :  man  verlangte  unter  anderem 
es  müsse  in  die  Kirchen-Agenda,  bevor  sie  die  landes- 
fürstliche Bestätigung  erhalten  könne ,  noch  manches 
Ceremoniel  beim  öffentlichen  Gottesdienst  eingerückt 
werden,  insbesondere  sei  bei  der  Abendmahlsfeier  die  An- 
zündung  von  Kerzen,  das  Tragen  des  Meßgewandes  und 
die  Elevation  nicht  zu  unterlassen.  Und  ferner  müsse  in 
ihr  über  die  (darin  mit  keinem  Worte  angedeutete)  Juris- 
diktion der  römisch-katholischen  Bischöfe  und  die  durch 
diese  zu  erteilende  Ordination  gehandelt  werden.  Denn 
die  evangelischen  Prediger  beider  Stände  hätten  sich  von 
den  Landesbischöfen  „nach  einer  gewissen  Formel,  je- 
doch ohne  sündliche  Verbindlichkeiten"  ordinieren  zu  lassen 
und,   wenn  diese    sie  nicht  verfolgten  oder  das  Evangelium 


1)  Epp.,  p.  363  und  661. 

2)  Chytr.  Epp.,  p.  661,  673.  Vgl.  Otto,  a.  a.  O.  S.  35,  36,  der 
hier  aus  den  recht  unklaren  Berichten  des  Chyträus  seine  Mit- 
teilungen schöpft. 


-     307     — 

nicht  hinderten,  deren  Jurisdiction  anzuerkennen  i).  Beiden 
Forderungen,  über  die  keine  Akten  vorliegen,  sind  die 
Evangelischen,  wie  es  scheint,  durch  Temporisieren  aus  dem 
Wege  gegangen;  in  welcher  Weise  —  das  ist  unbekannt. 
Der  Kaiser  selbst  gab  dem  Chyträus  zu  verstehen,  daß  er 
wohl  nur  der  Stände  wegen  so  weit  von  den  ältesten  und 
ersten  Gebräuchen  der  A.  C.  abgewichen  sei.  Was  man 
verlangte  und  was  sich  eben  nicht  fand,  war  nur  dasselbe, 
was  im  .  Interim  einst  schon  von  den  Protestanten  zu- 
gestanden war:  erweiterte  Anwendung  der  Ceremonien  und 
bischöfliche  Jurisdiktion.  Im  Grunde  aber  gv.schah  das  wohl 
nur,  um  das  Zustandekommen  der  Agende  und  die  davon 
abhängig  gemachte  Assekuration  hinauszuschieben. 

Am  13.  August  1569  erfolgte  die  kaiserliche  Resolution 
an  die  zwei  Stände :  es  könne  ihnen  ein  Konsistoiium  und 
ein  Superintendent,  sowie  evangelischer  Gottesdienst  in  einer 
eigenen  Kirche  zu  Wien  nicht  bewilligt  werden;  jedoch 
solle  ihnen  die  Berufung  eines  gelehrten  Predigers 
gemäßigter  Richtung  gestattet  sein,  welcher  die  Predigtamts- 
kandidaten prüfen,  aber  nicht  ordinieren  dürfe.  Ziigleich 
erneuerte  der  Kaiser  die  Zusage  der  Toleranz  des  Gottes- 
dienstes vom  18.  August  1568  2). 

Es  war  eigentlich  ein  Glück,  daß  jener  erste  Teil  des 
Entwurfes  Chyträi  ^),  die  vornehmsten  Hauptstücke  christ- 
licher Lehre  enthaltend,  vom  Kaiser  schroff  abgewiesen 
wurde.     Damit   wäre    der   theologischen  Diskussion    wieder 


1)  Chytr.  Epp.,  p.  363,  483,  529,  661,  674,  und  Chytraei  Histor. 
sec.  XVI,   Suppl.  p.  281,  293.    Vgl.  auch  Hopfen,  a.  a.  O.   S.  149. 

2)  Chytr.  Epp.,  p.  363,  483;  Chyträus  äußert  sich  p.  364  zu- 
frieden mit  dem  nunmehr  erreichten  Resultate  seines  Aufenthaltes 
in  Österreich. 

3)  Er  erschien  zu  Rostock  1578  in  Octav,  während  die  sog. 
Deklaration  der  Artikel  Augsb.  Konfession,  welche  Chyträus  zum 
Nutzen  der  Stände  gleichfalls  verfaßte,  niemals  gedruckt  wurde. 
Auch  dieser  vierte  Theil  des  Entwurfes  stieß  auf  den  Widerstand 
des  Kaisers. 

2ü* 


—     308     — 

ein  weiter  Zugang  eröffnet  worden.  So  aber  blieb  es 
lediglich  bei  Herstellung  der  Agende  im  engeren  Sinne, 
in  welcher  nur  an  gehörigem  Orte  das  Doktrinäre 
(Katechismus)  eingeschaltet  wurde.  Diese  Arbeit  nun  kam 
über  Auftrag  des  Kaisers  ^)  in  die  Hände  Reuters,  der  sie  in 
möglichster  Stille  zu  Ende  geführt.  Er  schüttet  seine  Klagen 
über  diese  Arbeit  in  einem  Briefe  vom  30.  November 
1569  in  Gallus'  Busen  aus  2). 

„Vnser  Agenda  ist  abermal  gehen  hoff  geantwortt, 
haben  ein  sehr  guette  gewisse  Vertröstung;  meine  Herrn 
werden  nach  Weinachten  auf  präg  (verreisen)  vnd  allen 
bescheid  widerumb  zu  Hauß  bringen,  vnd  seind  allein  zwo 
vrsachen ,  das  man  vns  nicht  iezt  völlig  vnserm  begern 
statt  gethan.  Erstlichen  das  man  so  ein  groß  libell 
nicht  ablesen  hat  können,  dann  zuvor  In  der  Agenda 
alle  ding  nicht  so  pro  forma  gesetz  wie  an  diser.  Zum 
andern  begert  man,  man  solle  das  Cantional  auch  stellen 
vnd  (über)antwortten^).  Wen  das  beschieht,  so  sollen  die  lob- 
lichen Stände  nicht  weitter  aufgehalten  werden.  Nun  habe 
ich  ein  4  Wochen  darmit  zu  schaffen,  das  ich  die  gesang 
hin  und  wider  zusammen  trage,  lateinische,  deudsche,  vnd 
bitte  vmb  Christi  wellet  mein  In  eurer  Kirchen  mit  dem 
heiligen  gebett  nicht  vergessen.  Es  ligt  die  schwere  bürde 
auf  mir,  vnd  ich  bin  so  einfeltig,  gering  vnd  vngelertt. 
0  Jesu',  du  Son  gottes,  kom  meiner  einfalt  zu  hilff  Amen." 

ßeuter  hat  sich  also    zu  dieser  Arbeit   nicht  gedrängt 
und  bewegte  sich  bei  ihr  auf  einem  heißen  Boden.     Er  hat 


1)  Vgl.  Chytr.  Epp.,  p.  225    der  verblümterweise  davon  redet. 

2)  E.  A.,  No.  XXXVI,  St.  169. 

3)  Die  Einwürfe  waren  offenbar  aus  dem  Wunsche  entstanden, 
den  ganzen  Agendenhandel  noch  weiter  hinzuhalten.  Thatsächlich 
war  die  Agende  Reuters  noch  umfangreicher  als  die  bisherige.  Inter- 
essant ist,  daß  diese  korrigierte  Kirchenordnung  noch  in  ihrer  letzten 
Fassung  eine  Korrektur  im  Kabinet  des  Kaisers  erhielt.  Es  wurde 
nämlich  das  bekannte  Luthersche  Lied :  „Erhalt  ims,  Herr,  bei  Deinem 
Wort  und  steur'  des  Papsts  und  Türken  Mord"  gestrichen  (vgl.  Bibl, 
a.  a,  O.  S.  38).    In  Graz  wurde  es  noch  1592  gesungen. 


—    309    — 

möglichst  wenig  Menschen  dabei  um  Rat  gefragt,  und  gerade 
dieses  vorsichtige  Verhalten  scheint  dem  Kaiser  gefallen  zu 
haben,  der  regen  Anteil  an  der  Sache  nahm.  Mit  der  Revision 
seines  Werkes,  die  natürlich  vorgenommen  werden  mußte,  da 
der  erste  Entwurf  dem  Kaiser  nicht  gefallen,  war  Chyträus 
unzufrieden.  Er  beklagt  sich^j  (wie  uns  aber  scheint  allzu 
kritisch)  über  unpassende  Stilveränderungen  und  mangel- 
haften Zusammenhang  der  Worte  und  Sachen,  auch  über 
Zusätze  und  Auslassungen.  Zu  den  Zusätzen  rechnet  er 
den  von  der  Taufe  Erwachsener,  ferner  den  Exorcismus, 
den  erweiterten  Konfirmationsritus  und  die  Menge  der 
Kollekten  2).  Auch  Luthers  kleinen  Katechismus  hat  Reuter 
der  Agende  einverleibt  mit  einigen  Änderungen  und  Zu- 
sätzen. Wenn  man  aber  das  Ganze  der  Agende  übersieht, 
so  muß  man  gestehen,  daß  sie  für  eine  maßvolle  Arbeit 
und  eine  der  besseren  Kirchenordnungen  jener  Zeit  gelten 
darf,  und  das  um  so  mehr,  weil  ja  wirklich  das  Meiste 
von  Chyträus'  erfahrener  Hand  selbst  herstammt.  Im  Inte- 
resse der  Sache  wäre  es  besser  gewesen,  wenn  alle  Aus- 
stellungen unterblieben  wären,  zumal  auch  die  Akademien, 
welchen  die  österreichischen  Stände  die  Agende  behufs 
Censur  vorlegten,  sie  nicht  beanstandet  hatten.  Und 
so  hat  Chyträus  selber  in  einem  Briefe  vom  6.  März 
1570  seinen  Freund  und  Bruder  Reuter  aufs  neue  seiner 
Freundschaft  versichert  und  um  Nachrichten  gebeten,  nach- 
dem er  von  der  Errichtung  einer  Druckerei  in  der  Nähe 
von  Stein  vernommen.  Er  wünscht,  etwa  neu  erschienene 
Bücher  von  Reuter  zu  erhalten,  und  möchte  an  der  Vor- 
bereitung solcher  Bücher  teilnehmen.  Ja,  er  äußert  den 
Wunsch,  daß  er  nötigen  Falls,  wenn  er  in  der  Wachau  irgend- 
wo verborgen   leben   könnte    und  zum  Drucke  helfen,    gern 

dorthin    zurückkehren    würde    und    das    angefangene  Werk 

» 

1)  Kaupach  I,  S.  120. 

2)  Gerade  diese  verlangte  Maximilian  nach  dem  oben  erwähnten 
Briefe  Reuters. 


—     310    - 

mit  Gottes  Beistand  vollenden  helfen  wolle  ^).  Gehen  wir 
nun  auf  nähere  Einzelheiten  ein. 

Bei  der  im  Jahre  1580  gehaltenen  Kirchenvisitation 
der  beiden  Stände  erzählte  Reuter,  daß  der  ritus  confir- 
mationis  in  der  Agende  aus  dem  Sartorius  genommen  sei; 
was  darin  stehe  von  der  Kindertaufe  und  den  dabei  vor- 
kommenden Fragen,  sei  anderen  Eeformationsordnungen 
entlehnt,  nämlich  der  kölnischen  (1543).  Er  habe  dies 
„wie  ein  frey  Ding  gesetzt",  ohne  daß  man  damit  den 
Katechismus  Lutheri  habe  verdammen  wollen,  welchen  be- 
kanntlich die  Agende  fol.  XXXIX  enthält.  Die  Formel 
von  der  Taufe  Erwachsener  sei  aus  der  hessischen  Kirchen- 
ordnung  (1566)  entnommen,  dagegen  habe  er,  während  ihm 
befohlen  worden,  den  wittenbergischen  Katechismus  2),  der 
in  philippistischem  Sinne  verfaßt  war,  aufzunehmen,  Stücke 
aus  dem  nürnbergisch-brandenburgischen  Katechismus  ein- 
gesetzt. 

Die  übrigen  Erweiterungen  beim  Konfirmationsritus, 
sowie  bei  den  Lektionen  und  Kollekten  waren  gänzlich 
harmlos,  verletzten  in  keinem  Punkte  den  evangelischen 
Sinn  und  imponierten  etwa  noch  dem  Kaiser,  der  offenbar 
persönlich  an  der  ganzen  Sache  beteiligt  war. 

Über  die  Zulassung  des  Exorcismus  und  der  Absolution, 
sowie  des  Chorrockes  und  ähnlicher  Dinge  bemerken  wir 
folgendes : 

Den  Exorcismus  ^),  von  dem  Chyträus  urteilte ,  daß 
er  lieber  sollte  weggelassen  sein,  als  daß  er  auf  solche 
Weise    und    an  solchem  Ort  eingeschoben  worden*),    nahm 


1)  Epp.,  p.  530  u.  500,  wonach  ihm  die  Agende  gefiel. 

2)  Dieser  Katechismus  hat  im  Sinne  Melanchthons  beim  Abend- 
mahl „credentibus"  statt  „vescentibus".  Er  lehrt  über  das  Abend- 
mahl und  die  Person  Christi  in  calvinistischem  Sinne. 

3)  Agende,  S.  VI:  „Exorcismus  zu  gebrauchen  oder  nicht  zu 
gebrauchen,  soll  frei  sein";  ferner  Agende  IX. 

4)  Vgl.  Eaupach  I,  S.  120.  Chytr.  Epp.  p.  665,  967.  Er  fehlt 
in  der  oberösterreichischen  Agende  v.  J.  1617. 


—     311     — 

Eeuter  nach  Gallus'  Eat  in  die  Agende  auf,  stellte  ihn 
aber  der  Freiheit  der  Einzelnen  anheim.  Er  blieb  ja  über- 
haupt noch  lange  unangefochten  in  der  lutherischen  Kirche  ^), 
obwohl  bedeutende  Theologen,  obenan  Luther,  kein  großes 
Gewicht  auf  ihn  legten  oder  nur  für  seine  Zulässigkeit 
stimmten,  während  Joachim  Westphal,  Spangenberg,  Men- 
zelius  u.  a.  m.  für  die  Beibehaltung  waren. 

Die  Beichte  und  Absolution  =»)  ist  ein  herkömmlicher 
lutherischer  Brauch.  Die  deutsche  Reformation  hat  die 
Beichte  behufs  würdiger  Begehung  der  Abendmahlsfeier 
festgehalten  und  zwar  als  Privatbeichte  ^).  Dies  geschah 
besonders  seit  dem  sächsischen  „Unterricht  der  Visitatoren" 
(1528)  aus  der  Feder  Melanchthons,  in  welchem  um  des 
gemeinen  Volkes  willen  vor  dem  Abendmahl  ein  Examen 
stattfand  ^).  Die  Absolution  fand  in  der  Agende  in  zwie- 
facher Form  —  in  der  bloß  ankündigenden  und  unmittel- 
bar vergebenden  —  ihren  Platz  ^). 

Den  Chorrock  ließ  Reuter  wenigstens  zu  %  obgleich 
widerstrebend,  weil  ,.solch  Narrenwerk"  abgethan  sei  und  die 

1)  In  der  dänischen  Kirche  ist  er  bis  heute  vorgeschrieben ;  in 
der  unierten  preußischen  Agende  ist  er  ebenfalls  der  Freiheit  der 
Einzelnen  anheimgestellt. 

2)  Agende,  S.  LXVI  ff. 

3)  In  der  Nürnberger  Kirchenordnung  und  nach  ihrem  Beispiel 
in  der  Siebenbürger  Konters  stand  die  gemeinsame  Beichte  und  ge- 
meinsame Absolution  in  Übung  (vgl.  den  Artikel  Köhlers  in  Studien 
und  Kritiken,  1900,  Heft  I,  über  die  Reformation  in  Siebenbürgen). 

4)  Erlang.  Ausgabe  XXIII,  S,  40  ff.  Auch  hier  aber  ist  die 
Beichte  kein  Zwang  (S.  35,  41). 

5)  Der  Kirchendiener  wird  als  des  Herrn  Christi  Statthalter 
bezeichnet  (Agende,  S.  LXVII),  gleichwohl  kennt  die  Agende  auch 
die  bloß  ankündigende  Form  der  Absolution.  Und  diese  ist  auch  nach 
a  Lascos  Forma  ac  ratio  p.  86  und  der  Pfälzer  Kirchenordnung 
V,  J.  1563  bei  Reformierten  im  Brauch. 

6)  Je  nach  dem  Brauche  der  Ortsgemeinde;  cf.  Chytraei  Epp. 
p.  446.  Dieser  ganze  Brief  v.  J.  1571  an  Camerarius  ist  wichtig  für 
den  Usus  in  den  österr.  Kirchen.  Die  meißnischen  (!)  Prädikanten, 
deren  einer  in  Spitz  amtierte,  behielten  nach  diesem  Briefe  mehr  eine 
adiaphoristische  Form  bei,  die  von  der  des  Chyträus  abstach. 


—     312    — 

Herren  sehr  dagegen  waren.  Die  Lichter  blieben  der  Frei- 
heit einer  jeden  Gemeinde  überlassen.  Übrigens  scheint 
ersteres  ein  Zugeständnis  an  den  Kaiser  gewesen  zu  sein, 
während  Gallus  (und  auch  sonst  die  Flacianer)  schwierig  in 
diesem  Stücke  war  und  den  Chorrock  nur  zur  Unterscheidung 
der  Prädikanten,  und  weil  er  auch  sonst  in  den  Kirchen 
des  Auslandes  verblieben  i),  zugestehen  wollte. 

Andere  Gebräuche,  die  man  auf  der  Gegenseite  für 
wünschenswert  und  selbst  nach  der  Augsburgischen  Kon- 
fession für  zulässig  erachtete,  z.  B.  die  Elevation  beim 
Abendmahl  oder  das  Gebet  für  die  Abgestorbenen,  sowie 
die  Einführung  der  Mütter  nach  der  Geburt  eines  Kindes, 
wurden  nach  Chyträus'  Vorgang  gänzlich  abgewiesen. 

Was  die  Konfirmation  ^)  anlangt,  so  hat  auch  Chyträus 
bereits  im  vierten  Abschnitt  seiner  Agende  dieselbe  ange- 
priesen und  das  Verfahren  dabei  angegeben.  Reuter  hat  dies 
sehr  erweitert 3),  ohne  aber  über  die  Schranken  der  „Ablegung 
des  Glaubensbekenntnisses"  hinauszugehen.  Der  Parrer  hat 
den  Katechismus  abzufragen  und  darin  zu  examinieren, 
wozu  noch  eine  Reihe  anderer  Prägen  kommt  ^).  Von  der 
Abnahme  eines  Gelübdes,  womit  in  neueren  Zeiten  die 
Konfirmation  leider  überladen  wurde,  ist  keine  Rede,  Die 
Verfasser  dieses  Ritus  sind  demnach  evangelischer  als  die 
gegenwärtigen  Theologen. 

Beim  Abschnitt  von  der  Kirchenzucht  ist  das  Vorbild 
des  Kölner  Reformationsentwurfes  befolgt,  in  welchem  zu- 
erst (1543)  Bucer  und  Melanchthon  ernstlich  die  Kirchen- 
zucht sich  zur  Aufgabe  machten,   nachdem    es  deutlich  ge- 


1)  In  Dänemark  ist  der  Chorrock  bis  heute  als  Meßhemd  mit 
rotem  Überwurf  beim  Altardienst  üblich. 

2)  Der  Konfirmationsritus  ist  dem  hessischen  nachgebildet,  wo 
man  zuerst  im  16.  Jahrhundert  denselben  wiederfindet. 

3)  Darüber  beschwert  sich  Chyträus  (Epp.  p.  858):  er  habe 
dieses  Stück,  sowie  das  von  der  Taufe  Erwachsener  u.  a.  m.  bis 
dahin  nicht  gesehen. 

4)  Agende,  S.  LIX— LXII. 


—    313    — 

worden,  daß  besonders  die  Zuchtlosigkeit,  mit  der  man  sich 
des  Sakramentes  bediente,  der  Reform  Schaden  brachte  i). 
Übertrafen  doch  die  Schweizer  die  Lutherischen  in  der 
Kirchenzucht  weit,  wie  solches  Luther  1538  bekannte. 

Unser  Urteil  über  die  Agende  geht  dahin,  daß  die 
österreichische  Kirche  nicht  verantwortlich  zu  machen  ist 
für  die  ceremonielle  oder  sogenannte  konservative  Haltung 
der  lutherischen  Kirche  überhaupt  und  noch  weniger  für 
das  Drängen  des  Landesfürsten  auf  möglichst  viele  Ceremo- 
nien.  Es  ist  aber  andererseits  zu  Gunsten  solcher  reicheren 
Liturgie  zu  bemerken,  daß,  nachdem  die  Predigt  in  den 
folgenden  Jahrhunderten  so  wenig  auf  der  Höhe  ihrer  Auf- 
gabe geblieben,  nämlich  zur  Buße  zu  mahnen,  ein  wenn- 
gleich kümmerlicher  Ersatz  in  der  Liturgie  geleistet  ward. 
Wo  die  Predigt  versagte  und  die  hungrigen  Seelen  durch 
dieselbe  nicht  mehr  mit  dem  Evangelium  Christi  aufgerichtet 
wurden,  da  hat  die  Liturgie  in  und  außerhalb  des  luthe- 
rischen Deutschland  (besonders  auch  in  Dänemark)  wichtige 
evangelische  Elemente  bewahrt  und  eine,  wenn  auch  immer 
sich  wiederholende  Predigt  von  Christo  und  der  Sünden- 
vergebung in  seinem  Blute  geboten. 

Zu  Anfang  des  Jahres  1570  ward  die  Verhandlung 
über  die  Agende  abgeschlossen,  an  welche  der  Kaiser  die 
Ausführung  der  Religionskonzession  oder  die  Gestattung 
freier  Religionsübung  geknüpft  hatte  (18.  August  1568;. 
Sie  wurde  von  den  Deputierten  dem  am  Hofe  weilenden 
Strein  nebst  einer  Präfation  übersandt,  behufs  endlicher 
Erlangung  der  Assekuration.  Strein  überreichte  sie,  nach- 
dem noch  etliche  Änderungen  vorgenommen,  dem  Kaiser 
zu  Prag  „in  dem  Oratorio"  am  Ostersonntag  des  Jahres 
1570.  Noch  einmal  wurde  die  Agende  durch  einen  eigenen 
Courier  an  Georg  Gienger  nach  Enns  zur  abermaligen  Begut- 
achtung gesandt.     Als  dessen  Bericht  eingelangt  war,  wurde 


1)  Vgl.  Varrentrapp,  Hermann,    von   Wied,    Z.  K.  G.  XX,  1. 
Heft,  S.  41. 


—    314    — 

sie  approbiert.  Gallus  erlebte  noch  die  Freude,  die  nalie 
bevorstehende  Ausfertigung  der  Asseknration  aus  einem 
Schreiben  des  Sigmund  Herrn  zu  Polhaim  (d.  d.  Prag, 
17.  April  1570)^)  zu  erfahren.  Dieser  Bericht  erwähnt, 
daß  die  Agende  für  beide  Erzherzogtümer  bewilligt  und 
„kais.  Majestät  dieselbe  gewiß  noch  vor  seiner  Abreise  nach 
Speyer  den  getreuen  Ständen  werde  zuschicken  lassen. 
Ist  nun  dieselb  der  heiligen  götlichen  schrifft  vnnd  der 
Augspurgerischen  Confession  gemäß  gesteldt,  so  wer  (wäre) 
dem  fromen  Khaiser  darumben  zu  dannckhen  vnd  auch 
wer  die  zeitlich  Auflag  ^)  desto  Leichter  zu  gedulden.  Wenn 
Ich  der  [Agende]  bekhomb,  solle  solche  dem  Herrn  vnuer- 
zogentlich  (unverzüglich)  zugeschickt  werden." 

Die  Asseknration  wurde  wirklich  noch  im  Mai  vor  der 
Abreise  des  Kaisers  von  Prag  den  Ständen  zuteil,  aber 
vorerst  „ungefertigt",  und  erst  hernach  gemäß  dem  Wortlaut 
des  ersten  Orginals  und  nur  mit  verändertem  Datum  pub- 
liziert^). Somit  giebt  es  eigentlich  zwei  Daten  für  diese 
wichtige  Schrift:  30.  Mai  1570  und  14.  Januar  1571.  Der 
Revers  der  beiden  Stände  ist  auch  erst  viel  später  erfolgt, 
und  bleibt  das  Datum  der  Fertigung  zweifelhaft.  In  dem- 
selben verpflichten  sie  sich,  keine  andere  Lehre  noch  Cere- 
monien,  als  in  der  A,  C.  und  der  Agende  enthalten  sind, 
in  ihre  Kirchen  einzuführen  oder  zu  dulden,  gegen  die 
Römisch-Katholischen  wegen  ihres  Glaubens  nichts  zu  unter- 
nehmen, sie  in  ihren  Kirchenübungen  nicht  zu  stören  und 
ihren    Geistlichen    am    Einkommen    nichts    zu    entziehen  ^). 


1)  E.  A.  Eccles.,  No.  XL,  Z.  20. 

2)  Die  dem  Kaiser  bewilligte  Geldsumme  (vgl.  L.  J.  Fitzinger, 
Versuch  einer  Geschichte  des  alten  niederösterr.  Landhauses,  Wien 
1869,  S.  16). 

3)  Vgl.  Kaupach  II,  S.  294,  und  Bibl,  Die  Organisation  des 
evangelischen  Kirchen wesens,  S.  48  ^160). 

4)  Die  Kopie  des  Eeverses  im  ß.  A.  I,  26,  Z.  250  hat  das  Datum 
Wien,  14.  Juni  1571,  nebst  einer  spitzen  Bemerkung. 


—    315     - 

Beide  Dokumente  haben  Raupach  und  Otto  gegeben ; 
die  Varianten  der  Regensburger  Abschrift  sind  unerheblich; 
ein  Original  besteht  nicht  mehr. 

Der  Aufschub  lag  in  allerlei  Gründen.  Vor  allem 
hatten  die  Stände  noch  ihr  Bedenken  wegen  des  Inhaltes 
der  Assekuration,  was  weitere  Verhandlungen  zur  Folge 
hatte.  Erstlich  urgierten  sie,  „daß  gemeldet  wurde,  daß  aller- 
lei Sekten  im  Lande  eingerissen,  deren  sie  sich  ihresteils 
nicht  teilhaftig  wissen ;  zum  andern :  dieweil  ihnen  allein 
in  ihren  eignen  Häusern  und  Gütern  der  Religionsgebrauch 
zugelassen,  daß  dadurch  die  Pfandschafter  und  ßestand- 
leut  ausgeschlossen  würden ;  zum  dritten,  daß  sie  sich  der 
Religion  in  ihren  Schlössern,  Häusern  und  Gütern,  doch  außer 
I.  M.  Stadt  und  Markt,  gebrauchen  sollen,  welches  darum 
beschwerlich,  dieweil  ihnen  in  ihren  Häusern  zu  Wien  zu 
predigen  hievor  zugelassen  und  hiedurch  wieder  eingestellt 
würde;  zum  vierten,  daß  in  der  Assecuration  weder  der 
Agenda  noch  des  Doctrinals  Meldung  beschehn". 

Während  die  Verhandlungen  zwischen  dem  Hofe  und 
den  Ständen  noch  schwebten,  zur  Zeit  der  Abwesenheit 
des  Kaisers  in  Speier  (Juli  1570),  erschreckte  die  Stände 
ein  brüskes  Eingreifen  des  Statthalters  Erzherzog  Karl, 
von  welchem  die  Stände  dem  Chyträus  Meldung  machen  i). 
Derselbe  hatte  ohne  Vorwissen  von  dem  den  Evange- 
lischen gemachten  kaiserlichen  Zugeständnis  einer  Druckerei 
ein  Patent  unter  dem  7.  September   erlassen,    mit  welchem 


1)  Vgl.  Eaupach,  Presbyteriologie,  II.  Nachlese,  S.  112.  Sie 
schreiben,  daß  u.  a.  vielen  Anfechtungen,  wodurch  die  Frucht  seiner 
Arbeit  gehindert  worden,  auch  diese  sei,  daß  „vns  auch  die  Druckerey 
bei  ainem  halben  Jar  gespert  gewest.  Dann  der  Sattan  hat  sich 
hoch  bemüet,  aber  Michel  wardt  stärckher,  also  daß  mit  Verleichung 
Göttlicher  Gnaden  die  Agenda  gleich  sub  prelo  gefertiget  ist." 

Über  die  Vorgänge,  welche  um  diese  Zeit  den  Druck  der 
Agende  und  das  Erscheinen  der  Assekuration  verhinderten,  hat  zu- 
erst Dr.  V.  Bibl,  Die  Organisation  des  evangelischen  Kirchenwesens 
im  Erzherzogtum  Österreich  unter  der  Enns  etc.,  Wien  1899,  S.  40  f. 
nach  dem  Cod.  No.  8314  der  k.  k.  Hofbibliothek  berichtet. 


—     316     - 

die    neu   eröffnete   Druckerei   in    der    Nähe    von    Stein    auf- 
gehoben   und    das    Druckerpersonal    in    festes    Gewahrsam 
gebracht    wurde.       Die     ständischen    Deputierten     erhoben 
sofort    Protest     gegen    diese     Maßnahmen     und     schickten 
sogar  einen    der  Ihrigen    nach    Speyer    auf   den  Reichstag, 
um   beim   Kaiser    die    Wiedereröffnung    der    Druckerei    zu 
bewirken,    damit  der  Druck   der  Agende    keinen    Aufschub 
leide.     Hier  leistete  ihnen  nun  Richard  Strein    wesentliche 
Dienste.     Trotz    der    bevorstehenden    Abreise    des    Kaisers 
gelang  es  ihm  auf  sein  „unaufhörlich  und  schier  etwas  un- 
gestümes   Anhalten"  ^),    die    Zustimmung    des    Kaisers    zur 
Fortsetzung  des  Druckes  und  zur  Abänderung  der  Assekura- 
tion  in  gewissen  Punkten  zu  erhalten.     Ausgenommen  war 
der  Punkt    der    Religionsfreiheit    in    den   Städten    und    das 
Doctrinal    (ein    protestantisches    Lehrbuch).      Strein    reiste 
nun  dem  Kaiser  nach,    indem  er  ihn  an  den  verschiedenen 
Rastorten    immer    wieder    aufs    neue    über    die    Angelegen- 
heit unterhielt.     Er  empfing  gnädige  Antworten  und  erfuhr, 
wie    gut    es  der  Kaiser   meinte.      Als    er   wieder    über    die 
zwei  noch    der  Erledigung  harrenden  Punkte    zu  Nürnberg 
mit   dem  Kaiser  ins  Gespräch    kam,    sagte    dieser    wörtlich 
folgendes:   „Strein,  ich  wüßte  der  Sachen  wohl  recht  zu  thun, 
wann  ich  euer,  meiner  getreuen  Unterthanen,  das  ihr  ohne 
das  erschöpft  seid,    nit  verschonet,    dann  wir  uns  kaum  vor 
dem  einen  feind  aufhalten  können ;  um  mein  Person,  glaubt 
mir,    darum    war    es    mir   nit    zu   thun."     In    diesen    denk- 
würdigen Worten  zeigt  sich  der  Kaiser  ganz    so,    wie  wir 
ihn  oben    kennen    gelernt ;    er  würde    wohl    leicht    die  Be- 
schwerden   der  Stände    zu    heben  wissen,    wenn  man  nicht 
ohnedies  genug  mit  dem  einen  Peind  (dem  Türken)  zu  thun 
hätte;     was  würde    es    nun  sein,    wenn    noch    andere  (der 
Papst  und  die  katholischen  Fürsten)  dazukämen  ?  Auf  seine 
Person  solle  es  ihm  dabei  nicht    ankommen.     Schon  Strein 
fügt  zu  diesen  Worten  hinzu,  sie  seien  wichtig,   „damit  auch 


1)  Schreiben  Streins  vom  14.  Januar  1571,  Cod.  8314,  p.  1  ff. 


—     317     — 

etwa  unsere  Nachkommen  sehen,  wie  gutherzig  es  I.  M. 
mit  uns  Österreichern  gemeint  hat,  gleichwol  der  Allmächtig- 
keit Gottes  in  dergleichen  Fällen  mehr  und  billicher  ge- 
traut, als  auf  alle  menschliche  Macht  gesehen  werden 
soll,  aber  Fleisch  ist  rieisch".  Er  meint,  der  Kaiser  wolle 
damit  den  Ständen  die  Lehre  geben,  doch  auch  ihrerseits 
in  solchen  Angelegenheiten  mehr  auf  Gottes  Allmacht  als 
auf  alle  menschliche  Macht  zu  sehen.  Alles  fernere  An- 
dringen Streins  führte  zu  nichts,  weil  Maximilian  sich  sehr 
klar  bewußt  war,  was  er  in  der  Konzession  vom  Jahre  1568 
bewilligt  hatte.  Die  Klausel  von  der  Zulassun:;  der  Religions- 
übung in  den  Städten  wollte  er  nun  einmal  nicht  zugeben, 
besonders  für  Wien  nicht;  so  sehr  er  auch  in  der  Praxis 
durch  die  Finger  sah,  wenn  gleichwohl  evangelischer  Gottes- 
dienst daselbst  gehalten  wurde  ^).  Soviel  aber  das  Doctri- 
nal  betraf,  so  konnte,  wie  Strein  an  die  Deputierten  be- 
richtet 2),  der  Kaiser  dasselbe  derzeit  nicht  in  den  Text 
der  Assekuration  aufnehmen,  sondern  erwarte  erst,  daß  es 
den  Universitäten  Wittenberg,  Rostock,  Tübingen  zur  Be- 
gutachtung zugesandt  und  ihm  dann  vorgelegt  werde. 
Schließlich  mußte  Strein  froh  sein,  kleine  Änderungen  in 
der  Assekuration  erreicht  zu  haben,  denn  schon  bald  er- 
hoben sich  neue  Wolken  am  Horizonte.  In  Linz  hatte  ein 
Losensteinscher  Prediger  den  Hofprediger  der  Königin  von 
Polen  gröblich  insultiert,  was  viel  Aufsehen  erregte  ^k  Im 
übrigen    hoffte    Strein    auf   die    Zukunft,    nämlich   auf   die 


1)  Alles  spätere  Zurückgreifen  der  Stände  auf  angebliche  Zu- 
geständnisse Maximilians,  welche  über  das  in  der  Assekuration 
Gewährleistete  hinausgingen,  mußte  notwendig  scheitern;  wo  eben 
nur  der  Buchstabe  galt,  nicht  aber  der  Geist  bei  der  Auslegung  der 
Assekuration,  —  da  zogen  die  Stände  notwendig  den  kürzeren,  es 
sei  denn,  daß  sie  Gewalt  angewendet  hätten.  Solches  hat  Bibl  in 
seinem  Werke.  „Die  Einführung  der  katholischen  Gegenreformation 
in  Niederösterreich  durch  Kaiser  Rudolf  II.  (1576—1580)",  Kap.  6 
klar  bewiesen 

2)  1.  c.  vgl.  Bibl,  Die  Organ,  d.  ev.  Kirchenwesens  etc.,  S.  45. 

3)  S.  Bibl,  a.  a.  O.  S.  46. 


—    318    — 

Neigung  des  Kaisers,  eine  andere  Assekuration  mit  günstiger 
Erledigung  obiger  zwei  Punkte  zu  bewilligen.  Der  Grund 
des  Zauderns  lag  übrigens,  wie  Strein  den  Ständen  offen 
sagte,  am  Kaiser  selbst.  Derselbe  habe  sie  „in  einer  Sorg 
erhalten"  wollen,  in  der  Hoffnung,  sie  dadurch  seinen  weiteren 
Forderungen  gefügig  zu  machen  und  etwaigen  Übergriffen 
bei  der  nunmehrigen  Ordnung  ihrer  Religionsangelegenheiten 
einigermaßen  zu  steuern  ^). 

Diese  Politik  des  Zauderns,  ein  altes  Übel  bei  Maxi- 
milian, tritt  auch  hier  hervor.  Durch  solches  Anstreben  einer 
Mittelstellung  zwischen  den  streitenden  Glaubensbekennt- 
nissen geschah  nichts  Ganzes  und  Entscheidendes,  ohne  daß 
man  sagen  darf,  Maximilian  habe  mit  welscher  Schlauheit  und 
diplomatischer  Kälte  gehandelt.  In  einer  Zeit  aber,  wo  ent- 
schiedene Parteinahme  und  energisches  Handeln  am  Platze 
war,  brachte  solche  Zauderpolitik  nur  Verwirrung  mit  sich 
und  verletzte  beide  Glaubensparteien.  Zwar  ist  er  niemals, 
wie  seine  Verwandten  in  Erankreich.  oder  in  den  Nieder- 
landen um  diese  Zeit,  gewaltthätig  vorgegangen.  Es  ehrt 
ihn  vielmehr,  daß  er  die  Gewaltthat  in  Religionssachen 
höchst  verwerflich  fand  und  sich  als  Gott  verantwortlich 
für  seine  Thaten  fühlte.  Dennoch  aber  hätte  er  in  den 
eigenen  Ländern  unmittelbar,  in  den  Ländern  seiner  Brüder 
mittelbar,  wohl  der  Wucht  der  protestantischen  Strömung 
nachgeben  dürfen,  um,  falls  er  nur  um  seine  eigene  Person 


1)  Dieses  gleiche  Motiv  wird  Maximilian  auch  zugeschrieben 
in  einem  Briefe  Urbans  von  Passau  an  J.  J.  von  Salzburg  vom 
23.  Nov.  1671.  Derselbe  berichtet  von  zwei  Audienzen  bei  Maxi- 
milian und  hebt  die  Einschränkungen  hervor,  welche  der  Kaiser  in 
der  Unterredung  gemacht,  u.  a.  die  Jurisdiktion  der  Bischöfe  werde 
er  nie  antasten  lassen,  die  Agende  sei  hauptsächlich  gegen  die  sek- 
tischen Prediger  zu  benutzen,  damit  solche  abgeschafft  werden  könn- 
ten. Maximilian  sähe  —  und  das  glaubte  er  ihm  —  in  dem  ganzen 
Handel  eine  Machtfrage ;  ähnlich  wie  1566  in  dem  Handel  mit  dem 
Kurfürsten  (Friedrich  IH.  von  der  Pfalz),  so  hier  gegenüber  den 
Ständen  (Hopfen,  a.  a.  O.  S.  358). 


-     319    — 

und    Familie    weniger   besorgt    gewesen,    sich    den    ewigen 
Dank  der  Mitlebenden  wie  der  Nachwelt  zu  erwerben  ^j. 

Die  offizielle  Ausfertigung  mit  des  Kaisers  Unterschrift 
und  Siegel  haben  wir  auf  den  14.  Januar  1571,  und  zwar 
von  Prag  aus,  zu  stellen.  Strein  nahm  die  Urkunde  ent- 
gegen, zugleich  mit  einem  Dekret,  in  welchem  ihm  mitgeteilt 
wurde,  daß  dem  Ansuchen  wegen  Abfassung  eines  Doctrinal 
unter  obigen  Beschränkungen  willfahrt  werden  würde.  Diese 
hochwichtige  Angelegenheit  verlief  in  aller  Stille.  Nur  die 
Stände  erfuhren  davon. 


1)  Eins  der  interessantesten  Zeugnisse  für  Maximilians  hohe 
Denkungsweise  bietet  ein  Schreiben  desselben  an  Lazarus  Schwendi ; 
s.  Janko,  Lazarus  Schwendi,  1871,  S.  94: 

„Leider  (daß  es)  auf  dieser  Welt  dermaßen  zugeht,  daß  einer 
dabei  wenig  Lust  und  Ruhe  hat ;  aber  Widerwärtigkeit,  Untreu,  Unehr- 
barkeit  ist  überall  vollauf.  Ja  es  wäre  kein  Wunder,  daß  einer  bei 
diesem  Wesen  gar  blitzblau  und  toll  würde,  davon  viel  zu  schreiben 
wäre.  So  viel  die  unredliche  That,  so  die  Franzosen  mit  dem 
Admiral  und  den  Seinigen  tyrannischer  Weise  erzeigt  haben,  be- 
rührt, die  kann  ich  gar  nicht  loben  und  hab  es  mit  herzlichem 
Leid  vernommen,  daß  sich  mein  Tochtermann  zu 
einem  solchen  schändlichen  Blutbad  hat  bereden 
lassen.  Doch  weiß  ich  so  viel,  daß  mehr  andere  Leute 
als  Er  Selber  regieren  ....  Wollte  Gott,  er  hätte  mich  um 
Eat  gefragt,  und  Gott  verzeihe  denen,  so  daran  schuldig  .  .  .  Und 
ist  in  der  Wahrheit  nichts  anderes,  als  wie  Ihr  vernünftig 
schreibt,  daß  Religionssachen  nicht  mit  dem  Schwerte 
gerichtet  sein  wollen  und  behandelt  werden.  Kein  Ehr- 
barer, Gottesfürchtiger  und  Friedliebender  wird  es  anders  sagen  .  .  . 
Was  aber  das  niederländische  Werk  betrifft,  das  kann  ich 
gleich  so  wenig  loben.  Ich  hätte  es  gern  gesehen,  daß  diese  Länder 
nicht  so  jämmerlich  wären  verderbt  worden  ...  In  Summa,  Spa- 
nien und  Frankreich  machen  es,  wie  sie  wollen,  so  werden  sie 
es  gegen  Gott,  den  gerechten  Richter,  verantworten  müssen.  Ich 
will,  ob  Gott  will,  für  meine  Person  ehrbar,  christlich,  treu  und 
aufrichtig  handeln.  Und  wenn  ich  das  thue,  bekümmere  ich  mich 
um  diese  böse  heillose  Welt  gar  nichts."  Nach  Cratos  Oratio  fune- 
bris  de  Divo  Maxaemiliano  IL  p.  16  erklärte  er  dem  Bischof  von 
Olmütz :  er  halte  es  für  eine  der  größten  Sünden,  über  die  Gewissen 
herrschen  zu  wollen. 


—     320     — 

Freilich  erging  die  Bewilligung,  entgegen  den  Hoff- 
nungen des  Herrn  von  Polhaim,  nur  an  das  Erzherzogtum 
unter  der  Enns.  Die  armen  oberösterreichisclien  Stände 
gingen  leer  aus.  Sie  erhielten  trotz  aller  Bemühungen 
keine  Religionskonzession,  und  alle  Zugeständnisse  waren 
nur  kraft  mündlicher  Zusage,  und  nicht  verbrieft  und 
versiegelt.  Neben  dem  Adel  freilich  wurden  hier  auch 
die  sieben  Städte  der  Zugeständnisse  stillschweigend  teil- 
haftig 1).  Der  Adel  verfaßte  zwar  selbständig  eine  Petition 
um  eine  besondere  Konzession  des  evangelischen  Gottes- 
dienstes, aber  die  Städte  waren  nicht  für  ein  gemeinsames 
Vorgehen  zu  haben.  Der  Adel  ließ  nun  an  Maximilian 
eine  eigene  Agende  gelangen,  aber  noch  in  seinem  Todes- 
jahr am  9.  März  1576  ward  den  oberösterreichischen  Ständen 
der  Gebrauch  einer  aparten  Agende  abgeschlagen  und  ihre 
Vereinigung  mit  den  niederösterreichischen  empfohlen.  Sie 
weigerten  sich  dessen,  weil  ihnen  die  niederösterreichische 
Agende  zu  viel  Ceremonien  enthielt.  Noch  ein  zweiter 
Versuch  in  dieser  Richtung  blieb  ebenso  fruchtlos.  Auf 
dem  Landtage,  im  April  1576,  wurde  die  Beratung  einer 
Kirchenordnung  nochmals  zur  Hand  genommen,  welche  der 
Prediger  Georg  Khun  entworfen  hatte  ^j.  Nachdem  Sig- 
mund von  Polhaim  dieselbe  einer  besonderen  Revision 
unterzogen  hatte,  wurde  sie  nach  Wien  gesandt.  Den  An- 
tragstellern wurde  aber  darüber  keine  Antwort  erteilt.  Die 
endgiltige  Publikation  einer  Kirchenordnung,  und  zwar 
namens  der  drei  evangelischen  Stände  (Herren,  Ritterschaft 
und  Städte),  datiert  vom  5.  September  1578  ^).  Eine  ober- 
österreichische Agende  wurde  erst  1617  in  Tübingen  ge- 
druckt,   ist    aber   nie    genehmigt  oder  Gemeingut  geworden 


1)  Oberleitner,   a.  a.  O.  S.  22  und  ausführlicher  Otto,  a.  a.  O. 
S.  25  ff.,  55  ff. 

2)  Vgl.  Oberleitner,  S.  31. 

3)  S.  Oberleitner,   S.  80  f.;    vgl.   Chyträi  Epp.  1183;   Eaupach 
II,  S.  312  f.     Sie  enthält  nur  kurze  Normen  für    das  Notwendigste. 


-     321     ~ 

und  überaus  selten;  keinesfalls  ist  sie  von  Khun  verfaßt^). 
Im  Landhaus  galt  die  Agende  von  Veit  Dietrich,  in  den 
anderen  Gemeinden  die   bisher  üblichen. 

Die  niederösterreichischen  Stände  richteten  sich  nun 
auf  Grund  ihrer  Agende  häuslich  ein  und  reinigten  ihre 
Besitztümer  auf  dem  Lande  und  in  den  Märkten  von 
katholischen  Gebräuchen.  Die  Pfarrer,  wenn  sie  sich  nicht 
zur  Augsburgischen  Konfession  bekennen  wollten,  wurden 
durch  evangelische  ersetzt,  und  die  Herren  selber  nahmen 
nun  das  Kirchenregimeut  in  die  Hand  als  magistratus  und 
dazu  vom  Kaiser  bevollmächtigte  oberste  kirchliche  Be- 
hörde. Die  Agende  erkennt  besonders  im  Artikel  von  der 
Kirchenzucht  die  „Religionsdeputierten"  als  oberste  Instanz 
in  Kirchensachen  an.  Von  den  zwei  Ständen  der  Herren 
und  Ritterschaft  wurde  auch  die  Vorrede  zur  Agende  er- 
lassen. Für  diese  zwei  Stände  wurde  auch  im  Kirchen- 
gebet (Agende  No.  X)  gebetet. 

Der  Lärm  seitens  der  Katholischen  nach  der  Aus- 
fertigung war  ein  gewaltiger.  Der  Passauer  Offizial  Halden- 
berger  hatte  rasch  davon  Kenntnis  erhalten  und  bat  am 
13.  Februar,  man  möge  der  Agende  nicht  die  Kraft  bei- 
legen, Superintendenten  und  Konsistorien  errichten  zu 
dürfen,  vielmehr  diese  Agende  abschaffen  ^).  Schon  am 
26.  Oktober   1569  hatte  Philipp  IL  von  Spanien    über  An- 


1)  Eaupach  IV,  S.  393  ff.  Da  M.  Georg  Khun,  erster  Landhaus- 
prediger in  Linz,  einen  Haupteinfluß  hatte,  der  Graz  wegen  seiner 
Opposition  gegen  Chylräi  Kirchenordnung  verlassen  mußte,  so  ist 
offenbar,  daß  der  Einfluß  der  flacianischen  Richtung  in  Ober- 
österreich nicht  unbedeutend  war,  wie  denn  auch  Haubold  und  zeit- 
weise J.  F.  Cölestin  zu  jener  Zeit  in  Eferding  waren.  An  der  Spitze 
dieser  Richtung  standen  Rüdiger  von  Starhemberg  und  Sigmund 
von  Polhaim,  welche,  wie  Oberleitner  mitteilt,  ihre  Geistlichen  gegen 
jeden  Verdacht  des  Manichäismus  d.  h.  des  Flacianismus   schützten. 

2)  Klosterratsakten  bei  Wiedemann,  I,  367.  Bischof  Urban 
von  Passau  (Hopfen,  a.  a.  O.,  S.  358)  giebt  schon  im  November  1571 
die  damalige  Zahl  der  evangelischen  Pfarrer  auf  125  an,  die  der 
kathoUschen  auf  500.  So  rapid  hatte  sich  die  Zahl  der  Pfarrer  gehoben. 

21 


—    322     — 

reeuno;  seines  Gresanclten  ein  scharfes  Schreiben  an  Maxi- 
milian  gerichtet,  doch  seine  Bemühungen  waren  vergebens. 
Der  Kaiser  antwortete  höflich,  ließ  sich  aber  nicht  von 
seinem  Vorsatz  abbringen.  Philipp  selbst  hätte  besser  ge- 
than,  Maximilians  Beispiel  den  Niederländern  gegenüber  zu 
folgen,  als  in  Osterreich  abzumahnen.  Dann  hätte  er  dem 
Aufstand  (1572)  vorgebeugt  und  die  reichen  Provinzen  des 
Nordens  behalten. 

Eine  Wohlthat  für  die  österreichische  evangelische 
Kirche  war,  daß  die  Aufnahme  der  Agende  auf  geringeren 
Widerstand  stieß,  als  zu  erwarten  war.  Abgesehen  von 
dem  S.  300  angegebenen  Widerstand  gewisser  Adeliger, 
opponierten  hauptsächlich  Theologen. 

Magdeburgius  mit  seinem  Anhang  verhielt  sich  ruhig, 
obschon  er  sich  fünf  Jahre  früher  übel  genug  gegen  Reuter 
ausgelassen  i)  und  denselben  überhaupt  in  Briefen  an  Gallus 
verklagt  und  geschmäht  hatte,  —  worüber  Reuter  noch 
1568  sich  bitter  ausläßt.  Auch  Waldner  lehnt  in  einem 
Brief  an  Reuter  vom  9.  Mai  1573  ^)  alle  Gemeinschaft  mit 
jenen  ab,  welche  sich  verwerfend  über  die  Agende  geäußert 
hätten.  Die  zwei  Stände,  82  Mitglieder  an  der  Zahl,  er- 
klärten am  3.  Febr.  1572  feierlich,  daß  sie  die  Agende  un- 
geachtet aller  Mängel,  die  jetzo  dawider  von  etlichen 
eingekommen,  nach  wohlbedächtiger  Beratschlagung  an- 
genommen, bei  ihren  Kirchen  ins  Werk  richten  und  dabei 
bleiben  wollten^). 


1)  Vgl.  „die  notdürftige  Erinnerung  an  den  christlichen  Leser" 
hinter  seinem  Bekenntnis  v.  J.  1566,  woselbst  Magdeburgius  besonders 
Reuter  vorwirft,  er  habe  wegen  des  Wuchers  seine  Unterschrift  zu- 
rückgezogen, um  seinen  Patronen  hierin  zu  Willen  zu  sein. 

2)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  84. 

3)  Bibl,  a.  a.  O.  S.  73.  Am  19.  November  1571  war  bereits 
eine  dringende  Zuschrift  der  Deputierten  an  die  Stände  ergangen 
mit  dem  Ersuchen,  falls  sie  oder  ihre  Prädikanten  in  der  Agende 
„einige  Irrung  oder  Mängel"  fänden,  dieselben  „inner  vier  Wochen 
rückhaltslos  und  vertraulich  zu  vermelden"  und  auf  ihre  Prädikanten 


—     323     - 

Insbesondere  zwei  aus  Magdeburg  Vertriebene  aber, 
Wilhelm  Eccius  und  M.  Peter  Eggerdes  ^)  widersetzten  sich 
der  Agende  überhaupt,  die  ihnen  ein  Rückfall  zu  sein 
schien,  im  Widerspruch  mit  Galater  2  Vers  18,  —  eine 
Stelle  die  auch  Gallus  öfters  citierte,  um  vor  unnötigen 
Ceremonien  zu  warnen.  Reuter  klagte  bereits  am  21.  Okt. 
1568  über  sie  an  Gallus  und  erwähnte,  daß  auch  5 — 6  von 
seinen  Herren  ^)  gegen  die  Agende  wegen  der  zu  erwarten- 
den Ceremonien  seien.  Auch  die  Evangelischen  von  St. 
Polten  wollten,  wie  er  bemerkt,  „Meßgewandt  vnd  lichter 
nimmer  annehmen". 

Eggerdes,  der  ehemalige  Gothaer  Superintendent,  und 
Eccius  verbanden  sich  mit  Philipp  Barbatus  ^j,  von  ihren 
bisherigen  kirchlichen  Gebräuchen  nicht  zu  weichen.  Sie 
richteten  eine  ausführliche  Streitschrift  gegen  die  Agende, 
wurden  jedoch  mit  Spott  zurückgewiesen.  Es  erging  eine 
Gegenschrift  unter  dem  Titel :  „An  die  hocherleuchten 
Mennern  vnd  Ausbund    aller  Frösche,    so  wider    die  Öster- 


dahin  zu  wirken,  daß  sie  sich  inzwischen  aller  Disputation  und  i^n- 
griffe  auf  dieselbe  enthalten  möchten.  Die  Antworten  der  Herren 
und  Prediger  hat  der  Kopist  in  diesem  Zusammenhange  mitzuteilen 
unterlassen.  Daß  Eeuter  allein  zu  Rate  gezogen  war,  verstimmte 
wohl  am  meisten,  wie  auch  Chyträus  meint. 

1)  S.  Preger  II,  S.  246.  Beide  wollten  sich  nicht  zur  Befolg- 
ung des  „Lüneburger  Mandats",  das  der  Hat  angekündigt  verstehen 
und  agitierten  mit  Heshus  dagegen,  weshalb  sie  ausgewiesen  wurden. 

2)  Mach  dem  Cod.  8314  der  k.  k.  Hofbibliothek  Fol.  22  wurde 
an  37  Herren  die  erwähnte  Zuschrift  gerichtet. 

3)  Diesen  Philipp  Barbatus  brachte  Thomas  Molitor  mit  nach 
Augsburg  und  empfahl  Ihn  an  Jonas  Frankus,  der  ihn  dem  Herrn  von 
Celting  (Zelking)  zuführte,  von  dem  er  „zur  Versorgung  der  Kirchen 
und  seiner  Unterthanen"  nach  iSyrendorf  berufen  und  behufs  Examens 
und  Ordination  nach  Eegensburg  gesandt  wurde,  versehen  mit  einem 
Schreiben  des  genannten  Frankus  vom  7.  Juli  1566  (R.  A.  Eccles., 
No.  III,  Z.  12).  Er  wurde  später  des  letzteren  Schwiegersohn  und 
schrieb  auch  eine  Auslegung  des  lutherischen  Katechismus,  die  ins 
Slovenische  übersetzt  wurde  (Jb.  der  Ges.  f.  Gesch.  des  Prot.,  1901. 
I  u.  II,  S.  54).    Eccius  schrieb  eine  Confutation  des  Koran. 

21* 


—    324     - 

reichische  Agenda    das  neheste  Jar  geköket   haben  (Egger- 
des,  Eck  und  Barbatus).     Anno  MDLXXIL" 

Der  Inhalt  der  Streitschrift,  welche  jene  drei  tüchtigen 
Prediger  —  vielleicht  auch  mehrere  —  verfaßten,  ist  nur 
indirekt  aus  dem  Briefe  Chyträi  i)  „an  die  Prediger  in 
Österreich"  zu  entnehmen.  Jenen  Kritikern  war  schon 
obenan  mißfällig,  daß  die  Deputierten  die  Agende  mit  dem 
Kaiser,  der  kein  Glied,  sondern  ein  Gegner  der  wahren 
Religion  sei,  vereinbart  hätten  und  daß  Gebete  für  ihn  vor- 
geschrieben seien.  Ferner  tadelten  sie,  daß  in  dieser  Agende 
die  sonst  in  solchen  Kirchenordnungen  übliche  Antithese 
gegen  den  Papst  oder  andere  Irrlehren  (sectae)  fehle. 
Auf  letzteren  Einwand  konnte  Chyträus  mit  Recht  erwidern, 
daß  es  sich  hier  um  eine  Agende ,  also  um  Riten  und 
Ceremonien,  nicht  aber  um  ein  Lehrbuch  oder  Doctrinale 
handle.  Er  verwies  darauf,  er  habe  selbst  gewünscht  2), 
daß  ein  solches  Buch,  in  welchem  Bezug  auf  die  Apologie, 
die  Loci  theologici  (Melanchthons),  die  schmalkaldischen 
Artikel  genommen  wäre,  unter  Widerlegung  des  Papstes 
und  anderer  Sekten,  publiziert  würde,  was  aber  auf  spätere 
Zeiten  vertagt  worden  sei,  und,  wie  wir  hinzufügen,  glück- 
licherweise nie  ins  Leben  getreten  ist.  Eerner  bemängeln 
jene  Kritiker  der  Agende  in  dem  Stück  von  der  Beichte,  daß 
hier  in  den  gestellten  Prägen  auf  den  guten  Vorsatz, 
sich  zu  bessern,  Nachdruck  gelegt  werde,  was  auf  die  nova 
obedientia  (den  neuen  Gehorsam)  führe  und  mit  Luther  und 
der  A.  C.  streite.  Hierauf  erwidert  Chyträus,  daß  Melan- 
chthon  in  der  Apologie  vom  neuen  Gehorsam  rede,  womit 
freilich  die  Sache  nicht  abgethan  war.  Dieser  „neue  Ge- 
horsam" hat  höchst  verwirrend  in  der  Kirche  gewirkt. 


1)  Epp.  p.  964  ff. 

2)  Diesen  Wunsch  äußert  er  auch  Epp.  p.  448  dem  Camerarius 
gegenüber  und  •wiedermn  1574  vor  seiner  Rückreise  aus  Steiermark. 
Daß  sein  Lehrbuch  nicht  angenommen  ward,  machte  ihm  bleibenden 
Kummer. 


-     325     - 

Weiter  behaupten  sie ,  die  Agende  lehre,  daß  gute 
Werke  nötig  seien,  das  Heil  zu  erhalten  ( majoristisch),  was 
Chyträns  verneint.  In  der  Handauflegung  bei  der  Kon- 
firmation sehen  sie  einen  römischen  Usus  ;  auch  wird  über 
die  Beibehaltung  des  Namens  Messe  sowie  der  Lichter  und 
des  Chorrockes  geklagt ,  was  Chyträus  in  jenem  Briefe 
richtig  zu  stellen  oder  zu  erklären  sich  bemüht.  Endlich 
klagt  (Epp.  p.  973)  ein  Kritiker  darüber,  daß  die  potestas  ex- 
communicandi  in  letzter  Instanz  den  evangelischen  Religions- 
verordneten  zur  Cognition  vorgelegt  werden  solle  —  womit 
also  ein  fremdes  Element  in  diesen  rein  L.irchlichen  Akt 
hineinkäme.  Damit  ist  die  alte  These  des  Flacius  und 
seiner  Genossen,  die  bereits  in  den  Thüringer  Wirren  auf- 
gestellt ward  —  daß  nämlich  die  Zucht  rein  Sache  der 
Kirche  sei,  wieder  erneuert.  Chyträus  vertritt  dem  gegen- 
über das  Staatskirchentum. 

Wir  sehen,  daß  jene  Gegner  recht  schwerwiegende  Be- 
denken gegen  die  Agende  hatten.  Sie  waren  in  ihren  Zielen 
durchaus  klar;  sie  wollten  die  reine  Lehre  bis  ins  Einzelne 
auch  in  der  Agende  durchgeführt  wissen,  und  da  das  Doc- 
trinale  noch  fehlte,  hielten  sie  sich  an  die  Agende,  um  ihren 
Widerspruch  auch  bei  diesem  x4.nlaß  zur  Kenntnis  zu  bringen. 
Es  war  derselbe  Standpunkt,  welchen  Gallus  und  Reuter 
bei  den  Vorbereitungen  der  Agende  eingenommen  hatten ; 
und  es  bewog  sie  der  alte  Gegensatz  gegen  den  nicht  un- 
verdächtigen Chyträus  zu  solcher  Kritik.  Immer  aber 
waren  solche  Angriffe  für  die  Zeit  inopportun  und  hinderten 
ein  Werk,  das  für  Österreich  unerläßlich  war  und  vom 
Kaiser  und  der  Majorität  bereits  gutgeheißen  worden.  Da 
nun  Eccius  sogar,  der  Agende  wegen,  seine  Gemeinde  in 
den  Bann  that,  Eggerdes  aber  dem  Landmarschall  Rogen- 
dorff  samt  seiner  Familie  und  Dienstleuten  aus  demselben 
Grunde  das  Sakrament  verweigerte,  so  wurden  beide  ihres 
Amtes  entlassen.  Eggerdes  ward  1578  Prediger  in  Ant- 
werpen und  blieb  bis  ans  Ende  seines  Lebens  Andreas 
Feind.     Später   mußte    nochmals    ein    Prediger   wegen    der- 


—     326     — 

selben  Renitenz  gegen  die  Agende  entlassen  werden  und 
drei  andere  widerriefen,  worüber  der  Cod.  8314  berichtet  ^). 

Ungern  aber  sehen  wir  diese  Männer  aus  dem  Lande 
scheiden.  Sie  sind  die  Nachfolger  des  Flacius  und  Gallus, 
die  keine  Konzessionen  aus  Opportunismus  machten.  Sie  per- 
horrescieren  einen  Mann  wie  Andrea,  und  Wilh.  Eccius  warf 
dessen  Buch,  welches  der  Schlichtung  der  Gegensätze  dienen 
sollte,  von  sich,  worüber  Lucas  Osiander  aus  Tübingen  in 
einem  Briefe  an  Polycarp  Leyser  sich  beklagt  ^j. 

Solche  Leute  also  verwerfen  wir  nicht ;  bei  ihrer  Kritik 
der  Agende  hatten  sie  recht.  Und  Begeisterung  für  die 
Agende  hat  sich  in  der  That  niemals  in  Österreich  gezeigt. 
Noch  um  1600  finden  sich  Ortschaften,  wo  sie  nicht  an- 
genommen war^). 

Die  Agende  wurde  sodann  dem  eigens  dazu  nach 
Wien  aus  Eferding  berufenen  Johann  Friedrich  Cölestin 
vorgelegt,  der  im  Auftrag  der  Religionsdeputierten  unter 
Mitwirkung  Reuters  eine  Apologie  verfaßte,  mit  Zustimmung 
der  kaiserlichen  Räte'^).  Glücklicherweise  wurde  aber 
diese  Apologie  auf  Chyträi  Wunsch,  obwohl  er  sie  billigte, 
nicht  veröffentlicht  und  damit  Streit  vermieden  ^).    In  seinem 


1)  Vgl.  Bibl,  Die  Organisation  des  evang.  Kirchenwesens  in 
Österreich,  S.  79. 

2)  Raupach,  Presbyteriologie,  S.  29  Note. 

3)  S.  Eaupach  1,  122 f.;  Chyträi  Epp.,  p.  46;  Otto,  a.  a.  O.  S.  51. 
Den  gleichen  Protest,  der  sich  sogar  auf  die  Assekuration  Maximilians 
erstreckte,  äußert  der  Übersender  derselben,  und  zwar  noch  mn  die 
nämliche  Zeit,  als  die  Assekuration  den  Ständen  ziun  ersten  Male 
zuteil  wurde  (1570).  Er  begleitet  den  Text  mit  bitteren  Bemerkungen, 
die  dem  Verständnis  des  Gallus  und  seiner  Freunde  dienen  sollen. 
Unter  Berufung  auf  Luther  wird  abgelehnt,  daß  für  die  christliche 
Kirche  in  Österreich  ein  „Assecurator",  wie  es  der  König  von  Eng- 
land (defensor  fidei)  sei,  zuträgUch  sein  könne.  Er  tröstet  sich  dagegen 
mit  Ps.  93,  4  u.  2,  10  (E.  A.  Eccles.  I,  No.  26  Z.  251). 

4)  Über  diese  Apologie  s.  Brief  Reuters  an  Waldner,  d.  d. 
Stein,  20.  Juni  1573  (R.  A,  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  96). 

5)  Vgl.  Chyträi  Epp.,  p.  224  u.  Otto,  a.  a.  O.  S.  50.  Pfarrer 
Kühne  kritisiert  in   seiner   Schrift :   „Die   Häuser  Schaunberg  und 


—     327     — 

Brief  an  Cölestin  finden  sich  scharfe  Worte  gegen  die 
"Wittenberger  und  Tübinger  Akademie  ^). 

So  kam  denn  der  Kampf  wider  die  Agende  gegen 
Ende  des  Jahres  1574  aus  Mangel  an  Brandstoff  zur  Ruhe, 
und  Chj'träus  konnte  einem  Greistlichen  in  Wittenberg  mit- 
teilen:  Der  Streit  sei  zum  großen  Teil  beruhigt,  wie  er 
vernommen  habe  ^).  Das  Gleiche  bestätigt  ein  Brief  der 
Herren  Leopold  Grabner  und  Wolf  Christoph  von  Enzersdorf 
an  Chyträus  folgenden  Inhaltes  ^j : 

Seine  Nachrichten,  daß  man  seine  „Kirchenordnung" 
hierorts  in  einen  beschwerlichen  Mißverstand  gezogen  habe, 
was  ihm  zur  Verkleinerung  gereiche,  seien  falsch.  Die 
Agende  sei  vielmehr  von  der  Majorität  der  beiden  Stände 
angenommen  und  wird  „in  der  beiden  Stände  Kirchen, 
Schlössern,  Häusern  und  Gebieten  wirklich  gebraucht, 
wie  sie  denn  auch  Sr.  Majestät  einen  Revers  ausgestellt 
haben,  daß  sie  diese  Agende  wirklich  benutzen.  Wenn 
auch    einer    oder    der    andere    Adelige    aus    Anreizung    der 


Starhemberg",  S.  23  den  hervorragenden  Gelehrten  J.  F.  Cölestin, 
welchen  auch  Chyträus  in  dem  oben  erwähnten  Brief  höchst  günstig 
beurteilt,  ungerecht  und  flüchtig.  Nachdem  er  Deutschland  1573  ver- 
lassen, stand  Cölestin  im  Dienste  Rüdigers  von  Starhemberg  in  Efer- 
ding.  Von  dort  ging  er  mit  kaiserlicher  Bewilligung  (s.  Bibl,  S.  96) 
nach  Wien,  woselbst  er  in  den  Dienst  der  evangeUschen  Stände 
trat  und  im  Frühjahr  1578  im  kräftigsten  Mannesalter  starb.  Von 
Leyser  und  dessen  Anhang  ist  er  natürlich  verleumdet  worden 
(Leyser,  Sylloge  epp.  Leipzig  1706,  S.  238—240);  auch  Raupachs 
Nachrichten  über  ihn  in  der  Presbyterologie  (S.  18)  sind  teils  irrig, 
teils  parteiisch. 

Sein  Bruder  Georg  war  Professor  in  Frankfurt  a.  d.  Oder,  den 
Chyträus  auf  seiner  Reise  nach  Österreich  besuchte  und  der  auch 
später  als  Superintendent  von  den  Ständen  in  Aussicht  genommen, 
dann  aber  doch  wieder  fallen  gelassen  wurde. 

1)  Von  den  Wittenbergern  sagt  er :  es  gefiele  ihnen  nichts,  was 
von  ihm  und  Cölestin  ausgehe.  Die  Tübinger  verspottet  er  ob  ihrer 
Abendm  ahlslehre. 

2)  Epp.  p.  150. 

3)  Loserth,  Die  Beziehungen  der  steiermärkischen  Landschaft 
etc.,  S.  38. 


—    328     - 

zänkischen    Prädikanten    einige    Mängel    darin    findet,      so 

hoffe    man    auch    sie    auf   guten  Weg  zu  bringen " 

(Wien  1574,  Jan.   16.) 

Nachdem  am  12.  Oktober  1576  für  den  Protestantis- 
mus durch  Maximilians  Tod  die  Hoffnung  auf  endlichen 
Sieg  abgeschnitten,  so  galt  es  jetzt  nur  noch,  die  Reste  zu 
sammeln.  Und  das  geschah  unter  Gottes  Beistand.  Das 
Kirchenschiff  hatte  gegen  den  Wind  zu  segeln.  Der  neue 
Kaiser  stand  gänzlich  auf  Seiten  des  alten  Glaubens,  hielt 
sich  aber  bei  seiner  Jugend  vornehmlich  an  die  alten  Rat- 
geber Maximilians,  die  den  Vermittlungs-  und  Toleranzideen 
zugethan  waren.  Weit  entschiedener  katholisch  war  sein 
Bruder  Erzherzog  Ernst. 

Die  Hoffnungen,  die  man  protestantischerseits  allgemein 
auf  Rudolf  setzte,  waren  groß,  und  die  Lage  der  Dinge 
war  nicht  ungünstig.  Georg  Eder  schreibt  am  1.  Januar 
1577  an  den  Oberhofmeister  Adam  von  Dietrichstein:  „Das 
religionwesen  ist  alhie  in  20  jaren  übler  nie  gestanden 
alls  eben  jetzo.  Außer  des  hauffleins  so  die  frummen 
heiligen  vatter  der  societas  Jesu  bis  an  hero  auffgehalten, 
ist  es  alles  gefallen.  Die  sacramenta  werden  nicht  mehr 
bei  der  haupt  und  pfarrkirchen,  sondern  alle  im  ]andhaus 
gesuecht  und  prophaniert.  Also  das  bei  S.  Steffan  etwa  ain 
gantz  monat  über  zwai  kinder  nit  zur  tauff  gebracht  worden. 
Unserer  lieben  voreitern  stiften  gehe  alle  zueboden,  die 
einkhummen  ziehen  die  burger  an  sich  und  fachen  allge- 
mach an,  was  zue  dem  catholischen  gotzdienst  gewidmet, 
auf  die  neue  religion  zue  wenden.  Darunder  wirt  der 
clerus  auch  verfiert,  das  auch  die  hauptkirch  in  kurz  zue 
ainer  wuesten  werde,  et  haec  nemo  considerat^)". 

Bei  der  Erbhuldigung  am  1.  Okt.  1577  versuchten  die 
zwei  Stände  ihre  Bedingungen  zu  stellen  und  besonders 
die  Assekuration  Maximilians  auf  Städte  und  Märkte  zu 
erstrecken,  was  aber,  wie  oben  nachgewiesen  worden,  nicht 


1)  S.  Hopfen,  Maximilian  II,  S.  375. 


-     329    — 

bewilligt  wurde.  Es  zeigten  sich  jetzt  die  Folgen  jener 
Halbheit  Maximilians.  In  den  Städten,  die  eben  nicht  in 
die  Assekuration  Maximilians  einbegriffen  waren,  ward  die 
Predigt  des  Evangeliums  verboten.  Was  in  Wien  geschah,  ge- 
schah auch  an  anderen  Orten;  so  in  Brück a.d.Leitha,  worüber 
wir  eine  ausführliche,  geradezu  typische  Darstellung  in  dem 
Werke  des  Stadtschreibers  Georg  Khirmair  ^)  besitzen.  Die 
Kräfte  des  Protestantismus,  so  bedeutend  sie  auch  waren,  zer- 
splitterten sich.  Geteilt  konnte  man  nicht  siegen.  Und 
doch  war  noch  1575  der  Wiener  Stadtrat  mit  Ausnahme 
von  zwei  oder  drei  Mitgliedern  ganz  protestantisch  ^). 

An  der  Hochschule  herrschte  die  protestantische  Partei, 
welcher  erst  im  Jahre  1579  ein  energischer  Gegner  in  der 
Person  des  Kanzlers  Kiesel  ^)  erstand.  So  konnten  die 
Protestanten  in  Wien  es  versuchen,  beim  Erzherzog  Ernst 
sich  einen  neuen  Predikanten  zu  erzwingen.  Am  19.  Juli 
des  Jahres,  als  der  Erzherzog  aus  der  Kirche  zurückkehrte, 
wurde  er  von  etlichen  kniefällig  um  einen  Prediger  an- 
gegangen. Die  angesammelten  Massen  vor  der  Burg  schrieen : 
„Wir  bitten  ums  Evangelium,  ums  Evangelium!"  *)  Und  zur 
Beruhigung  mußte  der  Erzherzog  die  Mitteilung  der  Petition 
an  den  Kaiser  versprechen.     Um  so  eifriger  nahm  sich  nun 


1)  Die  GegenreformatioD  in  der  Landesfürstlichen  Stadt  Brück 
a.  d.  Leitha,  1597 ;  herausgegeben  von  Laurenz  Pröll.  Die  Deutsch-öst. 
Lit.-Gesch.  von  Nagl  u.  Zeidler  lobt  dieses  Buch  S.  502  folgender- 
maßen :  „Es  liegt  ein  biblischer  Hauch  über  dem  Schriftchen,  eine 
Stimmung,  wie  sie  damals  die  gesammte  protestantische  Literatur  der 
österreichischen  Länder  durchzittert."  Im  gleichen  Werk  findet  sich 
ein  poetischer  Nachruf  aus  jener  Zeit  auf  die  drei  aus  Brück  ver- 
triebenen evangelischen  Bürger  Scholz,  Englhör  und  Khirmair. 

2)  Wiedemann  II,  S.  214  Note  1. 

3)  Ein  Bäckerssohn  aus  Wien,  erst  protestantisch,  dann,  beein- 
flußt durch  den  Jesuiten  Georg  Scherer,  übergetreten  und  als  Eene- 
gat  doppelt  eifrig.  Zuletzt  war  er  aber  unter  Matthias  den  jungen 
Erzherzögen  doch  nicht  eifrig  genug  und  wurde  mit  Gewalt  entfernt. 

4)  Wiedemann,  II,  213.  ßibl,  Einführung  der  Gegenreformation 
etc.  S.  140. 


-     330     — 

Kiesel  der  Gegenreformation  an,  und  es  wurde  vor  allem  den 
Städten  das  Verbot  des  „Auslaufens"  zu  den  evangelischen 
Predigern  aufs  neue  eingeschärft.  Daß  eben  Kiesel  das 
staatliche  Gesetz  für  sich  hatte,  war  der  Anfang  alles  Un- 
glücks für  die  wahren  Christen,  wie  Khirmair  bemerkt.  Bei 
einer  so  gutartigen  Bevölkerung  machten  die  Mandate  und 
die  Überredungskünste  eines  Kiesel,  wie  uns  das  Wiede- 
mann  auf  das  eingehendste  gezeigt  hat,  gi'oßen  Eindruck, 
Nur  wo  die  Herren  und  Ritter  zu  sagen  hatten,  blieb  die 
kostbare  Reformation  in  altem  Ansehen. 


Die  Kirclienoi'duung  in  Innerösterreich. 

Erzherzog  Karl  hatte  bei  der  Erbteilung  seines  Vaters 
Ferdinand  I.  Innerösterreich  erhalten.  Er  trat  anfangs 
tolerant  auf  und  machte  seinen  evangelischen  Untertbanen 
Zugeständnisse,  die  er  nach  der  Lage  der  Dinge  im  Erz- 
herzogtum innen  nicht  verweigern  konnte.  Gedrängt  durch 
die  Türkennot  und  eigene  Schuldenlast  machte  er  von 
1569 — 72  immer  weitergehende  Konzessionen,  die  ihn  später 
freilich  gereuten  ^).  Für  seine  Person  blieb  er  streng 
katholisch  und  führte  eine  musterhafte  Hofhaltung.  Seine 
Gesinnung  nahm  jedoch  einen  merklichen  Umschwung  durch 
den  Einfluß  der  Jesuiten  und  seiner  Gemahlin,  einer  bay- 
rischen Prinzessin.  Zwar  band  die  Pacification  (1572)  ihm  die 
Hände,  aber  durch  die  Berufung  der  Jesuiten  nach  Graz, 
wobei  er  sich  des  Hofrates  Dr.  Georg  Eder  in  Wien 
bediente,  wußte  er  dem  immer  gewaltiger  vordringenden 
Protestantismus  einen  Damm  entgegenzusetzen.  Am  12. 
November  1573  wurde  die  Jesuitenschule  in  Graz  eröffnet, 
die  bis  1566  zum  vollständigen  Gymnasium  sich  erweiterte 


1)  Vgl.  Dr.  Schuster,  Fürstbischof  Martin  Brenner,  S.  180, 
Anm,  2 :  der  Brief  aa  den  Papst,  in  welcheua  er  wegen  seines  Ver- 
haltens gegen  die  Evangelischen  um  Entschuldigung  bittet. 


-    331    — 

und  1578  bereits  den  Charakter  einer  Universität  annahm, 
die  bald  mit  tüchtigen  Lehrkräften  versorgt  wurde.  Auch 
der  Eifer  der  Jesuiten  in  der  Seelsorge  übte  Einfluß  aus 
auf  die  Katholiken  in  Graz  und  dann  im  ganzen  Lande. 
Fast  mehr  noch  hat  die  am  26.  August  1571  erfolgte  Heirat 
mit  Anna  von  Bayern  ihn  beeinflußt,  indem  hiermit  den 
verhängnisvollen  bayrischen  Ratschlägen  der  Zugang  ge- 
öffnet wurde.  Die  Pacifikation  hatte  den  Erfolg  gehabt, 
daß  fast  ganz  Steiermark  protestantisch  geworden.  Karl 
versuchte  nun  seit  1578  den  Ständen  gegenüber  einen 
strengeren  Ton  anzuschlagen.  Konnte  er  anch  das  einmal 
Gewährte  nicht  zurücknehmen ,  wie  es  der  Landtag  von 
1580 — 81  bewies,  so  lehnte  er  doch  jede  Erweiterung  der 
Konzessionen  ab.  Seine  katholische  Umgebung  wußte  die 
bereits  gemachten  Zugeständnisse  ihm  zur  Sünde  zu  machen, 
und  dazu  halfen  der  Papst,  Ferdinand  von  Tirol  und  die 
Herzöge  von  Bayern.  Er  begann  nun  selbst  die  Auslegung 
der  Pacifikation  in  die  Hand  zu  nehmen  und  verwies  im 
Oktober  1582  den  Grazer  Bürgern  den  Besuch  des  evan- 
gelischen Gottesdienstes  in  der  Stiftskirche.  Damit  war 
der  letztere  auf  die  zwei  Stände  der  Herren  und  Ritter- 
schaft beschränkt.  Es  folgten  nun  immer  strengere  Ver- 
ordnungen, um  die  Evangelischen  zurückzudrängen,  und 
die  Gewalt  trat  an  Stelle  der  Toleranz.  Besonders  ein- 
schneidend war  der  Befehl  Karls,  daß  die  ihm  untergebenen 
Städte  und  Märkte  die  Jugend  auf  keine  andere  als  die 
Jesuitenschule  schicken  sollten,  und  endlich  trat  dem  Landes- 
fürsten der  bekannte  Bischof  Martin  Brenner  mit  seiner 
nie  ermattenden  Thätigkeit  und  Begeisterung  zur  Seite.  So 
hatte  die  Gegenreformation  ihr  Haupt  bekommen,  and  man 
lernte  durch  Brenners  Thätigkeit  die  Tragweite  des  später 
üblich  gewordenen  Ausdruckes  kennen  :  jemand  katholisch  zu 
machen,  d.  h.  ihn  zur  Botmäßigkeit  zwingen.  Brenner 
wirkte  bis  1615 ,  seit  1589  auch  unter  Karls  Sohn,  Ferdi- 
nand. Ihm  hat  Dr.  Schuster  ein  Denkmal  gesetzt,  um  das 
wir  die  Katholiken  nicht  beneiden.  Wir  beschränken  uns 
darauf,  aus  unseren  Akten  etliche  Streiflichter,    die  auf  die 


—     332     - 

evangelische  Kirche  in  Innerösterreich  fallen,  mitzuteilen. 
Sie  mögen  zur  Ergänzung  von  Loserths  trefflichen  For- 
schungen dienen,  für  die  wir  Protestanten  dem  Grazer 
Professor  nie  genug  dankbar  sein  können. 

In  einem  Briefe  an  Johann  Friedrich  Hofmann,  einem 
Führer  des  Protestantismus  in  Innerösterreich  vom  21.  Juli 
1581 1)  gedenkt  Chj^träus  des  Umstandes,  daß  im  verflossenen 
Winter  unter  Hofmanns  Auspizien  eine  Kirchenordnung 
solle  zu  Stande  gekommen  sein,  wie  ähnlich  vor  drei  Jahren 
(1578)  in  Oberösterreich.  Er  habe  den  Sekretär  Amman 
gebeten,  ihm  die  ganze  Serie  der  Verhandlungen  und  alle 
Schriften  zu  übersenden. 

Erst  1581  also  war  die  Kunde  von  der  bereits  am 
20.  Februar  1578  genehmigten  Kirchenordnung,  die  doch, 
im  wesentlichen  auf  Chyträus  zurückging,  brieflich  nach 
Rostock  gedrungen.  Es  ist  das  von  vornherein  ein  deut- 
liches Anzeichen,  daß  Chyträus  auch  in  Steiermark  um  den 
eigentlichen  Ruhm  seiner  Bemühungen  gekommen  ist,  indem 
andere  Männer,  besonders  Jeremias  Homberger,  die  Sache 
in  die  Hand  genommen  und  zu  Ende  geführt  haben. 

Die  Regensburger  Akten  befassen  sich  besonders  mit 
den  ersten  Regierungsjahren  des  Erzherzogs  Karl ,  in 
welchen  Leute  wie  Bartholomäus  Pica  und  Georg  Khun  das 
des  Wort  führten,  und  wo,  wie  die  Melissandersche  Be- 
rufung zeigt  ( s.  0.  S.  97  f.),  oftmals  Rat  bei  Gallus  eingeholt 
wurde.  Man  darf  nicht  behaupten,  daß  nur  das  Erzherzog- 
tum Österreich,  nicht  aber  die  übrigen  Erbländer  an  der 
strengeren  Richtung  des  Gallus  und  Flacius  Anteil  genommen. 
Krain  hatte  vorlängst  seinen  Matthias  Klombner,  wie  Steier- 
mark seinen  Pica,  welche  den  Mittelpunkt  der  streng  luthe- 
rischen Richtung  in  ihren  Ländern  bildeten.  Pica  (latinisiert 
für  Elster)  war  ^)  voll  Eifers  für  Luthers  Lehre ;  er  lebte  seit 


1)  Chytraei  Epp.,  p.  1183. 

2)  Loserth,  Keformation  und  Gegenreformation  in  Inneröster- 
reich, S.  49  führt  außerdem  das  Faktum  an,  daß  der  alte  Schul- 
meister" früh  den  Samen  des  Evangeliums  in  Graz  ausgestreut. 
Dr.  Schuster,  Martin  Brenner,  nennt  S.  227  den  Namen  Pica;  es  ist 


^    —     333     — 

1529  verheiratet  in  Graz,  wie  es  scheint  zuerst  als  Lehrer. 
Gegen  ihn  schritt  Ferdinand  I.  ein  (1553)  und  zwang  ihn, 
Graz  zu  verlassen,  worunter  seine  Gattin  und  er  schwer 
litten.  1558  kam  er  wieder  ins  Land  und  fand  eine  An- 
stellung bei  der  landschaftlichen  Buchhaltung,  endlich  als 
Sekretär  der  Landschaft.  1559  verlor  er  seine  Gattin.  Er 
widmete  sich  der  Kirche  und  Schule  in  ausgezeichneter 
Weise.  Schon  1530  hatte  er  zu  Graz  eine  Postille  heraus- 
gegeben unter  dem  Titel  „Evangelischer  Unterricht",  welche 
der  damalige  evangelisch  gesinnte  Landeshauptmann  ver- 
breitete 1).  Von  seinem  späteren  Einfluß  auf  die  Kirche  geben 
die  S.  103  f.  angeführten  Briefe  an  Gallus  xiuskunft.  Wir 
lassen  an  dieser  Stelle  ein  Schreiben  des  Freiherrn  Maximilian 
Rupp  von  Pfeilberg  folgen,  der  fast  in  jedem  Briefe  Picas  an 
Gallus  erwähnt  wird  und  der  die  ihm  zukommenden  Briefe 
aus  Regensburg  seinem  Schwager,  einem  angesehenen  Richter 
Namens  Schneberger,  mitteilt.  Überhaupt  haben  Rupp  und 
Pica  den  brieflichen  Verkehr  mit  Gallus  am  frühesten  unter- 
halten. 1569  ist  der  Sohn  Rupps  in  Regensburg,  dessen 
Erziehung  den  dortigen  Freunden  durch  Pica  im  Auftrage 
des  Vaters  und  der  Mutter  ans  Herz  gelegt  wird. 

Unter  dem  16.  April  1565  schreibt  Rupp  an  Gallus  2) 
und  bezieht  sich  auf  frühere  Briefe,  denen  er  nach  langer 
Pause  diesen  folgen  lasse.  Er  meint  auch,  daß  Gallus  ge- 
nugsam wisse,  wie  es  zu  Graz  stehe;  „wir  sein  Gotlob  in 
vnser  chlainen  Cristlichen  Kirchen  ....  vnangefochten." 
Er  erwähnt    des  Begräbnisses  ihres  alten  Geistlichen  (Bal- 


aber  nach  Peinlich  M.  Hueter  gemeint.  Für  die  Schulverhältnisse 
in  Graz  überhaupt  vgl.  das  verdienstUche  Werk  von  Peinlich,  Die 
evangelische  Stiftsschule  zu  Graz  (Programmschrift  des  Gymnasiums, 
1866). 

1)  Vgl.  Eosolenz,  Gründlicher  Gegenbericht  auf  den  falschen 
Bericht  und  vermainte  Erinnerung  Davidis  Rungii  von  der  Tyran- 
nischen Bäpstischen  Verfolgung  des  h.  Evangelii  in  Steyermark, 
Kärndten  und  Crayn,  Graz  1606,  Blatt  I22b.  Diesem  Rosolenz  wird 
solches  Werk  vom  Fürstbischof  D.  Schuster  als  Hauptverdienst  an- 
gerechnet S.  606. 

2)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXIII,  Z.  46. 


—     334     - 

thasar  Schelchinus)  i),  der  gottselig  aus  dieser  Welt  ge- 
schieden und  letzten  Freitag  in  seiner  Kirche  unter  dem 
Predigtstuhl,  in  Anwesenheit  etlicher  Regenten  und  der 
Ansehnlichsten  des  Landes,  unter  großem  Trauergeleite,  be- 
stattet worden  sei.  „Sonst  ist  noch  neben  seiner  Ain  Crisst- 
licher  gueter  Predicant"  (jedenfalls  Georg  Khun).  Rupp 
erwähnt  ferner,  daß  die  Landschaft  Krain  den  Befehl  er- 
halten, „den  Gesalbten,  frumen  Herrn  Primusn  (Trüber)  aus 
dem  Land  zu  thun",  weshalb  die  Landschaft  sechs  Gesandte 
(je  zwei  aus  jedem  Stande)  nach  Wien  und  Graz  gesandt 
wozu  Gott  Gnade  geben  möge,  auf  daß  „Ir  Kirchen,  welches 
Gottes  Kirchen  ist,  erhalten  bleibe".  Am  Sonntag  vor  Pal- 
marum, fährt  er  fort,  sei  in  Steiermark  das  Sakrament 
unter  beiderlei  Gestalt  publiziert  worden  2).  „Aber  Ihr 
khundt  gedenken,  waz  die  Babstlich  Meß  schafft".  Auch 
hier  tritt  der  Widerwille  gegen  diese  halbe  Maßregel  hervor. 
Gern  hätte  er  darüber  „ain  Tractätl"  von  Gallus'  Hand 
gesehen  und  wai'te  noch,  ob  dasselbe  erfolgen  werde.  Der 
Brief  endet  mit  der  Bitte,  den  Herrn  Hlyricus  treulich  zu 
grüßen,  und  übermittelt  seinerseits  die  Grüße  von  M.  Barthol. 
Pica,  „vnd  thue  vnß  alle  dem  lieben  Got  vnd  noch  daneben 
In  Eur  Crisstlich  gepett  beuelhen". 

Wir    stehen    hier   noch    inmitten   jener  guten  Zeit,  da 
die  Kirche  sich  auferbaute  ohne  Ärgernis  und  Streit,    einer 


1)  Über  Schelchinus  vgl.,  was  bereits  Pica  über  ihn  gemeldet, 
S.  103  f.  Von  ihm,  der  seit  1525  verheiratet  war,  berichtet  Dr. 
Schuster,  a.  a.  O.  S.  140,  daß  er  dem  Bischof  von  Seckau,  Petrus 
Persicus  1555  ins  Gesicht  sagte,  daß  er  sich  um  ihn  und  sein  Inter- 
dikt bezüglich  der  Kommunion  unter  beiderlei  Gestalt  nicht  kümmere. 
Als  dem  Schelchinus  vom  Stadtpfarrer  Andreas  Gigler  die  Bitte,  in 
der  Pfarrkirche  zu  predigen,  abgeschlagen  wurde,  lieh  Jakob  von 
Eggenberg  die  ihm  gehörige  Kapelle  an  der  Murbrücke  nebst  der 
ganzen  kirchlichen  Einrichtung.  Für  ihn  suchte  die  Landschaft  in 
Wittenberg  um  einen  Nachfolger  an ;  die  Antwort  ist :  sie  hätten 
nur  junge  (Loserth,  Briefe  und  Aktenstücke,  II.  Teil  No.  1).  Vgl. 
Peinlich,  Programm  v.  J.  1869,  S.  2,  Note  4. 

2)  D.  h.  das  päpstliche  Breve  vom  16.  April  1564,  was  erst  jetzt 
Geltimg  erhielt.    Vgl.  Dr.  Schuster,  a.  a.  0.  S.  141. 


—     335    — 

Zeit,  da  man  Primus  Trüber  und  Illyricus  nebst  Gallus  in 
Liebe  umfaßte.  Erst  die  von  den  Ständen  verhinderte  An- 
kunft Melissanders,  sowie  die  mangelhafte  Rechtfertigung 
dieses  Schrittes  hatten  eine  dauernde  Entfremdung  zur  Eolge. 
Von  der  Weise,  wie  diese  Kirche  schon  zu  Kaiser 
Ferdinands  Zeiten  durch  viele  Hindernisse  hindurch  gedieh, 
zeugen  die  Briefe  Picas.  Der  früheste  derselben  ist  vom 
2.  August  1559  ^)  und  zeigt,  wie  das  Evangelium  von  der 
Kanzel  in  Graz  offen  verkündigt  und  die  Gemeinde  auf 
wunderbare  Weise  gesammelt  wurde,  während  die  Feinde 
mit  Gefängnis  und  Feuertod  (carcerem  et  ignem)  drohten. 
Pica  meldet,  daß  die  Evangelischen  fürchteten,  die  Rück- 
kehr Ferdinands  vom  Reichstag  werde  für  sie  wieder  böse 
Folgen  haben.  „Sed  vivit  Galileus  ille,  nos  oremus."  Kaplan 
der  Landschaft  war  der  schon  genannte  Schelchinus,  den 
Delegierte  der  Landschaft,  unter  ihnen  der  Landeshauptmann 
Pankraz  von  Windischgrätz,  mit  großem  Nachdruck  vor  dem 
Bischof  verteidigten  2j.  Neben  diesem  waren  Andreas  Lilko 
aus  Mähren  und  David  Dullinger  angestellt,  zwei  frühere 
katholische  Priester;  Prediger  an  der  Eggenberger  Stifts- 
kirche war  Matthias  Feldpacher.  Mit  dem  Herrn  Galler, 
einem  steirischen  Adeligen,  liest  Pica  eifrig  die  jenaischen 
Schriften  3)j  und  mit  großer  Begier  wird  von  den  Herren 
die  Kirchengeschichte  des  Flacius  erwartet,  weshalb  Pica 
um  sechs  Exemplare,  lateinische  und  deutsche,  bittet.  Er 
redet  auch  von  einem  sehr  sittigen  Mündel  des  Herrn 
Galler,  Tochter  eines  Ratsherrn,  die  er  in  zweiter  Ehe  zum 
Weibe  nehmen  wolle.  Ein  späterer  Brief  vom  6.  Januar 
löGS"*)  schildert  in  frommen  Worten  das  viele  Elend, 
welches  auch  diese  Ehe  infolge  von  Krankheit  und  Pest 
mit    sich    brachte.     1564   verlor   er   zwei    Söhne    und    eine 


1)  R   A.  Eccles.,  No.  XVIII,  Z.  77. 

2)  Loserth,  a.  a.  O.  S.  115. 

3)  Gemeint  ist  besonders  das  Konfutationsbuch  der  Fürsten 
von  Weimar  vom  Jahre  1559,  welche  Schrift  auch  als  Lehrnorm  in 
der  steirischen  Kirchenordnung  vom  Jahre  1578  angeführt  wird. 

4j  R.  A.  Eccles.,  No.  XV,  Z.  4L 


—     336    - 

Tochter  Judith,  von  denen  er  gehofft,  sie  würden  nützliche 
Werkzeuge  in  der  respublica  christiana  werden.  Von  seinen 
sechs  Kindern  blieb  ihm  nur  eine  Tochter  Elisabeth.  Er 
bittet  Grott  um  Linderung  seiner  und  des  Landes  Plagen 
(Brief  vom  3.  April   1564)  i). 

Bei  den  Ständen  stand  Pica  in  solchem  Ansehen,  daß 
er  (nach  einem  Briefe  vom  Juli  1566)2)  j^i  Abwesenheit  des 
Quästors  der  Landschaft  dessen  Amt  vertrat.  Er  hilft 
Glaubensgenossen  zur  Verbesserung  ihres  Einkommens; 
z.  B  einem  gewissen  Prunner  (Putreus),  der  Gallus  grüßen 
läßt.  In  einem  Briefe  vom  16.  September  1568  3)  erwähnt 
Pica,  daß  er  des  Gallus'  Brief  zugleich  mit  etlichen  Schriften 
dem  „edlen  Baron  von  Windischgrätz"  überreicht,  der  in 
aller  Namen,  besonders  auch  seiner  Kollegen,  der  übrigen 
Septemvirn,  aufs  angelegentlichste  Dank  sagen  lasse.  Es 
werde  dankbar  aufgenommen  werden,  wenn  Gallus  sich  das 
Wachstum  der  kleinen  Kirche  auch  weiter  wolle  angelegen 
sein  lassen.  Wegen  des  Zustandes  der  Grazer  Kirche 
beruft  er  sich  auf  M.  Georg  Khun,  den  er  gebeten,  über 
alle  Einzelheiten  zu  berichten,  woraus  Gallus  die  Lehre  und 
die  gegenwärtigen  Ceremonien  entnehmen  könne.  „Cunius 
lehrt  treu  und  fleißig  (seit  1564),  er  bedarf  eines  Ratgebers; 
möeest  du  ihn  nach  deiner  Autorität  ermahnen,  er  wird 
sich  gern  deinem  Urteil  und  Ausspruch  unterwerfen. 
Möchten  wir  doch  einen  dritten  Geistlichen,  und  zwar  einen 
geschickten  erhalten,  denket  darüber  nach!  Daß  du 
schreibst,  lieber  Gallus,  euer  Name  sei  bei  etlichen  verhaßt, 
das  muß  euch  wenig  kümmern.  Es  lebe  die  Wahrheit, 
wenn  auch  die  ganze  Welt  untergeht.  Unsere  Hofleute 
pflegen  allerlei  gehässige  Dinge  auszustreuen ,  besonders 
die  österreichischen.  Wir  aber  wollen  uns  in  aller  Be- 
scheidenheit vertheidigen."  Er  hofft,  daß  das  Altenburger 
Gespräch  (1568—69)  zur  Förderung  der  Einigkeit  der  ver- 

1)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXIII,  Z.  107. 

2)  E.  A.  Eccles.,  No.  XIV,  Z.  81. 

3)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  51. 


—     337     - 

wundeten  Kirchen  dienen  möge;  die  Uneinigkeit  betrübe 
viele  Herzen.  Er  bittet  die  Regensburger,  daß  sie  un- 
parteiisch raten  möchten;  sie  selbst  wollten  inzwischen 
beten.  Auch  wird  die  mehr  als  türkische  Grausamkeit 
Albas,  des  bösen  Instrumentes  (organi),  das  Gott  strafen 
möge,  erwähnt.  Was  darüber  am  Hofe  erzählt  werde,  könne 
man  nicht  brieflich  mitteilen.  Am  20.  April  1569^)  berichtet 
Pica,  daß  man  täglich  die  Rückkehr  Erzherzog  Karls  aus 
Spanien,  woselbst  er  ein  Jahr  verweilt,  erwarte.  Anspielend 
auf  Terentii  Andria  Vers  73  befürchtet  er  sehr,  daß  diese 
Andria  (er  meint  Spanien)  Übles  mit  siel  bringen  werde. 
Gott  aber  vermöge  den  Rat  der  Gottlosen  zu  vernichten. 

In  seinem  letzten  Briefe  an  Gallus  vom  25.  Januar  1570''*) 
deutet  Pica  sein  Urteil  über  den  Novembei'landtag  von  1569 
nur  an,  indem  er  auf  des  Buchführers  Grünmeister  münd- 
lichen Bericht  verweist.  Er  seufzt  über  die  unglaublichen 
Lasten,  welche  durch  Übernahme  der  Schulden  des  Erzherzogs 
auf  die  Landschaft  kommen  würden  ^j.  „Die  Unsrigen  haben 
eine  gewaltige  Geldsumme  zur  Abzahlung  verheißen.  Der 
Erzherzog  hat  dafür  in  Nachahmung  seines  Bruders  in 
Religionssachen  Milderung,  nicht  aber  völlige  Änderung 
versprochen  (mitigacionem,  non  mutacionem  Religionis).  Das 
allgemeine  Klagen  ist  groß,  aber  sehr  wenige  bedenken  den 
Grund  der  Schwierigkeiten.  Wenn  wenigstens  der  evan- 
gelischen Predigt  eine  Besserung  des  Lebens  folgen  würde 
und  die  nötige  Ordnung  in  Kirche  und  Staat,  so  würde 
Gott  zur  Linderung  der  Not  leicht  bewogen  werden.  Aber 
da  man  dies  vernachlässigt  und  auch  sonst  die  Verkehrt- 
heit, der  Undank  und  die  Sicherheit  in  diesem  zur  Neige 
gehenden  Weltalter  groß  ist,  so  fürchte  ich,  daß  binnen 
kurzem  ein  bejammernswerter  Zustand  in  diesen  Gegenden 
die  Folge  ist.  Während  wir  zögern,  wacht  ein  grau- 
samer  Eeind    in    unserer    Nähe.     Die   Nachkommen    mögen 


1)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  145. 

2)  ß.  A.  Eccles.,  No.  XL,  Z.  27. 

3)  Loserth,  a.  a.  O.  S.  15(i. 

22 


—     338     - 

sich  hüten;  wir  Greise  eilen  freudig  dem  Hafen  zu.  Viel 
und  mannigfaltig  sind  die  Pläne  der  Unsrigen,  um  aus  den 
Schwierigkeiten  herauszukommen,  aber  da  jene  Hauptquellen 
der  Schwierigkeiten  nicht  beachtet  werden,  so  kommen  die 
meisten  Beratschlagungen  zu  keinem  guten  Ende.  Sed  piscis 
ut  scis  a  Capite  foetet"  ^). 

Pica  und  Klombner  waren  Gönner  der  aus  Jena  Ver- 
triebenen :  Placius,  Krell,  Melissander  und  J.  F.  Cölestin. 
Wir  haben  bereits  oben  (S.  97 — 105)  gesehen,  welchen 
Widerstand  sie  dabei  fanden.  Die  gewiegtesten  Kenner  der 
Lage  prophezeiten  schon  damals,  daß  Melissanders  Ab- 
weisung böse  Folgen  für  die  Landschaft  haben  werde.  Der 
Jubel  der  Gegner,  die  Dekrete  des  Erzherzogs  hätten  die 
krainischen  Verordneten  warnen  sollen;  das  geschah  nicht, 
man  folgte  den  Eatschlägen  aus   Württemberg. 

Neben  Pica  sind  in  Steiermark  als  namhafte  Protestan- 
ten noch  Erasmus  und  Pankraz  von  Windischgrätz  zu  nennen. 
Ersterer  wird  von  Khun  in  einem  Briefe  an  Gallus  (Graz, 
8.  November  1569)2)  ^Is  größter  Förderer  der  reinen  Reli- 
gion bezeichnet,  der  aber  leider,  durch  Krankheit  bewogen, 
in  Kärnten  wiederum  seinen  bleibenden  Aufenthalt  nehmen 
wollte,  wodurch,  wie  Khun  bemerkt,  der  steirischen  Kirche 
eine  große  Säule  entfallen  würde.  „Es  wil  nit  alles  apud 
omnes  zamen  klingen  wie  es  sei,  lest  sich  nit  alles  schreiben." 
Mit  diesen  Worten  berührt  Khun  den  seit  lange  offenbaren 
Antagonismus  zwischen  der  strengen  und  milderen  luthe- 
rischen Richtung  3),  welcher  in  der  Melissanderschen  Be- 
rufungsangelegenheit grell  hervortrat.  Je  mehr  draußen  im 
Reich  der  Flacianismus  an  Boden  verlor,  desto  gehässiger 
verhielt  man  sich  auch  in  Innerösterreich  gegen  seine  Partei- 
gänger, ohne  zu  begreifen,  daß  man  auf  diese  Weise  die 
so  nötigen  wirklich  begeisterten  Männer  aus  der  Kirche 
entfernte    oder    ihren    Zutritt    verhinderte,    die    allein    den 


1)  d.  h.  das  Verderben  fängt  am  Haupte  an. 

2)  R.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  187. 

3)  Vgl.  oben  S.  99. 


—     339     — 

schlagfertigen  Jesuiten  hätten  Widerstand    leisten    können. 
Georg   Khun    wollte    es    nicht    gelingen,    trotz    mehrfacher 
Aufforderung    seitens    der  evangelischen  Landesverordneten 
(septemvirij,  geeignete  Lexite  „voll  Ernstes  und  Gelehrsam- 
keit" ins  Land   zu    ziehen,    nachdem    er   selbst  mit   seinem 
Diakon    nicht    mehr    der    Last    der  Arbeit   gewachsen  war. 
Solange  Pica  und  Gallus  mit    seinen   Briefen  ihn    mit    ent- 
sprechenden Ratschlägen  unterstützten,  hatte  er  einen  festen 
Halt^);    dann    aber    traf    er    auf   heimlichen    oder    offenen 
Widerstand.     Je    günstiger    die    äußeren    Verhältnisse    sich 
gestalteten,    desto     mehr    accommodierte     man      sich     den 
Zeitverhältnissen     und      hielt     die     draußen     ihres     Eifers 
wegen    Vertriebenen    aus    Innerösterreich    möglichst    fern 
Während  also  in  Ober-  und  Niederösterreich   die  Elacianer 
zunahmen,    verhielt    man    sich    hier    gegen    dieses    für    die 
Kirche  so  notwendige  Salz  abwehrend.    Der  Zeitpunkt  war 
sehr  ernst.    Es  begannen  gerade  die  Einleitungen  zu  jeuer 
schon    erwähnten  Pazifikation   (1572),   welche    Dimitz^)    die 
„Grundlage  für  den  rechtlichen  Bestand  der  Kirche  Inner- 
österreichs"   nennt,    die    Papst   Gregor  XIII.   aber   für    un- 
giltig    erklärte.    Am  11.  November  1569  hielt  Erasmus  von 
Windischgrätz    im    Namen    und    in    Gegenwart    aller    evan- 
gelischen Stände  (auch  angesichts  zweier  Eischöfe  und  vieler 
Prälaten)  vor  dem  Erzherzog  jene  berühmte,  fast  einstündige 
Rede,  in  welcher  er  mit  großer  Beredsamkeit  die  Freigebung 

1)  Im  Frühjahr  1570  hatte  Gallus  den  Georg  Autumnus,  welcher 
damals  in  Greiz  (Thüringen)  arg  bedroht  war  wegen  seiner  flacia- 
nischen  Gesinnung,  (vgl,  S.  85)  den  innerösterreichisehen  Ständen 
dringend  empfohlen.  Er  hatte  sowohl  Josua  Opitz  als  auch  Hau- 
bold, beide  damals  in  Eegensburg,  zur  Unterhandlung  mit  Autum- 
nus benützt.  Letzterer  wäre  gern  gekommen,  aber  die  Sache  zer- 
schlug sich  (RA,  Eccles.,  Ko.  XL,  Z.  18).  Wohl  aber  kam  Thomas 
Mylius  als  Pfarrer  nach  Fürstenfeld,  der  Schwiegervater  des  M.  Joh. 
Holder  und  Freund  des  Lupulus  in  N.Ö.  (vgl.  S.  185).  Mylius  beruft 
sich  in  seinem  Briefe  an  Gallus  auf  seine  Freundschaft  mit  Khun 
(Z.  33)  und  klagt  über   die  geringe  Empfänglichkeit  seiner  Gemeine. 

2)  Dimitz,  Kurzgefaßte  Geschichte  Krains,  S.  71. 

22^ 


—     340     — 

der  Religion  beantragte.  Khun  berichtet  in  einem  gleich- 
zeitigen Briefe  an  Martin  Waldner,  Prediger  in  Öblarn  i), 
daß  der  Erzherzog  nur  mit  mäßiger  Aufmerksamkeit  zu- 
hörte, und  vermutet,  daß  alles  auf  die  lange  Bank  werde 
geschoben  werden ;  er  hofft  aber  auf  Gott,  der  die  Herzen 
der  Fürsten  lenket. 

Georg  Khun,  aus  Nürnberg  gebürtig,  war  zu  jener 
Zeit  etwa  29  Jahre  alt  und  ein  großer,  langer,  starker, 
braunbärtiger  Mann  ^).  Er  war  der  Schwiegersohn  des  be- 
rühmten griechischen  Lehrers  Jakob  Micyllus  ^)  in  Heidelberg. 
Aus  seiner  Vergangenheit  wissen  wir  nur  dies ,  daß  er 
durch  Friedrich  III.  von  der  Pfalz  nach  einjähriger  Wirk- 
samkeit in  Heidelberg  seines  Dienstes  entlassen  ward 
(August  1560),  und  zwar  als  einer  jener  eifrig  lutherischen 
Geistlichen,  die  sich  dem  Mandat  des  Fürsten  nicht  beugen 
wollten*).  Er  wandte  sich  hierauf  nach  Eßlingen.  1564  er- 
hielt er  auf  Gallus'  Empfehlung  die  Stelle  eines  Oberpfarrers 
in  Graz  und  war  hier  (wie  er  an  Martin  Waldner  schreibt) 
bald  Zielpunkt  des  Hasses  der  Prälaten,  während  Pica  (an 
Gallus)  des  Lobes  voll  über  ihn  ist  5).  Er  zeigt  sich  durch- 
aus bescheiden  und  wünscht  in  Anbetracht  seiner  Jugend 
einen  tüchtigen  Gehilfen,  den  Gallus  ihm  aussuchen  soll. 
Sein  theologischer  Standpunkt  wird  dadurch  gekennzeichnet, 
daß,  offenbar  unter  seinem  Einfluß,  die  1569  erschienenen 
fünf  Pacificationsartikel  von  der  Rechtfertigung,  von  guten 
Werken,  vom  freien  Willen,  von  Adiaphoris  und  vom  Nacht- 
mal, welche  Andrea  auch  nach  Graz  geschickt,  die  Zustim- 
mung   der    evangelischen    Stände  nicht    erhielten  ^).      Die 


1)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  194. 

2)  So  wird  er  bei  Raupach,  Presbyt.,  S.  78  beschrieben,  nach 
der  Schilderung  eines  Gegners ,  des  Propstes  Jakob  Rosolenz  zu 
Stainz,  in  dessen  Schrift:  „Gründlicher  Gegenbericht  etc.",  Blatt  122. 

3)  Vgl.  Adami,  Vitae  germ,  philosophorum,  p.  179. 

4)  Kluckhohn,  Friedrich  der  Fromme,  S.  74. 

5)  Vgl.  über  diese  Zeit  Loserth,  Eef.  u.  Gegenref.  in  Inuer- 
österreich,  S.  137  ff, 

6)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  187  und  No.  XXVI,  Z.  194: 
Briefe  an  Gallus  und  Waldner. 


—    341    — 

Hungersnot  de.s  Jahres  1569  schreibt  Khun  der  Feindschaft 
gegen  Gottes  Wort  zu.  Er  hat  eine  Sammlung  von  Unter- 
schriften unter  die  Augustana  Confessio  ins  Werk  gesetzt 
und  erwartet,  daß  Martin  Waldner  ihm  mitteile,  wo  sich 
jenes  Exemplar  jetzt  befinde.  Er  beklagt  die  Haltung  der 
Schladminger,  daß  sie  ihrem  gelehrten  Pfarrer  —  es  war 
der  als  Flacianer  später  vielgenannte  Hasler  —  einen 
Herumtreiber  vorzögen ;  sie  würden  dadurch  nur  der  W^ahr- 
heit  Abbruch  thun,  den  Feinden  Freude  machen  und  durch 
ihren  Undank  die  Predigt  des  Evangeliums  verlieren.  Es 
handelte  sich  um  einen  aus  Salzburg  des  Gefängnisses 
entlassenen,  wie  es  scheint,  adiaphoristischen  ehemaligen 
Prädikanten.  Khun  wolle  mit  dem  Herrn  Johann  Fried- 
rich Hofmann  darüber  reden,  damit  derselbe  zeitig  ein 
Einsehen  habe  ^).  Er  wünscht  sich  Verkehr  mit  Gleich- 
gesinnten. Interessant  ist  auch  seine  Notiz  über  den 
Bischof  von  Gurk,  der  ziemlich  geschwätzig  sei  und  an 
etlichen  Sonntagen  vor  einer  nicht  zahlreichen  Zuhörer- 
schaft predige,  zu  der  auch  der  Erzherzog,  einige  Höf- 
linge und  gezwungenerweise  einige  Bauern  gehörten. 
Der  Erzherzog,  soweit  er  urteilen  könne,  sei  nicht  übel, 
wenn  nur  die  wenigen  Räte  besser  von  der  wahren  Religion 
dächten.     „Meine  auditores",    schreibt  er  an  Gallus,    „hoch 


1)  Dieser  ältere  Hofmann,  Sohn  des  uns  bekannten  Adam,  aus 
der  einfhißreichsteu  Familie  des  Landes,  wurde  nach  dem  Zurück- 
tritt Erasmus'  von  Windischgrätz  vom  öffentlichen  Leben  der  Führer 
der  Protestanten  in  Steiermark.  Mit  ihm  hatte  Chyträus  1574  allein 
zu  thun;  ihn  preist  derselbe  in  dem  erwähnten  Briefe  vom  21.  Juli 
1581  als  denjenigen,  durch  den  die  Religionssachen  fast  ausschließ- 
lich geregelt  worden  seien.  Hofmann  gehörte  der  vermittelnden 
Richtung  an  und  hielt  die  strengen  Lutheraner  fern.  Er  unterstützte 
schon  1564  die  Sache  der  Gegner ,  indem  er  zu  Steyr  den  Veit 
Nuber,  einen  Hauptverleumder  des  Flacius,  als  Pfarrer  hielt.  Was 
anfangs  mehr  ohne  Kritik  geschah,  wurde  allmählich  zur  Richt- 
schnur der  Kirchenpolitik  in  Steiermark;  diese  Schwenkung  machten 
die  Pfarrer,  z,  B,  Martin  Waldner,  mit,  und  die  Flacianer  wurden 
verfolgt  oder,  wie  in  Kärnten,  zur  Ruhe  verwiesen. 


—     342     — 

und  niders  stand,  sein  noch  zimlich  (Got  sei  die  Ehr)  be- 
stendig, utinam  eam  constantiam  semper  retineant.  Meine 
gnedige  Herrn  urgiern,  das  man  die  Augsp.  Confession  im 
gantzen  Land  frei  predigen  laß,  sed  laterem  lavabunt"  ^). 
Khun  wie  auch  Pica  rühmen  zwar  die  Stände,  vermissen 
aber  bei  denselben  den  nötigen  Glaubensmut.  Wie  in 
Krain  bei  der  Melissanderschen  Berufung,  so  nahm  man 
auch  in  Steiermark  zu  viel  Rücksicht  auf  den  Landesfürsten. 
Zwar  hatten  (wie  Pica  am  13.  März  1568  an  Gallus  schreibt)  *) 
die  evangelischen  Herren  die  Absicht,  fünf  gelehrte  Leute 
zu  berufen  und  auf  die  fünf  Distrikte  des  Landes  zu  ver- 
teilen, um  das  Wort  Gottes  zu  verbreiten,  aber,  wie  er 
meint,  würden  sie  es  kaum  wagen.  Gar  sehr  hatte  Pica 
für  Dr.  J.  F.  Cölestin  sich  verwendet  3),  und  Gallus  hatte 
dessen  Schriften  den  Ständen  übersandt,  aber  die  Herren 
witterten  dahinter  etwas  Schreckliches,  und  so  unterblieb 
die  Berufung,  obgleich  Gallus  für  seine  Bemühungen  eine 
Gratifikation  von  40  fl.  und  Cölestin  20  il.  zur  Abfertigung 
erhielten  ^).  Zugleich  drücken  die  Verordneten  ihre  volle  Zu- 
friedenheit mit  „Magister  Georgio  Cunio,  derselben  an- 
genumenen  Pastoren"  aus,  mit  welchem,  wie  nicht  minder 
mit  seinem  Diakon  Veit  (Mangk),  sie  und  die  ganze  christ- 
liche Gemeinde  „gänzlich  wohl  zufrieden"  seien.  Es  blieb 
aber  dabei,  daß  die  Verordneten  den  von  Pica  angeratenen 
Weg,  sich  gänzlich  dem  Rate  des  Gallus  unterzuordnen, 
nicht  betraten,  sondern,  sobald  sich  die  Gelegenheit  bot, 
eine  Verbindung  mit  der  mehr  vermittelnden  Richtung  des 
Chyträus  suchten.    Als  Chyträus  im  Januar  1569  in  Wien 


1)  Soviel  wie:  sie  bemühen  sich  vergeblich. 

2)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  7. 

3)  Er  beruft  sich  dafür  auf  die  Berichte,  die  der  Buchführer 
Grüenmeister  dem  GaUus  mitteilen  werde.  Derselbe  verkaufte  seine 
Schriften  im  Landhause. 

4)  Das  hierauf  bezügliche  Schreiben  der  steirischen  Landschafts- 
verordneten  an  Gallus  aus  Graz  vom  13.  März  1568  findet  sich  in 
den  E.  A.  (Eccles.,  No.  XXXVI,  St.  12). 


—    343     — 

eingetroflfen ,  sandten  sie  Khun  am  28.  Mai  zu  ihm  mit 
der  Bitte,  er  möge  den  Anschluß  der  innerösterreichischen 
Länder  an  Xiederösterreich  in  Sachen  der  Kirchenordnung 
erwirken  —  ein  Wunsch,  der  erst  1574  in  ganz  anderer 
Weise  erfüllt  wurde  ^).  Ob  Khun  solche  Mission  gern  über- 
nommen, ist  nicht  ersichtlich.  In  einem  Briefe  an  Grallus 
vom  26.  Januar  1570  ^j  äußert  er  sich  schon  geradezu  lebens- 
müde und  möchte  sich  mit  seiner  Trau  in  ein  Spital  zu 
Regensburg  einkaufen,    um  sein  Leben  dort  zu  beschließen. 

„  .  .  .  Den  vergangenen  landtag  ist,  was  die  Religion 
anlangt ,  souil  ervolgt :  I.  F.  Durchlaucht  woll  in  illa 
causa  keineß  gewissen  beschwern.  Sein  Ir  F.  Durch- 
laucht auf  15  jar  neben  den  ierlichen  (jährlichen)  großen 
ausgaben  10  tonnen  gold  zu  abledigung  deß  Schuldenlast 
bewilligt  worden.  Es  hat  der  Adl  auch  die  stedt  vnd 
flecken  zu  sich  in  die  Confeßion  zogen,  aber  ir  F.  D.  nit 
gewolt,  ist  doch  in  allen  Schriften  noch  darauf  drungen 
worden,  vnd  also  stecken  bliben. 

Osterreich  hat  meines  erachtens  vil  mehr  erhalten, 
welchs  gewis  oder  vileicht  auch  hie  hett  geschehen 
mögen,  was  aber  die  vrsach  der  verhindernuß  wird  Grüen- 
meister  viva  voce  anzeigen,  lest  sich  nit  also  schreiben.  Ist 
ein  starcke  occasion  vbersehen  worden,  die  man  vileicht 
in  15  Jaren  nit  mehr  bekumen  möcht.  Vnser  kirch  steht 
sunst  Got  hab  lob  noch  aufrecht,  nimbt  durchaus  nichts 
ab,  sunder  eh  zu  ...  .  Warlich  in  der  zeit,  als  ich  hier 
gewest  (bin)  sein  manicherley  practic  auf  der  pan  (Bahn) 
gewest,  die  alein  Grot,  vnd  nit  vigilantia  oder  industria 
Procerum  et  ordinum  (der  Herren  und  Stände;  verhindert, 
was  furthin  gschieht  erklert  die  Zeit  ..."  Grüenmeister 
soll  weiter  dem  Gallus  berichten,  daß  vor  14  Tagen  der 
interimistische  Pfarrherr  allhier,  der  kein  harter  Papist  oder 
Jesuitischer  gewesen,  schnell  und  schrecklich  und  ganz  ohne 
Trost  gestorben.    An  dessen  Stelle  die  Papisten   „einen  ge- 

1)  Loserth,  a.  a.  O.  S.  140. 

2)  R.  A.  Eccies.,  No.  XL,    Z.  4. 


—     344     — 

lerten  und  verkerten  Jesuiter"  werden  hereini'ufen  wollen. 
Khun  selbst  fühlt  sich  krank  und  will  abdanken ,  und 
bittet  Gallus  um  einen  Nachfolger,  aber  nur  ja  keinen 
Neuigkeitsbeflissenen  oder  Heimtückischen  (vertumnus  oder 
ecebolus),   „der  vil  schadn  kunfftig  thun  möcht". 

Als  nun  Chyträus  1574  nach  Graz  kam,  hat  er  Pica 
nicht  mehr  unter  den  Lebenden  getroffen ;  an  seine  Stelle 
war  der  aus  Siebenbürgen  gebürtige  Matthäus  Amman  als 
Landessekretär  gekommen,  der  sich  gegen  die  flacianische 
Richtung  abwehrend  verhielt  ^).  Khun  hatte,  nachdem  er 
von  Picas  und  Gallus'  Rat  verlassen  war,  in  den  letzten 
Jahren  allerlei  Zank  und  Mißhelligkeiten  mit  den  evan- 
gelischen Verordneten  gehabt;  er  vermochte  keine  geeig- 
neten Gehilfen  heranzuziehen  (wenn  er  auch  etliche  Prä- 
dikanten  aus  dem  Reich  hereingebracht)  und  war  auch  mit 
der  Berufung  des  Chyträus  nicht  einverstanden.  Er  legte 
derselben  vielmehr  allerhand  Schwierigkeiten  in  den  Weg. 
Ob  es  der  prinzipielle  Gegensatz  gegen  Chyträus  war,  der 
Khun  zu  solcher  Opposition  gegen  seine  Oberen  reizte, 
oder  ob  auch  Herrschsucht  dabei  im  Spiele  war,  ist  dahin 


1)  Chytr.  Epp.,  p.  531,  175,  164,  165,  879,  1090.  Chyträus  korre- 
spondiert hier  allein  mit  Amman  und  (nach  seiner  Rückkehr  aus 
Steiermark)  noch  mit  Joh.  Fr.  Hofmann.  Amman,  an  den  Chyträus 
sechs  Briefe  gerichtet,  war  früher  Präceptor  der  Edelknaben  bei 
Ferdinand  I.,  wurde  dann  Sekretär  des  Bischofs  von  Seckau  und  in 
den  Briefen  erscheint  er  als  Sekretär  der  Landschaft  Steiermark 
(1573),  endlich  (Anfang  1574)  als  Syndikus.  Loserth  (Die  Refor- 
mation etc.,  Beilage,  S.  597)  führt  ihn  als  Mitglied  der  steirischen 
Landstände  A.  C.  an.  Sein  Einfluß  war  später  überaus  bedeutend 
und  errichtete  er  sich  eine  eigene  Kirche,  die  dann  zerstört  wurde. 
Ihm  verdankt  besonders  die  sogen.  Stiftsschule,  die  am  1.  Juni  1574 
neugeordnet  in  das  Eggenberger  Stift  übergesiedelt  war,  ihren  Auf- 
schwung. Die  Rektoren  dieser  Schule  waren:  Hieronymus  Osius 
(1574—75),  Phihpp  Marbach  (1576—79),  Hieron.  Peristerius  (1580 
— 85),  Dr.  Johann  Papius  (1586 — 94)  und  Johann  Regius  (1595 — 98). 
Der  ihnen  untergeordnete  Lehrkörper  bestand  aus  16 — 17  Personen. 
Lange  Zeit  hielt  diese  Schule  die  Konkurrenz  mit  der  Jesuitenschule 
aus,  die  den  gleichen  Lehrplan  hatte. 


—     345    — 

zu  beantworten,  daß  beides  unklar  durcheinander  spielte. 
Er  trat  mit  Energie  ein  für  die  bisherige  Kirchenordnung 
und  mißbilligte  überhaupt  die  neue  Kirchenpolitik,  wonach 
man  durch  Chyträus'  Berufung  eine  gründliche  Besserung  er- 
hoffte. Aber  sein  Widerstand  war  maßlos  und  er  mußte 
das  Feld  räumen. 

Wie  es  zu  solcher  Katastrophe  kam,  können  wir  nur 
auf  Grund  der  oben  angeführten  Briefe  des  Chyträus  ver- 
muten.  Chyträus  war,  wie  er  selbst  dem  Herzog  von 
Mecklenburg  1573  meldet,  vornehmlich  zur  Reformierung 
der  Landschaftsschule  nach  Graz  berufen,  damit  dieselbe 
nicht  hinter  der  1573  eröffneten  Jesuitenschule  zurückbleibe  i). 
In  der  That  ward  zuerst  von  dem  evangelischen  Ausschuß 
der  Landschaft  die  Reorganisierung  dieser  Schule  in  An- 
griff genommen  2)  und  Osius  auf  Chyträi  Empfehlung  ins 
Land  gerufen,  unter  Gewährung  besonderer  Erleichterungen 
bei  Ankunft  und  etwaiger  Rückkehr  ins  Reich.  Auch  der 
Schulplan  und  die  Ordnung  der  Stipendien  wurde  fest- 
gestellt 3j.  Schon  wegen  der  auch  theologischen  Anlage  der 
Schule  war  der  Bekenntnisstandpunkt  nicht  gleichgiltig ; 
noch    mehr    aber    wurde    derselbe    urgiert    bei    der    zweiten 


1)  Epp.,  p.  544. 

2)  Vgl.  den  Brief  Chyträi  an  die  ßostocker  vom  20.  März  1574 
(Epp.,  p.  322  u.  161).  Neben  Osius  berief  man  Phil.  Marbach  zum  Pro- 
rektor der  Schule,  den  Chyträus  sehr  belobt  (Epp.,  p.  184).  Dem 
Osius  war,  wie  Chyträus  in  einem  Briefe  an  Eichard  Strein  schreibt 
(^Graz,  19.  April  1574;  Epp.,  p.  IGl)  etUche  Jahre  zuvor  in  Wien 
das  Palatinat  verliehen,  d.  h.  das  Eecht,  gewisse  Privilegien  zu  ver- 
leihen und  Verträge  im  ganzen  Eeiche  abzuschließen.  Außerdem 
war  er  Poeta  Laureatus.     In  Eegensburg  war  er  bis  15(38. 

3)  Vgl.  Peinüeh,  a.  a.  O.  S.  15—20 ;  über  die  Besoldung  S.  22—25. 
Die  Schule  bestand  aus  zwei  Hauptabteilungen :  einer  Vorschule  imd 
einer  aus  vier  Klassen  bestehenden  eigentlichen  Schule,  deren  letzte 
und  höchste  Klasse  eine  Art  Hochschule  war  und  deren  Lehrer 
„Professoren"  hießen.  In  dieser  Klasse  lehrte  der  Pastor  hebräische 
Sprache  und  Theologie,  d.  i.  Glaubenslehre.  In  der  philosophischen 
Abteilung  wurde  Logik,  Metaphysik,  Ehetorik,  nebst  den  zwei  klas- 
sischen Sprachen  und  Mathematik  gelehrt;  bei  den  Juristen  Justinian. 


—     346     — 

Aufgabe,  der  Herstellung  einer  Kirchenordnung  ^).  Anstatt 
einfach  bei  der  Pacifikation  und  Augustana  vom  Jahre  1530 
stehen  zu  bleiben,  kam  man  auf  neue  Dinge.  Hier  stießen 
sich  Khun  und  Chyträus  gewaltig.  Der  Erstere  verstieg  sich 
zum  großen  Erstaunen  des  Chyträus  dazu  die  Unterschrift 
auf  das  philippistische  Corpus  Doctrinae  Misnicum  zu 
fordern.  Es  geschah  das  unter  unklarem  Vorwand  ;  im  Grunde 
aber  wollte  er  wohl  nur  einen  Zankapfel  in  die  Verhand- 
lungen werfen  und  deren  Gang  stören,  wo  nicht  gar  den  Arg- 
wohn des  Erzherzogs  wecken.  Der  Weisheit  der  Verordneten 
gelang  es,  diese  Klippe  zu  umschiffen  und  der  Landesobrig- 
keit jeden  Vorwand  zum  Eingreifen  zu  entnehmen.  Sie 
entschieden,  unter  Khuns  Zustimmung,  die  Sache  dahin,  daß 
die  heilige  Schrift,  die  altkirchlichen  Symbole,  Luthers 
Katechismus  und  die  Konfession  hinzugenommen  würden 
und  die  Declaratio  (Norm  der  Lehre)  auf  Grund  dieser 
Schriften  insgesamt  verfaßt  werde.  Denn  Luthers  Schriften 
seien,  wie  anerkannt  wurde ,  durchaus  nicht  auszu- 
schließen. Endlich  wurde  auch  noch  über  die  Ordina- 
tion der  Kirchendiener  und  die  Ceremonien  verhandelt,  wobei 
Chyträus  sich  nachgiebig  zeigte,  indem  Khun  keine  latei- 
nischen Gesänge  und  überhaupt  weniger  Ceremonien  im 
Gebrauch  hatte. 

In  den  folgenden  zwei  Monaten  nun  verlegte  sich  Chy- 
träus, immer  in  Abwesenheit  des  G.  Khun^j,  wohl  aber  im  Ver- 
ein mit  M.  Thomas  Mylius,  damals  Pfarrer  von  .Judenburg, 
und  anderen  ihm  dazu  Beigeordneten  auf  die  Ausarbeitung 
jener  drei  Punkte,  nicht  ohne  Seufzen  über  das  schwere  Ge- 
schäft, und  indem  er  Georg  Cölestin  im  Herzen  beglückwünscht, 
daß  derselbe  schon  aus  Wien  nach  Frankfurt  a.  0.  habe 
zurückkehren     dürfen  ^).       Nach     seinem     Briefe     an     Am- 

1)  Chytr.  Epp.,  p.  322  f. 

2)  Chytr.  Epp.,  p.  169. 

3)  Vgl.  darüber  auch  Bibl,  Die  Organisation  des  evang.  Kirchen- 
wesens, S.  St)  ff.  Chyträus  erzählt,  daß  Cölestin  sich  mit  Lerch,  dem 
steirischen  Eeisebegleiter,  gezankt  habe,  einem  Manne,  der  sich  auch 
mit  Khun  überwerfen  (s.  Chytr.  Epp.,  p.  204). 


—     347     — 

man  i)  aus  Graz  vom  22.  Mai  1574  hat  Chyträus  dann  endlich 
ein  auf  Grund  von  Melanchthons  examen  ordinandorum  aus- 
gearbeitetes Lehrgebäude  (summa  doctrinae;,  unter  Berück- 
sichtigung der  wohlbekannten  Streitpunkte  aus  den  letzten 
20  Jahren,  den  Vertretern  der  innerösterreichischen  Kirche 
durch  Amman  übermittelt,  damit  allem  Streit  auf  und  unter 
der  Kanzel  vorgebeugt  werde  '^j.  Er  fürchtete  aber  die 
Censur  des  „Sykophanten'-  Khun,  den  er  in  allen  Briefen  aus 
jener  Zeit  als  seinen  schlimmsten  Gegner  bezeichnet.  Um 
diese  Kritik  zu  vermeiden,  behielt  es  Chyträus  sich  vor, 
selbige  summa  doctrinae  in  seine  Heimat  mitzunehmen  und 
noch  weiter  daran  zu  feilen.  Wir  kennen  daher  den  Inhalt 
nur  notdürftig  aus  der  1578  revidierten  Kirchenordnung  des 
Jer.  Hornberger  und  seiner  Kollegen,  die  jedenfalls  vieles 
geändert  haben  (s.  u.). 

Was  die  Agende  betrifft,  so  verglich  man  sich  dahin,  daß 
in  Innerösterreich  die  wittenbergische  in  Übung  gebracht 
werden  sollte.  Der  dritte  und  letzte  Punkt  betraf  die  Be- 
stellung des  heiligen  Predigtamtes,  wohl  geordneter  Schulen, 
die  Einsetzung  eines  Kirchenrates,  die  Visitation  und  Auf- 
sicht über  Kirchen  und  Schulen,  die  Anstellung  nützlicher 
Synoden  u.  s.  w.,  wobei  die  Wittenberger  und  Rostocker 
Ordnung  zum  Muster  dienen  sollten,  wie  solches  Chyträus 
in  jenem  Briefe  an  Amman  forderte  und  Exemplare  beilegte. 
Die  nähere  Ausarbeitung  auch  dieser  einzelnen  Stücke  be- 
hielt sich  Chyträus,  falls  es  ihm  gestattet  werde,  für  die 
Zeit  seiner  Rückkehr  nach  Rostock  vor.  In  der  That  kehrte 
er  im  Juni  über  Stein  a.  d.  Donau  (woselbst  er  noch  einer 
wichtigen  Konferenz  beiwohnte)  nach  Rostock  zurück. 

Was  ihn  an  der  ruhigen  Vollendung  der  neuen  Kirchen- 
ordnung  gleich    damals  in  Graz  hinderte,    war  sein  Gegen- 


1)  Epp.,  p.  175  f. 

2)  Loserth,  a.  a.  O.  S.  209  berichtet  über  diesen  ersten  Teil  der 
Kirchenordnung;    aber  seine  Angaben   widersprechen  dem   uns  vor- 


Uegenden  Briefe  des  Chyträus. 


—     348     — 

satz  zu  Khun  i),  welcher  leider  auch  mit  Drohungen  nicht 
zurückhielt.  Einen  Tag  nach  jenem  abschließenden  Briefe 
des  Chyträus  an  Amman,  am  23.  Mai  1574,  legte  Khun 
sein  Amt  öffentlich  nieder  —  zur  Verwunderung  ^ller, 
auch  des  Chyträus,  der  davon  an  Heinrich  von  Starhemberg 
Erwähnung  thut^).  Am  28.  Mai  erhielt  Khun  von  den  Ver- 
ordneten seinen  Abschied.  Loserth  berichtet  aus  den  Akten 
das  Zeugnis  der  Verordneten :  „Er  ist  mit  guter  Kundschaft 
von  uns  geschieden"  ^).  Er  ging  hierauf  nach  Pols,  einer 
Pfarre,  die  ihm  Adam  Hoffmann  schon  früher  zur  Nutz- 
nießung verliehen,  als  sie  nach  dem  Tode  Maximilian  Pitter- 
kraudts,  eines  Freundes  und  Korrespondenten  von  Gallus, 
ledig  geworden  *). 

Wenn  Dr.  Schuster  die  Entlassung  Khuns  damit  in 
ursächlichen  Zusammenhang  bringt,  daß  er  seinen  beliebteren 
Kollegen  David  Thoner  aus  Eifersucht  im  Landhaus  „zu 
Boden  geworfen  und  mit  Fäusten  und  Füßen  traktiert,"  so 
ist  das  falsch.  Zunächst  ist  schon  seine  Quelle,  nämlich 
der  Gegenbericht  des  Jakob  Rosolenz  ^),  als  eine  schamlose 


1)  Chytr.  Epp.,  p.  169  f.  202 ,  zeigen  uns,  wie  der  Gegensatz 
selbst  Privatverhältnisse  tangierte,  obwohl  sich  Chyträus  schon  von 
Rostock  aus  seiner  Hilfe  hatte  versichern  wollen  und  dabei  ihn  sehr 
gerühmt  hatte  (Epp.,  p.  881).  Sie  konferierten  fast  gar  nicht  mit- 
einander; Chyträus    Angst  zeugt  nicht  eben  von  Mut. 

2)  Chytr.  Epp.,  p.  184. 

3)  Loserth,  a.  a.  0.  S.  215. 

4)  Zwei  Briefe  des  Pfarrers  Pitterkraudt  an  Gallus  aus  den 
Jahren  1568  und  1569  finden  sich  in  den  R.  A.  (Eccles.,  No.  XXXVI, 
St.  82,  188),  worin  er  die  Ordination  zweier  Kandidaten,  Andreas 
Geschrey  und  Michael  Fierer,  befürwortet;  alle  drei  waren  natürlich 
der  streng  lutherischen  RichtuQg  zugethan.  Vgl.  Raupach,  Presbyt. 
S.  212,  Suppl.  p.  46. 

5)  Loserth  hat  gezeigt,  daß  dieser  Rosolenz  durch  drei  Jahr- 
hunderte die  Quelle  aller  die  Gegenreformation  in  Innerösterreich 
betreffenden  Darstellungen  gewdsen  (Zur  Kritik  des  Rosolenz,  ein 
Beitrag  zur  Historiographie  der  Gegenreformation  in  Innerösterreich, 
in  den  Mitteilungen  des  Institutes  für  österr.  Geschichtsforschung, 
Bd.  21,  S.  485—507).    Rosolenz  überbietet  alles,  was  Georg  Eder  und 


—    349    — 

Schmäh-  und  Parteischrift  mit  Vorsicht  zu  benutzen.  Zweitens 
aber  muß,  wenn,  wie  Chyträus  in  einem  Briefe  an  den  Sekretär 
Amman  (d.  d.  20.  September  1573)  i)  schreibt,  Khun  eine 
solche  Tragödie  veranlaßte,  dieselbe  vor  dem  September  dieses 
Jahres  vor  sich  gegangen  sein,  also  ^/^  Jahr  vor  Khuus  defi- 
nitivem Abgang  aus  Graz.  Die  Zuschrift  der  Landesverord- 
neten an  Georg  Khun  erwähnt  nur,  daß  er  in  jüngster  Zeit 
auf  der  Kanzel  „öffentlich  vermeldt  das  etliche  spitzpueben 
vorhanden,  welche  iren  dienst  nit  recht  vorzusteen  wissen,  die 
dringen  sich  auf  die  canzl  ein"  2).  Von  einer  Mißhandlung 
ist  an  dieser  Stelle  nicht  die  Rede. 

Aber  selbst  wenn  wir  zugeben,  daß  eine  solche  statt- 
gefunden habe  —  so  ist  die  Frage:  ob  dadurch  eine  Ent- 
lassung bedingt  sein  konnte  und  sein  Ruf  für  immer  ge- 
schädigt war?  —  Wer  war  David  Thoner?  Unsere  Akten 
zeigen,  daß  schon  im  Juni  1569  Khun,  über  Aufforderung 
der  evangelischen  Verordneten ,  mit  dem  Ulmer  Pfarrer 
D.  Thoner  in  Verbindung  trat,  um  ihn  für  Graz  als  seinen 
Kollegen  zu  gewinnen  ^).  Er  that  solches  widerwillig,  auf 
Drängen  der  Vorgesetzten;  der  Mann  aber  war  nicht  nach 
seinem  Geschmack.  Thoner  hatte  in  jenem  Briefe  an  Gallus 
diesen,  der  bereits  schwer  krank  war,  um  seine  Fürbitte 
bei  Khun  gebeten.  Gallus  wird  es  gethan  haben,  obgleich 
er  ihn,  wie  der  Brief  zeigt,  absolut  nicht  kannte,  und  so 
kam  denn  Thoner  wider  Khuns  Willen  gegen  die  Mitte  des 
Jahres  1570  nach  Graz.  Er  kam  aus  Württemberg  und 
war  von  jener  Gattung  Theologen,  die  eine  schwankende 
Haltung  einnahmen,  zur  Vermittlung  der  Gegensätze  bereit. 


Peter  Muchitsch  wider  die  Evangelischen  an  Schimpfworten  und  Ver- 
leumdungen sich  gestattet  haben. 

1)  Epp.,  p.  1090. 

2)  Loserth,  S.  596. 

3)  Wir  entlehnen  diese  Daten  einem  Briefe  Thoners  an  Gallus 
aus  Ulm  vom  1.  März  1570  (R.  A.  Eccles.,  No.  XL,  Z.  37).  Rosolenz 
nennt  ihn  einen  Apostaten  ;  dann  wäre  er  vormals  Mönch  gewesen. 
Ulm  war  einst  dem  Interim  beigetreten,  und  es  hatten  in  dieser  freien 
Reichsstadt  jedenfalls  recht  verschiedene  Geister  Zutritt. 


—    350    — 

wenn  es  in  ihrem  Interesse  lag.  Auch  Jeremias  Hornberger 
war  ihm  später  nicht  gewogen,  und  er  ist  zur  Aufstellung 
der  innerösterreichischen  Agende  1578  nicht  berufen  worden. 
Im  Verkehr  mit  Khun  war  jedenfalls  genug  Zündstoff  zum 
Kampf  gegeben.  Während  man  gegenwärtig  mit  der  Zunge 
den  Gegner  verletzt  und  tötet,  raufte  man  damals  mit  der 
Faust,  wie  es  die  rohe  Zeit  mit  sich  brachte.  Aber  fallen 
lassen  können  wir  einen  Mann  darum  nicht,  weil  ihn  sein 
Zorn  einmal  zu  weit  getrieben,  und  wenn  ihn  Steiermark 
ausgestoßen,  so  hat  ihn  Oberösterreich  desto  besser  brauchen 
können,  während  die  Steirer  an  David  Thoner  nicht  viel 
Freude  erlebten.  Dieser  hat  durch  seine  spätere  Haltung 
erwiesen,  daß  er  nicht  im  rechten  Geiste  wirkte,  wenn  wir 
auch  auf  die  Behauptung  des  Grazer  Stipendiaten  Balthasar 
Fischer  in  Tübingen,  daß  er  ein  „falscher  Bruder"  gewesen, 
nicht  viel  geben  wollen  ^). 

Jedenfalls  hat  Khun  seine  Entlassung  herausgefordert, 
indem  er  auf  der  Kanzel  aus  eigener  Bewegung  resigniert 
hat.  Wenn  ein  öffentlicher  Skandal  vorgelegen,  hätten  die 
oberösterreichischen  Landesverordneten  ihn  nicht  nach  Linz 
berufen,  woselbst  er  als  Examinator  der  Prediger  wirkte, 
die  Kirchenordnung  handhabte  2)  und  1581  seiner  Gesund- 
heit wegen  in  guten  Ehren  entlassen  wurde  ^).  Der  be- 
rühmte Schulmann  Georg  Calaminus,  Rektor  an  der  Linzer 
Landschaftsschule,  widmete  ihm  eine  lateinische  Ode.    Khun 


1)  Vgl.  Loserth,  Die  Beziehungen  der  steiermärkischen  Land- 
schaft zu  den  Universitäten  Wittenberg,  Eostock,  Heidelberg,  Tü- 
bingen, Straßburg;  Festschrift  der  Grazer  Universität  1899,  S.  95 
und,  Die  Reformation  etc.  S.  485.  Fischer  verleumdete  auch  P. 
Zimmermann  (Rosolenz,  S.  133  ff.).  Über  seine  Disputation,  die  er 
am  11,  Juni  1591  an  der  Universität  mit  den  Jesuiten  gehabt,  vgl. 
Peinlich,  Gesch.  des  Gymnasiums  in  Graz,  1869,  S.  40,  und  Roso- 
lenz, S.  136. 

2)  Vgl.  K.  Oberleitner,  Die  evang.  Stände  im  Lande  o.  d.  Enns, 
S.  80  f.,  besonders  S.  89.  Hier  wird  Khun  von  den  Ständen  un- 
bedingtes Vertrauen  geschenkt. 

3)  Raupach,  Presbyt.,  S.  212,  Suppl.  S.  45. 


—    351     - 

erhielt  in  Bensheim  an  der  Bergstraße  das  Amt  eines 
Superintendenten  und  lebte  dort  noch  1584.  Der  bekannte 
Dr.  Timotheus  Kirchner  (vormals  Professor  in  Jena)  hat 
ihm  nach  Raupach  das  Lob  beigelegt:  „daß  er  eine  lange 
Zeit  in  Osterreich  gewesen  und  die  Kirche  Christi  darinnen 
mit  großem  Nutz  und  Frommen  durch  die  Gnade  Gottes 
habe  sammeln  und  bauen  helfen"  i). 

Merkwürdig  ist,  daß  gerade  in  demselben  Monat,  als 
Khun  Graz  verließ  und  die  aus  Regensburg  vertriebenen 
Flacianer  Haubold  und  Peristerius  sich  nach  Innerösterreich 
wandten,  in  Kursachsen  selbst  das  mühsam  errichtete 
Gebäude  des  Kryptokalvinismus  zusammenbrach.  Bereits  am 
3.  Mai  1574  erhielt  Chyträus  in  Graz  die  Nachricht,  daß 
die  Verfasser  der  Exegesis  perspicua  ^)  von  Kurfürst  August 
gesucht  würden  und  der  Drucker  Vögelin  in  Arrest  gelegt 
worden  sei.  Wenige  Tage  darauf  waren  die  Häupter  der 
Philippisten  vom  Zorn  des  getäuschten  Kurfürsten  nieder- 
geworfen, und  die  gegnerische  Partei  begann  ihren  nichts 
schonenden  Triumphzug  3).  Gerade  in  dem  Zeitpunkte,  als 
die  Wage  der  von  Khun  vertretenen  Richtung  das  Über- 
gewicht erhielt,  verließ  er  seinen  Posten.  Der  Philippis- 
mus, den  Chyträus  noch  in  seiner  am  22.  Mai  1574 
dem  Amman  zugeschickten  Kirchenordnung  vertreten  hat, 
verlor  von  da  an  immer  mehr  an  Boden,  besonders 
durch  das  Wirken  Hombergers.  Nur  darin  thaten  sich 
seine  ehemaligen  Gönner  noch  eine  Genüge,  daß  sie  die 
Flacianer  verfolgten ,  wo  sie  konnten ;  so  besonders  in 
Schladming.  Der  Viertelsprädikant  im  Ennsthal,  Dionysius 
Widemann  (erst  in  Oblarn,  dann  in  Schladming)  schreibt 
hierüber  am  20.  Jan.  1576  an  Wolfgang  Waldner  in  Regens- 

1)  Kaupach,  Presbyt.,  S.  80. 

2)  Dieselbe  war  zur  Verteidigung  des  Calvinismus  von  Joachim 
Curäus  aufgestellt  und  heimlich  gedruckt  worden,  wurde  aber  von 
den  kursächsischen  Theologen  als  Lehrausdruck  empfohlen. 

3)  Chytr.  Epp.,  p.  174.  Vgl.  G.  Frank,  Gesch.  der  prot.  Theologie 
Leipzig  1862,  I,  S.  144 ;  Preger,  M.  Flacius  lUyricus.  II,  S.  384. 


—    352     — 

bürg  ^).  Er  klagt,  daß  M.  Haubold,  den  man  seines  Mani- 
chäismus  wegen  aus  Kärnten  vertrieben,  sich  in  Schlad- 
ming  ein  Nest  bereitet  habe,  um  sein  manicbäisches  Gift  aus- 
zubreiten. Dieser  habe  auch  den  Pfarrer  jenes  Ortes,  Hasler, 
verführt  und  ihm,  Widemann,  seine  Zuhörer  abgezogen.  Er 
werde  beschuldigt,  daß  er  von  der  wahren  Lehre  „zu  euch, 
den  Neopapisten  abgefallen  und  ich  mit  euch  conspiriere" 
Die  Obrigkeit  lasse  ihn  ohne  Schutz,  und  unter  der  Predigt 
lache  man  ihn  aus.  Die  Flacianer  halten  Beratungen  unter- 
einander und  befragen  sich  mittels  Boten  mit  Haubold. 
Letzterer  verkünde  öflentlich,  daß  jene  auf  dem  rechten 
Weg  seien ,  die  in  der  Erbsündenlehre  sich  nicht  von 
Spangenberg  und  Illyricus  trennen  lassen.  Haubold  habe 
eine  Widerlegung  des  Regensburger  „Berichtes"  ^)  verheißen, 
worin  er  sich  reinigen  wolle  von  allen  Anschuldigungen. 
Widemann  erwähnt,  daß  Martin  Waldner  ihn  mit  Büchern 
versehen^  um  des  Illyricus'  Irrlehre  zu  widerlegen ;  er  hat 
selbst  eine  Konfession  über  die  Erbsünde  verfaßt,  die  er 
Wolfgang  Waldner  vorlegen  wolle.  Also  auch  die  beiden 
Waldner  standen  auf  Seiten  der  Gegner  des  Flacius  und 
thaten  das  ihre,  um  die  frühere  Parteinahme  für  Flacius 
vergessen  zu  machen.  Der  in  diesem  Briefe  genannte  Hasler 
wurde  infolge  eines  Religionsgespräches  mit  Homberger, 
Juni  1577,  mundtot  gemacht  und  scheint  bald  darauf  nach 
Niederösterreich  gegangen  zu  sein.  Nach  dem  Wortlaut 
dieses  Gespräches  muß  er  ein  ehrlicher  Mann  gewesen  sein, 
der,  wie  einst  Haubold  sich  nicht  zum  Widerruf  über  Auf- 
forderung der  Obrigkeit  bequemen  wollte  ^). 


1)  K  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  117. 

2)  Gemeint  ist :  Bericht  Caraerer  vnd  Käthes  der  Statt  Regens- 
burg etzlicher  im  Kirchen  Ambt  vnd  Schueldienst  —  enturlaubter 
Personen  halben,  Regensburg  1574  (s.  Preger,  Flacius  Illyricus, 
II,  S.  302). 

3)  S.  Loserth,  Der  Flacianismus  in  Steiermark,  Jb.  d.  Ges.  f. 
Gesch.  d.  Prot.,  1899,  Heft  1. 


—    353    - 

Auf  dem  Brucker  Landtage  1578  haben  im  Anschluß 
an  Chyträi  Vorarbeiten  folgende  Männer  eine  Kirchen- 
ordnung aufgestellt,  von  der  das  Wesentliche  in  einem 
summarischen  Extrakt  der  großen  Religionspacifikation 
vom  9.  Febr.  1578  einverleibt  wurde.  Ihre  Namen  sind : 
Jeremias  Hornberger,  Pastor  zu  Graz,  Christophorus  Frey, 
Prediger  in  Steyr,  Philipp  Marbachius,  Schulrektor  in 
Graz,  Bernhard  Stainer^),  Pfarrer  zu  Klagenfurt,  M.Jakob 
Prantel,  M.  Andreas  Laborator,  Schulrektor  in  Klageufurt. 
Den  Charakter  dieser  'Kirchenordnung  kennzeichnet  von 
vornherein  (wie  auch  Loserth  bemerkt  ^j,  der  Umstand,  daß 
ein  eigenes  Kapitel  über  „Matthias  Flacius  und  etlicher 
mehr  irthumb  von  der  erbsünde"  neu  eingeschaltet  wurde, 
in  welchem  sein  Tod  bereits  erwähnt  ist.  Zugleich  nennt 
Hornberger  sich  selbst  als  einen,  der  wider  jenen  Irrtum 
protestiert  habe.  In  den  Ausführungen  über  die  Erbsünde 
hören  wir  deutlich  den  verweisenden  Ton  aller  jener  durch- 


1)  M.  Bernhard  Stainer  kam  1563  von  Bühl  (bei  Tübingen)  nach 
St.  Ruprecht  bei  ViUach  in  Kärnten  und  wurde  1576  kärtnerischer 
Landschaftsprediger  und  Superintendent  in  Klagenfurt  (1578).  Auf 
Jak.  Andreas  Empfehlung  wurde  der  im  Texte  neben  ihm  genannte 
Jak.  Prantel  oder  Brentelius  für  den  Kirchen-  und  Schuldienst  in 
Kärnten  angenommen  (Dez.  1575) ,  den  wir  am  15.  Nov.  1578 
gleichfalls  als  Prediger  in  Klagenfurt  erwähnt  finden  und  ebenso 
1582  unter  den  Unterzeichnern  der  Konkordienformel  (ed.  Müller 
S.  795).  Schließlich  wurde  er  am  1.  Mai  1585  von  der  krainischen 
Landschaft  als  Eektor  der  Landschaftsschule  in  Laibach  mit  einem 
Gehalt  von  300  fl.  berufen.  Dieses  Amt  bekleidete  er  zehn  Jahre, 
resignierte  dann  und  ging  nach  Schladming,  woselbst  er  beim  Aus- 
bruch der  Verfolgungen  (1598)  sein  Leben  durch  die  Flucht  über  das 
Gebirge  rettete.  Brentelius  galt  nach  einem  Briefe  des  Andrea  an  die 
Stände  für  einen  „zwar  etwas  scheuen  imd  furchtsamen,  aber  sehr 
gelehrten  Mann".  Elze  teilt  noch  von  ihm  mit,  daß  er  aus  Steier- 
mark gebürtig,  anfangs  in  Lauingen  unter  Melissander  studierte  und 
von  Gallus  begünstigt,  dem  Andrea  nach  Tübingen  empfohlen  worden, 
woselbst  er  seine  Eichtung  änderte.  (Vgl.  Elze,  Die  Rektoren  der 
krainischen  Landschaftsschule  in  Laibach  während  des  XVI.  Jht. 
in  Jahrb.  der  Ges.  f.  d.  Gesch.  d.  Prot.,  1899,  Heft  III). 

2)  Loserth,   Ref.  u.  Gegenref.  in  Inneröst.  S.  279. 

23 


—     354    — 

klingen,  welche  den  Flacius  des  Manichäismus  beschuldigen, 
aber  gleichwohl  einst  diesem  gewaltigen  Gegner  des  Syn- 
ergismus Heerfolge  geleistet  haben. 

Aber  auch  andere  Punkte  der  Kirchenordnung,  und 
zwar  gleich  im  ersten  Teil,  „De  norma  veritatis"  betitelt, 
wonach  alle  Lehre  beurteilt  werden  sollte,  weisen  auf  den 
Standpunkt,  welchen  die  Prediger  1578  einnahmen.  Die 
Weise,  in  der  hier  über  das  Interim  geurteilt  ^j  und  das 
Thüringische  Konfutationsbuch  vom  Jahre  1559  unter  die 
normativen  Schriften  gestellt  wird ,  lag  dem  Chyträus 
durchaus  fern.  Auch  die  Beurteilung  der  Loci  communes 
Melanchthons  -),  von  denen  nur  die  erste  Ausgabe  von  den 
Theologen  gutgeheißen  wird ,  während  die  späteren  als 
nicht  ohne  Ursache  angefochten  hingestellt  werden,  stimmt 
nicht  mit  Chyträi  Anschauung  überein.  Danach  ist  Loserths 
Auffassung  zu  berichtigen,  der^)  das  eben  genannte  Votum 
der  Theologen  bereits  als  dem  Chyträus  eigentümlich  den 
Verhandlungen  des  Jahres  1574  zuweist.  Wir  befinden  uns 
schon  gänzlich  im  Fahrwasser  jener  Theologen,  die  nach 
dem  Vorgang  des  Konfutationsbuches  (1559)  alle  Korrup- 
telen („so  etliche  listiglich  eingeführt  hatten")  abgestellt 
wissen  wollten  und  auf  Andreas  sechs  Predigten  wiesen  — 
also  im  Fahrwasser  des  Konkordienbuches.    Man  hatte  eben 


1)  Loserth,  Die  steirische  Religionspacifikation  1572 — 1578,  nach' 
den  Originalen  des  steiermärkischen  Landesarchivs  herausgegeben, 
Graz  1896,  S.  64—89. 

2)  Es  heißt  in  den  Verhandlungen  (Loserth,  S.  71),  dies  Buch 
sei  zwar  ein  sehr  edler  Schatz  und  solle  fleißig  gelesen  werden,  aber 
„weils  zu  fünfmallen  ausgangen  imd  in  dem,  artikel  vom  freien 
willen  im   letzten  nachdruck   nicht  ohn  ursach  angefochten  worden, 

kaus   nicht    ad    normam  veritatis    gerechnet    werden „In  der 

ersten  edition  des  gemelten  buechs  Philippi  ist  vom  selbigen  articl 
nichts  unsers  wissens  imrecht  gelehret ;  daraus  möcht  man  auch  die 
folgenden  editiones  corrigieren,  denn  so  solche  Warnung  statt  hat, 
ist  es  fürwar  ein  nutzlich  und  notwendig  buech  zu  lesen  dem,  der 
ein  gueter  theologus  zu  werden  wünschet." 

3)  Loserth,  Eef.  u.  Gegenref.  etc.,  S.  210. 


-     355     — 

mit  denselben  Gegensätzen  zu  paktieren  wie  draußen  im 
Reiche.  Da  waren  einerseits  die  Kärntner  zu  berücksichtigen, 
welche  ja  mit  im  Rate  saßen,  als  die  Kirchenordnung  ver- 
einbart wurde.  Zwar  waren  Stainer  und  Prantel  keine  Fla- 
cianer  mehr,  aber  sie  mußten  doch  auf  ihre  Landherren  und 
Prediger  Rücksicht  nehmen,  deren  flacianische  Gesinnung  teils 
notorisch,  teils  nur  durch  die  Furcht  zurückgedrängt  war^). 
Diesen  zulieb  wurde,  ganz  wie  in  der  Konkordienformel, 
Melanchthons  späterer  Synergismus  abgewiesen  ^j.  Anderer- 
seits wurde  aber  auch,  wie  in  der  Konkordienformel,  Flacius' 
Irrtum  von  der  Erbsünde  zurückgewiesen;  teils  weil  dies 
allgemein  Sitte  damals  geworden,  teils  auch  zur  Beruhigung 
der  Krainer.  Bei  diesen  war  bekanntlich  von  Anfang  an 
durch  Primus  Trüber  die  melanchthonische  Richtung,  wo 
nicht  gar  „zwinglische  Opinionen",  vertreten.  Der  alte 
Klombner  in  einem  schon  S.  99  angeführten  Briefe  an 
Gallus  klagt  bitter  über  Trubers  schädlichen  Einfluß  3),  der 
sich  in  der  Verhinderung  der  Anstellung  Melissanders  in 
Krain  kundgethan.  Gott  werde  ihm  seinen  Lohn  geben. 
Wie  er  jetzt  die  Kirche  störe,  also  habe  er  allerwege  ge- 
than.  Er  hoffe  nur,  daß  Trubers  Mängel  bei  dieser  Gelegen- 
heit an  den  Tag  kommen  würden,  und  dringt  auf  Recht- 
fertigung solcher  Handlangs weise  seitens  der  Theologen  zu 
Tübingen.  Man  solle,  so  wünscht  er  in  einer  Nachschrift, 
den  Trüber  befragen,  warum  Herr  Krell  seinen,  Trubers, 
Katechismus  aus  der  Kirche  gethan;  ihm  vorhalten,  daß  er 
das  Sakrament  allein  signa  oder  Zeichen  sein  lasse ;  endlich 
ihn  auf  seine  windische  Vorrede  über  das  neue  Testament 


1)  Vgl.  Dr.  Franz  M.  Mayer,  Jeremias  Hornberger,  im  Archiv 
für  österr.  Gesch.,  Bd.  74,  S.  233. 

2)  Vgl.  Chytr.  Epp.,  p.  1181  f.,  wo  Chyträus  die  SteUung, 
welche  die  Konkordienformel  zu  Melanchthon   einnahm,  tadelt. 

3)  Laibach,  Samstag  vor  Pfingsten  156S  (E.  A.  Eccl.,  Kasten  D, 
Fach  I,  No.  XXXVI,  St.  25).  Trüber  hatte  zwar  seit  JuU  1065 
sein  Vaterland  bereits  für  immer  verlassen,  aber  sein  Einfluß  von 
Württemberg  aus  blieb  gleichwohl  ein  bedeutender. 

23* 


—    356     - 

weisen  was  er  da  von  Werken,  Justifikation,  freiem  Willen, 
Majorismus  und  des  mehr  gehandelt:  so  müsse  er  wider- 
rufen oder  verketzert  sein.    Damit  würde  die  Kirche  reiner 

werden  i). 

Die  krainerischen  Gemeinden,  der  großen  Mehrzahl  nach 
slo venisch,  waren  nicht  einmal  bei  dieser  wichtigen  Paci- 
fikationsverhandlung  (1578)  vertreten.  Die  Gesandten  aus 
Krain  hatten  sich  kurzweg  erboten,  was  die  übrigen  Theo- 
logen beschließen  und  die  Landschaft  ratifizieren  werde, 
auch  von  ihren  Theologen  annehmen  zu  lassen,  als  ob  die- 
selben zugegen  gewesen  wären  2).  In  ähnlicher  Weise  unter- 
schrieben sie  im  Frühjahr  1582  das  Andreäsche  Konkordien- 
werk,  während  Kärnten  im  Widerstand  verharrte  ^j.  So 
wenig  Verständnis  hatten  diese  slovenischen  Gemeinden  für 
die  großen  Interessen,  die  1578  und  1582  verhandelt  wurden, 
daß  sie  sich  einmal  blindlings  zufrieden  gaben  (1578)  und 
das  zweite  Mal  unterschrieben,  was  man  wollte. 

Fragen  wir  uns  nun,  was  der  Einfluß  dieser  inner- 
österreichischen Kirchenordnung  auf  die  drei  Länder  ge- 
wesen, so  fällt  die  Antwort  nicht  eben  befriedigend  aus. 
Verfolgen  wir  zunächst  das  Geschick  Hombergers  in  Steier- 
mark, mit  welchem  der  Fortgang  der  Reformationsbewegung 
aufs  engste  verbunden  war,  so  ist  auch  hier  reichlich  Anlaß 
zur  Enttäuschung.  Die  mit  Hornberger  zusammen  wirkenden 
Prädikanten  —  wir  nennen  nur  David  Thoner,  der  seit  1570 
Prediger  an  der  Stiftskirche  war,  Heinrich  Osius  (der  Sohn), 


1)  In  der  That  hatte  Trüber  iu  jener  langen  Vorrede  zum 
Neuen  Testament  die  loci  Melanchthons  zur  Herstelhmg  einer  norma 
doctrinae  benutzt  (s.  Elze,  Jb.  d.  Ges.  f.  Gesch.  d.  Prot.,  1894,  Heft  3, 
S.  138).  Bemerkenswert  ist  in  diesem  Zusammenhang  das  an  die 
Krainer  gerichtete  Edikt  ihres  Landesfürsten  vom  25.  März  1577,  in 
welchem  die  Zulassung  der  calvinischen,  aus  der  Pfalz  ausgeschafften 
Prädikanten  zum  Predigtamt  verboten  und  selbst  ihre  Anwesenheit 
im  Lande  nicht  geduldet  werden  soll  (Laibacher  Landesarchiv,  Fase. 
54  h.  Evang.  Relig.   Sachen,   woselbst  ich   den  Akt  1893  gefunden. 

2)  Vgl.  Loserth,  Pacifikation,  S.  65. 

3)  Mayer,  a.  a.  O.  S.  232. 


—    357     — 

Widemann,  Latomns,  ötamler  und  M.  Egen  —  waren  nicht 
geeignet,  um  dem  gewaltigen  Vorstoß  des  mit  den  Jesuiten 
verbündeten  Hofes  in  Graz  Widerstand  zu  leisten.  Vielleicht 
nicht  so  sehr  die  Energie,  aber  der  echte  Zeugenmut  der 
ersten  Zeiten  fehlte  ihnen.  Ja,  vielfach  ist  ihnen  Unbesonnen- 
heit nachgesagt  worden.  Hornberger  sah  in  der  Unterschrift 
der  Konkordienformel  alles  Heil  und  setzte  sie  in  Inner- 
österreich thatsächlich  durch.  Was  ihm  und  seinen  Kollegen 
sonst  noch  am  Herzen  lag,  zeigt  ein  breitspuriges  Gut- 
achten des  evangelischen  Schul-  und  Kirchenministeriums 
in  Graz  vom  3.  Juli  1578.  D.  Georg  Cöleptin,  Hofprediger 
und  Dompropst  in  Brandenburg  ^),  hatte,  wie  ein  in  den  E..  A. 
befindlicher  Brief  von  ihm  an  das  Regensburger  Kon- 
sistorium zeigt  ^) ,  eine  Reise  nach  Innerösterreich  unter- 
nommen zur  Eörderung  seines  Unternehmens,  um  koiTekte 
Bibeln  und  Exemplare  der  Augsburger  Konfession  in  der 
Kirche  zu  verbreiten.  Die  Grazer  Prediger  betrachten  es 
als  wünschenswert,  daß  die  Verordneten  etliche  hundert 
Exemplare  beschaffen  lassen;  endlich  empfehlen  sie,  dem 
Georg  Cölestin  zu  gestatten,  den  fünften  Teil  seiner  Ge- 
schichte der  Augsburger  Konfession  den  innerösterreichischen 
Landschaften  zu  widmen.  Solches  wäre  ein  öffentliches 
Zeugnis,  daß  die  evangelischen  Kirchen  dieser  Lande  mit 
den  sächsischen  und  anderen  Kirchen  übereinstimmten,  was 
man  an  wenig  Orten  wisse  und  glaube.  Sie  hoffen,  es 
werde  solches  die  Sekten  erschrecken,  daß  sie  in  diesen 
Landen  nicht  Unterschlupf  suchen  werden.  —  Dieses  Gut- 
achten zeugt  von  den  kleinlichen  Rücksichten,  die  man 
besonders  auf  den  Landesfürsten  nehmen  mußte,  und  nicht 
mehr  vom  Heroismus  der  früheren  Zeiten  ^). 


1)  Loserth,  Die  Eeformation  und  Gegenreformation  in  Inner- 
österreich, S.  583;  sein  Streit  mit  Chyträus  über  die  Augsburgische 
Konfession  vgl.  Chyträi  Epp.,  p.  848. 

2)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXIII  Z.  44. 

3)  Ein  ähnliches  Beispiel  gibt  uns  Loserth,  Zur  Kritik  des 
Eosolenz,  p.  497,  wo  auch  ein  Überfluß  an  Eeverenz  vor  der  hohen 


—    358    — 

Aber  auch  Hornberger  war  dem  Hofe  noch  ein  viel  zu 
prononcierter  Vertreter  der  protestantischen  Sache.  Ihn  zu 
entfernen,  war  das  Hauptanliegen  des  Landesfürsten.  Am 
21.  Juni  1580  wurde  ihm  einfach  die  Kanzel  untersagt. 
Zwar  blieb  er  noch  bis  1585  als  Oberpfarrer  im  Dienst 
der  Stände  und  beschäftigte  sich  literarisch.  Besonders 
war  er  in  Augsburg  auf  dem  Reichstag  1582  thätig,  wo  er 
neben  anderem  die  Annahme  der  Konkordienformel  betrieb, 
indem  er  Unterschriften  aus  Innerösterreich  mitbrachte  und 
überreichte.  Auch  stand  er  den  Ständen  thatkräftig  zur 
Seite;  seine  in  Augsburg  verfaßte  Oratio  diente  zur  Er- 
läuterung des  damaligen  Standes  der  evangelischen  Kirche  i) 
in  Innerösterreich.  Nachdem  er  1585  dennoch  eine  amt- 
liche Verrichtung  vorgenommen,  die  ihn  in  Kollision  mit 
dem  Landesfürsten  brachte,  mußte  er  der  Gewalt  weichen 
und  das  Land  verlassen  2).  Zwar  nahmen  sich  die  Tübinger 
aus  der  Ferne  mit  guten  Ratschlägen  der  Steirer  an,  aber 
damit  wird  keine  Kirche  instand  gehalten.  Wenn  jedoch 
Loserth  in  der  zu  buchstäblichen  Befolgung  jener  fried- 
lichen, auf  Nachgiebigkeit  dringenden  Ratschläge  Andreas 
den  Grund  des  Niederganges  und  Unterganges  des  Evan- 
geliums in  Steiermark  findet,  so  ist  uns  dies  durchaus 
fraglich  3),  Den  Grund  haben  wir  vielmehr  darin  zu  suchen, 
daß  es  an  tüchtigem  Nachswuchs  fehlte,  sowohl  in  der 
Kirche  als  in  der  Stiftsschule.  Wie  es  dort  an  heroischem 
Mute  fehlte,  so  fehlte  es  hier  wohl  einmal  an  der  nötigen 
Gelehrsamkeit,     \im      den     sich      eindrängenden      Jesuiten 


Obrigkeit  und  kleinliche  Sektenfurcht  zutage  tritt.  Die  Zurechtweisung 
des  Grazer  Kirchenministeriums  vom  18.  Dez.  1598  betraf  einen  ge- 
wissen Schwaiger,  Pfarrer  in  Mitterndorf  (wo  ein  Bergwerk  war),  Sohn 
des  alten  Pfarrers  zu  Aussee,  wegen  seines  sogen.  „Münzerisc he n 
Geistes,  dessen  ihn  der  Landprofos  beschuldigt".  Der  Vater  gehörte 
zu  Gallus  Freunden  und  er  selbst  war  in  Regensburg  ordiniert. 

1)  Vgl.  Mayer,  a.  a.  O.  S.  240. 

2)  Loserth,  Ref.  u.  Gegenref.  S.  468  ff. 

3)  Loserth,  a.  a.  O.  S.  396,  und   Die  Beziehungen  der  steier- 
märkischen  Landschaft  etc.,  S.  17. 


—    359    — 

im  Wortkampf  Widerstand  leisten  zu  können  ^).  Es  ge- 
nügte doch  nicht,  von  Tübingen  avis  den  literarischen 
Kampf  mit  den  Jesuiten  zu  führen.  Der  berühmte  Jakob 
Heerbrand,  Professor  in  Tübingen,  schrieb  auf  drei  jesu- 
itische Schriften:  „Der  evangelische  Wetterhan,  Graz  1587", 
„Verkehrter  Katechismus"  und  Georg  Scherers  „Fragstück 
und  Antwort  auf  Dr.  Luthers  Büchern",  in  welchen  Luthers 
Lehre  durch  Nachweisung  von  Widersprüchen  diskreditiert 
werden  sollte,  drei  Widerlegungen,  von  denen  wir:  „Propfung 
und  Abfertigung  ....  des  evangelischen  Wetterhanen,  Tü- 
bingen 1588"  hervorheben  2).  Aber  die  Abwesenden  haben 
immer  Unrecht,  und  so  behielten  die  Jesuiten,  die  am  Hofe 
das  vollste  Vertrauen  genossen,  recht,  und  ihre  Schriften 
erhielten  eine  ungerechtfertigte  Bedeutung. 

Wenn  das  Öl  der  Lampe  gebricht,  verlöscht  sie  endlich. 
Über  diese  harte  Thatsache  täuscht  uns  die  Klage  über 
unterlassenen  Widerstand  gegen  die  Obrigkeit  nicht  hinweg. 
Sich  an  die  Spitze  eines  Aufstandes  zu  stellen,  hätte  den 
ohnedies  schon  nicht  mehr  allzu  entschiedenen  Adeligen 
nichts  mehr  geholfen  und  noch  weniger  den  Geistlichen. 
Der  Aufstand  hat,  wie  die  Geschichte  zeigt,  recht  ver- 
schiedene Erfolge  gehabt.  In  Schottland  und  den  nördlichen 
Niederlanden  gelang  er,  in  Frankreich  und  Belgien  nicht. 
Es  hängt  hier  alles  von  Gott  ab,  ob  Er  einem  Lande  gnädig 
sein  will  oder  nicht.  Ist  Er  gnädig,  so  bleibt  das  gute  Zeug- 
nis, und  die  Pforten  der  Hölle  können  es  nicht  überwältigen. 
Ist  Er  es  nicht,  dann  machen  alle  selbstwilligen  Versuche  zur 
Rettung  eines  Landes  die  Sache  nur  um  so  schlimmer. 
Einen  ähnlichen  Maßstab  hat  auch  Bugenhagen  angelegt  bei 
der  Beurteilung  des  Rechtes  der  Unterthanen,  um  sich  der 
Obrigkeit  zu  widersetzen.  Er  sagt  unter  anderem :  „Rechte 
Christen  müssen  Unrecht  leiden",  und  fragt:  „Wo  ist  aber 
vonnöten,    daß    man    diesen    Dingen    mit    menschlichen    An- 


1)  Loserth,  Ref.  u.  Gegenref.  in  Innerösterreich,  S.  487  ff. 

2)  Loserth,  a.  a.  O.  S.  491  ff. 


—    360    — 

schlagen  will  zuvorkommen,  welche  ich  doch  nicht  für 
menschlich  achte.  Gott  der  Herr  wird  neben  der  Ver- 
suchung ein  Auskommen  machen,  darumb  sollen  wir  Gott 
bitten,  daß  er  wolle  unsere  Sache  nach  seiner  Barmherzig- 
keit ausführen  und  richten,  wohin  er  will"  ^j. 

In    der    schwierigen    jui-istischen    Frage,    welche    Be- 
deutung   der    Religionsfriede    (1555)    für    Steiermark   habe, 
gingen  die  Stände  und  der  Landesfürst  von  Anfang  an  weit 
auseinander.     Man    erwies    zwar    aus    alten    Urkunden   und 
den   Artikeln    der    Landesfreiheit,    daß    der   Religionsfriede 
auch    für   Innerösterreich    gelten    müsse,    da    es    unter    des 
Reiches    Schutz   und    Schirm    stünde  2),    aber    der  Wortlaut 
des  Religionsfriedens  war  nicht  so  deutlich,  um  die  Freiheit 
der  Religion  für  die  protestantischen  Stände  zu  erzwingen. 
Wirklich  drohte  auch  der  Erzherzog  1582  3),   daß,    falls  sie 
vom  Kaiser  abschlägig  beschieden  werden  würden,    er    die 
Schärfe  hervorkehren  und  die  Bestimmungen  des  Religions- 
friedens   (wie    er   ihn    verstand)    auf    sie    anwenden    v/olle. 
Und   als    es    nun  1582    zur  Anrufung   der  Intercession    der 
Reicbsstände   in    Innerösterreich  kam,    erwirkte  man  nichts 
weiter  als  leere  Vertröstungen.    Nach  Kursachsens  Vorgang 
entzogen    sich    die    anderen  Fürsten    dem    energischen  Ein- 
greifen;  gleichwie  auch  1648,  als  es  galt  den  Österreichern 
die  Wohltat    des  Religionsfriedens  zuzuwenden.     Der  Erz- 
herzog  fuhr,    unter   den    ihn  bestärkenden  bayrischen    Ein- 
flüssen, in  der  Bedrängung  seiner  Unterthanen  fort  ^).    Was 
blieb  demnach  übrig,  als  sich  unter  Gottes  Hand  zu  beugen 
und  Unrecht  zu  leiden? 

Wie  kühl  bereits  um  diese  Zeit  sich  die  alten  Helfer 
in  Regensburg  verhielten,  zeigt  uns  ein  Schreiben  des  Super- 

1)  Erl.  Ausg.  64,  279. 

2)  Loserth,  a.  a.  O.  S.  100,  und  derselbe,  Miscellen  zur  steier- 
märkischen  Eeformationsgesch.,  in  Jb.  f.  Gesch.  des  Prot,  in  Oster- 
reich, 1899,  8.  188. 

3)  Loserth,  S.  383.    C.  Hirsch  war  die  Seele  der  Intervention. 

4)  Loserth,  S.  412  ff. 


-     361     — 

intendenten  Rosinus  an  den  Rat  fvoni  April  1586).  In 
demselben  ersucht  er  um  Bewilligung,  „Dr.  Hombergers 
Abschiedlied"  in  Regensburg  zu  drucken.  In  warmen 
Worten  hatte  Rosinus  zwei  in  Reim  gestellte  Gesänge, 
welche  die  über  Hombergers  Weggang  betrübten  Christen 
in  Steiermark  stärken  sollten,  um  beständig  bei  der  Wahr- 
heit zu  bleiben,  empfohlen.  Er  weist  darauf  hin,  daß  dieser 
Trost  um  so  nötiger  sei,  als  keine  Aussicht  auf  Wiederkehr 
vorhanden,  nachdem  bereits  Hombergers  Nachfolger  (Zimmer- 
mann aus  Württemberg)  berufen  worden.  Rosinus  beklagt, 
daß  die  Stimmung  im  Herren-  und  Ritterstande  so  schnell 
eine  andere  geworden,  nachdem  sie  Homberger  doch  mit 
der  Hoffnung  entlassen,  daß  er  „des  Endes  eines  allgemeinen 
Conventes  erwarten"  und  dann  restituiert  werden  sollte. 
Der  Rat  wies  die  Drucklegung  des  Abschiedsliedes  ab, 
indem  er  offenbar  im  Sinne  der  steirischen  Herren  zu 
handeln  vermeinte,  welche  nicht  wünschen  konnten,  daß 
durch  solche  Lieder  Öl  ins  Feuer  gegossen  werde.  Wirklich 
kehrte  Homberger  nicht  mehr  nach  Steiermark  zurück, 
sondern  starb  am  5.  Oktober  1595,  ohne  Amt  und  ohne  von 
einer  Partei  getragen  zu  sein,  in  Mähren  2).  Jene,  auf  die 
er  sich  verlassen  hatte,  lohnten  ihm  mit  Undank,  wenn  sie 
auch  für  sein  äußerliches  Fortkommen  jedenfalls  noch  1590 
durch  eine  Provision  (Pension)  von  200  fl.  sorgten  3). 

In  Krain  war  das  Gros  der  Geistlichen,  die  in  der 
späteren  Zeit  angestellt  wurden,  von  geringerer  Güte  als 
in  Steiermark  oder  gar  in  Kärnten.  Der  Versuch  des 
Slovenen    Krell,    eine    flacianische    südslavische   Kirche    zu 


1)  R.  A.  Eccles.,  No.  XL,  Z.  56. 

2)  Vgl.  über  die  Versuche,  dem  Homberger  eine  Stelle  im 
Reiche  zu  verschaffen,  einen  von  Chyträus  an  ihn  gerichteten  Brief 
vom  Jahre  1588,  wo  verschiedene  Möglichkeiten  erwogen  werden, 
dem  Freunde  wieder  zu  einer  Anstellung  zu  verhelfen.  Preußen, 
Jena,  auch  Schweden  werden  erwähnt  und  Homberger  endlich  zur 
Geduld  ermahnt. 

3)  Loserth,  a.  a.  0.  S.  590. 


—     362     — 

organisieren,  scheiterte  an  dem  Widerstand  der  mächtigen 
Gegenpartei  und  wurde  durch  seinen  Tod  gänzlich  ab- 
gebrochen. Er  unterrichtete  selbst  etliche  Schüler,  um  sie 
zum  Amt  vorzubereiten,  da  es  so  sehr  an  Geistlichen  fehlte, 
fand  aber  auf  seinem  Wege  beständig  solche,  die  dem  An- 
hange Trabers  zugehörten  (Kinder  der  älteren  Adiaphoristen, 
wie  er  sie  nennt).  Er  hofft,  nach  einem  Briefe  an  Gallus 
vom  23.  November  15661),  mehr  durch  treues  Gebet  zu 
erlangen,  als  die  Feinde  (die  Römischen)  durch  ihre  gott- 
losen Unternehmungen  und  Anwendung  scharfer  Gewalt- 
mittel (impiis  suis  conatibus  ac  gladio).  Er  dringt  auf  den 
Druck  der  Postille  Joh.  Spangenbergs,  damit  dadurch  ihre 
kleine  illyrische  (flacianische)  Gemeinde  gefördert  werde.  Aber 
nicht  einmal  das  wollen  die  Gegner  gutheißen.  Dann  bittet 
Krell  um  Nachrichten  über  Flacius  und  dessen  Geschick. 
Bei  den  krainischen  Predigern  mußte  hauptsächlich  auf 
Kenntnis  der  windischen  (slovenischen)  Sprache  gesehen 
werden  ;  sie  sind  in  neuester  Zeit  von  Elze  in  seinen  Bio- 
graphien krainischer  Prediger  wieder  ans  Licht  gezogen  ^j. 
Meist  wurden  sie  in  Tübingen  ausgebildet  und  standen 
unter  dem  Einfluß  des  dort  in  Verbannung  lebenden  Primus 
Trüber.  An  eine  ruhige,  kräftig  aufstrebende  Entwickelung 
der  Krainer  Kirche  war  auch  schon  wegen  der  Türken- 
gefahr nicht  zu  denken.  Dazu  kam  das  häufige  Auftreten 
der  Pestilenz,  ferner  ungewöhnlich  früher  Tod  schwer  zu 
ersetzender  Prediger  (14  an  der  Zahl),  endlich  die  Miß- 
gunst des  Landesfürsten  und  der  durch  ihn  geförderten 
Jesuiten.  Somit  begreifen  wir,  daß  auch  Krain  unter- 
liegen mußte  unter  den  Streichen  der  Gegenreformation. 
Als    bleibende    Erucht    ist    der    Landschaft    Krain    durch 


1)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXIII,  Fase.  2,  Z.  15. 

2)  Vgl.  die  neuesten  Mitteilungen  Elzes,  die  nach  seinem  Tode 
im  Jb.  d.  Ges.  f.  d.  Gesch.  des  Prot,  in  Österreich,  XXI,  Heft  3 
und  4  unter  dem  Titel  „Die  evangelischen  Prediger  Krains  im 
XVI.  Jahrhundert"  erschienen  sind. 


—     363     — 

Trubers  und  Dalmatins  Fleiß  die  Bibelübersetzung  in  win- 
discher Sprache  hinterlassen,  womit  der  Grund  zu  einer 
slovenischen  Litteratur  für  spätere  Zeiten  gelegt  wurde. 

Unter  den  drei  Ländern  Innerösterreichs  nahm  Kärnten 
die  günstigste  Stellung  ein.  Schon  seine  geographische 
Lage  ließ  es  mehr  abseits  stehen,  wiewohl  man  in  allen 
Stücken  an  den  Wohlthaten  der  Pacifikation  fl572)  und 
der  Brucker  Religionshandlung  (1578)  Anteil  hatte.  Graz 
war  eben  „des  Königs  Stift"  ^),  Klagenfurt  dagegen  weit 
vom  Schuß.  Auch  auf  den  Landtagen  spielten  die  Steirer 
die  Hauptrolle;  bei  der  Herstellung  der  Kirchenordnung 
1578  waren  die  Kärntner  nur  dürftig  vertreten,  die  Krainer 
gar  nicht.  Die  ersteren  opponierten  in  einzelnen  Stücken 
den  Steirern.  Bei  der  wichtigen  Verhandlung  mit  dem 
Erzherzog  vom  Jahre  1580  waren  weder  Kärnten  noch  Krain 
vertreten  ^). 

Von  früh  an  stand  man  in  Klagenfurt  in  Verbindung 
mit  Regensburg.  Wir  haben  einen  interessanten  Brief  des 
Predigers  Martin  Khnorr  vom  25.  April  1570  an  Gallus, 
mitunterzeichnet  von  den  Pfarrern  Johann  Hauser  zu  Villach, 
Hannss  Faschang  zu  Tultsching  und  dem  Advokaten  der 
Landschaft  Johann  Krauss  ^).  In  diesen  Männern  haben 
wir  wohl  die  damaligen  Führer  der  Evangelischen  in 
Kärnten  zu  erkennen.  Hauser  hatte  das  1566  erschienene 
„Bekänntnis  des  Glaubens  der  Evangelischen  Prediger  in 
Kärndten"  mitunterschrieben^)  und  auch  katechetische  Frag- 
stücke drucken  lassen,  worin  er  „eine  richtige  christliche, 
lutherische  Beschreibung  der  Erbsünde"  den  Accidens- 
schwärmern    entgegenstellt  ^). 

Dieses  Schreiben  zeigt  uns  denselben  warmen  Ton  wie 
die  Briefe  eines  Pica  und    Klombner;    dieselbe    Klage  dar- 


1)  Arnos  7,  13. 

2)  Loserth,  S.  357. 

3)  R.  A.  Eccles.,  No.  XL,  Z.  54. 

4)  Raupach,  Presbyt.,  S.  58. 

5)  Vgl.  Irenäus,  Censuren  und  Urteil  etc.,  Mansfeld  1579,  III 
Q.  3. 


—     364     — 

über,    daß  die  Ernte  groß  sei  und  der  Arbeiter  wenig,  was 
sich    niemals    so    klar   gezeigt  wie  jetzt,   wo  der  Teufel  in 
seinen  Gliedern  so  grausam  wüte  und  tobe.    Auch  sei  dies 
ein  böses  Zeichen,  daß  die  Wächter  schlummern  und  schlafen 
und    viele    der   Prediger    und    Lehrer,    so    sich    der    armen 
Schäflein  sollten  annehmen,  entweder  stumme  Hunde  werden 
oder  „dem  Wolf  statgeben  dieselben  zu  .  .  .  zerreißen,    Ja 
noch  wol  als  miedling  gar  dauon  zu  fliehen  ....     Bey  vns 
in  disen  Lannden  hat  sich  der  allmechtig  güetig  Gott  gnedig 
durch    sein   wort    wunderbarlich    offenwaret,    also    das,    wie 
hart    sich    der  Teufl    dawider    setzet  dennocht  die  Kirchen 
also  wachset  das  die  Erndte  nur  grösser  vnd   der  Arbeiter 
zu  wenig  werden.  Sonderlichen  erscheint  bei  vns  der  mangl 
das    vill    windisch    Volckh    in    disen    Lannden    vnd    wenig 
Christliche  Euangelische  Predicanten  sein,  die  die  sprachen 
souiel  das  sie  Predigen  möchten,  khünnen.    Mangls  also  auf 
allen   selten,    da   man  Predigen  vnd  dem  einreissenden  Vbl 
in  Teutschland  weren  khündt,    auch    die    leut   die  sprachen 
khünnen,    da  will    es  khain    ernst  an  vill  ortten  mehr  sein. 
Hie    da    man    gern    Prediget    fällen    vns    Leut    so    zu    dem 
ministerio  tauglich  vnd  der  windischen  sprachen  verstendig 
sein;    derhalben  wan  Gott  etwan  ainen  derselben  vns  gibt, 
müessen  wir    nit   iederzeit    auf   die  grosse  khunst,    sonnder 
alain  auf  die  raine  lere  vnd  erbarn  wandl  sehen  vnd  mug- 
lichistes    fleiß    Ime    zu    dem    ministerio    furdern ,    derselben 
ainer   ist   auch    diser   Anthonius   Leban,    welcher    ain   Zeit- 
lang Im  Fürstenthumb  Crain  der  Jugend  in  Schnellen  vor- 
gestanden, hernach  an  denen  orten,  da  sie  der  offendtlichen 
Predig   beraubet,    hat    er    die    feiertag    den  armen  das  Eu- 
angelium    in  windischer    sprach    aus    den  Postillen  Truberi 
sambt    desselben    Catechißmo    vorgelesen    darüber    er    bald 
vertriben    worden.     In    solchem    Creutz    vnuerzagt    zu    vns 
hieher    khommen    vnd    antzaigt ,    da    er    ain    berueff    hette 
wolte    er    mit  Gottes   HilfF   vnd    beistand    sich    gar    in    das 
Predigambt  begeben,  vnd  bey  der  angefangnen  Christlichen 
Confession    verharren.      So    ich    Martinus    Khnorr    dan    in 


—    365    — 

meiner  Pfarr  alhie  zu  Ciagenfurt  vill  windisch  Volckh  hab 
vnd  aines  solchen  Christlichen  mitgehülffen  sehr  notturfftig, 
Haben  vnser  etlich  Ine  derwegen  besprächet  i)  vnd  in  der 
lere  vnd  Confession  aufrecht  befunden.  Hab  derhalben 
Ine  berueffen  vnd  zu  ainem  mitdiener  begert.  Des  er  sich 
guetwillig  sein  erclärt.  Damit  er  dan  ein  oifendlich  ge- 
zeugkhnus  habe,  Ime  auch  nach  dem  gebrauch  vnserer 
Augspurgischen  Christlichen  Religion  vnd  Inhalt  der  hei- 
ligen schrifft  das  ministerium  ordenlich  beuolhen  vnnd  die 
Hend  aufgelegt,  er  mit  der  gab  des  Heiligen  Geistes  erfüllet 
werde,  Ist  im  rat  vnserer  etlicher  ministri  vnd  anderer 
mitbrüeder  für  guet  angesehen,  Ine  E.  E.,  nachdem  vns 
bisher  solches  nit  zuegeben  noch  von  vnserer  weltlichen 
Obrigkeit  erlaubt  wird,  zuezuschickhen  vnnd  derselben 
examini  zu  beuelhen,  Ine  zu  bestatten  ^),  alßdan  mit  euerm 
vnd  derselben  Collegen  testimonio  vns  wider  herein  zu- 
uerordnen.  Dan  wir  vns  in  allem  eurer  lere  vnd  Confession 
mitglider  erkhennen,  wollen  vns  auch  getrösten  unser  Crist- 
liches  begern  werde  bey  E.  E.  statfinden.  Wie  wir  euch 
herr  dan  dessen  hiemit  diser  unser  fürschrifft  hertzlich 
brüederlich  vnd  freundtlich  ansinnen,  vngezweiflt  ob  er 
etwan  Im  Latein  gleich  nit  so  gar  leuffig,  doch  in  der 
Lere  rain  vnd  aufrecht  wird  erfunden  werden.  Wollt  Ine 
demnach  auch  Gott  vnd  eurer  gemain  fürs  teilen,  vnd  im- 
positione  manuum  neben  vns  Got  für  Ine  bitten,  daran 
wird  Cristo  die  ehr  geben,  vnd  damit  vnser  Kirchen  eurer 
zuegethan.  Ja  wir  alle  mit  disem  offendlichem  gezeukhnus 
werden  von  dem  offenwarten  Antichrist  vnd  seiner  falschen 
lere,  abgötterey  vnd  Schmirbüchsen  abgesondert.  Wir  wollen 
vnd  sollen  auch  Gott  darumb  loben  vnd  mit  ainhelligem 
gebet  vmb  Weiterung  seiner  gemain  vnd  diener  des  worts, 
so  in  der  lere  rain  sein  Imerdar  zusamen  setzen,  womit 
wir  auch  mugen  solches  vmb  E.  E.  vnd  mitverwonte  vnsere 
lieben    Herrn    vnd    brüeder    fieissig    verdienen,    der    barm- 

1)  examiniert. 

2)  bestätigen. 


—     366     - 

hertzig  allmechtig  güettig  Gott  vnd  Vatter  vnsers  ainigen 
Heilands  Jesu  Christi  erhalt  vns  bey  seinem  wort  in  be- 
stendiger  bekhandtnus  rainer  gesundter  lere  vnd  vnerger- 
lichen  wandl  zu  Heiligung  seines  namens,  erbauung  seines 
Reichs,  damit  dardurch  bey  vns  auf  Erden  sein  will  ge- 
schehe wie  im  Himel,  in  erneutem  erklärtem  vnd  Trium- 
phirten  vnserm  lieben  Herrn  Jesu  Christo,  welcher  harschet 
vnnd  Regiret  mitten  unter  seinen  Feinden,  vnd  khunötig 
ist  zurichten  die  lebendigen  vnd  die  Todten,  des  ankhunfft 
wir  auch  erwarten,  vnd  mit  Ime  ewig  begern  vnd  die  wir 
hie  laid  tragen,  dort  mit  lue,  dem  Vatter  vnd  Heiligen 
Greist  vnd  allen  auserwelten  Gottes  zufreuen  vnnd  zuleben. 
Amen,  Amen,  Amen." 

Wir  entdecken  in  diesem  Briefe  des  Klagenfurter 
Pfarrers  die  Anzeichen  einer  engen  Verbindung  der  Kärtner 
mit  Regensburg.  Dieselben  waren  einig  in  Verteidigung  der 
Erbsündenlehre,  wie  solches  aus  der  Bekenntnisschrift  vom 
Jahre  1566  erhellt.  Daher  ist  es  nicht  verwunderlich,  daß 
Haubold  und  Peristerius  nach  ihrer  Vertreibung  aus  Regens- 
burg nach  Kärnten  zogen  und  andere,  wie  Lupulus,  dorthin 
berufen  wurden.  Peristerius  schrieb  in  Villach ,  wo  er 
Hauser  vorfand,  1574  eine  Verteidigungsschrift  der  Erb- 
sündenlehre im  Sinne  von  Gallus  und  der  älteren  Regens- 
burger ^j.  Er  hat  aber  später  seine  Ansicht  geändert  und 
eine  Gegenschrift  unter  dem  Titel:  „Retractationder  Ao.  1574 
gestellten  kurzen  Antwort"  verfaßt,  wodurch  er  sich  mit 
Hauser  und  der  Mehrheit  der  Gemeinde  überwarf.  Sowohl 
Hauser  wie  Peristerius  mußten  ihres  Dienstes  entlassen 
werden.  Ersterer  ging  an  die  ungarische  Grenze,  letzterer 
wurde  zum  Rektor  der  Stiftsschule  in  Graz  ernannt  ^j.  Hau- 
bold ward  Rektor  an  der  1563  errichteten  adeligen  Schule 


1)  Irenäus,  Censuren  III,  O,  o,  2. 

2)  Peristerius  war  ein  Mann  ohne  Charakter ;  sein  Sohn  wurde 
später  Jesuit,  nachdem  er  von  der  Landschaft  viele  Wohlthaten  ge- 
nossen (vgl,  Loserth,  die  Beziehungen  etc.  p.  106). 


-    367     — 

zu  Klagenfurt  und  schrieb  hier  1575  im  Verein  mit  dem 
Pfarrer  Andreas  Lange  eine  polemische  Schrift  gegen  Andrea. 
Dieser  Lange,  1566  von  Kurfürst  August  aus  Chemnitz  ver- 
jagt, war  von  Ludwig  von  üngnad  nach  Kärnten  berufen 
und  in  Waltenstein  angestellt  worden.  Später  kam  er  nach 
Cilli  und  dann  nach  Klagenfurt,  woselbst  er  sich  mit  Hau- 
bold wider  das  Konkordienwerk  und  dessen  Hauptförderer 
Andrea  wendete.  Er  hat  auch  Predigten  im  Druck  heraus- 
gegeben. Als  nun  die  Unterschrift  der  Konkordienformel 
durch  Homberger  in  Kärnten  betrieben  wurde,  mußten  beide 
neben  andern  das  Land  räumen  (Ende  1575  ^).  Doch  blieb  noch 
eine  genügende  Anzahl  ihrer  Gesinnungsgenossen  zurück,  die 
sich  der  Unterschrift  widersetzten  ^).  Um  die  Bedenken  der 
kärntnerischen  Stände  zu  zerstreuen,  wurde  Homberger  1582 
von  den  steirischen  Verordneten  nach  Klagenfurt  gesandt  ^). 
Die  Kärntner  Stände  meinten,  die  Konkordienformel  enthalte 
viele  Unrichtigkeiten  und  ihre  Unterschrift  sei  'mit  Gefahren 
verbunden.  Sie  suchten  Zeit  zu  gewinnen  und  verwiesen 
auf  den  nächsten  Landtag.  Homberger  versammelte  die 
Prediger  in  Klagenfurt '^) ,  und  diese  erhielten  auf  ihr 
Schreiben  an  die  Verordneten  die  Ermächtigung,  für  sich 
zu  unterschreiben;  doch  wiederholten  die  Verordneten,  daß 
die  Angelegenheit  selbst  dem  Landtage  vorgelegt  werden 
müsse.  Auf  der  Rückreise  suchte  Homberger  durch  Briefe 
und  Mittelspersonen  auf  die  einzelnen  Prädikanten  einzu- 
wirken. Auch  Trüber  drängte  um  die  gleiche  Zeit,  weil  er 
sich  eben  in  der  windischen  Vorrede  zum  Neuen  Testament 
auf  die  bereits  vollzogene  Unterschrift  auch  der  Kärtner 
berufen    habe.  —  Schließlich   wird    auch    der  Landtag  'sich 


1)  Eaupach  II,  256. 

2)  Mayer,  a.  a.  0.  S.  232  sieht  die  Gründe   des  Zögerns  der 
Kärntner  in  ihren  flacianischen  Neigungen. 

3)  Vgl.  die  Relation    über  diese  Reise  Hombergers   bei  Mayer 
S.  238,  und  Loserth,  Ref.  u.  Gegenref.  etc.,  S.  389. 

4)  Vgl.  Hermann,  Handbuch  der  Gesch.  Kärntens,  II,  S.  184, 
der  darin  eine  Eigenmächtigkeit  Hombergers  sieht. 


—    368    — 

der  Notwendigkeit  gebeugt  haben.  Wie  verschiedene  Länder 
im  Reich  mußten  auch  die  Kärntner  gedrängt  werden,  zu 
jenem  kirchenpolitischen  Schritt  ihre  Zustimmung  zu  geben, 
ohne  daß  sie  mit  dem  Herzen  dabei  waren.  Geschichtlich 
steht  fest,  daß  gerade  in  Kärnten  die  Kontrareformation 
mit  dem  äußersten  Widerstand  zu  kämpfen  hatte.  Besonders 
widersetzten  sich  die  Bürger  der  Städte  Villach,  St.  Veit 
und  Klagenfurt,  welche  nur  der  Gewalt  wichen,  ohne  inner- 
lich überzeugt  zu  sein.  Man  ging  auch  vorsichtig  mit  ihnen 
um,  indem  man  von  vornherein,  wie  Rosolenz  bezüglich 
Villach  andeutet,  darauf  verzichtete,  „bey  disem  Flacianischen 
Volck  gute  Frucht  zuschaflfen"  Sj.  Man  begnügte  sich  mit 
der  äußerlichen  Unterwerfung ;  die  endgiltig  Widerstrebenden 
schaffte  man  allmählich  aus  dem  Lande;  die  Prädikanten 
aber  wurden  verbannt.  Der  Landesfürst  machte  schonungs- 
los von  der  Gewalt  Gebrauch,  nachdem  Überredung  nichts 
gefruchtet.  Das  ehedem  augewandte  Mittel,  die  Landes- 
privilegien auf  den  Landtagen  zu  verteidigen,  versagte; 
die  Macht  der  Stände  unterlag  dem  gerade  damals  auf- 
kommenden und  bald  überall  siegreichen  fürstlichen  Ab- 
solutismus. 

Den  Gang  der  Reformationskommissionen  und  das 
wiederholte  Ansetzen  der  Staatsgewalt  zur  Durchführung 
der  Gegenreformation  hat  früher  Rosolenz  und  in  neuerer 
Zeit  der  seinen  Fußstapfen  folgende  Dr.  Schuster  beschrieben. 
Diese  landesfürstliche,  oder  besser  gesagt  jesuitische  Ver- 
gewaltigung eines  braven  frommen  Volkes  wollen  wir  in 
ihrem  schmerzlichen  leidensvollen  Verlauf  hier  nicht  wieder- 
holen. Ja,  es  wäre  auch  wohl  unmöglich,  denn  die  Akten 
über  die  Bekehrung  sind  meist  von  der  Erde  verschwunden 
oder  haben  wohl  niemals    existiert.     Nur  eins    ergiebt  sich 


1)  Eosolenz,  Gründlicher  Gegen bericht  auf  den  falschen  Bericht 
Jac.  Rungii  etc.,  S.  60.  In  Villach  allein  waren  nach  Rosolenz, 
S.  56  b  gegen  27  von  den  verschiedenen  Orten  des  Landes  vertriebene 
„Luthrische  und  Flaccianische  Predicanten"  versammelt,  die  daselbst 
ein  Asyl  suchten. 


-     369    — 

aus  den  Regensburger  Akten,  daß  gerade  in  Innerösterreich 
Kerker  und  Tortur  angewendet  wurden,  wie  aus  dem  Lai- 
bacher Landesarchiv,  daß  die  Androhung  der  Lebensstrafe 
nicht  gescheut  wurde,  um  die  Widerspenstigen  zur  Raison 
zu  bringen  1). 

Diese  Tortur  wurde  in  Graz  durch  die  Jesuiten  aus- 
geübt. Daß  sie  nichts  Ungewöhnliches  war,  zeigt  uns  das 
in  breiter  Weise  von  Dr.  Schuster  2)  erörterte  Exempel 
des  Paulus  Odontius  aus  Meißen,  Prädikanten  zu  Waltsteiu. 
Derselbe  wurde,  wie  er  selbst  erzählt  3),  1602  der  welt- 
lichen Gewalt  zur  Tortur  überliefert  und  michte  Bekannt- 
schaft mit  der  Reckleiter  und  ähnlichen  Folterwerkzeug-en. 
Wenn  nun  auch  Dr.  Schuster  hier  die  Sache  leicht  nehmen 
will,  indem  er  sagt,  mit  der  Folter  sei  es  nicht  ernst  ge- 
meint gewesen;  man  habe  den  Odontius  nur  schrecken 
wollen,  welcher  selbst  in  den  Folterknechten  verkleidete 
Jesuiten  erkennen  zu  sollen  glaubte,  so  beschreibt  dagegen 
unser  Aktenstück  die  Tortur  in  einer  Weise,  daraus  der 
bitterste  Ernst  zu  ersehen  ist.  Der  Verfasser  schrieb  im  An- 
fang des  XVir.  Jahrhunderts ;  sein  Brief  enthält  Mitteilungen 
eines  Exjesuiten  unter  dem  Titel:  „Extractus  ex  scriptis  lo. 

1)  In  einem  im  Laibacher  Landesarchiv,  Fase.  54 d,  befindhchen 
gegen  die  evangelischen  Wippacher  gerichteten  Dekret  Ferdinands  II, 
(vom  18.  Februar  1598)  heißt  es:  daß  die  Evangelischen,  wenn  sie 
im  Lande  bleiben  und  sich  nicht  bekehren,  „mit  dem  sträng  vom 
Leben  zum  Todt  hingericht  werden  sollen".  Vgl.  dazu  Loserth,  Die 
Gegenreformation  in  Graz  in  den  Jahren  1582—85,  in  den  Veröffent- 
lichungen der  bist.  Landeskommission,  und:  Ein  Hochverratsprozeß 
aus  der  Zeit  der  Gegenref.  in  Innerösterreich ;  endlich:  Zur  Kritik 
des  Eosolenz,  S.  500.  Hier  bitten  in  Kerker  und  Banden  liegende 
Bürger  aus  Obersteiermark  um  Fürsprache. 

2)  Dr.  Schuster,  Fürstbischof  Martin  Brenner,  S.  505—508. 

3)  „Kurtze  vnd  warhafftige  Historische  erzehlung  Wie  vnd 
welcher  gestalt  Paulus  Odontius,  gewesener  Evangelischer  Prediger 
zu  Waltstein  in  Steyermark  .  .  .  gefänglich  eingezogen  .  .  .  zum  Tod 
verurtheilet  .  .  .  aber  ledig  worden,  von  M,  Paulo  Odontio,  Itziger 
Zeit  Pfarrern  zu  Odern",  Dresden,  Hieron.  Schütz,  1G03.  Eine  fran- 
zösische Ausgabe  dieses  seltenen  Berichtes  erschien  in  Genf  1868. 

24 


—     370     — 

Combilhon,  lesuitae  Grraecensis,  qui  nuper  suum  ordinem 
deseruit".  Derselbe  war  von  mährischen  Eltern,  9  Jahre 
alt  in  den  Orden  aufgenommen,  15-jährig  that  er  Profeß 
und  gab  all  seine  Habe  dem  Orden;  er  war  in  Brunn,  Prag, 
Kommotau,  Krakau,  Wien  und  Graz,  wo  er  nach  l^/g  Jahren 
den  Orden  verließ,  32  Jahre  alt,  und  in  Augsburg  sich  zum 
Übertritt  meldete.  Unter  seinen  Schriften  ist  No.  4:  De 
studiis  lesuitarum  abstrusioribus  et  eorum  consiliis ,  do. 
21.  März  Ao.  1608  angegeben.  Aus  dieser,  wie  im  Texte 
des  obigen  Briefes  gesagt  wird,  vortrefflichen  Schrift  wird 
folgendes  citiert: 

„1)  lesuitas  leviticum  habere  senem  taciturnum  in  cujus 
custodia  sunt  vestes  viriles  et  femineae. 

2)  In  templo  ferreum  caelum  miram  copiam  armorum 
habet  subter  terram,  carnificum  officina,  et  inferni  bara- 
thrum  ut  Pragae,  Cracoviae. 

3)  Subter  pavimentum  templi  Graecij  et  alibi  sunt 
cavernae  et  carceres  subterranei  quo  conferunt  thesaüros : 
qui  locus  est  sub  summo  Altari.  In  carceribus  mira  biblio- 
theca :  funes,  fidiculae,  gladii,  secures,  forcipes,  numellae, 
scalae :  nee  desunt  tragica :  vestes  carnificum,  pileus  pj^ra- 
midalis  atris  plumis  ornatus,  thorax  fimbriatus  et  dissectus. 
lacobus  Claessaeus  nobilis  Carniolanus  sie  interfectus."  So- 
weit geht  die  auf  Graz  bezügliche  Stelle,  deren  genauer 
Abklatsch  vorliegt  ^). 

In  diesem  schwer  zu  entziffernden  Schriftstück  wird  ein 
ganzes  Arsenal  der  üblichen  Werkzeuge  beschrieben,  das 
Stöhnen  der  Gefolterten  wird  konstatiert,  und  als  ein  Opfer 


1)  In  deutscher  Übersetzung  lautet  dieses  Excerpt: 

1.  Die  Jesuiten  haben  einen  levitischen,  schweigsamen  Greis,  in 
dessen  Bewahrung  männliche  und  weibliche  Kleider  sind. 

2.  In  der  Kirche  enthält  ein  festes  unterirdisches  Gewölbe  eine 
verwunderlich  große  Menge  von  Gerätschaften  :  eine  Werkstätte  der 
Henker,  ein  Schlund  der  Hölle,  wie  zu  Prag  und  Krakau. 

3.  Unter  dem  Estrich  der  Kirche  zu  Graz  und  anderswo  be- 
finden sich  Höhlungen  und  unterirdische  Kerker,  wo  sie  ihre  Schätze 
bergen:  diese  Stelle  ist  unter  dem  Hochaltar.  In  den  Kerkern  ist 
eine  seltsame  Bibliothek:    Seile,  Stricke,   Schwerter,   Beile,   Zangen, 


—     371     — 

der  Tortur  der  Krainer  Adelige  Jakobus  Claessaeus  genannt, 
welcher  an  den  Folgen  starb. 

Man  hat  oft  gerühmt,  daß  öffentliche  Hinrichtungen  ^)  in 
Innerösterreich  und  dem  Erzherzogtum  nicht  stattgefunden, 
aber  diese  Folter  und  Einkerkerungen  sind  ebenso  ver- 
werflich. Man  wagte  es  eben  nicht,  hier  zum  äußersten  zu 
schreiten.  Das  warnende  Wort  Maximilians  IL  an  Kurfürst 
August  war  leider  nicht  für  seinen  Neffen  in  Steiermark 
maßgebend.  Als  August  nämlich  in  der  Begründung  der 
Folterung  und  Einkerkerung  2)  der  Kryptocalvinisten  angab, 
er  wolle,  daß  seine  Diener  gleich  wie  er  in  der  Religion  dächten, 
schrieb  Maximilian  iblgendes  zurück:  „Das  wirst  du  nie  er- 
reichen, und  es  ist  auch  nicht  unsere  Sache,  den  Gewissen 
zu  gebieten,  noch  jemanden  zum  Glauben  zu  zwingen"  3), 

So  geschah  die  Gegenreformation  in  diesen  gut  evan- 
gelischen Ländern.  Sie  übte,  wegen  ihrer  Gewaltthätigkeit, 
eine  niederschmetternde  Wirkung  auf  den  Geist  der  Bevölke- 
rung,   welche   bis  heute  nicht  in  ihren  Folgen  überwunden 

Halseisen,  lieitern;  auch  fehlen  tragische  Gegenstände  nicht:  Ge- 
wänder der  Henker,  ein  pyramidenfönniger,  mit  schwarzen  Federn 
geschmückter  Filzhut,  ein  mit  Troddeln  versehener  und  zerhauener 
Brustharnisch.  Jacobus  Claessaeus,  ein  vornehmer  Krainer,  wurde 
auf  solche  Weise  getötet.  E.  A.  Eccles.,  Kasten  D,  Fach  2 
No.  XLIX.  Es  folgt  noch  eine  andre  Mitteilung  vom  Stöhnen 
Gefolterter. 

1)  Rosolenz  rühmt,  daß  das  heroische  Werk  dieser  Reformation 
fürsichtig  und  glücklich  angefangen  und  mit  Sanftmut  ohne  einigen 
Blutstropfen  hinausgebracht  sei:  in  der  Dedicatio  zu  seinem  mehr- 
gedachteu  Werk  an  Maximilian  I.  von  Bayern  und  ebendas.  Fol,  68b , 
wogegen  Loserth  S.  499  mit  Beispielen  streitet.  Übrigens  gebot  der 
EeUgiousfriede  (1555),   daß  man  den  Evangelischen  Abzug  gewähre. 

2)  Der  vieljährige  Leiter  der  sächsischen  Politik  Craco  wurde 
gefoltert,  Peucer,  der  Hauptanstifter  des  kryptocalvinischen  Geheim- 
bundes in  Sachsen,  Melanchthons  Schwiegersohn  und  Polyhistor, 
war  20  Jahre  im  Gefängnis  (s.  Kluckhohn,  Friedrich  der  Fromme, 
S.  405). 

3)  Vgl.  dieses  Citat  bei  Job.  Hoornbeck,  Summa  controver- 
siarum  religionis,  Utrecht  1653,  S.  657,  und  bei  Dr.  Schuster,  a.  a.  O, 
S.  171. 

24* 


—     372     - 

ist.  Am  tiefsten  liegt  wohl  Kärnten  darnieder;  das  Volk 
verkommt  in  Armut  und  Branntweingenuß  und  ist  schwer 
zu  bilden.  Wie  es  in  Krain  steht,  haben  die  neuesten  Ver- 
handlungen im  österreichischen  Parlament  (Dezember  1901) 
gezeigt,  in  denen  die  Unmöglichkeit,  eine  slovenische  Uni- 
versität aus  dem  Boden  zu  stampfen,  von  allen  berufenen 
Faktoren  anerkannt  wurde.  Gleichwohl  sei  daran  erinnert, 
daß  durch  Trüber,  Vater  und  Sohn  Felician,  sowie  durch 
Dalmatin  die  slovenische  Litteratur  einen  verheißungsvollen 
Anfang  genommen,  der  Fortgang  aber  leider  um  1600  aufs 
grausamste,  hoffentlich  nicht  für  immer,  unterbrochen  wurde. 
Am  besten  ist  Steiermark  davongekommen  und  hat  sich 
auch  am  schnellsten  gefügt,  offenbar  auch  deshalb,  weil  die 
evangelischen  Eindrücke  sich  nicht  so  tief  wie  in  Kärnten 
im  Volke  festgesetzt  hatten  i). 


Der  Erbsündestreit  in  den  siebziger  Jahren. 

Der  Streit  um  die  Erbsünde  war,  wie  bereits  oben 
auseinandergesetzt,  aus  den  sächsischen  Ländern  mit  den 
Vertriebenen  nach  Osterreich  verpflanzt  und  konnte  nicht 
so  bald  wie  der  um  die  Agende  zur  Ruhe  kommen.  Es 
handelte  sich  um  die  Lehre  von  der  Sünde  und  deren 
Konsequenzen.  Die  Kontroverse  über  dieses  Lehrstück  war, 
wie  wir  gesehen,  zur  Zeit  des  Interim  akut  geworden  und 
spitzte  sich  dann  zu  in  dem  Streit  zwischen  Flacius  und 
Strigel,  m.  a.  W.  zwischen  Antisynergismus  und  Synergis- 
mus. Dieser  Streit  um  eine  Lebensfrage  bewegte  weiterhin 
die  Gemüter,  und  auch  die  evangelische  Kirche  in  Öster- 
reich empfing  davon  ihren  Teil.  Die  Widerlegung  des 
Synergismus    war    es   ja,    um    welcher    willen    Flacius    den 


1)  Wie  eng  das  Band,  das  Steiermark  mit  Gallus  verband, 
vor  1570  war,  bezeugt  u.  a.  noch  der  von  Gallus  dem  ßarthol. 
Locker  erteilte  Ordinationsbrief,  der  demselben  zur  Anstellung  in 
St.  Georgen  ob  Murau  verhalf.  R.  A.  Kasten  D.  XXXVI,  21. 


-     373     — 

ganzen  Artikel  von  der  Erbsünde  so  eigentümlich  tormuliert 
hatte  1),  und.  an  diesem  Punkte  zunächst,  dann  aber  auch 
in  der  majoristischen  Streitfrage  und  im  Abendmahl  schieden 
sich  Philippisten  und  Antiphilippisten  in  weiten  Gebieten 
des  protestantischen  Deutschland.  Das  Interesse  des  einen 
an  Melanchthons  Namen  sich  hängenden  Teils  lag  nunmehr 
darin,  die  Streitfragen  möglichst  unentschieden  zu  lassen. 
Man  wollte  keine  zu  genaue  dogmatische  Formulierung, 
besonders  aber  vermied  man  die  Festlegung  der  sogenannten 
particulae  exclusivae  in  der  Lehre.  Die  Philippisten  wollten 
in  der  Thesis  mit  den  Grlaubensgenossen  in  Reiche  über- 
einstimmen ,  aber  nicht  in  der  Antithesis ,  denn  alsdann 
hätte  man  Farbe  bekennen  müssen  und  wäre  bald  unter- 
legen. Diese  Philippisten  fmit  dem  Centrum  in  Wittenberg 
und  Leipzig)  hofften  auf  Ausgleichung  und  Abstumpfung 
der  Gegensätze  im  Laufe  der  Zeit,  und  es  kam  ihnen  da- 
bei zu  gut,  daß  die  ihnen  opponierenden  Lutheraner  haupt- 
sächlich auch  auf  ihre  kryptocalvinische  Abendmahlslehre 
erbost  waren,  währenddem  sie  den  Synergismus  und  Majoris- 
mus eher  noch  übersahen.  Auf  diese  letzteren  hämmerten 
nur  mit  rührender  Energie  und  Konsequenz  die  Flacianer  los. 
Lange  Zeit  blieb  der  Sieg  unentschieden.  In  Kur- 
sachsen erlangte  seit  1560  das  mehrfach  genannte  Corpus 
doctrinae  Misnicum  oder  Philippicum  offizielle  Geltung ;  in 
Pommern  ward,  es  1561  eingeführt;  in  Hessen,  in  Nürnberg, 
in  Schleswig-Holstein  und  Dänemark  erwarb  es  sich  Sym- 
pathieen  2)  und  wurde  im  März  1573  nach  dem  Tode  des 
Herzogs  Johann  Wilhelm  auch  in  Thüringen  durch  Kurfürst 
August  octroyiert  ^).  Es  enthielt  unter  anderen  die  Augustana 
vom  Jahre  1542  (die  Variata),  die  Loci  Melanchthons  vom 
Jahre  1556  und  dessen  Examen  ordinandorum,  aber  keine 
Lutherschriften.     Dieses  Corpus,  in  welchem  noch  in  keiner 


1)  Das  behauptet  auch  die  Wittenberger  Grundfest,  S.  4''  („Von 
der  Klotzbus"). 

2)  Loofs,  Dogmengesch.  S.  290. 

3)  Preger  II,  383. 


—     374    — 

Weise  Rücksicht  genommen  war  auf  die  seit  Melanclithons 
Tode  akut  gewordenen  sogenannten  Korruptelen  der  evan- 
gelischen Lehre,  und  das  absichtlich  die  Autorität  Luthers 
hinter  derjenigen  Melanchthons  zurücksetzte,  förderte  ein 
laxeres  Wesen  in  der  Lehre.  Ahnliche  corpora  doctrinae  ent- 
standen, was  uns  hier  am  meisten  interessiert,  seit  1570  auch 
im  Süden  des  Reiches,  woselbst  die  weltliche  Macht  auf 
die  Parteiformierung  Einfluß  nahm,  sie  den  Theologen  aus 
der  Hand  riß  und  sich  selbst  die  oberste  Entscheidung  vor- 
behielt i).  Bereits  Ende  Januar  1573  war  durch  den  Mark- 
grafen von  Ansbach  und  Bayreuth  behufs  Beilegung  des 
Streites  der  Philippisten  und  Flacianer  ein  Corpus  doctrinae 
festgestellt,  in  welchem  die  lutherischen  wie  auch  melan- 
chthoni sehen  Lehrbücher  zu  gleichen  Teilen  als  Normativ 
zusammengestellt  waren-).  Diesem  Beispiel  war  auch 
Nürnberg  gefolgt,  indem  es  die  Normalbücher  melanchtho- 
nischen  und  lutherischen  Geistes  (es  waren  zwölf)  sämtlichen 
Predigern  der  Stadt  zur  Unterschrift  vorlegte  ^).  Der  diese 
Unterschrift  besonders  betrieb,  war  kein  anderer,  als  der 
Superintendent  Mauritius  Heling,  der  alte  Philippist  und 
Günstling  des  Camerarius  (s.  o.  S.  207),  der  um  diese  Zeit 
in  Nürnberg  die  Macht  in  Händen  hatte.  Der  flacianische 
Streit,  der  auch  in  Nürnberg  offen  ausbrach,  seitdem  Elacius 


1)  Für  die  Verhältnisse  im  Norden  des  Reiches  und  wie  man 
dort  mehr  der  Autorität  Luthers  den  Vorzug  gab,  vgl.  Loofs,  a.  a.  0. 
S.  291. 

2)  Es  war  eine  monströse  Verschmelzung  beider  Standpunkte, 
des  Philippistischen  und  streng  Lutherischen.  Neben  der  letzteren 
(v.  J.  1540)  auch  die  erste  Edition  der  A.  C,  ferner  mehrere  Special- 
schriften Melanchthons:  die  loci,  das  Examen  ordinandorum,  seine 
definitiones  theologicae;  endlich  die  alte  Brandenburger  Kirchen- 
ordnung. Vgl.  Johannsen,  die  Anfänge  des  Symbolzwanges  S.  368 
u.  Prot.  R.  E.  Art.  Corpus  doctrinae.  Es  war  das  eine  unmögliche 
Forderung  an  die  Prediger,  beiden  Richtungen  gerecht  zu  werden; 
aber  jeder  nahm  sich  sein  Teil  dabei  heraus,  und  so  bUeb  der  Zank 
in  der  Kirche  bestehen. 

3)  Johannsen  S.  3ö7. 


—    375    — 

seit  1563  von  Regensburg  aus  die  eifrigen  Lutheraner  gegen 
die  Philippisten  aufstachelte,  endete  mit  der  Entsetzung 
etlicher  Predigei-,  u.  a.  des  M.  Besler,  dessen  Schicksal 
und  Verteidigung  durch  seine  in  Aussicht  genommene  Be- 
rufung nach  Wien  für  uns  vorübergehendes  Interesse  erlangt 
hat  1). 

In  Augsburg  standen  die  Sachen  ähnlich;  ja  man  war 
hier  noch  liberaler  und  hatte  nie  das  eigentliche  Luthertum 
gepflegt.  In  Lindau  wurde  gleichfalls  durch  die  weltliche 
Gewalt  der  Streit  dahin  entschieden,  daß  die  flacianischen 
Prediger  weichen  mußten  ^).  In  allen  diesen  Städten  stand 
Kurfürst  August  von  Sachsen  hinter  den  Coulissen  und 
betrieb  die  Entfernung  der  Anhänger  des  Flacius,  wobei 
er  —  oder  vielmehr  seine  Theologen  —  1574  sogar  ein 
Auge  zudrückte,  wenn  die  sogenannten  „Sakramentierer"  an 
diesen  Orten  und  überhaupt  im  Reiche  sich  mehr  und  mehr 
hervordrängten,  falls  sie  nur  die  Flacianer  verjagten. 

Ein  in  dieser  Zeit  in  Nürnberg  und  Augsburg  an- 
gestellter Prediger  Greorg  Kregelmaier,  aus  Nürnberg  ge- 
bürtig, der  dann  1588  etwa  im  Österreichischen  ein  geist- 
liches Amt  erhielt,  klagt  über  die  damaligen  Verhältnisse 
in  jenen  Reichsstädten  in  einer  ihm  eigens  abgeforderten 
Konfession  über  die  Erbsünde  ^).  Er  sagt  nämlich, 
dieser  Verdacht  des  Flacianismus  stamme  daher,  daß  er  in 
Nürnberg  seinem  Amt  und  Kräften  gemäß  gegen  die 
Zwinglianer  und  Calvinianer  gekämpft  habe  und  in  der 
gesunden  Lehre  Luthers  von  der  Person  Christi,  der  Sakra- 
mente wie  nicht  minder  vom  freien  Willen  mit  Gottes 
Hilfe  beständig  geblieben  sei  und  daher  den  Haß  der 
Gegner  ^)  auf  sich  gezogen,  sodaß  sie  ihn  als  Flacianer  ver- 


1)  S.  o.  8.  87  u.  den  Cod.  8314,  Fol.  127.  Über  die  Verhält- 
nisse in  Nürnberg  vgl.  Johannsen,  Die  Anfänge  des  Symbolzwanges 
S.  363  u.  356. 

2)  Vgl.  Preger,  a.  a.  O.  II,  39  u.  C.  Irenäus,  Censuren  L.  1.  1. 

3)  E.  A.  Eccles.,  No.  XLIX,  Z.  12. 

4)  Es  waren  Philippisteu  u.  Freunde  der  schweizerischen  Abend- 
mahlslehre. 


—     376    — 

schrieen  hätten.  Diese  Gegner  nämlich  nennten  alle  die- 
jenigen Flacianer,  die  von  ihnen  in  der  Lehre  von  der  Per- 
son Christi  und  der  Sakramente  abwichen,  was  ersichtlich 
werde  aus  dem  Buche ,  dessen  Titel  „örf^ecoft«  hoc  est 
Grundfest"  ^)  sei.  Dieser  Name  Tlacianer  sei  ihm  auch  später 
in  Augsburg  beigelegt  worden;  denn  die  Calvinianer  2)  in 
Nürnberg  schrieben  darüber  nach  Augsburg  an  ihre  Brüder, 
und  also  sei  es  nach  Österreich  gekommen. 

Diese  wichtige  Mitteilung  beweist,  daß  in  den  Reichs- 
städten um  diese  Zeit  zwei  Parteien  sich  gegenüber  standen; 
die  eine  waren  Liberale  oder  Philippisten,  die  den  Krypto- 
calvinisten  in  Sachsen  die  Hand  reichten  und  von  unserem 
Briefsteller  kurzweg  Calvinianer  genannt  werden;  die  an- 
dere, strengere  Lutheraner,  war  aus  Anhängern  der  Württem- 
berger Abendmahlslehre  ^)  und  den  Flacianern  zusammen- 
gesetzt. 

Jene  erstgenannte  Partei,  die  augenblicklich  noch  die 
Oberhand  hatte  und  sich  neuerdings  um  das  Banner  der 
kurz  zuvor  in  Wittenberg  erschienenen  „Grundfest  der 
waren  Christlichen  Kirchen"  *)  scharte,    betrieb  eifrigst  die 


1)  Der  Titel  ist  imgewöhnJich ;  er  weist  vielleicht  auf  eine  erste 
Ausgabe  dieser  „Grundfest". 

2)  Dieselben  wie  oben,  und  zwar  pars  pro  toto. 

3)  Es  sind  dies  die  sogen.  Ubiquitisten,  die  der  Lehre  Brenzens 
von  der  Gegenwart  des  Leibes  Christi  im  Abendmahl  anhingen. 

4)  Hinter  dieser  wahren  christlichen  Kirche  stehen  die  Witten- 
berger Theologen,  zugleich  aber  auch  die  Leipziger.  Als  sie  infolge 
dieses  Schriftstückes  beim  Kurfürsten  August  verklagt  wurden,  ward 
der  bekannte  Consensus  von  Dresden  am  10.  Oktober  1571  verfaßt, 
in  welchem  die  Lehrweise  jener  Theologen  gegen  die  giftigen  Lehren 
der  Flacianer  als  recht  erwiesen  wurde.  Als  nun  Johann  Kasimir 
sich  über  diesen  Dresdener  Consensus  zufrieden  bezeigte,  wie  auch 
seine  Theologen,  aber  auf  Angabe  des  Unterschiedes,  der  nun  noch 
zwischen  jenem  Consensus  und  dem  Heidelberger  Katechismus  be- 
stehe, drang,  gab  solches  nur  Anlaß  zu  ausweichenden  Antworten.  Dem 
Verfasser  dieser  Antworten,  Dr.  Stössel,  wurden  darauf  neue  Sätze 
der  Heidelberger  entgegengestellt,  wodurch  die  Ruhe  abermals  gestört 
und  dem  Kurfürsten  zuletzt  die  Augen  geöffnet  wurden  (s.  Kluck- 
hohn,  II,  S.  666), 


—     377     — 

Verjagung  der  Pfarrer  der  Gegenpartei.  Ihre  Motive  dabei 
finden  wir  in  jener  „Grundfest"  angegeben,  die  auf  das 
Corpus  Philippicum  vom  Jahre  1560,  nicht  aber  zugleich 
auf  Luthers  Schriften  zurückging.  Diese  Grundfest  —  wie 
Planck  meint ,  vielleicht  von  Christoph  Pezel  verfaßt  -  - 
leistet  Großes  im  Schimpfen  und  Calumnieren  gegen  ihre 
Widersacher  (Ubiquitisten  und  Flacianer),  geht  aber  in  den 
durch  krj'ptocalvinisch-philippistische  Lehranschauung  ge- 
wiesenen Wegen.  Zunächst  werden  die  Placianer  abge- 
schlachtet, welche  „neulich  eine  schreckliche  teuflische 
Lehre  von  der  Erbsünde  eingeführt",  wonach  die  Substanz 
menschlicher  Natur  Sünde  sei.  Sie  werfen  ferner  eine 
„Klotzbus"  den  Flacianern  vor,  weil  selbige  annehmen,  daß 
der  zu  Bekehrende  sich  passiv  wie  ein  Klotz  verhalte,  ja 
„darüber  hinaus  bis  zuletzt  dem  Geist  Gottes  widerstrebe". 
Sie  vermissen  bei  den  Flacianern  das  dritte  Stück  der 
Bekehrung,  nämlich  die  Erneuerung  i),  sodann  die  rechte 
Definition  der  Rechtfertigungslehre  und  den  rechten  Unter- 
schied von  Gesetz  und  Evangelium.  Endlich  fehlt  ihnen 
bei  den  Flacianern  der  neue  Gehorsam  oder  gute  Werke 
als  etwas  den  Gläubigen  Nötiges  (necessitas  nach  göttlicher 
Regel).  Nachdem  noch  das  Dogma  von  der  ewigen  Ver- 
sehung 2)  bei  den  Flacianern  bemängelt  worden,  geht  diese 
Grundfest  dazu   über,    alle  Gegner  insgemein  —  wobei  die 


1)  Vgl.  die  oben  S.  19  augeführte  Stelle  aus  dem  Interim. 

2)  Überdas,  was  1562  an  Vorstellungen  über  Auserwählung:,  freien 
Willen  und  Ahnliches  möglich  war,  erfahren  wir  etliches  aus  Gegen- 
schriften gegen  den  Heidelberger  Katechismus.  Das  aus  Württem- 
berg stammende  bösartige  „Verzeichnis  der  Mängel  des  Heid.  Cat." 
lautet,  als  ob  es  aus  der  Wittenberger  Officin  stammte  und  von  den 
Verfassern  der  Grundfest  herrührte  (vgl.  Kluckhohn,  Briefe  I,  S.  375). 
Die  Schätzung  der  Prädestinationslehre  im  Zanchius-Marbachschen 
Streite  zeigt  die  beginnende  Neigung  der  Lutheraner  zu  bedeutenden 
Abschwächungen.  Calvin  klagt  über  das  flexibile  Ingenium  der  in 
diesem  Streit  thätigen  Vermittler  Andrea  und  Sulzer.  Calvin  Opp. 
XX.  S.  24. 


—     378     - 

riacianeri)  ganz  zurückgestellt  werden  —  im  Punkt  der 
Abendmahlslelire  zu  widerlegen  und  das  melanchthonische 
Dogma,  welches  dem  calvinischen  sich  näherte,  mit  Gründen 
aus  der  Schrift  und  den  Vätern  zu  verteidigen.  Dieser 
letzte  und  größte  Teil  des  Buches  beschlägt  144  Seiten. 
Dann  folgt  noch  eine  Rechtfertigung  des  wittenbergischen 
Katechismus,  herausgegeben  von  der  Wittenberger  theolo- 
gischen Fakultät,  von  Peucer  bevorwortet  und  empfohlen. 
Dieser  Katechismus  hatte  eben  damals  großen  Widerspruch 
bei  den  Gegnern  erregt;  durch  ihn  wurde  der  Philippismus 
officiell  sanktioniert.  Er  trat  im  Punkte  des  heiligen  Abend- 
mahls in  die  Fußstapfen  Melanchthons,  sowie  auch  Calvins 
und  der  Pfälzer,  kurz  er  war  nach  dem  Corpus  doctrinae 
Philippicum  modelliert  2).  Er  rief  daher  außer  den  Pia- 
cianern  auch  die  Braunschweigischen  Theologen  unter 
Martin  Chemnitz  in  die  Schranken,  welche  ein  „Bedenken" 
dawider  stellten,  „der  ganzen  Christenheit  zur  Warnung"  ^). 
Durch  das  Auf-  und  Abwogen  dieses  Streites  war  die  ganze 
kryptocalvinische  und  calvinische  Partei  in-  und  außerhalb 
des  Reiches  aufs  äußerste  beunruhigt  und  erbittert.  Kurfürst 
Friedrich  von  der  Pfalz  beklagt  sich  wegen  jener  Angriffe 
der  Lutheraner  in  einem  Briefe  an  Kurfürst  August,  Juni 
1571*),  und  auf  der  ganzen  Linie  begann  ein  Vorstoß  behufs 
Unterdrückung  der  Lutheraner,  dessen  Opfer,  ohne  ihr  Vor- 
wissen, Opitz  und  seine   Freunde  in  Regensburg  wurden. 

Die  Vertreibung    dieser    Pfarrer    aus    Regensburg   war 
ein    durch    die  Umstände    hervorgerufener  Akt    der    Staats- 


1)  Die  Flacianer  standen  anfangs  der  Brenzischen  Ubiquitäts- 
lehre  kälter  gegenüber  (s.  o.  S.  192  Note) ;  erst  allmählich  fielen  sie 
di&ser  Ansicht  bei,  was  auch  die  „Grundfest"  zugiebt. 

2)  In  der  Frage,  was  das  Abendmahl  sei,  lautet  die  Antwort: 
Est  communio  corporis  et  sanguinis  Domini  nostri  I.  C,  sicut  iu 
verbis  Evangelii  instituta  est,  in  qua  sumtione  Filius  Dei  vere  et  sub- 
stantiaUter  adest,  et  testatur  se  applicare  edentibus  sua  beneficia. 

3)  Vgl.  Calinich,  Kampf  und  Untergang  des  Melanchthonismus 
S,  5.5  (veraltet),  und  Kluckhohn,  Briefe  Friedrichs,  II,  S.  422. 

4)  Kluckhohn,  a.  a.  O.  II,  S.  422. 


—     379    — 

gewalt  und  hatte  mit  der  theologischen  Überzeugung  des 
Magistrats  gewiß  wenig  zu  thun  i).  Man  entledigte  sich  der 
Clamanten  und  Schreier,  wie  es  hieij,  um  soviel  als  möglich 
Ruhe  zu  bekommen  und  konform  mit  den  benachbarten 
Städten  vorzugehen.  Ja,  man  bediente  sich  der  Gutachten 
von  orthodoxer  Seite,  um  nur  unter  einem  guten  Scheine 
die  Partei  des  Flacius  thunlichst  zu  schwächen.  In  diesen 
Zusammenhang  fügt  sich  nun  der  Erbsündestreit  in  den 
siebziger  Jahren  innerhalb  Österreichs  ein.  Er  war  nur 
die  Fortsetzung  des  Kampfes  draußen  im  Reich  und  von 
manchen  herzlich  beklagt.  Philipp  Barbatus  schreibt  dar- 
über am  29.  September  1573  aus  Syrendorf  an  Waldner  in 
Regensburg  folgendes  -) :  „Nicht  mit  wenigeren  Schmertzen 
erfahre  ich  auch,  daß  es  albereidt,  vntter  den  Predigern 
vnd  lehrern  Eurer  Kirchen  vnd  Schneien  vber  dem  Zanck 
De  peccato  originis  zu  splittern  anfahe.  Ach  der  bösen 
iemmerlichen  Zeitt.  Blibe  man  bey  Gottes  Wortt  vnd  der 
Lehre  D.  Luthers,  welcher  an  uilen  ortten  seiner  Bucher, 
Wie  auch  in  Schmalkaldischen  Artikeln  klar  zeuget  .... 
daß  alles  mit  uns  eitel  Sünde  sei,  vnd  müssen  schlecht  neue 
vnd  andere  menschen  werden,  vnd  ließe  den  Manichäischen 
schwärm,  daß  die  Erbsünde  ein  Nihil  privativum,  ein  Acci- 
dens  separabile  oder  inseparabile,  ein  angeschmirtter  Vnflatt 
sein  solle,  fahren,  so  dorffte  man  dises  iammers  alles  nicht. 
Der  Grosse  Purst  Michael,  Christus  Jesus,  were  dem  Teufel, 
vmb  seiner  Ehre  vnd  Namens  willen.     Amen." 

Innerhalb    der    evangelischen  Stände  selber  war  Zwie- 
spalt   anläßlich    der    1574    bevorstehenden    Berufung    eines 


1)  Daß  Wolfgang  Waldner  kein  Gallus  war  und  daher  nicht 
schHchtend  einzugreifen  vermochte,  zeigt  schon  das  S.  213  Erwähnte, 
wie  auch  seine  damaligen  Briefe  an  M.  Chemnitz  (Rehtmever, 
Braunschw.  Kirch.  Hist.  II,  38  f.)  und  Reuter,  welch  letzterer  ihm 
Vorwürfe  gemacht,  daß  er  die  Accidenzer  in  Regensburg  unterstütze. 
Vormals  einig  mit  den  Flacianeru,  verwarf  er  jetzt  das  Wort  „Sub- 
stanz" und  war  für  das  „Accidcns". 

2)  R,  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  94. 


-     380    — 

Landschaftspredigers  in  Wien.  Darauf  nämlicli  beschränkte 
man  sich  evangelischerseits,  da  die  Anstellung  eines  Super- 
intendenten nicht  gestattet  war.  Dieser  Prediger  sollte  die 
Prüfung  und  Aufsicht  über  die  Kandidaten  haben.  Die 
Mehrheit  der  Ständemitglieder,  unter  ihnen  jene,  die  dem 
Kaiser  zunächst  standen  (besonders  Richard  Strein)i),  war 
für  einen  gemäßigteren  Kandidaten,  die  anderen,  haupt- 
sächlich die  Religionsdeputierten,  waren  für  die  Berufung 
eines  strengeren.  Die  erste  Partei  ließ  also,  auf  eine  Em- 
pfehlung aus  Augsburg  hin,  Dr.  Jeremias  Homberger  von 
Lauingen  zur  Probe  nach  Wien  kommen ,  während  die 
Religionsdeputierten,  wie  schon  erwähnt,  den  gerade  ver- 
triebenen Opitz  als  Landschaftsprediger  beriefen  (13.  April 
1574).  Letzterer  ward  als  Prediger  der  zwei  evangelischen 
Stände  definitiv  angestellt ;  ersterer  nur  zur  Probe  in  Wien 
behalten.  Beiden  wurde  der  seitdem  üblich  gewordene 
Revers  vorgelegt,  wonach  man  u.  a.  m.  sich  des  ärgerlichen 
Streites  über  Substanz  und  Accidens  enthalten  sollte.  Opitz 
unterschrieb ;  Homberger  aber,  obwohl  nach  längerem  Zögern 
auch  zur  Unterschrift  bereit,  stieß  dennoch  auf  den  Wider- 
stand der  Deputierten.  Er  hatte  sich,  was  wohl  damals  erst 
zur  allgemeinen  Kenntnis  kam,  bereits  zu  sehr  kompromittiert, 
indem  er  vor  etlichen  Jahren  eine  orthodoxe  Elegie  von 
der  Erbsünde  zu  Gunsten  des  Flacius  geschrieben,  darauf 
aber,  nachdem  er  zu  Jena  sein  Doktorat  gemacht,  wiederum 
dem  Accidens  beigefallen  war  und  also  um  diese  Zeit  als 
ein  Gegner  des  Flacius  zu  gelten  hatte  2). 


1)  Strein  war,  wie  sein  Biograph  K.  Haselbach  sagt,  melanch- 
thonischer  Adiaphorist,  also  der  Wittenberger  Richtung  ergeben. 
Dies  Geschlecht  der  Adiaphoristen  schildert  W.  Waldner  (7.  Januar 
1557):  „Die  guten  Leut  wissen  nicht,  wo  sie  daheim  sein,  noch  was 
das  Euangeüum  ist,  wollen  iedermans  Freund  sein,  simulirn  alle 
ding,  geben  gute  wort  sie  wollen  mit  vns  gleich  lernen  (lehren),  vnd 
ist  doch  gewislich  anders  in  irem  hertzen,  wo  sie  rechte  gelegenheit 
finden  wurden,  sol  mans  mit  schaden  wol  erfahren."  R.  A.  Eccles., 
No.  XXVI,  Z.  49. 

2)  So  erzählt  die  Sache  Christof  Irenäus  in  seinen  Censuren 
u.  Urteil,  III,  O,  o,  3. 


—     381     — 

Mithin  war  Opitz  im  Vorteil ,  sofern  er  nie  seine 
Meinung  geändert  und  vor  allem  —  er  war  nach  dem 
Herzen  der  Deputierten.  Man  ließ  Homberger  eine  Reise 
nach  Graz  unternehmen  und  benutzte  inzwischen  die  An- 
kunft des  Chyträus,  welcher  auf  der  Heimreise  aus  Graz 
begriffen  war,  um  eine  Konferenz  zu  veranstalten  ^).  Auf 
dieser  Konferenz  in  Stein  (Niederösterreich)  ließen  die  De- 
putierten in  Gegenwart  von  Chyträus,  Reuter,  J.  F.  Cölestin 
u.  a.  m.  Beratungen  vornehmen  zur  endgiltigen  Ordnung 
gewisser  Punkte  im  österreichischen  Religionswesen  und  zur 
Herstellung  eines  Consensus  de  peccato  originis  ^j.  Chyträus 
selbst  schreibt  an  Heinrich  von  Starhemberg  (17.  [27.]  Juni 
1574)^  daß  sie  ihre  Meinung  über  die  einzelnen  Punkte 
schriftlich  niedergelegt,  über  deren  Inhalt  der  Baron  bei 
den  Religionsdeputierten  sich  Kenntnis  verschaffen  könne. 
Am  anderen  Tage  wolle  er  abreisen  ^).  Nach  seiner  Abreise 
wurde,  wie  Reuter  berichtet,  aus  schriftlichen  Erklärungen 
des  Homberger,  der  zeitweilig  aus  Graz  zurückgekehrt  war, 
und  des  Opitz  eine  Formula  Concordiae  ■*)  zusammengestellt, 
welche  den  Predigern  zur  Unterschrift  und  genauen 
Befolgung  vorgelegt  wurde.  Über  diese  Formel  ent- 
brannte aber  alsbald  ein  neuer  Streit,  in  welchen  sich  auch 
der  zeitweilig  in  Österreich  anwesende,  von  Andrea  em- 
pfohlene Württemberger  Jak.  Heilbrunner  mischte,  und  den 


1)  Das  Nähere  über  diese  Verhandlimgen  siehe  bei  ßibl,  Die 
Organisation  des  evang.  Kirchenwesens  in  Niederösterreich,  S.  86 — 97. 
Ferner  Chyträi  Epp.,  p.  182  u.  62,  wonach  Chyträus  die  Verhandlung 
zur  Beförderung  des  schon  im  März  für  Graz  ausersehenen  Hom- 
berger nach  Graz  durchführte.  Dorthin  schreibt  er  ihm  aus  Stein 
väterliche  Warnungen:  er  solle  die  Disputatio  über  das  Accidens 
und  Substanz  meiden  etc.  (p.  64). 

2)  Nach  Chyträi  Epp.,  p.  183  hieU  man  sich  dabei  außer  an 
die  A.  C.  und  Apologie  noch  an  die  Ausdrücke  in  Gallus'  Katechis- 
mus —  auf  Reuters  Anraten. 

3)  Chytr.  Epp.,  p.  184. 

4)  Eaupach,  II,  S.  252.  In  Cod.  8314  Fol.  83  sagt  Opitz,  diese 
Formel  sei  „von  wegen  D.  Homberger  gestellt"  worden. 


—     382     — 

Polykarp  Leyser  mit  gehässigen  Kommentaren  begleitete. 
Es  blieb  aber  dabei,  daß  Opitz  als  Landschaftsprediger  in 
Wien  gehalten  wurde,  während  Hornberger  nach  Graz  ging 
und  dort  eine  bedeutende  Rolle  spielte,  ja  sich  der  Aufgabe 
widmete,  im  Auftrag  der  dortigen  Stände  flacianische  Kol- 
legen  zu  inquirieren. 

Opitz  hatte  überdies  den  besonderen  Vorteil,  sich  auf 
die  Zustimmung  des  Chyträus  berufen  zu  können,  welcher 
nach  seiner  Heimkehr  auch  namens  der  Rostocker  Fakultät 
seine  Billigung  jener  Formula  Concordiae  nach  Osterreich 
hin  zu  erkennen  gab  ^). 

Mit  dem  vollen  Vertrauen  der  Religionsdeputierten  beehrt, 
predigte  Opitz  nun,  ohne  in  seiner  bisherigen  Überzeugung, 
sich  durch  Menschen  binden  zu  lassen,   in  der  Hauptstadt. 

Es  war  die  eigentlich  goldene  Zeit  der  evangelischen 
Predigt  in  Wien,  in  der,  wie  Hubert  Languet  aus  Wien 
schreibt  (23.  April  1574),  der  spanische  Gesandte  aus  dem 
Hause  des  Herrn  von  Eyzing  heraus  die  Stimme  des  Pre- 
digers und  den  Gesang  der  Gemeinde  vernahm.  Als  nun 
Kaiser  Maximilian,  dem  Drängen  des  Spaniers  nachgebend, 
dem  Herrn  Oswald  von  Eyzing,  der  damals  Verwalter  des 
Statthalteramts  war,  solches  untersagen  ließ,  nahm  Herr  von 
Enzersdorf,  unter  Zulassung  des  Kaisers,  jenen  Prediger  in 
sein  Haus,  von  wo  aus  1575  der  Gottesdienst  in  das  Land- 
haus verlegt  wurde-). 


1)  Chytraei  Epp.,  p.  117,  wobei  er  freilich  die  Folgerungen, 
welche  Opitz  und  seine  Freunde  aus  dieser  seiner  Approbation  in 
Wien  gegenüber  den  Accidenzern  zogen,  energisch  ablehnte  (vgl.  auch 
Raupach,  I,  B.  144  ff.).  Chyträus  wußte  wohl  kaum,  daß  die  An- 
hänger (,, Jünger")  Andreä's  in  Wien,  wie  Opitz  klagt,  den  von  D. 
Jakob  empfohlenen  D.  Mattheus,  einen  ehemaligen  Arianer,  der  1567 
in  Amberg  entsetzt  worden,  auf  offner  Kanzel  gerühmt  und  absol- 
viert hätten,  was  den  Widerspruch  Opitzens  hervorrief  (^Cod.  8314, 83  b). 
Dieselbe  Formel  kam  auch  den  zu  Torgau  (Mai  1576)  versammelten 
Autoren  der  Form.  Concordiae,  Andrea  und  Chemnitz,  zu  Gesicht 
und  empfing  dadurch  eine  nochmalige  Approbation  (Chytr.  Epp., 
p.  119). 

2)  S.  Raupach,  Presbyterol.,  kl.  Nachlese,  S.  12. 


—     383     - 

Vier  Jahre  lang,  vom  13.  April  1574  bis  21,  Juni  1578, 
wirkte  Opitz  in  Wien  als  einer  der  beiden  Prediger,  die  mit 
kaiserlicher  Zustimmung  von  den  zwei  Ständen  angestellt 
waren,  und  zwar  seit  1575  im  Saale  des  Landhauses  zu 
Wien,  wozu  auch  Bürger  und  Handwerker  in  großer  Zahl 
sich  drängten.  Opitz  kümmerte  es  nicht,  daß  er  von  zwei 
Kaisern  scheel  angesehen  ward  und  allen  Gegnern  seiner 
als  flacianisch  verschrieenen  Lehre,  u.  a.  Jakob  Andrea, 
der  ihn  alsbald  bei  den  Deputierten  verleumdete,  ein  Dorn 
im  Auge  wari).  Daß  er  mit  seiner  Lehre  vom  völligen 
menschlichen  Verderben  vor  und  nach  der  Taufe  besonders 
den  Jesuiten  verhaßt  sein  mußte,  ist  selbstverständlich  2). 
Wenn  nun  dieser  erst  32-jährige  hochgewachsene  Mann 
rücksichtslos  und  voller  Begeisterung  predigte,  ja  in  seinem 
Feuereifer  selbst  ärgerliche  Dinge  auf  der  Kanzel  vorzu- 
bringen sich  nicht  scheute,  so  kann  ihm  das  der  Geschichts- 
kundige  nicht  als  Schuld  anrechnen.  Seine  schweren  Er- 
lebnisse, die  ihn  um  des  Bekenntnisses  willen  von  einer 
Stadt  in  die  andere  führten,  aus  Sachsen  nach  Regensburg 
und  von  dort  nach  Österreich,  hatten  ihn  nicht  entmutigt 
und  nicht  die  Überzeugung  bei  ihm  bewirkt,  daß  er,  weil  er 
verfolgt  werde,  darum  eine  ungerechte  Sache  vertrete.  Die 
große  Stadt  Wien  lag  vor  ihm  offen,  die  Ernte  war  reif 
zum  Schnitte ;  an  die  communio  sub  utraque  ^)  war  das  Volk 
gewöhnt.  Schon  gaben  die  Römischen  ihre  Sache  verloren. 
Georg  Eder  schrieb  klagende  Briefe ;  z.  B.  an  Adam  von  Diet- 
richstein, Wien,  1.  Januar  1577 "i):  „Das  Religionswesen  ist 
allhie  in  20  Jahren  nicht  übler  nie  gestanden,  alls  eben  jetzo. 
Außer  des  hauffleins  so  die  frummen  heiligen  vatter  der 
societas  lesu  bis  an  hero  auffgehalten,  ist  es  alles  gefallen. 
Die  sacramenta  werden  nicht  mehr  bei  der  haupt-  und  pfarr- 


1)  Vgl.  Bibl,  a.  a.  O.  S.  93  f.    Der  Brief  Andreas  vom  30.  Sept. 
1574  wird  dort  erwähnt,  ebenso  der  Eevers  des  Opitz  abgedruckt. 

2)  S.  Eaupach,  II,  S.  286. 

3)  Wiedemann,  II,  S.  223. 

4)  Hopfen,  a.  a.  0.  S.  375  Note. 


—     384    — 

kirchen,  sonder  alle  im  landhaus  gesucht  und  prophaniert. 
Auch  St.  Stephan  werde  in  kurzem  zu  einer  Wüste  werden 
und  niemand  nehme  das  zu  Herzen."  Der  protestantische 
Gegner  rückte  entschlossen  vor.  Bischof  Kaspar  Neubeck 
klagte  bitter  über  „Opitionische  Verführung",  welche  das 
Religionswesen  verderbe  i).  Die  Lutherischen  hatten  näm- 
lich bereits  ihren  eigenen  neuen  ungeweihten  Kirchhof  vor 
dem  Schottenthor  seit  1570,  mit  eigenen  protestantischen 
Epitaphien,  der  bis  1590  den  Protestanten  verblieb.  Hier- 
durch wurden  des  Bischofs  Rechte  und  die  Einkünfte  der 
katholischen  Geistlichkeit  geschmälert. 

Der  Zulauf  zu  Opitz'  Predigten  wurde  so  ungeheuer, 
daß  er,  wie  er  selbst  2)  sagt,  vor  8000  Zuhörern  im  Land- 
hause predigte,  was  wohl  heißen  soll,  daß  er  zuweilen  8000 
an  einem  Sonntag  haben  mochte,  die  ihn,  wenn  auch  ver- 
geblich, zu  hören  begehrten  ^).  Dazu  wurden  seine  Schriften 
im  Landhause  zu  Wien  öffentlich  verkauft  *). 

Neben  Opitz  wirkte  als  Diakon  Lorenz  Becher,  der  in 
Kursachsen  des  Dienstes  enthoben  ward,  weil  er  sich  gegen 
den  Philippismus  gesetzt  hatte  ^).     Derselbe  charakterisierte 


1)  Wiedemann,  11,  S.  220. 

2)  S.  ßaupach,  1.  Fortsetzimg  S.  285;  entnommen  aus  Oi^itz 
„Sendschreiben  an  alle  wahre  Christen  und  Bekenner  des  Heil.  Evan- 
geliums unseres  Herrn  J.  Chr.  zu  Wien  in  Österreich",  1578  (ab- 
gedruckt bei  Eaiipach,  IV,  S.  171—187). 

3)  Vgl.  Hombergers  Oratio,  in  der  es  von  den  Versammlungen 
in  Graz  heißt,  daß  dort  zuweilen  7000  Menschen  zusammenkamen 
(J.  Hornberger  von  Dr.  F.  M.  Mayer,  S.  142). 

4)  Eine  bekanntere  Schrift  von  ihm  war  das  „Sp^culum", 
welches  der  Pfarrer  Hasler  in  Graz  1577  in  mehreren  Exemplaren 
kaufte,  ein  Gesinnungsgenosse  von  Opitz,  dessen  Anhang  in  Steier- 
mark nach  Tausenden  zählte  (Loserth,  Der  Flacianismus  in  Steier- 
mark, Jb.  d.  Ges.  f.  d.  Gesch.  d.  Prot.,  1899,  1.  Heft,  S.  8).  Aus 
der  Bibliothek  des  verstorbenen  Gallus  hatte  Opitz  sich  129  Bücher 
gekauft.  Seine  Schriften  gehören  unter  die  von  Eom  verdammten 
autores  primae  classis.  Zu  der  in  Mansfeld  gedruckten  Gegenschrift 
gegen  den  „Regensburger  »Bericht"  war  er  lediglich  durch  die  falsche 
Darstellung  des  Sachverhaltes  gezwungen  worden. 

5)  Cod.  8314,  Fol.  105-106. 


—     385    — 

das  Papsttum  in  einer  Predigt  vom  11.  Juli  1574  über  die 
Offenbarung  Johannis  derartig,  daß  seine  Gegner  völlig  auf 
den  Mund  geschlagen  waren.  Besonders  die  Erzählung  von 
den  etlichen  tausend  Kindsköpfen,  die  da  in  Klöstern  ge- 
funden worden  sein  sollten,  welche  Opitz  auf  die  Kanzel 
brachte,  erhitzte  die  Gemüter  des  Volkes  ^).  Später  kamen 
noch  Michael  Hugo  und  Tetelbach  hinzu,  die  im  selben 
Geiste  predigten.  Dazu  kamen  die  übrigen  Hauspredigten 
bei  den  Adeligen ;  z.  B.  verrichtete  solche  Luzius  bei 
H.  von  Hofkirchen  und  der  Prediger  Adam  Geyers  in 
Hernais.  Ferner  predigte  Sigmund  Hartel  in  Währing  bei 
Wien,  wurde  aber  1578  gefangen  gesetzt  und  ausgewiesen. 
Der  Widerstand  der  Päpstlichen  nahm  darüber  zu  und 
wurde  verstärkt  durch  die  Uneinigkeit  im  Schöße  der  Evan- 
gelischen selber,  von  denen  die  Hernalser  unter  Ziegler 
Partei  gegen  Opitz  ergriffen.  Es  kam  wohl  vor,  daß  die 
Vertreter  der  strengeren  Richtung  den  Anhängern  der 
gemäßigteren  (Accidenzern)  schroff  entgegentraten  und  die 
Kirchenzucht  an  ihnen  übten.  Darüber  liefen  dann  Klagen 
bei  Chyträus  ein.  Daß  von  Gevatterschaften,  von  den  üb- 
lichen Begräbnisfeierlichkeiten,  ja  selbst  vom  Abendmahl 
etliche  ausgeschlossen  werden,  bemängelt  Chyträus  in  einem 
Briefe  an  Opitz ,  Cölestin  und  Reuter  2).  Jene  also  Be- 
schädigten   riefen    die    Hilfe    Maximilians    an ,    welcher    die 


1)  Vgl.  Veith,  Bibliotheca  Augustana,  Augsburg  1785,  der  die 
Unechtheit  dieser  Erzählung,  die  aus  einem  Briefe  des  Bischofs 
Udalricus  (zur  Zeit  Gregors)  stammen  soUte,  beweist,  ohne  damit 
natürlich  die  Sache  aus  der  Welt  zu  schaffen.  Der  Jesuit  Georg 
Scherer  schrieb  gegen  diese  das  katholische  Gefühl  verletzende,  aber 
allgemein  verbreitete  Fabel  schon  damals  sehr  ernsthaft,  ließ  aber 
außer  acht,  daß  es  dem  Opitz  doch  wahrlich  nicht  auf  die  Zahl  der 
Köpfe  ankam,  sondern  daß  er  das  System  treffen  wollte,  das  Cölibat, 
welches  solche  Früchte  notwendig  tragen  mußte  (vgl.  Raupach,  II, 
S.  271 ;  Wiedemann  II,  203  imd  Janssen,  Gesch.  des  deutschen 
Volkes  B.  IV,  S.  466). 

2)  Epp.  p.  118. 

25 


—     386     — 

Deputierten  beauftragte  (Erlaß  d.  d.  Prag  30.  März  1575)  i), 
darauf  zu  sehen,  daß  ihre  Prediger  sich  jeglicher  Schmäh- 
reden enthalten  sollten;  besonders  aber  der  „friedhässige 
und  hadrige  Opitz",  der  bereits  aus  Regensburg  ausgewiesen 
sei.  Die  Deputierten  eilten  nun  keineswegs  mit  der  Aus- 
führung der  kaiserlichen  Aufforderung,  indem  sie  sich  nur 
um  so  entschiedener  zur  Predigt  des  Opitz  bekannten  und 
sich  durch  kein  Geschrei  der  Gregner  irre  machen  ließen. 
Die  Verdächtigungen,  die  wegen  der  Vertreibung  aus  Regens- 
burg auf  Opitz  gemacht  wurden ,  ließen  sie  kalt ,  wie  es 
rechten  Christen  zusteht.  Als  nämlich  am  Ende  des  Jahres 
der  Kaiser,  gestachelt  durch  Kurfürst  August,  abermals 
auf  Entfernung  des  Opitz  bestand,  erbot  sich  der  Land- 
marschall Rogendorf,  um  doch  etwas  zu  thun,  im  Namen 
der  Deputierten,  die  Verantwortungsschrift  des  Opitz  an 
zwei  unparteiische  Universitäten  (Rostock  und  Frankfurt 
a.  0.)  zu  senden.  Erst  wenn  deren  Gutachten  wider  Opitz 
ausfiele,  solle  er  entlassen  werden.  Der  Kaiser  gab  sich 
mit  dieser  Erklärung  zufrieden  ~).  Mit  Entrüstung  wendeten 
sich  sodann  die  Stände  gegen  Andrea,  der  den  Brand  gegen 
Flacius  in  so  auffälliger  Weise  wieder  angefacht  hatte  in 
seinem  Colloquium  de  peccato  originali  ^),  einer  Schrift,  wie 
Preger  sagt,  voll  verletzenden  Übermuts  und  schneidenden 
Hohns.  Sie  hielten  ihm  (10.  Febr.  1567)  vor,  daß  er  mit 
Unrecht  in  jener  Schrift  gegen  Flacius  ihre  Uneinigkeit 
tadle,  während  er  kurz  zuvor  in  einer  Widmung  ihren 
Eifer  gelobt.  Es  sei  kein  Grund  vorhanden,  den  Opitz  als 
einen  solchen  hinzustellen,  den  „neben  andren  Flacianern, 
wie  er  sie  verhäßlich  nenne,  alle  Christen  bei  Ver- 
lust ihrer  Seelen  Seligkeit  fliehen  und  meiden 
müssten".    Ihm  zu  mißtrauen,  weil  er  aus  Regensburg  ver- 

1)  Bibl,  a.  a.  O.  S.  102.    Die  Abschrift  des  Dekrets  liegt  vor 
im  niederösterreichischen  Landesarchiv. 

2)  Das   Rostocker   Gutachten    lautete  günstig   für   Opitz,   vgl. 
Eaupach,  I,  S.  142. 

3)  Preger.  II,  S.  322,  vgl.  ßibl,  a.  a.  0.  S.  104. 


-     387     — 

trieben  worden,  sei  kein  Grund  vorhanden.  Sie  konnten 
überdies  mit  Recht  für  Opitz  eintreten,  weil  ja  dessen 
Lehre  bisher  keineswegs  von  der  Kirche  verdammt  war. 
Unter  einem  beriefen  sie  sich  in  der  Zuschrift  an  Andrea 
darauf,  daß  sie  sehr  korrekt  gehandelt  hätten,  indem 
sie  einen  „alten,  landkundigen  und  verschlagenen  Sakra- 
mentierer"  —  sie  meinten  Johannes  Mattheus  —  des 
Landes  verwiesen  hätten  i).  Genug,  Opitz  blieb  und  über- 
dauerte Maximilians  Tod,  ja  wurde  noch  immer  mehr  Lieb- 
ling eines  Teiles  des  Adels  und  der  Mehrzahl  der  evan- 
gelischen Bürger  und  Handwerker. 

Der  Mann  hat  offenbar  seine  Verdienste,  und  wir 
können  ihn  nicht  kurzer  Hand  abfertigen,  indem  wir 
sagen:  er  war  Flacianer,  und  seine  endliche  Landesver- 
weisung war  ein  gerechter  Sieg  über  den  Flacianismus  2). 
Er  war  nach  seinem  wiederholten  Zeugnis  3)  gar  nicht  ge- 
willt, von  der  Erbsünde  als  Substanz  zu  reden,  aber  auch 
nicht    als    einem  Accidens.     Er   war  Protestant,    redete  mit 

1)  Vgl.  über  den  durch  Andrea  empfohlenen  Dr.  J.  Mattheus 
Raupach,  Presbyt.  und  Bibl,  a.  a.  O.  p.  99  f.  u.  105.  Er  galt  sogar 
für  einen  Arianer,  war  auch  aus  Amberg  vorlängst  verwiesen,  und 
wurde  später  ein  Lutheraner  im  Sinne  der  Konkordienformel. 

2)  Unter  Opitz'  Zuhörern  in  Wien  befand  sich  imter  anderen 
der  bereits  S.  106  genannte  Sekretär  Kaspar  Hirsch  aus  Graz,  der 
wenig  Vertrauen  Erweckendes  über  eine  Opitzsche  Predigt,  der  er  bei- 
wohnte, äußert,  und  zwar  in  einem  Briefe  an  Pol.  Leyser,  dazumal  in 
GöUersstorf  bei  Mich.  Ludw.  von  Puchhaim  (d,  d.  26.  Aug.  1574). 
Opitz  habe  am  10.  Sonntag  nach  Trin.  seine  Meinung  in  öffentlicher 
Predigt  so  recht  an  den  Tag  gelegt,  da  er  jene  verdammte,  die  da 
sagen,  es  sei  noch  etwas  Gutes  am  lAIenschen  (aliquid  esse  boni  in 
uatiu-a  hominis)  etc.  etc.  Da  er  ihn  nun  genug  kennen  gelernt, 
werde  er  seine  Predigten  nicht  mehr  hören ,  sondern  vielmehr  mit 
seiner  ganzen  Familie  zu  Leyser  in  GöUersstorf  sich  halten. 

Ganz  anders  urteilte  Chyträus  in  einem  Briefe  an  Matthias 
Ritter  in  Frankfurt ,  den  er  1580  um  Opitz'  Adresse  bittet  und  da- 
bei das  Zeugnis  abgiebt,  derselbe  habe  sich  m  der  Wiener  Gemeinde 
ziemlich  gemäßigt  erwiesen  und  sein  Dogma  von  der  Erbsünde 
nicht  öffentlich  vorgebracht  (Raupach,  II.  Forts.  S.  286,  Note). 

3)  Cod.  8314,  Fol.  148. 

25* 


—     388     — 

geisteruug  von  der  Tiefe  der  Erbsünde  und  erhob  Christum 
um  so  höher.  Was  seine  Amtsentsetzung  in  ßegensburg 
betrifft,  so  hat  er  sich  deswegen  genügend  vor  den  Depu- 
tierten gerechtfertigt.  Es  sei  nicht  richtig,  daß  er  dort  öffent- 
lich die  „Substanz"  verteidigt  habe;  er  sollte  vielmehr  von 
seinen  Feinden  im  Rat  und  im  Ministerium  gezwungen  werden, 
das  Accidens  zu  billigen,  indem  er  eine  ihm  vorgelegte 
Formel  ohne  weiteres  zu  unterschreiben  verhalten  ward. 
Solches  verweigerte  er,  nebst  Peristerius  und  anderen,  daher 
dann  die  Entlassung  sie  getroffen.  Natürlich  daß  ihm  und 
seinen  Gesinnungsgenossen  in  Wien  das  böse  Gewissen  seiner 
Feinde,  besonders  Andreas  und  seiner  Helfershelfer  —  der 
Hernalser  Prediger  Ziegler  und  Polykarp  Leyser  in  Göllers- 
torf  —  Hindernisse  in  den  Weg  zu  legen  trachtete.  Er  war 
kein  Irrlehrer,  er  wollte  bei  der  Unterschrift  der  Formula 
Concordiae  (1574)  bleiben.  Er  war  ein  Charakter,  was 
von  seinen  Gegnern  nicht  immer  zu  sagen  ist.  Jeremias 
Homberger  z.  B.,  der  1574  einem  Rufe  nach  Graz  folgte, 
veröffentlichte  alsbald  am  4.  Oktober  einen  Brief,  in  welchem 
er  alle  Gemeinschaft  mit  Flacius  im  Punkte  der  Erbsünden- 
lehre aufsagte,  nachdem  er  doch  zuvor  in  Frankfurt  eine 
Elegie  auf  diese  Lehre,  auf  Flacius'  Wunsch,  verfaßt  hatte. 
Er  verkündete  öffentlich,  daß  Flacius  kein  Recht  hätte,  ihn, 
wie  er  soeben  gegen  Andrea  gethan,  zu  seinen  Anhängern 
zu  zählen,  und  Andrea  nahm  dies  schadenfroh  zur  Kennt- 
nis und  hing  es  an  die  große  Glocke,  um  Flacius  der  Un- 
ehrlichkeit zu  zeihen  i).  Solche  Aufreizungen  zur  unrechten 
Stunde  machten  natürlich  böses  Blut  und  stachelten  auch 
die  Flacius  anhängenden  Prediger  und  Religionsdeputierten 
zu  rücksichtslosem  Vorgehen.  Es  ist  der  alte  Kampf  und 
die  alte  Kampfesweise,  von  Thüringen  und  Sachsen  her 
uns  wohlbekannt  2). 


1)  Vgl.  Präger,  S.  II,  522. 

2)  Auch  Wigand  half  noch  um  diese  Zeit  das  Feuer  schüren, 
indem  er  Ostern  1575  sein  Werk  De  Manichaismo  renovato  nebst 
einer   Dedikation   au   Eogendorf  und  4  andere   evangelische   Herren 


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—    389     — 

Unter  Kaiser  Rudolf  zogen  sich  verderbliche  Wolken 
um  das  Landhaus  in  Wien  zusammen.  Der  wunde  Punkt 
war,  wie  wir  schon  oben  gezeigt  i),  daß  der  öffentliche 
Gottesdienst  in  Wien  nach  der  Assekuration  nicht  gesetz- 
lich war,  und  daß  die  Stände  dies  verdecken  wollten, 
während  der  Kaiser  keine  Überschreitung  der  Konzession 
seines  Vaters  zu  dulden  willens  war.  Dazu  kam,  daß  auch 
Bürgermeister,  Richter  und  Rat  der  Stadt  Wien  mit  den 
Evangelischen  vom  Adel  zusammenzugehen  keine  Lust  zeigten. 
Das  Volk  freilich  dachte  anders.  Während  der  Fronleich- 
namsprozession 1  577  hielt  Opitz  im  Landhaussaal  eine  zün- 
dende Predigt,  verdammte,  was  draußen  geschah,  als  lauter 
Abgötterei  und  verkündete  laut,  die  Obrigkeit  habe  keine 
Macht  „ihnen  zu  schaffen,  auch  um  das  goldene  Kalb  zu 
tanzen,  weshalb  man  ihr  in  diesem  Falle  nicht  zu  gehorchen 
brauche".  Darauf  nahm  er  eine  Ordination  vor  und  hob 
hervor,  der  Schnitt  sei  groß,  die  Zahl  der  Arbeiter  aber 
gering.  Auch  erteilte  er  mehreren  Bürgern  die  Kommunion 
und  nahm  andere  gottesdienstliche  Handlungen  vor.  In- 
zwischen verlief  der  Umzug  kläglich,  die  Handwerkerzünfte 
waren  sehr  spärlich  vertreten,  die  meisten  vom  Rat  hielten 
sich  fern  2). 

Die  Aufrüttelung  der  Gremüter,  die  durch  Opitz  und 
seine  Mitprädikanten  geschah,  war  eine  gewaltige ;  sie  griff 
tief  in  die  Bürger-  und  Handwerkerhäuser  ein,  woselbst  die 
Sakramente  administriert,  Leichenpredigten  gehalten  und  die 
Toten  auf  den  Gottesacker  vor  dem  Thor  begleitet,  während 
die  Hochzeiten  und  Kindtaufen  auf  das  Landhaus  gezogen 
und  die  Gläubigen  angewiesen  wurden,  keine  Gemeinschaft 


in  Österreich  ausgehen  heß,  worin  er  Opitz'  Absetzung  in  Regens- 
burg besonders  gehässig  behandelt.  Er  kam  natürlich  bei  den  alten 
Freunden  des  Gallus,  den  Eeligionsdeputierten,  Rogendorf  an  der 
Spitze,  übel  genug  an. 

1)  Vgl.  S.  160. 

2)  Vgl.  Bibl,  Die  Einführunc  der  katholischen  Gegenreformation, 
S.  18. 


390 


mehr  mit  den  Katholiken  zu  pflegen.  Und  was  Opitz 
mit  den  Seinigen  that,  das  thaten  Ambrosius  Ziegler,  der 
Prediger  in  Hernais,  Sartoris  in  Inzersstorf  und  andere  in 
den  Häusern  des  Adels  amtierende  Geistliche.  Leider  war 
diese  an  sich  so  begreifliche  Handlungsweise  mit  dem  Makel 
der  Unbotmäßigkeit  gegen  die  Obrigkeit  behaftet^). 

Es  regnete  Dekrete:  der  Kaiser,  Erzherzog  Ernst  und 
Herzog  Albrecht  von  Bayern  vereinigten  sich,  um  das  öffent- 
liche evangelische  Kirchen-  und  Schulwesen  in  Wien  als  eine 
offenkundige  Überschreitung  der  Religionskonzession  hinzu- 
stellen und  die  Prediger  demnach  zu  verjagen.  Fast  komisch 
wirkt  es  dabei,  daß  die  gegenwärtigen  Wiener  Prädikanten, 
vornehmlich  Opitz,  um  ihrer  falschen  manichäischen  Lehre 
willen  von  Bayern  aus  verlästert  wurden,  als  ob  der  Her- 
zog etwas  davon  verstanden  hätte  und  nicht  nur  deshalb 
in  die  antiflacianische  Trompete  stieß,  weil  ihm  solches  zur 
Verdächtigung  der  Prädikanten  in  Wien  genehm  war^j. 

Gleichwohl  blieben  diese  dringenden  Ratschläge  aus 
München  nicht  ohne  Einfluß  und  bildeten  ein  Gegengewicht 
gegen  die  Furchtsamkeit  des  Kaisers.  Dieselbe  war  nicht 
unberechtigt,  denn  alle  Adeligen,  mit  Ausnahme  weniger 
Personen,  und  die  meisten  von  der  Bürgerschaft  gehörten 
der  Augsburgischen  Konfession  an  ^j. 

Wir  können  hier  nicht  die  verschiedenen  Kreuz-  und 
Quergänge,  welche  auf  beiden  Seiten,  vom  Kaiser  und  von 
den  Evangelischen,  eingeschlagen  wurden,  verfolgen.  Wer 
sich  dafür  interessiert,  möge  den  Codex  8314  studieren, 
oder  die  Auszüge  bei  Bibl  in  der  oft  genannten  Schrift: 
Die  Einführung  der  katholischen  Gegenreformation  in  Nieder- 
östereich  im  VI.  und  VIL  Kapitel  nachlesen. 

So  viel  ist  gewiß:  auch  die  besten  Argumente  der 
evangelischen  Stände  waren   nur  auf  Gründe  der  Billigkeit 


1)  Vgl.  Apostelgeschichte  4,  13 — 21, 

2)  Bibl,  a.  a.  O.  S.  22  u.  57. 
8)  Bibl,  S.  59. 


-     391     - 

und  nicht  auf  den  Wortlaut  der  Assekuration  Maximilians 
gebaut.  Vergebens  war  es,  daß  Strein,  der  alte  Nothelfer, 
den  Versuch  machte,  sich  beim  Kaiser  dafür  einzusetzen, 
die  Zulassung  des  Predigens  in  Wien  und  hernach  im 
Landhause  aus  Maximilians  Munde  vernommen  zu  haben. 
Er  wurde  nicht  zum  Kaiser  berufen.  Der  schriftlichen 
Beweisführung  der  Stände  wußte  man  bei  Hofe  am  7.  Juni 
1578  ein  bündiges  non  liquet  entgegenzustellen.  Es  konnte 
eben  nicht  mit  Dokumenten  erwiesen  werden,  daß  die  Re- 
ligionskonzession für  den  Adel  so  weit  erstreckt  worden 
sei.  Allen  weiteren  Verhandlungen  über  evangelische  An- 
gelegenheiten ,  so  verfügte  die  Resolutio  i  vom  7.  Juni, 
müsse  die  Abschaffung  der  Prädikanten  und  Schulmeister 
aus  Wien  vorausgehen.  Auf  einer  darauf  im  Juni  folgen- 
den Religionskonferenz  kam  man  auch  nicht  zu  einem  guten 
Schluß  ^).  Obwohl  Kaiser  Rudolfs  Verordnete  mit  einzelnen 
Zugeständnissen  den  Evangelischen  sehr  entgegenkamen, 
verlangten  die  ständischen  Vertreter,  Rogendorf  an  der 
Spitze,  freie  Verfügung  über  ihre  jetzigen  Prediger.  Von 
einer  Ausweisung,  besonders  des  Opitz,  wollten  sie  durch- 
aus nichts  wissen.  Als  die  kaiserlichen  Verordneten  dar- 
auf bestanden ,  wurden  die  Verhandlungen  abgebrochen. 
Damit  trat  nun  die  oben  erwähnte  Resolution  in  Kraft, 
d.  h.  die  gänzliche  Abschaffung  des  evangelischen  Religions- 
und Schulwesens  in  Wien.  Am  21.  Juni  erhielten  Opitz 
und  die  übrigen  den  Ausweisungsbefehl  zugestellt  (vgl.  Cod. 
Fol.  271^j.  Opitz,  offenbar  schon  vorbereitet,  empfing  die 
Nachricht  mit  großer  Ruhe.  „Gegen  5  Uhr  fuhr  er,  von 
Hartschieren  umgeben  und  von  einer  großen  Volksmenge, 
sowie  einigen  Landleuten  begleitet,  aus  der  Stadt.  Ihm 
folgten  die  anderen  drei  (Tetelbach,  Hugo  und  Schulmeister 
Sesser)  ebenfalls  im  Wagen  nach.  In  der  Stadt  herrschte 
große    Aufregung,    doch    zur    befürchteten   Revolte    kam  es 


1)  Diese  mündlich  gepflogenen  Unterhandlungen  zwischen  den 
Vertretern  der  Stände  und  den  geheimen  Räten  sind  auf  35  Seiten 
Fol.  246—271  im  Codex  8314  mitgeteilt  und  von  höchstem  Interesse. 


392 


nicht"  1).  Andere  Quellen  bei  Raupach  (I,  S.  299)  bezeugen, 
wie  tief  der  Weggang  dieser  Prediger  beklagt  wurde  und 
wie  man  ihnen  unter  Thränen  das  Geleite  vor  die  Stadt 
gab.  Opitzens  Anhänger  ließen  sein  Bildnis  in  Kupfer 
stechen  und  mit  etlichen  Reimen  versehen,  worin  seine 
ausgezeichnete  Wirksamkeit  verherrlicht  wurde  ^j.  Er  selbst 
richtete  noch  1578  ein  treffliches  Rundschreiben  „an  alle 
wahren  Christen  und  beständigen  Bekenner  des  heiligen 
Evangelii  unsres  Herrn  Jesu  Christi  zu  Wien  in  Ostreich", 
um  die  Treuen  zu  trösten,  die  Gleichgültigen  zu  strafen. 
Es  wird  auch  erzählt  von  einem  Gottesgericht,  nämlich  von 
der  Lähmung  des  Freiherrn  von  Teuffl,  der,  entgegen  den 
Bitten  und  dem  Flehen  seiner  Gemahlin,  die  Vertreibung 
der  Prädikanten  betrieben  hatte  ^)  und  darüber  noch  beim 
Nachhausekommen  spottete. 

Wie  wohl  berechnet  dieser  Schlag  der  Feinde  war, 
zeigt  nicht  nur  der  offen  geäußerte  Triumph  der  katho- 
lischen Partei,  die  noch  soeben  ganz  und  gar  in  Verzweif- 
lung gestanden  *),  sondern  auch  die  Folgen  der  Ausweisung. 
In  der  Hauptstadt  war  der  evangelische  Gottesdienst  ge- 
knickt ;  es  gelang  nicht  wieder,  die  Schließung  der  Land- 
hauskirche und  -schule  rückgängig  zu  machen.  Die  evange- 
lischen Bürger  mußten  seitdem  in  Hernais  und  Inzersdorf 
zur  Predigt  und  Sakramentsbedienung  die  Zuflucht  nehmen. 

Daß  uns  hier  allein  die  victa  causa,  die  verfolgte 
Unschuld,  gefällt,  brauchen  wir  wohl  nicht  zu  sagen,  wenn 
wir    auch    zugeben    wollen,    daß    die   Herren    und  Ritter  in 


1)  ßibl,  a.  a.  O.  S.  89,  u.  Wiedemanu  II,  S.  208. 

2)  Raupach,  Presbyt.,  S.  135. 

3)  Raupach,  Presbyt.,  kl.  Nachlese,  S.  13.  Die  Teuffl  waren 
auch  später  beharrlich  im  evangelischen  Glauben.  Einer  derselben, 
Karl,  verweigerte  dem  katholisch  gewordenen  Fr.  Chr.  KhevenhüUer 
seine  Tochter,  und  das  Geschlecht  wanderte  aus.  Vgl.  Adam  Wolf, 
Geschichtl.  Bilder  aus  Österreich,  Bd.  I,  S.  156  ff.;  desgleichen  Rau- 
pach IV,  S.  335  f. 

4)  So  schreibt  Eder  an  Herzog  Albrecht,  13.  Juli  1578;  ebenso 
der  Wiener  Bischof  (Bibl,  a.  a.  0.,  ö.  90,  Anm.  Ij. 


I 


—     393    — 

ihrem  Einstehen  für  ihre  guten  Prediger  und  in  ihrer 
Vertrauensseligkeit  zu  Kaiser  Rudolf  zu  weit  gehen  mochten. 
Errare  humanum  est,  aber  Gott  sieht  das  Herz  an. 

Auch  andere  Hausgottesdienste  wurden  nun  unter- 
sagt. Der  Hofkriegsrat  Wilhelm  von  Hofkirchen  unterhielt 
in  der  Stadt  selbst  im  Hofe  seines  Hauses  durch  seinen 
Prediger  Dr.  Luzius  einen  Gottesdienst,  zu  dem  jedermann 
ungescheut  Zutritt  hatte  und  wohin  auch  Kinder  zur  Taufe 
getragen  wurden  ^).  Als  ihm  der  Erzherzog  am  28.  Sept. 
„mit  großem  Zorn"  die  kaiserliche  Ungnade  in  Aussicht 
stellte  und  ihm  anzeigte ,  er  könne ,  wenn  er  nicht  ohne 
Predigt  hier  dienen  wolle,  seinen  Abschied  nehmen,  so 
gab  Hotkirchen  zu  verstehen,  sein  Prediger  sei  ihm  wich- 
tiger als  der  Kaiser,  und  verließ  noch  am  selben  Tage  die 
Stadt  2). 

Mit  dem  Flacianismus  hat  diese  Abschaffung  der  Pre- 
diger offenbar  nichts  zu  thun.  Die  Machthaber  kümmerte 
weder  Accidens  noch  Substanz :  ihnen  waren  allein  die 
energischen  Prediger,  die  aus  dem  Reiche  vertriebenen  und 
aller  Welt  verhaßten  evangelischen  Wortführer  zuwider. 
Und  so  war  denn  jeder  Prätext  willkommen,  um  sich  dieser 
unholden  Gäste  auf  gute  Manier  zu  entledigen.  Tetelbach 
und  Hugo,  sowie  der  bereits  1576  nach  Hörn  berufene 
Becher,  blieben  in  Österreich.  Die  Stände  stellten  Opitz, 
Tetelbach  und  Hugo  ein  Wohlverhaltungszeugnis  aus  ^).  Es 
sollte  daher  billig  ihr  Ruf  vor  der  Nachwelt  ungeschändet 
bleiben.  Die  Sache  war  eben,  daß  der  ganze  Gottesdienst 
in  Wien  nach  der  Religionskonzession  Maximilians  nicht 
zu  rechtfertigen  war.  Es  wäre  nun  der  Stände  Aufgabe 
gewesen,  mit  aller  Energie  und  Rücksichtslosigkeit  eine  Er- 
weiterung der  Konzession   bei  Rudolf  und  Matthias  durch- 


1)  Vgl.  Eaupach,  Presb.  S.  109,  u.  Bibl,  S.  99. 

2)  Vgl.  Kühne,  Dr.  W.  Fr.  Lutz   (Jahrb.  d.  Ges.  f.  Gesch.  d. 
Prot,  in  Österr.  1884,  S.  198.) 

3)  Bibl,  S.  96. 


—     394     — 

zusetzen.  Da  dies  nicht  geschah,  so  stockte  der  Gang  der 
Religionsangelegenheiten,  und  allmählich  wurde,  als  nun  die 
Gegenreformation  einsetzte,  den  Städten  auch  das  genommen, 
was  sie  bis  dahin  zufolge  der  Konnivenz  des  Hofes  besaßen. 
Der  augenblickliche  Sieg,  den  die  römische  Kirche  in 
Wien  davongetragen,  hatte  keineswegs  eine  Entmutigung  der 
Evangelischen  außerhalb  Wiens  zur  Folge ;  sie  verdoppelten 
ihre  Anstrengungen,  und  wir  finden  besonders  die  Flacianer 
als  geschlossene  Partei  auf  und  unter  der  Kanzel  thätig. 
Währenddem  im  Reiche  gegen  Flacius  und  seine  Anhänger 
durch  Gewaltmaßregeln  der  Obrigkeit  vorgeschritten  wurde 
und  der  öffentliche  Streit  auch  wohl  bis  auf  die  Straße  sich 
fortsetzte  ^),  kam  im  Gegenteil  in  Österreich  die  flacianische 
Gesinnung  der  Religionsdeputierten  den  Anhängern  des 
Flacius  zu  gute.  In  der  1580  erfolgenden  Visitation  finden 
wir  Laurentius  Becher  als  Senior  zu  Hörn  und  mit  Reuter 
an  der  Spitze  stehend.  Wir  finden  ferner  die  aus  Wien 
ausgewiesenen  Prediger  Hugo  und  Tetelbach  als  schärfste 
Opponenten  der  Vertuschung  der  Gegensätze  zwischen  den 
Flacianern  und  gemäßigten  Lutheranern.  Durch  ihre  Rührig- 
keit, theologische  Bildung  und  wirkliche  Begeisterung  im- 
ponierten sie  auch  den  Lauen  unter  den  Ständemitgliedern 
und  rissen  den  zur  Visitation  gekommenen  Dr.  Backmeister 


1)  z.  B.  in  Mansfeld  ,  wo  man  Spangenberg  mit  falschen  Fol- 
gerungen aus  seinen  Schriften  zu  Leibe  rückte  und  ihn  ausschaffte, 
so  daß  selbst  ßosolenz  über  solches  Eeformieren  seitens  der  Witten- 
bergischen Accidenzler  in  Mansfeld  spotten  konnte  (s.  Gegenbericht 
S.  32).  Der  Vorwurf,  daß  die  Weiber  sollten  Teufel  tragen,  ist  nichts 
als  böswillige  Folgerung  der  Gegner.  Der  Unwert  solcher  Anschuldig- 
ungen läßt  sich  aus  den  Schriften  der  Flacianer  erweisen.  (S.  be- 
sonders Jonas  Francus  in  seiner  „Warnung  für  der  gefehrlichen 
Teuscherey  und  Calumnien  im  Pfützwerk  Wigandi,  1574".)  Gegen- 
standslos ist  desgleichen  die  Beschuldigung  des  pfälzischen  Rates 
Ehern,  der  dem  Prediger  Ambrosius  Roth  die  gleiche  Lehre  zum  Vor- 
wurf machte  (Kluckhohn,  Briefe  II,  S.  403).  Roth  war  einst  der 
Erwählte  des  Kaiser  für  die  Agendeverhandlungen. 


—    395     - 

mit  sich  fort  ^).  Sie  nutzten  also  die  Zeit,  die  ihnen  zum 
Wirken  gegeben  war,  trefilich  aus  und  hinterlegten  durch 
ihr  Zeugnis  in  den  Gemeinden  jene  Pfunde,  mit  denen  diese 
in  den  kommenden  teuren  Zeiten  wuchern  konnten.  Es 
waren  der  Flacianer  genug  im  Lande;  und  zwar  wurden 
nach  und  nach  über  50  flacianisch  gesinnte  Geistliche  im 
Erzherzogtum  Österreich  angestellt,  wenn  wir  Raupachs 
Presbyterologie  folgen ;  es  sind  ihrer  aber  gewiß  mehr. 
Unter  ihren  Beschützern  finden  wir  die  geachtetsten  und 
vornehmsten  Namen  des  Adels,  und  während  im  Reiche, 
auch  in  Innerösterreich  2),  das  sog.  Accidens  triumphierte, 
d.  h.  die  Partei  der  Gemäßigten,  war  hier  iie  entgegen- 
gesetzte Lehre  zugelassen  und  es  wurde  hier  nicht  „dem 
heiligen  Geist  der  Mund  verbunden"  durch  obrigkeitliche 
Verordnungen. 

Gleichwie  vormals  1560  im  Kampfe  gegen  Strigel  die 
Antisynergisten,  und  wie  zur  Zeit  der  Vorbereitungen  der 
Agende  (1568)  die  Partei  der  „Flacianer"  (Gallus  und  seine 
Freunde)  ihr  Veto  gegen  jede  Verdunklung  von  Hauptlehr- 
stücken einlegten,  so  geschah  es  auch  jetzt.  Diese  bestän- 
digen Angriffe  auf  den  alten  Gegner,  den  Proteus  des  Jahr- 
hunderts, brachten  auch  die  Gemeinden  dazu,  sich  ihres 
evangelischen  Besitzes  bewußt  zu  werden ,  die  heiligen 
Schriften  sowie  die  Postillen  Luthers,  Joh.  Spangenbergs 
u.  a.  zur  Hand  zu  nehmen,  in  den  Liederschatz  ihrer  Kirche 
sich  zu  vertiefen  und  unter  die  guten  Ordnungen  und  die 
Zucht  der  Agende  sich  zu  beugen.  Auch  das  Zanken  auf 
den  Kanzeln,  so  störend  es  auch  oftmals  erscheinen  mochte, 
zumal  wenn  es  von  Unberufenen  auf  der  Gasse  und  in  den 
Häusern   fortgesetzt  wurde ,    zeugte    immer    doch    von    dem 


1)  Vgl.  Wiedemann  I,  S.  425,  und  Preger  II,  S.  394. 

2)  Hier  wurde  in  der  Kirchenordnung  v.  J,  1578  der  Irrtum 
M.  Flacii  von  der  Erbsünde  unter  die-Sektenmeinungen  eingereiht, 
und  damit  war  er  durch  den  Wortlaut  der  Pacifikation  v.  J.  1572 
verpönt  (s.  Loserth,  Die  steirische  Religionspacifikation,  S.  49  und 
S.  33). 


—    396     - 

Interesse,  das  man  an  der  Sache  nahm.  Wenn  die  Kontro- 
verse nicht  ausgetragen  wird  durch  die  berufenen  Organe, 
hier  also  diirch  eine  so  oft  angestrebte  Synode,  so  erstickt 
man  den  Samen  im  Acker.  Den  Notstand  in  der  Kirche, 
daß  die  Obrigkeit  die  alleinige  Hüterin  der  zwei  Gesetzes- 
tafeln sei,  haben  die  Flacianer  nie  gewollt;  sie  wollten  ein 
freies  Aussprechen  und  forderten  dafür  eine  Synode.  Die  von 
den  Ständen  dekretierte  Visitation  war  ihnen  ein  Grräuel;  denn 
auch  sie  unterdrückte  die  Äußerung  des  freien  evangelischen 
Geistes,  den  freilich  die  Gegner  als  Schwärmerei  taxierten, 
wie  sie  das  immer  gern  gethan  haben,  wenn  das  gute  Zeug- 
nis ihnen  unbequem  wurde. 

Die  Visitation  des  Jahres  1580 1). 

Daß  es  bisher  nicht  zur  Aufrichtung  eines  neungliedrigen 
Konsistoriums  mit  einem  Superintendenten  gekommen  war, 
war  nicht  die  Schuld  der  evangelischen  Stände,  geschweige 
denn  der  Deputierten,  sondern  lag  einerseits,  solange  Maxi- 
milian lebte,  an  mangelndem  guten  Willen  von  oben,  andrer- 
seits aber  an  der  unlösbaren  Personenfrage.  Weder  Hom- 
berger  noch  Pauli  noch  auch  Besler  waren  bei  allen  be- 
teiligten Faktoren  für  das  Superintendentenamt  genehm  -).  So 
war  es  denn  das  Beste,  daß  die  vier  alten,  getreuen  Depu- 
tierten aus  der  Zeit  der  Agende  zunächst  noch  blieben  und 
man  eine  Kirchenvisitation  beschloß,  um  einmal  Ordnung 
in  der  Kirche  zu  schaffen  und  eine  Einigung  zwischen  den 
konsequenten  Anhängern  des  Flacius  und  deren  Gegnern  zu 
erzielen.  Man  hoffte  damals  noch,  solche  Einigung  mittels 
Aufstellung  gewisser  Normen,  die  für  beide  Teile  verbind- 
lich wären,  herzustellen.  Wenn  man  nur  einen  gewiegten 
Theologen    des    Auslandes    herbeicitierte ,    um    der    ganzen 


1)  Über  die  Örtlichkeit  der  verschiedenen  bei  der  Visitation 
genannten  Dörfer  und  Schlösser  siehe  Fuhrmann,  Altes  und  Neues 
Osterreich  v.  J.  1734  (mit  Karten). 

2)  Vgl.  Bibl,  die  Organisation  etc.  p.  97  ff. 


-    397     — 

Angelegenheit  genügendes  Gewicht  beizulegen,  hofften  die 
Stände  vorwärts  zu  kommen  i).  Und  das  sollte  nun  in  neun 
Monaten  geschehen,  von  einem  Mann  wie  Backmeister,  nach- 
dem Chyträus  bereits  krankheitshalber  unfähig  war.  Dieser 
kam  damals  doch  wenigstens  unter  Genehmigung  des  Kaisers, 
was  bei  Backmeister  nicht  der  Fall  war,  den  nur  die  evan- 
gelischen Stände  gerufen  hatten.  Backmeister  war  zwar 
der  beste  Prediger  in  Rostock,  aber  unbekannt  mit  den 
österreichischen  Verhältnissen,  so  daß  er  bei  Chyträus  und 
Polykarp  Leyser,  die  ebenfalls  Ausländer  waren,  sich  in 
der  elften  Stunde  Rat  erholen  mußte  (1579  u.  1580).  Dazu 
war  er  Anhänger  der  Konkordienformel,  wenn  auch  ein 
sehr  gemäßigter,  und  mußte  sich  erst  unterwegs  in  Breslau, 
wo  er  und  H.  v.  Mamming  Helmhard  Jörger  trafen,  darüber 
unterrichten  lassen,  daß  die  österreichischen  Stände  sich 
nicht  um  diese  Formel  kümmern  würden,  besonders  weil 
die  Assekuration  sich  an  die  Augustana  lehne  und  dieser 
keine  neue  Konfession  dürfe  beigefügt  werden.  Diese  An- 
schauung Jörgers  war  eine  ganz  gesetzliche  ^).  In  noch 
ganz  andrer  Weise,  als  es  Jörger  darstellte,  waren  etliche 
Mitglieder  der  Stände  und  insbesondere  die  zu  besänftigen- 
den Flacianer  gegen  die  Konkordienformel  erbost,  bei  deren 
Abfassung    alte    Gegner,    besonders    Andrea,    mitgewirkt  3). 


1)  Das  war  bereits  ihre  Hoffmmg  im  Bescheid  der  Stände 
an  die  Eeligions-Deijutierten  vom  21.  März  1576,  s.  Cod.  8314, 
Fol.  142. 

2)  Eaupach,  II  Forts.  Beilage  IV,  S.  16,  woselbst  der  Bericht 
Backmeisters  an  Chyträus  (d.  d.  Hörn,  14.  März  1580)  abgedruckt  ist. 

3)  Kennzeichnend  für  die  Erbitterung  gegen  Andrea  ist  ein 
Brief  des  uns  wohlbekannten,  aus  Thüringen  vertriebenen  Philippus 
Barbatus  Gerlicus  an  Wolfgang  Waldner,  d.  d.  Syrendorf  (N.-Ö.), 
'29.  Sept.  1573  (R.  A.  Eccles.,  No.  XXVI,  Z.  94).  Es  war  die  Zeit, 
wo  Andrea  Subscriptionen  sammelte  unter  seine  sechs  gedruckten 
Predigten,  welche  eine  Darstellung  und  zugleich  ^Viderlegung  aller 
Irrtümer  seit  dem  Jahre  1548—1573  enthielten  (vgl.  Planck ,  a.  a.  O. 
III,  B.  IX,  404  f.).  Mit  diesem  Gesuch  um  Unterschreibung  trat 
er  auch  au  den  Regensburger  Rat  heran.    Da  wünscht  nun  Barbatus, 


—    398     — 


Naiv  war  also  unter  solchen  Umständen  die  Verheißung 
Leysers  an  Backmeister  nach  Hörn,  6.  Mai  1580,  er  wolle 
ihm  etliche  Exemplare  des  demnächst  erscheinenden  Kon- 
kordienbuches  zuschicken  ^),  "Wichtiger  als  dieser  Brief 
Leysers  ^)  war  das  Schreiben,  welches  Chyträus  auf  Bitten 
des  Gesandten  Christoph  von  Mamming  an  den  ständischen 
Sekretär  Christian  Talhamer  richtete  ^)  und  in  welchem 
er  ausführte,  worin  vornehmlich  des  neuen  Superintendenten 
Arbeit  bestehen  müsse,  damit  in  der  kurzen  Frist  von 
neun  Monaten  —  denn  länger  wollte  der  Rat  der  Stadt 
Rostock  Backmeister  nicht  entbehren  —  etwas  Nützliches 
geschaffen  würde.  Dieser  Brief  ist  als  die  Norm  anzusehen 
nach  welcher  die  beiden  Stände  ihre  Beratungen  und  Dr. 
Backmeister  seine  Visitationsarbeit  damals  hauptsächlich 
eingerichtet.  Von  Chyträus  ging  auch  der  Vorschlag  aus, 
die  Konvente  zu  Hörn  (als  dem  zukünftigen  Sitz  des  öster- 
reichischen Superintendenten)  abzuhalten. 

Am  13.  Februar  1580  traf  Backmeister  in  Hörn  ein, 
setzte  sich  mit  Christoph  Reuter  und  einigen  Predigern  in 
der  Umgegend  von  Hörn  in  Verbindung,  zeigte  den  Ständen 
seine  Ankunft  an  und  wollte  rasch  seiner  Aufgabe  gerecht 
werden.  Aber  die  Stände  beeilten  sich  nicht.  Der  Land- 
marschall Rogendorf  blieb  den  zu  Hörn  gepflogenen  Ver- 
handlungen gänzlich  fern ;  er  gehörte  zur  strengen  Partei. 
Sein  Agent  bei  den  Verhandlungen    war  Hans  Stockhorner 


daß  es  diesem  „Conciliator  Christi  et  Belialis"  nicht  gelingen  möge, 
und  er  bittet  Gott,  „Er  wolle  ia  gnadt  verleihen,  daz  Euer  Ehr- 
wirdiges  Mynysterium  durch  diß  Mittel  nicht  getrennet  werde". 

1)  Ut  illa  portenta  conficiantur,  commodissimum  fore  judico, 
si  Formula  Concordiae  ipsis  proponeretur  (Raupach  III,  Beilage 
No.  IV).  So  Polykarp  Leyser,  Hofprediger  zu  Dresden  und,  wie  wir 
wissen,  entschiedener  Autiflacianer. 

2)  In  demselben  urteilt  Leyser,  daß  multi,  imo  plurimi  in  N.-Ö. 
auf  der  flacianischen  Anschauung  von  der  Erbsünde  beständen  (Rau- 
pach III,  Beilage  S.  104). 

3)  Chytr.  Epp.,  p.  43—50. 


—     399     - 

zu  Starein,  ein  alter  Freund  des  Gallus  ^).  Die  Stände 
fanden  erst  am  5.  März  Zeit,  Backmeister  zu  begrüßen  und 
ihm  mitzuteilen,  daß  auf  den  18.  März  eine  Versammlung 
in  Hom  anberaumt  sei.  In  dieser  vorberatenden  Versamm- 
lung waren  die  ausgesprochenen  Anhänger  der  bereits  im 
Reiche  zur  Annahme  fertigen  Konkordienformel  kaum  ver- 
treten ;  die  Theologen  zählten  zur  strengen  Richtung.  Die 
Mehrheit  der  evangelischen  Stände  fürchtete  überhaupt 
jede  Beteiligung  an  solchen  auswärtigen  Angelegenheiten ; 
das  that  auch  die  vorsichtig  vermittelnde  Streinsche  Partei. 
Man  wünschte  sich  nicht  auf  eine  neue  Kon'^essionsschrift, 
wie  die  Form.  Concordiae,  verpflichten  zu  lassen.  Es  er- 
schienen die  Prediger  Alex.  Bresnizer  von  Feldsberg,  Balt- 
hasar Masko  von  Loosdorf,  Paul  Hillamair  zvi  Aigen,  Fried- 
rich Stock  zu  Katzelsdorf,  Lorenz  Becher  zu  Horu ;  aus 
dem  Herrenstande  Nikiaus  von  Puchaim ;  aus  den  Depu- 
tierten des  Herrenstandes  Veit  Albrecht  von  Puchaim, 
aus  dem  Ritterstande  Hans  Georg  Kuefstein  und  aus  den 
Deputierten  des  Ritterstandes  Wolfgang  Christoph  von 
Mamming,  der  Begleiter  Backmeisters.  Reuter  war,  durch 
Podagra  gepeinigt,  am  Erscheinen  verhindert. 

Nikiaus  von  Puchaim  führte  den  Vorsitz  2).  Der 
landschaftliche  Sekretär  Talhamer  verlas  die  mit  Back- 
meister vereinigten  Propositionen.  „Es  wird  von  drei 
Hauptpunkten  zu  traktieren  und  zu  handien  sein.  Als  zum 
ersten  von  einer  kurzen  und  gründlichen  Norma,  Weiß  und 
Maß,  wie  und  worauf  die  künftige  Erkundigung  und  Exa- 
mination  in  Hauptstücken  christlicher  Lehr  und  Glaubens 
gestellt  und  gegründet,  ein  wahrer  einhelliger  Consens  er- 
langt,   zu  Werk  gezogen  und  erhalten    werden    soll.     Fürs 


1)  Die  E.  A.  Eccles.,  No.  XXXV,  Z.  91  bewahren  einen  Brief 
Stockhorners  an  Gallus  vom  16.  März  15t)5,  darin  Gallus  auf  einen 
Brief  an  Illyricus  verwiesen  wird,  der  die  Meinung  der  Herren  über 
Heshusius  enthalte. 

2)  Vgl.  für  das  folgende  Raupach  III,  S.  32  iL,  u.  Wiedemann 
I,  S.  396  ff. 


—     400    — 

ander  von  einer  nützlichen  Ordnung  der  Amter,  Ceremonien 
und  Gebräuchen  der  Kirchen.  Zum  dritten  von  ordentlicher 
Bestellung  eines  Superintendenten  und  Kirchenraths  und  was 
dann  danneben  von  Nöthen  sein  will,  daß  bei  einem  jeden 
Punkt  insonderheit  auf  alle  Umstände  der  Sachen,  vorab 
auf  den  Moduni  agendi,  wie  nämlich  in  dem  Einen  und 
dem  Andern  zu  procediren  und  daß  so  nützlich  gerat- 
schlaget, mit  guter  Ordnung  und  Gelegenheit  in  das  Werk 
zu  setzen,  besten  Fleißes  gesehen  werde."  Den  Predigern 
wurden  die  bezüglichen  Schriftstücke  übergeben,  sie  er- 
mahnt, „fremde  Dinge  beiseite  zu  stellen,  mit  guter  Mode- 
ration und  Bescheidenheit  zu  ratschlagen"  und  nicht  zu 
übersehen,  daß  Konzession  und  Assekuration  ausdrücklich 
auf  der  Augsburger  Konfession  und  Agende  basieren,  „da- 
nach man  sich  in  gegenwurtiger  gantzer  Traktation  not- 
wendig wird  zu  halten  haben". 

Sonntag  predigte  Bresnicerus.  Montag  den  21.  März 
war  die  zweite  Versammlung.  Vormittags  wurde  über  „die 
Norma  der  christlichen  Lehre'*  gehandelt.  Nach  längeren 
Debatten,  bei  welchen  Lorenz  Becher  i)  (zuvor  Diaconus  in 
Sächsisch-Altenburg  und  Gehilfe  des  Opitz  im  Landhause 
zu  Wien)  auf  Gottes  Wort  als  genügend  hinwies,  einigte 
man  sich  dahin,  daß  nach  der  heiligen  Schrift  die  drei 
Symbola  antiqua,  die  Augustana  nebst  der  Apologie  und 
den  beiden  Katechismen  Luthers  der  österreichischen  Kirche 
Norma  sein  sollten;  für  die  Prediger  seien  die  Schmal- 
kaldener  Artikel  zur  eigenen  Belehrung  notwendig;  es  sei 
anzuraten,  daß  die  Schriften  Luthers  bei  einer  jeden  Kirche 
zum  Gebrauch  des  Predigers  angeschafft  würden.    Aus  dieser 

1)  L.  Becher  aus  Meißen ,  anfangs  Schuhneister  im  Schön- 
burgischen Waidenburg,  wurde  1568  durch  Kirchner  in  Jena  ordi- 
niert und  sodann  Diakon  zu  Altenburg.  1574  seines  Dienstes  ent- 
lassen, fand  er  im  selben  Jahr  Anstellung  in  Wien  als  Prediger  im 
Landhause,  erhielt  1576  eine  Berufung  nach  Hörn  und  spielte  nun- 
mehr bei  den  Beratschlagungen  der  Visitation  eine  Rolle.  (S.  Rau- 
pach, Presb.,  ferner  Wiedemann  II,  S.  551  ff.  und  139.) 


—     401     — 

Norma  einen  Auszug  in  Frage  und  Antwort  zu  geben,  nach 
welchem  die  Prediger  examiniert  werden  sollten,  wurde 
Backmeister  überlassen;  jedoch  sollten  die  vornehmsten 
Theologen  eingeladen  werden,  ihn  durchzulesen,  zu  prüfen 
und  ihren  Konsens  zu  erteilen. 

lieber  den  modus  procedendi  bei  der  Visitation  wurde 
beschlossen,  die  Prediger  unter  Genehmigung  ihrer  Herren 
nach  einem  bestimmten  Orte  eines  jeden  Viertels  von  Nieder- 
österreich zu  berufen,  sie  zu  examinieren  und  zur  Unter- 
schrift des  von  Backmeister  verfaßten  Auszugs  anzuhalten; 
weigere  sich  einer,  dann  solle  ihm  bescheiden  zugesprochen 
werden,  und  wenn  er  sich  nicht  wolle  weisen  lassen,  solle 
er  entlassen  werden. 

Dies  war  das  Eesultat  der  vormittägigen  Beratung. 
Nachmittags  wurde  über  die  Agenda  verhandelt  und  be- 
schlossen, einen  Auszug  (Manual)  aus  ihr  zu  veranstalten, 
um  es  dem  Prediger  eines  Dorfes  zu  ermöglichen,  ihr  ge- 
recht zu  werden,  „denn",  wie  Hillamair  meinte,  „es  sei 
gar  nicht  ohne,  daß  aus  der  Agenda  Unrichtigkeiten  er- 
folgen und  daß  der  Extract  dem  helfen  möge,  was  in  der 
Agenda  übersehen  oder  zu  viel  gethan  sei".  Es  wurde  der 
Wunsch  ausgesprochen,  in  dem  Gesang,  in  der  Admini- 
strierung des  heiligen  Abendmahles,  im  Prediger-Habit  mehr 
Gleichmäßigkeit  herzustellen.  Die  Prediger  und  Gemeinden 
sollten  also  auf  die  Agenda  verpflichtet  werden,  und  falls 
sich  Umstände  zeigten,  die  hierin  hinderlich  wären,  „sollte 
die  christliche  Freiheit  zugelassen  werden". 

Daß  ein  Superintendent  und  ein  Kirchenrat  bestellt 
werde,  war  ein  einmütiges  Verlangen.  „Da",  sagte  Bresni- 
cerus,  „wird  der  Wagen  Israel,  wenn  er  schon  im  Schlamm 
tief  stecket,  herausge führet  werden  können."  Die  von  Chy- 
träus,  Cölestin  und  Reuter  in  Stein  1574  verfaßte  Konsistorial- 
ordnung  wurde  als  Grundlage  genommen  (s.  o.  S.  381). 

Die  Theologen  wurden  nun  angewiesen,  die  nötigen 
Schriften  zu  lesen,  das  Hierhergehörige  zusammenzutragen 
und  ordentlich  zu  Papier  zu  bringen,  damit  es  den  Ständen 

26 


—     402     - 

zur  Approbation  und  zu  etwaigen  Verbesserungen  vorgelegt 
werden  könnte;  doch  sei  notwendig,  daß  die  Theologen 
durchweg  in  allem  einig  wären.  Backmeister  erklärte,  sie 
wären  zwar  bereit,  sich  weiter  zu  bereden  und  das,  was 
von  ihnen  gefordert  würde,  zu  thun:  die  Herren  möchten 
aber  auch  auf  die  Exekution  denken ;  es  sei  nicht  sonderlich 
schwer,  zu  beratschlagen  und  das  Beratschlagte  schriftlich 
zu  stellen;  aber  ins  Werk  zu  richten,  hoc  opus  hie  labor 
est.  Die  Deputierten  ließen  sich  diese  Rüge  gefallen  und 
lobten  die  Einigkeit  der  hier  versammelten  Theologen. 
Hiermit  schloß  die  Verhandlung.  Herr  von  Puchaim  hatte 
sämtliche  Teilnehmer  zum  Abendessen  geladen,  wozu  noch 
Tetelbach,  Benedikt  Mehlhorn  und  Michael  Hugo  sich  ge- 
sellten, lauter  alte  Bekannte.  Am  folgenden  Tage  verab- 
schiedeten sich  die  Verordneten  von  den  Theologen,  die 
noch  bis  zum  26.  März  mit  Backmeister  konferierten.  Dann 
blieb  Backmeister  mit  dem  ihm  als  Visitator  Ordinarius  bei- 
gegebenen M.  Frid.  Stock  in  Hörn  zurück  und  beschäftigte 
sich  mit  den  ihm  aufgetragenen  schriftlichen  Arbeiten. 
Während  der  Ostertage,  vom  31.  März  bis  8.  April,  wurde 
auch  Stock  zu  seiner  Gemeinde  zurückgerufen.  Back- 
meister benutzte  diese  Zeit  zu  Ausflügen  in  die  Nachbar- 
schaft. Unter  anderem  ward  er  von  Herrn  Sebastian  Grab- 
ner  auf  sein  Schloß  Rosenberg  eingeladen,  wo  er  Christoph 
Reuter  kennen  lernte  und  denselben  überredete,  sich  an  dem 
zweiten  Konvent  zu  beteiligen. 

Schon  am  18.  März  aber  hatten  sich  elf  der  vor- 
nehmsten Prediger  der  strengen,  Flacius  anhängenden  Rich- 
tung mit  einem  Protest  geltend  gemacht  in  einem  Schreiben 
an  die  Deputierten  der  Stände  in  Hörn,  welches  diese  aber, 
um  alles  Aufsehen  zu  vermeiden,  ruhig  beiseite  legten  ^).  Sie 
eröffnen  ihre  Schrift  mit  der  Darlegung,  daß,  obgleich  die  Irr- 
tümer, die  in  der  evangelischen  Kirche  aus  dem  Interim  ent- 
standen, fast  alle  durch  Gottes  Wort  aufgedeckt  und  zu  nichte 


1)  S.  bei  Eaupach  III,  S.  43  ff. 


—     403    — 

gemacht  wären,  dennoch  der  streitige  Artikel  von  der  Erb- 
sünde bisher  unverglichen  geblieben,  dieweil  der  ungerechte 
und  falsche  Teil  aus  Halsstarrigkeit  nicht  weichen  wolle,  sie 
aber,    der  rechte  Teil,   zufolge  Gottes  ernstem  Befehl  nicht 
weichen    könnten   noch    sollten.     Da  man  aber  trotzdem  in 
der  evangelischen  Kirche  aus  fleischlichen  Ratschlägen  sich 
an    vielen    Orten    vorgenommen,    Friede    und    Einigkeit    zu 
stiften  und  deswegen  den  hochgelehrten  Doctor  Backmeister 
ins  Land  berufen,  so  hätten  sie  als  diejenigen,  die  Gott  zu 
Wächtern,    Hirten    und  Bischöfen    über   seine  Gemeine    ge- 
setzt,   diese    hochwichtige    Sache    etwas    fleißiger    erwogen, 
indem   sie    nicht    durch  ihr  Stillschweigen  mit  die  Ursache 
sein  wollten,  daß  beide,    Prediger  und  Obrigkeit,  sich  etwa 
in  diesen  hohen  Gottessachen  versündigten  und  also  Gottes 
Zorn  und  Strafe  über  sich  selbst  und  über  das  ganze  Land 
einführten.    Denn,  wie  es  ihnen  als  Predigern  nicht  gebühren 
wolle,   der  weltlichen  Obrigkeit  in  ihr  Amt  zu  greifen  und 
derselben    vorzuschreiben,    wie    sie    ihr  Amt  führen  sollten, 
also   gebühre  es  der  weltlichen  Obrigkeit  auch  nicht,    „daß 
sie  den  Predigern  in  ihr  Amt  greifen  und  ihnen,    dem  Be- 
fehl,   so    sie    von  Gott  in  diesem  Amt  haben,  zuwider,  für- 
schreiben   wollten,    wie    sie    in    Lehren    und    Strafen    sich 
halten    und    etwa   mit    falschen  Lehren,    zuwider   dem  aus- 
drücklichen   Wort    Gottes,    in    einen    Friede -Stand    treten 
sollten  1)".     Daß  Gott    dergleichen  Verfahren  der  Obrigkeit 
schrecklich  strafe,  wird  bewiesen  mit  den  Exempeln  Nadab 
und  Abihu,  die  fremdes  Feuer  auf  den  Altar  brachten,  der 
Rotte    Korah,    Dathan    und    Abiram,    die    sich    Mose    und 
Aaron    widersetzten,    des  Usa    und  seiner  Brüder,   die  nach 
der    Bundeslade    griifen,    des    Königs    Usia,    der    in    den 
Tempel  ging,  zu   räuchern.    Die  Obrigkeit   solle  sich  daher 
vor    einem    solchen    Eingriff,    sonderlich    in    Gottes    Amt, 
hüten.     Hierauf  wird    geklagt,    wie    sehr   in    diesem    Stück 

1)  Die  FJacianer  treten   also  hier  wie  auch  sonst  für  die  Frei- 
heit der  Kirche  ein. 

26* 


—     404     — 

und  noch  dazu  unter  dem  Schein  eines  in  der  Kirche  zu 
stiftenden  Friedens,  an  vielen  Orten  gesündiget  werde: 
einesteils,  da  man  die  reinen,  treuen,  richtigen  Lehrer 
abscliaffe  und  verjage,  hingegen  aber  den  verführten,  ver- 
führerischen, irrigen  und  falschen  Heuchelpredigern  sicheren 
Paß  und  Raum  vergönne;  andernteils  aber,  daß  mau  beiden 
Teilen  gebiete,  sie  sollten  sich  untereinander  unangetastet, 
unverdammt  und  zufrieden  lassen  und  insgemein  ohne  Satz 
und  Gegensatz  lehren,  dabei  allein  wider  die  äußeren  Feinde 
oder  dann  Papisten,  Zwinglianer  und  Wiedertäufer  predigen, 
jedoch  der  inwendigen  Feinde,  als  da  sind  die  Naturlober 
oder  Accidenzer,  verschonen  und  ihre  Irrtümer  mit  Still- 
schweigen übergehen  i).  Auf  beiderlei  Weise  werde  nimmer- 
mehr Friede  in  der  Kirche  gestiftet  werden.  Besonders 
was  den  letztern  Weg  (des  Stillschweigens)  betrifft,  so  sei 
dieser  zuwider  dem  ausdrücklichen  Wort  Gottes,  weil  auf 
Heuchelei  beruhend.  Sie  erläutern  dieses  mit  dem  Exempel 
des  D.  Jakob  Andrea,  der  mit  der  Formula  Concordiae  einen 
Frieden  zu  stiften  suchte,  welchen  sie  aber  einen  falschen, 
auf  Korruptelen,  Irrtum,  Unwahrheit  und  Unbußfertigkeit 
gebauten,  unbeständigen  Heuchel-  und  Scheinfrieden,  ihn 
selbst  aber,  und  die  es  mit  ihm  halten,  Pax-Propheten  und 
Friedensstifter  nennen,  wie  sie  Jeremia  6  und  8  und  Eze- 
chiel  13  beschrieben  werden, 

Sie  berühren  nun  den  Hauptstreitpunkt  und  werfen 
ihren  Gegnern  vor,  daß  sie  nicht  eines  bessern  zu  belehren 
seien  und  sich  im  Widerspruch  mit  den  Lehr-  und  Be- 
kenntnisschriften ihrer  Kirche  befänden.  Sie  behaupten, 
die  richtige  Lehre  von  der  Erbsünde  sei  bei  ihnen,  und 
warnen  die  Stände,  daß  sie  doch  die  reinen  Prediger  und 
untadelhaften  Diener  Jesu  Christi  und  demnach  Christum 
selbst  in  ihnen  nicht  verwerfen,    verdammen  und  verfolgen 


1)  Es  ist  bemerkenswert,  daß  die  große  Masse  der  Prediger 
damals  für  das  Schelten  auf  die  Sakramentierer  leicht  zu  haben  war, 
nicht  aber  Augen  hatte  für  die  drohende  Erschlaffung  und  Lehrab- 
weichungea  im  Schöße  der  eigenen  Kirche. 


—     405     - 

möchten,  was  unfehlbar  Gottes  schwere  Strafe  über  das 
ganze  Land  ziehen  würde.  Durch  solchen  Heuchel-  und 
Scheinfrieden  würde  der  beste  Schutz  wider  den  Türken 
und  alle  anderen  Feinde  dahinschwinden  i).  Die  Jesuiten  und 
Papisten  wüßten  wohl,  daß  s  i  e  (die  reinen  Lehrer)  die  mit 
der  A.  C.  und  den  Schmalkaldischen  Art.  übereinstimmende 
Lehre  von  der  Erbsünde  hätten.  Man  solle  auch  sonderlich 
zu  diesen  Zeiten  nicht  die  Religion  nach  der  Menge  richten. 
Daß  so  viel  Tausend  der  Formula  Concordiae  des  D.  Jakob 
Andrea  unterschrieben,  verschlage  nichts.  Christus  nenne 
seine  Kirche  eine  kleine  Herde,  Luc.  13,  ui  d  er  sage,  daß 
auf  dem  breitem  Weg  viele,  auf  dem  schmalen  Weg  aber 
wenige  wandeln,  Matth.  7. 

Überblicken  wir  diesen  Protest,  der  von  elf  „armen 
Dienern  am  Worte  Gottes"  ausging,  so  tritt  abermals 
hervor,  daß  dieselben  in  Aufrichtigkeit  ihres  Herzens  und 
großer  Besorgnis  als  Minorität  der  Majorität  sich  ent- 
gegenstellten. Was  thaten  denn  diese  Männer?  Sie  thaten, 
w^as  auch  sonst  ein  besorgter  Freund,  der  seinen  Freund 
in  der  Nähe  eines  Abgrundes  wandeln  sieht,  thun  würde: 
er  ruft  oder  reißt  ihn  zurück,  er  übt  Gewalt. 

Man  bedenke. ferner  wohl,  daß  Backmeister  aus  Rostock 
kam,  wo  man  die  Konkordienformel  bereits  angenommen; 
ferner  daß  der  Hauptratgeber  Chyträus  mit  der  Gegen- 
partei eine  Zeit  lang  gegangen  ^).  Andrea  endlich  war  durch 
seine  vielen-  Bemühungen,  Frieden  zu  stiften,  der  Gefahr 
nicht  entgangen,  die  Gegensätze  zu  vertuschen.  Sein  Name 
diente  auch  in  Österreich  nicht,  die  Gemüter  zu  besänftigen. 


1)  Die  gleiche  Warnung  findet  sich  bei  den  Klagenfurter 
Predigern  in  ihrer  Zuschrift  an  die  Herren  und  Landleute  vom 
19.  Juli  1600  bei  Loserth,  Zur  Gesch.  der  Gegenreformation  in  Kärnten 
(Archiv  f.  vaterl.  Gesch.  und  Topographie  XIX,  S.  48). 

2)  Ch.  war  nicht  gegen  Camerarius,  was  Gallus  schon  seiner 
Zeit  an  Reuter  meldete,  vielmehr  schrieb  er  ihm  freimdschaftüche 
Briefe. 


—     406     — 

Man  fürchtete  dort  ein  melanchthonisches  Luthertum  i). 
Das  war  genug,  um  jede  Priedenshandlung  für  jetzt 
wenigstens  unmöglich  zu  machen.  Die  warnende  Stimme, 
die  jene  Protestler  erhoben,  hat  sich  in  der  Folgezeit  nur 
zu  sehr  als  richtig  bewiesen,  und  wenn  die  Partei  auch 
bald  danach,  selbst  in  Österreich,  verschwindet,  so  soll  ihr 
Kassandraruf  doch  in  Ehren  gehalten  werden.  Kam  es  doch 
nicht  darauf  an,  überhaupt  einen  Frieden  zu  machen,  sondern 
die  Hauptsache  war,  daß  es  ein  rechter,  in  der  Wahrheit  gött- 
lichen Wortes  begründeter  Friede  war.  Dies  betonte  der 
Protest  der  alten  lutherischen  „Garde-'.  Und  Friede  ist  nicht 
gemacht  —  dafür  sind  ganze  Länder  Zeugen,  die  schon 
damals  —  der  ubiquitistischen  Sakramentslehre  wegen  — 
der  Konkordienformel  die  Thür  verschlossen  ^).  Zu  diesen 
Ländern  gehören  Hessen,  Anhalt  und  auch  Dänemark,  das 
im  Gegensatz  zu  Schweden  durch  den  Einfluß  von  Niels 
Henningsen,  der  kryptokalvinisch  war,  die  Formel  ausschloß 
und  nie  annahm. 

Am  12.  April  versammelten  sich  die  Theologen  zum 
zweiten  Konvent,  an  welchem  diesmal  auch  Christoph  Reuter 
teilnahm.  Sie  lasen  miteinander  die  schriftliche  Antwort 
durch,    welche   Dr.    Backmeister    auf   die    von    den    beiden 


1)  Seeberg,  Lehrbuch  der  Dogmen  geschieh  te  II,  S.  370.  Loofs 
behauptet  daß  die  Entscheidungen,  welche  die  F.  C.  für  die  streitigen 
Artikel  giebt,  gemäßigt  philippistische  seien  (§  75,  3).  AuffälUg  ist 
es  jedenfalls,  daß  die  Verfasser  der  F.  C.  zur  Beschwichtigung  der 
Freunde  Melanchthons  dessen  Schriften  mit  ausdrücklichen  Worten 
weder  genannt  noch  aber  auch  verdammt  haben. 

Indem  dergestalt  die  Quelle,  aus  der  Argumente  für  gewisse 
Irrtümer  hervorgingen  nicht  endgiltig  verstopft  wurde,  so  geschah 
dasselbe,  was  einst  1549  und  1559  eingetreten.  Den  heimlichen  Syn- 
ergisten wurde  in  der  Kirche  das  Dasein  gefristet,  indem  das  Accidens 
geduldet  (F.  C.  Art.  II),  nicht  aber  durch  eine  entsprechendere 
Definition  ihm  der  Lebensfaden  abgeschnitten  wurde.  Melanchthons 
Loci  mit  ihrer  ungenauen  Ausdrucksweise  blieben  ein  Same  des  Syner- 
gismus in  der  lutherischen  Kirche. 

2)  Über  die  F.  C.  als  ein  Produkt  der  zweiten  Generation  der 
Keformationszeit  cf.  Seeberg  a.  a.  O.  S.  379. 


—     407     — 

Stauden  gethane  „Proposition"  verfaßt  hatte,  und  verbesserten 
dieselbe  nach  ihrem  Gutdünken.  Dasselbe  thaten  sie  mit 
dem  „Examen",  welches  Backmeister  aus  der  oben  er- 
wähnten Norma  doctrinae  der  österreichischen  Kirche  ver- 
fertigt hatte ;  beides  wurde  approbiert  und  von  den  7  Theo- 
logen: Backmeister,  Laurentius  Becher,  Alexius  Bresnicerus, 
Paulus  Hillameier,  Christoph  Reuter,  Balt.  Masco  und 
Fried.  Stock  unterzeichnet.  Am  Morgen  des  15.  April  wurde 
endlich  die  aus  den  Schriften  Chytraei  zusammengestellte 
„Instruktion  des  Superintendenten  und  des  Konsistoriums" 
besprochen  und  hierauf  alle  drei  Schriften  den  Deputierten 
der  Stände  zur  Begutachtung  vorgelegt.  Die  Theologen  be- 
sprachen sich  noch  brüderlich  untereinander  wegen  des 
Artikels  von  der  Erbsünde,  wurden  aber  von  den  Deputierten 
ermahnt,  daß  „diese  Kontroversien  vorläufig  sollten  ausgesetzt 
und  nicht  mit  den  übrigen  Beratschlagungen  vermenget 
werden".  Backmeister  erwiderte,  das  Kolloquium  sollte  nur 
mündlich  und  privatim  zwischen  ihnen  gehalten  werden , 
was  denn  auch  geschah.  Aber  das  Resultat  ist  unbekannt; 
nur  wurde  beschlossen,  daß  auch  die  Formula  Concordiae 
des  Jahres  1574  nicht  erwähnt  werden  solle.  Die  Theologen 
trennten  sich  am  19.  April  im  besten  Einvernehmen. 

Die  nicht  am  Konvent  beteiligten  Elacianer  (nebenbei 
gesagt:  die  Elite  der  österreichischen  Prediger,  während  die 
meisten  anderen  in  keinerlei  Weise  hervorragten)  wandten 
sich  nunmehr,  Ende  April  1580,  an  den  ständischen  Aus- 
schuß in  Wien.  Sie  verwahren  sich  in  einer  zweiten  Schrift, 
gleichsam  einem  Nachtrag  zur  ersterwähnten  (vom  18.  März), 
dagegen,  daß  sie  unbesonnenerweise  den  Deputierten  der 
zwei  Stände  die  Fähigkeit  abgesprochen,  in  den  gegen- 
wärtigen strittigen  Religionssachen  eine  Entscheidung  zu 
treffen. 

Es  habe  sie  nämlich  die  Besorgnis  bei  ihrer  Ver- 
mahnung an  die  Deputierten  geleitet,  daß  man  mehr 
nach    fleischlicher   Weisheit,    denn    nach    Gottes   Wort    be- 


—     408     — 

schließen  möchte  i).     Die  Herren    könnten    bei  aller    hohen 
weltlichen  Weisheit  dennoch,    weil   sie   zum  Teil  Accidens- 
Prediger   hätten    und   den    reinen    treuen   Lehrern    und  be- 
ständigen   Lutheranern     zuwider    seien,     nicht    wohl    den 
schwebenden  Streit  beurteilen,    sondern    würden   die  Partei 
der  „Beständigen"  unterdrücken  oder  entsetzen,  wie  solches 
in  Inner-  und  Oberösterreich  bereits  geschehen  sei;   hätten 
sie  der  Sache  zu  viel  gethan,  so  hätten  sie  es  dennoch  dem 
Herrn  gethan  und  hofften,  daß  man  daraus  nur  ihre  Treue, 
die  sie  der  Kirche  Gottes  in  diesem  Lande  schuldig  seien^ 
vermerken    werde.     Aus  Neid    und  Bitterkeit    nennten  ihre 
Gegner  sie  Flacianer.     Sie   protestieren  des  weiteren  wider 
jede  Oktroyierung  von  Bestallungsreversen  zum  Predigtamt 
seitens   der  zwei  Stände,    welche  auf  eine  Vertuschung  der 
Gegensätze    abzielen.     Aufs   neue  protestieren  sie  energisch 
gegen  Dr.  Backmeister,   den  Anhänger  Jakob  Andreas,  wo- 
mit ihrer  guten   Sache  präjudiziert  sei.    Dazu  komme  noch, 
daß  der  mehrere  Teil  der  ihm  zugeordneten  Theologen  seiner 
accidenzischen  Meinung  beipflichte  2)  oder  sich  schon  durch 
Eevers    dafür   gebunden    hätte,    wohingegen   man    den    be- 
ständigen   Lutheranern    absichtlich    aus    dem    Wege    ginge. 
Sie  entschuldigen  schließlich  ihren  Eifer  mit  der  Wichtigkeit 
der  Sache.     Im   weiteren  Verlauf  behaupten   sie    ihr  gutes 
Recht,    den    Streit    von    der    Erbsünde    auf   die    Kanzel   zu 
bringen,    was    sie    in  zwei  beigelegten  gedruckten  Büchlein 
vor  aller  Welt  bezeugt  hätten.     Sie  erbieten  sich  zu  einem 
offenen  Kolloquium    mit    den  Gegnern    und  verwahren  sich 
gegen    einige   greuliche  Lehrsätze,    die  man  ihnen  zur  Last 
lege,  nämlich:   1)  Gott  sei  ein  Schöpfer  der  Sünden.    2)  Der 
Teufel  sei  ein  Schöpfer  der  Menschen.     3)  Der  Mensch  sei 
gar   zum  Teufel    geworden.     4)  Schwangere  Weiber  tragen 
junge  Teufel  im  Leibe.    5)  Es  werden  junge  Teufel  geboren 


1)  Eaupach  III,  S.  78. 

2)  Diese  Vermutung  ist  nicht  unzutreffend.  Die  Prediger 
Bresnicer,  Hillameier,  Masco  und  Stock,  waren  Gegner  der  Flacianer 
zu  nennen,  wenngleich  nicht  strenge  Accidenzer. 


t 


—    409    — 

und  getauft.  6)  Christus  sei  nicht  wahrhaftiger  Mensch. 
7)  Christus  sei  ein  Sünder  sowohl  als  wir.  8)  Es  werde 
die  Erbsünde  an  gläubigen  Menschen  am  jüngsten  Tage 
auferstehen.  9)  Sie  wären  Manichäer,  Ketzer,  Verführer, 
Aufrührer,  ein  widertäuferischer  Anhang  etc.,  vor  welchen 
sich  alle  wahren  Christen  bei  Verlierung  ewiger  Seligkeit 
vorsehen  und  hüten  sollten  (Worte  Andreas). 

Zum  Schluß  behaupten  sie,  als  wahre  Bekenner  der 
Augsburger  Konfession  unter  dem  Schutz  des  Religions- 
friedens zu  stehen,  und  meinen,  wenn  die  deutschen  Fürsten 
hinter  die  Irrtümer  und  Verfälschungen,  die  ir  Jakob  Andreas 
Formula  Concordiae  häufig,  wenn  auch  zum  Teil  heimlich 
versteckt  seien,  kommen  würden,  so  würde  es  den  Accideuzern 
ergehen ,  wie  vormals  den  Kryptokalvinisten.  —  Unter- 
schrieben sind,  d.  d.  Wien,  25.  April  1580,  die  vornehmsten 
Theologen  der  strengen  Partei:  Joach.  Magdeburgius, 
Martinus  Wolf  —  der  schon  einst  wegen  seiner  Weigerung, 
die  Victorinische  Deklaration  zu  unterzeichnen,  aus  Sachsen 
verjagt  wurde,  —  weiter  Jonas  Francus,  Philipp  Barbatus, 
beides  namhafte  Theologen  aus  Thüringen,  ebenso  Volmarius 
und  andere  zu  den  beständigen  Lutheranern  gehörige  Prediger. 

Es  ist  gewissermaßen  eine  zweite  Auflage  des  Streites 
zu  Zeiten  des  Interims  und  der  Victorinischen  Deklaration. 
Der  Abscheu  vor  dem  leisesten  Anzeichen  eines  auch  nur 
möglichen  Synergismus,  der  in  der  zweizüngigen  Deklaration 
des  V.  Strigel  nicht  gänzlich  ausgeschlossen  war,  war  noch 
nicht  in  den  Seelen  dieser  Männer  erstorben.  Sie  konnten 
sich  nicht  für  irgend  welche  Machenschaften  bereit  finden 
lassen,  die  die  Position  des  Elacius  contra  Strigel  schwächen 
würden ,  noch  viel  weniger  sich  verpflichten ,  wider  den 
Victorinus  und  seine  Lehre  (das  Accidens)  nicht  zu  pro- 
testieren, was  man  damals  wie  jetzt  von  ihnen  doch  indirekt 
verlangte  ^).     In  diesem  Zusammenhang  war  selbst  die  neu 

1)  Vgl.  den  Brief  von  Martin  Wolf  an  den  Grafen  Ladislaus 
von  Haag  v.  J.  1563  (s.  o.  S.  61). 


-     410    — 

erschienene  Konkordienformel,  und  zwar  deren  Sätze  über 
die  Erbsünde,  den  beständigen  Lutheranern  verdächtig ;  dies 
schon  deshalb,  weil  sich  die  Formula  concordiae  (S.  645) 
in  bekannten  Redewendungen  gegen  Flacius  erklärte,  wo- 
durch alte  Wunden  wieder  aufgerissen  wurden.  Andrea 
erschien  ihnen  nur  ein  versteckter  Freund  der  alten  Ver- 
folger zu  sein,  unter  denen  die  Unterschreiber  genug  ge- 
gelitten. In  zwei  Schriften  bemühen  sie  sich,  ihre  Position 
klar  zu  stellen:  erstens  im  „Examen  des  andern  (zweiten) 
Artikels  der  augsburger  Konfession  von  der  Erbsünde",  von 
Andreas  Lang,  Pfarrer  zu  Wüllersdorf  in  N.-Ö.  i),  1580, 
71/2  Bogen  stark.  In  dieser  Schrift  wird  die  Andreäsche 
Konkordienformel  sehr  heruntergemacht  und  unter  anderem 
ungescheut  gesagt,  daß  unter  den  zehntausend  der  Sub- 
skribenten dieser  Formel  der  meiste  Teil  lauter  Eceboli, 
unbeständige  Wetterhähne  und  nur  Bauchknechte  wären  2). 
In  der  Schrift  selber  wird  der  2.  Artikel  der  Augsburger 
Konfession  in  8  Absätzen  erklärt,  denen  ein  neunter  aus 
den  schmalkaldischen  Artikeln  hinzugefügt  ist,  und  dar- 
gethan,  wie  er  für  die  beständigen  „Bekenner"  spreche, 
dagegen  wider  die  Accidenzer  sei. 

Die  zweite  Schrift  war  das  „Einfältige  Bedenken  und 
kurzer  Bericht  etlicher  Evangelischen  und  gut  lutherischen 
Prediger  in  Österreich,  ob  man  nämlich  des  langwierigen 
und  harten  Streites  von  der  Erbsünde  und  sonderlich  der 
zwei  Wörtlein  Substanz  und  Accidens  auf  der  Kanzel  und 
sonst  mit  gutem  Gewissen  geschweigen  könne  oder  nicht, 
1  Kön.  18  etc.  Ao.  1580",  ö^/o  Bogen  stark,  von  Philipp  Barba- 
tus  verfaßt  und  unterzeichnet  durch  die  28  Theologen, 
welche   jene    oben  genannte   Schrift    unterschrieben   haben. 


1)  Andreas  Lang  aus  Eger,  von  seiner  Predigerstelle  in  Chemnitz 
1566  wegen  eines  Handels,  der  mit  dem  Interim  im  Zusammenhang 
stand,  vertrieben,  kam  nach  Kärnten,  woselbst  er  in  Klagenfurt 
Prediger  wurde  und  wegen  einer  Schrift  wider  Jakob  Andrea  mit 
Haubold  das  Land  verlassen  mußte. 

2)  Die  Weise  in  der  die  Unterschreibung  betrieben  wurde,  ist 
bekannt. 


—     411     — 

Das  Bedenken  wendet  sich  gegen  die  Behauptung,  es  stehe 
bei  der  Verhandlung  über  Substanz  und  Accidens  kein 
Glaubensartikel  in  Frage ;  dagegen  wird  auf  den  Artikel :  „Ich 
glaube  eine  Vergebung  der  Sünden"  verwiesen,  worunter 
die  Erbsünde  als  die  Quelle  aller  anderen  Sünden  gehöre. 
Dann  wird  erwähnt,  daß  der  Streit  so  alt  wie  die  Welt 
sei  und  dauern  würde  bis  ans  Ende  der  Welt,  sofern  die 
Weltkinder  immerdar  etwas  sein  und  gelten  und  nicht  vor 
Gott  verachtet  sein  wollten,  was  von  den  Pharisäern  an 
bis  auf  Erasmus  herab  sich  geltend  gemacht  habe.  Auf 
den  Einwurf,  man  solle  doch  einfältig  bei  seinem  Katechismus 
bleiben  und  solches  Streites  sich  entschlagen,  wird  ge- 
antwortet, daß  eben  aus  dem  Katechismus  und  den  christlichen 
Kirchengesängen  die  Sünde  wohl  könne  erkannt  werden. 
In  der  Erklärung  des  2.  Glaubensartikels  stehe,  Christus 
habe  uns  verlorene  und  verdammte  Menschen  erlöst;  in  der 
Erklärung  des  3.,  daß  wir  nicht  aus  eigener  Vernunft  noch 
Kraft  zu  Jesum  Christum  kommen  können.  Weiter,  bei  der 
Erklärung  der  Sakramente  heiße  es :  das  Fleisch  müsse  in 
der  Taufe  ersäuft  werden  und  sterben,  und  ein  neuer  Mensch 
auferstehen  durch  tägliche  Reu  und  Buße:  d.  i.  der  ganze 
Mensch  mit  Leib  und  Seele,  Vernunft,  Verstand  und  Willen, 
nnd  nicht  etwa  ein  Accidens.  Wenn  man  endlich  sage,  es 
erfolge  Streit  daraus,  so  sei  dies  eben  besser  als  ein  Schein- 
friede, denn  ohne  solchen  Grund  der  Lehre  könne  man  nicht 
recht  lehren. 

In  einem  zweiten  Teile  der  Schrift  wird  gezeigt,  wie  ge- 
rade jetzt  der  Streit  nicht  ruhen  dürfe,  und  aus  der  heil.  Schrift 
und  den  Bekenntnissen,  sowie  aus  den  Büchern  Lutheri  und 
anderer  neuer  Theologen  Zeugnissen  i)  werden  die  Accidens- 
lehrer  als  Naturpreiser  widerlegt.  Es  wird  aufs  ernstlichste 
das  Recht  gewahrt,  auch  vor  den  Laien  dieser  Lehre  auf 
der  Kanzel  und  unter  der  Kanzel  zu  gedenken.    Die  Bauern 


1)  Vgl.  Christoph  Irenäus  im  3.  Teil  der  Censuren,  wo  solche 
Zeugnisse  gesammelt  werden. 


-     412    — 

verständen  es  wohl,  wenn  man  es  nur  erklärte,  —  es  seien 
nicht  auswärtiger  Theologen  Händel  —  und  darin  haben 
sie  gewiß  recht.  Nachdem  einmal  die  Worte  „Substantia 
und  Substantialisten"  ihnen  von  den  Gegnern  i)  aufgedrungen 
worden,  so  hätten  sie  notwendig  die  Worte  „Accidens  und 
Accidenzer"  entgegensetzen  müssen.  Durch  ihr  Schweigen 
würde  nur  die  zur  Verkleinerung  des  Verdienstes  Christi 
dienende  Irrlehre  auf  die  Nachkommen  übertragen.  Man  habe 
andem  Interim  und  anderen  Vertuschungen  gesehen,  daß  so 
etwas  nie  gut  gethan.  Am  ungereimtesten  erscheint  dem 
Schreiber  die  Verteidigung  des  Accidens  durch  Rom.  7,  V.  21 : 
Das  Böse  liegt  mir  bei  (Luther:  anhanget);  solches  sei  nur 
von  den  Griäubigen  und  Wiedergeborenen  zulässig  zu  sagen, 
aber  keine  Beschreibung  des  natürlichen  Menschen. 

Bei  dieser  Stelle  des  „Bedenkens"  tritt  deutlich  hervor, 
wie  dieser  ganze  Streit  die  feinsten  theologischen  Fragen 
berührt  und  keinesfalls  eine  Kontroverse  vorliegt,  welche 
in  der  Geschwindigkeit  gelöst,  noch  weniger  aber  durch  ein 
Dekret  der  beiden  Stände  unterdrückt  werden  konnte  2). 
Sie  ist  bis  heute  nicht  gelöst;  die  meisten  Lehrer  haben 
nicht  einmal  eine  Ahnung  von  der  Existenz  dieser  Frage 
und  gehen  in  ausgetretenen  Geleisen  weiter.  Wenn  damals 
die  beständigen  Lutheraner  (Flacianer)  sich  der  Lösung  zur 
Zeit  und  zur  Unzeit  hingaben,  so  geschah  das  nicht  aus 
Leichtfertigkeit.    Diese  ist  mehr  den  Gegnern  (Accidenzern) 


1 


1)  Seit  Victorin  Strigel  auf  dem  Weimarer  Kolloquium. 

2)  Unter  dem  Eindruck  von  der  Schwierigkeit  solcher  Kontro- 
versen schrieb  einst  Melanchthon  goldene  Worte  an  Cordatus, 
15.  April  1537:  Si  controversiae,  quae  in  ecclesia  motae  sunt  adeo 
tibi  videntur  faciles,  ut  subito  eas  assequaris,  gratulor  tibi  hoc  aciunen. 
Ego  fatebor,  etiamsi  hebes  dicar,  mUii  videri  valde  difficiles,  ac 
animadverti  plerasque  disputationes  a  multis  parum  dextere  in- 
telligi.  Es  handelte  sich  damals  um  die  guten  Werke  und  die  (frei- 
lich ungeschickte)  Formel,  auf  welche  Melanchthon  gekommen,  daß 
die  guten  Werke  conditio  siue  qua  non  iustificationis  seien ,  um 
welcher  willen  ihn  Cordatus  angriff.  Jene  Worte  haben  bis  auf 
heute  vollste  Giltigkeit. 


—    413     — 

vorzuwerfen,  welche  nicht  einsahen,  daß  die  Placius  An- 
hängenden nicht  um  metaphysische  Fragen  von  der  Ver- 
derbtheit oder  Unverderbtheit  des  natürlichen  Menschen, 
sondern  um  die  strikt  geistliche  und  theologische  Frage 
von  dem  Umfange  der  Schuld  des  Menschen  in  Gottes  Ge- 
richt stritten.  Wenn  man  diesen  Umfang  richtig  beschreiben 
will,  so  ist  weder  das  Wort  Substanz  noch  Accidens  ganz 
passend,  aber  das  relativ  größere  Recht  in  diesem  Streit 
hat  doch  das  Wort  Substanz. 

Beide  Schriften  wurden  abermals  vorsichtshalber  bei- 
seite gelegt  und  werden  in  den  Visitationsakten  selbst  nicht 
direkt  erwogen;  nur  daß  wol  einmal  das  „Bedenken"  in 
Personalfragen  berührt  wird. 

Diese  flacianischen  Prediger,  unbequem  wie  sie  waren, 
brachten  es  durch  ihre  Protestschriften  doch  dahin,  daß  sie 
ihr  Gewissen  rein  erhielten.  Übrigens  war  auch  bei  den 
ständischen  Deputierten  der  bestimmte  Wunsch  vorherrschend, 
daß  die  Kontroverse  von  der  Erbsünde  vorderhand  ausgesetzt 
bleiben  und  mit  den  übrigen  Beratschlagungen  nicht  ver- 
mengt werden  sollte  ^). 

Die  dritte  Zusammenkunft  zu  Hörn  fand  am  15.  Mai 
statt.  Aus  der  Zahl  der  Politici  waren  gegenwärtig:  Herr 
Gabriel  Strein  (der  Partei  der  Accidenzer  angehörig),  Herr 
Wolfgang  Chr.  v.  Mamming  von  der  Gegenpartei,  dazu 
kamen  die  sechs  erstgenannten  Theologen,  Mag.  Stockius 
fehlte  krankheitshalber.  Aus  den  4  Vierteln  des  Erzherzog- 
tums wurden  etliche  Prediger  hinzugezogen,  dai-unter 
Benedikt  Meibom,  Johann  Tetelbach,  Jakobus  Lachkenn, 
Stephanus  Lobäus  und  Michael  Gebhard.  Es  wurde  nun 
das  „Examen",  welches  inzwischen  fertiggestellt  war,  vor- 
gelesen und  artikelweise  geprüft  2).  Bei  der  Definition 
des  Ebenbildes  Gottes  wurde  auf  die  Apologie  Melanch- 
thons     verwiesen ,    daß     daselbst     das    Ebenbild    sapientia 

1)  Vgl.  Eaupach  TU,  S.  74. 

2)  Raupach  III,  S.  106  f.  und  8.  Beilage. 


_     414     - 

et  justitia  originalis  effigiata  in  homine  genannt  werde,  also 
nicht  Substanz  1).  Beim  4.  Artikel  von  der  Sünde  wünschte 
M.  Tetelbach  eine  größere  Präcision,  um  auszudrücken,  Erb- 
sünde sei  wahrhaftig  Sünde,  nicht  bloß  ein  zufälliges  Ding. 
Backmeister  bemerkte,  daß  alle  Redensarten  (Definitionen)  viel 
zu  gering  seien,  die  Größe  des  Übels  vorzustellen,  wenn  man 
sich  gleich  auch  der  Worte  Herz,  Substanz,  Natur  bediente^ 
weswegen  von  Luther  (in  den  schmalkaldischen  Artikeln) 
recht  gesagt  werde,  es  sei  eine  so  schreckliche  Verderbnis, 
daß  sie  nur  allein  aus  dem  Wort  Gottes  könne  verstanden 
werden.  Nebenbei  nahm  Backmeister  Gelegenheit,  sich  über 
die  obgedachten  Schriften  der  Gegenpartei  zu  beschweren 
und  dem  Prediger  Gebhard  die  Ermahnung  zu  geben,  man 
solle  erst  hören  und  danach  richten.  Beim  7.  Artikel  von 
der  Rechtfertigung  verteidigte  Backmeister,  daß  er  in  der 
Definition  des  gerecht  machenden  Glaubens  zugleich  des 
Trostes,  welchen  der  Glaube  mit  sich  bringe,  Meldung  ge- 
than,  ohne  welchen  kein  wahrer  Glaube  stattfinden  könne. 
BetreflFs  des  Briefes  des  Apostels  Jakobus  wurde  von  Back- 
meister bemerkt,  man  habe  diesen  Brief  beibehalten  in 
derjenigen  Meinung,  die  Luther  in  seiner  Vorrede  zu  dem- 
selben ausgedrückt. 

Beim  9.  Artikel  wurde  es  als  wünschenswert  bezeichnet, 
daß  die  Confessio  und  Absolutio  privata,  die  nicht  allgemein 
im  Lande  gebraucht  werden,  eingeführt  würden.  Bei  der 
Taufe  wurde  statt  der  Worte  „zu  Gnaden  angenommen",  nun- 
mehr gesetzt  „in  den  Gnadenbund  angenommen  sei".  Nach 
Berichtigung  einiger  Mißverständnisse  kam  man  zum  14.  Ar- 


1)  Vgl.  dazu  meine  Dogmatik,  S.  225 :  „Melanchthon  sagt,  Apo- 
logie 54,  18  ff.,  das  Eichtige  vom  Bilde  Gottes:  Die  ersten  Menschen 
waren  nach  dem  Bilde  Gottes  geschaffen,  weil  sie  offen  waren  für 
ihn,  weil  sie  „ein  fein  gut  fröhlich  Herz  hatten  gegen  Gott",  so  daß 
Gottes  Klarheit  sich  in  ihnen  spiegelte.  Ist  der  Mensch  nicht  offen 
für  Gott,  so  ist  er  offen  für  die  Welt:  quia  non  potest  Deum  timere, 
quaerit  et  amat  carnalia  (54,  24),  gleich  wie  ein  Spiegel,  der,  gen 
Himmel  gekehrt,  dessen  Klarheit  widerstrahlt,  wenn  man  ihn  um- 
wendet, nur  Irdisches  abspiegeln  kann." 


—    415     — 

tikel  vom  freien  Willen,  der  allgemeine  Zustimmung  fand; 
nur  daß  Tetelbach  noch  größere  Deutlichkeit  wünschte,  wor- 
auf ihm  Backmeister  eine  höchst  scholastisch  formulierte 
Antwort  gab.  Die  beiden  letzten  Artikel  wurden  ohne 
weitere  Bemerkung  angenommen. 

Das  „Examen",  im  wesentlichen  von  Dr.  Backmeister 
verfaßt ,  sollte  als  kurze  Erforschung  der  Lehre  der  in 
Österreich  unter  der  Enns  angestellten  oder  zu  berufenden 
Prediger  dienen.  Es  verrät  im  wesentlichen  den  lutherischen 
Standpunkt,  wie  er  in  der  Konkordienformel  damals  bereits 
festgelegt  war.  Von  hier  aus  war  der  Übergang  zur  Andreä- 
schen Konkordienformel  ein  leichter.  In  mancher  Beziehung 
ist  die  Freiheit  der  Bewegimg  bemerkenswert,  die  sich  die 
Theologen  damals  noch  gestatteten.  Zuweilen  aber  wäre  eine 
größere  Zurückhaltung  besser  gewesen,  weil  ein  Einzelner, 
wie  Backmeister,  nicht  die  Autorität  besaß,  solche  schwierige 
Fragen  zu  delinieren.  Wir  deuten  nur  hin  auf  die  Auseinander- 
setzung über  den  freien  Willen,  wo  demjenigen  des  Wieder- 
geborenen beigemessen  wird,  „er  könne  mit  Hilfe  des  heiligen 
Geistes  den  innerlichen  Gehorsam  gegen  Gott  etlichermaßen 
mitwirken  und  vermehren  und  den  bösen  Neigungen  und 
Lüsten  widerstehen,  und  hinwiederum  auch  aus  eigenem 
Willen  von  Gott  abfallen".  Das  ist  die  nova  obedientia  des 
Justus  Menius,  gegen  welche  man,  weil  sie  notwendig  wieder 
auf  die  gesetzlich-römische  Bahn  führte,  im  majoristischen 
Streit  mit  Recht  reagiert  hat  ^).  Bei  dieser  Definition  wären 
die  guten  Werke  freilich  nötig  zur  Seligkeit.  Auch  der 
Wiederabfall  nach  der  Taufe  (Examen  Artikel  11),  der  doch 
gewiß   ausnahmslos  allen   zur  Schuld  gemacht   werden   muß, 


1)  Wie  wenig  man  in  Calvins  Freundeskreis  sich  über  diese 
Streitfragen  ereiferte,  ja  vielmehr  Menius  eher  verteidigte,  erhellt 
aus  einem  Briefe  des  Conr.  Hubertus  an  Calvin  imd  dessen  Beilage 
(Opp.  XVI,  458;  s.  o.  S.  51  Note  4).  Hubert  war  schon  zu  Bucers 
Zeit  Diakon  in  tStraßburg  und  stand  im  IVIittelpunkt  der  theologischen 
Verhandlungen,  lieber  den  Streit  selbst  cf.  Plank  IV,  S.  511  u. 
524;  Preger  I,  S.  384,  386  ff. 


—    416     — 

wird  dadurch  wieder  gut  gemacht,  daß  man  sich  wieder  zu 
Gott  durch  die  Buße  und  durch  den  Glauben  bekehren  könne 
und  müsse,  wie  David  und  Petrus  gethan.  Dadurch 
o-erät  das  Examen  beinahe  schon  ins  römische  Fahrwasser, 
während  nach  der  ursprünglichen  Lehre  Luthers  die  Buße 
nicht  in  einzelne  Ansätze  zu  zerlegen  und  durch  die  Beichte 
Absolution  zu  befördern  ist  (wie  freilich  gemäß  spät-luthe- 
rischer Lehre  solches  behauptet  wird),  sondern  sich  konti- 
nuierlich über  das  Ganze  des  Christenlebens  erstreckt.  Man 
vergleiche  die  erste  der  95  Thesen  Luthers  und  seine  Aus- 
legung des  2.  und  3.  Glaubensartikels  und  des  4.  Haupt- 
stückes im  Katechismus :  daß  der  alte  Adam  durch  tägliche 
Reue  und  Buße  sterben  soll. 

Auf  Verlangen  der  ständischen  Deputierten  ^)  wurde 
Dr.  Backmeister  beauftragt  (19.  Mai),  in  dem  Artikel 
von  der  Erbsünde  eine  besondere  Deklarationsschrift  zu 
verfertigen,  die  unter  Approbation  der  Stände  den  Predigern 
vorgelegt  werden  sollte.  Sie  ward  an  Gabriel  von  Strein 
durch  Christoph  Reuter  nach  "Wien  überbracht.  Sie  wurde 
gut  befunden  mit  folgender  Einschränkung  seitens  der  Depu- 
tierten: Es  sollen  nicht  nur  die  beiden  Kunstworte  Sub- 
stanz und  Accidens  auf  der  Kanzel  vermieden  werden,  wie 
in  jener  Deklarationsschrift  bereits  gesagt  war,  sondern 
auch  die  Erwähnung  des  Accidens,  mit  und  ohne  Definition, 
gänzlich  abgestellt  und  die  heilsame  Lehre  nur  nach  Gottes 
Wort  vorgetragen  werden  2).  Diese  gänzliche  Vermeidung, 
und  zwar  auch  des  Accidens,  war  hinter  Backmeisters 
Rücken  geschehen  und  kam  erst  nach  6  Wochen,  als  die 
Visitation  schon  im  Gange  war,  zu  seiner  Kenntnis.  Das 
Motiv,    welches    die    dazu    auch   nach   Backmeisters    Urteil 


1;  Vgl.  Raupach  III,  S.  116  ff.  und  Beilagen  S.  79.  Die  4  alten 
Eeligionsdeputierten  waren  damals  abgetreten  (s.  Kaupach  III,  S.  26). 
Die  Einführung  der  kath.  Gegenref.  in  I^.-Ö.,  S.  175. 

2)  Nach  Backmeisters  Anschauung  bei  Raupach  III,  S.  201  wäre 
die  Änderung  erst  am  22.  Juli  auf  einer  eigenen  Zusammenkunft 
der  Herren  zu  Hörn,  immer  aber  doch  nach  bereits  getroffener  Ver- 
abredung, vorgenommen  und  veröffentlicht  worden. 


—    417     — 

berechtigten    ständischen  Ausschußmitglieder    leitete ,     war 
ein  durchaus  richtiges,    sofern  es  nötig  war,   den  Gebrauch 
beider  streitiger  Termini  (Substanz  und  Accidens)  gleicher- 
weise   zu    untersagen.      Backmeister    selbst    aber    war    es 
sehr  unangenehm,    indem  er  darin  eine  Verurteilung  seiner 
Partei  ^)    sah ,    und    er    protestierte    dagegen ,    jedoch    ohne 
Erfolg,     um    die    ohnehin   genug  verwirrte  Kirche  zu  ver- 
schonen,   versagte    er    es    sich,     seinen    Abschied    zu    er- 
bitten;   er    setzte   das   begonnene  Visitationswerk  fort.     Ja, 
M.  Luzius  gegenüber  rechtfertigt  Backmeister  auf  der  Visi- 
tation   zu    Radaua  (2.  Sept.)  die    gute  Absi  .ht    der   Stände 
bei    der    erwähnten    Korrektur;     sie     hätten    nämlich    den 
Frieden  und    die  Einigkeit  erhalten  wollen.     Luzius  nahm, 
unbefriedigt     von    dieser   Rechtfertigung,    seinen    Abschied 
und    kam    nicht  wieder.     Später   schreibt    er   darüber  nach 
Dresden    an    Leyser    (d.    d.    18.  Mai    1581):    „Backmeister 
scheint   selbst    insgeheim    an  dem    Bestand    der    Concordia 
(d.   h.  der    Konkordienformel)    gezweifelt    zu    haben" ;    was 
wir    auf   sich    beruhen    lassen   wollen  2).     In  der   Visitation 
selber     gab     der    ganze    Appendix    Anlaß,  daß    etliche  von 
denen,    die    dem  Ausdruck  Substanz   huldigten,    den  Schluß 
der  Deklaration    auf   eigene  Faust  gänzlich  strichen.     Dies 
geschah    bei    der    letzten    Visitation    zu  Feldsberg.     Weder 
die  eine  noch  die  andere  Partei  war  eben  von  dem  Schluß- 
satz befriedigt. 

Die  Deklaration  Backmeisters  ist  freilich  ein  Werk, 
das  in  ziemlicher  Eile,  an  einem  Tage,  verfaßt  wurde. 
Er  entschuldigt  sich  selbst  in  einem  Schreiben  an  die 
Stände,  daß  die  Zeit  nicht  genügend  gewesen.  In  der 
That  ist  der  Inhalt  nur  eine  Wiederholung  alter,  längst 
vorgebrachter  Argumente  der  „Accidenzer".  Es  kommt 
nicht  zu  einer  Durcharbeitung  des  ganzen  Problems,  be- 
sonders nicht  zu  einer  Erörterung  des  Begriffes  des  Bildes 


1)  Dieselbe  war  grade  im  Begriff  die  fti  der  Kirche  herrschende 
zu  werden. 

2)  Vgl.  Raupach,  Presbyt.  kl.  Nachlese  S.  16. 

27 


—     418     - 

Gottes,  was  hier  am  Platze  gewesen  wäre.  Das  Bild 
Gottes  wird  irrigerweise  als  eine  Gabe  behandelt,  die  dem 
Menschen  gegeben,  aber  dann  durch  den  Fall  wieder  weg- 
genommen ward,  und  an  die  Stelle  tritt  nun  die  Erbsünde. 
Da  bleibt  dann  übrig  der  Empfänger,  der  Mensch,  und  mit 
diesem  weiß  Backmeister  nichts  anzufangen.  Es  handelt 
sich  bei  ihm  darum,  ob  der  Mensch  noch  seiner  Schöpfung 
nach  gut  oder  nicht  gut  sei.  Er  behauptet,  er  sei  gut, 
gerät  damit  aber  auf  die  schiefe  Ebene,  die  zum  römisch- 
katholischen Irrtum  von  den  pura  naturalia  (natürlichen 
Kräften),  welche  gut  geblieben  seien ,  führt.  Er  hätte 
fragen  sollen,  ob  der  Mensch  noch  dem  Gesetz  gleichförmig 
sei  oder  nicht.  Dann  wäre  er  auf  das  Richtige,  was  aber 
auch  die  Flacianer  wollten,  hinausgekommen,  daß  nämlich 
der  Mensch,  wie  die  Schmalkaldischen  Artikel  sagen,  mit 
Haut  und  Haaren  oder,  wie  jene  es  ausdrücken,  der 
Substanz  nach  böse  sei.  Daß  dej  Mensch  seit  dem  Fall 
durch  den  Teufel  böse  erschaffen  wäre  —  dies  behaupteten 
auch  die  Flacianer  nicht. 

Die  Flacianer  irrten  freilich  darin,  daß  sie  das  Bild 
Gottes  als  Substanz  des  Menschen  betrachteten,  an  dessen 
Stelle  beim  Fall  Adams  die  Sünde  als  Substanz  getreten. 
Sie  hätten  es  bei  Melanchthons  Definition  in  der  Augustana 
(lateinisch)  Art^  II  und  der  Apologie  54,  18  ss.  ganz  wohl 
belassen  können,  wonach  eben  die  Sünde  ein  Privativum 
ist  1)  und  die  böse  Begierde  erst  in  zweiter  Linie  in  Be- 
tracht kommt,  sofern  der  Mensch  als  von  Gott  abgewendet, 
allem  Irdischen  und  Fleischlichen  zugewendet,  ohne  Friede 
mit  Gott  dasteht,  ohne  Gottesfurcht,  ohne  das  an- 
fängliche Leben  in  Unschuld  und  Sicherheit  %  ohne  Gleich- 

1)  Auf  richtigem  Wege  ist  auch  Heshusius  an  Gallus  i.  J.  1568 
(s.  Anhang):  Necesse  est  omnes  sanos  fateri,  quod  peccatum  non  sit 
quiddam  conditum;  non  est  ergo  quiddam  sua  natura  subsistens,  sed 
defectus  boni. 

2)  Vgl.  meine  Dogmatik,  S.  225,  und  unsere  Bemerkung  zum 
4.  Artikel  des  Examen  ordinandorum  von  Backmeister. 


—    419     - 

förmigkeit  mit  dem  Gesetze  Gottes  —  mithin  gänzlich  von 
Gott  verdammt  —  es  sei  denn,  daß  er  durch  Christi  Ver- 
dienst gerechtfertigt  und  durch  den  Geist  Gottes  wieder- 
geboren worden. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  dieses  eilig  abgefaßte 
Schriftstück,  welches  die  Stände  überdies  noch  zum  Schluß 
korrigiert  hatten  ^j,  den  strengen  Lutheranern,  insbesondere 
Magdeburgius.  Jonas  Francus  und  dessen  Schwiegersohn 
Philipp  Barbatus  nicht  gefallen  konnte,  jenen  dreien,  die 
bereits  ehedem  die  Confessio  Magdeburgii  1566  unter- 
schrieben hatten.  Magdeburgius  säumte  n'cht,  als  er  zur 
Visitation  berufen  wurde,  sein  Wegbleiben  in  14  Punkten 
zu  rechtfertigen  '^j,  worin  er  all  die  alten  Bedenken  wieder 
anführte  und  bis  auf  die  thüringischen  Händel  vom  Jahre 
1562  zurückgriff,  um  zu  erklären,  daß  er  sich  um  keinen 
Preis  jetzt  wie  damals  das  Streiten  wider  das  „Accidens" 
verbieten  lassen  würde.  Er  wollte  in  Ruhe  gelassen  werden 
und  konnte  sich  solche  Forderung  gestatten,  weil  er  im 
sicheren  Hafen  bei  seinem  früheren  Herrn  Ruber  zu  Graf- 
werd  saß.  Seine  Kritik,  die  er  in  den  obigen  14  Punkten 
am  Examen  und  der  Deklarationsschrift  übte,  ist  nicht  ohne 
Berechtigung,  für  uns  aber  hier  zu  weitführend.  Es  erhebt 
sich  nunmehr  noch  die  Frage,  was  der  Altmeister  der  öster- 
reichischen Kirchendiener,  Christoph  Reuter,  für  eine  Stellung 
eingenommen?  Natürlich  war  es,  daß  er  durch  sein  Alter 
bereits  mehr  in  den  Hintergrund  gedrängt  war  und  auch 
durch  Krankheit,  wie  wir  sahen,  verhindert  worden,  an 
der  ersten  Verhandlung  teilzunehmen.  Wie  aber  derselbe 
bis  zum  Jahre  1573  gesinnt  war,  erfahren  wir  aus  einem 
Briefe  Wolfgang  Waldner's  aus  Regensburg  (vom  9.  Mai) 
an  ihn  ^).  Danach  hat  Reuter  sein  Mißfallen  geäußert,  daß 
Waldner    samt    Heshusius    und    Wigand    das    Accidens    er- 


1)  Eaupach  III,  Beilage  XII,  S.  89. 

2)  Eaupach  III,  S.  33L  und  Beilage  140  ff. 

3)  R.  A.  Eccies.,  No.  XXVI,  Z.  84. 

27* 


—     420     - 

halten  (behaupten)  wolle,  was  ihm  zu  schwer  werden 
möchte.  Es  stand  also  Reuter  treu  zu  Flacius,  wenn  er 
auch,  wie  die  Mehrzahl  der  ehemaligen  Freunde  des  Flacius, 
gegen  den  Schulausdruck  „Substanz"  sich  mehr  ablehnend 
verhielt.  Nachdem  aber  noch  keine  kirchliche  Autorität 
den  Streit  über  die  Worte  „Substanz"  und  „Accidens"  in 
der  evangelischen  Kirche  Österreichs  entschieden  hatte,  und 
er  wie  seine  Herren  am  wenigsten  jetzt  etwas  entscheiden 
konnten  und  wollten,  so  war  seine  Zurückhaltung  sowohl 
gegen  die  rücksichtslosen  Eiferer  unter  den  Flacianern  als 
auch  gegen  Leute  wie  der  junge  Württemberger  Luzius 
wohl  verständlich.  Besonders  aber  verbat  er  es  sich  mit 
aller  Entschiedenheit,  daß  etwa  gegen  Dissentierende  die 
harten  Maßregeln  angewendet  werden  sollten,  welche  in 
Steiermark  ^)  der  evangelischen  Sache  so  großen  Abbruch 
gethan  hätten. 

Schweigen  nach  beiden  Seiten  hin  zu  üben,  erschien  ihm 
wie  auch  den  Ständen  unter  den  gegenwärtigen  Umständen 
das  Richtigste.  Somit  konnte  er  der  Streichung,  welche  die 
Deputierten  am  Schluß  von  Backmeisters  Deklaration  sich 
gestattet  hatten,  zustimmen,  aber  auch  wo  es  nötig  war, 
dem  schroffen  Auftreten  seiner  alten  Freunde,  besonders 
der  Jörgerschen  und  Starhembergischen  Theologen ,  mit 
Nachdruck  entgegentreten  ^).  Ihm  lag  es  fern,  mit  der 
Parteilichkeit  eines  Luzius,  Leyser  oder  gar  Andrea  für  die 
Concordienformel  als  einziges  Rettungsmittel  für  die  Kirche 
in  Österreich  zu  agitieren. 

Wir  wollen  auf  den  Verlauf  der  Visitation  nicht 
näher  eingehen.  Als  Quelle  für  dieselbe  besitzen  wir  im 
Raupach 'sehen  3.  Bande  aus  Backmeisters  eignen  Auf- 
zeichnungen ein  umfassendes  Material.  Es  ist  aber  leider 
nur    die   höchst  einseitige  Darstellung  eines  Einzelnen  und 

1)  Vgl.  Raupach  III,  S.  189,  woselbst  wichtige  Aeußerungen 
Reuters  sich  finden  (vgl.  dazu  noch  den  Brief  M.  Cyr.  Spangenbergs 
an  Herrn  von  Losenstein  v.  J.  1580  ebendaselbst  Beilage  XXXIV). 

2)  Vgl.  Wiedemann  I,  413  1 


—     421     — 

und  kein  Visitationsprotokoll.  Backmeister  war 
Parteimann,  und  es  war  ein  Glück  für  die  Kirche,  daß 
man  ihn  auf  gute  Manier  wieder  los  wurde.  Sowohl  von 
Seiten  der  Accidenzer  wie  auch  der  Flacianer  wurde  seine 
Abreise  nicht  sehr  beklagt.  Die  österreichischen  Kirchen 
kamen  ohne  solche  Helfer  zuletzt  unter  Gottes  Beistand 
doch  noch  zu  einer  guten  erträglichen  Ordnung  ihrer  An- 
gelegenheiten, wie  ich  1887  an  dem  Beispiele  Hohenbergs 
gezeigt  habe  (s.  die  Vorrede).  Wir  müssen  aber  entschieden 
warnen  vor  Mag.  Luzius  sehr  gefärbter  Darstellung  in  einem 
Briefe  an  Polycarp  Leyser  vom  Mai  1581  ^).  Hier  zeigt  sich 
der  ganze  Haß  der  Partei  gegen  die  sogenannten  Flacianer ; 
ja  der  Schreiber  huldigt  permanent  der  Meinung,  die  von 
den  Ständen  verordnete  Änderung  in  der  „Deklaration" 
sei  ein  unordentlicher  Eingriff  (depravatio)  gewesen,  was 
gegenüber  solcher  Autorität  wohl  nicht  am  Platze  sein  dürfte. 
Sein  Schelten  auf  die  Flacianer  ist  kennzeichnend  für  den 
Geist  dieser  Leute,  wie  nicht  minder,  daß  er  alles  Heil  von 
der  Annahme  der  Formula  Concordiae  erwartet,  die  ihm 
Leyser  zusandte.  Die  Visitation  hatte  ihren  Zweck,  ein 
Kirchenregiment  einzusetzen  und  Einigkeit  in  der  Lehre 
herzustellen,  nicht  erreicht.  Nur  mit  Mühe  hatte  die  flaci- 
anische  Partei  einer  dogmatischen  Fassung  der  Deklaration 
vorgebeugt,  wodurch  sie  zum  erstenmal  in  Österreich  aus 
der  Kirche  ausgeschlossen  worden  wäre.  Nur  das  war 
erreicht,  daß  auf  der  Kanzel  die  „disputierlichen  Phrasen" 
(nämlich  von  Substanz  und  Accidens)  gemieden  werden 
sollten. 

Daher  blieb  nun  ein  großer  und  zwar  der  gelehrtere 
Teil  der  Prediger  nebst  einem  großen  Teil  der  zwei  Stände, 
dem  einflußreichsten  und  begütertsten,  der  strengen  Lehr- 
meinung von  der  Erbsünde  zugethan. 

Fassen  wir  noch  die  statistischen  Resultate  der  nicht 
fruchtlos  gewesenen  Visitation  zusammen,  so  ergibt  sich  für 


11  Eaupach,  Presb.  kleine  Nachlese,  S.  15. 


—    422     — 

das  Viertel  ober    dem  Mannhartsberg     85  Prediger 
„         „        unter     „  „  63         „ 

„         „         ober       „     Wienerwald  51  „ 

„         „         unter     „  „  34         „ 

Es  waren  im  ganzen  also  233  Prediger,  die  unter 
91  Grafen  und  Freiherren  und  99  Rittern  standen,  in 
Niederösterreich ;  dabei  ist  aber  zu  bemerken,  daß  die  Zahl 
der  Ortschaften,  wo  das  Evangelium  gepredigt  wurde,  weit 
größer  war,  indem  die  meisten  Prediger  mehreren  Orten 
zugleich  ihren  Dienst  am  Worte  leisten  mußten. 

Nachdem  Backmeister  unter  Zurücklassung  von  allerlei 
guten  Ratschlägen  abgereist  (14.  Oktober  1580),  fand  ein 
eifriger  Schriftenwechsel  zwischen  den  aufs  Neue  wider 
einander  erhitzten  Parteien  statt. 

Zur  Rechtfertigung  ihres  Standpunktes  erschien  von 
flacianischer  Seite  im  Juli  1581  mit  einer  Dedikation  an 
die  beiden  Stände  die  sogenannte  „Repetitio  i),  d.  i.  Wieder- 
holung der  Norma  christlicher  Lehre"  etc.  In  dieser  Schrift 
sollte  die  richtige,  wahrhaftige  Lehre  der  unverfälschten 
Augsburgischen  Konfession  dargelegt  werden  unter  Ab- 
lehnung der  Lehrfassung,  welche  die  Bergische  Konkordien- 
formel  dem  2.  Artikel  der  A.C.  gegeben.  Unterschrieben 
sind  eine  Anzahl  strenger  Elacianer,  von  denen  wir  eine 
Menge  aus  unserer  vorigen  geschichtlichen  Darstellung  schon 
kennen  ^').  Diese  Schrift  genügte  aber  den  Flacianern  noch 
nicht.  Sie  forderten,  hierin  weit  kühner  und  zuversichtlicher 
als  Andrea  und  die  Seinen,  ein  Schiedsgericht,  eine 
Synode;  gleichwie  früher,  so  scheuten  sie  auch  jetzt  die 
größte  Öffentlichkeit  nicht.  Auf  dieser  Synode  sollten 
die  Kurfürsten,  Städte  und  Stände  des  heiligen  römischen 
Reiches,  so  sich  zur  Augsburgischen  Konfession  bekannten, 
ihre  Lehre  prüfen  und  danach  erkennen.  Es  erschien  ferner 
1582  die  „Formula  veritatis,  wahrhaftige  und  gründliche  Aus- 


1)  Vgl.  Raupach  IV,  S.  17. 

2)  Die  Namen  siehe  bei  Wiedemann  1,  S.  419. 


führung  des  hohen  und  wichtigen  Religionsstreites  von  der 
Erbsünde".  39  Prediger  waren  unterschrieben  i) ;  darunter 
ihrer  elf  als  Exules  Jesu  Christi  und  viele  der  uns  bekannten 
Flacianer.  Diese  erboten  sich,  daß  sie  auf  einer  Synode 
erscheinen,  daselbst  Rechenschaft  von  ihrem  Glauben  geben 
und  darthun  wollten,  daß  „Jakobus  Andrea,  Chemnitius, 
Chyträus  2),  Selneccerus,  Heshusius  (?)  Wigandus,  Mencelius, 
Rosinus  und  andere  hochgerühmte  Doctores  und  Magistri, 
so  zum  Teil  die  Formula  Concordiae  selbst  geschrieben 
oder  unterschrieben  und  canonisieret  hätten,  falsche  und 
verführerische  Lehrer  wären,  die  unter  dem  Namen  des 
Wortes  Gottes  .  .  .  mittelst  ihrer  vermeinton  Concordia  (der 
Formula  Concordiae)  die  heilige  Schrift  selbst  wie  die  Augs- 
burger Konfession  böslich  verkehrten".  Zugleich  drohten 
sie,  wo  ihnen  ein  mündliches  Verhör  abgeschlagen  würde,  so 
wollten  sie  mit  Schriften  fortfahren.  Verfasser  dieser  Schrift 
war  der  inzwischen  verstorbene,  wohlbekannte  Hieronymus 
Haubold  in  Eferding. 

In  diese  Gärung  kam  Anfang  1582  der  neuberufene 
Superintendent  Dr.  Conrad  Becker  oder  Pistorius,  um  den 
Ständen  in  der  Ordnung  der  kirchlichen  Angelegenheiten 
beizustehen.  Dieser  war  vormals  in  Antwerpen  thätig  ge- 
wesen, später  in  Braunschweig.  Das  erste  war,  daß  er  den 
auf  dem  Landtag  zu  Wien  anwesenden  evangelischen  Ständen 
eine  kurze  Ausführung  von  der  Lehre  über  die  Erbsünde 
übersandte.  Die  Relionsdeputierten  überwiesen  ihm  alsbald 
die  eben  genannten  flacianischen  Schriften,  sowie  Back- 
meisters Deklaration  und  deren  Korrektur,  auch  die 
österreichische  Formula  Concordiae  v.  J.  1574  (s.  o.) 
nebst  den  über  dieselbe  ergangenen  Zensuren  der  Theologen 
zu  Frankfurt  a.  0.  und  Rostock,  und  forderten  über  dieses 
alles    sein  Gutachten.     Wegen  Krankheit    war  Becker    erst 


1)  Raupach  IV,  S.  27  ff. 

2)  Chyträus  schämte  sich  damals  nach  brieflichen  Äußerungen 
seiner  Mitarbeit;  Heshus  war  nicht  für  die  Formel. 


—    424    — 

Ende  Juli    im  Stande,    seine  Antwort  zu  erteilen,   worin  er 
einerseits  in  der  Formula  Concordiae  etc.  nichts  Bedenkliches 
fand     aber   wegen    der   inzwischen    eingetretenen    Häufung 
der  Streitfragen,    die    Schlichtung    derselben    auf   sich    zu 
nehmen  für  unmöglich  erachtete.    Er  wünschte  die  Assistenz 
von  Chyträus  und  Chemnitz,  was  auch  die  Verordneten  ihm 
zugestanden.     Am  23.  Juli  1582  reiste  Becker  nach  Braun- 
schweig   zurück,    woselbst  er    seine    obige    Schrift  über  die 
Erbsünde    zu    seiner   Rechtfertigung    im    Druck   erscheinen 
ließ.     Diese  Abhandlung    wurde    durch    die   den  Flacianern 
geneigten  Deputierten  abermals  an  ihre  Gesinnungsgenossen 
geschickt,    welche    alsbald    zur    Widerlegung  eine    Schrift 
verfaßten    unter    dem    Titel    „Christliches    Bekenntnis,    ein- 
helliger Consens,    Bedenken    und  Ratschlag  in  dem    hoch- 
wichtigen  Artikel    von    der    Erbsünde.     Auf  Begehren  der 
zween   Stände    von    etlichen    Theologen    und   Predigern    im 
1582.  Jahr  verfaßt".     Im  Druck  erschien  diese  Schrift  erst 
15861).     Es  war  die  letzte  Schrift,  welche  die  Flacianer  zu 
ihrer  Rechtfertigung  ergehen  ließen. 

Mit  Beckers  Abreise  schloß  der  letzte  offizielle  Versuch, 
um  zu  einem  geordneten  Kirchenwesen  zu  gelangen.  Österreich 
war  und  blieb  Missionsgebiet  und  gelangte  nicht  zu  einem 
selbständigen  Kirchenwesen,  wie  andere  deutsche  Länder. 
Der  kirchliche  Streit  kam  von  selbst  zur  Ruhe,  als  die 
bisher  einigen  beständigen  Lutheraner  sich  spalteten,  wo- 
durch ihre  Partei  allmählich  zerfiel. 

Wir  können  diesen  Zerfall  nicht  mit  Wohlgefallen  an- 
sehen, wenn  auch  natürlich  die  Herrschaft  einer  Partei  der 
Ordnung,  nachdem  einmal  der  alte  Geist  aus  der  Kirche 
entwichen  war,  wohlthätig  wirken  muß. 

Der  Argwohn,  daß  die  kirchliche  Neuordnung,  wie  sie 
die  Leute  der  Konkordienformel  vorgenommen  hatten,  nicht 
die  richtige  sei,  regte  die  Gegner  wider  die  Konkordien- 
formel  so    gewaltig    auf.     Sie   wollten  von  keiner  gemäßigt 


1)  Vgl.  die  Unterschriften  bei  Raupach  IV,  S.  37. 


—    425     - 

antiphilippistischen  Haltung  auch  uur  etwas  wissen.  Sie 
forderten  die  unumwundene  Verwerfung  aller  mit  Victorin 
StrigelsAccidens  irgendwie  zusammenhängenden  Definitionen! 
Aus  dieser  unmöglichen  Forderung  folgte  notwendig,  daß  die 
Partei  ihrer  Gegner,  die  inzwischen  mit  der  Definition  der 
Erbsünde  und  anderer  Fragen,  wie  die  F.  Concordia  sie  gab, 
ein  Genüge  nahmen,  endlich  das  Übergewicht,  wie  im  Reich, 
so  auch  bei  den  österreichischen  Ständen  erhielt.  Sie  ver- 
schwanden nunmehr  vom  Schauplatz,  weil  kein  Nachwuchs 
vorhanden  war.  Beschleunigt  ward  dieses  Verschwinden 
durch  eine  innere  Spaltung  der  Partei  selbst. 

Höchst  betrübend  war  freilich  der  Ion,  in  welchem 
die  Gegner  ihre  Sache  führten  und  die  Flacianer  ihrerseits 
des  Abweichens  von  der  Augsburgischen  Konfession  be- 
zichtigten. Aber  die  Zeit  drängte  —  man  wollte  zum  Frieden 
kommen.  Die  Partei  der  Ordnung  mußte  siegen.  Und  ihr 
war  es  höchst  empfindlich,  daß  die  evangelischen  Stände  im 
Erzherzogtum  nicht  gleich  denen  in  Innerösterreich  sich  zur 
Unterschrift  der  Konkordienformel  bequemen  wollten  ^).  Aber 
alles  Einreden  aiaf  die  Stände  verschlug  hier  nichts.  Die 
Konkordienformel  blieb  ausgeschlossen.  Und  nur  indirekt 
genoß  auch  das  Erzherzogtum  der  Ruhe ,  die  im  Reiche 
(1580)  eben  durch  die  Konkordienformel  unter  den  Anhängern 
der  Augsburgischen   Konfession  eingetreten  war. 


Spaltung  der  beständigen  Lutheraner  und  ihr 
Verschwinden  in  den  80er  Jahren. 

Nachdem  die  beständigen  Lutheraner  in  Niederöster- 
reich nach  Schluß  der  Kirchenvisitation  mittels  Überreich- 
ung   der  Repetitio    vom  Juli    1581  -),    welche    über  40    der 


1)  Vgl.  Jer.  Hornberger,  v.  Dr.  F.  M.  Mayer,  S.  236. 

2)  Vgl.  Raupach  IV,  17. 


-     426     — 

vornelimsten  Prediger  unterschrieben  hatten  (etliche  unter 
Widerruf  ihrer  früheren  Unterschrift  unter  Backmeisters 
,. Deklaration"),  sich  ein  Genüge  gethan  hatten,  verhielten 
sie  sich  ruhiger.  Man  ließ  sie  auch  wohl  mehr  in  Ruhe, 
seitdem  die  erste  Instanz  in  Religioussachen  den  evangelischen 
Ständen  abgenommen,  vom  Hofe  nach  Wien  gezogen  und 
also  den  Katholischen  ausgeliefert  worden  war  (14.  Mai  1581). 
Die  Flacianer  wie  ihre  Gegner  hatten  nun  einen  gemein- 
samen Feind  zu  respektieren,  und  nur  allzu  begründet  war 
G.  Eder's  Besorgnis,  die  er  dem  Herzog  Wilhelm  von  Bayern 
(12.  April  1580)  schon  geäußert:  die  streitenden  Parteien 
würden  sich,  um  der  katholischen  Kirche  Abbruch  zu  thun, 
wieder  zusammen  finden  i).  Kiesel  machte  sich  als  Refor- 
mator geltend  und  Erzherzog  Ernst  ließ  nicht  mit  sich  spaßen. 
Kaiser  Rudolf  war  fern  in  Prag  und  hatte  nur  geringe 
Initiative.  Wie  es  dazumal  in  Wien  und  Niederösterreich 
stand,  zeigt  uns  ein  lateinischer  Brief  des  Gottfried  Poppius 
an  den  Superintendenten  Rosinus  in  Regensburg  aus  Linz 
vom  22.  April  1583  2j: 

„  .  .  .  Was  unsere  Kirche  in  Osterreich  anlangt,  so 
befindet  sie  sich  nicht  in  allen  Provinzen  in  gleichem  Zu- 
stand. Während  unsere  in  Linz  unter  Gottes  Güte  sich 
gesund  befindet,  werden  die  Unterösterreicher,  besonders 
die  Wiener,  in  Betrübnis  versetzt,  indem  ihnen  die  öffent- 
liche Religionsübung  durch  den  Stellvertreter  des  Kaisers 
wiederum  beschwerlich  gemacht  wurde.  Dieser  gilt  für 
strenger  als  der  Kaiser,  dem  solche  Strenge  mißfiel,  als  er 
hörte,  daß  wegen  der  Religion  Bürger  gefangen  gehalten 
wurden".  Es  war  auch  bekannt,  daß  man  nie  freier  in  der 
Religionsübung  war,  als  wenn  Kaiser  Rudolf  sich  in  Wien 


1)  Schreiben  Eders  an  H.  Wilhelm  im  Münchner  Reichsarchiv 
XI,  Fol.  203. 

2)  E.  A.  Eccles.,  No.  XXX.  Vgl.  dazu  das  treffliche  Schrift- 
chen von  M.  F.  Kühne:  Die  Häuser  Schaunberg  und  Starhemberg 
im  Zeitalter  der  Reformation  etc.  1880,  der  sich  auch  über  diese 
Zeit  verbreitet. 


-     427     - 

aufhielt.  Auch  die  Steirer  seien  in  Trübsal,  berichtet 
Poppius,  aber  widerstünden  kräftig  allen  Versuchungen  und 
nähmen  im  Glauben  zu.  Das  gleiche  Lob  des  Kaisers  (im- 
peratoris  integritas),  aber  auch  des  Erzherzogs  Ernst,  seines 
Verwalters  der  Erblande,  finden  wir  in  einem  Briefe  des 
M.  Zacharias  Hoimanius  an  Polj'karp  Leyser  vom  25.  Fe- 
bruar 1603^). 

Während  also  der  theologische  Streit  in  Niederöster- 
reich  so  ziemlich  zur  Ruhe  gelangt  war,  ward  die  Unruhe, 
welche  gewisse  Prediger  der  flacianischen  Richtung  in 
Oberösterreich,  besonders  in  dem  Städtchen  Eferding  an- 
richteten, desto  größer.  Hier  entstand  eine  Kontroverse 
(1581 — 84),  die  sogar  die  gleichgesinnten  Theologen  Cyr. 
Spangenberg  und  den  Senior  Irenäus  zu  Hörn  gegen  jene 
ins  Feld  rief.  In  einer  Schrift  Joach.  Magdeburgii,  be- 
titelt: Widerlegung  der  Manichäischen  .  .  .  Versuchung 
(1581)  heißt  es :  „Der  neugeborne  Paulus  ist  zugleich  die 
Erbsündt,  und  ein  fromber  Christ.  Item-:  der  gläubige  ist 
und  bleybet,  auch  im  todt  und  grab,  dem  Wesen  nach, 
die  Erbsündt". 

Darauf  folgte  1582  Magdeburgii  Schrift:  Beweis,  daß 
die  Lehre  von  der  wesentlichen  Erbsünde  an  den  Leibern 
der  beständigen  Christgläubigen,  und  daß  dieselbe  erst  am 
jüngsten  Tage  in  und  durch  die  Auferstehung,  als  endliche 
Vollziehung  ihrer  Wiedergeburt,  geschehen  und  dann  erst 
dieselben  Leiber  durch  den  heiligen  Geist  vollkommen  ge- 
heiligt werden,  die  heilige  göttliche  Wahrheit  und  alier- 
älteste  Lehre  sei".  Hier  war  die  Meinung  näher  begründet, 
„daß  die  Leiber  der  im  Glauben  gestorbenen  Christen  auch 
nach   ihrem  Tode   die    wesentliche  Erbsünde    sein"  2).     Das 


1)  Raupach  IV,  153. 

2)  Das  Nähere  über  diese  Ansicht  Magdeburgii  hat  Eaupach  im 
Auszuge  angegeben  (IV,  47).  Die  Konsequenzen  der  flacianischen 
Lehre  sind  in  jenen  Sätzen  bis  zuletzt  durchgeführt.  Was  von 
Natur  böse  ist,  kann  hier  auf  Erden  nur  durch  Zurechnung  für  gut 
erklärt   werden.     Es    bleibt    aber    erst   der   Auferstehung  und   voll- 


—     428     — 

Thema  war,  wie  M.  F.  Kühne  bemerkt,  nicht  ohne  tief- 
sinnige Spekulation  über  Materie  und  Verklärung  behandelt; 
aber  was  nützte  das  der  Gemeinde?  Immerhin  war  es 
weniger  wunderbar,  daß  ein  Mann  wie  Magdeburgius  solche 
äußerste  Konsequenzen  aus  der  Erbsündenlehre  zog,  als 
daß  die  bisher  einsgesinnten  Lutheraner  sich  darüber  ver- 
uneinigten und  in  einer  Reihe  von  Schriften  gegenseitig 
bekämpften.  Magdeburgius  lebte  ohne  Amt  in  Eferding 
und  warf,  nachdem  er  jahrelang  seinen  eignen  Weg  ver- 
folgt, aber  immer  eine  führende  Rolle  beansprucht  hatte, 
auch  hier  sich  zum  Herrn  der  Situtation  auf,  stiftete  aber, 
wie  solche  Theologen  immer  thun,  nur  Unfrieden.  Wenn  er 
noch  gesagt  hätte,  daß  die  Leiber  der  im  Glauben  gestorbenen 
Christen  auch  noch  unter  dem  Bann  der  Erbsünde  bis  zu 
ihrer  seligen  Auferstehung  stünden,  so  hätte  sich  das  hören 
lassen.  Der  Tod  als  Strafe  der  Sünde  ist  für  den  Leib 
noch  nicht  aufgehoben,  so  lange  er  in  der  Verwesung,  ge- 
trennt von  der  Seele,  als  ein  ganz  verworfenes  Gefäß  da- 
liegt, und  die  mit  ihrem  Haupte  Christo  bereits  vereinigte 
Seele  auf  ihn  warten  muß.  Ja  wir  möchten  sagen,  daß 
Magdeburgius  in  Eferding  und  seine  Genossen :  Adam 
Giller,  Johann  Hauser,  Udenius  und  Barbatus,  deren  Streit- 
schriften mir  im  Druck  vorliegen  ^) ,  ein  nicht  unwichtiges 
Moment  mit  nicht  zu  verachtenden  Schriftgründen  hier 
vertraten.  Ist  es  doch  ein  Beweis  des  Ernstes  Gottes, 
womit    er    die  Sünde    straft,    daß    er   auch  den  todten  Leib 


kommenen  Wiedergeburt  oder  endlichen  Erneuerung  vorbehalten,  die 
Erbsünde  im  Wege  der  neuen  Schöpfung  aufzuheben.  Vor  dieser 
äußersten  Formulierung  des  Problems  nach  allen  seinen  Konsequenzen 
hin  schreckten  auch  die  gemäßigteren  oder  subtileren  Flacianer,  wie 
Spangenberg,  zurück.  Diese  Zweiteilung  der  Flaciaoer  erwähnt  be- 
reits Superintendent  Chr.  Binder  in  Regensburg  1590  in  einem  Gut- 
achten, die  Ordination  des  Paul  Kregelmaier  betreffend  (R.  A.  XXXVI 
Z.  12  ff.),  eine  Angelegenheit,  auf  die  wir  weiter  unten  noch  zurück- 
kommen  müssen. 

1)  S.  Eaupach  IV,  S.  47-52.    Über  Hauser  s.  o.  S.  363. 


—     42i»     — 

noch  unter  die  Folgen  der  Erbsünde  beschlossen  hat  bis 
zur  endlichen  Auferweckung :  „Es  wird  gesäet  verweslich 
und  wird  auferstehen  unverweslich.  Es  wird  gesäet  in 
Unehre  und  wird  auferstehen  in  Herrlichkeit.  Es  wird 
gesäet  in  Schwachheit  und  wird  auferstehen  in  Kraft.  Es 
wird  gesäet  ein  natürlicher  Leib  und  wird  auferstehen  ein 
geistlicher  Leib.  Hat  man  einen  natürlichen  Leib,  so  hat 
man  auch  einen  geistlichen  Leib".  I.  Cor.  15,  Vers  42 — 
44.  Gegen  solche  den  Leib  auch  der  Gläubigen  bis  zur 
Auferstehung  tief  herabsetzende  Prädikate  des  Apostels 
verschlägt  es  ja  freilich  nicht,  wenn  Cyriacus  Spangenberg, 
dem  auch  Irenäus,  Opitz  u.  a.  m.  beifielen,  sich  in  zum 
Teil  sentimentalen  Tiraden  von  der  Ruhe  der  Gläubigen 
ergingen  und  Magdeburgius  nebst  Giller  und  den  Seinigen 
ausschrieen  für  „Grabsünder,  Grabpropheten,  todte  Erbsünder, 
Cadaveristen,  Knochenschänder,  Leichnamsschänder,  — deren 
Lehre  wider  die  heilige  Schrift  laufe  —  und  den  seligen 
Trost  den  betrübten  Gewissen  auf  dem  Todtenbette  raube" 
(im  Hinblick  auf  das  Schicksal  ihres  Leibes)  ^). 

Das  ärgerliche  Schreien  und  Toben,  der  Hader  aut 
und  unter  der  Kanzel  über  diesen  Gegenstand,  wie  er 
besonders  in  Eferding  lichterloh  ausbrach,  war  freilich 
höchst  beklagenswert.  Der  alte  Feind  wachte  und  man 
hätte  gewiß  über  wichtigere  Sachen  nachzudenken  gehabt. 
Die  Folge  war,  daß  die  ärgsten  Zänker  in  Oberösterreich 
abgeschafft  wurden  und  so  endlich  Ruhe  kam.  Nach  einem 
Schreiben  des  M.  Spindler  an  das  Konsistorium  zu  Stutt- 
gart vom  23.  Januar  1583  2)  muß  auch  die  Gattin  Rüdigers 
von    Starhemberg,    geb.  Schenk-Limburg,    eine  Feindin    der 


1)  Der  Jesuit  Beherer  (Gesammelte  Werke,  Th.  I.  S,  178)  sah 
dies  Zanken  mit  Vergnügen  an.  Er  war  im  Dienste  des  Bischofs 
von  Wien  Kaspar  Neubeck,  mit  des:>en  Ableben  1094  er  von  der 
Domkanzel  zurücktrat,  nachdem  er  den  Protestanten  viel  geschadet 
(AViedemann  II,  126).  Ein  Verzeichnis  seiner  Werke  giebt  die  biblio- 
thfeque  de  la  compagnie  de  Jesus,  Bibliographie  tom.  VII. 

2)  Eaupach  Presbyt.  Suppl.  p.  25  f. 


—     430    - 

• 

Flacianer,  durch  Giller,  Haubolds  Nachfolger,  sich  verletzt 
gefühlt  haben.  Derselbe  muß  in  der  Beichte  die  Frage  an 
sie  gerichtet  haben,  ob  sie  bekenne,  sie  sei  Sünde  und 
trage  nichts  denn  Sünde  unter  dem  Herzen.  Dadurch 
erzürnt,  ließ  Rüdiger,  ihr  Gatte,  Giller  bis  Georgi  1583 
die  Pfarre  aufkünden  und  seinen  Diakonen  Singelius  und 
Preusser,  denen  wir  zuerst  im  Schönburgischen  Gerings- 
walde begegneten,  die  Kanzel  verbieten. 

Nach  dem  Tode  Rüdigers  von  Starhemberg  (5.  Dez.  1582) 
übernahmen  dessen  Brüder  die  Vormundschaft  und  entfernten 
die  alles  Maß  überschreitenden  und  in  ihrer  Hitze  weit 
vom  Ziel  wahrer  Erbauung  abirrenden  Prediger  ^).  Neben 
den  schon  genannten  mußte  auch  Magdeburgius  das  Land 
verlassen.  Man  wandte  sich  in  Eferding  an  Cyr.  Spangen- 
berg, der  mit  Briefen  eingriff  und  später  mit  2  Schriften 
auftrat  2).  Entscheidend  war  aber  nach  Rüdigers  Tode  das 
energische  Eingreifen  Gundakars  von  Starhemberg,  der 
schon  im  April  1583  an  Stelle  der  Vertriebenen  aus 
Tübingen  Lehrer  berief,  nämlich  M.  Nikolaus  Haselmeyer 
und  Johann  Bruder.  Der  Linzer  Pfarrer  Poppius  schreibt 
darüber  in  dem  oben  angeführten  Brief  vom  22.  April  1583 
an  Rosinus :  „Die  Eferdinger  Manichäer  bersten  vor  Zorn, 
indem  sie  nicht  wissen,  was  anzufangen,  da  sie  sehen,  daß 
aus  Tübingen  berufene  Prediger  bereits  angekommen.  Sie 
sind  gestern  zu  uns  nach  Linz  gekommen,  wo  ich  sie  beim 
edlen  Herrn  Gundakar  von  Starhemberg  treifen  werde  und 
in  Erfahrung  bringen,  was  weiter  geschieht,  um  es  dann 
Euer  Ehrwürden  zu  melden." 


1)  Der  Entlassungsbrief  Gillers  ist  auch  von  Gabriel  Strein, 
dem  Bruder  Richards,  unterzeichnet,  der  der  gemäßigten  Richtung 
angehörte  und  sehr  gefürchtet  war  (Otto,  a.  a.  O.,  p.  35).  Seine 
Hochzeitsfeier  1581  nahm  ein  trauriges  Ende  (s.  Raupach,  IV,  22). 
Auch  sein  Prediger  Luzius  klagt  sehr  über  ihn  (Raupach,  Presbyt, 
p.  100). 

2)  Die  letzte  führt  den  Titel:  „Verantwortung  M.  Cyriaci 
Spangenbergs  auff  Herrn  Adam  Gillers  und  anderer  mehr  falsche 
Auflagen,  1584". 


-     431     — 

Auch  auf  die  evangelischen  Stände  blieb  dieser  bis 
auf  die  Straße  sich  fortsetzende  Zank  und  Hader  nicht  ohne 
Eindruck.  Sie  schickten  demnach  die  oben  erwähnte  Schrift 
Beckers  ,,Vön    der  Erbsünde"   zusammen  mit  dem  zu  Hörn 

1584  verfaßten  „Christlichen  Bekenntnis"  der  Flacianer, 
welches  als  Antwort  auf  Beckers  Schrift  dienen  sollte,  je- 
doch auch  die  Lehre  Magdeburgii  in  §  20  abwies,  nebst 
weiteren  dahin  gehörigen  Schriftstücken  an  die  ihrer  Meinung 
nach  unparteiische  theologische  Fakultät  zu  Altdorf,  welche 
unter  der  Oberhoheit  Nürnbergs  stand.  Durch  diese  Über- 
sendung wollten  die  Stände  endlich  dem  Streit  ein  Ende 
machen  (31.  Dezember  1584),  Die  Fakultät  bestand  damals 
nur  aus  zwei  Professoren :  Georg  Siegel  und  Edo  Hilderich  ^'). 
Der  Nürnberger  Rat  verstärkte  sie  aber  durch  Absendung 
der  Prediger  zu  St.  Sebald  Mauritius  Heling  und  Heinrich 
Fabritius  (beide  noch  Hörer  Luthers  und  Melanchthonsj. 
Heling  war  ein  alter  Gegner  des  Flacius  und  Schürer 
des  Streites  zwischen  den  strengen  Lutheranern  und  den 
Philippisten;  er  ist  uns  aus  Waldners  Leben  sowie  aus  seiner 
späteren  so  bedeutenden  Wirksamkeit  in  Nürnberg  ^)  bekannt. 
Die  Lehrmeinung  der  Flacianer  wurde  in  dem  Gutachten  der 
Altdorfer  Fakultät  vom  20.  Februar  1585  natürlich  ver- 
worfen. Die  Stände  beschlossen  nunmehr,  sich  auch  aller 
anderen  flacianischen  Prediger  zu  entledigen ;  mithin  etwas 
zu  thun,  was  man  aus  kirchenpolitischen  Rücksichten  seit 
lange   in    den  Reichsterritorien    betrieben.     Am   12.  August 

1585  versammelten  sich  mehrere  Deputierte  zu  Feldsberg 
und  kündigten  denselben  zunächst  den  Dienst  auf.  Zur 
Unterstützung  dieser  Maßnahme  hatten  sie  bereits  den 
kräftigen  Arm  des  Erzherzogs  angerufen.  Derselbe  erließ 
an  Kiesel  den  Auftrag,  die  ..giftige  Sekte  der  Flacianer'' 
im  Erzherzogtum  unter  der  Enns  abzuschaffen.     Kiesel  be- 


1)  Hilderich  war  ehedem  in  Heidelberg  lutherischer  Professor 
gewesen  und  hatte  den  Ständen  auf  Befehl  des  Pfalzgrafen  Ludwig 
ein  Responsum  zukommen  lassen  (Raupach,  II,  326). 

2)  S.  0.  S.  207  u.  374 ;  ferner  den  Anhang. 


—     432     — 

fahl  den  Decbanten,  dafür  Sorge  zu  tragen.  Berichte  mit 
Angaben  über  die  vertriebenen  Flacianer  wurden  dem  Erz- 
herzoo- eingereicht.  Von  uns  bekannten  Namen  finden  sich 
darunter:  Tetelbach,  Viereckel,  Balth.  Masco;  auch  Hauser 
und  Barbatus  werden  in  diesem  Zusammenhang  als  des 
Landes  Verwiesene  genannt  i).  Im  Grunde  aber  mochte 
Kiesel  wohl  selber  wünschen,  daß  die  feindlichen  Brüder 
sich  untereinander  aufrieben,  und  es  daher  mit  der  Aus- 
weisung nicht  allzu  streng  nehmen. 

Das  Gros    des  Volkes    und    die  Vornehmsten    aus  dem 
Herrenstand    gingen    wohl    nur    allmählich    in    den   breiten 
Strom   der    lutherischen    kirchlichen    Observanz    über.      Die 
Lehre  der  „beständigen"  alten  Prediger  war  aber  nicht  ver- 
gebens gewesen  und  blieb  auch  stellenweise  im  Lande,    da 
natürlich  mehrere  sich  nun  still  verhielten.    Wie  streng  es 
in  Regensburg   mit  der  Ordination  genommen  wurde,    zeigt 
das   Beispiel  (Okt.   1590)    des  Paul  Kregelmaier,    Sohn    des 
aus  Nürnberg  und  Augsburg  vertriebenen  Georg  K.,  Pfarrer 
auf   dem    Jörgerschen    Gut   Kreuspach   (s.  o.   S.  375).     Der 
Sohn     wurde     unter     dem    Verdacht    des    Flacianismus    in 
Regensburg    abgewiesen   und   erst  nach  Prüfung  einer  dem 
Vater    von    seinem    Patron    abgeforderten    Konfession    über 
das  peccatum  originis  zur  Pfarrstelle  in  Hohenberg  (Nieder- 
österreich)   zugelassen.      Jene    Konfession    wurde    in    einem 
überaus    langen  Judicium   des  Reg.  Konsistoriums  nur  not- 
dürftig  für   gut    befunden.     Um   1600    trifft  man  nur  noch 
vereinzelt  notorische  ilacianer.     Die  neu  Ordinierten  hatten 
sich    auf   das  Konkordienbuch    zu    verpflichten,    wobei  Ver- 
dächtige sich  öffentlich  vom  Flacianismus  lossagen  mußten. 
Jene  traurigen  Zustände  hat  uns  der  Nachfolger  Gillers 
M.    Haselmeyer    in    einer    breiten    Auseinandersetzung    ge- 
schildert 2).      Der    Hausfriede    war   gestört,    alles   lag   über 

1)  Vgl.  dazu  Raupach  IV,  p.  63. 

2)  Der  Bericht  an  das  Konsistorium  zu  Stuttgart  (10.  Febr.  1584) 
findet  sich  bei  Raupach,  Presbyt.  Suppl.  p.  30  f.  Haselmeyer  kann 
nicht  für  völUg  unparteiisch  gelten,  sofern  er  aus  einer  Atmosphäre 


—    433     — 

dem  Haufen,  man  grüßte  sich  nicht  mehr  untereinander, 
suchte  die  Sakramente  auswärts  und  tobte  wider  den  Ein- 
dringling. Es  gelang  Haselmeyer  i)  durch  längere  geduldige 
Amtsführung,  unterstützt  von  seinem  Diakon  Johannes 
Bruder,  die  Gemüter  allmählich  zu  besänftigen.  1584  über- 
sandte er  dem  Stuttgarter  Konsistorium  eine  Abhandlung 
„über  die  Meinung  Flacii  Hlyrici  von  der  Erbsünde '^  Ob 
diese  Schrift,  die  über  zehn  Bogen  ausmacht  und  stark 
philosophisch  gefaßt,  aber  nicht  mehr  aufzufinden  ist,  viel 
zur  Besänftigung  beigetragen  hat,  ist  wohl  zu  bezweifeln. 
Des  Konsistoriums  Antwort  war  nicht  ermntigend. 

Nach  dem  Tode  oder  Abzug  der  prononciert  flaci- 
anischen  Prediger  und  Wortführer  wurden  nur  solche  auf- 
genommen, die  sich  verpflichteten,  die  Agende  anzunehmen 
und  den  Deputierten  folgsam  zu  sein.  So  wurde  langsam 
die  Ruhe  wiederhergestellt.  Die  neuen  Prediger  kamen  auch 
insgemein  aus  Regensburg,  woselbst  schon  seit  Rosinus 
Amtsantritt  die  kirchlichen  Angelegenheiten  in  das  Geleise 
der  Konkordienformel  geleitet  wurden.  Und  wenn  auch 
die  Religionsdeputierten  niemals  jene  Formel  anerkannt 
haben,  so  ließen  sie  sich  doch  die  darauf  verpflichteten 
Prädikanten  fortan  gefallen.  Dazu  kam  noch,  daß  die 
Qualität  der  Prediger  durch  strengeres  Verfahren  der 
Regensburger  Examinatoren,  eines  Rosinus,  Waldner  und 
Chr.  Binder  eine  bessere  wurde.  Dies  zeigt  der  oft  ge- 
nannte Brief  Waldners  an  Reuter  vom  9.  Mai  1573,  worin 
er  insbesondere  bittet,  man  solle  ihnen  doch  nicht  so  völlig 

kam,  in  welcher  von  vornherein  die  Bemühungen  der  Flacianer,  und 
zwar  auch  die  besten,  für  verdammt  galten.  Raupach  ist  in  diesen 
Dingen  viel  zu  parteiisch  vorgegangen,  und  Polykarp  Leysers  Urteil 
und  Briefwechsel  sind  für  uns  keineswegs  zuverlässige  Quellen.  Der 
Briefwechsel  Leyser  sbefmdet  sich  auf  der  Hamburger  Stadtbibliothek; 
er  ist  von  Eaupach  zu  einseitig  benutzt  und  nach  seinem  Tode  der 
Bibliothek  überlassen  worden.  Die  daselbst  vorhandenen  Regens- 
burger  Akten  enthalten  nichts  über  diese  Zeit,  und  hat  Eaupach  den 
Briefwechsel  von  GaUus  und  Waldner  nie  vor  Augen  gehabt. 
1)  Ein  protdge  Leysers. 

28 


-     434     — 

ungeeignete  Kandidaten  zur  Ordination  zuschicken,  wie  es 
vielfach  seitens  verschiedener  Herren  und  sogar  Edelfraueu 
geschah  1).  Die  Empfehlungen,  welche  man  den  Kandidaten 
mitgab,  waren  leider  zu  nachsichtig. 

Von  Ober-  und  Niederösterreich  (sogar  vereinzelt  aus 
Ungarn  und  Mähren)  liegen,  soweit  wir  es  auf  Grund  der 
Regensburger  Akten  konstatieren  können ,  Gesuche  um 
Prüfung  und  Ordination  von  Kandidaten  aus  den  Jahren 
1579 — 1590  in  großer  Zahl  vor.  Sie  sind  teils  von  den 
Herren  des  Ortes,  teils  von  dem  Pfarrer,  teils  auch  von 
dem  Gemeindevorstand  an  das  Regensburger  Konsistorium 
gerichtet.  Es  wäre  interessant,  diese  Ordinationsgesuche 
sowie  deren  Erledigung,  welche  Rosinus  sehr  exakt  notiert 
hat,  übersichtlich  zu  ordnen.  Endlich  wäre  es  von  großer 
Wichtigkeit,  eine  ganz  neue  Presbyterologie,  die  auch  zur 
Ergänzung  der  alten  Raupachschen  dienen  würde,  auf  Grund 
der  Regensburger  Akten  zu  verfassen. 

Jene  Ordinationsgesuche  2)  haben  noch  das  besondere 
Interesse,  daß  sie  den  jeweiligen  Charakter  der  Zeit  wider- 
spiegeln. Der  Kampf  gegen  den  neuen  Kalender  richtete 
viele  Verwirrung  an.  Christliche  Prediger  wurden  an 
etlichen  Orten  (z.  B.  in  Augsburg)  deswegen  verjagt,  weil 
sie  den  von  Papst  Gregor  eingeführten  Kalender  nicht 
annehmen  wollten.  So  gaben  auch  7  niederösterreichische 
Prediger  im  März  1585  eine  Schrift  heraus,  betitelt  „Gründ- 
liche Ursachen",  um  ihren  Widerstand  zu  rechtfertigen. 
In  diesem  Kampfe  nahmen  die  Regensburger  gegen  den 
Kalender  Partei^).  Es  wurden  zwei  Kandidaten  deshalb  ab- 
gewiesen, weil  mit  ihrer  Approbierung  der  neue  Kalender 
gutgeheißen    worden    wärc^).      Andere    Ordinanden    werden 


1)  Den  direkten  Anlaß  zu  dieser  Klage  hatte  eine  Frau  von 
Puchhaim  gegeben, 

2)  ß.   A.   Eccles.,    Kasten   D,    Fach    1,    No.  XXX,    Fach  2, 
No.  XLIX. 

3)  Über  den  Streit  s.  Wiedemann  I,  S.  438. 

4)  Am  26.  Februar  und  16.  Juni  1586.     In  Graz  protestierten 
im  Dezember  1583  Jerem.  Hornberger  und  die  anderen  Prediger  gegen 


—    435    — 

wegen  ihrer  Unwissenheit  in  den  Sprachen  oder  über- 
haupt in  der  Lehre  des  Heils  abgewiesen  oder  auf  spätere 
Zeit  wiederbestellt.  Einer  hat  sogar  den  kleinen  Katechis- 
mus Luthers  nicht  gewußt;  bei  einigen  ließ  auch  das  Be- 
tragen zu  wünschen  übrig  M.  Einem  anderen  wird  das  kleine 
Corpus  doctrinae  und  Luthers  Katechismus  zu  studieren 
empfohlen,  einem  dritten  Wigandi  Methodus,  und  zugleich 
wird  er  unter  die  Aufsicht  eines  älteren  Pfarrers  gestellt. 
Kurz,  die  eingehendste  Behandlung  der  österreichischen 
Kandidaten  ist  besonders  dem  Rosinus  nachzurühmen. 

Das  Gleiche  gilt  von  den  Nachfolgern  des  Rosinus, 
von  Chr  Binder,  Anselm  Hagenloch  und  M.  Johann  Cae- 
mentarius,  drei  Württembergern.  Caementarius,  welcher  aus 
eigener  Anschauung  während  einer  zwanzigjährigen  Wirk- 
samkeit in  Osterreich  die  Verhältnisse  der  dortigen  evan- 
gelischen Kirche  kennen  gelernt,  hat  als  Superintendent 
für  die  Beschaffung  von  tüchtigen  Geistlichen  nach  Möglich- 
keit gesorgt.  Als  Beweise  dafür  haben  wir  verschiedene 
Schreiben  an  Wilhelm  von  Zelcking,  Helmhardt  Jörger,  Adam 
von  Traun,  Georg  Chr.  Schallenberg,  die  alle  im  Regens- 
burger Stadtarchiv  liegen  und  bereits  von  Eriedr.  Koch 
mitgeteilt  sind  ^j.  Endlich  sind  auch  die  Ordinations- 
predigten  von  einigem  Belang.  Sie  nehmen  immer  mehr 
einen  schablonenmäßigen  Charakter  an.  Während  der  des 
Elacianismus  verdächtige  Paul  Kregelmaier  am  12.  No- 
vember 1590  seine  Ordinationspredigt  über  das  wichtige 
Kapitel  Rom.  7  hält,  finden  wir  fünf  andere  Eälle,  in  denen 
die  Ordinanden  entweder  über  die  durch  das  Kirchenjahr  ge- 
gebenen Texte  oder  über  Texte  gleichgiltiger  Art  predigten  ^). 


den   Kalender    aus   Gewissensbedenken  (s.  Loserth,  Aktenstücke  in 
Fontes  rer.  Austriac.  II,  Bd.  50,  S.  507). 

1)  Darüber  beklagt  sich  Eosinus  am  21.  Sept.  1574  in  einem 
Briefe  an  den  Pfarrer  in  Scherffling,  Matthias  Klinger,  der  einen 
imtüchtigen  Kandidaten  empfohlen  (E.  A.  Eccies.,  No.  XXX,  Z.  'S). 

2)  S.  Jahrb.  der  Ges.  f.  d.  Gesch.  des  Prot.  X,  S.'^SO. 

3)  Enoch  Preu,  berufener  Prädikant  zu  Schwans  (Oberösterr.) 

28* 


—     436     — 

Man  sieht  daraus,  daß  man  seit  1586,  seit  Christoph  Binders 
Superintendenz,  anfing,  das  Heil  in  einem  gewissen  Formalis- 
mus zu  sehen.  Der  Geist  entwich,  und  die  Schablone  blieb 
übrig.  Die  Konkordienformel  übte  ihre  regulierende  Kraft 
auch  in  dieser  Richtung  des  Kirchenregiments  aus.  Mit  ihr 
ward  ein  Riegel  der  freien  Bewegung,  insbesondere  jenen 
Streitigkeiten  vorgeschoben,  in  welchen  mehr  Lebensfragen 
zur  Sprache  kamen,  als  seit  der  Zeit  jemals  wieder  ver- 
handelt worden.  Was  einst  unter  Mitbeteiligung  aller 
Kreise  und  Stände,  Fürsten  und  Bürger,  Adeliger  und 
Bauern  verhandelt  wurde  ^) ,  ist  seither  verschollen  und 
vergessen,  ja  für  die  Gegenwart  fast  schon  zur  Legende 
geworden. 

Kommen  wir  schließlich  noch  zu  der  Frage,  auf  wessen 
Seite  wir  in  diesem  Streite  der  Parteien  stehen?  Unsere 
Sympathie  gehört  jenen,  die  als  die  echten  Nachfolger 
Luthers  sich  seiner  guten  Lehre,  insbesondere  des  Zeug- 
nisses über  das  Verderben  des  Menschen,  nicht  schämten, 
vielmehr  das  letztere  wohl  einmal  bis  zum  Überdruß  den 
Gemeinden    einschärften  und  dabei  nicht  fürchteten,    selbst 


predigt  über  Matth.  18  (7  Seiten  beschrieben,  4")  und  wird  am 
19.  September  1588  ordiniert.  —  M.  Joh.  Hörman  aus  Augsburg 
wird  1590  Diakon  in  St.  Jörg  im  Attergau  (überösterr.) ;  Ordi- 
nationspredigt :  Concio  de  Angelis  (i^^  Seiten,  4").  —  Christoph 
Schwaiger  aus  Aussee  (s.  o,  S.  357  Note  3)  wird  am  11.  Januar  1591  in 
der  Lazaruskirche  in  Regeusburg  ordiniert  und  predigt  über  Galat. 
4,  1—7  (I6V2  Seiten,  4'').  —  M.  Leop.  Möslinger  aus  Atzbach  in  Ober- 
österreich hält  am  2,  Sonntag  nach  Epiphan.  seine  Ordinations- 
predigt  über  Joh.  2,  1 — 11. 

1)  Oberleitner,  a.  a.  O.  S.  38  berichtet  aus  dem  Jahre  1578, 
daß  der  alte  Veteran  Hieron.  Haubold  in  Eferding  (gest.  15.  Juni 
1579)  wegen  der  Bewegung,  die  er  imter  dem  Landvolk  hervorrief, 
in  öffentlicher  Landtagssitzung  von  dem  Freiherrn  Wolf  Jörger 
angeklagt  wurde.  Er  sollte  sich  vor  den  zur  Prüfung  verordneten 
Prädikanten  in  Linz  stellen,  wo  ihm  aber  nichts  geschehen  sein 
wird,  denn  die  Kommission  bestand  (Oberleitner,  S.  88)  aus  G.Khun, 
Gallus  Staininger,  Veit  Mangk  (s.  0.  S.  342),  Matth.  Hoffmendl 
(s.  0.  S.  270)  u.  a.  m.,  also  lauter  Gesinnungsgenossen  des  Verklagten. 


—    437     — 

mit  Melauchthon  und  den  nach  seinem  Tode  so  erfolg- 
reichen Phiiippisten  oder  Kryptocalvinisten  in  Zwiespalt 
zu  geraten.  Sie  hatten  wirklich  noch  etwas  zu  verkünden, 
was  nicht  bloß  im  Buche  stand,,  sondern  auch  fest  ein- 
geschrieben war  in  den  Gewissen,  wofür  sie  Opfer  gebracht 
und  auch  weiter  zu  bringen  fest  entschlossen  waren.  Ihre 
Namen  und  Zeugnisse  liegen  vor  in  den  noch  lange  nicht 
ausgeschöpften  Briefen  des  Regensburger  Archivs  und  in 
anderen  dort  bewahrten  Dokumenten ;  sie  finden  sich  im 
Kreise  der  höchsten  und  niederen  Stände,  über  ganz  Öster- 
reich hin  zerstreut,  bis  nach  Böhmen  und  Ungarn.  Da 
hören  wir  unter  anderen  einen  Josua  Opitz,  den  Landschafts- 
prediger in  Wien,  zur  Zeit  der  Landtagsverhandlungen  d.  J. 
1576 1),  vor  dem  Kaiser  Rudolf  auch  im  Namen  seiner 
Kollegen  und  der  ganzen  Kirche  persönlich  bezeugen:  sie 
müßten  predigen  und  sie  könnten  und  dürften  ihren  gött- 
lichen Beruf  und  ihr  Amt  „Gewissens  halber"  nicht  ver- 
lassen, noch  aufgeben,  sie  würden  denn  zuvor  von  den 
Ständen,  die  sie  berufen  hätten,  ihrer  Pflicht  entlassen.  Und 
obwohl  sie  der  Kaiser  selbst  drei-  oder  viermal  zum  Ge- 
horsam ermahnte  und  die  geheimen  Räte  noch  dreimal  in 
sie  drangen,  blieb  bei  diesen  Männern  alles  erfolglos.  Sie 
folgten  ihrem  Gewissen.  In  einem  anderen  Falle  gab  der- 
selbe Opitz  über  Aufforderung  seiner  Vorgesetzten  die 
Erklärung  ab,  daß  die  Worte  Substanz  und  Accidens  in 
den  Streit  auf  und  unter  der  Kanzel  zu  ziehen,  ihm  jeder- 
zeit zuwider  gewesen  2).  Auch  habe  er  sich  (in  Wien)  dieses 
Streites  enthalten  und  mit  gesunden  Worten  der  Schrift 
gelehrt.  Er  könne  aber  auch  nicht  das  Gegenteil  ('vom 
Accidens  in  der  Kirche)  einführen  helfen,  wozu  er  in 
Regensburg  gedrungen  werden  sollte.  Er  beruft  sich 
feierlich  in  dieser  seiner  Erklärung  von  wegen  der  Wörter 
Substanz  und  Accidens  auf  die  österreichische  Formula  con- 


1)  Wiener  Hofbibliothek  Cod.  8314,  Fol.  196». 

2)  Fol.  148*. 


—    438     - 

cordiae  (vom  J.  1574),  aufweiche  er  sich  verpflichtet  habe  i) ; 
endlich  beruft  er  sich  auf  sein  Gewissen,  das  keinen  anderen 
Richter  als  Gottes  Wort  leide.  „Gott  heilige  und  erhalte 
uns  bei  der  einfachen  Wahrheit,  Amen." 

Dieselbe    Berufung    auf  ihr    Gewissen    finden   wir   um 
dieselbe    Zeit    bei   den   Religionsdeputierten,    den    gleichen 
Männern,    die  einst  (1568 — 71)  mit   Reuter  und  Gallus  die 
Agende  vorbereitet  und  eingeführt:   H.  W.  von  Rogendorf, 
Rüdiger  von  Starhemberg,  Leopold  von  Grabner  und  Wolf 
Christoph  von  Enzersdorf,    welchen  Chyträus  ^')  das  höchste 
Lob    erteilte.      Auch    sie    sind    fest    entschlossen,    sich    des 
subtilen    Streites    und    der    Schuldefinitionen    zu    enthalten 
und   solche  Wörter,    wie    Substanz    und  Accidens,  nicht  zu 
dulden;  sie  verwahren  sich  aber  auf  das  Entschiedenste  da- 
gegen, daß  man  ihren  Theologen    und  Kirchendienern  Ver- 
dächtigungen in    den  Weg    lege  und  die  Zumutung  mache, 
ihre    Erbsündenlehre    von    anderen,    und    zwar   parteiischen 
Fakultäten  auf  ihre  Rechtgläubigkeit  hin  prüfen  zu  lassen, 
was  die  Stände  auf  jenem  Landtage  1576  von  ihnen  forderten. 
Auch  sei  es  inkonsequent,  nachdem  man  jegliches  Disputieren 
verboten,  nun  wiederum  über  Opitz  ein  Gutachten  gelehrter 
ansehnlicher  Theologen  herauszufordern,  also  mit  dem  Dis- 
putieren von   neuem  zu  beginnen.     Luther  habe  auch  seine 
Bücher  nicht    an  Fakultäten  geschickt,    sondern    sei    seiner 
Sache  selbst  gewiß  gewesen.    Und  so  handle  denn  ein  jeder 
nach  seinen  Gewissen ^j! 

Wenn  es  nur  bei  diesem  Standpunkt  festester  Gewissens- 
überzeugung, oder  sagen  wir  lieber,  bei  diesem  Glaubensmut 
geblieben  wäre.  Aber  Opitz  und  seine  Kollegen  wurden 
aus  Wien  verjagt,  nicht  zwar  der  Erbsündenlehre  wegen, 
sondern    wegen  ihres    lauten    Bekenntnisses    zur    göttlichen 

1)  In  seinem  Revers,  der  vor  die  Zeit  der  Abfassung  dieser 
Formel  (März  1574)  fällt,  ist  letztere  später  hineingesetzt ;  die  Depu- 
tierten erwähnen  (Fol.  144^),  daß  der  Revers  1575  korrigirt  worden  sei. 

2)  Chytr.  Orationes,  p.  390. 

3)  Cod.  8314.  Fol.  144  b. 


—    439    — 

Wahrheit  und  des  Zeugnisses  gegen  römischen  Irrtum  und 
Abfall,  worin  ja  die  evangelische  Landschaft  in  Nieder- 
österreich mit  ihnen  einstimmig  war.  An  die  Stelle  jener 
vier  alten  Deputierten  traten  andere,  die  sich  ängstlich 
nach  Stützen  im  Reiche  umsahen  ^).  Diese  erhofften  für 
die  Instandhaltung  der  Kirche  immer  wieder  Heil  von  den 
Theologen,  deren  Ohnmacht  sie  doch  erfahren  hatten.  Sie 
warteten  auf  die  Erledigung  der  dem  Becker  bei  seinem 
Abzug  aus  Wien  1583  mitgegebenen  Schriftstücke,  die  er 
M.  Chemnitz  in  Braunschweig  zeigen  sollte,  um  von  ihm 
Rat  zu  erholen.  Aber  Chemnitz  sah  das  Heil  in  der  Bei- 
pflichtung zu  der  These,  die  Sünde  sei  Accidens, 
und  vermutete  allerlei  Ungeheuerliches,  wenn  man  das 
Gegenteil  behauptete  oder  das  Accidens  nur  stillschweigend 
ablehnte.  Da  goß  man  also  mit  solcher  Berufung  Öl  ins 
Feuer.  Man  ängstigte  mit  solchen  Anfragen  an  auswärtige 
Theologen  die  bereits  genug  abgehetzten  Prediger  und  be- 
wirkte, daß  die  eignen  Gemeinden  wehklagten  über  die 
Verfolgung  solcher  Lehrer,  die  ihnen  Gottes  Wort  ge- 
predigt hatten.  Und  so  haben  jene  vier  alten  Deputierten 
in  einer  Rechtfertigungsschrift  an  die  zwei  Stände  „wegen 
etlicher  (wider  sie)  ergangener  Reden"  den  Ständen  sehr 
beweglich  vorgehalten :  „Gott  merkt,  sieht  und  hört  alles 
unwillige  Seufzen,  Klagen  und  falsches  Zeugen  wider  arme 
Christen  und  Kirchendiener.  Wer  euch  verachtet,  der 
verachtet  mich  und;  Wer  euch  antastet,  der  tastet  seinen 
Augapfel  an"  ^). 

Bemerkenswert  und  geeignet,  um  zur  Nachfolge  in  ähn- 
lichen Eällen  zu   reizen,   sind   die  Äußerungen    „der  Diener 


1)  Vgl.  die  Relation  der  Verordneten  Nie.  v,  Puchhaim,  Wolf 
V.  Liechtenstein,  Maximilian  v.  Mamming  und  Franz  von  Gera  d.  d. 
1.  März  1583;  Cod.  8314,  Fol.  464 1.  Chemnitz  war  in  den  Augen 
der  Flacianer  nicht  viel  besser  als  Andrea.  Über  Andrea  vgl.  noch 
Opitz'  Urteil  im  Cod.  8314,  Fol.  84»  und  84^. 

2)  Cod.  8314,  Fol.  146»  vom  20.  März  1576.  Vgl.  Luc.  10,  IG; 
Sacharja  2,  8.  Damit  stellen  sie  ihre  Prediger  den  Aposteln  des 
Herrn  gleich. 


—     440    — 

am  Wort  Gottes  zu  Klagenfurt",  welche  am  19.  Juli  1600 
in  ihrem  Konvent  ein  von  den  Verordneten  verlangtes  „Be- 
denken" auf  folgende  zwei  Fragen  formulierten  i): 

1)  Ob  die  Herren  und  Landleute  sie  mit  gutem  Ge- 
wissen entlassen  können ;  die  Antwort  lautet  verneinend. 

2)  Wie  man  sich  erhalten  und  „ob  man  I.  F.  Durch- 
laucht in  gehorsam  begegnen  möchte''.  Die  Antwort  lautet: 
Das  sei  Sache  der  Politiker. 

Auf  beide  Fragen  begehrten  die  Landesverordneten 
von  den  Prädikanten  als  ihren  Seelsorgern  Pat,  was  in 
dieser  hochwichtigen  Sache  vor  Gott  und  der  Welt  zu  thun 
wohl  verantwortlich  sei.  Auf  die  erste  Frage  geben  sie 
nun  in  sehr  beweglichen  Worten,  zu  einer  Zeit,  als  die  Gegen- 
reformation schon  im  Werke  war  und  etliche  Prediger  be- 
reits aus  dem  Lande  geschafft  worden,  jene  Antwort,  die 
sie  vor  der  ganzen  Christenheit  und  auch  am  jüngsten  Tage 
vor  der  Majestät  Gottes  und  dem  strengen  Richterstuhl 
Christi  würden  verantworten  können.  Sie  erinnern  zunächst 
an  die  Prediger,  die  vor  und  mit  ihnen  nun  viele  Jahre 
her  Gottes  Wort  lauter,  rein  und  unverfälscht  gepredigt. 
Dieselben  würden  in  den  Gewissen  reden,  was  in  diesem 
Falle  zu  thun  sei.  Sie  hätten  längst  gezeugt,  was  in  dieser 
Stadt  und  Lande  erfolgen  werde :  ein  verruchtes  epicureisch 
und  gottlos  Leben  ....  Sodoma  und  Gomorra,  ein  Greuel 
der  Verwüstung,  davon  Daniel  und  Christus  geweissagt  haben, 
und  wird  endlich  der  Türke  der  Prediger  Successor  werden 
und  den  Garaus  machen,  wie  es  denn  dem  Morgenland  auch 
ergangen  ist.  „Wie  kann  man  also  die  Prediger 
mit  gutem  Gewissen  dimittieren?" 

Nach  dieser  scharfen  Anrede  an  die  Verordneten  erinnern 
die  Prediger  an  jene  Zeiten,  wo  die  Voreltern  Gott  oft 
gebeten,  daß  er  sie  vom  Joch  des  abgöttischen  Papsttums 
wolle  erlösen,  und  wie  herzlich  diejenigen  Gott  gedankt, 
„so    solche    gnadenzeit    erlebt    und    mit    dem    glantz    des 


1)  Loserth,  Zur  Geschichte  der  Gegenreformation  in  Kärnten 
(im  Archiv  f.  vaterländ.  Gesch.  u.  Topographie  XIX,  S.  48  ff.). 


—    441     — 

hl.  seligmachenden  evangelii  sein  erleucht  worden".  Und 
wir,  so  fragen  sie,  wollten  uns  so  leichtlich  wiederum 
unter  das  Joch  begeben,  welches  doch  jetzt  von  wegen 
der  blutdürstigen  Jesuiter  viel  unerträglicher  ist,  als  es 
vor  Zeiten  im  alten  Papsttum  gewesen,  wie  diejenigen 
wissen,  so  darin  gelebt.  Sodann  erweisen  sie  aus  dem 
Gegensatz,  daß  man  die  Prediger  nicht  dimittiereu  dürfe, 
indem  das  Gewissen  verbiete,  andere,  geschweige  denn 
Jesuiter  dafür  anzunehmen.  Unter  Anführung  aller  Namen 
und  Ehrentitel,  welche  getreuen  Kirchendienern  in  der 
heiligen  Schrift  gegeben  werden,  schärfen  sie  den  Ver- 
ordneten das  Gewissen,  daß  sie  ihre  Wäch.er,  die  wackeren 
und  getreuen  Hunde  nicht  wegthun  mögen,  zum  Schaden 
der  Herde.  „Man  siehet  leider,  wie  es  jetzund  geht  in 
diesen  benachbarten  ländern,  da  die  prediger  dimittiert 
waren."  Die  Herren  möchten  doch  wohl  die  Früchte  er- 
wägen und  was  für  ein  Gewissen  diejenigen  haben,  die 
daran  schuldig  sind.  Wo  die  reinen  Prediger  wegkommen, 
folgt  Kreuz  ohne  Trost,  Abfallen  oder  alles  Verlieren,  ein 
nagender  Wurm,  der  ewige  Fluch,  eine  rechte  Hölle  auf 
Erden  und  sonderlich  die  Beraubung  des  wahren 
seligmachenden  Evangelii  und  der  heiligen 
Sakramente,  die  man  bereits  meilenweit  bei  uns  mit 
Seufzen  sucht.  Zuguterletzt  berufen  die  Prediger  sich 
auf  eine  frühere  Schrift,  in  der  sie  ausgeführt,  daß  keine 
Obrigkeit  Macht  habe  über  die  Gewissen,  was  auch  die 
vernünftigen  Heiden  (die  babylonischen  Könige  während 
des  Exils)  anerkannt  hätten.  Was  die  zweite  Frage  an- 
langt, so  wollen  sie  dieselbe  den  politicis,  als  ihrer  Obrig- 
keit, zu  erwägen  anbefohlen  haben.  Sie  ermahnen  jedoch 
zu  mutigem  Beharren.  Unterschrieben  sind  mehrere  uns 
aus  Gallus'  Freundeskreis  bekannte  Namen :  Adam  Ranacher 
(Raunacher)  i)  und  zwei  Pfarrer  Faschang. 

1)  S.  o.  S.  267.  Derselbe  hatte  1564  bei  Moser  in  Regensburg 
Loci  drucken  lassen,  über  welche  er  Gallus'  Urteil  begehrte.  R.  A. 
XXXV,  Z.  95. 


—     442     — 

Daß  im  steirischen  Oberlande  immer  noch  Reste  der 
Flacianer  vorkamen,  giebt  auch  Loserth  zu^).  Noch  weit 
entschiedener  tritt  Rosolenz  für  das  Vorhandensein  flaci- 
anischer  Elemente  um  diese  Zeit  ein  und  beschreibt  in 
einzelnen  Eällen,  wie  gerade  Flacianer  den  Kommissären 
durch  ihren  Widerspuch  gewaltig  zu  schaffen  machten  -). 
Während  die  von  ihren  theologischen  Gregnern  besetzten 
Landesteile  sich  leichter  fügten  (wir  nennen  nur  die  Bürger 
von  Schladming,  1599,  wo  man  1577  die  Flacianer  aus- 
gewiesen), blieben  die  benachbarten  Orte  im  Salzburgischen, 
z.  B.  Eadstadt^),  weit  beharrlicher  in  ihrem  Widerstand 
gegen  das  Reformationswerk  der  Erzbischöfe  Wolf  Dietrich 
und  Marcus  Sitticus  (1587 — 1619).  In  den  Berichten  der 
Kommissarien  begegnet  uns  wiederholt  die  Klage  über  den 
Elacianismus.  Sobald  einer  „mit  dem  Gewissen  herfür- 
kam,  hatte  man  ein  Argwohn  auf  ihn  als  einen  Flacianer*)." 

Ebenso  war  es  in  der  Propstei  Werfen  und  in  St. 
Johann,  wo  besonders  nach  Flacianern  inquiriert  wurde 
und  bei  siebzig  Personen  nichts  weiter  zu  erforschen  war, 
als  daß  der  Mensch  die  Sünde  sein  solle  ^).  Bewirkt 
wurde  nur  so  viel,  daß  ein  Teil  auswanderte,  der  andere 
seine  religiöse  Überzeugung  im  Innersten  des  Herzens 
verschloß  '^). 

Alle  Dekrete  der  Erzbiscböfe  vermochten  nicht  den 
Protestantismus  auszurotten,  vielmehr  erhielt  derselbe  unter 
dem  Erzbischof  Paris  zu  Lodron  wiederum  mehr  Raum, 
sich    auszubreiten.     Die  früheren  Bekehrungen  zum  Katho- 


1)  Loserth,  Zur  Kritik  des  Eosolenz. 

2)  Eosolenz,  a.  a.  O.  S.  53^,  60b. 

3)  1584  verbreitete  ein  Flacianer  aus  Eferding  seine  Lehre  in 
Radstadt. 

4)  Solche  Berufung  auf  das  Gewissen  nannte  man  Schwärmerei. 
Die  römische  Kirche  stellt  sich  zwischen  Gott  und  den  Menschen 
und  erstickt  damit  das  Gewissen,  wie  die  Freiheit  des  Individuums. 

5)  Ad.  Wolf,  Geschichtl.  Bilder  aus  Österreich  I,  S.  178,  179,  200. 

6)  Daß  hier  die  Weiber,  wie  auch  in  Böhmen,  die  hart- 
näckigsten waren,  zeigt  Wolf  a.  a.  O.  I,  201  f.,  219. 


—     443     — 

licismus  wurden  rückgängig,  und  es  lebten  die  Protestanten 
unter  dem  Krummstab  erträglicher  als  in  Bayern  und 
Österreich.  Überhaupt  ist  zu  bemerken,  daß  die  Prälaten 
in  Innerösterreich  ^),  insbesondere  aber  Wolf  Dietrich  von 
Salzburg,  geringeren  Anteil  nahmen  an  der  Rekatholisierung 
als  die  von  den  Jesuiten  gestachelten  Landesfürsten,  welche, 
mit  Unterdrückung  der  ständischen  Gewalt,  die  Alleinherr- 
schaft anstrebten.  Nur  sehr  ungern  sah  der  Erzbischof 
Wolf  Dietrich,  daß  man  in  seiner  Herrschaft  Gmünd  (in 
Kärnten)  die  Jesuiten  und  die  Religionskommissäre  so 
hausen  ließ  ^)  und  ihm  Abbruch  that.  Wir  haben  einst  aus 
Gastein  einen  Brief  des  Handwerkers  Sigmund  Flaisch  an 
Gallus  (1563)  angeführt,  der  uns  die  Verbreitung  der 
evangelischen  Lehre  beweist  (S.  266).  Das  damals  ent- 
zündete Feuer  hat  nicht  nachgelassen,  in  Flammen  aus- 
zuschlagen oder  doch  unter  der  Asche  zu  glimmen,  trotz  der 
scharfen  Mittel  der  Erzbischöfe,  die  Kapuziner  und  Soldaten 
ins  Land  brachten.  Erst  das  Emigrationsedikt  des  Erzbischofs 
Firmian,  1731,  machte  der  evangelischen  Lehre  in  Salzburg 
ein  Ende.  Und  daß  hier  starker  flacianischer  Einfluß  im 
Spiele  war,  hat  C.  Fr.  Arnold  aktenmäßig  konstatiert  ^). 
Daß  von  Oberösterreich  das  Gesagte  auch  gilt,  sofern 
auch  hier  die  strengen  Lehrer  flacianischer  Richtung  stark 
gearbeitet  haben ,  ist  allbekannt,  und  das  Verbleiben  des 
Protestantismus  im  Lande  bis  auf  die  Zeit  der  Toleranz 
haben  wir  bereits  (S.  275)  angeführt^). 

1)  Die  Erzherzogin  Anna,  Karls  Gemahlin,  klagte  darüber,  daß 
den  Prälaten  die  Jesuiten  zuwider  seien  (s.  Loserth,  Klritik  des  Werkes 
M.  Brenner  v.  D.  Schuster). 

2)  Gegen  die  Präjudizierung  des  Erzstiftes  legt  Wolf  Dietrich 
Protest  ein;  vgl.  Archivbericht  aus  Kärnten  von  Jaksch  im  Archiv 
für  vaterl,  Gesch.  und  Topographie,  XIX,  S.  209  f.  Die  Kommissäre 
bedrohten  das  Erzstift  in  seinen  Rechten. 

3)  Arnold,  Die  Vertreibung  der  Salzburger  Protestanten  und  ihre 
Aufnahme  bei  den  Glaubensgenossen  (vgl.  Wolf,  a.  a.  O.  I,  S.  210). 

4)  Steier  hatte  Ao.  1584  vier  Prediger;  bis  1620  laufen  die 
Schreiben  zwischen  Regensburg  und  Österreich,  die  über  Berufe 
von  Geistlichen  handeln. 


—     444    — 

Wie  langsam  aber  die  Wiedereinführung  des  katho- 
lischen Bekenntnisses  auch  in  Niederösterreich  vor  sich  ging, 
erhellt  aus  folgendem.  Im  Viertel  ober  dem  Mannharts- 
berg  wurden  in  den  Jahren  1652 — 1654  in  den  bestehenden 
140  Pfarren  und  58  Filialen  allein  22  224  Männer,  Frauen 
und  Kinder  „bekehrt".  Der  freiwillig  Bekehrten  aus  dem 
Herrenstand  waren  sieben. 

Solches  findet  man  in  einem  auf  der  Wiener  Hofbiblio- 
thek 1)  befindlichen  dicken  Manuskriptband  in  schönster  Aus- 
stattung, dessen  vollständiger  Titel  lautet: 

„Nomenclatur  oder  Nambhafftmachung  aller  derjenigen, 
welche  vnder  der  von  Ihrer  Khays.  May.:  Ferdinando  dem 
dritten  etc.,  Vnßerem  Allergnädigisten  Herren  vnd  Landts- 
fürsten  angeordneten  Religions-Reformation  in  dero  Ertz- 
herzogthumbs  Österreich  vnder  der  Ehß  Viertl  ober  Man- 
hardtsberg  seith  des  1652  Jahrs  hero  beederley  geschlechts, 
Haußgesessen,  Inwohner,  vnd  diennstleuth,  alt  vnd  Junge 
(von  12.  Jahr  ihres  Alters  anzuraitten,  oder  welche  sunst 
der  Heyligen  Communion  fächig  erkhendt  werden)  von  ihrem 
Ihrrthumb  durch  gottes  sunderbahre  gnad  zum  Heyligen 
Catholischen  glauben  würckhlich  gebracht  vnnd  bekheret 
worden  seindt. 

Darbey  Zugleich  die  Namen  aller  Pfarren  wie  auch 
Pfarr-,  vnd  Lehenherrn  oder  Patronen,  (doch  meniglich 
ohne  praeiudic)  nit  weniger  auch  aller  weltlicher  Obrig- 
kheiten,  so  die  meisten  Underthanen  in  einer  ieden  Pfarr 
haben,  neben  der  patrum  missionariorum  oder  Informatorum 
gezogen  Auß  beeden  original  Ref  ormations- 
Prothocollen,  vnd  allerhöchstgedacht  Ihre  Khays.  May.  etc. 
von  dero  reformations  Commissarien  desselben  Viertls  Ober- 
Manhardtsberg,  als  Benedicten  Abbten  zu  Altenburg  etc. 
vnd  Joachimben  freyherren  von  Windthaag  etc.  allervnder- 
thenigist  vbergeben  am  ende  deß  Jahres  1654." 

1)  Sign.  7757.  Dieser  sogar  mit  den  Bildnissen  des  Kaisers 
Ferdinand  III.  und  seines  Sohnes  Leopold  geschmückte  Band  ward 
vom  Kustos  Karajan  1870  dem  Pfr.  Friedr.  Koch  gezeigt;  er  steht 
zur  Benutzung  jedermann  offen. 


—    445     — 

Dieses  Werk  ist  nach  den  Protokollen  der  Kommission 
gearbeitet  und  enthält  alle  22  224  Namen,  ferner  eine  Karte 
aller  Ortschaften  und  eine  in  bunten  Farben  hübsch  aus- 
geführte Titelvignette,  welche  eine  liegende  Person,  das 
Bild  der  Häresis,  umwunden  mit  Schlangen,  darstellt,  die 
ihre  Hände  auf  Pergamentrollen  legt,  welche  die  Namen 
Luther,  Calvin  und  Zwingli  tragen.  Angefügt  ist  ein  Appen- 
dix der  „Freiwillig  bekherten  aus  dem  löblichen  Grafen- 
und  Herrenstand".  Diese  waren  in  Niederösterreich  toleriert 
und  mußten  „freiwillig"  übertreten.  Unter  diesen  sieben 
war  auch  ein  Otto  Heinrich  von  Dietrichstein  und  zwei 
Töchter  Althaimb. 

¥/ir  schließen  diesen  Gang  durch  die  österreichische 
evangelische  Geschichtsperiode  im  16.  Jahrhundert,  können 
uns  aber  nicht  zu  jenen  weitläuftigen  Lobreden  ihres  ersten 
Bearbeiters  Eaupach  erheben  i).  Wir  sind  keine  Herzens- 
kündiger  und  wollen  nicht  zwischen  Schafen  und  Böcken 
richten.  Aber  eins  besteht  vor  dem  unparteiischen  Forum 
der  Geschichte  zu  Recht.  Man  hat  es  hier  zu  thun  mit 
einer  Schar  von  Männern,  deren  etliche  uns  durch  ihre  fast 
übermenschliche  Charakterstärke  —  viele  möchten  es  Trotz 
nennen  —  Bewunderung  abnötigen,  während  andere  durch 
ihre  menschlich  schwache  Gestalt,  in  der  sie  gleichwohl 
das  Exil  getrost  auf  sich  nehmen,  ein  Gefühl  der  Rührung 
erwecken.  Beide  Arten  aber  verbindet  die  Treue  gegen 
die  Wahrheit,  die  sie  für  recht  erkannt.  Mit  Festigkeit 
bis  zum  Tode  halten  sie  an  dieser  Treue  —  nicht  Menschen 
(nicht  Luther),  sondern  der  Sache  zulieb  —  und  scheuen 
dabei  nicht  den  tragischen  Konflikt,  alte  Pietätsverhältnisse 
(die  sie  an  Melanchthon  banden)  zu  opfern. 

Und  wenn  nun  die  Ungunst  seitens  der  Machthaber, 
Uneinigkeit  mit  einstigen  Genossen,    bei  etlichen  auch  Un- 


1)  Vgl,  Eaupach  zu  Anfang    des    ersten   Bandes;    auf    sechs 
Seiten  lauter  Lobeserhebungen  und  Ermahnungen  im  Stil  jener  Zeit, 


—    446     - 

verstand,  womit  die  Jünger  ihre  Meister  verteidigten,  diese 
Schar  auseinandersprengte,  sieht  man  sie  ungern  scheiden. 
Dies  um  so  mehr,  wenn  man  betrachtet,  was  nach  ihnen  kam: 
die  Volkskirche  nämlich  mit  ihrer  angestammten  Recht- 
gläubigkeit, in  welche  erst  der  Pietismus  neue  Gärung 
hineinzubringen  vermochte,  womit  aber  nur  ein  immer 
größeres  Abweichen  vom  rechten  Wege  anhob,  welchem  jene 
vorzubeugen  einst  beflissen  gewesen. 


Anhang. 

T.  Scipio   von  Arcos  Rede. 

Wir  erwähnten  S.  132  die  Rede,  welche  Graf  Scipio 
von  Arco  an  Papst  Pius  IV.  gehalten,  und  in  welcher  er, 
gedrängt  durch  die  päpstliche  Umgebung,  das  Zugeständnis 
aus  eigener  Bewegung  machte,  den  Ausdruck  obedientia 
mitaufzunehmen  in  die  Ergebenheitsbezeugungen  seines 
Herrn.  Damit  hatte  er  den  Kaiser  kompromittiert  und  be- 
kam dies  auch  von  demselben  nach  Gebühr  zu  hören. 

Die  Umstände  finden  bei  Sickel  (Aktenstücke  z.  Gesch. 
des  Conc.  Trid.  S.  38)  sich  verzeichnet  und  sind  die  folgen- 
den: Arco  erhielt  zunächst  eine  Instruktion.  Diese  und 
alle  übrigen  Aktenstücke  sind  gänzlich  verschwunden.  Dem 
Regensb.  Stadtarchiv  nun  gebürt  die  Ehre,  die  Rede  Arcos  be- 
wahrt zu  haben.  „Sie  haben  sich",  schreibt  Sickel,  „weder 
in  Wien  noch  in  Arco  erhalten  und  sind  mir  nur  aus  dem  In- 
dex negotiorum  pontificiorum  bekannt.  Ich  werde  auf  den- 
selben, um  Lücken  im  Material  anzudeuten,  auch  im  weiteren 
Verlauf  zu  verweisen  haben,  will  aber  gleich  anführen,  was 
der  Index  von  Schriftstücken  des  Januar  und  Februar  1560 
verzeichnet:  1.  Instructio  etc.  —  2.  und  3.  Binae  litterae 
com.  Archi  de  difficultate  exorta  circa  formam  orationis  ab 
eo  habendae  de  17.  Eebr.  60,  item  24.  Eebr,  anno  60.  — 
4.  Exemplum  orationis  D.  com.  Archi  —  5.  Litterae 
cardinalis  Moroni  ad  S.  C.  M*«-^  18.  Febr.  a.  60.  —  6.  Re- 
latio  comitis  Scipionis  de  Arco  apud  pontificem  gestorum. 
—  7.  Scriptura  quaedam  cui  titulus  inscribitur  hoc  modo: 
ex  registro  litterarum  D.  Nicolai  papae  III,  a.  1278,  pon- 
tificatus  sui  primo.  —  8.  Litterae  summi  pontificis  Pii  IV 
ad  S.  C.  M'«"^  de  27.  Febr.  a.  60.  —  9.  Litterae  cardina- 
lium  Moroni  et  Tridentini  ad  S.  C.  M*""*  de  ultima  mensis 
Febr.  a.  60."  —  —  Diese  Stücke  fehlten,  wie  gesagt, 
schon    im  XVI.    Jahrhundert,    und  sind    daher    die    Urteile 


-     448     - 

auseinandergehend,  besonders  darüber,  vonwem  die  Ur- 
gierung  der    Fortsetzung  des  Koncils  ausging. 
Wäre  jene  Instruktion  für  Arco  vorhanden,  würde  alles  klar- 
gelegt  sein.     Es  ist  also  ein  glücklicher  Umstand,  daß  wir 
wenfgatens  die  Rede  (No.  4),  welche  die  berüchtigte  Obedienz- 
leistung  des  Kaisers  enthält,  im  Reg.  Archiv  wiedergefunden 
haben.      Auf  S.    42  f.    bringt    Sickel    den    Empfang    Scipios 
durch    den  Papst  (17.  Febr.)  zur    Kenntnis,   und  zwar   aus 
einem  Aktenstück  des  Franz  von  Thurm  an  den  Kaiser  und 
ebenso    an  Maximilian.     Hier    wird    der  Hergang   in    Rom 
authentisch    erzählt,    wie  ihn  auch  Kaiser  Ferdinand  selbst 
1563  erzählt  hat.    Man  vergleiche  die  Depesche  vom  14.  Aug. 
1563  (bei  Sickel,  S.  580),  in  welcher  der  Kaiser  den  Scipio  von 
Arco  nochmals    gewaltig  tadelt,    daß  er  so  weit  über  seine 
Befugnis  hinausgegangen,    indem  er  das  Wort  Obedienz  in 
seiner  Rede  angewendet.     Der  Papst  sollte  damals  gewarnt 
werden,  nicht  bei  Maximilians  Krönung  eine  Neuerung  (d.  i. 
die  Forderung  der  Obedienzleistung)  zu  erzwingen,  die  nur 
zu  den  größten  Unannehmlichkeiten  bei  Maximilian  und  den 
Fürsten  des  Reiches  führen  würde. 

Die  Rede  Arco's  ist  folgende  i): 

Exultabat  vniuersa  fere  Europa,  Beatiss.  pater,  pace 
inter  Christianos  tot  fluctuantibus  iam  diu  bellis  sedatis 
composita  atque  firmata.  Cum  Dei  benignitate  accidit,  quod 
vnum  ad  huius  nostri  saeculi  foelicitatem  deesse  uidebatur, 
quod  San:'»*  tua  ad  summum  Sacerdotium  fuerit  euecta: 
Quo  nihil  salutarius  Christiana  Respublica  aut  optatius  Fer- 
dinandus  Caesar  Dnus  meus  clementiss.  expectare  potuit. 
Tum  enim  ex  literis,  quas  superioribus  mensibus  sacro  Cardi- 
nalium  coetui  scripsit,  tum  ex  his,  quae  praesens  Orator 
eius  Mtis  nomine  retulit  facile  San:'"'*  tua  potuit  intelligere, 
quantopere  optarit,  ut  in  Pontificis  Pauli  defuncti  locum 
Pontifex  sufPiceretur  in  cuius  integritate  ac  sapientia  Dei 
ecclesia  tandem  conquiescat,  et  iam  pacis  parta  quies  In- 
tegra ac  perpetua  seruaretur.  Nuncio  itaque  Caes.  M.*' 
allato,  S.  Tuam  ad  hanc  summam  dignitatem  peruenisse, 
magna  perfusus  laetitia,  me  ad  S.  T.  misit,  et  gratulationis 
Oratorem  et  reuerentiam  atque  o  b  e  dienti  am  2)  de  more 
Rom.  imperatorum    S.  Tuae  et  Apostolicae    sedi   se  demon- 

1)  E.  A.  Eccles.  No.  XXVI  Z.  1. 

2)  Mau  beachte  dieses    Wort  bereits  hier;   später  folgt  noch 
Ahnliches. 


—    449    - 

straturum  ac  praestiturum.  Gratulor  eius  nomine  igitur  tibi 
quod  Pontificatuin  fiieris  adeptus,  quem  San:"  tuae  sempi- 
ternae  laudi  futurum  exopto :  Gratulor  Apostolicae  sedi, 
quod  habeat  pastorem  integerrimum,  sapientem  ,  et  quod 
maxime  optandum  erat,  PIVM,  qui  cum  optima  intelligas, 
quid  praesentium  rerum    Status  atque  conditio,    quid    imbe- 

cillitas,    quid     religio     nra    perturbata  postulet,   quid   omnes 
boni  desiderent,  et  quo  pacto  nostrorum  temporum  succurratur 
erroribus,    qui    se    per  regna    hactenus   etiam  ab  omni    labe 
immunia  diifuderunt :  pro  certo  habet  Caesar,  quod  pia  ali- 
qua  reformatione  instituta   ut  coepisti,    sublatis  dissidiis  at- 
que   controuersiis,    quibus    Dei    Ecclesia    iam    diu    agitatur, 
restitues    pristinae    fidei    pristinam  tranquillitatem  et  decus. 
Quod    et  Caesar  pro  ea,    quae  sibi  incumbit  opitulandi  Rei- 
pub:   Christianae    cura  a    te  tantopere  expetit,    et  tua  te  in 
Deum   pietas  hortatur.     Quo  nihil    San:"  tuae  maiori    splen- 
dori   aut  gloriae  esse  possit.  (S.  2)  Floruit  Beatiss.  pater  Dei 
Ecclesia    semper  sub  PJJS.     Quoniam  PIVS  II,    ex   praede- 
cessoribus  tuis,  non  tarn  Dei  pientiss:  cultor,    quam  inclitae 
Domus   Austriacae  fautor  optimus  extitit,  neque  cum  fuisset 
apud    Fridericum    Caesarem    educatus    post    adeptum  ponti- 
ficatum,  unquam  veterem    suam  erga  Caesarem  propensionem 
deposuit.       Confidit    ergo    Caesar     San:**    Tua    bis     placidis 
temporibus  Pontificatum  moderante,  omnibus  iam  amotis  im- 
pedimentis    quae  te  deHectere  a  tam  honesto  desiderio  pot- 
erant  depositis    armis  iriter  maximos  reges,  paceque  connubio 
Stabilita,  te  autore  futurum,  ut  Christiani  principes    concor- 
dibus  animis  ac  coniunctis  Viidbus,  communis  ac  Christiani 
nominis  hostis  conalus  euertant,  quo  omnes  Caesaris  cogita- 
tiones    intendunt,    Quod    maxime    assiduis    Votis  Christiana 
gens    expetit,    quod    nobis    pariet   immortalitatem,    prospere 
enim  cessura   omnia   non   difFido,    quia  Dei  numine  ac  prae- 
sidio  protecti    tuti  erimus.     Notum    est  autem   S:"  Tuae    in- 
primis,    quautum    immineat    periculum    non    solum    Caesaris 
prouinciis,  sed  etiam  Yniuerso  Christian©  orbi,  qui  praesens 
interfuisti    cum    superioribus    annis  pro  PAVLO  III  in  ex- 
peditionem    contra    Turcas  venisses,  ex  quo  qui  dem  tempore 
Caesar  summam    in    te  prudentiam    cum  rerum  gerendarum 
dexteritate  coniunctam,    et    tuam  singularem  erga  Rempub.: 
Christianam  Voluntatem  propeusionemque  in  se  optime  cog- 
nouit,  ita  vt  persuasum  habeat,  S.*"""*  Tuam  non   tam  pietatis 
officio  minime  defuturam,  quam  eius  regna  atque  M:'*^™  suam 
paterna  benevolentia  ut  hactenus  fecisti  nun  quam  destituram. 

29 


-     450     — 

Vicissim  Caesar  San:*'  Tuae  et  Apostolicae  sedi,  vt  obe- 
d  i  e  n  s  Ecclesiae  filius  reuerentiam  atque  o  b  e  d  i  e  n  t  i  a  m 
exhibet,  et  nil  unquam  praetermittet,  quod  vel  ad  conser- 
vandam  Apostolicae  sedis  amplitudinem,  vel  ad  obseruantiam 
erga  S:*"™  Tuam  declarandam,  vel  ad  demonstrandam  in 
Christianos  charitatem  pertinere  cognoscet.  Et  cum  pluri- 
mum  M:*'  suae  per  maximas  curas  et  temporis  Opportunitäten! 
licuerit,  dabit  operam  ut  a  S : '®  Tua  et  Apostolica  sede  de 
more    Veterum  Caesarum  coronam  obtineat  atque  suscipiat. 

Haec  sunt  Caes.  M:''^  Dni  mei  Clementissimi  |  (S.  3) 
mandata.  Ego  vero  Deuna  Opt.  Max.  precabor,  ut  pro  sa- 
lute  Christianae  Reipub:  pro  templia ,  pro  aris  S.  T.  diu 
terris  incolumem  conservet,  Sis  fbelix,  sis  beatus,  stet  haec 
sancta  sedes,  et  veneretur  te  praesens  aetas,  innumeris  ad 
coelum  laudibus  efferat,  de  te  posteritas  loquatur,  et  nulla 
vnquam  Vetustas  obmutescat,  te  admiretur,  et  nobis  inuide- 
at.     DIXI. 

Außen:    ORATIO    Congratulatoria    Caes.    M.*'^    Romae 

coram  Summo  Pontifice  PIO  III  i)  ab  Illustri  Dno  comite 
Darcos  habita. 


II.  Urteil  Andreas  über  Flacius  ^). 

Aus  einem  Sendtschreiben  M.  Caspar  Melisandri,  An 
einen  guetten  freundt,  was  Doctor  Jacob  Andrea  vom 
Herrn  Ilirico  ^)  halte. 

Etliche  der  warheit  mißgünstige  beschweren  Herrn 
Illyricum  auff  allerley  weg  wie  sie  khunnen ,  damit  sy 
in  nur  bey  Ehrliebenden  verdechtig  machen  möchten,  Als 
sey  er  Inn  der  lehr  so  Irrig,  als  etwan  ein  schwermer 
sein  möge,  wie  E.  E.  dan  derselben  sonder  Zweiffl  wol  be- 
khandt  sein  werden.  Sonderlich  der  vntreue  Heß  ein  Doctor 
von  Straßburg  (?)  der  außgibt,  daz  auch  die  Wirtenbergischen 
Theologen  Illyricum  für  Irrig  vnd  khetzerisch  halten  solten, 
wie  er  dan  sich  hatt  hören  lassen,  Er  wisse  daz  Doctor 
Jacob  Smidle  ^)  runde  herauß  gesagt  vom  lUyrico :  Ey  lUy- 


1)  Soll  heißen :  PIO  IV. 

2)  R.  A.  Eccles.  No.  XXVI,  Z.  81. 

3)  Flacius. 

4)  Soviel  als  Schmidle=Schmied;  Andreas  Vater  war  ein 
Schmied,  und  so  erhielt  er  unter  seinen  Zeitgenossen  diesen  Bei- 
namen, der  ein  Omen  war.  Er  schmiedete  in  der  Zeit  mühsam 
genug  die  Konkordienformel ! ! 


—    451     — 

ricus  ist  der  ergeste  lötzkhopf  der  die  Kirchen  vnd  Regi- 
ment mit  seiner  schwermerey  Irrig  mache.  Aber  daz  solches 
Doctor  Jacob  meinung  vom  Illyrico  nicht  sey,  weiß  ich 
gewiß.  Dann  ich  mer  dan  einmall  mit  Ime  davon  geredt, 
vnd  allzeit  befunden,  daz  er  lUyricum  (inj  der  lehr  nicht 
vnrecht  geben  khunte,  dann  er  lehre  rein  vnd  woll,  solches 
habe  ich  auß  seinem  mundt  zum  oiftern  mall  gehört.  Neben 
dem  Allem,  Nach  dem  er  der  Herr  Doctor  Jacob  mich 
mehr  dann  einmall  gebeten,  Ich  solte  Illirici  Son,  der  letzt 
zu  Tübingen  allhie  bey  vnns  ist,  zu  Ihme  furhen,  hatt  er 
volgende  wortt  zu  dem  Jungen  Illyrico  gesagt,  Postquam 
nomen  es  eo  sciscitatus  erat:  Nun  (?J  tu  refers  nomen  tui 
parentis ,  fac  igitur  ut  etiam  illius  eximiam  eruditionem 
et  pietatem  tu  quoque  aliquando  referas.  Et  propter  tuum 
parentem  qui  licet  a  facie  mihi  cognitus  non  est,  satis 
tamen  omnibus  notus  est,  ex  suis  multivariis  scriptis,  tibi 
offero  mea  officia.  Tuus  parens  vir  est  eruditus,  pietate  et 
zelo  insignis  et  suis  laboribus  quos  hactenus  magna  cum 
constantia  pro  veritate  defendenda  sustinuit  de  Ecclesia 
optime  meritus,  vnd  daz  hatt  er  zwaymal  widerholt :  Est 
de  Ecclesia  suis  laboribus  optime  meritus.  Hierauß  kan 
man  Ja  sechen,  daz  gemelter  Heß  vnbillich  solches  von 
Doctor  Jacob  Außgibet,  oder  ists  war  waz  gemelter  Heß 
sagt,  so  muß  Doctor  Jacob  khalt  vnd  warm  im  Haffen 
haben,  daz  Ich  Jme  doch  vill  änderst  zuetrau.  So  hatt 
er  solchs  nicht  allein  zu  mir  merhmalls  gesagt,  Sonder 
auch  gleicher  meinung  mit  andern  dauon  geredt,  wie  mir 
woll  bewust,  Als  zu  Herr  Steffen  Consul  i)  vnnd  Herrn 
Hannß  Vngnadt  ^j  selbst,  der  in  fieissig  von  Illyrico  ge- 
fraget, deme  er  auch  gleicher  meinung  geandtwordtedt.  Er 
wisse  nichts  daz  Herr  Illyricus  fallsch  lerhe,  Er  halte  In 
für  einen  gelerten  reinen  lerher.  Was  aber  Etliche  seine 
priuat  Handl  anlanget,  da  hette  er  woll  etwaz  linder 
handln  mögen,  doch  neme  daz  der  lerhe  gar  nichts.  Solches 
schreibe    Ich    E.  E.    fursichtiger    lieber    Herr    der  vrsachen 


1)  Der  unter  den  Kroaten  thätige  evangeUsche  Prediger.  Auf 
8t.  Consul  und  seine  Mitarbeiter  ist  neuerdings  auch  die  neuer- 
weckte kroatische  Literatur  aufmerksam  geworden.  In  Agram  be- 
steht eine  besonders  von  Bischof  Stroßmayer  unterstützte  Akademie. 
Ein  gewisser  Nacinovic  hat  in  Fiume  ein  Leben  des  Flacius  italienisch 
geschriei3en,  das  in  Rom  gedruckt  erschienen  ist. 

2)  ü.  hat  die  Druckerei  in  Urach  errichtet,  wo  in  ahkroatischcr, 
glagolitischer  Schrift  von  Stephan  für  die  Kroaten  gedruckt  wurde. 

29* 


—    452     - 

damit  was  mer  dergleichen  vnwarheyten  von  vnsern  Theo- 
loo-en  euch  furkhemen  Ir  Inen  solches  für  die  nasen  halten 
khünnt,  vnd  waz  Ich  hie  von  Doctor  Jacob  schreibe,  daz 
weiß  gott  daz  ich  nichts  erdichte.  Ir  vnnd  andere  frome 
Christen  sollet  euch  nicht  von  der  warheit  lassen  ab- 
wenden. Es  ist  vnns  vmb  lUyrici  person  nicht  zuthuen 
er  gehet  vnns  wenig  an,  Allein  waz  ein  Christ  dem  andern 
zu  ratten  die  warheit  schuldig.  Sein  lehr  wider  die  ver- 
felscher    wollen    wir   verteidigen    souil  miglich,    Gott    helffe 

vnns  darzue  Amen. 

Datum,  Tübingen  ^). 


III.    Brief  Waldners  an  Gallus  aus  Nürnberg 
vom  7.  Januar  1557  ^). 

Gottes  genad  in  Christo  Jesu  vnd  mein  stetigs  gebet 
zu  Got  für  E.  E.  zuuor.  Erwirdiger  christlicher  vnd  Acht- 
barer Herr,  das  ich  bisher  lang  nichts  an  E.  E.  geschriben 
hab,  ist  aus  keiner  andern  vrsach  geschehen^  denn  das  ich 
nicht  sondere  vrsachen  darzu  gehabt  hab,  die  do  werd 
gewesen  weren,  E.  E.  in  höhern  vnd  nötigern  geschefften 
zuuerhindern.  Damit  ich  aber  E.  E.  auch  ein  wenig 
schreibe  de  statu  nostrarum  ecclesiarum,  so  sind  wir  auf 
der  Cantzel  der  lehr  in  genere  also  eins  oder  souerr,  das 
keiner  keinen  Irtumb  öffentlich  billichet,  vnd  ein  iedlicher 
das  Euangelium  rein  zupredigen  vermeinet,  also  daß  die 
lehr  an  ir  selbs  die  vnser  iedlicher  führet,  vileicht  vn- 
tadelich  sein  mag,  wie  aber  die  Büß  vnd  Confessio  selbs  in 
specie  geprediget  werde,  vnd  bede  die  sunde  vnd  die  Irtumb 
deutlich  vnd  Clerlich  angezeiget  werden,  da  mag  es  sich 
vileicht  zwischen  vns  scheiden ,  das  ein  teil  vber  den 
andern  klaget;  wir  sagen  vnd  ist  war.  Jener  teil  thu  im 
zu  wenig,  mit  dem  verschweigen,  das  ist,  nichts  böß  noch 
vnrechts  sagen,  aber  es  heisst  doch  nicht  recht  geprediget, 
weil  sie  öffentlichen  irtumb  in  der  Kirchen  nicht  Nennen 
noch  darwider  reden  wollen.  So  beschuldigen  sie  vns  wir 
sind  zu  hefftig,  wollens  dem  Luther  nachthun,  vnd  sind 
doch  der  Man  nicht  darnach,  aber  solche  altercationes 
haben    wir    allein    zwischen    vns  priuatim,    vnd  haben  noch 


1)  Etwa  1561  oder  1562. 

2)  R.  A.  Eccles.  XXVI,  Z.  49.     Vgl.  oben  S.  207  f. 


—     453     — 

bisher    auf  beiden    teilen    verhütet    das    es    nicht   vnter  die 
gemein    Jiome,    zumal  weil  wir  auf  beiden  teilen  verhofften, 
es  solt  zwischen  den  Confessoris  ^)  vnd  Adiaphoristen  christ- 
liche einigkeit  volgen.     Den  M.  Mauricium  2j  hab  ich  selber 
angesprochen    von    wegen    das    er   bede   den    Maiorismum  ^) 
vnd   Adiaphorismum    sol  billichen,  welches  er  stattlich  ver- 
neinet   hat,    doch  souerrn  das  er  mit  dem  D.  Illyrico  nicht 
allerding    zufriden    sey,    auch    nicht    mit    Erasmo    Sarcerio. 
Eins    teils    sagt    er,    das    sie    in    mit    gewalt    hinein    haben 
wollen    ziehen    wider    den    Maiorem    (welches    sein    guter 
Freund    sey)    vnd   er  sey  nicht  allein  priuatus  sonder  auch 
deß    Handls    allerding    vnbewusst    gewest,    dieweil    er   aber 
sehe    das    es    die    kirchen    offendir    wolle  er  mit  diser  pro- 
position    nichts    zu    thun  haben,    er  wolle  sie  nicht  furdern 
(fördern)   so  wolle  er  auch  niemand  wehren  die  es  hindern 
oder  darwider  sein,    in   summa  er  wolle  nichts  mit  zu  thun 
haben.      Also    mit    den    Adiaphoris    sagt    er    auch    hab    er 
nichts     zuthun     gehabt ,     wolle     sich     auch     noch    in    disen 
Zanck    nicht    legen,    zumal    weil   die  Adiaphora,  aus  vnsern 
Kirchen    alhie  zu  Nürnberg,  öffentlich  widerumb  ausgethan 
vnd  durch  einen   erbarn  rhatt  abgeschaflfet  sein,  wie  gleich- 
wol  dasselbig  war  ist.     Aber  darumb   er  nicht  entschuldiget 
ist,  das  er  derselben  nicht  gedenken  wil.  Saget  auch  weiter 
er    wolle    vnser    keinem  wehi^en,   die  wir  von  anfang  wider 
die    Adiaphora    gestritten ,     das    wir    nicht    noch    darwider 
streitten    sollen,    dann    mit    vns    vnd    im    als    einem    iungen 
prediger*)   hab   es   ein  vnterschied.     Mit  Herrn  Illyrico  sey 
er    drunib    zu  vnfriden,  nicht  deßhalben   das  er  vnd  andere 
wider    die    Adiaphora    geschriben,     so    doch    dasselbig    an- 
fenglich    hoch    von    nöten    war,    sonder    darumb,    das    er 
philippi    person    angegriffen    vnd    das    er    vil    absurda,    vn- 
gereimbt     vnd    vnbeweisliche    Ding    wider    Philippum    vnd 
andere    Wittebergenses    geschriben    vnd    ire    wort    sinistre 


1)  d.  i.  den  strengen  Nachfolgern  Luthers. 

2)  M.  Mauritius  Hehng,  geb.  1522  zu  Friedland  in  Preußen, 
studierte  1543  unter  Luther  und  Melanchthon  in  Wittenberg. 

3)  Man  betrachtete  ihn  in  Nürnberg  nicht  ohne  Mißtrauen,  da 
er  schon  früher,  als  öchulrektor  in  Eisleben,  in  die  majoristischen 
Streitigkeiten  verwickelt,  deshalb  von  dort  vertrieben  und  seitdem 
in  Wittenberg  gewesen,  wo  sein  Lehrer  Melanchthon  sich  seiner 
angenommen.  Dem  Ansehen  Melanchthons  dankte  er  seinen  Einfluß 
(s.  Zeltner,  Vita  Helingii,  p.  17  ss.). 

4)  Heling  war  erst  seit  kurzem,  etwa  seit  1555,  in  Nürn- 
berg als  Prediger  angestellt. 


—     454     — 

gedeuttet  vnd  ausgeleget  hab,  was  er  aber  sonst  bey  der 
kircben  gutes  gethan  hab ,  als  wider  das  Interim ,  An- 
fenglicb,  wider  die  Adiaphora,  wider  den  Stenckfeld  i)  vnd 
Osiandrum,  dafür  sag  er  im  auch  Danck,  das  könne  er  aber 
nicht  loben,  das  er  Philippum  einen  so  wol  verdienten 
Man  bey  der  kirchen  an  seiner  person  angegriffen  vnd 
vil  Calumnia  vnd  Conuitia  wider  in  ausgeben  hab,  Was  es 
aber  für  Conuitia  sein  sollen,  hab  ich  weder  von  im  noch 
andern  mit  denen  ich  zu  Har  gelegen  ^),  erfahren  mugen. 
Lieber  got,  die  guten  leut  wissen  nicht,  wo  sie  daheim 
sein,  noch  was  das  Euangelium  ist,  wollen  iedermans  freund 
sein,  simulirn  alle  Ding,  geben  gute  wort  sie  wollen  mit 
vns  gleich  lernen  ^') ,  vnd  ist  doch  gewislich  anders  in 
irem  Hertzen ,  wo  sie  rechte  gelegenheit  finden  wurden 
sol  mans  mit  schaden  wol  erfahren.  Wir  ligen  inen,  wie 
vnmundig  wir  auch  sein,  stetige  auf  dem  Dach,  er  Mau- 
ricius  wolte  neulich  de  libero  arbitrio  reden,  aber  der  Man 
ist  im  warlich  zu  schwach,  do  er  aber  vnter  andern  saget 
Dens  volentem  trahit  ^j,  haben  wir  M.  Besoldum  ^)  an  in 
geschickt,  dem  hat  er  geantwortet,  er  hab  gemeint  es  sey 
eben  recht  vnd  bey  vns  kein  stritte  de  libero  arbitrio,  so 
er  aber  verneme  das  es  wider  vns  sein  solle  vnd  die 
kirchen  oö"endirn  wolle  er  wol  daruon  still  schweigen,  in 
summa  er  sucht  freund  vnd  frid. 

D.  Rotingus '')  ist  also  sein  adversarius^  das  er  sich 
hart  vor  im  furcht,  meidet  ehe  Zeit  vnd  ort  das  er  nur 
nicht    umb    den    Rotingum    sey,    denn    er    schweiget   nicht, 


1)  Schwenkfeld. 

2)  d.  i.  darüber  gestritten. 

3)  Soviel  wie  lehren. 

4)  d.  h.  Gott  ziehet  den  Wollenden. 

5)  Hieronymus  Besold  (s.  o.  S.  209)  hielt  dem  Heling  bis  zu 
seinem  Tode  1562  die  Wage  und  tadelte  ihn  auch  wohl  später  wegen 
seiner  Ausdrücke  im  Punkte  der  Abendmahlslehre,  v.  Zeltner,  Vita, 
p.  85  SS.  Nach  1562  trat  Heling  ganz  als  Philippist  hervor,  aber 
immer  mit  Vorsicht.  Nach  dem  Tode  ßaumgärtners  1566  entledigte 
sich  Heling  seiner  theologischen  Gegner,  unter  anderen  des  Besler,  und 
führte  ein  aus  philippistischen  und  lutherischen  Schriften  gemischtes 
Corpus  doctrinae  ein,  dem  die  Majorität  des  geistlichen  Ministeriums 
zufiel. 

6)  Dr.  Michael  Rotingius,  geb.  1494  zu  Sülzfeld  in  Franken, 
war  längere  Zeit  in  Wittenberg  Melanchthons  Tischgenosse;  er  kam 
1526  mit  Camerarius  nach  Nürnberg,  woselbst  er  am  Aegidianum 
lehrte.  Er  überlebte  alle  seine  Zeitgenossen  und  starb  am  20.  Mai 
1588,  94  Jahre  alt. 


—     455    — 

vnd  weil  er  ein  alter  Theologus  ist,  hat  er  auch  die  Au- 
thoritatem  darzu,  da  wir  sonsten  verachtet  wurden.  Neulich 
hat  sich  der  Haudl  zugetragen,  das  Rotingus  vnd  der 
Praeceptor  im  spital  (Josias  Menius,  welchen  Philippus 
vnd  Camerarius  alhie  her  geschikt)  zu  vnfriden  worden 
sein ,  darumb  das  der  Praeceptor  ein  Neue  Weise  die 
knaben  zu  instituiren  hat  furgenomen,  nicht  allein  wider 
die  vorige  alte  weise,  sonder  hat  auch  dieselb  also  gestrafi't 
als  haben  die  vorigen  Praeceptores  die  Jugent  schendlich 
verführet,  darüber  ist  der  Handl  an  Philippum  durch 
Josiam  schrifftlich  gelanget,  aber  Philippus  wie  sein  weis 
ist,  hat  nichts  richtigs.  geantwortet,  vnd  gleichwol  hat  Josias 
die  Antwort  auf  sich  gezogen,  als  aber  Rotingus  dises 
Handls  mit  Mauritio  zu  rede  worden,  in  einer  gastung 
darbey  M.  Besoldus  vnd  ich  gewest,  vnd  Mauritius  Phi- 
lippum stets  entschuldigen  wolt,  feret  Rotingus  fluchs 
heraus,  Philippus  der  hab  Schelmisch  gehandlet,  da  war 
Zeit  das  man  denselben  abend  frid  machet,  weil  aber  eben 
denselben  tag  Camerarius  vnd  Peucerus  alhie  waren  '■),  ist 
dise  rede  an  sie  gelanget  den  andern  tag,  alsbald  vnd 
nachfolgend  in  dem  gantzen  Wittenberg  erschollen  das  sie 
Ceder  Mordio  vber  Rotingum  schreien.  Was  daraus  werden 
wil,  wais  ich  nicht,  in  summa  Rotingus  ist  auf  Philippum 
sonderlich  hefftig  entzündet,  vnd  zeiget  deß  auch  wichtige 
vrsachen  an.  Erstlich  das  er  die  Confessionem  verloren 
oder  daruon  gewichen  sey  vnd  andere  auch  zum  Fall  ge- 
bracht hab,  Zum  andern  das  er  falsche  Definitiones  in  der 
Theologie  herfur  bringe,  die  nicht  Prophetisch  noch  Evan- 
gelisch sein,  vnd  also  die  Jungen  leut  verführe.  Zum 
dritten  das  er  mit  Heucheley  widerumb  sich  zu  der  Con- 
fessionem mache,  vnd  da  er  doch  dieselb  verleugnet  vnd 
eine  andere  gemacht  hab  [darinn  er  den  Cinglianismum  ^) 
noch  Osiandrismum  auch  andere  Irthuml)  nicht  straffe, 
setze  auch  den  sprach  Pauli  betriglich  also  Nulla  condem- 
natio  est  iis,  qui  in  Christo  Jesu  Ambulant,  mit  disem  am- 
bulare  hab  er  solam  fidem  weggestossen  vnd  die  necessitatem 
operum  approbiret]  nenne  er  sie  nu  Repetitionem  Confessionis 
Augustanae  ^).     Auch    haben    wir   allererst  hie  erhalten   das 

1)  Wohl  auf  der  Keise  zum  Regensburger  Eeichstag,  s.  Preger 
II,  63. 

2)  Zwinglianisraus. 

3)  Gemeint  ist  die  Confessio  Saxonica  v.  J.  1551 ;  Abschnitt  V, 
De  nova  obedientia.     Dieses  Bekenntniß  ist   für  das  Tridentinische 


—     456    — 

philippus  das  wortlin  substantialiter  hineingesetzt  hat  in 
den  Articulum  de  coena  domini  vnd  das  hat  M.  Besoldus 
zuweg  bracht  1).  Ferner  hat  Rotingus  seinem  Son  gehn 
Wittenberg  geschriben,  er  sol  dencken,  das  er  die  Neu 
Theologiam  zufriden  lasse,  denn  es  sey  ein  lautere  Heuchley 
vnd  philosophia,  er  sol  sich  an  das  Evangelium  halten  wie 
es  Lutherus  prediget  hab,  vnd  nicht  wie  es  itzt  die  Witte- 
bergenses  vnd  Lipsieuses  deprauiren,  er  sol  sich  auch  nicht 
verführen  lassen  das  sie  also  wider  lUyricum  vnd  Gallum 
vnd  Ambstorffium  (welchen  er  vber  die  massen  hoch  halt) 
lestern,  denn  es  sey  nicht  vmb  Illyricum  Gallum  vnd  Amb- 
storffium,  sonder  vmb  das  Euangelium  zu  thun  das  Lutherus 
geprediget  hab,  vnd  diese  noch  fuhren  und  bekennen,  das 
wollen  sie  die  Adiaphoristen  vnd  Maioristen  gern  zu 
Schanden  machen  vnd  widerumb  verdunckeln.  Das  Letzte 
ist  (wiewol  er  andere  vrsachen  mer  hat)  das  Philippus 
wider  den  Maiorismum  sein  wil,  vnd  leide  doch  den  Maio- 
rem  als  einen  Professorem ,  halt  in  auch  zu  keinem 
widerruff,  damit  er  entweder  dem  Maior  heuchle,  oder 
halte  es  in  seinem  Hertzen  mit  im.  Schleust  auch  letzlich, 
das  aus  gemelten  vrsachen  zuuermuten  sey,  daß  weder 
Philippus  noch  seine  verwandte  den  Bapst  für  den  rechten 
Antichrist  halten,  sonder  es  sey  vmb  etliche  Mißpreuch 
zuthun.  Item  Osiandrum  halten  sie  für  keinen  Ketzer, 
weil  sie  von  im  sagen  durffen,  wo  er  gelebet  hett,  wurd 
er    sich    besser   erkleret  haben,    vnd  das  weise  auch  aus  ir 


Concil  verfaßt  (s.  C.  R.  28,  369—461)  und  fand  Aufnahme  im  Corp. 
Doctr.  Misnicum  und  Friedrichs  des  Fr.  Beifall.  Die  Reformierten 
haben  in  der  durch  iSalnar  im  Namen  der  französischen  und  belgischen 
Gemeinden  (Beza,  Danaeus)  verfaßten  Harmonia  Conf.  fidei  (Genf 
1581)  im  Anhang  gegen  den  hier  vertretenen  Synergismus  und 
Wiederabfall  der  Wiedergebornen  Stellung  genommen  und  so  auch 
gegen  die  necessitas  bou.  operum  in  der  Cent.  Wirtembergeusis  und 
andre  Abweichungen  der  Augustana  v.  J.  1540,  wie  nicht  minder 
der  Conf.  Bohemica.  Laut  dieser  offiziellen  Äußerung  stehen  also 
die  Reformierten  den  Flacianern  nicht  so  fremd  gegenüber,  wie 
man  nach  ihrer  sonstigen  Teilnahmlosigkeit  glauben  sollte.  Ebrard 
strich  in  der  neuen  Ausgabe  der  Harmonia  den  Anhang!! 

1)  Die  Nürnberger  haben  nach  dieser  Notiz  Waldners  es  bei 
Melanchthon  durchgesetzt,  daß  er  im  Artikel  vom  Abendmahle  das 
Wörtlein  substantialiter  nicht  auslasse  (vgl.  darüber  Loofs  Dogmen- 
geschichte S.  287  und  Preger  II,  S.  71).  Waldner  schreibt  das  Ver- 
dienst daran  dem  M.  Besold  zu,  dem  alten  Freunde  Melanchthons. 
In  der  Apologie  157  sprach  er  sich  einst  römisch-katholisch  aus; 
später  so,  daß  die  Reformierten  ihre  Ansicht  in  seinen  Formeln 
wiederfinden  konnten.    (Vgl.  Kluckhohn  Briefe  I,  156.) 


—    457     — 

Amnistia.  Wie  nu  D.  Rotingus  zu  Wittenberg  vnd  bey 
den  vnsern  Philippianis  gehalten  wird,  haben  E.  E.  leicht 
zuuernemen,  nenilich  das  er  ein  Morosus  vnd  zanckischer 
Senex  sey,  so  hie  cum  bona  quiescentia  latitat  in  tugu- 
riolo  et  fungitur  suo  officio  ij,  vnd  was  Camerarius  von 
im  ausgeben  hat,  ist  eben  so  war,  als  das  Camerarius  ein 
frummer  Christ  ist.  Dise  gelegenheit  mit  vnserer  kirchen 
vnd  vnsren  Theologis  hab  ich  E.  E.  nach  der  leng  müssen 
erzelen,  auf  das  wo  daruon  geredet  wurd,  das  E.  E.  einen 
gewissen  bericht  hetten. 

Die  Refutationen!  Missae  ^)  hab  ich  lengst  dem  Herrn 
Heintzelio  ^}  auf  Augspurg  geschickt,  der  hat  mir  selbs 
geschriben,  das  er  daran  sein  wil,  das  sie  aufs  beldest 
gedrucket  werde,  hab  im  auch  heut  di.  en  tag  widerumb 
geschriben.  Das  scriptum  D.  Westphali  de  re  Sacramen- 
taria^)  hat  Montanus  dem  Herrn  Baumgartnero  gewisen 
vnd  angezeiget  seinen  Inhalt,  hat  der  Herr  geantwortet, 
er  trug  sorg  man  wurde  Philippe  keinen  Dienst  mit  thun^), 
als  er  im  aber  sagt  M.  Besoldus  hab  es  gelesen,  vnd  laß 
ims  gefallen,  hat  er  alsbald  gesagt  Man  sols  drucken,  denn 
er  wusste  wol  das  M.  Hieronimus  nichts  wider  Philippus 
that,  also  sagt  montanus  er  woll  es  bald  drucken.  Gleich- 
wol  hat  mir  dises  scriptum  meinen  argwon  noch  nicht 
entnommen,  vnd  pleibtt  Philippus  gleichwol  im  verdacht 
wo  er  sich  nicht  selbs  erkleret.  Für  die  geschikten  buch- 
len  vnd  brief  sag  ich  E.  E.  fieissigen  Danck,  bitt  wollet 
vns  ferner  mitteilen  was  sich  zu  wissen  zimet  zwischen 
E.  E.  vnd  philippus. 

Datum  Nürnberg  den   7  Januarij  im   1557  iar 

E.  E.  williger 

Wolfgangus  Waldner. 


1)  d.  h.  er  sei  ein  mürrischer  Greis,  der  in  guter  Euhe  in 
seiner  Hütte  sich  verborgen  halte  und  seines  Amtes  walte  (nämlich 
über  alles  klage). 

2)  Eine  Schrift  des  Gallus. 

3)  Ratsherr  von  großem  Einfluß,  mit  dem  auch  Chyträus  öfter 
korrespondierte;  vgl.  Epj).  fe.  173,  330,  509. 

4)  Nämlich  die  von  Waldner  verfertigte  deutsche  Übersetzung; 
vgl.  oben  S.  208. 

5)  Daß  Melanchthon  dem  Westphal  nicht  antwortete,  mißfiel 
fiel  auch  Calvin  (Opp.  15,  268)  und  war  wohl  ein  Fehler;  dadurch 
empfing  der  alte  Streit  neue  Nahrung. 


—    458    - 

Man  sagt  D.  Illyricus  laß  itzt  das  scriptum  Rotingi 
de  libero  arbitrio  trucken  mit  einer  harten  praefation  wider 
pliilippus:  wollet  vns  lassen  wissen  wie  im  sey. 

Was  ich  hie  schreibe  sol  noch  der  Zeit  E.  E.  allein 
geschriben  sein,  zu  gelegener  Zeit  wil  ich  dem  Herrn 
Illyrico  des  Mauritius  halben  selber  schreiben.  In  deß 
zerreist  disen  brief. 

Adresse:  Dem  Erwirdigen  Achtbaren  vnd  wolgelerten 
Herrn  M.  Nicoiao  Gallo  der  Kirchen  Christi  getreuem 
Bischof  zu  Regenspurg. " 

Als  Bestätigung  der  im  Briefe  Waldners  gegebenen 
Darstellung  der  kirchlichen  Verhältnisse  in  Nürnberg  dient 
uns  das  im  Codex  der  Wiener  Hofbibliothek  8314,  Fol. 
125 — 127  vorhandene  Schreiben  des  Nürnberger  Stadtrats 
an  die  Deputierten  in  Osterreich,  in  welchem  der  Rat  eine 
Anfrage  wegen  des  zum  Superintendenten  vorgeschlagenen 
M.  Besler  —  vormals  in  Nürnberg  Pfarrer  und  Superin- 
tendent —  beantwortete.  Selbige  Zuschrift  rief  über  Auf- 
forderung der  Verordneten  eine  Gegenäußerung  Beslers 
hervor  ^). 

Die  vom  23.  Dezember  1575  datierte  Schrift  des  Rates 
an  die  Deputierten  konstatiert  zunächst,  daß  Besler  seit 
1547-  1569  in  ihrem  Dienst  gestanden  und  tadellos  gewirkt. 
Als  aber  vor  etlichen  Jahren  der  flacianische  Streit  ausbrach 
—  Flacianer  nämlich  nannten  sie  die  die  philippistischen 
Kollegen  bekämpfenden  Prediger  —  hätten  sie  zuerst  auf 
gütlichem  Wege,  dann  mit  Strenge  jenen  Streit  abzustellen 
getrachtet.  „Weil  nun  Besler  sich  dieser  Elacianischen 
Spaltungen  auf  dem  Predigtstuhl  und  sonsten  auch  ange- 
nommen und  über  ihre  väterliche,  wolmeinende  Warnung 
und  Abhaltung  derselben  zuviel  nachgehengt  und  ihm  solche 
Unruhe  vielmehr  denn  die  christliche  Einigkeit  und  Wol- 
stand  der  Kirchen  erwählt  und  belieben  lassen",  so  habe 
man  ihn  auf  sein  Ersuchen  und  auch  seines  Alters  wegen 
seines  Amtes  und  der  Superintendentur  enthoben  mit  Er- 
teilung einer  jährlichen  Gnadengabe,  falls  er  sich  ruhig  ver- 
halte. Ob  ersieh  aber  „an  dem  jetzigen  ärgerlichen  Streit 
de  substantia  et  accidente  peccati  originis"  beteiligt  habe 
oder  nicht,  könnten  sie,  da  derselbe  erst  nach  seiner  Sus- 
pendierung   vom    Amte    ausgebrochen    sei,    nicht     angeben. 


1)  Cod.  Fol.  127—128.     Vgl.  auch  oben  S.  87. 


—     459     - 

"Wegen  seiner  Berufung  können  sie  auch  nicht  ratweise  an- 
zeigen, ob  er  zum  Superintendentenamt  in  Osterreich  taug- 
lich sei,  oder  nicht,  weil  er  bei  ihnen  keine  Stelle  mehr 
bekleide. 

Dieses  sehr  parteiische  Schreiben  wurde  von  Besier 
alsbald  beantwortet  i),  Januar  1576.  fDas  Wesentliche 
findet  man  schon  oben  S.  87  und  Cod.  Fol.   127  —  128). 

Danach  hat  dieser  alte,  unbescholtene  Mann  pflicht- 
mäßig seine  Zuhörer  um  die  Zeit  des  Interims  vor  dessen 
Korruptelen  gewarnt.  Nachdem  das  Interim  rückgängig  ge- 
macht worden,  hätten  auch  in  Nürnberg  viele  „einen  schlech- 
ten Widerruf  gethan  und  dazu  noch  Recht  haben  wollen;" 
ja,  es  seien  alle,  die  dem  Interim  und  dessen  Korruptelen 
weiter  widersprochen,  als  die  ärgsten  K(  tzer  und  Flacianer 
verfolgt  worden.  Dem  habe  auch  er,  obwohl  nur  schwach 
und  furchtsam  genug,  sich  widersetzt,  und  daher  sei  die 
Feindschaft  wider  ihn  gekommen  ^).  Die  Sache  war,  daß 
Heling,  als  er  zur  Macht  gekommen,  durch  seine  Freunde 
im  Rat  es  dahin  brachte,  daß  Besier,  sein  schlimmster 
Gegner,  entlassen  wurde,  und  bald  darauf  auch  Johann 
Kaufmann  suspendiert  ward,  der  mit  Besier  übereinstimmte. 
So  wußte  sich  Heling  die  Bahn  frei  zu  machen  zur  Ein- 
führung des  Corpus  doctrinae  Misnicum  ^i. 

Nach  dieser  Ausführung  erklärt  Besier  (Fol.  128) 
schließlich :  Bezüglich  der  Lehre  von  der  Erbsünde  stehe 
er  auf  dem  Standpuuke  der  Formula  concordiae,  welche  er 
bei  seiner  Berufung  nach  Wien  (1574)  unterschrieben  habe. 
Er  bekam  übrigens  die  Stelle  nicht,  da  es  unmöglich  war, 
ihn  beim  Kaiser  durchzusetzen. 

Die  Deputierten  waren  mit  jener  Rechtfertigung  Bes- 
lers  zufrieden  und  traten  im  Landtage  energisch  gegen  die 
Anwürfe  wegen  der  Teilnahme  am  flacianischen  Streit  auf. 
Dieser  Vorwurf,  so  äußern  sie  sich,  habe  wohl  in  jetziger 
Zeit  bei  der  Welt  einen  großen  Schein,  aber  bei  verständigen 
Christen  und  ehrbaren  Leuten  nicht  also,  und  würde  vor 
einem  weltlichen  Gericht  schwerlich  angenommen  werden. 
Denn  .,mit  sonderer  List"  sei  es  in  dem  Nürnberger  Schreiben 
verschwiegen,  daß  Besier  wider  das  Interim  und  interimistische 


1)  S.  Bericht  der  Deputierten  v.  2.  Feh.  157G.    Cod.  Fol.  134  f. 

2)  In  Nürnberg  wurde  erst  1560  und  Gl  zur  gänzlichen  Ab- 
stellung der  seit  dem  Interim  üblichen  papistischen  Gebräuche  ge- 
schritten. 

3)  Vgl.  Johannsen,  Die  Anfänge  des  Symbolzwanges  etc.  S.  3()3. 


—     460     — 

Irrtümei-  gepredigt  habe.  Es  sei  aber  „reichs-  und  land- 
kundig",  daß  der  Kat  von  Nürnberg  sich  dem  verderblichen 
Interim  '  angeschlossen  habe ,  wodurch  sich  verschiedene 
„Coruptelen  und  Irrtümer"  eingenistet,  gegen  welche  neben 
Flacius,  Amsdorf,  Gallus,  den  sächsischen  Städten  etc.  auch 
Besler  '  der  ein  Schüler  Luthers  und  von  diesem  auch  ordi- 
niert sei,  aufgetreten  und  „in  seiner  Kirchen  das  seine  auch 
gethan,  wiewol  fast  eher  zu  wenig  als  zu  viel".  Die  Be- 
schuldigungen des  Nürnberger  Stadtrats  werden  „lieder- 
liche" genannt,  und  die  Deputierten  wollen  sich  solcher 
Sünde  nicht  teilhaft  machen,  womit  ja  auch  Opitz  und 
Cölestin  getroffen  werden  würden,  und  sie  stellen  schließ- 
lich die  Niederlegung  ihres  Amtes,  das  sie  solange  innegehabt, 
in  Ausicht,  falls  die  Stände  ihr  jetziges  Verfahren  des- 
avouieren würden  [Cod.  Fol.  141  u.  1421].  Die  Stände 
gaben  nach,  und  so  kam  es  dahin,  daß  man  in  Österreich 
sich  in  dieser  Sache  nicht  fremder  Sünden  teilhaftig  machte. 


Zu  S.  270. 
IV.    M.  Moseder  über  die  Exkommunikation. 

Über  die  Exkommunikation  schreibt  M.  Moseder  an 
Gallus  aus  Azbach  (N.-Ö.)  4.  Mai  1567:  „Unerachtet  das 
nichts  sonders  zu  schreiben  vor  ist,  allain  khan  ich  den 
Herrn  nit  verhalten  vnd  treulich  zu  klagen  nit  unterlassen, 
das  nachdem  ich  zu  Steuerung  des  Übels  vnd  abscheuchung 
der  manigfaltig  in  schwang  lauffeten  lästern,  die  gepürlich 
excommunicatio,  daß  die  öffentlichen  sünder  in  öffentliche 
pueß  gestellt  vnd  alsdann  durch  öffentliche  absolution  re- 
soluirt  vnd  der  gemein  gottes  widerum  eingeleibt  vnd  sub- 
iungirt  werden  sollen.  In  meinen  gemainen  angericht  vnd 
nach  anleittung  gelerter  mäner  als  Ciriacij  spangenbergii 
vnd  anderer  mer  gottseliger  mainung  nach  erhaltenem  und 
eine  Zeitlang  schon  in  angerichten  geprauch  geübt,  so 
finden  sich  etlich  obrigkhait,  welche  ihre 
vnderthanen  In  lästern  fürdern  und  zu  vor 
solch  gottselig  nottwendig  khirchdisciplin 
schützen  vnd  dawider  mit  gewalt  zu  streben 
verhelffen,  darauß  dan  nit  allain  allerlay  handel,  Sünden 
je  mer  vnd  mer  waxen,  sondern  andre  zu  Verachtung  des 
christlich  banns  vnd  widerstrebung  angerichter  khirchen- 
übung  geraizt  und  excitiert  werden." 


—    461     — 

Lupulus  klagt  über  Nie.  Salm,  Reuter  im  allgemeinen 
über  die  gleichen  Übelstände.  Gleichwol  wurde,  wie  unsre 
Akten  zeigen,  in  Osterreich  nach  dem  Beispiel  des  Gallus 
und   Waldner  an  vielen  Orten  die  Zucht  streng  geübt. 

Zu  S.  291. 

V.    Gallus    an    Reuter    über    den    bei    den     A.gende-Ver- 
handlungen  einzunehmenden  Standpunkt  ^j. 

Gottes  gnad ,  Geist  vnnd  khrafft  inn  Christo  beuhor. 
sambt  meinem  Vatter  vnnser,  Ehrwirdiger  geliebter  Herr 
vnd  Brueder ,  Ewer  2  schreiben,  deren  datum  21  vnnd 
26.  Oktob.  hab  ich  gestern  4  dieses  neben  bei  verwarten 
2  andern  schrifFten  wol  empfangen.  Danckhe  Gott  nach  ge- 
legenheit,  welcher  euch  sambt  den  Andern  Herren  dieses 
teils  vor  andern  zu  denen  Hendeln  verordnet,  souil  er- 
khanntnis  geben  hat,  die  Sachen  zu  vrtheilen,  vnd  freidig- 
keit  des  Geists  die  warheit  zu  bezeugen,  dargegen  last  euch 
nicht  irren  ander  leut  rede,  sonder  tröst  euch  vilmehr,  das 
ir  nicht  von  euch  selb,  sonder  durch  ordentlichen  beruff  dar- 
zu  khumpt,  euch  nicht  auff  geschickhlichkheit  vnd  grosse 
khunst,  nur  auff  Gott  vnd  sein  wortt  verlast,  vnnd  darfF 
hie  nicht  ander  khunst,  dann  nur  der  warheit  Zeugnis  geben, 
vnd  darbei  beharret,  Gottes  wortt  ist  an  ihm  selb  khrefftig 
zu  thun  vnd  außzurichten  was  es  sol.  Allein  setzt  die  sache 
auff  den  rechten  grundt  Göttlichs  wortts,  das  ir  den  khönnet 
ein  wenig  anzeigen,  dürfft  gar  nicht  disputirn.  Alß  nemlich 
weil  ir  eben  die  vorige  oder  gleiche  Handlung  mit  dem 
Adiaphorismo  für  euch  habt,  da  man  auch  die  Lehre  der 
Augsp.  Conf.  frei  geben  wollte,  allein  mit  adiaphoris  ein 
enderung  vnd  vergleichung  fürnemen,  das  ihr  euch  gleich 
auflf  die  lere  vnd  Regel  von  Adiaphoris  zihet  wie  sie  in 
khirchen  der  Augsp.  Conf.  lange  vor  denen  Händeln  von 
Adiaphoristen  selb  getriben,  vnd  auß  Gottes  wortt  genomen 
ist  —  Adiaphora  in  casu  confessionis,  cum  opinione  meriti, 
cultus  aut  necessitatis  fieri    moralia    et  praecepta  ^),    ■ —    in 


1)  Eccles.  No.  XXXyi,  St.  91. 

2)  Sofern  Ihr  eben  die  gleiche  Handlung  vor  euch  habt,  wie 
1548  zur  Zeit  des  Interim,  so  zieht  euch  auf  demselben  Standpunkt 
zurück,  wie  er  lang  vor  dem  adiaphoristischen  Streit  eingenommen 
wurde:  nämlich  daß  Adiaphora,  wenn  es  gilt  zu  bekennen,  nicht 
leicht  zuzugeben  seien,  indem  sie  unerträgliche  Vorschriften  würden. 


—    462     - 

schrifften  wider  die  Adiaphoristen  weiter  gegrundt  vnd  er- 
khlert  ist,  wie  man  darin  auch  nicht  schlecht  sehen  mues, 
wie  wirs  meinen  vnd  annemen  möchten,  sondern  wie  es 
vom  andern  theil  herkhumpt  vnnd  gehet  ^).  Da  sind  nu 
die  öffentliche  Demonstrationes,  das  des  Bapsts  Ceremonien 
sindt,  die  man  wolte  auffrichten,  der  Bapst  allenthalben  mit 
im  spiel  ist,  vnd  also  nur  characteres  Bestiae,  daher  ge- 
flohen vnnd  iudiciert  müssen  werden,  das  ein  Christ  damit 
vnbefleckht  bleibe,  wen  sie  gleich  an  ihnen  selb  nichts  oder 
geringe  were,  wie  der  apfifel  imm  Paradis  an  im  selb  auch 
war,  aber  gottes  wortt  das  daran  hienge,  als  hie  wider  den 
Bapst  vnd  Antichrist,  daz  wir  inn  Adam  alle  den  ewigen 
todt  an  dem  apffel  gessen  haben.  Also  mueß  man  hie  die 
Adiaphora  ansehen,  vnnd  denen  fürhaltten,  die  es  so  geringe 
machen,  darunter  auch  schier  die  gantze  Religion  zu  einem 
Adiaphora  machen,  so  wirdt  mans  im  Werekh  sehen,  oder 
sich  doch  baldt  finden,  das  man  die  Lehre  auch  wirdt  mit- 
nemen,  vnd  vieler  grober  greifflicher  Bäpstlerei  einmengen, 
noch  vil  mehr  aber  dahinten  sein,  gleich  wie  wir  den 
Chorrock  maleten,  das  er  das  gantze  Bapstum  deckhte, 
vnnd  dahinter  steckhte:  war  im  grundt  auch  also,  wie  nicht 
weniger  iezt,  vnnd  daz  wirdt  sich  ausweisen,  wo  Gott  nicht 
drein  khumpt.  Auch  erkhlert  sich  die  Khay.  Mai.  inn  vber- 
senter  schrift't  nur  gar  gnug,  wie  sies  beide  mit  Lere  vnnd 
Ceremonien  meine,  indem  sie  der  vnsern  niemandt  bei  der 
Tractation  leiden  wil,  als  die  Zänckhischen  Stiffter  besonnder 
leere  vnd  feinnde  gutter  zulässiger  Ceremonien. 

Hierauff  schließe  ich  nochmals,  das  ir  euch  der  gestalt, 
wie  es  für  ist,  vnnd  mit  denen  leuten,  so  öffentliche  Papister, 
zum  theil  Adiaphoristen  sindt,  etwas  Christiichs  zuhandlen 
vnn  zuschließen  nichts  werdet  einlassen  khönnen,  weder  mit 
lere  noch  Ceremonien,  weder  auff  newe  noch  altte  der 
Ersten  Augsp.  Conf.  verwonten  Ordnung,  vnnd  will  inn 
dieser  gelegenheit,  meines  verstandts  vnd  gewissens  für 
Gott  noch  darauff  stehen,  das  die  2  Stände  noch  vmb  lere 
vnnd  Ceremonien  der  Augspurgerischen  Confession  bitten 
miteinander;  vmb  die  lere  on  disputation  vnd  andere 
erkhlerung ,  vmb  die  Ceremonien  so  ihren  gewissen 
auch  leidlich  vnd  verantwortlich,  deren  sie  selb  ein  form 
Hessen  begreiffen  der  Kha5^  Mt.  zu  iudizirn  vnnd  approbirn, 

1)  Man  solle  auch    dabei    auf  die  Intention    der  Gegner  sehen 
und  nicht  auf  die  eigene  Deutung  oder  Meinung. 


—     463     — 

daz  sie  Gottes  wortt  vnd  der  Augsp.  Conf.  nicht  sollten 
zuwider  sein.  So  weren  sie  auch  der  andern  sorgen 
ihres  gewissens,  ergernis  vnd  nachrede  bei  andern  Christen 
abe.  Auch  daz  sie  sonst  werden  ein  Anfang  machen 
dem  ganntzen  Reich  beschwerlich,  vnd  ist  khein  Zweiuel 
es  sei  ein  Vorbereitung  der  Religionshändl  gegen  khunf- 
tigen  Reichstag  vnnd  Augustus  mit  dem  Colloquio  in 
Düringen  sein  Correspondenz  mit  denen  handeln  habe,  auch 
nicht  viel  fruchtbars  seinen  halben  auß  dem  Colloquio  zu- 
gewartten  i). 

Wollte  demnach  füruemlich  itzt  mit  euch  darumb  zu 
thun  sein,  wie  ir  mit  guetter  bescheidenheit  zu  dem  begeren 
vnd  von  der  Andern  Hanndlung  richtig  (ab)kemet.  Dar- 
zu  lasse  ich  mir  nu  gefallen  die  Prote-tation  2) ,  auff  die 
3   artickhel  wie  irs  gefast. 

1)  mit  der  Lere  der  Augsp.  Conf.  on  Disputation  vnnd 
ander  erkhlerung,  vnd  meldet  Lutheri  erkhlerung,  so  verus 
interpres  ist  vnd  sein  sol,  do  was  disputirlichs  darin  fürfeit  ^j. 

2)  mit  der  gegenlehre  vnd  Corrupteln.  Da  werde  in 
specie  die  Synergia,  neccessitas  operum  ad  salutem,  Adia- 
phorismus  vnnd  Caluinismus  gemeldt,  da  werden  sie  sich 
verratten,  vnd  es  nicht  leiden  khonnen,  Sehet  auch  ob  ir 
ihnen  ein  pomum  contentionis  zuweriFen  khöntet,  das  der 
Caluinismus  auß  Trückhlich  verdampt  werde,  daz  werden 
Carlwitz  vnd  Camerarius  nicht  leiden  khönnen ''). 

3)  das  euch  schweer  mit  öffentlichen  Papisten  vnd  Adia- 
phoristen  zuhandeln,  dann  da  müsset  ihr  khein  blat  für  das 
maul  nemen.  (Es)  Trifft  ewer  bekhantnis  vnd  viel  tausent 
Seelen,  da  wirdt  sichs  baldt  stossen  vnd  abschneiden,  wil 
man  darüber   weitter    handeln,    so  höret    an,    werdet    baldt 


1)  Galkis  fürchtet,  daß  aus  solchem  Kompromiß  in  Osterreich 
böse  Folgen  erwachsen  würden  bei  künftigen  Reichstagen,  und  meint, 
daß  das  gleichzeitige  Altenburger  Gespräch,  durch  Kurfürst  August 
veranstaltet,  nicht  viel  Gutes  erzielen  werde.  Wie  sehr  die  Gegner 
an  diesem  Gespräch  und  den  Artikeln  der  Flacianer  ein  Interesse 
zeigten,  verrät  ein  Brief  Eisengreins  an  Herzog  Albrecht  von  Baiern 
(s.  Hopfen  a.  a.  0.  S.  320,  wo  statt  Miricaner  lUyricaner  zu  lesen 
ist.     Der  ganze  Brief  ist  hoch  bedeutsam). 

2)  So  viel  wie  Erklärung. 

3)  Die  Meinung  ist,  man  wolle  beharren  bei  der  A.  C.  und  in 
streitigen  Fragen  Luther  als  interpres  herbeiziehen. 

4)  In  zweiter  Linie  sei  zu  handeln  von  dem,  was  ausdrücklich 
auszuschließen  wäre,  nämlich  die  seit  dem  Interim  in  Frage  stehen- 
den Korruptelen. 


—     464     — 

hören  vnd  finden,  daz  ir  zu  widersprechen  habt,  nach  ob 
gesetzter  Regel  Göttlichs  worts  de  Adiaphoris  vnd  wirdt 
nicht  not  sein  mit  allen  vnd  ieden  stuckhen  in  specie  euch 
deßhalb  mit  ihnen  einzulassen,  denckht  an  die  Eua,  do  sie 
mit  der  schlänge  zu  disputirn  khame,  were  sie  schlecht  bei 
dem  wortt  blieben,  so  hette  sie  recht  than,  also  ir  auch, 
vnnd  habt  hiemit  fast  die  Substantialia  der  Protestation, 
die  Zierlichkheiten  werdet  ir  wol  leicht  lassen  darzu  machen, 
die  Zeit  ist  zu  khurtz,  So  weis  (ich)  zwar  mit  der  Cantzlei 
nicht  vil  vmbzugehen. 

Hie  mueß  nu  etwas  mit. Gott  gewagt  sein,  vnd  darauff 
gesetzt,  zu  bleiben,  wie  die  Herren  Jetzt  sindt,  mit  iren 
khirchen,  wen  sie  daz  ander  nicht  erhaltten  khönnen^),  oder 
wie  ire  Christliche  Elitern  bei  dem  Euangelio  hieuor  on 
offne  khirchen  gewest  sindt,  vnd  dabei  der  Regel  gedacht, 
besser  khein  offne  khirch,  dann  ein  falsche  khirch,  Möchte 
es  dann  nach  dem  Willen  Gottes  dabei  auch  nicht  bleiben  ^), 
So  were  es  bekhennen,  leiden  oder  entweichen,  vnd  darauff 
habens  die  Brüeder  im  Colloquio,  sampt  vielen  Christen 
auch  gesetzt.  So  müssens  frome  Christen  in  Stedten,  weil 
sie  one  das  außgeschlossen  sein  sollen,  sonst  dahin  setzen, 
welche  doch  wol  zu  erinnern  weren,  daz  sie  in  Sonderheit 
dieser  Sachen  halben  hielten,  welche  Stende  sich  hinwider 
irer  Christlich  darin  annemen  selten,  daneben  zuuerhoffen, 
es  werden  sich  die  ob  der  Ens,  do  nicht  alle,  doch  etliche, 
wie  wir  vernemen.  Christlich  bestendig  mit  der  gnad  Gottes 
erzeigen,  praegrauirt  ir  sie  nicht  mit  ewrem  praeiudicio 
oder  Exemplo  ^). 

Ach  lieber  Gott,  es  müste  ein  einfeltig  Mensch  sein, 
das  nicht  verstehen  solte,  wie  es  her  gehet  vnd  gemeint 
wirdt.  Was  dürffts  aber  eins  solchen  Spiegelfechtens  wens 
die  Khay.  May.  alles  in  heuden  haben  wil  vnd  wen  gleich 
der  erste  Außschuß  etwas  guets  handelte,  das  es  doch  der 
ander  Außschuß  wider  vmbstossen  sol  ?    Allein  das  darumb 


1)  Es  gilt  hier  ein  entweder  —  oder:  die  Dinge  bleiben,  wie 
sie  sind  —  oder  man  sucht  eine  rechte  Kirche;  entweder  bekennen 
und  leiden  —  oder  entweichen. 

2)  dabei  d.  h.  beim  statu  quo  antea. 

3)  Die  Christen  in  den  Städten  haben  ohnedies  keinen  andern 
Ausweg,  sofern  sie  in  die  Konzession  Maximilians  nicht  mit  ein- 
begriffen seien ;  daß  aber  die  Stände  sich  ihrer  annehmen  sollten 
nach  dem  Beispiel  der  Oberösterreicher,  wäre  wohl  zu  wünschen ; 
wenigstens  sollten  sie  ihnen  nicht  durch  ihr  Verfahren  ein  böses 
Präjudiz  machen. 


—     465     — 

zu  thun  ist,  die  Verordneten  vnd  Stande  habens  selb  be- 
willigt vnd  beschlossen,  mit  dauckh  als  ganz  Christlich 
angenomen,  andere  weiter  damit  zubefleckhen  vnnd  zu  be- 
schweren, da  behütte  euch  vnd  die  frommen  Herren  der 
Liebe  Gott  für  ^). 

Ich  zweiuele  nicht,  vnnd  ist  Gottes  eigen  werkh,  er 
wirdt  drein  khomen,  vnd  ein  außgang  geben  vber  vnser  ge- 
denckhen ,  wenn  man  nur  richtig  vnd  bestendig  nach 
dem  wortt  mit  der  sache  vmbgehet,  daneben  betet;  wirt 
weltlich  vnd  leiblich  noch  allerlei  bedenckhen  geben,  die 
Stände  also  hinzuwerfFen  (zu  demütigen),  ohn  was  Gott  sonst 
geben  mag  ^).  Achte,,  ir  werdet  hiemit  auif  ewer  schreiben 
dißmal  notturfftige  antwort  haben,  vnd  habt  euch  warlich 
aufif    mich    anders    vud    weitter    dißmal    richts    einzulasßen. 

Das  Colloquium  zu  Altenburg  ist  den  25.  October 
erst  angefangen,  haben  sich  vorher  verglichen  welchs 
theil  khlagen  wolle,  nemlich  H.  Johans  Wilhelms  Theo- 
logi.  So  wollen  die  andern  wider  khlagen,  vnd  welchs  teil 
vberwunden  werde,  sol  gestrafft   werden. 

Man  sagt  vnnd  schreibt  glaubirdig,  es  sol  der  alt 
Khönig  in  Hispanien  sich  aus  anfechtung  vnd  verzweiuelung 
selb  entleibt  haben. 

Zeuttung  am  Ivhriege,  so  mir  erst  dise  2  tage  zu- 
khomen  schickhe  ich,  so  gut  ichs  empfangen  habe,  doch 
von  fürnemen  Personen.  Gottes  gnad  befolen,  den  Herren 
allzeit  mein  Christlich  grues  vnd  arme  dienst.  Datum 
Regenspurg  den  5.  Nouemb.  1568. 

Nie.  Gallus  E.  B.  im  Herren. 

Zu  S.  297,  Note  2. 

VI.    Korrespondenz  Nicolai  Galli  mit  verschiedeneu  in- 

und  ausländischen  Theologen  und  Laien  aus  den 

Jahren  1568—70  3;. 

St.  98.  Salutem  a  Christo  filio  Dei.  Reverende  vir 
et  amice.     Quid    quaeso  superest  nobis,  praeter  gemitus  ad 


1)  Gallus  klagt  über  den  erweiterten  Ausschuß  von  24  Gliedern, 
welchen  die  Stände  den  evangelischen  Herren  octroyiert  hatten. 

2)  Leider  fand  die  Keformation  in  Österreich  keine  allgemeine 
Aufnahme;  vielmehr  baute  alsbald  neben  dem  Tempel  der  Refor- 
mation Gottes  Loyola  eine  Kapelle,  aus  welcher  der  Widerstand  in 
der  Zeit  der  Gegenreformation  immer  neue  Kräfte  erhielt. 

3)  R.  A.  Eccles.,  Kasten  D,  Fach  I,  No.  XXXVI. 

30 


-      466     - 

deum?  ut  is  Ecclesiae  sauciae,  laboranti,  et  animam  prope 
agenti  clementer  succurrat?  Yidet  Illyricus  in  quantis 
versemur  periculis  et  tum  novum  nobis  post  tot  admoni- 
tiones  sua  pertinacia  et  av&aSeia  vulnus  infligit.  Ignoacat 
ei  dominus  lesus.  Literas  tuas  cum  adiunctis  libris  accepi. 
Disputationem  cum  Illyrico  abrumpam.  Ipse.  n.  non 
audit.  sua  pertinacissime  defendit :  mea  vel  eludit,  vel  argute 
invertit.  Talis  consuetudo  mihi  non  satisfecit.  Negat  i)  se 
posuisse :  Sathauam  esse  creatorem  istarum  animarum,  quae 
sint  peccatum  originis.  Futili  sophismate  dicit  se  illam 
opinionem  alterius  reiecisse  2).  At  manifesta  ipsius  sunt 
verba;  bis  vel  ter  locum  cum  collegis  inspexi.  An  nobis 
vult  oculos  claudere  in  media  luce?  Ipse  argumentatur, 
colligit,  adseuerat  et  concludit,  ex  praecedentibus  effici 
Diabolum  revera  creatorem  esse.  Et  tum  in  epistolis  ad 
me  negat.  Atqui  in  edito  libro  ponit:  Nisi  quod  cum 
grammatices  vitio,  ut  lectorem  in  dubio  quodammodo  relin- 
quat:  Sequeretur,  posuit,  pro  sequitur:  ut  est  in  scripto 
exemplari,  cum  argumentatio  manifeste  appareat,  qua  Mani- 
cheismum  invehere  conatur.  Hoccine  est  Dei  religionem 
et  Sacra  tractare  ?  Ingenue  fateor  animum  meum  ab  Illy- 
rico abalienari.  Et  cum  necesse  erit  et  dominus  dabit, 
publice  id  testabor.  Reddat  ipse  rationem  dati  schandali. 
Vinariensibus  fratribus  scripsimus  (nostram?)  sententiam 
pro  noa  (nostra)  mediocritate  3).  Dominus  lesus  adsit  illis. 
.  .  .  Austriacis  fratribus  respondere  non  possum :  quia  scripta, 
quorum  Francus  facit  mentionem,  non  accepi.  Miror  et  doleo 
bomines  istos  de  numero  patrinorum  inter  se  digladiari. 
Neuburg  11.  Oktober  1568  Ti.  Heshusius^). 

Zum  selben  Briefe  folgt  folgendes  Postskript: 
P.  Scr.    13.  Octob.     „Occupatus    profectione    non    satis 


1)  In  der  seit  1.  Sept.  1568  gedruckt  erschienenen  Schrift: 
Fvcöbt  acaurdv.     Vgl.  Planck  V,  1,  p.  303. 

2)  Das  war  auch  so,  nur  daß  Heshusius  sich  übereilt  hatte, 
indem  er  dasjenige  aus  dem  Manuskript  des  Flacius  herauslas,  was 
er  zu  lesen  wünschte.  Ein  unter  den  Theologen  nicht  ungewöhn- 
liches Übel! 

8)  Das  bezieht  sich  auf  das  Altenburger  Gespräch,  diesen 
letzten  Versöhnungsversuch  zwischen  August  und  Joh.  Wilhelm. 

4)  Dieser  Brief  ist  hier  zum  ersten  Male  gedruckt.  Zum  Ver- 
ständnis desselben  vgl.  Preger,  1.  c.  II,  S.  328—338.  H.  war  Hof- 
? rediger  des  Pfalzgrafen  Wolfgang  von  Zweibrücken  und  kam  als 
'rofessor  im  Oktober  1569  anstatt  des  Flacius  nach  Jena  und  1573 
nach  Johann  Wilhelms  Tode  als  Bischof  von  Samland  nach  Preußen. 


—     467     — 

animadveiti  quae  scripta  mitteres,  et  ad  Illyrioi  scripti 
totus  fuit  intentus  animus.  Postea  inveni  Austriacam  narra- 
tionem  de  patrinorum  aumero  ^j.  Non  vacat  mihi  legere, 
nee  fratribus  respondere.  Te  oro,  ut  respondeas  et  eoa 
instituas.  Ut  non  improbo  diligentiam  et  sollicitudinem  in 
adhibendis  tribus  testibus  Baptismi:  Ita  rigor  ille  plane 
mihi  displicet,  quo  ministri  humanas  suas  constitutiones 
non  aliter  urgent  ao  si  essent  leges  Draconis.  Erudiantur 
inepti  sartores  et  sutores.  Sed  et  imbecilles  et  morosi 
tolerentur  Christiana  lenitate  in  re  indifferente.  Utinam 
paulum  imitarentur  ministri,  qui  omnia  factus  est  omnibus, 
ut  multos  Christo  lucraretur." 

An  Nicolaus  Gallus. 

Hinter  jenen  Brief  hat  Nicol.  Gallus  folgendes  gefügt : 
„Nicol.  Gallus  an  Heshusius,  Illyr.  ad  D.  perist.  in  Novemb. 
(Konzept  auf  demselben  Briefe)  ^). 

Summa  argumenti  est:  Effectus  aut  fructus  originalis 
iniustitiae  aut  imaginis  satanae  manifeste  ostendunt  eam 
esse  quandam  vim  praepotentem,  intelligentem  ac  eligentem, 
eoque  necessario  etiam  quandam  animam  aut  spiritum.  Nam 
talis  vis  potens,  intelligens  et  eligens  aliud  esse  non  potest. 
Verum  ista  ipsa  tanta  vis  intelligens  ao  eligens  est  [ut 
isti  3)  volunt]  quiddam  prorsus  diversum  ac  distinguendum 
a  substantia  animae  rationalis  omnique  creatura  dei,  et  quod 
totum  solam  a  fSatana  veuit :  Ergo  sequitur  Satanam  esse 
authorem  et  plane  creatorem  illius  diversae  animae  aut 
Spiritus  intelligentis  et  eligentis*).  Consequens  e  falsü  et 
plane  Manicheü:  Ergo  non  est  verum  illud  antecedens,  vis 
illa  agens,  intelligens  et  eligens  sit  quidpiam  diversum  ab 
anima  rationali  divinitus  creata :  Sed  ipsamet  rationalis 
anima  iam  transformata ,  est  ille  primarius  fons  fontium 
omnium  malorum  seu  actualium  peccatorum,  teste  Luthero. 
Ergo    negantes    ipsum    malum     animum    malamque    mentem 


1)  Über  die  Paten  stritt  man  noch  bis  in  die  achtziger  Jahre. 
Auf  einem  Reverskonzept  muß  ein  Ordinandus  in  Regensburg  1590 
bekennen,  er  wolle  von  dem  Streite  gänzlich  Abstand  nehmen  (Z.  12 
der  Kregelmaierschen  Akten,  die  sehr  umfangreich  und  von  uns 
benutzt  sind).     Vgl.  dazu  Wiedeniann  a.  a.  O.  tll,  S.  497  f. 

2)  Er  hat  seine  damalige  Meinung  für  3  Personen  zugleich 
in  einem  Konzept  zurückbehalten.  Diese  drei  sind,  außer  Heshus, 
lUyricus  selbst  und  Peristerius,  des  Gallus  Kollege. 

3)  Flacii  Gegner. 

4;  Am  Rande  steht  noch:  Imo  sequitur  esse  authorem  illius 
vis  intelligentis,  diversae  sei.  a  substantia  animae:  Et  hoc  verum  est. 

30* 


—     468     — 

esse  orifinalem  iniustitiam  faciunt  aliam  quandam  creaturam 
et  creatorem,  eoque  plane  Manichei  sunt  i).  Ergo  loanes  est 
Manicbeus,  qui  peccatum  vocat  opus  diaboli,  Quin  Manich- 
eus  est,  qui  disserit  ipsam  animam  esse  peccatum,  vel  crea- 
turam vel  opus  diaboli;  Interea  non  negamus ,  peccatum 
originis  esse  fontem  aliorum  peccatorum  actualium,  et 
animam  ipsam  diel  posse  illum  fontem  aweadoirKoig,  prop- 
terea,  quod  peccatum  illud  praecipue  est  in  anima  tanquam 
proprio  suo  subiecto,  et  usitata  est  figura,  et  cum  malum 
oculum  pro  vitio  ens  dicimus,  aut  arborem  mal  am,  substan- 
tiam  nibilominus  discernentes  a  vitio,  abstractum  a  concreto." 

Er  steht  auf  Seite  des  Flacius  und  verweist  den  Accidenz- 
Theologen  ihre  Inkorrektheit  in  diesem  Konzept. 

Ein    früherer  Brief  von  Heshus  an  Gallus  v.  23.  Aug. 
(St.  104): 

Salutem  a.  J.  C.      Reverende  vir  et  amice. 

Restituo  partem  novi  Interim  Cassandrici :  Notus  mihi 
fuit  apostata  2).  Caruit  iudicio  et  spiritu :  quantumvis  in 
patribus  versatus.  Impudenter  sibi  contradicit;  quid  credas 
fanatico.  Mitto  lllyrici  2'"  tractatum  de  peccato  orig.  quem 
prorsus  improbo.  Addo  et  meum  antidotum  ^j.  Candide 
et  libere  ago,  ut  inter  fratres  decet.  Atque  ut  res  per  se 
gravissima  et  mihi  seria  est,  ita  oratione  moUi  et  fucata 
uti  non  possum.  Tu  indica,  quid  probes,  quid  desideres. 
Et  simul  scriptum  meum  et  quidem  manum  meam  mihi 
remittito.  Da  operam  ut  Cassandri  interim  totum  habeamus. 
licet  ex  ungue  leonem :  vel  si  mavis  ex  cauda  scorpionem. 
Syllogismus  tuus  me  non  torquet.  Origo  qualitatum  est 
substantia.  Peccatum  orig. :  est  origo  pravarum  cogitationum 
et  actionum.  Ergo.  R. :  Minorem  nego  proprie  loquendo. 
Nam  subiectum  ipsum  destructum,  viciosa  anima  et  cor,  in 
quo  haeret  peccatum  originis  est  origo  omnium  pravarum 
actionum,    teste    Christo.     Quod    vero  Augustinus  et  recen- 


1)  Von  jetzt  an  folgen  Sätze,  in  denen  Gallus  seine  Meinung 
mehr  nur  andeutet,  als  ausführt.  Es  ist  eben  nur  ein  erster  Ent- 
wurf im  Konzept. 

2)  Unionsentwurf  des  1564  von  Kaiser  Ferdinand  berufenen 
erasmianischen  Theologen.  Er  nennt  es  ein  neues  Interim  (NB.). 
Bezieht  sich  apostata  auf  den  ihm  von  römischer  Seite  angedichteten 
Widerruf  vor  dem  Tode  (3.  Febr.  15b6)?  Vgl.  Pr.  E.  E.  3,  742. 

3)  Seine  Analysis  im  Manuskript;  eine  Widerlegung  des 
Flacius.  Vgl  Preger  II,  S.  338.  Das  Antidotum  ist  vom  20.  Fe- 
bruar 1572. 


—    469    — 

tiores  saepe  sie  loquuntur,  peccatum  orig.  esse  fontem  om- 
nium  peccatorum,  eo  fit,  quod  causam  ostendere  volunt  cur 
propterea  agat  hoino.  Christus  sepissime  dielt  fides  tua 
te  salvam  fecit?  Estne  fides  conditrix  atque  effeetrix  salu- 
tis?  Gerte  Christus  est.  Talis  vero  ratio  loquendi  ostendit 
instrumentum.  Qualitates  per  se  efficaces  non  sunt.  Subiec- 
tum  vero  per  qualitates  operatur.  Sol  calore  ealefaeit.  Homo 
pravitate  peccat.  Mens  inscitia  errat.  Avaritia  dieitur 
radix  omnis  mali,  ut  est:  Et  tamen  quis  uegat  avaritiam 
esse  aecidens  ?  Proprie  vero  avarus  omnium  scelerum  est 
author.  figurata  ergo  locutio  si  distinguatur  a  propria  statim 
error  argumenti  conspieietur.  Sine  omni  exceptione  amplector 
gravissima  dicta :  omnis  caro  fenum.  Item  quidquid  ex  earne 
natum  est.  Item  renascentia  opus  est:  Item  nova  creatura. 
Haec  sunt  extra  eontroversiam :  Et  intra  hos  limites  consista- 
mus.  Sed  noster  ille  (Tlacius)  transilit :  Ergo  vieiü  in  earne 
est  substantia.  Huie  consequentiae  nulla  subest  ratio.  Sub- 
stantia  viciosa  propagatur:  Substantia  restituitur.  Sed  vicium 
in  substantia  est  aecidens.  Non  extenuo  peccatum  orig.:  cum 
fateor  cum  prophetis  totam  hominum  substantiam  et  naturam 
destruetam  et  in  peccato  mortuam  esse.  Nescio  quid  am- 
plius  aut  gravius  dici  aut  cogitari  possit.  Phantasia,  quae 
fingit  peccatum  esse  substantiam  ut  falsa  est,  ita  obscurat 
doctrinam  de  peccato  originis,  et  plures  trahit  errores.  Re- 
jicio  definitionem  Accidentis:  praesertim  illud  citra  substan- 
tiae  vel  subiecti  corruptionem  i).  Calor  est  aecidens,  et  tamen 
a  sole  moveri  non  potest  nisi  sole  simul  corrupto.  Si  omnis 
calor  ex  corde  vel  ventriculo  auferatur,  veneno  vel  alia 
ratione,  annon  corrumpi  utraque  necesse  est?  Bone  deus 
ex  male  diluta  philosophia  quaerimus  fundamenta  articulorum 
fidei:  Et  ne  ipsas  quidem  ineptas  philosophorum  sententias 
cum  ratione  examinamus.     Et  hactenus  ista. 

Error  tuus  facile  apud  me  veniam  impetrat :  Si  modo 
aliquando  toties  admonitus  innocentiae  et  veritati  accedas : 
Privata  omnia  seponam.  Publica  sunt  quae  dei  gloriam  et 
salutem  hominum  tangunt.  Cives  pii  conscientia  teste  ad- 
serunt  mihi  faetam  iniuriam,  concionatores  contra  vociferantur, 
aceusant  illos  seditionis.  Tyrannis  senatus  per  totum  Impe- 
rium est  divulgata.  Hie  humili  confessione  non  arguta  ex- 
eusatioue  opus  est.  Peccasti  et  tu  frater,  quod  deceptus 
ab  adfine  non  parum  confirmasti    persecutores    in    peccato : 


1)  So  definieren  Strigel  und  Jakob  Andreae. 


—     470     — 

Atque  oro  ut  tibi  ignoscat  dominus.  Gerte  multornm  ego 
legi  quaerelas.  Brentius  quoque  causa  non  cognita  inepta 
pronuntiavit.  Amnistia  tantum  vulnus  Ecclesiae  sanari  non 
potest.  Nee  satis  est  etiamsi  edant  confessionem  tarn  puram 
atque  est  Job.  Euangelion." 

Neuburg  d.  23.  Aug.   1568. 

Til.  Heshusius  an  Nicol.  Gallus. 

Die  zweite  Hälfte  dieses  Briefes  beschäftigt  sich  mit 
der  Magdeburger  Verjagung  Heshusens  und  deren  Be- 
urteilung durch  Gallus,  den  er  als  von  seinem  Schwager 
Heinrich  Merkel  beeinflußt  ansieht  i).  Jenes  Lüneburger 
Kreismandat  sollte  dienen,  die  Beschlüsse  des  Naumburger 
Fürstentages  (s.  o.  S.  21)  mit  Gewalt  in  Niedersachsen 
einzuführen,  wogegen  sich  Heshus  und  seine  Genossen  mit 
Ungestüm  im  Namen  der  kirchlichen  Freiheit  auflehnten, 
und  nicht  etwa  speziell  die  Flacianer. 

Der  folgende  Brief  Heshusens  an  Gallus  ist  nicht  eine 
Antwort  auf  Gallus'  Konzept  (11.  Okt.  1568),  wohl  aber  setzt 
derselbe   die  gleichen  Ansichten  über  die  Erbsünde  voraus. 

St.  106.  Salutem  a  filio  dei.  Eeverende  vir  etamice! 
Grata  mihi  est  collatio  de  dogmatibus  Ecclesiae  et  con- 
siliorum  communicatio.  Nee  ego  quidquam  invenio  salubrius, 
quam  quod  ab  ipso  dei  spiritu  in  s.  litteris  est  monstratum. 
Si  stulte  egisti  efferendo  te  pone  manum  super  os.  Quum 
ergo  d:  Illyricus  hallucinetur  in  quibusdam,  agnoscat  huma- 
nam  infirmitatem  et  corrigat  sententiam.  Aurea  est  Augu- 
stini sententia:  Emenda  ergo,  ne  timeas :  non  inde  eris 
minor :  Imo  vero  maioris  ingenii  est  animositatis  flamina 
confitendo  extinguere :  quam  falsitatis  nebulas  intelligendo 
vitare.  Tu  qui  authoritate  vales  apud  d:  Illyricum  urge, 
mone  et  precare  propter  Ecclesiae  salutem,  ut  retractet  sen- 
tentias  non  congruentes  formae  sanorum  sermonum,  et  pa- 
rientes  scandala.  Ego  fraterne  et  candide  eum  admonui : 
Exemplar  mitto,  responsum  eius  expecto  ^). 

1)  Vgl.  über  diese  Sache  Preger,  Flacius,  II,  248  ff.  und  Plancks 
karrikierte  Darstellung  im  Band  VI,  ß  IX,  Kap.  2  und  8. 

2)  Das  Weitere,  sowie  auch  das  nachfolgende  Excerpt  enthält  in 
kürzesten  Worten  so  tiefsinnige  Gedanken,  daß  heutzutage  nur  sehr 
wenige  Theologen  die  Meinung  des  Briefstellers  überhaupt  noch  ver- 
stehen werden.  Er  spricht  in  wenigen  Worten  den  Inhalt  ganzer 
Bände  aus.  Gewiß  Heshusius  war  ein  gut  beschlagener  Theolog.  Aber 
in  seinem  ängstlich  übertriebenen  Argwohn  und  bei  seinem  raschen 
Zufahren  im  Punkte  der  Lehre  richtete  er  mehr  Unheil  als  Gutes 
an  und  stand  zuletzt  allein  da. 


—    471     - 

Substantiain  hominis  malum  et  peccatum  esse,  id  est 
rem  ream.  Sacris  liteiis  doceri  potest.  Et  in  def'ensione 
huiiis  sententiae  adversus  papistas  et  symergistas,  parastaten 
me  habet  Illyiicus.  Sed  quod  hinc  infert  peccatum  esse 
substautiam,  fallitur.  De  noticiis  naturalibus  i)  lapsus  eius 
manifestus  est.  Cur  ergo  non  audit  non  audit  fratres? 
Magnifacio  d.  Illyricum  propter  insignia  dona  in  ipso,  sed 
Paulus  valt  veritatem  ipsis  apostolis  ut  antet'eramus.  De 
logo  et  regeneratione  existimo  ei  fieri  iniuriam  2),  ferunt  eum 
revocatum  esse  Ihenam  ^). 

Ad  argumenta  abs  te  proposita  sie  respondendum  puto. 
Quales  sunt  dvvdi.ieLg  '  talis  est  natura  vel  substantia.  Hie 
malae  sunt  Övväfiiig.  Ergo  natura  vel  substantia  quoque 
est  mala :  sive  malum  et  peccatum.  Rp :  concedo  totum 
argumentum.  Tota  enim  hominis  substantia  peccato  infecta, 
foedata,  corrupta  et  destructa  est.  Et  hoc  ipsum  volunt 
prophetae  cor  ipsum  viciatum  esse,  animam  esse  depravatam 
peccatum  stilo  ferreo  cordi  inscriptum :  substantia  ergo 
seu  natura  hominis  est  malum  seu  peccatum:  Id  est  res 
coram  deo  rea.  Sed  prorsus  aliud  est,  peccatum  est  sub- 
stantia. hie  quasi  in  abstracto  quaeritur  quid  sit  peccatum 
sua  natura :  Necesse  est  autem  omnes  sanos  fateri  quod 
peccatum  non  sit  quiddam  conditum :  Non  est  ergo  quiddam 
sua  natura  subsistens:  sed  defectus  boni. 

Ad  alterum  Theol.*) 

Scriptura  videtur  ponere  tres  hominis  partes:    Integer 

sit    Spiritus  vr  (vester),    auima    et  corpus:    Ergo  imago   dei 

est    substantia.        Rp :    Origenicus    lapsus    est    tres    ponere 

hominis  partes.     Aliud  vult  paulus.     Spiritum    adpellat  no- 


1)  Flacius  leugnete  die  angeborene  Gottesidee  (notitia  Dei  na- 
turalis). 

2)  Man  griff  ebenfalls  den  Flacius  seiner  Lehre  vom  Logos  und 
der  Wiedergeburt  wegen  an,  vgl.  Preger  I,  S.  428. 

3)  Herzog  Johann  Wilhelm  berief  andere  Theologen ,  außer 
Kosinus,  Bresnicer,  Wolf,  die  ihre  Ffarrstellen  wiedererhielten,  wurden 
Wigand,  Coelestin ,  Kirchner  und  Heshusius  in  die  theologische 
Fakultät  zu  Jena  berufen.  JMan  fürchtete,  Kurfürst  August  durch 
eine  solche  Wiederberufung  Flacii  zu  beleidigen     (Preger  II,  302). 

4)  Das  Folgende  handelt  vom  Bilde  Gottes,  was  er  behufs 
Vergleichung  (conferendi  gratia)  mit  dem  Lehrstück  von  der  Erb- 
sünde hier  anschließt,  um  Gallus  Meinung  darüber  zu  erforschen. 
Übrigens  ist  das  Folgende  ursprünglich  für  einen  andern  Theologen 
geschrieben  gewesen  und  ein  theologisches  Urteil  Heshusens  über  das 
Bild   Gottes,   welches    bei   dieser  Gelegenheit  zur   Sprache   kommt. 


—     472     — 

vum  hominein,  qui  certe  uon  adfert  neque  novam  animam, 
nee  corpus :  sed  iitriusque  partis  renovationem  videlicet  sa- 
pientiam  et  iustitiam :  addit  animam  et  corpus :  ut  subiec- 
tum  in  quo  oporteat  fieri  renovationem  ostendat.  Ipsa  anima 
in  quantu(m)  renovata  est  dicitur  Spiritus.  Sed  quatenus 
reliquae  sunt  feces  ex  vetere  adamo :  recte  paulus  animam 
a  spiritu  discrevit.  Nee  displicet  tarnen  imaginem  dei  in 
homine  vocai'i  substantiam:  ut  simul  anima  cum  donis  in- 
telligatur,  vel  primum  creata  vel  per  spiritum  restituta. 
Sed  Line  non  sequitur  imaginem  satanae  in  homine  esse 
substantiam :  Satan  enim  conditor  non  est.  Haec  conferendi 
gratia  respondere  voiui :  sed  facile  patiar  me  abs  te  erudiri. 
Pete  ut  epistolam  meam  ad  Illyricum  remittas  i). 
Doctori  Coelestino  misi  epistolas  labacenses  ^).  Dux  Bruns- 
wieensis  Hinricus  vestus  hostis  Eccle.siae  abiit  ad  patres 
suos.  Episcopus  Trevirensis  in  armis  est :  Deus  reprimat 
inquietos  papistas.     bene  vale. 

7  Juli  Neuburgi  1568.  T.  ex  animo  Tilem,  Hesbusius. 
Si  quid  certi  habes  de  schola  Ihenensi  quaeso  communica : 
mittemus  enim  eo  studiosos.  Salutem  adscribo  domino 
Melisandro. 

Die  folgenden  interessanten  Stücke  handeln  zumeist 
über  die  flacianische  Lehre,  besonders  in  den  Briefen  des 
Heshusius ;  leider  gestattet  der  Umfang  nicht,  sie  hier  zu 
veröffentlichen.      Folgende    Auszüge    sind    jedoch    wichtig : 

St.  109.  Heshusius  d.  14.  Juli  1568  aus  Neuburg  an  N. 
Gallus  „Et  cur  Melisandrum  vestrae  scholae  non  prae- 
fieitis  ?  " 

St.  111.  d.  14.  Juli  1568:  „Misi  per  Busehium  qui  in 
Austriam  est  profectus,  pecuniam  ad  te  ut  vestro  typographo 
Geislero  pro  libris  satisfieret." 

St.  110.  d.  24.  Mai  1568:  „Spangebergius  causam  reiec- 
tionis  reproboi'um  in  deum  non  reieeit^).  Melisandrum  mone 
hac  de  re,  ut  intra  septa  maneat,  cuius  vocationem  (nach 
Laibach)  nunc  teehnis  Sathanae  inhiberi  doleo.  De  solu- 
tione  stipendii,  quod  ei  debetur,  curabo." 

1)  Das  obengenannte  Ermahnungsschreiben  an  Flacius ,  der 
damals  in  Straßburg  lebte. 

2)  Die  seine  Berufung  nach  Laibach  betrafen;  vgl.  S.  342. 

3)  Wichtig  für  die  Prädestinationslehre  jener  lutherischen 
Theologen.  Obiger  Ketzerei  machte  sich  auch  Calvin  nicht  schuldig ; 
s.  seine  3  Schriften  in  OpjJ.  IX  p.  357  ss.,  besonders  die  Brevis  responsio 
Calvins  gegen  CasteUios  Verleumdungen;  vgl.  Bd.  I,  869  ss.,  Bd.  II, 
697  ss.,  ebenso  Bd.  VIII,  341  ss. 


—     473     — 

St.  116.  Brief  von  Jacob  Feylitzscber  Jhenensia,  minister 
Christi  in  Ecclesia  Ravenspurgensi  1.  Dez.  15G9  ^j  an  Nico- 
laus Gallus: 

„Oppugnatur ille  flllyricus)  a  Doctore  Hesshusio,  Wigando 
et  aliis  multis.  Partes  vero  lUj^rici  tuentur  Argentinenses 
Prisne''^),  Deinde  Mansfeldenses,  Hi  qui  docent  Lindauii  et 
alii  quoque"  ^). 

Zu  Seite  138. 

St.  120.  Ehrwirdiger  vnnd  hocbgelerter  Insonders 
gonstiger  Herr.  Ich  bin  bedacht  mit  Verleihung  dess  All- 
mechtigen  au£f  schierstkonfftigen  Dinstag  mich  widerumb 
zuerheben,  vnnd  an  den  Kays.  Hoff  zuveifuegen  Vnnd  ist 
derwegen  an  E.  E.  mein  gantz  dienstlich  pitt,  Sy  wolle 
mir    in    der    Zeit    die    Schriften    so    E.    E.   Ich    comuniciert 


1)  Vgl.   Brief  des  H.  I.anguet   an  Crato  (24.  März  1570),  man 
solle  Flacius  aus  Straßburg  ausweisen. 

2)  Soll  wohl  Wismar  heißen. 

3)  Zu  diesen  gehören  nach  Caspar  Melissander's  Brief  an  die 
Landschaft  des  Fürstentums  Krain  d.  d.  6.  Aug.  1568  auch  die 
Kirchen  zu  Recensburg  und  Pfalz-Neuburg.  Die  sächsische  Konfu- 
tationsschrift  von  1559  und  des  Lüneburgischen  Synodi  Abschied  und 
Artikel  von  1561  (gegen  die  fürstliche  Prlifation  zu  Naumburg)  waren 
die  Grundfesten  dieser  Partei,  die  sich  im  Reiche  zu  Flacius  hielt 
Den  eigentlichen  Bereich  des  flacianischen  Einflusses  lassen  die  bei 
Preger  II,  S.  87  erwähnten  Unterschriften  von  51  Superintendenten, 
Professoren  und  Pfarrern  erkennen.  Als  Unterschriebene  unter  die 
i.  J.  1559  an  alle  evangelischen  Stände  behufs  Berufung  einer 
Synode  ergangene  Supplikation  finden  wir  folgende:  aus  dem 
Norden  die  Theologen  von  Hamburg,  Bremen,  Lübeck,  Rostock, 
Wismar,  Neubrandenburg,  Stargard,  Braunschweig,  Magdeburg, 
Halberstadt,  Köthen,  Nordhausen,  sodann  alle  Superintendenten 
und  Pastorate  unter  den  sächsischen  Herzögen ;  der  Süden  ist  durch 
Schweinfurt,  Regensburg,  Lindau  vertreten.  Von  der  Oberpfalz  hat 
nur  ein  einziger  unterschrieben;  Hessen,  Brandenburg,  Kursachsen, 
die  fränkische  Markgrafschaft,  Nürnl^erg,  Augsburg,  die  schwäbischen 
Städte  und  Baden  sind  nicht  vertreten.  Unter  den  bekannteren 
steht  als  der  erste  überhaupt  der  Amsdorfs,  dann  folgen  Musäus, 
Joach.  Mörlin,  Tilemann  Heshusius,  Max.  Mörlin  von  Coburg, 
Nie.  Gallus,  Wigand,  Judex,  Joach.  Westphal,  Joh.  Freder  von 
Wismar,  Anton  Otto  von  Nordhausen,  Flacius,  Joh.  Stößel  von 
Heldburg,  Balth.  Winter  von  Jena,  Kaspar  Aquila  von  Saalfeld. 
Diese  alle  gehörten  der  strengen  lutherischen  Partei  an  und  wollten 
der  evangehschen  Kirche  zur  Aussprache  über  die  sc;hwebenden 
Kontroversen  und  zur  nochmaligen  Bekämpfung  der  Korruptelen 
verhelfen,  was  Melanchthon  sehr  übel  nahm.  Er  sah  leider  alle 
solche  Bestrebungen  als  gegen  seine  Person  gerichtet  an.  Vgl. 
Preger  II,  S.  90—91. 


-     474     - 

widerumb  zuekomen,  vnnd  sonderlich  die  Lateinisch  Re- 
cusation  deßgleichen  die  Kays,  lieplicschrift  wider  der 
Saltzburgerischen  prouintz  fürpringen  vnnd  dan  letzlich 
den  Kays,  furtrag  den  3  gaistlichen  Churfürsten  be- 
schehen,  bey  Ir  in  gehaim  pleiben  lassen.  Dann  da  ettwas 
davon  auskörnen  sollte ,  wurde  man  leichtlich  gedencken 
können,  dz  solchs  durch  mich  auskörnen,  vnnd  mir  ett- 
lichmassen  verweise  darauff  steen.  So  hat  mir  der  Herr 
Illyricus  gleichwol  seine  Solutiones  vber  meine  dubia  zue- 
kommen  lassen,  die  dubia  aber  selbst  nit  wider  zugeschickt 
pitt  da  sy  noch  bey  E.  E.  banden  mir  die  widerumb  zu- 
vberschicken ,  E.  E.  mich  hiermit  dienstlich  beuelhende 
E.  E.  dienstwilliger 

Wolff  Haller  i). 
Adresse  an  Nicolaus  Gallus. 
St.  127.  Brief  an  Nie.  Gallus  von  dessen  Schwager 
Heinrich  Merkel  in  Magdeburg,  1.  Mai  1669,  ohne  Orts- 
angabe. „Vnd  will  Euch  nicht  Verhallten,  das  ich  wills 
Gott,  Vngefferlicher  2j  in  3  Wochen,  zu  der  Key.  Maj. 
neben  der  von  Hamborg  gesanthen  werde  abgefertigett 
werden."  .  .  .  „Bei  Vielen  müssen  die  Elacianer  (wie  mann 
sie  nennet)  den  nhamen  haben,  das  in  Oster-Reich  die 
Religion  nicht  menniglichen  freigelassen.  "Will  daselbst  die 
Wharheit  erkhanen." 

Reg.  Stadtarchiv  Ecclesiastica  Fase.  26  No.  249 : 
Ein  Brief  Flacius'  an  Gallus  vom  6.  Januar  1557,  wo- 
raus folgt,  daß  auch  der  Österreicher  Hans  von  Ungnad 
sich  für  die  Schlichtung  des  Streites,  der  wegen  des 
Interims  entstanden  war,  bemühte.  Es  heißt  dort:  „Un- 
guadius    nunc    Dresnae    cum    Volf.    tuo  ^)    de    pace    adia- 

1)  Kais.  Kat,  Edler  Wolf  Haller  war  bereits  in  Diensten 
Karls  V.  und  überbrachte  mit  anderen  den  Fürsten  Deutschlands 
die  Entsagungsakte  Karls.  Sodann  finden  wir  ihn  in  Maximihans 
Dienst  in  Wien,  von  wo  aus  er  Gallus  über  wichtige  Vorgänge  in 
Kenntnis  setzte,  wie  obiges  Schriftstück  zeigt,  das  neben  andern 
ähnlichen  Regensburger  Akten  den  Beweis  liefert,  daß  Gallus  seine 
Nachrichten  aus  erster  Quelle  erhielt.  Er  reiste  zwischen  Wien  und 
Regensburg,  besucht  Gallus  15ö3,  warnt  Dr.  Johann  Hill  ner,  Advokat 
der  Stadt  Regensburg,  brieflich  vor  der  Aufnahme  des  Flacius,  welchen 
Rat  zu  befolgen  Hiltner  mit  aller  Entschiedenheit  von  sich  wies. 
Vgl.  R.  A.  Fase.  26,  No.  329  und  Kluckhohns  Briefe  Friedrichs,  II,  2, 
S.  1046. 

2)  ungefähr. 

3)  Fürst  Wolfgang  zu  Anhalt.  Zum  Fürsten  Georg  von  Anhalt 
hatte  Gallus  ehedem  Beziehungen. 


—     475     — 

phoristica    agit,    ut    res    vel    ad    articulos    vel    ad   Judicium 
deducatur. 

VII.    Weickhardt  von  Polhaim  an  das  Regensburger 
Konsistorium.      (Empfehlung  eines  Ordinanden.)  ^) 

Gottes    Gnadt   vund    Frid    von  vnnserm  Lieben  Herrn 
Christo  mit  beistanndt  des  Heilligen  Geist. 

Ehrwierdige  Geistliche  vnnd  wolgelehrte  Herrn  vnd 
Superintendenten.  Als  der  Ewige  Sohn  Gottes  von  der 
von  der  Letzsten  Zeit,  In  welche  mir  am  Enndt  der  weit 
gerathen,  weissagt,  spricht  er,  Es  werde  eine  Truebselige 
Zeit  sein,  dergleichen  vonn  Anbeginn  der  Welt  nie  gewest 
sey,  vnnder  anndern  erzelt  er,  das  Auch  falsche  propheteii 
vnd  falsche  Christen  Aufstehn,  zu  verführen,  da  es  möglich 
wer,  auch  die  Ausserwelten,  Man  werde  heren  Krieg  vnnd 
Kriegsgeschray.  Es  werde  sein  pestilenntz  vnd  Theurung. 
Da  wir  nun  die  Leuffen  vnnserer  Zeitt  betrachten,  vnnd 
gegen  diser  Weissagung  von  dem  Sohn  Gottes,  vor  funff- 
tzehenhundert  Jahren  Beschechen,  halten,  muesten  mir  Be- 
khennen,  es  finde  sich  alles  darin  Erfüllet,  was  von  Christo 
gepredigt  worden.  Das  wir  anndere  geschweigen,  Allain 
der  falschen  propheten  gedennckhen ,  sehen  wir  Leider 
gnugsam  für  äugen,  nit  allain  die  hochschädliche  Verführung 
vnnd  denn  grossen  Abfall  von  der  Apostolischen  Lehr, 
Sonnder  auch  die  große  macht  vnnd  Gewalt  des  papsts, 
vnnd  annderen  Seckhten  Anhanng,  meingeiich  in  die  vorige 
verfuehrung,  widerumb  zubringen,  wie  aber  zu  Jeder  Zeit 
der  weit,  Auch  vor  wenig  Jahren  vnnder  dem  papstumb, 
der  Almechtige  Gott,  sein  Christenliche  Kirchen,  sein  Kleine 
herdt,  so  im  bewust,  gehapt.  Also  auch  mechtig,  Starckh 
vnd  wunderbarlich  erhalten ,  wie  Aui5  den  Schrifften  der 
propheten  vnnd  Aposteln  zusechen,  das  sie  nit  alle  Ire 
Khnie  vor  dem  Baal  gebeugt,  Sonnder  Gott  Allain  geehrtt 
vnd  Angenommen  haben,  Also  will  er  Auch  noch  Auf  diseii 
Tag,  vnnd  Biß  an  das  Enndt  (wie  er  dann  Bei  seiner 
Khirchen  biß  an  dz  Enndt  zubleiben  versprochen  hatt)  sein 
Kleine  Ausserwelts  heufflein,  Als  in  einem  Kleinen,  doch 
mit  grossen  wellen  Bedeckhten  Schüfflin,  in  disem  weitten 
Meer,  wunderbarlich  fiehren,  vnd  mechtig  zuerhalten,  Wie 
er  selber  verhaissen.  Math.  16.  Das  die  pforten  der  Hellen 
sollen    sie    nit    vberwaltigen.     Vnd   mit    Dauit    singen    mir 

2)  R.  A.  Kasten  D,  Eccles.  Fach  2,  No.  XLIX,  Z.  15. 


—     476     — 

46  Ps.  Wann  gleich  das  Meer  wuttet  vnd  walltt.  Dannoch 
soll  die  Stat  Gottes  fein  Lustig  bleiben  mit  Jeren  Brünlein. 
Da  die  heiligen  Wohnungen  Gottes  sein.  Gott  ist  bei  Ir 
darin,  darumb  wierdt  sie  wol  bleiben.  Solcher  vnd  der- 
gleichen Verhaissungen,  Könnden  wir  vnns  Alhie  in  Öster- 
reich ob  der  Ennß,  Gottlob  vnd  Dannckh,  auch  Trösten, 
vnd  mit  denselbigen  vnns  Aufrichten,  das,  Obwoll  wir  mit 
den  papisten  vmbringt.  Offt  vnd  vill  mit  Inen  vmbgehn 
dannoch  mitten  Bei  solcher  Abgotterey,  Gott  der  Allmechtig 
sein  kleines  Heüfflein  hat,  sei  heiligs  wortt  fort  pflanztt  vnd 
Erhelt.  vnd  Eaine  Lehrer  und  prediger  Alle  tag  in  sein 
Erndt  sendet,  vnd  mittheilt,  durch  welcher  Mundt,  das  Lob 
Gottes  Ausgebreit,  an  rechten  gebrauch  Göttliches  worts, 
vnd  der  heilligen  Sacramenten,  auch  des  Lieben  güldenen 
frides,  des  gewissens  haben  vnd  geniessen  könnden.  Wie 
dann  diser  Zeit  der  Erwierdige  Johannes  Zyrmer,  welcher 
Alhie  zum  heilligen  predigampt  Berueffen.  vnd  zu  einem 
Menschenvischer  füergestelt ,  damit  er  durch  ordenliche 
Mittel,  zu  einer  Christlichen  Gemain ,  das  Euangelium  zu 
verkhundigen,  das  Ambt  des  Neuen  Testaments  zu  gebrauchen, 
Außgesöndert  werde,  vnd  sich  seines  Berueffs  vertrösten 
könde.  Ist  er  mir  durch  Commendation  vnd  schrifften  zue- 
geschickht  worden,  weill  er  noch  Ordinationem  Vulgo  Vo- 
cant.  publicam  nit  Empfanngen,  das  Ich  Ime  welle  weiter 
Behilfflich.  vnd  mit  Besserer  Befuerderung  seines  furhabens, 
diennstlich  sein,  damit  er  ad  ordinationem  admittirt  vnd 
zuegelassen  würde.  Solcher  Bitt.  Weill  es  Gottes  Ehr 
Antrifft,  vnd  vill  seelen  zu  seinem  Reich  dadurch  gewunnen 
würden,  hab  ich  nit  könnden  Abschlagen,  noch  dz  furnemen 
Hinderstellig  machen.  Weill  Ich  dann  verstannden  vnd 
glaubwirdig  Bericht  worden,  das  Jetziger  Zeit,  das  Ehr- 
wirdige  Ministerium  vnd  Ministros  Ecclesiae  helffen  fort- 
pflanzen vnd  den  Beruefifnen  diennern  mit  der  Ordination 
Befürderlich  sein,  hatt  es  mich  für  guett  Angesechen,  disen 
Johannen,  demselbigen  fürzustellen,  Bittende,  das,  weill  er 
ein  prob  mit  predigen  Ausgestannden,  seine  Confession  mit 
den  Schröfften  der  propheten  vnd  Aposteln  vberein  Stimet, 
(er)  auch  der  Augspurgischen  Confession  Anno  30  Carolo  V 
exhibiert  zugethan,  vnd  nun  mehr  einer  Christlichen  Ge- 
main vorzustehn,  mit  Gottes  Hilfif  vnd  Beistandt  des  Heil- 
ligen Geistes  willens  vnd  Vorhabens,  Ein  Ehr.  Ministerium 
solch  sein  furhaben  Sterckhen,  promouirn  vnd  ime  Ordi- 
nationem publicam  widerfahren  Lassen,  das  will  Ich  wide- 


—     477     — 

rumb  zu    Jederzeit   vmb    das    Ministerium    verdienen    vnnd 
vergleichen.     Der  Allmechtig  Gott    welle    mit    gnaden    wie 
Biß    anher,    Also    forthin,    sein    Christenliche    khirchen    ße- 
dennckhen,  vnd  vnns  vor  falschen  Lehrer  Bewahren. 
Datum  Puchham  den  25,  Juni  A*'  90ten. 

Weickhardt  Freyherr  zu  Polhaim  m.  p. 

Vin.  Extrakt  aus    den  Schriften  des  Grazer  Exjesuiten 
Johannes  Combilhon^). 

Zur  näheren  Erkenntnis  des  merkwürdigen  Übertritts 
jenes  früher  genannten  Mannes  diene  noch   Folgendes : 

Der  Seite  370  genannte  Johannes  Combilhon  verließ 
im  32.  Lebensjahr  den  Jesuitenorden.  Er  w  urde  dabei  unter- 
stützt durch  Thomas  Wismer,  den  Hauspfleger  des  H.  Wolf 
Sigmund  von  Eggenberg  ^j,  in  Graz  wohnhaft,  der  ihm  einen 
Empfehlungsbrief  an  die  evangelischen  Prediger  zu  Augs- 
burg mitgab  'd.  d.  Oktober  1607).  In  Augsburg  finden 
wir  ihn  im  März  1608;  er  erfuhr  freundliche  Aufnahme  und 
den  Schutz  des  evangelischen  Ministeriums.  Gleichwohl 
wurde  eine  genaue  Untersuchung  seines  Vorlebens  und  seiner 
mitgebrachten  Schriften  für  nötig  erachtet,  und  7  Schrift- 
stücke dienen  zum  Zeugnis,  wie  genau  es  mit  diesem 
sich  zum  Übertritt  meldenden  Manne  genommen  wurde, 
nachdem  man  offenbar  mit  Anderen  schon  üble  Erfahrungen 
gemacht  hatte. 

No.  1  enthält  die  Kopie  des  Empfehlungsschreibens 
des  Eggenberger  Pflegers  im  Auszüge^),  worin  auch  des 
Mannes  notorische  Gelehrsamkeit  gelobt  wird. 

No.  2  :  Darlegung  der  Gründe,  durch  die  J.  Combilhon 
seine  heimliche  Flucht  und  Austritt  aus  dem  Orden  dem 
geistlichen  ]\Iiuisterium  motiviert  und  gewissermaßen  zu 
Protokoll  giebt  (d.  d.  20.  März  1608):  a)  die  Lehre,  b) 
das  Leben  der  Jesuiten  betreffend. 

a)  Die  Lehre  der  Jesuiten  betreffend.  Hier  erwähnt 
Combilhon  zunächst  den  Anlaß,  wodurch  sein  Zweifel  an 
der  Lehre  geweckt  wurde.  Nach  dem  zwischen  Evangelischen 


•1)  Zu  S.  370.     Neue  Signatur  E.  A.  Eccl.  L  42,  c.  1. 

2)  Diese  später  ausgewanderte  Familie  ist  bekannt  durch  Stiftung 
der  Eggenberger  Kapelle  in  Graz  (s.  o.  S.  334). 

3)  Am  Rande  steht  im  Original:  Der  Name  des  Mannes  sollte 
verschwiegen  werden,  damit  er  nicht  den  Jesuiten  bekannt  und  in 
Todesgefahr  gebracht  würde  wegen  solcher  Vorschubleistung. 


—     478     — 

und  Römischen  abgehaltenen  Regensburger  Religionsgespräch 
1601  welches  ungünstig  für  die  Jesuiten  verlieft),  hatte 
sich  Combilhon  vom  Regenten  der  Schule  in  Prag,  P.  Andrea, 
das  Protokoll  jenes  Gesprächs  geben  lassen  behufs  Abfassung 
einer  Schmähschrift  auf  die  Lutheraner,  wie  er  selbst  ein- 
gesteht. Bei  der  Vergleichung  dieses  Protokolls  mit  der 
heiligen  Schrift  wurde  er  zunächst  an  der  Unfehlbarkeit 
des  Papstes,  am  Inhalt  der  Apokrj^phen  und  dem  Lehrsatz 
von  einer  Bluttaufe  des  Schachers  am  Kreuz,  und  daß  dieser 
den  Titel  eines  Märtyrers  führe,  irre.  Er  nennt  es  richtig 
ein  foedum  martyrium  und  bemerkt  spöttisch:  tales 
martyres  esse,  quotquot  illorum  in  Gallia,  Anglia  ob  crimina 
laesae  Majestatis  carnifici  jugulum  praebuerunt.  Besonders 
aber  ärgerte  ihn  das  maßlose  Auftreten  Gretsers  und  Tanners 
und  bestärkte  ihn  gänzlich  in  der  alleinigen  Autorität  der 
heiligen  Schrift,  selbst  gegen  Papst  und  Conzilien.  Darauf 
ruhte  sein  Glaubenswechsel  vornehmlich,  obwohl  daneben  auch 
ein  Brief  des  Bruders  eines  Jesuiten  Eindruck  gemacht  hatte. 
Dieser  Jesuit  wirkte  im  Orden  als  Bäcker  und  sollte  nun  ab- 
gemahnt werden,  im  Orden  zu  verbleiben,  indem  die  rechten 
Quellen  des  glücklichen  Lebens  ihm  vorgehalten  wurden. 
In  der  Lehre  war  dem  Combilhon  inzwischen  noch  vieles 
unklar  und  er  bedurfte  gewiß,  wie  er  selbst  es  anerkennt, 
in  Augsburg  neue  Belehrung  zu  erhalten.  Bisher  waren 
nur  die  allergröbsten  L-rtümer,  die  Marienverehrung,  Weih- 
wasser, Kerzen,  Gelübde,  40-tägiges  Fasten  etc.  ihm  als 
verwerflich    erschienen. 

Er  bittet  nun  zufolge  der  Darlegung  jener  Übertritts- 
gründe, daß  man  ihm  in  Augsburg  Unterstand  und  Gelegen- 
heit biete  zur  Erweiterung  seiner  christlichen  Erkenntnis, 
sei  es  durch  Lehre,  sei  es  durch  Umgang.  Er  habe  bis 
dahin  mehr  Unbill  erduldet  als  irgend  ein   „Cyniker". 

No.  3  berichtet  über  einen  Brief  des  Combilhon  an 
M.  Melchior  Vollzius,  den  Senior  zu  St.  Anna  in  Augsburg, 
d.  d.  20.  März  1608.  Er  liegt  nicht  bei,  aber  der  Ver- 
fasser des  Auszugs  bemerkt,  daß  man  ihn  kaum  ohne 
Thränen  lesen  könne,  und  deutet  teuflische  Anfechtungen 
an,  die  Combilhon  nächtlicher  Weile  erfahren  habe,  wobei 
ihn  sein  Augsburger  Hauswirt  durch  Vorhaltung  von  Matth.  10 
getröstet  habe. 

1)  Vgl.  darüber  Thuanus,  Histor.  lib.  126.  Die  Jesuiten  Gretser 
und  Tanner  waren  dabei  in  hervorragender  Weise  thätig  und  bla- 
mierten sich  durch  kühne  herausfordernde  Behauptungen. 


—    479     — 

Auch  dankt  er,  daß  man  ihm  ein  sicheres  Geleite  auf 
seiner  weiteren  Reise  zugesagt  und  bittet  um  ein  Ge- 
wand etc. 

No.  4  folgt  nunmehr  das  oben  (S.  370)  benutzte 
Schriftstück  des  Combilbon  :  De  Studiis  Jesuitarum, 
abstrusioribus  et  eorum  consiliis^),  und  zwar  ein 
Auszug  daraus,  vom  21.  März   1608. 

Auf  das  Wort  „interfectus"  (s.  o.)  folgt:  et  alius  quidam 
Martinus  a  Fuldensibus  Jesuitis  Se  saepius  nocte  cum  aliis 
novitiis  audivisse  Ejulatus '■^).  Ibi  locorum  Jesuitas  diabolicas 
larvas  induere  et  terrere  juniores.  Pragae  id  factum  et  verum 
diabolum  se  immiscuisse  quinque  aliis,  et  aliquem  esse  ex 
quinque  illis  pressum,  ut  triduo  post  sit  mortuus^). 

No.  5:  Regem  Galliae  habere  Jesuitam  Magum  nomine 
Pere  Couton  ^) :  qui  speculo   exibet  occultissima  quaeque. 

No.  G:  In  magia  praeleguntur  vel  propter  institutionem 
legendi  exhibentur  libri : 

1)  Nongentae  propositiones   Mirandulani^), 

2)  Liber  Trithemii  de  secundis^). 

3)  Tractatus  Cor :    Agrippae    de  occulta  philosophia  '). 

4)  Theophrastus  de  Constellatione  et  sigillis  planetarum. 

5)  Steganographia  cujusdam   abbatis  ^). 


1)  Zu  deutsch:  „Wa.s  die  Jesuiten  insgeheim  treiben  und  was 
ihre  Anschläge  sind.'' 

2)  Es  ist  nicht  ersichtlich,  ob  in  Fulda  oder  in  Graz. 

3)  An  \^elen  Orten,  wo  die  Jesuiten  Häuser  haben,  wurden  die 
Scholaren  durch  Teufelserscheinungen  erschreckt.  Da  habe  sich  ein- 
mal ein  wahrhaftiger  Teufel  unter  fünf  andre  (als  Teufel  Verkleidete) 
eingedrängt  und  einem  derselben  so  zugesetzt,  daß  er  starb.  Hier 
war  also  ein  böser  Dämon  der  Straf  Vollzieher  an  den  Jesuiten. 

4)  Gemeint  ist  Cotton,  der  berühmte  Jesuit  und  zeitweise  Beicht- 
vater Heinrichs  IV.,  der  also  nach  dieser  Stelle  sich  auf  Zauberei 
verstand,  die  er  durch  einen  Spiegel  vermittelte. 

5)  D.  h.  neunhundert  Disputiersätze  aus  allen  möglichen  z.  T. 
chaldäischen  und  arabischen  Schriftstellern  gezogen,  die  Pico  in 
Eom  anschlug,  um  darüber  zu  disputieren.  Sie  wurden  als  ketzerisch 
verdammt  und  Pico  von  Mirandola  mußte  sich  der  Verfolgung  durch 
die  Flucht  entziehen  (Schlosser,  Weltgeschichte  IX,  458). 

6j  Trithemius  Chronol.  mystica  de  VII  secundeis  intelligentiis 
orbem  post  Deum  moventibus,  Nürnberg  1522,  jetzt  als  Geschichts- 
fälscher und  Phantast  erkannt. 

7)  Cornelius  Agrippa  von  Nettelsheim ;  seine  philosophia  giebt 
Anleitung  zur  teuflischen  Magie.  Über  die  Bekanntschaft  des  Jesuiten- 
ordens mit  diesen  Dingen  vgl.  auch  Pascal,  Lettres  provinciales  VIII. 
Brief:  über  die  Zauberer. 

8)  Geheimschrift  irgend  eines  Abtes. 


—     480    — 

6)  Artem  Pauli  ad  revelationes  conciliandas.  Dicunt  enim 
Paulum.  Johanuem,  Christum  ipsum  fuisse  Magos. 

7)  Bibliotheca  triplex  !•'  Omnibus  patens;  2»  solis  patribus; 
3-''  nee  patribus  permissa  sine   Concessione  Regentis. 

8)  Dextrum  latus  in  Musaeo  occupant  Patres,  sinistrum 
Novitii,  qui  aliquot  ordines  susceperunt.  reliqui  novitii 
immixti  sunt  convictoribus. 

9)  Provincialis  in  Visitatione  sua  omnia  explorat  quae  in 
ista  i-egione  geruntur.  Mores  principum.  Academiarum 
vicinarum  Status.  Qui  libri  ab  adversariis  editi.  Quales 
discipuli.  Qui  reditus?  Qui  mortem  nou  refugiant 
propter  ecclesiam  si  necesse  esset. 

10)  Consilia  Jesuitarum  eo  directa  esse  ut  principes  Impii 
potentissimi  inter  se  committantur  ^).  Rem  non  succes- 
sisse  in  causa  Donawerdensi.  putasse  enim  vel  pala- 
tinum  vel  Wirten  bergicum  arma  sumpturum  ^).  Cogi- 
tasse  de  alia  via,  committendos  Saxonem  et  Brande- 
burgicum  in  primatu  ^)  Magdeburgico :  Coloniensem 
declarandum  ibi  Archiepiscopum.  Electoratum  Saxoniae 
transferendum  ad  Vinarienses,  quibus  tutor  dandus 
Brunsvicensis  Henricus  Julius  Vigilantissimus.  committi 
sie  posse  Wirtebergicum  et  Heidelbergensem  Electorem. 
Landgravius  Hassiae. 

11)  Emitti  qui  veneno  tollant  praecipuos  Doctores.  Esse 
qui  lebetes  poliant  et  ita  inficere  possint  ut  decies 
lotae  et  expurgatae  praesentissimum  venenum  habeant^). 
Haec  tantum  summatim,  postea  cum  circumstantiis  loci 
personarum   temporis.      21.  Martii  Anno   1608." 

Mit  dieser  Bemerkung  endet  offenbar  die  Aufgabe  des 
mit  der  Untersucliung  des  Combilhon  Beauftragten.  Letzterer 
hat   von    der   mit    ausführlichen    Daten    versehenen   Schrift, 


1)  Die  Politik  der  Jesuiten  gehe  dahin,  daß  die  mächtigsten 
evangehschen  Fürsten  aneinandergehetzt  würden,  damit  Krieg  ent- 
stehe und  die  Jesuiten  im  Trüben  fischen  könnten  iSachdem  es 
mit  Donauwörth  nicht  geglückt,  seien  andere  Pläne  an  die  Reihe  ge- 
kommen. 

■2)  Vgl.  Schlosser,  Weltgeschichte  XIV,  200. 

3)  Wer  von  den  beiden  das  Bistum  besetzen  solle. 

4)  Combilhon  berichtet,  daß  man  solche  aussende,  die  durch 
Gift  gewichtige  Lehrer  (praecipuos  Doctores)  aus  dem  Wege  räumen 
sollten.  Es  gäbe  Leute,  welche  die  Gefäße  so  zu  appretieren  und 
zu  infizieren  verstünden,  daß  dieselben,  auch  wenn  sie  zehnmal  ge- 
waschen und  gereinigt  seien,  das  Gift  in  derselben  Kraft  beibehielten. 
Vgl.  auch  ähnliche  Notizen,  ö.  127,  140;  ßaupach,  Presb.  S.  G3. 


—     481     — 

die    unter    No.  4  im  AuszAig  vorgelegt  wurde,    Einsicht  ge- 
nommen  und  stellt    die    Veröffentlichung    derselben  hier  in 

Aussicht. 

No,  5  folgt  der  S.  370  angeführte  Lebenslauf  Com- 
bilhons;  sein  Vater  war  bis  15G4  ein  nicht  unbegüterter 
Organist  in  Innsbruck,  dann  aber  in  Graz.  No.  <j  folgt 
ein  Dankbrief  an  das  ev.  Ministerium  zu  Augsburg  vom 
24.  März  1698;  No.  7  ein  Schreiben  an  M.  Melchior  Voll- 
zius  vom  28.  März  1608  über  seine  Reise  von  Augsburg 
nach  Lauingen ;  beide  Briefe  sind  nicht  vorhanden. 


Berichtigungen  und  Zusätze. 

S.  3,  Z.   7   V.  o.  statt  Hallstadter  lies  Hallstätter. 

Auf  S.  4,  Z.  13  ist  zu  berichtigen,  daß  die  Regens- 
burger Akten  nie  in  einem  Kellerraum,  sondern  nur  auf 
dem  Dachboden  waren. 

S.  5,  Z.  6  V.  u.  statt  eingenk  lies  eingedenk. 

S.  6,  Note,  Z.   1   statt  Sicel  lies  Sickel. 

S.  37,  Z.  3  V.  u.  statt  Rudiger  lies  Rudinger. 

Zu  S.  40  vergl.  Bayle,   Dictionnaire  Art.  Flacius. 

S.  48,  Note   1,  statt  Preußer  lies  Preußen. 

S.  54  Z.  10  V.  u.  statt  Schweigern  lies  Schweizern; 
zu  Note  4  ist  Kluckhohn  I,  S.  66  zu  vergleichen. 

S.  59,    Note    1,    Z.  3    tilge    das    erste   Komma,    ebenso 

S.  313,  Note  1   das  zweite  Komma. 

S.  63,  Note  1  lautet  richtig:  0.  0.  1564  4  der  Univ. 
Bibl.  zu  Jena.  Dadurch  wird  Note  1,  S.  63  zu  Note  2, 
Note  2  zu  Note  1  auf  S.  64. 

S.  91,  Z.   17  v.  0. .lies  diese  statt  jene. 

S.  128,  Note  6  statt  C.  R.  IX  lies  VIII. 

Zu  S.  138,  Note  5.  Für  die  gleiche  Anteilnahme  Maxi- 
milians an  den  Centurien  des  Flacius  spricht  ein  Brief 
J.  V.  Perckhaims,  d.  d.  Linz,  25.  Januar  1558  (R.  A.  Eccles., 
No.  XVIII,  Z.  2):  „Nitpergkh  (Nidbruck)  hat  mit  etlichen 
buechern  guete  fürderung  than,  dan  er  disen  summer  ver- 
gangn    von    kh.    W.    (Maximilian)   wegen    vil   buecher    auff 

31 


-     482     — 

ein  Neus  gesambt  ( gesammelt)  vnd  kh.  W.  werdn  seine  buecher 
all  zu  samen  bringen  vnd  hab  khain  Zweyffl  ler  kh.  W.  werdn 
zu  disem  Cristlichen  Wergkh  gern  helffen.  vnd  glaub  wan 
der,  der  pey  euch  Jetz  vergangn  reychstag  geschriben  hat, 
o-en  Wien  khemen,  die  kh.  W.  predicant  (Pfauser)  wuerdt 
t^uete  pefurderung  wissen  zu  thain,  ich  hoff  zu  got,  so  die 
weit  laug  sten  sol,  vnd  kh.  W.  ain  weyl  leben  sol,  es  werdt 
noch  vil  guetz  durch  ler  kh.  W.  verriebt  werdn,  got  erhalt 
In,  pey  seim  Wort  Amen."  —  Nidbruck  war  ein  ehemaliger 
Hörer  des  Flacius  in  Wittenberg,  wo  dieser  die  Politik  des 
Aristoteles  las,  und  stand  seitdem  mit  ihm  im  brieflichen 
Verkehr. 

S.  167  zu  Note  1  :  Die  Signatur  des  Linzer  Landes- 
archivs ist:  p.  G.  XIII,  39. 

Zu  S.  195  im  Anfang.  Über  den  Beitrag  der  Jesuiten 
behufs  Durchführung  der  Gegenreformation  in  Baiern  vergl. 
man  E.  Gothein,  Ignaz  von  Loyola,  S.  689  bis  719. 

S.  203,  Z.  11  V.  u. :  Auf  ftosinus  folgte  als  Superintendent 
Christoph  Binder,  1586 — 1591,  hierauf  Anselm  Hagenloch, 
1591—1608. 

Zu  S.  254,  Z.  7 :  Gemäß  der  Unterschrift  zur  Confessio 
Ministrorum  Christi,  welche  von  den  sechs  bereits  vor- 
handenen Predigern  der  Stadt  schon  unterschrieben  war, 
hat  Macius  (oder  seine  Genossen)  jene  Konfession  nicht  ver- 
faßt, sondern  nur  gebilligt.  Vgl.  W.  Sillem,  Zur  Geschichte 
der  Niederländer  in  Hamburg,   1883,  S.   16,  Note. 

Zu  S.  286  Z.  19  ist  zu  „Georg  von  Anhalt"  hinzu- 
zufügen, daß  derselbe  der  eigentliche  Vater  des  Interims 
war  (s.  Schling,  Die  Kirchengesetzgebung  unter  Moritz 
v.  Sachsen  und  Georg  v.  Anhalt,  Leipzig   1899). 

Zu  S.  310,  Z.  3  V.  u.  vgl.  Chyträi  Epp.,  p.  1197,  wo 
unsere  Aussage  über  Luther  (p.  311)  bestätigt  und  noch 
liinzua;efügt  wird,  daß  die  oberdeutschen  Kirchen  den  Exor- 
cismus  fast  nicht  gebrauchten. 

Zu  S.  346  Z.  10:  Mir  ist  jetzt  wahrscheinlicher,  daß 
in  der  Sitzung  der  Verordneten,  bei  welcher  diese  allein 
anwesend  waren,  Khuns  Meinung  mißverstanden  ward,  was 
sich  auch  schon  aus  dem   Nachgeben  Khuns  ergiebt. 

S.  370,  Z.  3.  Nach  erneuerter  Prüfung  des  Aktenstücks 
Eccles.  I,  42c  l  ist  statt  der  Worte  „in  den  Orden"  „in  die 
Schule"  zu  lesen;  ferner  Z.  11  ist  zu  lesen:  „janitorem" 
nicht  „leviticum".  Der  Bewahrer  der  Kleider  war  ein 
Pförtner. 


-     4H8 

S.  444,  Note  1.  Statt  Leopold  lies  Ferdinand  IV.,  der 
seit  1653  römischer  König  war  und  1654  starb.  Über  dem 
Bilde  der  beiden  Herrscher  ist  Maria  mit  dem  Jesuskindlein 
abgebildet,  nebst  einer  Inschrift:  Cunctas  Haereses  8ola  In- 
teremisti ;  d.  h.  Alle  Irrlehren  hast  Du  fMaria)  allein  ver- 
nichtet. 

Zu  S.  456,  Note,  Z.  9  gehört  folgender  Zusatz:  Eine 
einschneidende  Kritik  übt  der  reformierte  Herausgeber  der 
Harmonia  Confessionum  8.  8i  (vergl.  daselbst  die  observatio 
im  Anhang)  an  j  en  e  r  Erweiterung,  welche  Melanchthon  in 
der  Variata  der  Augsburgischen  Confession,  Art.  18,  dem 
Text  der  Invariata  zuteil  werden  ließ.  Sie  ist  in  der  That 
ganz  synergistisch. 

Den  im  Kapitel  vom  „Erbsündestreit"  genannten  M.  Josua 
Opitz,  den  Landschaftsprediger  in  Wien  (von  1574 — 1578), 
hat  in  dankenswerter  Weise  Pfarrer  D.  Witz  in  Wien  den 
Zeitgenossen  ins  Gedächtnis  gerufen  (siehe  Jahrbuch  der 
Ges.  f.  d.  Gesch.  des  Protestantismus  in  Österreich,  1902, 
I,  II).  Er  hat  einen  Auszug  aus  dem  von  Opitz  in  Wien 
1577  verfaßten  „Menschenspiegel"  gegeben,  in  welchem 
die  Lehrpunkte  von  dem  Fall  und  Wiedergeburt  des  Men- 
schen katechetisch  erörtert  werden.  Dies  Schriftchen  giebt 
ein  zutreffendes  Bild  von  der  Lehre  jenes  Mannes ,  mit 
welcher  damals  die  Wiener  Gemeinde  so  reich  gesegnet 
wurde.  Auch  in  Schladming  wurde  dieses  Büchlein,  wie  oben 
bemerkt  wurde,  vom  dortigen  Ortspfarrer  Hasler  verbreitet. 

Nach  Opitz'  Abgang  von  Wien  (21.  Juni  1578)  gingen 
die  Evangelischen,  wie  Georg  Khun  in  einem  Brief  an 
Rosinus  in  Regensburg  (d.  d.  Linz  24  Nov.  1578)  berichtet, 
nach  Hernais,  wo  an  Festtagen  meist  6000  Zuhörer  zu  den 
Predigten  sich  drängten ,  —  „in  pago  Vienna  ad  unum 
milliare  distante".  Khun  selbst  wurde  damals  in  Wien 
nicht  einmal  das  Taufen  im  Hause  eines  adeligen  Herrn 
gestattet  (R.  A,  Eccles.  No  XXX,  Z.  22  c). 


31 


—     484     — 

Werke  desselben  Verfassers. 

De  Aramaismis  Libri  Koheleth,  Dissertatio 
historica  et  philologica.     Erlangen  (Blaesing)   1860. 

Vaticinium  Jesaiae  Cap.  24  —  27,  conamentario 
illustr.     Lipsiae  (Hinrichs)   1861. 

Zwölf  Messianische  Psalmen,  nebst  einer  grund- 
legenden christologischen  Einleitung.     Basel  (Detloff)   1862. 

Die  zweite  Helvetische  Confession,  Antritts- 
rede.    Wien  (Braumüller)   1864. 

Confessio  Helvetica  Posterior.  Vindobonae 
(Braumüller)   1866  (Jubiläumsausgabe). 

AllgemeinePädagogik.  Wien  (Braumüller)  1 872. 
In  holländischer  Sprache  erschienen  in  Doetinchem  (Misset) 

1881. 

Forschungen  nach  einer  Volksbibel  zur  Zeit 
Jesu  und  deren  Zusammenhang  mit  der  Septuaginta-Über- 
setzung.     Wien  (Braumüller)   1875. 

Die  Alttestamentlichen  Citate  im  Neuen 
Testament.     Wien  (Braumüller)   1878. 

Zum  Gesetz  und  zum  Zeugnis.  Wien  (Brau- 
müller) 1881.  In  holländischer  Sprache  erschienen,  Amster- 
dam (Scheffer  und  Comp.)   1884. 

Christologie  des  Alten  Testamentes  oder 
Auslegung  der  wichtigsten  Messianischen  Weissagungen. 
Wien  (Braumüller)  1882.  In  holländischer  Sprache  er- 
schienen: Amsterdam  (Scheffer  und  Comp.)   1885. 

Von  derincarnation  des  Göttlichen  Wortes. 
Wien  (Faesy)   1883. 

D  0  g  m  a  t  i  k.  Leipzig  (Rud.  Giegler) ,  Amsterdam 
(Scheffer  und  Comp.)   1887. 

Zur  Abwehr.  Gegen  Prof.  Dr.  A.  Kuyper,  betreffend 
die  Incarnation  des  göttlichen  Wortes.  Amsterdam  (Scheffer 
und  Comp.)  1888.  Auch  daselbst  in  holländischer  Sprache 
erschienen. 

Von  der  Rechtfertigung  durch  den  Glauben. 
Leipzig  (K.  Gustorff)  1890;  ins  Englische  übersetzt  von 
Pastor  C.  H.  Riedesel  in  Amerika. 

Kommentar  über  das  EvangeHumMarci  (nur 
holländisch).    Amsterdam  (Scheffer  und  Comp.)   1892. 

Dr.  Martin  Luthers  Fünfundzwanzig  Psalmen, 
ausgelegt  auf  der  Feste  Koburg.  Gütersloh  (Bertelsmann) 
1899. 


Frommannsehe  Buchdruckerei  (Hermann  Fohle)  in  Jena  —  2214 


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360 


Bohl,  Eduard 

Beitrage  z\jr   ge schichte 
der  ref ormation  in  Csterreict 


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